Wie die Süddeutsche in die Bildzeitung kommt
BILD am Samstag, 11. August 2012, auf der Titelseite ganz oben rechts: Foto einer lächelnden Kanzlerin und die Zeile „Promis fragen, Kanzlerin Merkel antwortet“. Eine typische Boulevardzeile, Promi-Zirkus und Politik ins Menschliche übersetzt.
Nur – die „überraschenden Einblicke“ standen am Tag zuvor im Magazin der Süddeutschen Zeitung, füllten dort 16 Seiten – und waren eingeführt mit Sätzen wie in Bild: „Tolle Fragen“; die Antworten „frotzelig, lustig, rührend“; „alle sind knapp und ganz klar. So ist sie halt unsere Kanzlerin“. Oder: „Wie tickt die Frau, die sie die mächtigste Frau der Welt nennen?“
Die meisten Antworten sind allerdings schwächer als die Fragen, nicht selten banal, mehr Bild als SZ, vom SZ-Layout aufgeblasen auf 16 Seiten (46 Kanzlerinnen-Sätze, davon kurze wie „Ja, immer“, 2 Bibelsprüche und nur einen Tipp auf die verschwobelte Frage des Piraten-Politikers Johannes Ponader „Stellen Sie sich vor, ich werde Ihr Nachfolger: Welche drei Dinge geben Sie mir als Tipps mit auf den Weg?“ Und auf eine 50-Wörter-Frage von Olli Dittrich eine 7-Wörter-Antwort.
„Für die Liebe braucht man gar kein Schriftzeichen“, antwortet die Kanzlerin auf Charlotte Knoblauchs Frage, wie sich die Liebe einfach in 160 Zeichen erklären lässt. Wer die besten Antworten lesen will, schaue in Bild, das reicht.
Zur Erinnerung: Die Süddeutsche hat erst vor wenigen Wochen die Annahme eines Nannen-Preises verweigert, weil auch Bild einen bekam.
Noch eine Erinnerung, ein Zitat von Werner Meyer von 1993, auf Seite 214 im Handbuch:
Ein Hauch von Boulevard weht selbst durch die ernsthaftesten deutschen Zeitungen: Die Süddeutsche Zeitung wünscht sich mehr Lese-Spaß…
(zu: Handbuch-Kapitel 35 Der Boulevardjournalismus)
Diskriminieren wir Frauen in der Zeitung? (Friedhof der Wörter)?
Ist es eine Beleidigung wenn Zeitungen, über Frauen schreibend, weder Vornamen noch Funktion erwähnen? Wenn sie nur schreiben: „Merkel sagte“ statt: „Bundeskanzlerin Merkel sagte“ oder „Angela Merkel sagte“ oder „Frau Merkel sagte“?
Also noch einmal die Sprache und das weibliche Geschlecht: Gelten für Frauen andere Regeln als für Männer? Diskriminiert die Sprache, weil die Mehrzahl der auf Menschen bezogenen Wörter männlich sind – also der Mensch ohne Menschin, man ohne frau, jemand ohne jefraud und niemand ohne niefraud?
Eine Leserin sieht die Frauen in der Zeitung diskriminiert – und im Zweifelsfall die Männer auch, wenn sie sprachlich nackt in den Zeilen stehen. Zu bequem? Gar faul?
Nein, es ist Gewohnheit. Es gilt in den meisten Redaktionen die Regel: Bei der ersten Erwähnung im Text wird der komplette Name nebst Berufs- oder Funktionsangabe geschrieben, also „Bundeskanzlerin Angela Merkel“; danach geizen die Redakteure mit den Wörtern, sie schreiben nur noch ein Wort, entweder „Merkel“ oder „die Kanzlerin“.
Diese Regel war in der Frühzeit der Übermittlung von Nachrichten nützlich: Wer ein Telegramm schrieb, geizte mit den Buchstaben; wer zuschauen konnte, wie sich im Nachrichten-Ticker die Wörter aufbauten, der wollte so schnell wie möglich die Nachricht senden und verzichtete auf alles, was überflüssig war.
Doch auch in den frühen Jahren des Journalismus galt die Höflichkeit mehr als die Schnelligkeit: Frauen bekamen immer „Frau“ als Vornamen, die Männer nicht den „Herrn“ (was nicht sonderlich auffiel, weil zu den Mächtigen in der Regel nur Männer zählten). Diese altmodisch erscheinende Höflichkeit gilt immer noch in der konservativen „Frankfurter Allgemeinen“: Merkel ist stets „Frau Merkel“, doch der französische Präsident schrumpft zu „Hollande“, ohne Herr.
Aber diskriminiert man/frau die Frauen nicht schon,wenn man/frau sie anders beschreibt als die Männer?
(aus: Thüringer Allgemeine vom 23. Juli 2012)
Im Hausbuch von „dpa“ von 1998 steht unter dem Stichwort „Frauen“:
Bei der Nennung von Frauen verzichten wir auf die Anrede, nachdem wir den Vornamen erwähnt haben. Also nicht „Frau Süssmuth sagte…“, sondern „Süssmuth sagte…“
Hinweise auf das Geschlecht von Personen sind nur dann zulässig, wenn sie von Bedeutung für die Sache sind. Ob eine Regierungschefin verheiratet, unverheiratet, Mutter oder kinderlos ist, ist ebenso wenig oder ebenso sehr wie bei ihren männlichen Kollegen erwähnenswert.
Diskriminierende Bemerkungen über das Geschlecht sind zu unterlassen…
Im Stylebook von AP von 2007 steht unter dem Stichwort „courtesy titles“:
Use the courtesy titles Mr., Miss, Ms. oder Mrs. only in direct quotations.
Die Finanzkrise auf schwäbisch (Friedhof der Wörter)
Erklär mir mal die Krise!, fordern die Bürger. Selbst der Präsident der Bürger fordert von der Kanzlerin: Erklär uns die Krise!
Dabei gibt die Kanzlerin unentwegt Erklärungen ab, spricht kurz vor Sonnenaufgang – nach zehnstündiger Sitzung – noch in die Mikrofone. Als sie einmal doch lieber ins Hotelbett hüpfte, statt eine Pressekonferenz zu geben, verdarb ihr der italienische Regierungschef den Tag; er sprach munter, aber berechnend falsch, von seinem Erfolg und beherrschte damit die Frühnachrichten.
Jedes Wort hat seine Zeit. Die Kanzlerin darf nicht einfach losplappern, sie muss jeden Satz genau wägen, so wie es ein Konzernchef tun muss, der seinen Quartalsbericht für die Börse erläutert. Ein falsches Wort zu falscher Zeit, ein etwas zu langes Zögern – und schon werden die Händler an den Börsen noch nervöser, als sie schon von Natur aus sind.
Jenseits von EU- und Pressekonferenzen sind die Mächtigen lockerer, spielen schon mal mit den Wörtern. „Ich formuliere es mal auf schwäbische Art“, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble, als er vor Managern in Erfurt sprach, frei zudem, ohne ins Manuskript zu schauen. „Schwäbische Art“, also die Sprache seiner Mutter, heißt: Legt bitte nicht alles auf die Goldwaage!
Die Welt ist gar nicht so kompliziert! Oder wie Schäuble meinte: „Manche drücken es so kompliziert aus, bis sie es selber nicht mehr verstehen.“
Ein Beispiel für Schäubles Schwäbische, mit einem elegant ironischen Unterton? „Gibt man den Mächtigen die Notenpresse, dann drucken sie das Geld – auch wir, wenn auch ein bisschen später als die Sozis.“
Nicht nur das Wort, auch der Ton macht die Rede. Das Schwäbische gefiel dem Erfurter Sparkassen-Chef Bauhaus so gut, dass er öffentlich leichtsinnig wurde: „Herr Schäuble, Sie gehören zu den Ministern, dem ich persönlich mein Portemonnaie geben würde.“ Persönlich sogar!
(aus: Thüringer Allgemeine vom 16. Juli 2012)
Verfassungsrichter entlarven die politische Sprache (Friedhof der Wörter)
Juristendeutsch ist meist schwer verdaulich und nur selten ein Genuss. Das Bundesverfassungsgericht ist eine Ausnahme, die zu rühmen ist.
Manche Urteils-Begründung entzückt den Liebhaber der deutschen Sprache, selbst vor leicht ironischen Zwischentönen schrecken die Richter in den roten Roben nicht zurück. Gäbe es einen Literaturpreis für juristische Prosa, dann hätte ein Urteil gute Chancen, das der 2. Senat vor sechs Tagen verkündet hat – gegen Kanzlerin Angela Merkel, die systematisch den Bundestag an der Nase herumgeführt habe.
Statt die Abgeordneten in der Euro-Krise unverzüglich, genau und ausführlich zu informieren, habe sie die Volksvertreter mit Floskeln abgespeist – so die Richter einstimmig:
• Was sind ambitionierte Zeitvorgaben?
• Was ist ein Gesamtpaket (comprehensive package)?
• Was ist ein inoffizielles Dokument (non paper)?
• Was ist eine endliche Halbwertzeit?
• Was sind Ergebnisoptionen?
• Warum bieten Texte in englischer Sprache („term sheet“) Vorteile gegenüber deutschen?
Die Richter entlarven die politische Sprache, konkret: die Sprache der Regierung, als Sammlung von Phrasen, als Erniedrigung des Parlaments, kurzum: als Schaden für die Demokratie. Sie zitieren lustvoll und entlarvend einen Beamten des Finanzministeriums, der die Volksvertreter unwissend nach Hause schickte:
Wir legen die Entscheidungen zur Ertüchtigung nicht „kleckerweise“ vor, sondern in einem Paket.
Ergänzung: Leitartikel von Annette Ramelsberger in der SZ vom 22. Juni 2012 (zur Öffentlichkeit des Breivik-Prozesses in Oslo)
Das Gericht nahm die Bürger mit auf den Weg der Wahrheitsfindung. Auch davon kann Deutschland lernen – hier, wo Justitia oft mit einer Bugwelle von Bedeutung einherschreitet und stolz darauf ist, dass nur Ausgewählte sie verstehen. Und kein Richter sich Tränen erlauben würde – egal, wie angerührt er ist.
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