Alle Artikel mit dem Schlagwort " Bundesverfassungsgericht"

Die eigentliche Geburt der Pressefreiheit: Das Verfassungsgericht zur Spiegel-Affäre

Geschrieben am 7. Mai 2014 von Paul-Josef Raue.

Viel Lob für den TV-Film im Ersten „Die Spiegel-Affäre“, zu Recht. Erstaunlich ist jedoch, dass das Verfassungsgericht mit seinem bahnbrechenden Urteil zur Pressefreiheit nicht einmal im Abspann erwähnt wird. Die entscheidenden Sätze haben wir in der Neuauflage „Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus“ auf Seite 21 zitiert.

Das Bundesverfassungsgericht hat im „Spiegel-Urteil“ am 5. August 1966 den Wert der freien Presse für eine Demokratie deutlich gemacht. Aus den Aufgaben der Presse sind die Verpflichtungen für Redaktionen und Redakteure ableitbar:

Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.

Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung.

In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung. In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie fasst die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.

So wichtig die damit der Presse zufallende „öffentliche Aufgabe“ ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf.

Der Funktion der freien Presse im demokratischen Staat entspricht ihre Rechtsstellung nach der Verfassung. Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 5 die Pressefreiheit. Wird damit zunächst ein subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen gewährt, das seinen Trägern Freiheit gegenüber staatlichen Zwang verbürgt und ihnen in gewissen Zusammenhängen eine bevorzugte Rechtsstellung sichert, so hat die Bestimmung zugleich auch eine objektiv-rechtliche Seite. Sie garantiert das Institut „Freie Presse“.

(BVerfG 20, 162ff.)

Verfassungsgericht geht nicht weit genug: Alle Politiker müssen raus aus den ZDF- und ARD-Gremien

Geschrieben am 26. März 2014 von Paul-Josef Raue.

Der Staat darf sich die Medien nicht zur Beute machen. Er darf weder in die Redaktionen des MDR hineinregieren noch in die Redaktion einer Zeitung. So bestimmt es unsere Verfassung. In Artikel 5 reichen fünf Wörter aus, um die Pressefreiheit zu garantieren: „Eine Zensur findet nicht statt.“

„Zensur“ bedeutet in unserer Verfassung: Der Staat darf vorab weder kontrollieren noch bestimmen, was der MDR senden will und die TA drucken. Diese Freiheit gab es – beispielsweise – nicht für Redaktionen in der DDR. Das Zentralkomitee der Partei rief jeden Tag in den großen Redaktionen an und bestimmte, was berichtet wird, wie berichtet wird und welche Sätze in den Kommentaren zu stehen hatten.

Ansagen gab es auch für die Lokalredaktionen. „Meine Meinung kommt um zwei Uhr aus Berlin!“, witzelten die Redakteure, die bisweilen kuriose Anweisungen zu befolgen hatten wie „Keine Rezepte mit Haselnuss vor Weihnachten veröffentlichen!“ Hintergrund war ein Versorgungs-Engpass.

Bei einer Zeitungsredaktion rufen gerne auch Minister und andere Politiker an, manchmal erregt, manchmal fordernd; andere rufen nie an, verweigern jede Auskunft und zeigen so ihre Missbilligung einer freien Presse, die sie gerne ein bisschen unfreier hätten. Poltern wie schweigen – alles bleibt wirkungslos.

Das ist bei Rundfunk und Fernsehen anders: Politiker üben einen starken Einfluss aus. Wenn der Regierungssprecher zu einer Reise mit der Ministerpräsidentin einlädt und eine Absage bekommt, dann rutscht ihm schon mal ein Satz raus wie: „Das ist nicht schlimm. Wir nehmen ja den MDR mit.“

Nun arbeiten in TV- wie in Zeitungsredaktionen selbstbewusste Journalisten, die auf Unabhängigkeit großen Wert legen. Aber sie haben es bei ARD und ZDF schwerer: Dort sitzen Politiker in Gremien, die sie und ihre Arbeit kontrollieren.

Der Anruf eines Ministers oder der wöchentliche Telefon-Termin mit der Staatskanzlei hinterlässt schon tiefe Spuren: Bei politischen Berichten sitzt schnell die Unsicherheit im Nacken, manchmal schon die Angst.

Das Verfassungsgericht hat die Nöte der Redakteure und die Gefahr für die Demokratie erkannt. Es begrenzt den Einfluss der Politiker. Ob das reicht?

Einem Verfassungsrichter geht die Entscheidung nicht weit genug: Er will die Politiker komplett verbannen. Er hat Recht – auch mit der Befürchtung: Das Versprechen eines staatsfernen Fernsehen bleibt weiter unerfüllt.

(erweiterte Fassung eines Leitartikels der Thüringer Allgemeine, 27. März 2014)

FACEBOOK von Thomas Platt (27.43.):

Dass es in einem freien Land Staatsfernsehen gibt – noch dazu in schockierendem Ausmass -, das ist der Skandal.

Müssen sich Journalisten bei Wulff und ihren Lesern entschuldigen? Nein – warum auch

Geschrieben am 28. Februar 2014 von Paul-Josef Raue.

Denken Journalisten nie über sich  und ihre Ethik nach? Machen sie sich nur her über andere, vor allem Mächtige und Möchtegern-Mächtige, haben keine Regeln und sind unfähig zur Selbstkritik?

Der Tag nach dem Wulff-Freispruch ist der große Tag der Hohepriester in unserer Zunft, die ihren  Zeigefinger in die Höhe recken. Günther von Lojewski, Ex-Intendant des SFB,  schreibt in der FAZ über „Wir Journalisten“:

Es ist wohl an der Zeit, dass wir, wir Journalisten, die wir so gern alles (besser) wissen und jeden kritisieren, einmal uns selbst zum Gegenstand öffentlichen Diskurses machen, unsere Standards, unser Ethos und unser Verhältnis zu Freiheit und Macht.

Das Büßergewand steht uns nicht, ist heuchlerisch. Wir haben Standards: Der Pressekodex regelt, wie wir mit unserer Macht umzugehen haben; er sanktioniert jeden, der dagegen verstößt; er regt immer wieder Debatten an über Persönlichkeitsrechte, Schleichwerbung, Vorverurteilung, Diskriminierung von Ausländern usw. 

> Frage an den (Besser-) Wisser von Lojewski: Gegen welche Regel im Pressekodex haben Journalisten in der Wulff-Affäre verstoßen? Wenn es solche Regelverletzung gegeben hat: Haben Sie Beschwerde eingelegt?

> Zweite Frage: Debattieren Journalisten nicht unentwegt über ihre Profession? Gibt es irgendeine Akademie, die Journalismus und seine Ethik nicht mindestens einmal im Jahr zum Thema macht? Diskutieren – beispielsweise – nicht Lokaljournalisten mehrmals im Jahr in einwöchigen Modellseminaren  über ihre Profession (organisiert vom Lokaljournalistenprogramm)? Etablieren nicht immer mehr deutsche Zeitungen einen Ombudsmann, der sich um Fragen und Beschwerden von Lesern kümmert? Ist es nicht eher ein Problem, dass sich die Öffentlichkeit kaum oder gar nicht für unsere Debatten interessiert?

> Dritte Frage: Klärt nicht unser Grundgesetz das Verhältnis der Presse zu Freiheit und Macht? Hat nicht unser Verfassungsgericht klar bestimmt, wie wertvoll die Presse ist in der Kontrolle der Macht? Wollen Sie Artikel 5 ändern? Korrigieren? Einen staatlichen Presserat einrichten?  (Keine Sorge: Es geht nicht.)

> Vierte Frage: Gehört die Kontrolle der Mächtigen nicht zu unseren wichtigsten Aufgabe? In Ihrer Aufzählung der „Grundregeln“ kommt sie nicht vor – aus Versehen?

Schauen wir uns Lojewskis Grundregeln an, die angeblich alle in der Wulff-Affäre von „zahllosen Journalisten“ verletzt wurden:

1. Fakten vor Gerüchten. Das einzige schwerwiegende Gerücht, an das ich mich erinnere, betraf die Vergangenheit der Ehefrau; aber das hat Wulff selber im TV-Interview thematisiert. Journalisten in Niedersachsen war das Gerücht schon lange bekannt; keiner hat es öffentlich gemacht.

War nicht das Problem, dass zu viele Fakten über Wulffs Leben bekannt wurden und vor allem über sein Verhältnis zum Geld?  Fragen konnte man sich in der Tat, ob manche Fakten eine öffentliche Diskussion wert waren.

Übrigens hatte der Bundespräsident ein gestörteres Verhältnis zu Fakten als Journalisten. Wenn wir Halbwahrheiten als Gerücht klassifizieren, dann war darin Wulff der Meister.

2. Sorgfalt vor Schnelligkeit.  Da hätte ich gerne Beispiele. Schauen Sie sich den Fragekatalog der Journalisten an, im Internet  zu lesen: Sie haben in der Regel auf Wulffs Antworten gewartet. Das Problem war bisweilen die Dumpfheit der Fragen, um nicht von Dummheit zu schreiben, aber nicht die Geduld und die Sorgfalt der Journalisten. Das Problem waren die Antworten Wulffs. 

3. Nachricht vor Meinung. Die Regel ist unsinnig: Ein guter Journalist trennt deutlich Nachricht und Meinung, aber er bietet beides an.

4. Unparteilichkeit vor Vorurteil. Die Regel verstehe ich nicht. Ein Journalist ist unparteilich in der Recherche und parteilich im Kommentar. Was das mit Vorurteilen zu tun hat, erschließt sich nicht.

Ob sich wohl ein einziger Journalist öffentlich entschuldigen wird, bei ihm (Wulff) und bei seinem Publikum?

fragt Günther von Lojewski. Ist in Hannover ein Prozess gegen Journalisten geführt worden? Oder hat die Staatsgewalt einen Prozess gegen den Bundespräsidenten vorangetrieben? Und eine andere Staatsgewalt ihn freigesprochen?

Ich fand es unsinnig, dass gegen Wulff ermittelt wurde. Ich finde es meist unsinnig, wenn sich Staatsanwälte in das politische Geschäft einmischen; Politik gehört in Parlamente und in Untersuchungsausschüsse und nicht in Gerichtssäle. Ich finde es richtig, ja notwendig, wenn Journalisten die Mächtigen kontrollieren, auch den Bundespräsidenten. Wir schaden der Demokratie, wenn wir es nicht tun.

Ich entschuldige mich nicht.

Wann muss ein Gesicht verpixelt werden?

Geschrieben am 6. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

„Ein verpixeltes Gesicht ist ein Witz“ schreibt ein Leser:

Ich komme mir etwas „veräppelt“ vor. Was soll das? Füllt man so billig die Seiten? Wann erscheint der erste Artikel, der geschwärzt ist? Ich bin der Meinung, in Fällen, wo Personen aus irgendwelchen Gründen nicht erkannt werden sollen: Foto einfach weglassen!

In der TA-Rubrik „Leser fragen“ habe ich geantwortet (hier ausführlichere Antwort):

Deutsche Gerichte schützen auch Angeklagte und sichern ihnen Anonymität zu. Das Verfassungsgericht entschied vor fünf Jahren im „Holzklotz-Fall“: Gerade wenn eine Tat besonders grausam und verwerflich ist, hat ein Angeklagter das Recht, dass sein Bild nicht in der Zeitung erscheint – weil er sich auch nach einem Freispruch vom Makel des Tatvorwurfs nur schwer befreien könne.

Das Recht auf Anonymität und die Unschuld-Vermutung verhindern also, dass Verdächtige und Angeklagte mit ihrem Porträt in der Zeitung gezeigt werden können. Ist allerdings das öffentliche Interesse sehr groß, darf auch eine Angeklagte wie etwa Beate Zschäpe im NSU-Prozess gezeigt werden. Die Bürger wollen wissen: Welcher Mensch steht hinter einer solchen Tat? Dies, aber nicht Sensations-Lust, rechtfertigt ein unverpixeltes Gesicht.

Aber auch wenn ein Gesicht verpixelt werden muss, kann ein Foto sinnvoll sein: Wie versteckt sich ein Angeklagter? Wie ist seine Körpersprache? Sind seine Hände gefesselt? Wie hat er sich gekleidet? Wie sieht seine Umgebung aus: Verteidiger, Polizisten, der Saal? Was liegt vor ihm auf dem Tisch?

Sie haben allerdings Recht: Wenn nur ein verpixelte Gesicht zu sehen ist und sonst nichts, dann ist es sinnvoller, das Foto einfach wegzulassen.

INFO – Was ist der Holzklotz-Fall?

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 2008:

Die Antragstellerin betreibt einen privaten Rundfunksender. Sie beabsichtigt, die im Zuge ihrer Berichterstattung über das am Landgericht Oldenburg (Oldb) anhängige Strafverfahren gegen N.H. (Geschäfts-Nr. 5 Ks 8/08) gefertigten Fernsehaufnahmen von dem Angeklagten in nicht anonymisierter Form zu veröffentlichen. Gegenstand des Strafprozesses ist der sogenannte „Holzklotz-Fall“.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, am 23. März 2008 von einer in Oldenburg gelegenen Autobahnbrücke einen von ihm mitgebrachten Holzklotz auf die Fahrbahn der BAB 29 geworfen zu haben. Der Holzklotz soll die Windschutzscheibe eines sich nähernden Pkw durchschlagen und die Beifahrerin getroffen haben, die an ihren Verletzungen verstarb. Der Fall hat bundesweites Aufsehen erregt und eine umfangreiche Medienberichterstattung ausgelöst, auch weil die Verstorbene Mutter zweier Kinder ist und ihre Familie sich zur Tatzeit mit ihr im Auto befunden hat.

Der Täter wurde rechtskräftig wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“ 4. Januar 2014

BILD wird zur APO: Was Journalismus in einer Großen Koalition leisten muss

Geschrieben am 17. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Bild als APOMan kann die Nase rümpfen, sich abwenden – weil die Bildzeitung es macht. Aber das Boulevard-Blatt zeigt heute auf der Titelseite, wer immer die wahre Opposition in der Republik ist – und erst recht in einer Großen Koalition, in der es praktisch keine Opposition im Parlament mehr gibt: Die Journalisten.

Eine Demokratie funktioniert durch eine Kontrolle, die den Namen verdient – denn Macht neigt dazu, sich selbst zu begnügen, immer mehr Macht zu sammeln und Kritiker abzuwehren. Diese Kontrolle üben Journalisten aus in  unabhängigen Zeitungen und Magazinen.

Überhöhen wir uns nicht? Werden wir nicht übermütig mit Bild an der Spitze?

Nein! Erinnert sei an das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.

Richten wir uns darauf ein, zwischen den Stühlen zu stehen – ungemütlich, aber mächtiger als die Mini-Opposition im Bundestag!

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Ausführlicher Auszug aus dem Spiegel-Urteil von 1966 in der neuen Auflage des Neuen Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus im Kapitel 4 (Seite 21)

Die @Spiegel-Zeitungsdebatte: Ohne gute Lokalzeitungen droht Schaden für die Demokratie – Was tun?

Geschrieben am 17. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Deutschland ist Provinz, und die bevorzugte Zeitung der Deutschen erscheint in der Provinz: 37 Millionen lesen regelmäßig ihre lokale Tageszeitung; nur 4 Millionen eine nationale. Auch wenn die Auflagen zurückgehen, so ist die Zahl der Leser schlicht beeindruckend.

Die Erfolgs-Geschichte der Bundesrepublik verläuft parallel zur Erfolgsgeschichte der Lokalzeitungen: Je mehr Menschen lesen konnten und wollten, was in ihrer Nachbarschaft passiert, umso dynamischer entwickelte sich unsere Demokratie: Was in den Rathäusern beschlossen wird, das können die Bürger aus eigener Erfahrung kontrollieren.

Wer kontrollieren, protestieren und mitwirken will, der muss wissen, was in seiner Stadt läuft. So entwickelten sich die Lokalzeitungen, zumindest die besten, in den 70er und 80er-Jahren von Honoratioren-Zeitungen zu Bürger-Zeitungen. Je umfangreicher und kritischer die Lokalteile wurden, umso höher stiegen die Auflagen: Von 10 Millionen Abonnenten kurz nach Gründung der Bundesrepublik auf 14 Millionen im Jahr der Einheit; das war der höchste Stand der alten Bundesrepublik. Auf einem ähnlich hohen Stand befinden wir uns heute.

Wer vom Sterben der Zeitung spricht, muss sich zuvor klar machen, wie sie der Demokratie nutzt:

1. Journalisten haben die Aufgabe, das Volk zu informieren und aufzuklären. Sie erfüllen eine lebenswichtige Aufgabe in der Demokratie: Der Bürger wählt, bildet Vereine und Initiativen, er demonstriert und klagt um sein gutes Recht, er redet mit und dagegen – kurzum: Er muss wissen, was im Staat und in der Gesellschaft läuft. So sieht unsere Verfassung die Journalisten als Treuhänder der Bürger, wenn es um die Kontrolle der Macht geht; das Verfassungsgericht hat dies immer wieder, erstmals im Spiegel-Urteil, eindrucksvoll bestätigt.

2. Zeitungen sind eine verlässliche und glaubwürdige Instanz, die auch Massen erreicht. Beides ist untrennbar wichtig: Vertrauen und Öffentlichkeit, Qualität und Quantität. Nur wenn viele Bürger über dieselben seriösen Informationen verfügen, können sie für stabile Regierungen in Berlin und den Städten sorgen, für Widerstand gegen Entscheidungen, die den Bürgern schaden, für Debatten, die nicht in kleinen Zirkeln verpufft. Die Freiheit des einzelnen hängt vom Wissen und Verständnis vieler ab.

3. Die Zeitung sortiert, macht die schiere Fülle der Informationen übersichtlich, reduziert sie auf ein menschliches Maß. Sie lässt nicht zu, dass ein Leser nur seine, vermeintlich nützlichen Nachrichten liest, ausgesucht von einer Maschine. Wir brauchen Bürger, die sich in Maßen verstören lassen, die andere Meinungen kennenlernen und aushalten. Das gehört zur Freiheit dazu.

4. Die Zeitung überfordert die Menschen nicht: Täglich reichen zwanzig bis dreißig Minuten Lektüre, um konzentriert das Wichtigste zu erfahren; die Lektüre ist eine Routine mit hohem Nutzen. Wer morgens liest, kann mitreden.

5. Nur wer informiert ist, wer viele Meinungen kennt und wer Debatten verfolgt, der engagiert sich. Eine Demokratie lebt von Menschen, die in einem Ratsausschuss mitwirken, die F-Jugend des Dorfvereins trainieren, krebskranken Kindern vorlesen, überhaupt ein Ehrenamt bekleiden.

6. Zeitung ist ein Jedermann-Medium; das ist jedenfalls das demokratische Ideal der Zeitung, dafür haben Generationen gekämpft von der Aufklärung bis zur friedlichen Revolution in der DDR. Jeder Bürger hat das Recht, alles zu wissen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, formulierte Kant den Wahlspruch der Aufklärung. Der Verstand braucht aber seriöse Information. Kant würde heute für die Zeitung kämpfen. Wäre die Zeitung ein Medium der Wohlhabenden, der Mächtigen und der Beamten, verlöre sie ein Stück ihrer demokratischen Legitimation.

Die Demokratie braucht Zeitungen. Wenn wir ihr Ende prophezeien, müssen wir schon Antworten bereit halten:

 Wer gleicht aus, was die Zeitung an Nutzen stiftet?

 Wer kontrolliert unsere Demokratie, vor allem in der Städten und Kreisen? Wer sorgt dafür, dass wir keine demokratie-freien Zonen in Deutschland bekommen?

 Wer verhindert, dass Macht ohne Kontrolle despotisch wird?

 Wer finanziert ein anderes Modell? Das beste Modell, das wir kennen, ist die Finanzierung eines teuren und kostbaren Journalismus durch erstens: Verlage, zweitens: öffentlich-rechtliche Medien; die vom Staat finanzierten scheiden durch ihre Nähe und Abhängigkeit durch die Mächtigen aus (die noch größer würde, wenn es nur wenige starke Verlage als Wirtschaftsunternehmen gibt).

Zeitungen mögen nicht perfekt sein, aber sie sind näher an einer Sozialutopie, die das Internet versprochen, aber nicht gehalten hat: Alle Bürger haben Zugang zu jeder Information und Teilhabe am öffentlichen Leben. Wir wissen, dass im Internet Viele wenig lesen und Wenige viel. Ohne Zeitungen wird das Wissens-Fundament der Gesellschaft tiefe Risse bekommen. Besteht die Öffentlichkeit nur noch aus Minderheiten, bleiben die wichtigen Informationen für die meisten versteckt.

Im Spiegel-Blog ist oft ein zutreffender Einwand zu lesen: Redaktionen sind von dem Ideal, wie ich es formuliere, mehr oder weniger weit entfernt. Das ist richtig.

Versagen die Redakteure, droht der Demokratie ebenfalls großer Schaden. Lesen immer weniger eine Zeitung, droht ebenfalls Gefahr: Dann schlägt die große Stunde der Pädagogen, auch der Oberlehrer unter den Politikern.

Wir brauchen schnell eine Selbstbesinnung der Journalisten. Der klügste Satz von Cordt Schnibben – zu Beginn der Debatte – lautete: „Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass Verlage und Verleger die Konzepte entwickeln, die uns und unseren Journalismus sichern.“

Das lässt sich schnell ändern.

Wer hindert Redakteure, vor allem im Lokalen, daran, den besten Journalismus zu verwirklichen:

o Kontrolle der Mächtigen durch tiefe und umfassende Recherche (die noch stärker wird durch Nutzung der Daten-Fülle, die wir im Netz greifen können); Abschied von der Haus- und Hofberichterstattung, die „blackwildcat“ in einem Kommentar geißelt und mit DDR-Zeiten (unglücklich) vergleicht: Da „waren die Tageszeitungen das Sprachrohr der Partei“.

o verständliche Sprache und Erklärungen, die ohne den Oberlehrer im Journalisten auskommen;

o Mehr und tiefere Analysen, was die Welt zusammenhält; weniger Pressemitteilungen (und die mit einem Schuss Misstrauen redigiert); keine Manipulationen, etwa durch grobes Vermischen von Nachricht und Kommentar;

o Nähe zu den Menschen, die uns lesen und vertrauen: Was brauchen sie an Informationen und Meinungen? Was nützt ihnen? Aber auch: Was könnte sie interessieren und unterhalten? Das ist kein Plädoyer für Populismus (den die Leser gar nicht wollen), sondern für ein wenig Demut und für viel Respekt und Aufrichtigkeit.

o Erkenntnis, was Leser lesen wollen. Der zweitklügste Satz von Cordt Schnibben haut in diese Kerbe: „Zeitungen sind redakteursgesteuert, sie richten sich mehr danach, was die Leser lesen sollen.“ Wer glaubt, seine Leser seien identisch mit Rotwein-Freunden am Abend, der irrt fatal – vielleicht nicht beim Spiegel (und Cordt Schnibbens Bekanntenkreis), aber in einer Lokalzeitung. Da können wir von Bloggern lernen. Am besten wäre jeder Lokalredakteur auch ein Blogger, und er sähe seine Welt mit anderen Augen.

o Eine bessere Ausbildung, also mehr Ideen, mehr Mut und mehr Professionalität: Wer meint, fehlende Stellen durch Volontäre ersetzen zu müssen, der verspielt die Zukunft der Zeitung und die Zukunft der jungen Leute. Wir brauchen bessere Journalisten – und die bekommen wir nicht, wenn die Jungen ihre Ausbildung in den alten Strukturen, Klagen und Ausreden verbringen.

o Bessere Chefs, die Konzepte für die Zukunft entwickeln und sich nicht auf Manager verlassen, denen außer Kostensenkungen wenig einfällt. Journalisten sichern den Journalismus und, wenn er zu retten sein muss, retten nur sie ihn. Noch besser wäre eine gemeinsame Rettungstruppe von Managern und Journalisten; von beiden haben wir zu wenige.

Wer hindert uns daran, das sofort und umfassend zu realisieren?

Es geht um unsere Gesellschaft, um unsere Demokratie, um unsere Freiheit. Ob wir sie auf Papier oder auf dem Bildschirm oder sonstwie sichern, ist zweitrangig. Sichern werden wir sie nur mit Journalisten, die professionell arbeiten können und arbeiten dürfen.

Noch geht es den meisten Zeitungen passabel bis gut. Zu viele Redakteure haben sich jedoch darin eingerichtet, mit dem altvertrauten Journalismus die Zeit bis zum Ruhestand zu verbringen; die Stellenkürzungen und Sozialpläne treffen ja die Jungen, die noch nicht von der Rente träumen. Zu viele jammern über die schlechten Zeiten, über die undankbaren Aldis und sonstigen Werbekunden, die von uns gegangen sind, über die jungen Leute, die an nichts interessiert sein sollen: Was für ein Selbstbetrug, denn Journalismus spiegelt nicht nur die Zeit, sondern beeinflusst sie!

In einem irrt Cordt Schnibben, ist er der Spiegel-Mann, der den Reiz des Lokalen nicht spürt: Das Internet spinne eine Gegenöffentlichkeit zu den klassischen Medien.

Eine gute Lokalzeitung war schon immer Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit in einem. „Guter Lokaljournalismus lädt die Menschen ein, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Das ist eine anspruchsvolle Vermittlungsaufgabe, es ist ein Bildungsangebot, und je besser es gelingt, desto mehr wachsen die Ansprüche der Leser an ihr Blatt“. So sprach Bundespräsident Horst Köhler, als er 2009 im Braunschweiger Dom die „Bürgerzeitung“ pries. Also: Erst Öffentlichkeit herstellen, dann die Öffentlichkeit zu Wort kommen lassen – ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Prinzip, das nicht für das Internet reserviert ist.

Brauchen wir also Journalisten, „die anarchistisch wie das Netz denken und das konservativ umsetzen können“, wie „Ettina“ in einem Blog-Kommentar schreibt? Wenn es so einfach wäre; und es wäre schön, wäre es so einfach.

Zeitungmachen in diesen Umbruchzeiten ist, erst recht für Konzepte-Schmiede, nicht einfach aus diesen (und wohl einigen anderen) Gründen:

+ Jeder im Netz kann sich über Vereins- und Feste-Berichte in den Lokalteilen lustig machen. Aber viele Leser, nicht nur ältere, wollen über das einfache Leben in ihrer Nachbarschaft so viel wie möglich lesen: Das ist ihre Welt. Wer das als Provinz belächelt und ausblendet, verliert Leser, treue Leser zumal. Der Lokalteil war immer ein großes Familienalbum und wird es in Maßen auch bleiben. Lächelt noch einer über Facebook?

+ Zeitungen sind starke Marken, weil sie ein Teil der Familie sind wie Ehemann und Kanarienvogel (was für ein Trumpf – auch im Netz!); Zeitungen genießen Vertrauen – auch bei den Jüngeren, die zu oft erlebt haben, wie man im Netz über den Tisch gezogen wird, beleidigt und getäuscht.
Wer die Kreisliga-Tabelle im Tischtennis mit dem Hinweis verbannt, die stehe doch schon im Netz, der verliert Abonnenten – mit deren Geld die Investitionen in die Online-Auftritte subventioniert werden.

+ Wer einen guten Lokalteil macht, ob auf Papier oder auf dem Schirm, der muss eine kluge Mischung bringen: Familienalbum und Tiefen-Recherche, Freude am Leben und Ärger über das Rathaus. Wer nur eines bringt, bringt zu wenig.

+ Inhalt bleibt Inhalt, ob im Netz oder auf Papier: Also müssen Redaktionen das Netz bedienen, Facebook und Twitter und die bedruckten Seiten. Das fällt vielen schwer – und nicht wegen fehlender technischer Intelligenz. Offenbar ändern sich unsere Welt, unsere Gesellschaft und unsere Medien zu schnell für Redakteure, die Veränderung per se verachten. Aber wer sich nicht mit der Welt, für die schreibt, verändert, den wird die Welt verändern.

+ Die Zeitung ist eine Kommode mit vielen Schubladen, die wir mehr oder minder kostbar füllen. Wie verwirklichen wir dies Erfolgsmodell im Netz? Die Idee der Zeitung ist, von allem etwas zu bringen, solange es die Menschen interessiert und von Nutzen ist. Es gibt den Lokalsport und die Kultur und die Politik und anderes mehr, das keinen Werbekunden dazu verleitet, auf diesen Seiten zu inserieren.
Adaptieren wir das Modell des Anzeigenblatts oder der Anzeigen-Beilagen in den Zeitungen, wenn wir nur noch Artikel bringen, die einzeln bezahlt werden? Reüssiert eine Zeitung, die wie das Fernsehen auf Quoten schaut und davon abhängig wird?

Was bedeutet das für Zeitungsredakteure, die sich seriös im Netz bewegen wollen? Das ist ein Dreizehn-Punkte-Plan für Qualität:

1) Der Online-Auftritt eines Lokalteils oder einer Lokalzeitung ist durch die Marke der gedruckten Zeitung aufgeladen. Also müssen die Redakteure so arbeiten, dass die Inhalte und die Gestaltung die Marke nicht gefährden, sondern stärken.

2) Es gelten die professionellen Regeln wie in der gedruckten Zeitung. Sie sind noch strenger zu befolgen, weil der Online-Leser in der Regel schneller und weniger konzentriert liest.

3) Es gelten die ethischen und rechtlichen Regeln wie in der gedruckten Zeitung.

4) Online darf kein Spiegel der gedruckten Ausgabe sein, sondern muss mehr bieten: Archiv, Verlinkung, Ergänzungen durch Geotagging, Grafiken, Videos, Podcast, Kommentare usw

5) Es kommt auch online auf die Qualität an. Es kommt auf den Inhalt an.

6) Multimediales Erzählen krönt die Qualität. Wer Geschichten erzählt, bindet die Leser. Aber Geschichten allein bringen keinen Erfolg. Der schnelle Leser will zuerst schnelle, das heißt kurze und aktuelle Texte und Bilder.

7) Sicherheit der Recherche geht vor Schnelligkeit. Aktualität ist kein Wert an sich.

8) Auf den Blaulicht-Seiten sind die Texte seriös, vor allem aber befriedigen Qualität und Quantität der Bilder nicht die Sensationslust (auch wenn dadurch die Click-Zahlen steigen).

9) Der Online-Auftritt hat eine klare Ordnung, die wegen der unendlichen Weiten des Netzes noch wichtiger ist als in der Zeitung. Vor allem muss jeder schnell die Orte seiner Heimat finden (hyperlokal).

10) Der Leser wird zum Mitwirkenden, wenn er sich zu erkennen gibt (Registrierung) und die Regeln beachtet. Der Redakteur moderiert nicht nur, sondern diskutiert mit.

11) Der Redakteur moderiert den Marktplatz im Netz, er formuliert die Regeln, diskutiert sie mit den Usern, aber er achtet strikt auf die Einhaltung.

12) Das Internet suggeriert eine Nähe, die nur virtuell ist. Journalisten brauchen wirkliche Nähe, Vier-Augen-Nähe. Wer den Kontakt mit seinen Lesern nur noch im Netz sucht, entgleitet in eine Gespenster-Welt.

13) Das ist die Leerstelle für weitere Einträge.

Enden wir mit Sätzen aus dem Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966, die kein bisschen alt sind:

Eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse ist für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein, aber auch Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang.

„Rechtsradikal“ ist Werturteil, keine Tatsachenbehauptung

Geschrieben am 15. November 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 15. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Im Zweifelsfall für eine öffentliche Debatte, auch wenn sie hart geführt wird! Und gegen das Verbot einer Debatte, in der es immer noch um das Thema geht! Wer seine Meinung öffentlich zur Diskussion stellt, muss eine Diskussion darüber auch ermöglichen – und ertragen.

So urteilte das Verfassungsgericht in Karlsruhe für einen Rechtsanwalt, der einen anderen Anwalt in einem Internet-Forum „rechtsradikal“ genannt hatte – und gegen Land- und Oberlandesgericht, die entweder eine unwahre Tatsachenbehauptung oder eine Schmähkritik entdeckt und zur Unterlassung aufgefordert hatten.

Drei Kriterien nennt das Bundesverfassungsgericht für die Abgrenzung von erlaubter Meinungsäußerung und Schmähkritik:

1. Sie darf den Kritisierten nicht in seiner Intimsphäre treffen.
2. Sie darf nicht in sein Privates eindringen (was der Fall ist, wenn die Diffamierung im Vordergrund steht und nicht mehr die Sache, über die diskutiert wird).
3. Sie dringt in seine Sozialsphäre ein – was in einer Debatte, die man angezettelt hat, erlaubt ist (nach dem Motto: Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht kochen).

(zu: Handbuch-Kapitel 50 Presserecht)

Dokumentation
Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung Nr. 77/2012 vom 13. November 2012
Beschluss vom 17. September 2012
1 BvR 2979/10

Die Bezeichnung anderer als „rechtsradikal“ ist ein Werturteil
und fällt unter die Meinungsfreiheit

Eine Person in einem Internetforum in Auseinandersetzung mit deren
Beiträgen als „rechtsradikal“ zu betiteln, ist ein Werturteil und
grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dies entschied das
Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss vom
17. September 2012 und hob daher die angegriffenen Unterlassungsurteile
auf. Es obliegt nun den Zivilgerichten, das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht der kritisierten Person abzuwägen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Der im zivilrechtlichen Ausgangsverfahren auf Unterlassung klagende
Rechtsanwalt beschäftigte sich auf seiner Kanzleihomepage und in
Zeitschriftenveröffentlichungen mit politischen Themen. Er schrieb unter anderem über die „khasarischen, also nicht-semitischen Juden“, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmten, und über den
„transitorischen Charakter“ des Grundgesetzes, das lediglich ein
„ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte“ sei.

Der Beschwerdeführer, ebenfalls Rechtsanwalt, setzte sich in einem
Internet-Diskussionsforum mit diesen Veröffentlichungen auseinander: Der Verfasser liefere „einen seiner typischen rechtsextremen originellen Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen
bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei“. Wer meine, „die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden
beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen“, müsse „es sich
gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden“.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilten den
Beschwerdeführer zur Unterlassung der Äußerungen, wobei das Landgericht
sie teilweise als unwahre Tatsachenbehauptungen und das
Oberlandesgericht sie als Schmähkritik aus dem Schutzbereich der
Meinungsfreiheit herausfallen ließen. Das Bundesverfassungsgericht hat
beide Urteile aufgehoben und die Sache an das Landgericht
zurückverwiesen.

2. Diese Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

a) Es handelt sich um Meinungsäußerungen in Form eines Werturteils, denn es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“.

b) Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit werden verkannt, wenn
eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung
oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im
selben Maß am Grundrechtsschutz teilnimmt wie Äußerungen, die als
Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert, da bei ihrem
Vorliegen schon jede Abwägung mit der Meinungsfreiheit entfällt. Eine
Schmähkritik ist nicht einfach jede Beleidigung, sondern spezifisch
dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der
Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies
kann hier aber nicht angenommen werden, denn alle Äußerungen haben einen Sachbezug.

c) Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der
Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem Allgemeinen
Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers. Das Ergebnis dieser
Abwägung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Abwägung
muss das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass
der Unterlassungskläger weder in seiner Intim- noch in seiner
Privatsphäre betroffen ist, sondern allenfalls in seiner Sozialsphäre.
Dagegen ist die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers in ihrem Kern
betroffen.

Die Verurteilung zur Unterlassung eines Werturteils muss im
Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum
Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Der
Unterlassungskläger hat seine Beiträge öffentlich zur Diskussion
gestellt; dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine
inhaltliche Diskussion möglich sein.

Zeitungen müssen ein Markenartikel der Demokratie bleiben

Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

In einer Demokratie ist nichts wertvoller als der Journalismus  –  aber ein Journalismus, der recherchiert, was die Mächtigen planen und im Verborgenen tun; der die Bürger ernst nimmt, ihre Interessen und Bedürfnisse kennt und für sie Wichtiges vom Unwichtigen trennt; der viele Meinungen anbietet, auch Querdenkern das Wort gibt, der Debatten anstößt und  führt.

Qualität ist nur, wenn Zeitungen ein Markenartikel der Demokratie bleiben. Alle Freiheiten sind wenig wert ohne die Freiheit der Presse. Diese Freiheit ist allerdings kein Privileg für uns Journalisten, sondern Verpflichtung, den Bürgern die Kontrolle der Macht zu ermöglichen.

 

Je tiefer wir kontrollieren, je genauer wir informieren, je stärker wir die Bürger mitwirken lassen, umso mündiger werden sie. Das bedeutet auch: Wenn der Journalismus dies nicht leistet, wird der Bürger entmündigt. Aus der Schwäche des Journalismus folgt die Schwäche der Demokratie. Wenn wir über den Wert des Journalismus sprechen, dann sprechen wir über den Wert unserer Gesellschaft.

 

Oft wird die journalistische Qualität allein an professionellen Kriterien gemessen. Doch guter Stil, Verständlichkeit oder saubere Recherche sind  kein Selbstzweck. Wem nützt eine Überschrift, die ein neues Gesetz erläutert, wenn sie reizlos ist, wenn sie nicht einlädt zum Lesen?

 

Die Beherrschung des Handwerks und der klare Willen, dem Leser zu dienen, ist Voraussetzung für Qualität.  Daraus wächst die Aufgabe, die Freiheit der Bürger zu sichern.

 

So bestimmt nicht die Zahl der Auslands-Korrespondenten die Qualität, auch nicht die Eleganz der Edelfedern oder die Zitierung der Leitartikler. Das behaupten zwar die selbst ernannten Gralshüter der „Qualitäts-Medien“, doch Emil Dovifat hat schon 1955 zu Recht auch den Wert der Provinz erkannt:

 

„Jede Zeitung hat ihren Inhalt so zu gestalten, daß sie in ihrem Verbreitungsgebiet eine Lesergemeinde gründen und behaupten kann.“ Es komme darauf an, selbst in kleinen Blättern die Auswirkungen der großen Politik für den Alltag der Leser klar zu machen.

 

Der Journalist ist selbstbewusster Diener der Bürger. Als Leser ist der Bürger, um noch einmal Dovifat zu zitieren, ein „seltsamer, aber oft auch nützlicher“ Mitarbeiter. Wir umsorgen ihn nicht nur mit Informationen, wir sorgen auch dafür, dass er der Demokratie nicht abhanden kommt, dass er souveräner Bürger bleibt und sich nicht der Bevormundung durch den Staat ergibt.

 

Souveränität setzt Kenntnis voraus. So ist die tiefe Recherche der eigentliche Wert des Journalismus. Wir müssen zuerst die Nachrichten entdecken, ehe wir sie bewerten, einordnen und veredeln  können.

 

Unsere Freiheit ist kein Wert, der einmal erfolgreich errungen ist, sondern ein Wert, um den wir stets kämpfen müssen. Jede Macht, auch in der Demokratie, neigt dazu, Obrigkeit zu werden. Sie versteckt sich hinter Daten- und Persönlichkeitsschutz, richtet Schattenhaushalte ein und pocht auf Geheimhaltung, um unbehelligt zu bleiben. Die Macht will nicht kontrolliert werden.

 

Das Verfassungsgericht hat im Spiegel-Urteil vor einem halben Jahrhundert den Wert des Journalismus formuliert als: „nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkt“. Diesen Wert müssen wir verteidigen.

 

 

 

Ein Beitrag für die Serie „Zukunft des Qualitätsjournalismus: Was ist uns Journalismus wert?“ von dapd, erschienen unter anderem im Echo (Darmstadt) und http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Aus%20(Worms)

(zu: Handbuch-Kapitel 57 Wie können Zeitungen überleben + 48-49 Wie Journalisten entscheiden (sollten) + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)

Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre

Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
19 Kommentare / Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.

Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.

Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.

Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:

1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?

2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.

Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).

Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.

Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.

3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?

Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?

Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?

Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.

Die Chronik der Brand-Eins-Affäre

Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.

27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind

BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“

28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“

„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat

Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:

„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.

Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.

brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.

 

2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:

Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.

Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:

Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“

 

Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)

LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php

Verfassungsrichter entlarven die politische Sprache (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 23. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 23. Juni 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Juristendeutsch ist meist schwer verdaulich und nur selten ein Genuss. Das Bundesverfassungsgericht ist eine Ausnahme, die zu rühmen ist.

Manche Urteils-Begründung entzückt den Liebhaber der deutschen Sprache, selbst vor leicht ironischen Zwischentönen schrecken die Richter in den roten Roben nicht zurück. Gäbe es einen Literaturpreis für juristische Prosa, dann hätte ein Urteil gute Chancen, das der 2. Senat vor sechs Tagen verkündet hat – gegen Kanzlerin Angela Merkel, die systematisch den Bundestag an der Nase herumgeführt habe.

Statt die Abgeordneten in der Euro-Krise unverzüglich, genau und ausführlich zu informieren, habe sie die Volksvertreter mit Floskeln abgespeist – so die Richter einstimmig:

• Was sind ambitionierte Zeitvorgaben?
• Was ist ein Gesamtpaket (comprehensive package)?
• Was ist ein inoffizielles Dokument (non paper)?
• Was ist eine endliche Halbwertzeit?
• Was sind Ergebnisoptionen?
• Warum bieten Texte in englischer Sprache („term sheet“) Vorteile gegenüber deutschen?

Die Richter entlarven die politische Sprache, konkret: die Sprache der Regierung, als Sammlung von Phrasen, als Erniedrigung des Parlaments, kurzum: als Schaden für die Demokratie. Sie zitieren lustvoll und entlarvend einen Beamten des Finanzministeriums, der die Volksvertreter unwissend nach Hause schickte:

Wir legen die Entscheidungen zur Ertüchtigung nicht „kleckerweise“ vor, sondern in einem Paket.

Ergänzung: Leitartikel von Annette Ramelsberger in der SZ vom 22. Juni 2012 (zur Öffentlichkeit des Breivik-Prozesses in Oslo)

Das Gericht nahm die Bürger mit auf den Weg der Wahrheitsfindung. Auch davon kann Deutschland lernen – hier, wo Justitia oft mit einer Bugwelle von Bedeutung einherschreitet und stolz darauf ist, dass nur Ausgewählte sie verstehen. Und kein Richter sich Tränen erlauben würde – egal, wie angerührt er ist.

Seiten:«1234»

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