Alle Artikel der Rubrik "B. Die Journalisten"

Lügenpresse (5): Wie sich Spiegel-Reporter von einem Diktator nicht korrumpieren ließen

Geschrieben am 19. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Da beschweren sich ein Ex-Europol-Chef und der Ex-Herausgeber eines großen österreichischen Magazin über einen Spiegel-Reporter: „Er ist kein willfähriger Schreiberling, er lässt sich nicht mit Plattitüden abspeisen.“ Das soll er aber sein: willfährig. Denn ein Diktator in Kasachstan versucht, einen Gegenspieler, den eigenen Schwiegersohn, aus dem Weg zu räumen: Ihm soll im Westen Europas, wohin er geflohen ist, ein Mord untergeschoben werden und der Prozess gemacht, damit er ein für allemal im Gefängnis verschwindet.

Der Spiegel berichtete, wie hochrangige deutsche Ex-Politiker für das Komplott angeworben und aus einem Millionen-Etat großzügig entlohnt wurden. Auf Spiegel Online erzählt Spiegel-Reporter Walter Mayr, dass auch Journalisten instrumentalisiert werden sollten – wie aus Mails hervorgeht, die durch ein Datenleck in einer Wiener Anwaltskanzlei bekannt wurden:

  • Offenbar sprach ein Ex-Innenminister  von guten Kontakten zum Spiegel und versprach, das Magazin für die Kampagne einzuspannen. Das misslang so gründlich, dass sein Honorar gekürzt werden sollte. Er antwortete: „Es entspricht nicht meiner Übung, ein einmal vereinbartes Honorar neu zu verhandeln.“
  • Der österreichische Ex-Magazin-Herausgeber warnte vor dem als störrisch bekannten Reporter Mayr, aber war sich sicher: „Er wird auch sehen, dass unsere Seite über mehrere Schienen mithilfe sehr hochkarätiger Berater das Thema in den Spiegel bringen will. Das könnte ihn noch misstrauischer und voreingenommener machen… Wir müssen aufpassen, dass die Sache nicht nach hinten losgeht; besser wäre es, wenn wir einen anderen Redakteur hätten, aber das können wir uns beim Spiegel nicht aussuchen.“
  • Wer käme denn infrage, wenn der Spiegel nicht zu korrumpieren ist? „Im Zweifel versuchen wir ein anderes Medium, Stern oder Süddeutsche„.
  • Der Reporter eines deutschen Fernsehsenders, den Mayr nicht nennt, wird angeworben,damit er beim Spiegel anruft: Wann bringen Sie die Geschichte? Der TV-Reporter rief wirklich an.

So arbeitet also die deutsche „Lügenpresse“: Vom Diktator einer Ex-Sowjet-Republik lässt sie sich nicht manipulieren, und von prominenten deutschen Ex-Politikern lässt sie sich auch nicht zur Beugung der Wahrheit verführen.

 

 

 

 

Was Headhunter raten: Ein Redakteur wäre auch ein guter Zielfahnder

Geschrieben am 18. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Was können Journalisten besonders gut – und besser als andere Berufsgruppen? Wo finden sie Jobs, wenn die Redaktionen immer kleiner werden? Vor zwei Jahren gab der Headhunter Stefan Koop von „Amrop Delta“ dazu der Wirtschaftswoche ein Interview.

Wer sich mit Headhuntern einlässt oder einlassen muss, wer wissen will, wie sie über Journalisten denken, dem sei das Interview empfohlen. Hier die entscheidenden Passagen:

Welche Fähigkeiten zeichnen Redakteure aus? Koop:

Die können zunächst mal mit Sprache umgehen. Sie können Sachverhalte recherchieren, Fragen stellen und vor allem eins: zeitgenau abliefern. Das ist schon mal viel, was nicht jeder kann. Sie können unter Stress arbeiten und hartnäckig sein. Sie sind gewohnt, im Team zu funktionieren und müssen schnelle Entscheidungen treffen und dabei ihren intellektuellen Überblick permanent ausbauen.

Man liest es mit Freuden, auch wenn man sich wundert über des Headhunters Fähigkeit, mit Sprache „umzugehen“: Wie kann man einen Überblick ausbauen? Und dann noch einen intellektuellen? Ist ein ausbaufähiger Überblick nicht eher ein Unterblick?

Welche Jobs kommen für Redakteure infrage? Koop favorisiert Risikomanagement oder Market Research bei Financial Services. Und weiter:

  • Wenn man ganz breit denkt, kommen natürlich auch die Polizei, Bundeswehr, Ministerien und Nachrichtendienste in den Sinn. Hier gilt es auch, eigene Barrieren im Kopf zu überwinden.
  • Welcher Journalist hat sich schon einmal bei einer Top Unternehmensberatung beworben. Auch hier muss analysiert, recherchiert, bewertet und geschrieben werden.
  • Themen wie Marktforschung sind natürlich auch naheliegend.

Die Berufe, in die Redakteure oft wechseln, tauchen nicht auf: Pressesprecher, PR-Manager, Kommunikations- und/oder Marketingchefs. Allerdings empfiehlt Koop Fachverlage und Fachpublikationen – mit einem starken Argument: Sie haben den Wechsel in die Online-Welt besser geschafft als der klassische Verlagsbereich.

Zudem empfiehlt Koop die Existenz als freier Journalist – „wenn man einen eigenen USP hat. Die Redaktionen werden immer kleiner und brauchen dringend Unterstützung von außen“. Dem Headhunter ist bewusst, dass der freie Journalist – und nicht nur er – beim Geldverdienen Abstriche machen muss. Koop drückt es diplomatisch aus:

Wichtig ist, auch in der eigenen Gehaltsfindung flexibel zu sein. Der Journalist zählt immer noch zu den besser bezahlten Gruppen. Da sollte man sich interessante Neueinstiege mit Perspektive nicht verbauen.

Man kann auch Oberbürgermeisterin werden oder Aufsichtsrats-Vorsitzender beim HSV, nennt Koop noch „ganz anderen Felder“: Als das Interview gedruckt wurde, war die Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke noch Oberbürgermeisterin in Kiel und Spiegel-Redakteur Manfred Ertel noch beim HSV. Die ganz anderen Felder waren allerdings zu morastig. Beide rutschten aus.

Und da wäre noch ein Job im Angebot des Headhunters:

Googeln sie mal den Begriff „Zielfahnder“, und sie werden viele Überschneidungen sehen zum Investigativ-Journalisten. Gerade der Wirtschaftsjournalist hat einen guten Überblick über das wirtschaftliche Geschehen, dieses gilt es zu nutzen.

Und wie wäre es mit Privatdetektiv? In den USA und England haben Redakteure den Privatdetektiv  zumindest als Krimi-Autoren zu Ruhm und Ehre gebracht. Raymond Chandler erfand Philip Marlowe und war danach in der Gehaltsfindung mehr als flexibel.

 

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Quelle: Wirtschaftswoche 5. März 2013

Chefredakteure zur Rabauken-Affäre: „Post-diktatorische Unterdrücker-Mentalität“

Geschrieben am 8. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Mein Kommentar zur Rabauken-Affäre in Mecklenburg:

Danken wir Staatsanwalt und Richterin! Sie schreiben das Drehbuch für ein Lehrstück, das gerade im Osten unserer Republik mit Pauken und Flöten aufzuführen ist: Ohne die Freiheit der Presse, die die wichtigste Freiheit der Bürger ist, bleibt unsere Demokratie nicht lebendig. Diese Freiheit steht zwar weit vorne in unserer Verfassung, aber sie muss immer wieder zum Thema werden, erkämpft und verteidigt. Aber geht es überhaupt um die Pressefreiheit? Geht es nicht einfach um einen schwachen Artikel, wie der Presserat urteilt, der sich vom Staatsanwalt als Hilfstruppe benutzen lässt?

Man kann trefflich streiten, wie unglücklich die Vermischung von Nachricht und Meinung ist, wie hoch Persönlichkeitsrechte zu hängen sind – aber in der Rabauken-Affäre geht es um einen Grundsatz: Darf ein Staatsanwalt, darf eine Richterin nach eigenem Gusto über die Presse entscheiden? Kontrolliert der Staat die Journalisten? Oder die Journalisten den Staat? Das Grundgesetz gibt eine klare Antwort. Also warten wir, wenn nicht zuvor Vernunft einkehrt, auf unser Verfassungsgericht: Sein Spruch wäre ein würdiger Schlussakt im Rabauken-Lehrstück.

Diese Version steht online beim Nordkurier, der Schluss (ab: „aber in der Rabauken-Affäre…“) stand auch in der gedruckten Ausgabe vom Samstag, 6. Juni 2015.

So kommentierten andere Chefredakteure:

Michael Bröcker, „Rheinische Post“, Düsseldorf

Die Freiheit wird selten mit einem großen Knall, sondern schrittweise und schleichend eingeschränkt. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Öffentlichkeit schnell, klar und eindeutig gegen die verwunderliche Neuinterpretation der Meinungsfreiheit durch die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg stellt. Die Rheinische Post steht jedenfalls an der Seite der Redaktion des Nordkurier.

Andreas Ebel, Chefredakteur „Ostsee-Zeitung“, Rostock

Armes Deutschland! In MV gehen Strafverfolgungsbehörden gegen Journalisten vor, die kritisch berichten und kommentieren. Das ist ein Skandal. Der Presse- und Meinungsfreiheit ist es zu verdanken, dass wir in Freiheit und Frieden leben. Wir Journalisten informieren, kritisieren und decken auf. Ja, das ist manchmal unbequem und tut weh. Eine gleichgeschaltete, von Behörden beeinflusste Presse wäre der Untergang der Demokratie. Sehr geehrte Vertreter der Justiz, sehr geehrte Vertreter der Landesregierung – bitte beenden Sie diesen Unsinn.

Wolfram Kiwit, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“

,Rabauken in Richterroben‘ hat Lutz Schumacher seinen Kommentar überschrieben. Dem schließe ich mich gerne an. Wer im Namen einer unabhängigen Justiz die Presse- und Meinungsfreiheit mit einer post-diktatorischen Unterdrücker-Mentalität einschränken und beschneiden will, schadet der Demokratie. Untergräbt unsere Freiheit. Und ist der Richterrobe nicht würdig. Ausziehen, hinsetzen, nachdenken, schämen. Die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg scheint aus unserer Geschichte nichts gelernt zu haben. Ihr fehlt es offensichtlich an Demokratie-Verständnis. Der Nordkurier hingegen hat seine Wächter-Rolle verstanden. Das immerhin unterscheidet uns von ‚früher‘. Das war ein Meinungsbeitrag. Staatsanwaltliche Post bitte über den Nordkurier Briefdienst an Wolfram Kiwit.

Horst Seidenfaden, Chefredakteur „Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine“, Kassel

Die Meinungsfreiheit, die uns das Grundgesetz garantiert, ist bisweilen für den, der sie ertragen oder gar unter ihr leiden muss, eine lästige Sache. Aber welch großartige Einrichtung stellt dieser Artikel unserer Verfassung doch für unser Leben in Freiheit und Demokratie dar. Die Medien, die täglich von ihr profitieren, pflegen sie und hegen sie – unsere Kunden, die Einwohner dieses Landes, schätzen das und nutzen die Chancen dieses Rechts in Leserbriefen, Online-Kommentaren. All das führt zu einem offenen Diskurs, der in der Regel weiter hilft.

Meinungsfreiheit ist also ein Segen, eine Säule für ein stabiles demokratisches System. Wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abseits der Verfassung, die ja auch ihre Tätigkeit regelt, dieses Recht aushebeln, dann ist das der Versuch, einen Staat im Staate aufzubauen bzw. diesen Staat zu schädigen oder zu zerstören. Was ist also nun der eigentliche Verstoß? Freie Meinungsäußerung oder das Verbieten derselben?

Ralf Geisenhanslüke, Chefredakteur „Neue Osnabrücker Zeitung“

Warum läuten nicht bei allen Politikern und Juristen in unserem Land die Alarmglocken? Dreister und direkter kann der Angriff auf die Pressefreiheit nicht gefahren werden. Hier liegt die Vermutung nahe, dass jeder, der nicht eingreift oder sich vor die Pressefreiheit stellt, das Vorgehen gutheißt.

Michael Seidel, Chefredakteur „Schweriner Volkszeitung“

Als hätte sich die Justiz beim Wutbürgertum auf der Straße angesteckt. Die unselige Lügenpresse-Diktion, die oft eher den Boulevard oder den Diskussionsstil von Nicht-Journalisten in sozialen Medien meint, verlagert sich zusehends in Gerichtssäle, scheint mir. Journalisten konnten sich noch nie rühmen, zu einer besonders beliebten Berufsgruppe zu gehören. Lästig sind wir, stellen hartnäckig unbequeme Fragen, suchen ‚das Haar in der Suppe‘, pirschen uns notfalls durch die Hintertür wieder zum Ort des Geschehens, wenn wir zur Vordertüre rausgeflogen sind – kurzum, wir sind schon ein ziemlich unsympathischer Berufsstand. Andererseits wird von uns erwartet, dass wir den Mächtigen auf die Finger schauen und bei Fehlverhalten auch (verbal) hauen. Wir gehen mit diesem Gegensatz professionell um.

Wenn Richter und Staatsanwälte sich jetzt aber anheischig machen, das Niveau einer Zeitung bestimmen zu wollen, widerspricht dies diametral dem Grundgedanken der Pressefreiheit, die übrigens die Zulassungsfreiheit einschließt: Jeder, der das Geld dafür hat, darf ein Medium gründen – egal welcher ideologischen, politischen, weltanschaulichen oder ggf. sogar sexuellen Ausrichtung dieses Medium sein soll. Pressefreiheit bedeutet nach landläufiger Auffassung – zumindest außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns und seit Abschaffung der Sozialistengesetze 1890 sowie dem Ende der beiden deutschen Diktaturen – dass Ausrichtung, Inhalt und Form des Presseerzeugnisses frei bestimmt werden können. Sie gilt gleichermaßen für „seriöse Presse“ wie für Boulevardmedien.

Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur „Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag“, Flensburg

Als ich vor 25 Jahren (zu Nachwende-, aber noch DDR-Zeiten) in Mecklenburg arbeitete, hätte ich mir in den pessimistischsten Träumen nicht vorstellen können, dass es einmal so weit kommt. Zu Recht wird die so genannte Vierte Gewalt immer mal kritisiert. Wenn die Dritte sich aber an der Vierten vergreift, geht es an die Wurzeln des Grundgesetzes. Ich bin sprachlos, dass die Politik das so hinnimmt. Das wäre mal ein Betätigungsfeld für den West-Ministerpräsidenten und die Ost-Bundesministerin!

Manfred Sauerer, Chefredakteur „Mittelbayerische Zeitung“, Regensburg

Wenn schon Staatsanwaltschaften und Richter(innen) die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit und die Schutzwürdigkeit der Presse nicht (mehr) erkennen, bleibt eigentlich die Hoffnung auf die Politik. Die war in diesem Fall aber offenkundig vergeblich. Die Justizministerin hätte eines machen müssen: die Sache möglichst geräuschlos kassieren. Hat sie aber nicht – und nun darf ermittelt werden. Was eigentlich? Dass Lutz Schumacher Chefredakteur des Nordkurier ist? Richtig! Dass er Journalist ist? Richtig? usw.

Die Sache ist so bizarr und unglaublich, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, Mecklenburg-Vorpommern sei Teil eines Staates mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ist es aber – jedenfalls in der Theorie. Insofern sollte mitermittelt werden, ob hier von offiziellen Organen das Grundgesetz verletzt wird. Aber das macht hoffentlich am Ende das Bundesverfassungsgericht.

Jan Emendörfer, Chefredakteur „Leipziger Volkszeitung“, Leipzig

Ich finde den Begriff Rabauken-Jäger fast noch schmeichelhaft, wenn man dazu Synonyme wie etwa Rüpel, Flegel oder Grobian in Betracht zieht. Der Autor hätte auch vom Kadaverschänder schreiben können … Es bleibt die Frage: Haben Gerichte und Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern keine anderen Sorgen? Die Kriminalitätsstatistik mit Raub, Diebstahl, Erpressung und schlimmeren Delikten bietet eine große Angriffsfläche, an der Ermittler sich abarbeiten können. Der Versuch, eine Zeitung mundtot zu machen, muss scheitern und geht nach hinten los, wie das bundesweite Medienecho im Fall Nordkurier nun zeigt.

Aus den Kommentaren der Leser:

Haben sich die Chefredakteure gut überlegt, ob sie sich solidarisch auf die Seite von Straftätern stellen dürfen ? Nicht, daß sie vom AG Pasewalk noch als geistige Mittäter belangt werden… Den Chefredakteuren ist ohne weiteres zu bestätigen, daß sie sich im Presserecht auskennen, aber darüber hinaus wird auch noch deutlich, was sie von der Justiz (zu Recht) halten: In diesem konkreten Fall – nichts Positives. Also heißt es für die Zukunft aufzupassen, dass Bürger in Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht noch belangt werden dafür, dass sie die Wahrheit sagen und schreiben. Denn dann sind wir wieder bei einer Gesinnungsjustiz…

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Ich kann es nicht mehr hören. Hier ist nicht die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern Euer Ton. Rabauke ist ein Schimpfwort. Ich kann mich noch an einen Fall im letzten Jahr erinnern, da ging es um „Frauenschläger“. Davor habt ihr immer wieder mit Häme berichtet, wenn es gegen die NPD ging. Damals ging es um „Gesinnungsextremistin“. Jetzt seid ihr selbst mal dran und siehe da, das Geschrei ist groß.

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„Man wird doch mal sagen dürfen … “ – so ist eine doppelseitige Solidaritäsbekundung heute im Nordkurier betitelt. Ich meine: Nee – „Rabauken in Richter-Roben“ darf man eben nicht „mal sagen“. Das ist schlichtweg beleidigend, und alleine deshalb nicht tolerabel. Als Rechtfertigung für eine solch geschmacklose Unverschämtheit die Meinungs- und Pressefreiheit heranzuziehen, zeigt doch nur, dass der Mann (und offensichtlich auch der ein oder andere seiner Kollegen) völlig die Bodenhaftung verloren hat. Bezüglich der Frage, ob in diesem konkreten Fall ein Straftatsbestand zu konstatieren ist, vertraue ich auf unseren Rechtsstaat. Unabhängig davon wäre eine Entschuldigung Schumachers gegenüber den „Robenträgern“ das Mindeste. Aber auch das ist eine Frage von Kinderstube und Anstand. Zumindest letzteren kann man sich erschließen und zu eigen machen – oder eben auch nicht.

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Ständig ziehen sie Leute Firmen und Personen durch den Dreck. Jetzt geht es ihnen an den Kragen, da ist alles schlimm. Ich sage: Verdammt richtig so. Die müssen doch erst Gehirn einschalten und dann schreiben. Und nicht schreiben und bei Gegenwehr jammern. Und sie jammern richtig :-))) Wie Peinlich :-)))) PS.

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Es ist schade wie einige versuchen, bei diesem brisanten Thema ihre „offene Rechnung“ mit der vermeintlichen „Lügenpresse“ zu begleichen, ohne dabei zu merken, dass es um ihre eigenen Grundrechte geht. Nein, mit einem „in den Dreck ziehen“ von Personen oder Firmen hat eine investigative, kritische Berichterstattung – wie sie täglich im Nordkurier und Uckermark Kurier passiert – nichts gemein. Im Gegensatz zu Juristen, Politikern und hinter Nicknamen versteckten Kommentatoren halten die Reporter täglich mit offenem Visier ihren Kopf hin, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern, an Stammtischen, sondern Schwarz auf Weiß nachzulesen. Und sie bekommen diesen (ihren Kopf) auch gründlich gewaschen, wenn ihnen dabei ein Fehler passiert (und wer ist schon fehlerfrei). Nicht den Reportern geht’s bei dem aktuellen Urteil an „den Kragen“, sondern der Meinungsfreiheit und einer unabhängigen, pluralistischen Berichterstattung, die die Leserinnen und Leser zu Recht von ihrer Zeitung erwarten. „Das möchte ich lieber nicht öffentlich sagen, schon gar nicht mit meinem Namen.“ Einen Satz, den die Redakteure in der Region wieder zunehmend bei ihren Recherchen zu hören bekommen. Genau gegen diese Angst schreiben sie täglich mutig an.

Tatort bedient sich bei Hajo Friedrichs „Gute Sache“-Regel

Geschrieben am 26. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Ein Polizist darf sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.

sagt Kommissarin Lena Odenthal, gespielt von Ulrike Folkerts, im Tatort „Roomservice“ (22. Mai 2015). Der Satz stammt von Hanns Joachim Friedrichs, ist einer der meistzitierten und umstrittensten der journalistischen Ethik und steht im Handbuch des Journalismus am Ende des Kapitels „Viele Journalisten manipulieren“:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.

FACEBOOK Kommentare

Anton Sahlender, 26. Mai um 09:48

Diesen Satz beliebt ohnehin jeder längst so zu interpretieren, wie es ihm gerade in den Kram passt …

„Ein bisschen vernagelt“ – In seinen Memoiren schaut Wolf Schneider auch auf die DDR und die Einheit zurück

Geschrieben am 6. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Ein vorlauter Redakteur fragt 1957 bei einer Konferenz des Stern, mit fast zwei Millionen Auflage eines der großen Magazine der Welt: „Wäre die totale Entleerung der DDR nicht eine großartige Vision?“ Der vorlaute ist Wolf Schneider, einen Leitartikler kritisierend, der die Flucht von 300 000 DDR-Bewohnern pathetisch bedauert; der Vorlaute erinnert sich ein halbes Jahrhundert danach noch an diesen Satz und zitiert ihn in seinen Memoiren.

Einer der großen Journalisten, der zudem viele große Journalisten ausgebildet hat, der Sprachpapst, der er ist, aber das Wort nicht mag – er schreibt mit neunzig Jahren sein „langes, wunderliches Leben“ auf, das in Erfurt begann.

Lesen wir das Buch gegen den Strich: Was fällt einem Thüringer auf, der – anders als Schneider – nach dem Krieg nicht zu den Russen, sondern zu Amerikanern ein fast freundschaftliches Verhältnis entwickelte, der sein Leben in der DDR aufrecht lebte, aber nicht als Unrecht empfindet – und der alle Wessis entbehrlich findet, die sich unentwegt auf die Schulter klopfen?

Immerhin bekommt „Ärrfort“, seine Geburtsstadt, ein eigenes Kapitel, das jubelnd mit dem Umzugswagen nach Berlin endet: Bis heute bin ich froh über den Aufbruch aus der Provinz. Da war Schneider 6 Jahre alt.

Der 33-jährige Stern-Redakteur sieht im Ausbluten der DDR die einzige Chance für eine Wiedervereinigung; der 50-Jährige wird in der Süddeutschen Zeitung zitiert mit seinem Kopfschütteln über Willy Brandts Verzicht auf die Wiedervereinigung:

Nie hatte es die Welt mit einer bequemeren deutschen Regierung zu tun. Jedes Runzeln einer ausländischen Augenbraue, jeder neue kommunistische Affront versetzt uns in Bestürzung: Haben wir etwas falsch gemacht?

Der 60-Jährige, nun Leiter der angesehensten deutschen Journalistenschule, wird von der Ostberliner Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft eingeladen, hört seinen Gastgeber für die Beendigung des Wettrüstens werben – und spricht von den Toten an der Mauer. Dreimal nimmt der DDR-Professor die Einladung zum Gegenbesuch nach Hamburg an und bekommt jeweils 300 Mark Honorar; dreimal fährt Schneider nach Ostberlin und ist bass erstaunt über den Journalisten-Nachwuchs, die geistige DDR-Elite:

Da saß ein Häuflein biederer Provinzler, nicht verbiestert, aber ein bisschen vernagelt. Nicht einmal der Marxismus hatte Weltniveau in der DDR.

Wenige Tage vor dem Fall der Mauer reist Schneider mit seinen Schülern durch die DDR und fragt eine Studentin, wie die TV-Berichte aus Prag auf sie wirken, und hört ein Gestammel: „Wir haben doch das Beste gewollt. Soll denn alles umsonst gewesen sein?“

Schneider fragt sich: Wie hoch ist der Anteil der DDR-Bürger, die das Regime ehrlich bejahen und derer, die sich hinter der Mauer halbwegs wohnlich eingerichtet haben? Seine Antwort: „Voll dafür – ein paar Prozent; halbwegs eingewöhnt: 20 bis 30 Prozent. Für die anderen gab es die Stasi.“

Als die Nation vereint ist, loben einige seiner Schüler immer noch den Gegenentwurf zum Kapitalismus und schwärmen von der menschlichen Nähe in der DDR.

Ach ja, Nähe!, hielt ich ihnen entgegen: Die kannte ich noch aus den Bombennächten im Luftschutzkeller, in der Not rückten die Menschen immer zusammen.

Für junge Journalisten im Osten organisiert Schneider direkt nach der Revolution ein gutes Dutzend Kurse „So machen wir das im Westen“; er bekennt: „Mehr Spaß hat die Schule mir nie gemacht“, aber wundert sich auch über die Leser im Osten – zum Beispiel die der „Wochenpost“:

Die hassten ja alles, was nach Marktgeschrei klang, schon allzu viel Offensichtlichkeit irritierte sie, und von der schrillen Werbung waren sie geradezu angewidert. Ihr behäbiges Blatt wollten sie behalten, so, wie es war.

Hatten wir, so fragt Schneider, die 44 Jahre Bevormundung unterschätzt?

Doch genug von der DDR und ihren Folgen. 96 Prozent des Buches spielen auf anderen Schauplätzen, in München, Patagonien und Mallorca, in Srebrenica und auf den Schlachtfeldern Hitlers, dem auch der junge Schneider zugejubelt hatte.

Da erzählt ein welterfahrener Journalist – nach einem knappen Jahrhundert – lebenssatt, selbstbewusst, auch ein bisschen arrogant, klug und mit gerade so viel Altersmilde, dass uns beim Lesen niemals langweilig wird. Und er kann erzählen und zeigt es gleich in den beiden ersten Sätzen über einen gerade noch verhinderten Selbstmord:

Es lag an mir, ob ich diesen Tag überleben wollte. Es war mein 20. Geburtstag, und Deutschland hatte unterschrieben: Kapitulation!

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LESEPROBE: Markiert

(Besuch in Erfurt kurz vor dem Mauerfall 1989)

Da waren Grenzfälle der Zufriedenheit, die sich jeder Einordnung widersetzen. Wie bei jenem biederen älteren Ehepaar, das sich auf dem Domplatz in Erfurt ein Herz fasste, eine neugierig herumstehende Vierergruppe von uns – erkennbar Westler – ansprach und uns in seine Mansardenwohnung einlud zu Pfefferminztee und Wodka. Die Wohnung eng, aber gemütlich, die Leute richtig nett. Im Nebenzimmer hörten wir’s plätschern. Na, erzählte die Frau: „Es regnet ja ziemlich heftig, und bei uns regnet’s durch, da müssen wir einen Eimer drunterstellen.“ Aha! „Und wenn’s viel regnet, ist der Eimer nach ein paar Stunden voll. Aber wissen Sie: Da dürfen wir natürlich aus der Fabrik nach Hause gehen, den Eimer leeren. So was dürfen Sie ja nicht im Westen, nach allem, was man so hört?“

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Wolf Schneider: Hottentotten-Stottertrottel, Rowohlt, 447 S., 19,95 Euro
Erschienen in der Thüringer Allgemeine, 1. Mai 2015

Wie wird man 90? Wolf Schneider: „Ein tägliches Quantum Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude“

Geschrieben am 6. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

„Es lag an mir, ob ich diesen Tag überleben wollte.“ Mit solch einem „Erdbeben“ beginnt Wolf Schneider seine Memoiren. „Erdbeben“ kommt in seinem Lieblingszitat vor, das jeder seiner Schüler dutzendmal gehört hat, das ihm in den Ohren klingt, wenn er zu schreiben beginnt, das er jedem weitergibt, der ein guter Journalist werden will: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann ganz langsam steigern“, Samuel Goldwyns Forderung an seine Drehbuch-Schreiber.

Also fängt Wolf Schneider nicht mit seiner Geburt an: Die hat keiner erlebt und die ist meistens langweilig; dass man sie überlebt hat, versteht sich, denn ein Toter schreibt in der Regel keine Memoiren. Die Geburt folgt in Kapitel 32.

Der Tag des verhinderten Selbstmords, beschrieben in Kapitel 1, war der Tag der Kapitulation: Ein romantischer Abend mit „Mondlicht an einem Teich bei der alten Villa“ – und ein grübelnder Unteroffizier, der gerade 20 geworden war, und sich fragt: „Sollst du dich erschießen?“

Wolf Schneider hat es nicht getan, wovon gut vierhundert Seiten zeugen, die auf „Leben oder Tod?“ folgen. Diese Seiten müssen alle Journalisten lesen, um zu staunen, was ihnen alles nicht gelungen ist, um zu lernen, was ihnen meist schwer fällt, um sich zu ärgern und aufzuregen, was ihnen meistens nicht schwer fällt. Schneiders „Hottentotten“ ist das erste Geschichtsbuch des Journalismus in Deutschland, in dem ohne Verklärung oder Verkleisterung zu lesen ist, wie es wirklich in den Redaktionen zugegangen ist.

Wen wundert’s, wie eitel das Journalisten-Volk war und ist, zumindest in den Führungskreisen? War Wolf Schneider arrogant? Er dürfte der einzige sein, der das bestreitet: „Ich hatte mein Leben lang niemals das Gefühl, arrogant zu sein.“ Als er mit 17 vernahm, er wirke so, war er erstaunt und ratlos. Der 90-jährige Memoiren-Schreiber fragt: „Was soll man da machen?“

War Wolf Schneider nett? Die Frage könnte man mit einer Gegenfrage beantworten: Gibt es überhaupt nette Chefredakteure? Ich kenne keinen, wenigstens keinen, der lange erfolgreich war und erfolgreich bleiben will.

Henri Nannen zum Beispiel. „Ein zu großer Mann, um auch noch ein angenehmer Mensch zu sein“, stellt Schneider fest und ergänzt: „Die ganz Großen sind das nie.“ Wahrscheinlich war Nannen ein Kotzbrocken; wer ihn erleben durfte, wird es kaum bestreiten. Schneider erzählt von einer Abkanzelung unter Zeugen: Ein Redakteur gibt Nannen ein zehnseitiges Manuskript, und Nannen gibt es nach einer Minute zurück, „Ihr Manuskript taugt nichts!“

Was folgt, ist widerlich und brutal in der Form, wie es Schneider nennt, aber lehrreich für den Schreiber und alle, die zuhören:

Der Autor, entgeistert: „Aber Sie können doch die zehn Seiten unmöglich schon gelesen haben!“
Nannen: „Nein, ich habe im dritten Absatz aufgehört“
Der Redakteur: „Aber ich musste doch im dritten Satz…“
Darauf Nannen mit Donnerstimme: „Das erzählen Sie mal unseren zehn Millionen Lesern, was Sie im dritten Absatz mussten! Gehen Sie raus.“

Solche Patriarchen ohne Manieren gibt es wohl nicht mehr, solche Redaktionen wie „ein Hochdruckkessel“, den Chefredakteure lustvoll beheizen, wohl auch nicht. Den Leser mag das Gefühl beschleichen, dass der Niedergang der Magazine und Zeitungen mit dem Niedergang der Patriarchen einherging, die Unlust der Leser und die Erlahmung der Redakteure ebenso.

Nannen war für Schneider wie ein Bruder: Brillantes Handwerk, berserkerhafte Entschlossenheit. Dies permanent von allen Redakteuren zu erzwingen, bewunderte Schneider und übernahm es zur Ertüchtigung seiner Journalistenschüler. Ein Lehrgang ließ in Stein meißeln: „Qualität kommt von Qual“.

Nannen war es auch, der Schneider im „Gruner+Jahr“-Vorstand empfohlen hatte als Leiter der Journalistenschule – mit den Worten: „Der Schneider ist zwar ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“ Der 90-jährige Schneider kommentiert dies in der ihm eigenen Bescheidenheit: „Mit solchen Komplimenten konnte ich leben.“

Wer weitere Beispiele sucht wie die Forderung an seine Schüler „Sie werden bitte nicht krank“, der wird auf nahezu jeder Seite fündig. Und wer sich über den Schinder entsetzen sollte, wird einräumen: Erzählen kann er jedoch, der Schneider, erzählen wie kein anderer.

So ist das Geschichtsbuch zuerst ein Geschichtenbuch über eine Karriere, wie sie so nur nach dem Krieg möglich war: Redakteur – ohne Volontariat oder Uni wohlgemerkt – zuerst bei den amerikanischen Besatzern, dann bei AP, der größten Agentur der Welt, und schließlich bei der Süddeutschen Zeitung, als Autor von 167 Streiflichtern und zum guten Ende als Korrespondent in Washington.

Es folgten Henri Nannen und der Stern, die Chefredaktion der „Welt“, die ersten Bücher und schließlich die Journalistenschule: 330 Schüler, nicht wenige von ihnen Chefredakteure, Star-Reporter oder –Kolumnisten. Kein Journalist in Deutschland hat den Journalismus und die Journalisten so geprägt wie Schneider, als Lehrer und als Autor der besten Stil-Lehren, ein Nachfahre Luthers, der in der Stadt gepredigt hatte, in der Schneider geboren wurde, Erfurt.

„Ungeduld war mein Lebenselexier“, schreibt er im letzten Kapitel „Abenddämmerung“. Und – ich bin im Alter nicht gelassen geworden. Das stimmt so wenig wie die Erinnerung, in der DDR habe man die Heizung per Ventil regulieren können. Nein, sie sperrten die Fenster auf, wenn’s zu warm wurde in der Stube, und sie machen es heute noch so in Erfurt und spotten jeder Energiewende.

Das dürfte auch sein einziger Fehler sein auf gut vierhundert Seiten, die faszinierend geschrieben sind, prall und lebenssatt. Und sein Rezept, 90 Jahre alt zu werden – und im Kopf wie 50? „Ein tägliches Quantum Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude hält mich bei vorzüglicher Gesundheit“, hatte er Peter Tamm zugerufen, dem Springer-Chef, nachdem der ihn gerade gefeuert hatte.

Nett und ein wenig gelassen geworden ist er übrigens auch, zumindest ist beides zu ahnen. Es gibt kein Leben, auch kein großes, ohne Energiewende. Heute wird Wolf Schneider 90, und alle, die ihn gelesen haben, die ihn erlebt haben, die ihn erlitten haben, die ihn noch verfluchen, werden ihn nicht vergessen. Einige knien nieder.
Wolf Schneider ist ein Erdbeben.

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kress.de zu Schneiders 90. Geburtstag am 7. Mai 2015
Seine Memoiren „Hottentotten Stottertrottel“ sind bei Rowohlt erschienen (448 Seiten, 19.95 Euro)

Ethik nach dem Absturz (3): Zu viel Rechthaberei, zu wenig Aufklärung?

Geschrieben am 19. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Warum wahren  Journalisten  in ihren ureigenen Debatten nur so schwer die Distanz,  die zum Handwerk gehören sollte? Warum dominiert Rechthaberei? Verteufelung von Argumenten, die nicht die eigenen sind?

Ein Beispiel: Michael Hanfeld (miha) schreibt in der  FAZ einen kurzen Text zu der Ethik-Debatte nach dem Absturz und entdeckt in Sendungen der ARD  „eine moralische Besserstellung“ – weil sie  den Namen des Kopiloten nicht nennt.  Aber auch er holt die moralische Keule heraus: „Die Öffentlich-Rechtlichen sind ja gern immer die Guten“, die Sondersendungen nach dem Absturz seien „ekelerregend“, und er entdeckt bei der ARD „Journalismus-Gefühlsduselei“.

Hanfeld kritisiert die Haltung von Journalisten, „die selbst bei einer solchen Gelegenheit nur von sich selbst berichten können“ – und zeigt nicht, wie er es besser machen würde. So geht seine Frage unter, die nachdenkenswert ist: „Wer den mehr als mutmaßlichen Täter anonymisiert, verhöhnt die Opfer. Die zwingendste Trennung geht unter – diejenige zwischen Täter und Opfern.“ (FAZ, 18. April).

Die Debatte dreht sich nicht allein um Namens-Nennungen, sei es von Kopilot oder Opfern, auch nicht um die Fotos, die gezeigt werden dürfen, sondern auch um den Umgang mit den Lesern: Was dürfen wir ihnen zutrauen? Wieviel Informationen dürfen sie bekommen? Wieviel Urteil überlassen wir ihnen? Wo endet die Nachricht? Wo beginnt die Sensation? Was ist „unangemessen“?

Verstecken wir unter dem Deckmantel der Ethik nicht ein feudales Verständnis: Wir, die Journalisten, da oben sagen dem Volk, was es wissen darf und anschließend, was und wie es zu denken hat? Zielt Aufklärung nicht auf den denkenden Menschen, der zum eigenen Urteil fähig ist?

Das sind grundsätzliche Fragen, die stets bei einem überwältigenden Thema – sei es die Love Parade, sei es der Flugzeug-Absturz – auftauchen, aber zu oft in Rechtfertigungen und Rechthaberei untergehen.

Das sind die Fragen, die der Presserat Anfang Juni beantworten will; ihm liegen 430 Beschwerden gegen die Berichterstattung über den Absturz von  4U9525 vor – so viele wie noch nie zu einem Thema:

> Durfte über den Co-Piloten identifizierend berichtet werden?
> War die Veröffentlichung von Opferfotos und Opfergalerien angemessen?
> Mussten die Angehörigen von Co-Pilot und Opfern geschützt werden?
> War die Berichterstattung  unangemessen sensationell?
> Gab es  Vorverurteilungen?
> Ist das Ansehen der Presse beschädigt worden?

Auf seiner Internet-Seite hat der Presserat allerdings schon kurz nach dem Absturz darauf hingewiesen: „Opferschutz hat Vorrang“ und an die Richtlinie 8.1 des Pressekodex erinnert: 

Opfer haben einen Anspruch auf den besonderen Schutz ihrer Identität, denn für das Verständnis des Geschehens ist das Wissen darüber in der Regel unerheblich. Als zufällige Opfer eines Unglücks werden die Verstorbenen auch nicht automatisch zu Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung. Der Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt daher regelmäßig das öffentliche Interesse. Auch die Angehörigen haben ein Recht auf Privatsphäre.

Medien-Ethik nach dem Absturz (2): Persönlichkeitsrechte gegen „Person der Zeitgeschichte“

Geschrieben am 17. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Ins Zentrum der Debatten nach dem Airbus-Absturz drängte sich schnell die Frage: Durften und dürfen Medien den Namen des Copiloten nennen? Die Entscheidung, was richtig ist und was falsch, war offenbar schwer:

Auf der einen Seite steht das durch die ungeheuerliche Tragik und die schrille Warumfrage begründete öffentliche Interesse und auf der anderen Seite die auch durch berufskulturelle Regeln abgestützte Unschuldsvermutung und der Respekt vor der Privatsphäre der Angehörigen

sagt der Schweizer Professor Vinzens Wyss und folgert: „Das öffentliche Interesse muss in diesem Fall zurückstehen.“

Die Bandbreite der Einschätzungen gibt ausführlich eine Umfrage von Michèle Widmer bei persoenlich com wieder, die sechs Schweizer Journalisten und Medienethiker befragt hatte (hier in Auszügen, Überschriften von mir):

Persönlichkeitsrechte sind zu wahren
Tristan Brenn, Chefredakteur TV von SRF (Schweizer Radio und Fernsehen): „Im Grundsatz gilt, dass Persönlichkeitsrechte und der Schutz der Privatsphäre, wenn immer möglich, zu wahren sind. Das gilt für Opfer wie auch für mutmassliche Täter und dient nicht zuletzt auch dem Schutz von Angehörigen. Im Fall des Co-Piloten von Germanwings sahen wir keine Veranlassung, von diesem Prinzip abzuweichen. Die relevanten Informationen sind nicht abhängig von der Identifizierung der Person mit Namen und Bild.“

Namensnennung besitzt keinen Mehrwert für das Publikum
Peter Bertschi, stellvertretender Chefredakteur Radio von SR, hatte angewiesen vom „28-jährigen Co-Piloten‘ zu sprechen. „Wir halten uns an unsere publizistischen Leitlinien, dass wir Namen von mutmaßlichen Tätern und Opfern ‚grundsätzlich nicht nennen‘, dass wir ganz allgemein bei SRF ‚bei der Namensnennung nicht vorangehen‘. Hinzu kam noch die Überlegung der Chefredaktion Radio SRF, dass das Schweizer Publikum erst recht keinen Mehrwert hat, wenn der Name genannt wird.“

Foto und Name helfen nicht bei der Antwort auf die Warumfrage
Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften):
„Weder der veröffentlichte Name noch das Bild helfen uns bei der Beantwortung der Warumfrage. Was ist dadurch gewonnen? Selbst wenn im Netz und bei einigen Medien der Name schon veröffentlicht wurde, bleibt der medienethische Entscheid immer auch eine Frage der Haltung der jeweiligen Redaktion. Der routinierte Verweis auf die Bekanntgabe durch den Staatsanwalt entbindet die Medien nicht vor der Pflicht, selbst eine Güterabwägung vorzunehmen. Unpassend finde ich den Versuch, das wie auch immer produzierte Publikum darüber abstimmen zu lassen.“

Im Alleingang ist der Name nicht zu schützen
Dominique Eigenmann, Nachrichtenchef Tages-Anzeiger (Zürich): „Der Tages-Anzeiger anonymisiert Personen. Beim Co-Piloten Andreas Lubitz ist dies objektiv nicht mehr möglich, seit der französische Staatsanwalt dessen Namen ausdrücklich genannt (und sogar buchstabiert) hat. Die angelsächsischen und lateinischen Medien nennen ihn seither alle namentlich, auch die meisten deutschen und Schweizer Zeitungen. Das hat für unsere Überlegungen hinsichtlich einer allfälligen Anonymisierung insofern eine Bedeutung, als wir als Medium die Persönlichkeitsrechte eines Betroffenen nicht im Alleingang zu schützen imstande sind.

Mitentscheidend ist die Nähe zum Geschehen
Weiter Dominique Eigenmann: „Wäre Lubitz Zürcher gewesen und hätte sich das Unglück in Zürich zugetragen, hätten wir seinen Namen, aus Rücksicht auf die Angehörigen, wahrscheinlich anonymisiert, selbst wenn ausländische Medien ihn längst genannt gehabt hätten.“

Massenmörder sind Personen der Zeitgeschichte
Und noch einmal Dominique Eigenmann: „Der rigorose Schutz vor Nennung gilt überdies ausdrücklich nicht für ‚Personen der Zeitgeschichte‘ – für den Massenmörder Anders Breivik etwa oder den 9/11-Attentäter Mohammed Atta. Etwa in diese Kategorie gehört unserer Meinung nach auch Andreas Lubitz, soviel war jedenfalls auf Anhieb absehbar. Deswegen haben wir gleich nach der Pressekonferenz von Marseille entschieden, online wie auch in der Zeitung den Co-Piloten beim Namen zu nennen“

Der Untersuchungsrichter hat das Opfer zum Täter gemacht und so zur Person der Zeitgeschichte
Peter Studer, Jurist und Autor über Medienrecht/Medienethik, ehemals Chefredakteur: „Der zuständige französische Untersuchungsrichter hatte präzis sowie mit Quellenangabe des Voice-Recorders über den Co-Piloten und seine Todesflugphase berichtet. Die Regierungschefs von Frankreich und Deutschland sowie die Spitzen der Lufthansa schienen diese Zuschreibung in ihren Statements zu übernehmen. Damit war der Co-Pilot – wie eine Redaktion folgerte – objektiv vom Opfer zum Täter geworden. Das persönliche Verschulden muss allerdings wegen Krankheitsverdacht – Zurechnungsfähigkeit? – offen bleiben. So oder so halte ich dafür, dass der Co-Pilot mit diesen amtlichen Schritten zur ‚Person der Zeitgeschichte‘ wurde und mit Namen genannt werden durfte.“

Kein Foto, kein Name – es sei denn der Täter sucht die Öffentlichkeit
Philipp Cueni, Chefredakteur EDITO +Klartext Medienmagazin und Dozent für Ethik an der Journalistenschule MAZ: „Dass zur Person des Piloten recherchiert worden ist, ist absolut in Ordnung. So kann man allenfalls klären, ob politische Hintergründe oder strukturelles Versagen beim Unglück, respektive bei der Tat eine Rolle gespielt haben. Der Name und das Bild des Co-Piloten spielen in diesem Zusammenhang aber keine Rolle und bringen für die Öffentlichkeit auch keine Erkenntnis.
Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn ein Täter selber – zum Beispiel mit einem politischen Manifest wie im Fall Breivik – die Öffentlichkeit sucht.“

Fakten gegen Lügenpresse (4): Wie ein Chefredakteur Haltung zeigt

Geschrieben am 15. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Lügenpr

Die Ruhr-Nachrichten bringt auf einer Zeitungsseite die Fakten zur Flüchtlings-Debatte in Dortmund, zusammengetragen von Tobias Großekemper (Freitag, 10. April). Eine Leserin schickte die Seite an die Chefredaktion zurück mit zwei „Ergänzungen“:

1. „Lügenpresse“,
2. Zeitungsausschnitt einer Boulevard-Zeitung mit der Überschrift „Illegale Einreisen auf dem Höchststand“.

Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten, berichtet darüber in seinem Blog und fasst die Grundhaltung seiner Zeitung knapp und eindeutig zusammen:

Versachlichen, gründlich recherchieren, Fakten sprechen lassen und nicht auf den Zug eines meist parteilichen Empörungs-Journalismus springen.

Kiwit in seinem Blog: „Wir machen einfach weiter.“

 

 

Hat ein Toter mit seinem Namen noch Persönlichkeitsrechte? Zur Debatte um den Namen des Kopiloten

Geschrieben am 30. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Verbietet der Pressekodex die Namens-Nennung des Kopiloten? Ja und nein. Wie bisweilen auch bei den Grundrechten muss man zwischen zwei sich widersprechenden Regeln abwägen: Welche wiegt schwerer?

Annette Baumkreuz hat in ihrem Blog die Gründe aufgelistet, die nach Artikel 8 des Pressekodex für oder gegen eine Namensnennung sprechen:

Zwei Gründe sprechen dafür:
>Die Intensität des Tatverdachts, ausgesprochen durch den französischen Staatsanwalt, der auch den vollen Namen des Kopiloten nannte.
> Die Schwere der Vorwürfe: Der Staatsanwalt spricht von absichtlichem Mord.

Ob es Absicht allerdings war, ob der Mann krank war und schuldunfähig, das wird kein Richter mehr entscheiden; ein Selbstmörder entzieht sich dem irdischen Richter.

Die übrigen Gründe sprechen laut Baumkreuz gegen die Namensnennung:

> Der ungewisse Ausgang der weiteren Ermittlungen, zum Beispiel durch die Auswertung des Flugschreibers, so er gefunden werden sollte.
> Der fehlende Bekanntheitsgrad des Kopiloten sowie fehlende Vorstrafen.
> Der Kopilot hat nicht die Öffentlichkeit gesucht.

Ich halte die beiden ersten Punkte, die für eine Namensnennung sprechen, eher stärker als die Punkte, die dagegen sprechen, zumal ein Mann, der 150 Menschen in den Tod stürzt, die öffentliche Wirkung nicht verdrängt haben dürfte.

Um Persönlichkeitsrechte geht es nicht: Sie kann ein Toter nicht mehr geltend machen. Das „postmortale Persönlichkeitsrecht“ bezieht sich nicht auf den Namen, sondern auf künstlerische Urheberschaft und Verunglimpfung, gegen die Angehörige klagen dürfen. Eine andere Frage ist die Frage der Moral:

> Kann man den Angehörigen des Kopiloten die Namensnennung zumuten?
> Hilft es den Angehörigen der Opfer, wenn sie möglichst genau erfahren, warum ihre Angehörigen oder Freunde gestorben sind?

Und juristisch?
Zur Nennung des Piloten-Namens wird die Rechtsanwalt-Kanzlei Nesselhauf tätig: Sie warnt in einem Schreiben an Redaktionen vor den Folgen der Namensnennung – wohlgemerkt: beim Piloten, der zu den Opfern des Attentats gehört.

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