Alle Artikel mit dem Schlagwort " Sprachbild"

Sprachbild kaputt: Für Franz Josef Wagner spielen elf Handballer um die EM

Geschrieben am 29. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Liebe Handball-Nationalelf,

titelt Franz Josef Wagner heute seine Bild-Kolumne. Das ist das Kreuz mit den Sprachbildern: Die Nationalelf wurde zum Synonym für die Fußball-Mannschaft, als elf Spieler zur Mannschaft gehörten und eine Auswechslung nicht möglich war – selbst bei Verletzungen nicht.

Als Auswechslungen möglich wurden, war das Sprachbild schon zerkratzt: Dreizehn Spieler und mehr bilden die Fußball-Mannschaft.

Zum Handball  passte das Bild nur beim Feldhandball, der in den fünfziger Jahren populär war. In der DDR wurden die Feldhandballer sogar einmal die Mannschaft (nicht die Elf) des Jahres, als sie die westdeutsche geschlagen hatte. Bei der aktuellen Europameisterschaft stehen nur sieben Spieler gleichzeitig auf dem Hallenboden, wenigstens zu Beginn der Partie.

Nationalelf beim Handball 2016? Liest denn in der großen Bild-Redaktion keiner die Wagner-Kolumne? Oder gibt er sie einfach zu spät ab?

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Die Version zum „Friedhof der Wörter“ in der Thüringer Allgemeine, 1. Februar 2016:

Sprachbilder: Sieben oder elf?

Wer erinnert sich noch? 1959 trafen im Leipziger Zentralstadion die Auswahl der DDR und der Bundesrepublik aufeinander – vor 93.000 Zuschauern! Die Fußballer?

Immerhin war die Bundesrepublik ein Jahr zuvor bei der Weltmeisterschaft in Schweden Vierter geworden und fünf Jahre zuvor in Bern sogar Weltmeister. Aber nicht die westdeutschen Fußballer zogen die Massen ins Stadion, sondern die Feldhandballer.

Die DDR siegte und wurde zur Mannschaft des Jahres gewählt. Feldhandball war in den fünfziger und sechziger Jahre eine der populärsten Sportarten in beiden Teilen Deutschlands. In den dreißiger Jahren war Feldhandball sogar eine olympische Disziplin. Elf Spieler liefen auf ein Feld, so groß wie das der Fußballer.

„Liebe Handball-Nationalelf“, überschrieb am Freitag Franz Josef Wagner seine Bildzeitungs-Kolumne, die in Briefform geschrieben ist – so wie bisweilen auch der „Felix“ auf unserer Thüringen-Seite die Kolumne beginnt. Doch Wagner redete keine Feldhandball-Mannschaft am, sondern die Hallenhandballer, die in Polen überraschend erfolgreich um die Europameisterschaft spielen.

Doch das Spielfeld in der Halle ist kleiner als ein Fußballplatz, so dass nur sieben Spieler auflaufen. „Handball-National-Elf“ gibt es nicht mehr.

Das ist das Kreuz mit den Sprachbildern: Die Nationalelf wurde zum Synonym, als elf Spieler zu einer Mannschaft gehörten, ob Fußball oder Handball, und eine Auswechslung selbst bei Verletzungen nicht möglich war.

Als die Trainer auswechseln durften, war das Sprachbild schon zerkratzt: Dreizehn Spieler und mehr bilden heute eine Fußball-Mannschaft. Aber die „Elf“ hält sich als Begriff, hinter dem kein Bild mehr aufblitzt.

Dabei verlieren Sprachbilder, die zu reinen Synonymen degradiert werden, ihren Wert, wenn sie kein Bild mehr im Kopf aufleuchten lassen. Ein gutes Sprachbild ist wie die Melodie im Kino: Man hört sie später, und im Kopf läuft der Film ab.

„Spiel mir das Lied vom Tode“: Ich muss nur die Mundharmonika erwähnen und schon sind die Bilder im Kopf.

 

 

Eines der beliebtesten Sprachbilder von Journalisten: Die Reißleine ziehen

Geschrieben am 17. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.

Rot-Weiß zieht die Reißleine
und trennt sich vom Trainer

Die Überschrift demonstriert die Schwierigkeit, die Sprachbilder bereiten. Das Bild „Reißleine ziehen“ ist nur denen vertraut, die mit dem Fallschirm springen: Die ziehen die Leine, um den Schirm zu öffnen – also den ungebremsten Fall zu stoppen; allerdings ist das Ziehen der Leine geplant und keine panische Reaktion (wie bei den meisten Trainerwechseln).

Weil dem Schreiber der Überschrift offenbar bewusst war, wie wenige das Bild verstehen, übersetzt er es in der zweiten Zeile, damit auch jeder weiß, was passiert ist: Der Trainer wird gefeuert. Warum nutzt der Redakteur dann ein Bild, das nichts mit Fußball zu tun hat, sondern aus einer anderen Bilder-Welt genommen wird? Es herrscht der Glaube, ein Journalist kennt Bilder, nutzt sie souverän und beweist so seine Qualität, Modernität und sein Stilgefühl. Seine Leser teilen den Glauben nicht.

Besonders beliebt ist das Reißleinen-Bild bei Kommentatoren und auf den Wirtschaftsseiten; einige Beispiele aus Tageszeitungen der vergangenen Tage (Dezember 2015):

> Wirtschaft und Reißleine:

Da muss man betriebswirtschaftlich irgendwann die Reißleine ziehen. (14. Dezember)

> Jetzt nicht mehr: Montag musste er die Reißleine ziehen und die Insolvenz beantragen (17. Dezember)

Also die Stop-Loss-Verkäufe, bei denen der halbe Planet an nahezu derselben Kursmarke ‚die Reißleine ziehen‘ will‚ (15. Dezember)

> Fußball, Trainer und die Reißleine

Für internen Eintracht-Zirkels steht bereits seit geraumer Zeit fest, dass die Verantwortlichen dann die Reißleine ziehen (14. Dezember)

> Politik und Reißleine

Mitte Juli dann entschied sich die Landesregierung dafür, die Reißleine zu ziehen und die Berufung zunächst auszusetzen. (17. Dezember)

> Kultur und Reißleine

Also musste der Chor die Reißleine ziehen. (16. Dezember)

Übrigens ziehen Fallschirmspringer nicht an einer Leine, sondern an einem Griff.

Wenn Sprachbilder Fieber bekommen: Zum Heulen und Husten (Filmkritik „Bridge of Spies“)

Geschrieben am 8. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.

Auf der Glienicker Brücke in Berlin tauschten Sowjets und Amerikaner im Kalten Krieg ihre Spione aus. Hier spielt  Steven Spielbergs Film „Bridge of Spies“, ein angenehm altmodischer und sehenswerter Spionage-Film mit Tom Hanks in der Hauptrolle. Der Film animierte Dietmar Dath, Kulturredakteur der FAZ, zu einer Kritik, die in einem beispiellosen Bilder-Rausch endet:

Der Konflikt zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Staatenwelt war eine weltweite grippale Bewegungseinschränkung mit Ideenfieber, wirtschaftlichen Gelenkschmerzen und verschleimten Kommunikationskanälen. Zum Heulen und Husten, das Ganze.

Feuilletonisten sind bisweilen verhinderte Dichter, die unsere Sprache biegen und brechen: Von den sechs Hauptwörtern sind alle, vom „Konflikt“ abgesehen, zusammengesetzte Wörter – mühsam gedrechselt mit zu vielen Silben.

Die „Staatenwelt“ ist kürzer und verständlicher, wenn die „Welt“ verschwindet; die „grippale Bewegungseinschränkung“ muss man zweimal lesen, um zu ahnen, was der Dichter sagen will – und „Grippe“ hätte genügt; was das Fieber mit Ideen zu tun hat, die schmerzenden Gelenke mit der Wirtschaft und die Kommunikation mit Schleim erschließt sich nicht einmal beim zweiten Lesen.

So wäre der Satz schlank und verständlich:

Der Konflikt zwischen den sozialistischen und bürgerlichen Staaten war eine weltweite Grippe mit Fieber, Gelenkschmerzen und Schleim.

Der Satz in seiner Schlichtheit entlarvt die Analyse: Der Kalte Krieg war eben keine Krankheit, sondern Politik, also Menschenwerk. Die Bilder sind nicht nur schief, sondern auch mit Antibiotika nicht mehr zu heilen.

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Quelle: FAZ 25.11.2015

Schäubles Flüchtlings-Lawine: Hütet Euch vor Sprachbildern aus der Natur!

Geschrieben am 21. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Der „Fallstrick“ steht im Duden, aber kaum einer weiß noch, was ein „Fallstrick“ war: Mehrere Stricke flocht man zu einer Falle, um Ratten und Füchse zu fangen. Wenn ich heute einen Fallstrick lege, will ich einen Menschen täuschen, ihn in eine Falle locken: Die Bedeutung ist geblieben, aber es ist eines der Sprachbilder, das wir noch nutzen, ohne das Bild vor Augen zu haben.

Martin Luther kannte noch den Fallstrick und nutzte das Bild, als er die Bibel übersetzte: „Der Jüngste Tag wird wie ein Fallstrick kommen über alle auf Erden.“ Luther konnte sich darauf verlassen, dass seine Zuhörer ihn verstanden: So wie die Stricke über den Fuchs fallen, so werden sie über Dich fallen, wenn die Welt untergeht.

Journalisten und Politiker nutzen gerne Sprachbilder, um Kompliziertes verständlich zu machen.

„Lawinen kann man auslösen, wenn ein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt. Nur wo sich die Lawine befindet, ob im Tal oder noch am Hang, das weiß ich nicht.“

Die „Berliner Zeitung“ fand die Sprachbild „schief“. Der Korrespondent des Südwestrundfunks meinte, der „Vergleich von Flüchtlingen mit einer Lawine ist daneben“ und fügte den „unpassendsten Vergleich“ hinzu: Jörg Meuthen, Co-Vorsitzender der AfD, verglich Flüchtlinge mit einem Tsunami.

Die meisten Sprachbilder aus der Natur scheitern: Lawine oder Tsunami – wie jede Naturkatastrophe – können wir nicht stoppen, ihr sind wir schutzlos ausgeliefert. Das Sprachbild suggeriert Ohnmacht. Im Gegensatz dazu steht alles, was Menschen anrichten, verändern oder dulden, in ihrer Macht: Sie müssen nur handeln wollen.

Ein Politiker, der für sein Handeln und Durchgreifen bekannt ist, sollte seinen Redenschreibern die Sprachbilder aus der Natur verbieten – und sich selbst erst recht.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 23. November 2015

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Kommentare zu Schäubles Lawinen-Vergleich:

> Neue Osnabrücker Zeitung: Bild unpassend, Sache richtig

Wolfgang Schäuble hat den Flüchtlingszustrom mit einer Lawine verglichen. Das ist zwar im Ton unpassend, in der Sache aber richtig.

>  Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), Tweet: „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe.“

> Roland Nelles in Spiegel Online: Gefährliches Bild

Wie bitte? Wolfgang Schäuble vergleicht die Zuwanderung von Flüchtlingen mit einer Lawine? Das sind fiese Worte – aus mehreren Gründen.Wer schon einmal in den Alpen eine Lawine gesehen hat, weiß um deren zerstörerische Kraft. Lawinen wälzen alles nieder, Bäume, Häuser. Sie begraben Menschen unter sich, sie töten.

Das ist ein falsches, ein gefährliches Bild – und das sollte er als langjähriger Minister wissen. Das ist die Sprache der Aufwiegler und Fremdenfeinde. Das ist schlicht: eine Entgleisung.

 > Melanie Reinisch im Kölner Stadtanzeiger: Bilder mächtiger als Wörter

Wieder einmal hat ein Politiker eine Naturkatastrophe mit Flüchtlingen verglichen. Das ist nicht neu. Oft bedienen sich Politiker – und auch Medien – bei Sprachbildern, um Themen greifbarer zu machen. Und das macht es nicht besser.

In der aktuellen Flüchtlingsdebatte spricht man häufig von Flüchtlingsflut, -strömen oder -wellen. Doch was vermittelt man mit solchen Sprachbildern? Angst. Schäuble provoziert mit solchen polemischen Äußerungen nicht nur, sondern er zeigt damit auch, dass er selbst Angst vor der Entwicklung hat. Ein Politiker sollte Menschen selbige jedoch nehmen und Ängste und Ressentiments nicht noch schüren. Bilder können eine stärkere Macht als Wörter besitzen, sie setzen sich fest in den Köpfen. Mehr Sensibilität für Sprache und Wirkung sollte nicht nur möglich, sondern zwingend sein.

> Uwe Lueb, SWR-Hauptstadt-Korrespondent: Daneben

Schäubles (CDU) Vergleich von Flüchtlingen mit einer Lawine ist daneben. Sicher, bildhafte Sprache ist gut. Aber man sollte darauf achten, was man wie sagt. An den Flüchtlingsstrom oder gar -ströme hat man sich fast schon gewöhnt. Gut ist die Wortwahl deswegen aber nicht.

Den unpassendsten Vergleich hat der Co-Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, beim Landesparteitag Baden-Württemberg gewählt. Die deutsche Flüchtlingspolitik sei ungefähr so, als wolle man mit Eimern einen „Tsunami“ stoppen. Schäubles „Lawine“ kommt gleich dahinter. Sein Vergleich bestärkt nur Vorurteile von Rechtspopulisten.

Bei einer Lawine haben die Schneeflocken und Eiskristalle nämlich keine Wahl. Sie müssen mit ins Tal. Eine Lawine reißt alles mit und verschüttet, was sich nicht in Sicherheit bringt. Das tun Flüchtlinge nicht. Und sie entscheiden selbst, ob sie sich auf den gefährlichen Weg nach Europa machen. Und sie sind es, die fliehen und nicht diejenigen, die andere in die Flucht schlagen.

> Badische Neueste Nachrichten: Nicht so dramatisch

Schäubles Lawinenvergleich ist sprachlich schlecht gewählt. Falsch ist er aus seiner persönlichen Sicht aber nicht und verboten schon gar nicht… Der eigentliche Aufreger ist also nicht, dass Schäuble Flüchtlinge mit einer Lawine vergleicht, sondern dass sich Teile der Regierung so fühlen, als stünden sie vor einer.“

 

 

 

Der Drops ist geluscht – oder noch nicht (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Politiker freuen sich, wenn sie in der „Tagesschau“ zu sehen sind. Doch wenn sie am nächsten Tag mit Freunden oder Bekannten zu Hause sprechen, hören sie nicht: „Toll, wie Du gestern das Problem benannt hast!“

Nein, der einen fiel die neue Krawatte auf, dem anderen der freche Haarschnitt – und einem dritten das Wortspiel: „Das mit dem Drops, das muss ich mir merken“.  Und worum ging’s? „Irgendwas mit Flüchtlingen? Oder war es der Haushalt?“

Es ging um den Haushalt, als der Erfurter SPD-Bundestags-Abgeordnete Carsten Schneider in der „Tagesschau“ für einige Sekunden zu sehen und zu hören war: „Der Drops ist noch nicht gelutscht!“

Der Drops ist ein neues Sprachbild, er ist – bildlich gesprochen –  erst seit einigen Jahren in aller Munde; der „Redensarten-Index“ im Internet listete den Drops erstmals vor zehn Jahren auf. Wer so spricht, will sagen: Wenn Du den Drops gelutscht hast, ist die Sache erledigt – und wenn nicht, dann eben nicht.

Jeder könnte sagen: Die Sache ist erledigt – und jeder würde uns verstehen. Aber wir mögen die Verzierung der Sprache, wir mögen den Klang besonderer Wörter wie den  „Drops“, der aus dem Alltag fast verschwunden und vom „Bonbon“ verdrängt worden ist.

Doch der „Drops“ überlebt – im Sprachbild, weil es ein schönes, kurzes, sinnliches Wort ist: Einen Drops zu lutschen, ist ein kleines Vergnügen, wenn wir aus dem Alltag herausfallen wollen. In Dialekten finden wir ähnlich nahrhafte Bilder: Wer in Bayern Urlaub macht, hört „Der Kas ist bissen“, der Käse ist gegessen; im Schwarzwald „Der Käs isch gefressen“. Die Sprachvölker im Süden schätzen in der Sprache das Herzhafte, nicht das Süße.

In allen  Fällen, ob süß oder käsig, müssen wir das Sprachbild übersetzen: Der Spaß ist eigentlich vorbei, wenn sich der Drops mit unserer Hilfe aufgelöst hat. Das Sprachbild handelt also vom Ende der Lust, wir meinen allerdings das Gelingen einer Sache.

Aber so ist das bisweilen mit den Sprachbildern: Wir mögen mehr den Klang mehr als ihren Sinn. Der Drops ist gelutscht!

 

Der Platz im Leben – Ein „Friedhof der Wörter“ über Kreative und Sitzenbleiber

Geschrieben am 17. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

In der DDR wurden Sie platziert, in den USA werden Sie immer noch platziert ebenso wie bei uns in teuren, beliebten oder überfüllten Restaurants. Wer die DDR nicht mehr kennt, die USA und teure Restaurants noch nicht, dem sei erklärt:

Sie können sich nicht einfach an einen freien Tisch setzen, vielmehr müssen Sie warten, bis Ihnen ein Platz zugewiesen wird (oder nicht). War die Zuweisung erfolgreich, dann haben Sie Ihren Platz gefunden.

Und wie ist es mit dem Platz in Leben? Wer weist den zu? Die Berliner Bildungs-Senatorin Sandra Scheeres hat das „Sprachlerntagebuch“ erfunden, in dem Eltern zum Beispiel auf die Frage antworten: „Wie reagiert Ihr Kind auf ein Nein von Ihnen?“; oder in dem das Kind aufschreibt: „Was ich in meiner Kita überhaupt nicht mag.“

Im Vorwort zu dem Tagebuch schreibt die Senatorin an die Eltern: „Sie wollen das Beste für Ihr Kind: Es soll glücklich und erfolgreich werden und seinen Platz im Leben finden.“ Also wird in Berlin der Platz nicht vergeben, sondern wird von jedem, der glücklich werden will, im Irrgarten von Kita und Schule gefunden.

Und wenn mein Kind seinen Platz gefunden hat: Bleibt es dann ein Leben lang sitzen? Lässt es sich die Speisekarte des Lebens bringen und sucht sein Lieblingsessen aus? Und wer räumt den Tisch ab?

Der Platz im Leben – er ist nur ein Sprachbild, aber ein verräterisches: Es zeigt uns das Leben nicht als langen Lauf zu stets neuen Orten, gespeist aus Neugier und Phantasie, sondern als kurzen Lauf.

Wer sich selbst sucht und seinen Platz findet, der bleibt sitzen: Er erledigt seine Arbeit und sich selbst. Alle anderen sind „kreativ“, um ein Modewort recht zu nutzen: Am Ursprung des Worts steht das Lateinische „creare“, also erschaffen – so wie es Gott mit der Welt getan hat.

„Wie werde ich kreativ?“ Mit Seminaren dieser Art lässt sich viel Geld verdienen. Dabei ist die Antwort leicht zu geben: Genieße, unentwegt Schöpfer Deiner Welt zu sein!

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 18. Mai 2015

„Um Himmels Willen“ – nein, „willen“ wird klein geschrieben (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 9. März 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 9. März 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Sechs Millionen schauen „Um Himmels Willen“, die MDR-Serie mit Fritz Wepper als Bürgermeister und Janina Hartwig als Ordensschwester Hanna. Und sie sehen beim Vorspann einen Fehler, Dienstag für Dienstag: Der „willen“ in der Wendung „Um Himmels willen“ wird klein geschrieben! Ohne Wenn und Aber.

Da kennt selbst der Duden kein Mitleid, der sonst einen Fehler, wird er nur oft genug gemacht, als richtig anerkennt. Alle Wörter, die ähnlich gebildet werden, schreiben wir klein, so ist die Regel: „Du bist schuld am Unfall“ oder „Mir ist angst“.

Allerdings beweist unsere Sprache mit konstanter Boshaftigkeit, dass sie eine schwere Sprache ist: Groß geschrieben wird die Angst in „Ich habe Angst“.

Im „Friedhof der Wörter“ der vergangenen Woche haben wir das Sprachwissen getestet. Das ist richtig:

> „Über die Strenge schlagen“ oder „Über die Stränge schlagen“? „Stränge“ ist richtig, denn die Redewendung folgt einem Bild aus dem Reiter-Milieu: Das Pferd ist unruhig und schlägt über den Zugstrang hinaus. Pech für alle, die nicht reiten: Sie haben das Bild nicht im Kopf, sie müssen die richtige Schreibweise einfach lernen – oder, was am besten ist – das Sprachbild meiden.

> „Unentgeltlich“ oder „unentgeldlich“? Das Adjektiv hat nichts mit dem Geld zu tun, sondern leitet sich vom Verb „entgelten“ ab: „Unentgeltlich“ ist also korrekt.

> Ein Fleißkärtchen bekommt, wer die Frage richtig beantwortet hat: „ohne einander“ oder „ohneeinander“? Die zweite Fassung ist richtig – nahezu unglaublich, zudem auch hässlich anzusehen: „ohneeinander“. Am besten meidet man dieses Wort, das analog zu „miteinander“ zusammengeschrieben wird.

Wer noch einmal die Schwere unserer Sprache spüren will, schaue sich noch diesen korrekt geschriebenen Satz aus einem Gedicht von Phil Bosmans an und sei verwirrt:

„Liebe heißt, einander nahe zu sein, ohne einander zu besitzen.“

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 9. März 2015

Die deutsche Sprache ist eine schwere Sprache – selbst für Drehbuch-Schreiber (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 8. März 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 8. März 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Sechs Millionen schauen die MDR-Serie „Um Himmels Willen“ mit Fritz Wepper als Bürgermeister und Janina Hartwig als Ordensschwester Hanna. Und sie sehen beim Vorspann einen Fehler, Dienstag für Dienstag: Der Willen der Wendung „Um Himmels willen“ wird klein geschrieben.

Da kennt selbst der Duden kein Mitleid, der sonst einen Fehler, wenn er nur oft genug gemacht wird, als richtig anerkennt. Die Folgen wäre zu heftig, denn alle Wörter, die anderen Wörtern entstanden sind, werden klein geschrieben: „Du bist schuld am Unfall“ oder „Mir ist angst“. Allerdings beweist unsere Sprache mit konstanter Boshaftigkeit, dass sie eine schwere Sprache ist: Groß geschrieben wird die Angst in „Ich habe Angst“.

Im „Friedhof“ der vergangenen Woche haben wir Ihr Sprachwissen getestet: Was ist richtig: „Über die Strenge schlagen“ oder  „Über die Stränge schlagen“? „Stränge“ ist richtig, denn die Redewendung folgt einem Bild aus dem Reiter-Milieu: Das Pferd ist unruhig und schlägt über den Zugstrang hinaus. Pech für alle, die nicht reiten: Sie haben das Bild nicht im Kopf, sie müssen die richtige Schreibweise einfach lernen – oder, was am besten ist – das Sprachbild meiden.

„Unentgeltlich“ oder b) „unentgeldlich“? Das Adjektiv hat nichts mit dem Geld zu tun, sondern leitet sich vom Verb „entgelten“ ab: „Unentgeltlich“ ist also korrekt.

Ein Fleißkärtchen bekommt, wer die Frage richtig beantwortet hat: „ohne einander“ oder „ohneeinander“? Die zweite Fassung ist richtig – nahezu unglaublich, zudem auch hässlich anzusehen: ohneeinander. Am besten meidet man auch dieses Wort, das zusammengeschrieben wird analog zu „miteinander“.

Wer noch einmal die Schwere unserer Sprache spüren will, schaue sich diesen korrekt geschriebenen Satz aus einem Gedicht von Phil Bosmans an: „Liebe heißt, einander nahe zu sein, ohne einander zu besitzen.“

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 9. März 2015

Twitter-Journalismus: Investigative Fragen an Bastian Schweinsteiger

Geschrieben am 16. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Bei der Bambi-Preisverleihung langweilt sich Thorsten Schmitz von der Süddeutschen Zeitung, hört „übliche Phrasen“ und sieht „altbackene Choreografien“. Kurzum – das ist nicht seine Welt. So geht er in die Lobby zu den „jungen nervösen Klatschreporterinnen, die ihre Redaktionen mit Twitter-Nachrichten füttern müssen“. Vielleicht will er die schöne neue Welt des Journalismus ahnen, die Zeit nach der Süddeutschen, wenn Papier nicht mehr raschelt und der Leser mit 140 Zeichen zu befriedigen sein wird.

Zwei Worte reichen schon, um die „heimelige Bambi-Welt“ zu zerstören: „Fuck Isis“ steht auf dem T-Shirt eines jungen Sängers. „Zu krass“ findet das eine der jungen nervösen Klatschreporterinnen und twittert es – nicht. Dann kommt der journalistische Höhepunkt, den Thorsten Schmitz sekundengenau schildert:

Als Bastian vor ihr (der jungen nervösen Klatschreporterin) steht, fragt sie investigativ: „Wie geht’s Ihnen?“ Scheinsteiger sagt: „Super!“ Sekunden später ist das Zitat im Umlauf.

Aber richtig zufrieden ist sie auch nicht damit.

„Hast Du schon einen Knaller?“ fragt sie eine Kollegin.

„Nö“, sagt die. „Du?“

Bei so viel Phrasen möchte sich Thorsten Schmitz befreien, er zitiert Arthur Schnitzler, den Senta Berger zitiert: „Wir alle spielen. Wer es weiß, ist klug“; er zitiert Helmut Dietl und nennt es einen „Moment der Authentizität“: „Wüsste ich, wie Glücklichsein geht, wäre ich es damals gewesen“.

Schmitz nennt diesen Satz „Sperrgut im Weichspülermeer vor Bambiland“. Wer viele Phrasen hören muss, versinkt halt auch mal im Sprachbilder-Schlick.

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Quelle: Süddeutsche Zeitung 15. November 2014 „Hast Du schon einen Knaller“

Wenn sich Sprachbilder verkeilen: Die SPD gräbt ihr Totenbett

Geschrieben am 18. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Wenn sie jetzt noch einen Linken zum MP wählen, graben sie an ihrem Totenbett.

Sagt Hubertus Knabe in der Bildzeitung über die SPD in Thüringen; Knabe ist Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte in Hohenschönhausen. Da geraten zwei Bilder ineinander und verkeilen sich.

Das eine Bild: Sie schaufeln ihr eigenes Grab; das andere: sie liegen bald auf dem Totenbett. Und welches sollen sich die Leser in ihrem Kopf zeichnen?

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Quelle: BILD THÜRINGEN 16. September 2014

Seiten:«12345»

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