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Lokaler Hohlspiegel: Schießerei mit einem Toten

Geschrieben am 18. April 2014 von Paul-Josef Raue.
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Einem Leser der Thüringer Allgemeine ist folgende Meldung aufgefallen, und er fragt: „Wer tut denn so etwas und schießt sich mit einem Toten und zwei Schwerverletzten?“ In seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:
Schießerei mit Toten

Der Redakteur und mit ihm alle, die den Artikel zuvor gelesen haben, fassen sich an den Kopf, zweifeln an ihrer Intelligenz und streuen sich Asche aufs Haupt. Die Asche passt zur vorösterlichen Buß- und Fastenzeit: Heute noch streuen sich in Arabien Trauernde die Asche eines Toten auf Kopf und Kleidung; bei den Römer hockte sich ein Feldherr ans Lagerfeuer und streute nach einer verlorenen Schlacht die heiße Asche auf seinen Kopf.

Der Fehler ist peinlich, dennoch biete ich allen Lehrerinnen und Lehrern eine Übung an, nach den Osterferien mit den Schülern auszuführen: „Bringen Sie die Meldung logisch und fehlerfrei in einen Satz, der nicht länger sein darf als die Vorlage mit fünf Zeilen aus 30 Anschlägen!“

Solche Fehler sind, mit Verlaub, auch lustig: Der „Spiegel“ druckt in jeder Ausgabe auf der letzten redaktionellen Seite den „Hohlspiegel“: Schöne, garstige Sprachschludereien, die mehr Schmunzeln als Empörung provozieren. Die Meldung aus der TA hat alle Chancen, auch im Hohlspiegel zu landen.

Der „Eulenspiegel“, das satirische Magazin für DDR-Liebhaber, druckt auch „Fehlanzeiger“: Über Jahre hinweg kamen die meisten Beispiele aus der TA, in den vergangenen Jahren haben wir den Platz auf dem Gold-Silber-Bronze-Treppchen verloren.

Wenn wir noch öfter Schießereien mit Toten drucken, könnten wir schneller als gedacht wieder aufs Treppchen geschickt werden. So lange bleiben wir dabei: Asche auf unser Haupt.

Thüringer Allgemeine, 19. April 2014

„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion

Geschrieben am 27. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.

Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.

Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.

Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.

Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.

Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.

Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:

Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“

Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!

Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:

Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.

Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.

Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro

Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.

Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause

Geschrieben am 23. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):

Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro

In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:

In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?

Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.

Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?

Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?

Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?

Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.

Und hat es geholfen?

Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.

Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?

Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.

„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?

Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.

„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?

Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.

Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?

Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.

Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?

Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.

Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?

Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.

Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?

Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.

Also doch nicht alles Fiktion?

Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.

Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?

Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.

Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.

Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)

Keiner stirbt (Zitat der Woche)

Geschrieben am 2. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 2. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Todesanzeigen sind bisweilen der anregendste Teil des Feuilletons – vor allem die Sprüche, über dem Namen der Verstorbenen platziert. Über „Peter Kurzeck“, am 25. November 2013 verstorben, schrieb sein Verlag Stroemfeld/Roter Stern:

Keiner stirbt

Die beiden Worte beziehen sich auf das gleichnamige Buch des hessischen Schriftstellers, das der Spiegel so rezensierte:

„Keiner stirbt“ ist die Geschichte eines verlorenen Wochenendes im Oktober 1959. Fünf Männer, ein gescheiterter Geschäftsmann, ein Gelegenheitsarbeiter, Handelsvertreter die anderen, gestrandete Existenzen allesamt, sind unterwegs auf der B 3, von Gießen nach Frankfurt, auf der Flucht vor ihren Geldsorgen und Erinnerungen, unterwegs ins Paradies der weißen Ferraris und der heiligen Nutten, gleich hinter dem Bahnhof, wo sich die Zeit im Alkohol ertränken läßt, die „naßkalte lausige Gegenwart“ und die Zukunft, die es nicht mehr gibt.

Quellen: FAZ 30.11.2013 / Spiegel 46/90

„Es muss Spaß machen, die Zeitung zu lesen“ (Zitat der Woche)

Geschrieben am 23. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Was brauchen unsere Zeitungen?

Sie brauchen Haltung, originelle Meinungen, gute Autoren, eigene, aufregende Enthüllungen. Wagemmut statt Bravheit ist gefragt, die über Jahrzehnte eingeübte Routine – das haben wir doch schon immer so gemacht – ist dabei der größte Feind…

Wir Journalisten müssen uns der Gleichförmigkeit der Meinung entziehen. Weniger Hype und mehr Recherche sind notwendig. Und die Lust zur Provokation sollten wir wiederentdecken, unser Gespür dafür, was unsere Leser am Küchentisch diskutieren oder diskutieren sollten. Es muss Spaß machen, die Zeitung zu lesen. Kurzum: Journalisten müssen ein Produkt mit Charakter machen.

Für Lokal- und Regionalzeitungen gilt, dass sie immer und überall in den Mittelpunkt stellen müssen, was eben nicht in jedem Newsportal zu haben ist: die Berichterstattung aus ihrer Region.

Georg Mascolo in Cicero 12/2013, Ex-Spiegel-Chefredakteur und Ex-Volontär der Schaumburger Nachrichten

Bedingungen fürs Interview: Fotos löschen bei Missgefallen

Geschrieben am 9. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Alle Fotos sind vorzulegen; bei Missgefallen dürfen die Porträts nicht gedruckt werden. Das ist Bedingung 1 fürs Interview. Unanständig? Ja, und der Spiegel würde sie nicht akzeptieren, wenn Angela Merkel oder Udo Lindenberg zum Interview erschiene. Aber ein Diktator, über den die ganze Welt spricht?

Bei Assad akzeptierte der Spiegel – und so hätte wohl jeder Journalist entschieden. Dieter Bednarz und Klaus Brinkbäumer, die das Interview führten, akzeptierten auch Bedingung 2: Keine Fotos von Giftgasopfern auf der Interview-Strecke im Blatt.

Vorbildlich erzählen die Reporter ihren Lesern, unter welchen Bedingungen das Interview zustande kam: Drei Stunden dauerten die Verhandlungen am Tag vor dem Interview.

Die Reporter stellten alle Fragen, auch alle harte Fragen, die zu Assad einfallen: „Wären Sie ein aufrichtiger Patriot, dann würden Sie zurücktreten…“ und „Die Legitimität Ihrer Präsidentschaft bestreiten nicht nur wir…“ und „Zurück zu den Chemiewaffen… Chemiewaffen sind kein Grund zum Lachen…“

Assad autorisierte das Interview ohne Änderungen. Ein starkes Interview!

Quelle: Spiegel 41/21ß

Erste Wahl! Was auf den neuen dpa-Chefredakteur zukommt

Geschrieben am 3. September 2013 von Paul-Josef Raue.

So prominent war der Chefredakteur der dpa noch nie besetzt: Sven Gösmann führt mit der Rheinischen Post eine der größten Regionalzeitungen Deutschlands, die – im Vergleich zu anderen – wenig Auflage verliert: Wir dürfen ihn einen sehr erfolgreichen Chefredakteur nennen.

Er weiß genau, wie wichtig ein Lokalteil ist; er weiß genau, wie man die Ausgaben zuschneiden muss, um die Bedürfnisse der Leser zu befriedigen; er weiß genau, wie man in einem großen Verbreitungsgebiet die Wünsche der Städter wie in Düsseldorf und der Kleinstädter und Dörfler wie am Niederrhein unter einen Mantel bringt. Gösmann hat ein Gespür für Themen, gerade auch für regionale Themen, wie kaum ein anderer in Deutschland. Man kann die Idee für einen Aufmacher mindestens ein, zwei Mal in der Woche von ihm borgen.

Man spürt seine Sozialisation bei Bild, wo er Diekmanns Stellvertreter in der Chefredaktion war (der immer noch voll des Lobes ist, wenn er von Gösmann spricht). Man spürt auch seine Lehr- und ersten Herrenjahre im Lokalen und Regionalen bei der Braunschweiger Zeitung.

Fast bin ich geneigt zu sagen: Der Mann ist zu schade für dpa, wo er sein Themengespür nicht mehr voll entfalten kann. Aber er weiß mit Wünschen von Lesern umzugehen: Gut eine Million in Düsseldorf, rund zehn Millionen bei Bild und bald ein paar tausend Redakteure, die täglich in die News bei dpa schauen.

Gösmann hat selber erlebt, was es bedeutet, bei einer großen Zeitung ohne dpa-Texte und Bilder auskommen zu müssen. Er weiß also, wie er seine Kunden bedienen muss. Sein Vorgänger hat die Agentur, die zum Beamtenhaften neigt, heftig durchgeschüttelt und neu organisiert, was ihm nicht nur Freunde eingebracht hat; die Kämpfe, die Büchner beim Spiegel erleidet, kennt er schon von dpa – allerdings ohne die öffentliche Begleitung und Häme der schreibenden Kollegen.

Büchner, nach dem Vorbild von Spiegel Online, schuf „dpa News“, eine grandiose Hilfe für jeden Desk. Er war der große Organisator, da muss Gösmann nicht mehr viel anpacken. Er wird Ideen entwickeln müssen auf einem Gebiet, auf dem Büchner wenig Erfahrung hatte: Das Lokale und Regionale.

Was kann eine Agentur diesen Zeitungen – auch fürs Online-Geschäft – anbieten? Die ersten Versuche mit der „Drehscheibe“ sind dürftig und weitgehend unbeachtet. Die Landesdienste könnte eine Neuausrichtung gebrauchen – nur wohin?

Ich freue mich jedenfalls auf den neuen Chefredakteur, der sicher auch die eine oder andere Geschäftsidee für die Agentur hat jenseits des Mediengeschäfts, das ja zunehmend schrumpft.

Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Sven Gösmann. Der Aufsichtsrat hat die beste Entscheidung getroffen.

Diekmann erfindet ein neues Wort: „Dünnsinn“ – und wundert sich, was so in „unseren Blättern“ steht

Geschrieben am 2. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Auch in unseren Blättern steht mitunter eine Menge Dünnsinn…

twittert der Bild-Chef. @KaiDiekmann zum ersten: Er erfindet ein neues Wort – „Dünnsinn“. Erfunden hat er es für Kai-Hinrich Renner, der in der Welt raunt:

„Wenn irgendwann in ferner Zukunft die Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland geschrieben werden sollte“, dann könnten die beiden letzten Augustwochen 2013 „das Vorspiel zu einer existenzbedrohenden Krise des Spiegel sein.

Kai Diekmann zum zweiten: So viel Selbstkritik, zumal ins Nachbarhaus, ist selten. Angefügt hat Diekmann nicht den Kurzlink des Artikels aus der Welt, er macht kurzen Prozeß und schießt mit seinem Smartphone einen Schnappschuss, auf dem der Artikel-Anfang zu lesen ist und deutlich der Name des Autors.

Machtspiele oder: Wovon Spiegel-Redakteure träumen

Geschrieben am 27. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Spiegel muss zu alter Stärke zurückfinden, sind sich die Ressortleiter einig. Wir dürfen nicht mehr der Süddeutschen allein die tiefen und überraschenden Recherchen überlassen, wollen selber in Offshore-Leaks schauen, sagen sie dem neuen Chefredakteur, sogar einmütig, was sonst nur bei Aufständen gelingt. Wir wollen wieder das Gewissen der Nation werden, das Sonntags- und Montags-Gespräch der Deutschen. Wir wollen über Deutschland, Gott und die Finsternis der Welt reden statt nur über uns. Wir müssen die Kraft, Intelligenz und Phantasie der Redaktion nutzen, vor allem beim Finden des Titels, der über den Verkauf und damit über unser Gehalt entscheidet – statt einer kleinen Autisten-Runde zuzuschauen, die sich am Freitag einschließt und die Kollegen am Samstag überrascht, wenn der Bote die neue Ausgabe bringt. Wir wünschen uns „Hausmitteilungen“, die nicht die schwächsten Beiträge gleich zu Beginn des Heftes sind, und wir wünschen uns einen guten und starken Chefredakteur, der vieles macht, der zuerst zuhört und dann entscheidet, in dieser Reihenfolge; der sich gegen die Berufs-Bedenker in der Redaktion durchsetzt und sei es mit leichter Ironie. Wir wollen einen guten, einen besseren Spiegel – den nicht nur wir brauchen.

Es wäre nützlich, edel und gut gewesen, wenn sich die Spiegel-Ressortleiter am Montag so ihrem neuen Chefredakteur präsentiert hätten. Nach allem, was zu hören und zu lesen war, ging’s nicht um Recherchen und Themen, um Titel und Hausmitteilungen, sondern um das Spiel der Macht – das Redakteure nun einmal nicht beherrschen, ja sie finden nicht einmal zur Einsicht, dass sie vieles können, nur dies nicht.

Die versammelte Intelligenz der Spiegel-Ressortleiter ist die höchste in deutschen Redaktionen. Aber was spricht aus der Resolution der Ressortleiter? Ist es Phantasielosigkeit und intellektuelle Armut , die sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt: Wir sind dagegen?

Deutschland braucht keine Spiegel-Redaktion, die sich lähmt und verkämpft und am Ende nur verliert. Deutschland braucht eine Spiegel-Redaktion, die stark ist, für starke Geschichten kämpft und am Ende aufklärt, vielleicht nicht Gott, aber die Bürger und die Welt.

Sprachbild + Habermas: Kein Tanz auf dem Vulkan

Geschrieben am 25. August 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 25. August 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Deutschland tanzt nicht, es döst auf dem Vulkan.

Jürgen Habermas im Spiegel vom 5. August

Seiten:«12345678»

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