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Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre

Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
19 Kommentare / Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.

Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.

Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.

Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:

1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?

2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.

Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).

Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.

Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.

3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?

Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?

Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?

Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.

Die Chronik der Brand-Eins-Affäre

Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.

27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind

BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“

28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“

„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat

Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:

„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.

Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.

brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.

 

2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:

Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.

Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:

Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“

 

Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)

LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php

Papst und Mohammed: Wie viel Beleidigung ist erlaubt?

Geschrieben am 28. September 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 28. September 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Wie geht Deutschland mit Beleidigungen um, die fromme Menschen treffen – ob Mohammed oder Papst? Der Presserat rügt.

182 Beschwerden lagen dem Presserat vor zum Titelbild der Titanic, auf dem Papst Benedikt XVI. in gelb befleckter Soutane als inkontinent und mit Fäkalien beschmiert zu sehen ist; die Überschrift lautet: „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!“ Auf der Rückseite der Zeitschrift ist der Papst mit braun befleckter Soutane zu sehen.

Der Presserat rügt: Entwürdigend und ehrverletzend und beruft sich auf Ziffer 9 des Pressekodex:

Schutz der Ehre
Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

Die Begründung des Presserats:

Zwar hat Satire die Freiheit, Kritik an gesellschaftlichen Vorgängen mit den ihr eigenen Stilmitteln wie Übertreibung und Ironie darzustellen. Im vorliegenden Fall wurde die Grenze der Meinungsfreiheit jedoch überschritten. Das Gremium sah keinen Sachbezug zur Rolle des Papstes in der „Vatileaks“-Affäre gegeben. Die Person Joseph Ratzinger wird von Titanic als „undichte Stelle“ tituliert und durch die befleckte Soutane der Lächerlichkeit preis gegeben. Dies ist nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Auch Leser von Zeitungen zürnen und plädieren in der Thüringer Allgemeine für eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit:

Die geplante Veröffentlichung eines Anti-Islam-Videos und von Mohammed-Karikaturen ist kein Beitrag für ein friedliches Nebeneinander von Volksgruppen mit unterschiedlicher Religion. Immerhin gehört der Islam nun auch zu Deutschland. Mit Meinungs- und Redefreiheit ist eine derartige Beleidigung und verletzende Provokation wohl kaum zu begründen.

Das bereits lädierte Ansehen der westlichen Welt im islamischen Raum muss nicht noch weiter geschädigt werden. Medien, die diese o.g. Veröffentlichung vornehmen, sollten für entstehende Kosten (z.B. für Polizeieinsätze) und Schäden infolge von Gegendemonstrationen haftbar gemacht werden.

TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue (und Autor dieses Blogs) antwortet:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich als allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

So beginnt der Artikel 5 unseres Grundgesetzes, in dem das wohl bedeutendste Freiheits-Recht der Menschen zementiert wird. Geschrieben wurde das Grundgesetz nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur, die bestimmte, was die Menschen zu sagen, zu lesen und zu sehen hatten.

Auch arabischen Staaten, auch die meisten Diktaturen haben die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ unterschrieben; dort lesen wir in Artikel 19:

„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

„Ich lass mir den Mund nicht verbieten!“ Das war der Antrieb für viele Menschen in der DDR, einen besseren Staat und eine bessere Verfassung zu fordern – eben für die Freiheit einzutreten, wenn man die Grenzen achtet, etwa zum Schutz der Jugendschutz oder der persönlichen Ehre.

Wir dürfen uns die Freiheit nicht nehmen lassen von Staaten, in denen Freiheit kein hoher Wert ist und in denen die Bürger eben keine Meinungs- und erst recht keine Pressefreiheit genießen. Wen außer uns sollten sich Menschen zum Vorbild nehmen, die staatliche oder religiöse Bevormundung leid sind?

Aufgeklärte Menschen können auch mit Beleidigung der Religion umgehen – ohne zu zündeln und zu toben. Wie viel Antipathie schlug beispielsweise dem Papst vor seinem Besuch in Thüringen entgegen.

Wir haben alle Meinungen, auch extreme, in der Zeitung veröffentlicht, wir haben Meinungen aufeinander prallen lassen, wir haben darüber heftig debattiert wie zivilisierte und tolerante Bürger, die den Schutz einer der besten und freiesten Verfassungen genießen.

Diese Verfassung sollten wir nicht lädieren lassen, erst recht nicht von Machthabern und Demagogen, die ihr Volk dumm halten und aufwiegeln.(TA, 29.9.2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire + 49 Wie Journalisten entscheiden sollten + Service B Medien-Kodizes)

Darf Porträtfoto aus SchülerVZ in Zeitung gedruckt werden?

Geschrieben am 4. September 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. September 2012 von Paul-Josef Raue in Presserecht & Ethik.

Darf eine Zeitung das Foto einer Dreizehnjährigen drucken, die in den Alpen von einem Eisblock erschlagen worden war? Die Eltern hatten keine Zustimmung gebeben für die Veröffentlichung eines Porträt-Fotos aus dem Internet (Schüler-VZ).

Anton Sahlender, Leser-Anwalt der Main-Post (Würzburg), schreibt dazu in seinem Blatt (3. September 2012):

Zuletzt habe ich hier eine journalistische Pietätlosigkeit geschildert. Das Bild einer verunglückten jungen Frau war wider den Willen ihrer Eltern veröffentlicht worden. Denen konnten Richter trotzdem keine Entschädigung zusprechen. Die Rechtslage ließ es nicht zu.

Hier gewinnt die freiwillige Selbstkontrolle der Medien für die Genugtuung Hinterbliebener an Bedeutung. Das zeigt ein Fall, in dem der Deutsche Presserat eine Rüge aussprach.

Zwei Boulevardblätter berichten über den tödlichen Unfall eines Mädchens, das mit seinem Vater Urlaub in den Alpen gemacht hatte. Die Dreizehnjährige starb, als sich ein Eisblock löste und sie unter sich begrub. Beide Zeitungen drucken ein Foto der Verunglückten, nennen ihr Alter und ihren Wohnort, außerdem den Vornamen des Vaters, dessen Alter und seinen Beruf.

Der Vater des toten Mädchens sieht dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Familie sei in ihrer näheren Umgebung identifizierbar. Das Foto sei ohne Einwilligung der Familie verwendet worden. Die Zeitungen hätten es aus dem Internet illegal entnommen.

Die Rechtsabteilung des Verlags, in dem beide Zeitungen erscheinen, betont das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, auch weil die Zeitungen die Frage aufgeworfen haben: War es möglicherweise Leichtsinn, der zu dem tragischen Geschehen geführt hat? So seien auch die Foto-Veröffentlichungen nicht zu beanstanden, ebenso wenig die Bildbeschaffung aus dem Internetportal „SchülerVZ“.

Die später Verunglückte habe das Bild selbst eingestellt und es somit für die Öffentlichkeit freigegeben. In seinem Profil habe das Mädchen auch etliche private Details über sich preisgegeben. Der Zugang zum Foto sei freigegeben gewesen. Von illegaler Entnahme könne keine Rede sein.

Der Presserat entschied: Die Zeitungen haben gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen, weil sie das Foto des verunglückten Mädchens abdruckten. Dafür gebe es kein öffentliches Interesse. Auch die Familie durfte nicht öffentlich gemacht werden.

Der Familienausflug rechtfertige es nicht, über den Vater der Getöteten detailliert zu berichten. Über die Entnahme des Fotos aus einem sozialen Netzwerk hat der Presserat nicht entschieden. Aber für die Veröffentlichung des Bildes sprach er eine nicht öffentliche Rüge aus, nicht öffentlich deshalb, weil die Familie nicht ein weiteres Mal dadurch belastet werden sollte. Das heißt, die Medien mussten die Rüge nicht abdrucken, was bei einer öffentlichen Rüge notwendig gewesen wäre (0273/10/2-BA und 0275/10/2-BA).

(zu: Handbuch-Kapitel 50 Presserecht)

Leseranwälte und Ombudsleute vereinigt Euch!

Geschrieben am 25. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 25. Mai 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Noch ein Verein? Die Vereinigung der Medien-Ombudsleute? Nein, kein Verein, sondern der lose Zusammenschluss von knapp zehn Ombudsleuten bei deutschen Tageszeitungen, die Klagen von Lesern über die Redaktion aufgreifen.

Anton Sahlender, der  Leseranwalt der Mainpost (Würzburg), rief im Februar erstmals die Ombudsleute zusammen; am Montag (21. Mai 2012) hatte sie der Deutsche Presserat nach Berlin eingeladen.

Zu Recht wies Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, auf den ungeklärten Status der Ombudsleute hin: Welchen Status haben sie überhaupt in ihren Redaktionen? Welche Sanktionen können sie verhängen?

Anton Sahlender, auch stellvertretender Chefredakteur der Mainpost, nutzt eine Kolumne, die einmal in der Woche erscheint – also die Macht der Wörter als schärfste Waffe. Schon einige hundert Kolumnen sind erscheint, viele davon stehen im Netz.

Einige seiner Themen:

  • Zitate von Nazi-Größen sind in kritischer Auseinandersetzung mit der Geschichte gerechtfertigt
  • Ich empfehle, das Amt eines Bürgermeisters so zu würdigen, als wollten Sie es selbst übernehmen
  • Wenn Schreibfehler Zweifel an der Seriosität des Journalismus aufkommen lassen

In seiner Kolumne nach dem ersten Ombudsleute-Treffen schrieb Anton Sahlender unter anderem:

Die Medien-Selbstkontrolle ist zur Wahrung der Unabhängigkeit notwendig. Die ginge verloren, würden etwa staatliche Stellen Medien kontrollieren. Um ihrer Freiheit willen drängt es sich auf, dass die Kontrolle aus Verlagen und Medienhäusern selbst kommt. Eine bessere Alternative ist nicht sichtbar.

Folglich gibt es als Beschwerdestelle für Leser von Printmedien den Deutschen Presserat, getragen von den Bundesverbänden der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, dazu von den Journalistenverbänden.

Aber es existiert eine weitere, weltweit verbreitete Selbstkontrolle. Es sind fast 100 Presse-Ombudsleute einzelner Medien. Zu ihnen zähle auch ich in meiner Rolle als Leseranwalt. Viele Jahre war ich bundesweit der Einzige. Aber in den letzten Jahren habe ich Kolleginnen und Kollegen in anderen Medienhäusern bekommen – gegenwärtig noch acht.

Sie sind Anwälte der Leserschaft, damit auch der Pressefreiheit. Sie achten auf Einhaltung gesetzlicher und berufsethischer Standards. Sie fördern die Diskussion über Leistungen und Fehlleistungen in den Redaktionen und machen diese den Lesern transparent, ebenso wie Grundlagen journalistischer Arbeit.

Studien aus den USA zeigen, dass sich Ombudsleute positiv auf Glaubwürdigkeit und Qualität der Zeitung auswirken. Oder – so schrieb Brent Cunningham vom Columbia Journalism Review – „sie helfen, die Presse für Durchschnittsleser zu demystifizieren“.

Anton Sahlender bekam 2006 den 2. Preis beim Deutschen-Lokaljournalistenpreis mit der Begründung:

Der Leseranwalt erhebt nicht den Anspruch, die letzte Instanz zu sein. Er ist Anwalt und kein Richter. Er vertritt die Interessen der Leser gegen die Redaktion, er ist Anwalt seiner Kollegen, wenn sie zu Unrecht kritisiert werden. Er erklärt und gibt Einblicke in die Werkstätten journalistischen Arbeitens. Der Leseranwalt ist ein ehrlicher Makler zwischen Lesern und Redaktion.

Lutz Tillmanns sieht keine Konkurrenz zwischen Presserat und Ombudsleuten, eher  Gemeinsamkeiten: Achtung ethischer Regeln und Forderung nach journalistischer Qualität. Tillmanns weiter: „Sollte die Arbeit von Ombudsleuten zu weniger Beschwerden beim Presserat führen, würde das mittelfristig sogar zu einer kostenrelevanten Reduzierung des Aufwandes beim Presserat führen.“

(zu: Handbuch-Kapitel   48-50 „Presserecht und Ethik“ und Kapitel 41  „Das Foto“ (Ombudsmann der Sacramento Bee, Seite 248f.)

 

FAZ kehrt zu den „Zigeunern“ zurück

Geschrieben am 12. April 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 12. April 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

In den deutschen Zeitungen vermeiden es nahezu alle Journalisten sorgsam, „Zigeuner“ zu schreiben; der Begriff gilt als diskriminierend. Bei den meisten wird es Einsicht sein, bei den übrigen die Furcht vor einer Rüge des Presserats oder dem Zorn des Chefredakteurs.

Die FAZ nutzt mittlerweile wieder die Bezeichnung „Zigeuner“, wenn sie beispielsweise über die Unruhen in Ungarn berichtet. In einem Interview mit dem ungarischen Innenminister wechselt sie sogar die Begriffe, schreibt mal von „Roma“, mal von „Zigeunern“.

Auf der Medienseite vermeiden die FAZ-Redakteure die Bezeichnung „Zigeuner“, wenn sie über die Klagen gegen die Schweizer „Weltwoche“ berichten. Diese hatte ein Titelbild gebracht, auf dem ein Junge mit einer Pistole zu sehen ist: „Die Roma kommen: Raubzüge in der Schweiz“. Die Klagen beziehen sich auf die generalisierende Überschrift, in der alle Roma als Kriminelle dargestellt werden. Debatten löst auch das Titel-Foto aus, das nicht in der Schweiz, sondern 2008 auf einer Müllhalde im Kosovo entstanden ist.

In Deutschland hatte der „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“ vor zehn Jahren eine heftige Debatte ausgelöst, als er erstmals eine Sammelbeschwerde beim Presserat eingereicht hatte mit Beispielen von vermeintlich diskriminierenden Artikeln in deutschen Tageszeitungen. Der Zentralrat gibt die Sammelbeschwerde stets am 7. Dezember ab und erinnert so an den Jahrestag eines Erlasses des Nazi-Innenministers Frick: Bei Straftaten von Juden ist in der Presse die Rassenzugehörigkeit hervorzuheben.

Der Presserat hat einige Rügen ausgesprochen, wenn es keinen sachlichen Grund gab, in Polizeiberichten auf die Roma hinzuweisen. Eine der Rügen ging 2009 an die „Offenbach Post“, die in einem Bericht über Frauen „südländischen Aussehens“ geschrieben hatte, sie seien „alle einwandfrei einer Volksgruppe zuzuordnen, deren Namen eine Zeitung heute nicht mehr schreiben darf, weil sie sich damit garantiert eine Rüge vom Presserat einhandelt“.

Das ist laut Presserat eine „ironisch-herabsetzende Umschreibung“.

(zu: Handbuch-Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Service B. „Medien-Kodices“, hier Pressekodex Ziffer 12, Seite 368)

Seiten:«123

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