Müssen Redakteur ständig online sein? „Absolut unnötig“ schreibt ein Leser
Immer vorm „iPhone“? Always on? Der Ruhr-Nachrichten-Autor Daniel Otto bekennt sich zum Motto „Leben, denken, schreiben – alles online“ und sitzt auch am Sonntag zu Hause vor seinem iPhone, als ihn kurz vor 14 Uhr ein Leser erreicht. Er kann ihm nicht sofort helfen und antwortet ihm zwei Minuten später: „Am Montag kümmere ich drum.“
Knapp eine Stunde später schreibt ihm der Leser:
Hallo Herr Otto, eine so schnelle Rückmeldung hatte ich nicht erwartet. Das ist absolut unnötig. Bitte denken Sie auch mal an sich selber, genießen Sie das Wochenende und Ihr Privatleben – schalten Sie Ihr iPhone einfach mal aus. Mein Interesse an der App wird nicht geringer, wenn ich auf die Lösung eines Problems mal ein paar Tage warten muss. Falls Ihre Vorgesetzten Sie zu diesem Daueronline-Einsatz nötigen, dürfen Sie denen meine Mail gerne zeigen. Sie werden das Problem schon lösen.
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Quelle: Kiwits RN-Newsletter 9. Dezember 2015
Jauchs Mängel-Liste: Diese neun Fehler sollte jeder Journalist im Interview vermeiden
Günther Jauchs Sendung am Sonntagabend, die am 1. Advent ausläuft, „ist eher eine Show als ein politischer Talk – eine beunruhigende Entwicklung für ein öffentlich-rechtliches Format!“, kritisierte der ARD Programmbeirat schon 2012. Diese Mängel-Liste kann sich auch jeder Zeitungs- und Magazin-Interviewer zu Herzen nehmen. Das sollte jeder Profi, gleich in welchem Medium, vermeiden:
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Er hakt selten nach,
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er setzt sich teilweise über die Antworten seiner Gäste hinweg,
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er vertritt eine klar erkennbare eigene Meinung,
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er folgt strikt seinem vorgefertigten Konzept,
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er hakt eine Frage nach der anderen ab,
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er schürt mit seinen Suggestivfragen teilweise Politikverdrossenheit und kommt damit der Verpflichtung zur journalistischen Sorgfalt nicht nach,
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er nimmt in den Fragen zumeist auch die Antworten vorweg,
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er geht einer ihm nicht genehmen Gesprächsentwicklung und Konfliktsituationen aus dem Weg, in dem er die andiskutierte Gesprächsschiene nicht weiter verfolgt.
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Die Diskussion verläuft selten ergebnisoffen, schon die Titel der Sendungen enthalten oft eine polarisierende These.
Positiv sollte man werten:
- Er fällt durch seine größtenteils einfach formulierten Fragen auf, so dass auch verschiedene Zielgruppen erreicht werden können,
- er polarisiert.
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Quelle: Bülent Ürük in Kress-Online 27. November 2015
Sozialkitsch? Junge Journalisten und ihr „besorgter Tonfall“
Richard ist in Jenny Erpenbecks neuem Roman ein emeritierter Professor, der am Berliner Alexanderplatz den Hungerstreik von Flüchtlingen beobachtet. Am Abend sieht er in den Nachrichten den Bericht einer jungen Journalistin, die hörbar auf Seiten der Flüchtlinge steht. Und Richard fragt sich:
Ob der besorgte Tonfall inzwischen ein Prüfungsfach ist für Journalisten?
Auch in Redaktionen ist bei jungen Journalistinnen die Sozialreportage beliebt, wenn sie mit viel Gefühl und eindeutiger Botschaft geschrieben ist. Die älteren spötteln gern und nennen es „Sozialkitsch“ und schätzen einen sachlichen und harten Ton in der Reportage. Die Leser mögen beides, wenn auch nicht im Übermaß.
Zurück zum Roman:
Der Professor denkt über „das protestantische Erbe“ seiner Mutter nach, die mit ihm als Säugling aus dem Osten des Reichs geflohen war: Er will das Erbe abschütteln, den „Grundzustand der Reue“, er erinnert sich an die Mutter, die von den Lagern „angeblich“ auch nichts gewusst hat und fragt:
Was war eigentlich, bevor Luther kam, an der Stelle der Seele, an der sich seitdem das schlechte Gewissen breitgemacht hat? Eine gewisse Taubheit ist seit dem Thesenanschlag einfach nur Notwehr, wahrscheinlich.
(Jenny Erpenbeck in „Gehen, ging, gegangen“)
Erste Aufgabe von Journalisten: Die Schneise schlagen in den Nachrichten-Dschungel – zwischen Tasse und Terror
Auch bei Redakteuren schleicht sich bisweilen das Gefühl ein, den Überblick zu verlieren – gerade in wilden Zeiten wie nach dem Terror in Paris: Nachrichten, meist mehr Gerüchte als klare Informationen, jagen sich – und der Alltag in meiner Stadt und meiner Region geht weiter:
in Dortmund wurde die Weihnachtsmarkt-Tasse 2015 vorgestellt, in Alsdorf bei Aachen nahm die Polizei sieben Terror-Verdächtige fest und ließ sie später wieder frei, in Brüssel ist das Fußballspiel zwischen Belgien und Spanien wegen Terrorgefahr abgesagt worden, in Hannover wollte Deutschland in einer Art „Trauerspiel“ auf die Niederlande treffen, aber auch dieses Spiel wurde gestern Abend abgesagt, in Syrien fallen weiter Bomben aus Frankreich vom Himmel, in Dortmund gibt es nicht nur die Tasse und den weltgrößten Weihnachtsbaum, sondern ganz neu auch einen Weihnachts-Elch „Siegi“ (kommt das von Siegen?) mit roter Mütze als Maskottchen … die Gleichzeitigkeit von Nachrichten kann überfordern. Zwischen Tasse und Terror ist es schwer, einen klaren Blick zu behalten. Das Leben geht weiter. Für die, die leben.
So beginnt heute der Newsletter von RN-Chefredakteur Wolfram Kiwit, der bei allem Jammer über die finstere Welt die Aufgabe von Journalisten klar macht: Wir müssen die Schneise schlagen, wir müssen die Welt so zeigen, dass sie die Menschen verstehen können und nicht verzweifeln – eben zwischen Tasse und Terror. Die Aufgabe war noch vor einigen Jahrzehnten einfacher: Da kamen die Nachrichten aus dem Ticker, so langsam, wie es die Technik zuließ; da schnitten Mitarbeiter die langen Agentur-Fahnen einmal in der Stunde zurecht, sortierten sie und brachten sie in die Ressorts; da schlug eine Glocke am Fernschreiber, wenn eine Nachricht der Priorität 1, die Eilmeldung, eintraf; da gab es wenige Hörfunk- und Fernsehsender und kein Internet für jedermann.
1949 schickte dpa täglich gerade mal 19.000 Wörter, das schaffen heute die Nachrichten-Portale im Netz in wenigen Minuten. Schon in den langsamen Ticker-Zeiten murrten die Redakteure: Die Agenturen überschütten uns mit Nachrichten, von denen wir nur einen Bruchteil drucken können.
Die Welt ist schneller geworden, aber nicht besser. Wer als Journalist meint, das Schneise-schlagen gekinge nicht angesichts apokalyptischer Verhältnisse, der solle lieber Dichter werden oder einer Selsbtfindungs-Gruppe beitreten.
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Hinweis: Handbuch des Journalismus, Kapitel „Nachrichtenagenturen“
Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right
Geduld soll der Zuschauer haben. Geduld, wenn bei einem Länderspiel Explosionen zu hören sind und online die ersten Nachrichten über Attentate zu lesen sind. Geduld, fordert Udo Stiehl, freiberuflicher Nachrichtenredakteur für den Hörfunk (WDR und DLF) – als heftige Kritik an der Langsamkeit der ARD in den sozialen Netzwerken zu lesen war. Als ob der Nutzer von Facebook & Co noch Geduld hätte: Das Netz hat ihn zur sofortigen Nachrichten-Aufnahme dressiert, unverdaut, aber schnell, nur schnell.
„Da ist er nun passiert, der so genannte K-Fall (Krisen-Fall)… und die Erwartungen an die Medien sind unerfüllbar hoch… so viele absurde Forderungen habe ich noch nie gelesen“, schreibt Stiehl leicht zornig im Tagesschau-Blog: „Terrorismus in Paris – und eine unerfüllbare Anspruchshaltung“. Stiehl ist – erstaunlich – erstaunt, ja verwirrt über die heftigen Reaktionen in Twitter und auf Facebook. Das erstaunt: Stets nach schockierenden Ereignissen bricht eine solche Kritik über ARD und ZDF herein, aber auch über die meisten anderen Medien.
Stiehls Reaktion ist teilweise devot, teilweise realistisch:
- Devot: Wenn er die Sportreporter, die das Länderspiel moderierten, in Schutz nimmt, aber ihnen auch journalistische Kompetenz abspricht: Die Moderatoren hätten sich auf das Spiel konzentriert – „und nun müssen die Kollegen plötzlich über Entwicklungen berichten, die nicht vorhersehbar sind“.
Journalismus hat stets mit dem Nicht-Vorhersehbaren zu tun, und es ist eine Frage der Professionalität, damit schnell und kompetent umzugehen. Sind Sportjournalisten Fachidioten, die alles, was nicht rund ist, überfordert? Nein, meint Stiehl, und schreibt das Gegenteil: „Die Kollegen vom Sport sind Journalisten, aber sie haben sich – verständlicherweise – nicht zusätzlich auf eine Krisenberichterstattung vorbereitet.“
Als ob sich Attentate und Katastrophen per Telefon zu normalen Redaktionszeiten ankündigen, damit sich Journalisten darauf vorbereiten können!
- Realistisch: „Es kann nur noch improvisiert werden.“ Dabei bleiben die Grundsätze seriösen Journalismus unangetastet: Recherche und gesicherte Informationen. „Aber das dauert! Und diese Geduld müssen nicht nur wir aushalten, sondern auch Sie“, schreibt Stiehl.
Seriöse Medien brauchen Zeit, um die Wahrheit zu erkunden – anders als im Netz. „Auf sämtlichen Kanälen können Spekulationen stattfinden“, so Stiehl, „ohne dass es Fakten bedarf. Aber ist das Journalismus? Reicht Ihnen das aus? Ich hoffe nicht. Ohne journalistische Überprüfung, ohne redaktionelle Bearbeitung und ohne intensive Recherche ist das alles nicht mehr als Voyeurismus. Und das kann es doch nun wirklich nicht sein.“
Also: „Wer verlässliche Berichterstattung wünscht, braucht vor allem eines: Geduld. Und wer die nicht aufbringen möchte, weil er glaubt, Journalisten könnten hexen, zaubern oder sonstige Wunder vollbringen, dem können wir – ganz ehrlich – nicht helfen.“
Und so schwach, wie die Kritiker meinen, war die ARD nicht: Nach dem Länderspiel gab es eine kurze Tagesschau-Sonderausgabe mit dem ersten Bericht der Frankreich-Korrespondentin; es folgten weitere Sonderausgaben. Am nächsten Abend schmiß die ARD das gesamte Abendprogramm um und zeigte Informationen und Analysen statt eines Spielfilms.
Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der „Tatort“ läuft.
Oder die Zentrale blendet kurz einen Sprecher ein, vielleicht in einem kleinen Fenster, der die wenigen Fakten von den vielen Gerüchten trennt, um Geduld bittet, aber den Zuschauern das sichere Gefühl gibt: Wir sind dabei, wir recherchieren – und wenn ihr dabei bleibt, bekommt ihr wirkliche Informationen!
Darauf könnte man sich vorbereiten. Und mit den Sportjournalisten müsste man trainieren: Das ist nichts Ungewöhnliches, weder im Sport und im Journalismus.
Unantastbar bleibt das eherne Gesetz des Journalismus, das in Nachrichtenagenturen jedem Praktikanten am ersten Tag eingebimst wird: Be first, but first be right. „Sei der Erste, aber der Erste, der’s richtig bringt“ – So steht es auch im Nachrichten-Kapitel des „Neuen Handbuch des Journalismus“ auf Seite 116.
Nachtrag: ARD-Moderator Matthias Opdenhövel twittert: „Danke für Schlaumeierkritik aus D. Tut gut nach so einer Nacht im Auge des Terrors.“
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Screenshot Tagesschau
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Facebook-Debatte über Sinn und Übersetzung von „Be fist, but first be right“
Moritz Cremers „Sei der Erste, aber zuerst gehe sicher, dass du das Richtige berichtest.“ Klingt zwar nicht mehr so schön wie die englische Version, trifft aber den Sinn.
Ich bestehe nicht auf die Richtigkeit dieser Erklärung, sondern nur auf die journalistische Korrektheit der Ausgangs-Aussage und auf die kommt es hier an.
Was die prägnante Kürze angeht, sollte die nach meiner Ansicht zugunsten der Verständlichkeit zurücktreten.
Anton Sahlender Die Verständlichkeit ist in Raues Version vorhanden. Ich füge ihr absichtlich aber den journalistischen Grundsatz an: „Richtigkeit vor Schnelligkeit“.
Während Raues Version weiterhin demgegenüber auch eine sehr ehrgeizige Priorität dabei setzt, trotz Richtigkeit doch der Erste zu sein, setzt ihre Version die Priorität bei der Richtigkeit vor der Schnelligkeit. Sie kommt damit dem von mir genannten Grundsatz näher. Sie gibt damit vielleicht aber die ehrgeizige Intention der englischen Aussage nicht wieder. Die will offenbar beides.
Peter Huberth Lieber Anton, meine nur noch rudimentär vorhandenen Kenntnisse der englischen Sprache qualifizieren mich nicht für eine Aufgabe als Nachhilfslehrer.
Helmut Schmidt: Politiker und Journalisten teilen sich das Schicksal…
Politiker und Journalisten. Das sind beides Kategorien von Menschen, denen gegenüber größte Vorsicht geboten ist: Denn beide reichen vom Beinahe-Staatsmann zu Beinahe-Verbrechern. Und der Durchschnitt bleibt Durchschnitt.
Helmut Schmidt In einer Rede vor Studenten in Freiburg, 1995, nach Spiegel Online)
Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten, hat für seinem Newsletter Zitate von Helmut Schmidt gesammelt, der am 10. November 2015 gestorben ist:
- Politiker und Journalisten teilen sich das Schicksal, dass sie heute über Dinge reden, die sie erst morgen ganz verstehen.
- Wer die Vergangenheit nicht studiert, wird ihre Irrtümer wiederholen. Wer sie studiert, wird andere Möglichkeiten zu irren finden
- Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen
- Ohne Kenntnis unserer Geschichte bleibt die Gegenwart unbegreifbar
- Großes wird auf Gipfeltreffen nicht bewegt, aber Schlimmeres verhindert
- Wer Kritik übel nimmt, hat etwas zu verbergen
- Die Eltern haben ihren Erziehungsauftrag an 25 Fernsehkanäle und die Video-Industrie abgegeben
- Ehrlichkeit verlangt nicht, dass man alles sagt, was man denkt. Ehrlichkeit verlangt nur, dass man nichts sagt, was man nicht auch denkt
- Die Toleranz ist nicht grenzenlos. Sie findet ihre Grenze, vielleicht ihre einzige Grenze, in der etwaigen Intoleranz des anderen
- Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden
- Wenn man einen Fehler gemacht hat, muss man sich als erstes fragen, ob man ihn nicht sofort zugeben soll. Leider wird einem das als Schwäche angekreidet
- Wer nicht redet, wird nicht gehört
Neonazis stellen Lokalredakteur unentwegt nach: Die ganze Geschichte
Dortmunder Neonazis brandmarken den Ruhr-Nachrichten-Redakteur Peter Bandermann im Netz als „Volksverräter“, stellen eine Todesanzeige mit seinem Namen ins Netz, werfen Farbbeutel auf sein Haus. Als Peter Bandermann ein Brötchen beim Bäcker kaufen will, wird er von statdtbekannten Neonazis umstellt, bedrängt und genötigt. Er zeigt sie an, doch die Staatsanwaltschaft sieht nur eine subjektive Belästigung und keine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“. Sein Chefredakteur Kiwit veröffentlicht in seinem Newsletter den Brief der Staatsanwaltschaft und kommentiert: „Ein rechtsstaatliches Armutszeugnis und ein Freibrief für die Neonazis“.
Nachdem in diesem Blog der Fall dokumentiert worden war, gab es auch kritische Stimmen und den Vorwurf, unfair gegenüber der Staatsanwaltschaft zu sein: Was ist genau passiert? Was heißt „bedrängen und nötigen“? Hat die Staatsanwaltschaft nicht einfach „vorschriftsmäßig“ gehandelt?
Peter Bandermann selber schildert ausführlich die Anfeindungen der Neonazis in einer Mail an diesen Blog:
Bis dahin ertragene Anpöbeleien auf Demonstrationen oder Verunglimpfungen im Internet waren Vorläufer für eine Verschärfung der Repressionen. Ende November 2014 veröffentlichten Dortmunder Neonazis im Internet eine Liste mit 10 Dortmunder Namen, die als Volksverräter gebrandmarkt wurden. Vor ihren Privathäusern sollten Demonstrationen stattfinden. Über die Auswahl von drei „Nominierten“ sollte abgestimmt werden.
Die Wahl fiel auf den Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau, auf ein weiteres SPD-Mitglied und auf mich als Redakteur der Ruhr Nachrichten. Ich beobachte und berichte in Dortmund seit 15 Jahren.
Nach einem von der Polizei ausgesprochenen Verbot gegen den Demo-Anmelder, die Versammlung direkt vor meiner Haustür stattfinden zu lassen, gab es Aufrufe im Internet, mich dennoch zu „besuchen“. Zunächst wurden in meiner Nachbarschaft Flugblätter über mich verteilt. In der Nacht zum 2. Weihnachtstag 2014 kam es zu einem Farbanschlag auf das Haus, in dem ich zur Miete wohne. Die Täter wurden nicht ermittelt. Das Verfahren wurde sechs Wochen später eingestellt.
Im Februar 2015 wurden im Internet eine Todesanzeige mit meinem Namen und die Ankündigung meines bevorstehenden Todes veröffentlicht. Ein Ermittlungsergebnis gibt es bislang nicht.
Ende August 2015 veranstaltete das Zentrum für politische Schönheit in Berlin vor einem von mehreren Neonazis bewohnten Haus im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld ein Schauspiel. Dafür war ich als Reporter eingesetzt. Nach Beendigung dieser Kunstaktion war ich auf dem Weg zum versteckt abgestellten PKW. Neonazis erkannten, verfolgten und stellten mich überraschend in einem Ladenlokal und veröffentlichten die gefilmte Szene im Internet.
Wir erhalten anonyme Anrufe mit elektronisch verstellten Anrufen und erhalten Post, u. a. ein Infoblatt über das Gefängnis in Bautzen sowie Kataloge mit Nazi-Devotionalien. Hinzu kommen online veröffentlichte „Hinweise“ auf den Umgang mit Volkverrätern in früheren Zeiten.
In einer der Anzeigen ist umfangreich dargestellt worden, welche Methoden die Bedroher wählen.
Nico Fried tritt zurück: Der letzte „Spreebogen“ mit viel Geschwurbel
Als Kurt Kister seine Samstags-Kolumne in der SZ aufgab, um sich als Chefredakteur in vielen Konferenzen zu langweilen, da war ich sicher: Das ist der Tod der besten Politik-Kolumne unserer Republik. Wer konnte es wagen, sich mit Kisters feiner Ironie und seinem Wissen des Politik-Betriebs zu messen, mit Kisters eigenem Erzähl-Ton und einer Melancholie, die überdeckt, wie einer an dieser Demokratie und ihren Akteuren leidet.
Nico Fried wagte es, ein Kister-Schüler, der in die meisten seiner „Spreebogen“-Kolumnen einen Satz einschob als Running-Gag: „Wenn man einen Chefredakteur hat, der früher mal mein Büroleiter war…“ Nico Fried, seit acht Jahren SZ-Chef in Berlin, hat nicht versucht, Kister zu kopieren; er hat seinen eigenen Ton gefunden, ein wenig milder, ein wenig liebevoller. Er selbst sah sich so in einem „Spreebogen“, als sein Kollege Hulverscheidt nach Amerika ging:
Gelegentlich haben Claus Hulverscheidt und ich auch gemeinsam Artikel geschrieben, besonders gerne über Wolfgang Schäuble. Hulverscheidt war für die Fakten zuständig, ich fürs Geschwurbel. Einmal kamen wir mit so einem Text unter die letzten ichweißnichtwievielten beim Henri-Nannen-Preis, einer renommierten Auszeichnung für Journalisten. Weil die Geschichte keine Reportage war, nahm uns die Jury in die Kategorie Essay. Das war ungefähr so, als würde man bei einem Kochwettbewerb einen Toast Hawaii mit Knäckebrot zulassen. Wir haben den Preis am Ende nicht gewonnen, uns aber gegenseitig fortan voller Ehrfurcht als Essayisten angesprochen.
Eines hat Fried mit Kister doch gemeinsam: Die Liebe zu unserem Land, zur Freiheit und zur Demokratie. Beide würden abstreiten, dass es Liebe ist, Kister noch mehr als Fried. Liebe wäre zu viel Gefühl, meinten sie, wahrscheinlich.
Nun hört auch Fried auf: Welch ein Verlust! Der Samstag hatte immer ein großes Versprechen parat: Den „Spreebogen“. Wer klug war unter den Lesern, überblätterte fünfzig Seiten und schaute zuerst auf den linken Rand im Gesellschaftsteil. In seinem letzten „Spreebogen“ spricht Fried über – Rücktritte; er erzählt von den Politikern, mit denen er über ihren Rücktritt gesprochen hat: Müntfering, Merkel, Seehofer. Und dann verkündet ein großer Kolumnist seinen Rücktritt, seinen eigenen:
Ich habe neulich ein ernstes Gespräch mit mir geführt. Ich habe nicht gesagt: Tritt zurück. Ich wollte nicht blöd dastehen, wenn ich geantwortet hätte: Nö. Stattdessen habe ich mich dazu gebracht, von selbst draufzukommen. Deshalb ist dieser Spreebogen der letzte. Sonst schreibt noch einer, es sei auch höchste Zeit gewesen.
Ich schreibe es nicht, ich weiß, mir wird etwas fehlen am Samstagmorgen.
Die Revolution war nicht die Revolution der Redakteure, gleichwohl begeisterte sie die Freiheit (Interview: 25 Jahre Einheit)
Das ist eine Frage, die im Westen gestellt wird: Warum, liebe Ostdeutsche, seid Ihr noch nicht wie wir? Diese Frage mögen Ostdeutsche nicht, weil ein Unterton mitschwingt: Wir haben Euch eine Billion Euro Entwicklungshilfe gegeben, so dass Eure Straßen besser sind als unsere; wir erwarten auch ein wenig Dank und wollen nicht mehr das ewige Genörgel hören!
Viele Westdeutsche vergessen: Es gab vor der Revolution keinen DDR-Bürger, der etwas anderes als Diktatur erfahren hatte – erst die Nazis, dann die sowjetischen Besatzer, dann die SED. Das steckt in der Seele, das können sie mit noch so viel Euros und Autobahnen nicht heilen. Und nach der Revolution mussten die Ostdeutschen komplett ihr Leben und ihren Alltag ändern, nichts, wirklich nichts blieb mehr, wie es vorher war. Und irgendwann konnten die Ostdeutschen all die guten Ratschläge aus dem Westen nicht mehr hören. Kurz: Sie vermissten und vermissen Respekt.
Gerade in der aktuellen Frage der Aufnahme von Flüchtlingen scheint das Land extrem gespalten: Während im sächsischen Heidenau ein Mob das Flüchtlingslager angreift, gehen die Bilder der Münchner um die Welt, die am Bahnhof Flüchtlinge willkommen heißen. Trügen diese Bidler? Oder woher kommen diese Unterschiede?
So extrem gespalten sind wir nicht. Die Angst vor den Fremden ist im Westen ähnlich verbreitet wie im Osten – und in anderen Ländern Europas übrigens noch stärker. Aber Sie bedienen mit Ihrer Frage ein typisch westdeutsches Vorurteil: Der Osten ist braun. Sie können München und Heidenau vergleichen, aber sie könnten auch Erfurt mit Weissach und Remchingen vergleichen: In Thüringen ein herzlicher Empfang und große Hilfe, im Südwesten brennende Asylbewerber-Heime. Aber das Aufrechnen bringt wenig: Wir haben ein gesamtdeutsches Problem und ein noch viel größeres europäisches.
Belegen nicht sämtliche Zahlen, dass die Fremdenfeindlichkeit im Osten um einiges höher ist als im Westen? In keiner westdeutschen Stadt gab es pogromartige Vorkommnisse wie in Hoyerswerda, Rostock oder zuletzt Heidenau.
Generalisierung ist in der Tat falsch. Die meisten Ostdeutschen sind nicht fremdenfeindlich, auch wenn korrekt ist: Es sind mehr als im Westen. Aber die schiefe Darstellung fängt schon in der „Tagesschau“ und in den Zeitungen an: Heidenau bekommt einen Spitzenplatz in den Nachrichten, während ein brennendes Flüchtlingsheim in Baden-Württemberg hinten im Meldungsblock zu finden ist. Auch Medien folgen ihren Vorurteilen und Vorlieben. Selbst der Bundespräsident sprach wieder von „Dunkeldeutschland“ – und suggerierte: Der Osten ist der dunkle Teil Deutschlands.
Teilen Sie die Ansicht, dass die Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern ein Erbe der DDR, des selbsternannten „besseren Deutschlands“ ist?
In der Tat wirkt im Osten die SED-Propaganda nach, die den Menschen suggerierte: Wir in der DDR haben aufgeräumt, wir sind die saubere, das nazifreie Deutschland.
Was ist daran korrekt? Im Adenauer-Deutschland wollte man schnell den Wohlstand, kümmerte sich kaum um die Nazi-Vergangenheit, berief Nazis sogar zum Generalbundesanwalt oder als Bundesminister; es gab mehr Nazis in hohen Ämtern als in der DDR, die allerdings in den Aufbau-Jahren auch auf Nazis nicht verzichtet hat.
Im Westen stellten die Achtundsechziger dann ihren Eltern unbarmherzig Fragen wie: Was habt Ihr gemacht, als die SS die Juden aus Eurer Nachbarschaft vertrieb? Diese Debatten haben die westliche Gesellschaft massiv verändert. In der DDR musste sich keiner die Fragen stellen, der Staat nahm die Antwort ab: Macht Euch keine Gedanken, wir haben alles richtig gemacht – im Gegensatz zum revanchistischen und kapitalistischen Westen! Gleichzeitig sperrte man die Gastarbeiter in Gettos, zwang Frauen aus Vietnam oder Angola, die schwanger wurden, zur Abtreibung oder zum Verlassen der DDR: Also keine Spur von Willkommenskultur in der DDR, sondern nur aufgesetzte Freundschafts-Parolen.
Der Gesellschaft im Osten fehlt die Erfahrung, die Fragen nach dem richtigen Leben in einer Diktatur, gleich welcher, zu stellen. Das war und ist eine Aufgabe für Politiker, Lehrer und Redakteure – auch wenn sie dabei niemals in begeisterte Gesichter schauen: Die Menschen wittern gleich Gefahr, wenn diese Debatte droht. Sie reagieren durchweg mit Abwehr: Ihr wollt unser Leben miesmachen, wollt Jahrzehnte unseres Lebens entwerten – übrigens ein Vorwurf, den Westdeutsche schnell zu hören bekommen, wenn sie mitreden wollen.
Die Reaktion ist verständlich: Was die Seele bedrückt, wird als Tabu in die Kulissen geschoben. Aber dieses Tabu taugt nicht in einer offenen Gesellschaft, schadet der Demokratie. So sieht der Magdeburger Psychoanalytiker Jörg Frommer auch ein „kleines 68“ im Osten, sieht die Jungen, die hellwach sind, aber nicht laut aufbegehren gegen die Älteren, sondern einfach aufbrechen – und machen.

ERSTAUSGABE TA nach der Wende – als Teil einer aktuellen Serie „25 Jahre Thüringen“ in der Thüringer Allgemeine
Thomas Schmid äußerte in der Welt die Befürchtung, dass bei den anstehenden Einheitsfeierlichkeiten diese Konflikte unter den Tisch gekehrt würden. Fehlt uns eine offene und ehrliche Diskussion über die Einheit?
Ja. Es geht dabei weniger um Offenheit und Ehrlichkeit, also um die Debatte überhaupt: Die meisten im Westen interessieren sich nicht für den Osten, und je weiter sie gen Westen oder Süden kommen, umso erschreckender ist das Unwissen, von Empathie ganz zu schweigen.
Andererseits ist die Diskussion auch nicht einfach zu führen: Die Älteren im Osten haben sich meist abgeschottet, empfinden die Westdeutschen als arrogant und besserwisserisch – und haben sich hinter einer unsichtbaren Mauer angenehm eingerichtet. Bisweilen glaube ich: In dem Leben der meisten Ostdeutschen ist so viel geschehen, dass sie müde geworden sind, dass sie meinen: Es reicht für ein Leben, nun soll es mir einfach nur mal gut gehen.
Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Unvollendete Revolution“ geschrieben. Darin sagen Sie aber auch, selten sei eine Revolution im Abendland so gelungen wie diese. Wie passt das zusammen?
Es ist ein realistischer Blick. Keine der Revolutionen nach Ende des Kalten Kriegs war erfolgreich: Schauen Sie nach Russland, in die Ukraine, in den Balkan, nach Nordafrika. Nur eine gelang wirklich; dabei hatten wir Deutschen keine Erfahrung mit Revolutionen, aber gleich die erste gelang. Und wir sollten stets bedenken: Diese erfolgreiche Revolution haben die DDR-Bürger hinbekommen, nicht die Westdeutschen; die schauten nur im Fernsehen zu.
Wir sind unbestritten ein Staat und in ein, zwei Generationen auch ein Volk. Es mag noch einige Unverbesserliche geben, die sich nach der DDR zurücksehnen, die überwältigende Mehrheit fühlt sich wohl in dem neuen Deutschland. Wir haben nicht die Probleme wie die Briten mit Schottland oder Spanien mit Katalonien.
Deutschland ist einfach reicher geworden, an Menschen, an Erfahrung, an Kultur (ein Drittel des deutschen Welterbes liegt im kleinen Osten), an Natur. Viele in Europa und der Welt beneiden uns.
Sie haben die Vereinigung journalistisch begleitet, ja sie journalistisch mitgestaltet. Sie waren Korrespondent in der DDR, gründeten als Chefredakteur der Oberhessischen Presse die Eisenacher Presse, waren Chefredakteur in Magdeburg und Braunschweig und schließlich bei der Thüringer Allgemeinen in Erfurt. Welchen Lokaljournalismus fanden Sie 1989/90 im Osten Deutschlands vor?
Einen ängstlichen – auch wenn die DDR-Redakteure im Lokalteil ein wenig mehr zwischen den Zeilen schreiben konnten als im politischen Teil. So war der Lokalteil der meistgelesene in den DDR-Zeitungen; das war auch der Grund für den Erfolg der gewendeten SED-Zeitungen, während die Neugründungen aus dem Westen durchweg scheiterten.
Die Lokalredakteure schrieben in der DDR vor allem über ihre Funktionäre und Helden der Arbeit, priesen den Sozialismus und waren, im heutigen Verständnis, Pressesprecher der Partei. Da viele DDR-Bürger zwar West-Fernsehen schauen konnten, aber keine West-Zeitungen lesen durften, war der Lokaljournalismus, vor allem der politische, völlig unbekannt – auch bei den Redakteuren.

Das Buch zu 25 Jahre Einheit ist im Klartext-Verlag erschienen.
Als Sie als Westdeutscher Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen wurden, der ersten Zeitung, die sich in der DDR für unabhängig erklärt hatte, gab es jede Menge ablehnende Leserzuschriften, wie man Ihrem Buch entnehmen kann. Was haben Sie da gedacht?
Wenig. Einsam war’s, und da besinnt man sich auf seine Professionalität und verlangt sie auch von den Mitarbeitern.
Sie haben bei der Braunschweiger Zeitung das Konzept Bürgerzeitung entwickelt – mit großem Erfolg. Wie wurde das Konzept später in Erfurt, als Sie bei der Thüringer Allgemeinen waren, angenommen?
Die Ostdeutschen diskutieren gerne. Das taten sie schon in der DDR reichlich, schrieben unentwegt Eingaben; das war auch möglich, wenn sie die Tabus beachteten. So nutzten die Leser der TA sehr schnell die Möglichkeiten, mit ihren Meinungen in die Zeitung zu kommen, auch die Querdenker, Nörgler und Besserwisser. Schon nach wenigen Wochen haben wir die tägliche „Leser-Seite“ eingeführt, auf der – gestaltet wie eine schöne redaktionelle Seite – nur unsere Leser zu Wort kommen. Den Redakteuren war das anfangs unheimlich, bei einigen ist das heute noch so.
Es blieb nicht bei der Leser-Seite, immer wieder beziehen wir unsere Leser mit ein, so dass die Thüringer Allgemeine mittlerweile eine exzellente Bürgerzeitung ist, das beweisen uns auch alle Leser-Untersuchungen: Die Menschen wollen nicht nur wissen, was Redakteure und Politiker meinen, sondern auch wie und was ihre Nachbarn denken und wie sie sich in der Gesellschaft engagieren.
Sie sprechen von einem „Demokratie-Defizit“, das Sie als Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen erlebt hätten. Inwiefern?
Die Redakteure waren nach der Revolution, die ja nicht die Revolution der Redakteure war, gleichwohl von der Freiheit begeistert, so wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Aber die meisten Redakteure schauten auf den ersten Satz, auf die Meinungsfreiheit. Endlich durften sie kommentieren, was die Druckerschwärze hergab.
Dass aber die Pressefreiheit nicht nur Sonderrechte bietet, sondern auch Pflichten, war weniger bekannt: Die Demokratie zu stärken, die Bürger zu beteiligen und ihnen eine Stimme zu geben, die Mächtigen zu kontrollieren und die Leser verständlich und umfassend zu informieren – vor allem in den Städten und Kreisen – und in die Hinterzimmer der Macht zu leuchten. Nur so lebt die Demokratie.
Die Menschen sind 1989 für Demokratie, die D-Mark, die Wiedervereinigung auf die Straße gegangen. Wie konnte das alles so schnell wieder in ein Ressentiment gegen Demokratie und Marktwirtschaft kippen? War der Westen zu wenig feinfühlig?
Feinfühligkeit war nicht die Stärke des Westens, aber sie war auch nicht vonnöten: Der Westen spielte in der Revolution nur eine Zuschauer-Rolle. Die Menschen im Osten waren die Akteure, die haben nicht für Bananen, die haben für die Freiheit gekämpft, alles andere war hübsches Beiwerk. Für eine Reise nach Mallorca riskiere ich nicht mein Leben, für die Freiheit, mein Leben selber planen zu können, riskiere ich es schon, wenn ich genügend Mitstreiter finde.
Und da ist auch nichts umgekippt: Nur eine Minderheit im Osten will zurück in die Diktatur; die Hälfte fühlt sich als Gewinner der Einheit, nur – oder immerhin – ein Viertel als Verlierer. Allerdings haben die Ostdeutschen, zum Teil schmerzhaft, die Kehrseite der Freiheit erleiden müssen: Die Demokratie, die sie bekamen, war nicht die des Werbe-Fernsehens, sondern die der „Tagesschau“, in der auch Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit ein Thema war.
Offenbar laufen Revolutionen nach dem Muster ab: Die Diktatur steigert die Sehnsucht nach Freiheit, die Revolution übersteigt sie, es folgt der Jammer. So war das auch nach der deutschen Revolution: Sanfte Träume und Utopien prallten gegen die harte Wand der Wirklichkeit. Die Ostdeutschen wollten Freiheit und bekamen Westdeutsche, die mit Buschzulage Verwaltung und Justiz einführten.
Ich zitiere in meinem Buch eine Reihe von Umfragen, die belegen: Es gibt so gut wie keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West, wenn es um die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben geht (sie ist hoch); geht es um die Zuversicht, ist sie im Osten sogar höher als im Westen, vor allem bei den 16- bis 29-Jährigen.
Wenn Sie heute in die Zukunft blicken: Was stimmt Sie dennoch hoffnungsfroh?
Kein „dennoch“! Für Revolutionen gibt es keine Generalproben, „Fehler“ entdeckt man erst im Nachhinein: Wer in rund neun Monaten eine Demokratie, Marktwirtschaft, freie Medien und einen Rechtstaat einführt, der müsste eigentlich scheitern. Deutschland ist nicht gescheitert, wir haben vieles richtig gemacht und können das, was nicht rund läuft, verbessern – und sollten es auch tun.
Thüringen zum Beispiel hat, relativ gesehen, weniger Arbeitslose als Nordrhein-Westfalen und auch weit mehr Menschen in Beschäftigung. Die Liste der Erfolge ist lang, die der Defizite ist allerdings auch nicht klein.
Wer uns große Hoffnung verspricht, sind die Jungen, die Dritte Generation Ost – das sind die zweieinhalb Millionen, die zur Wende noch in die Schule gingen. Die sind der Jammerei überdrüssig, sie sind hungrig, viel hungriger als die meisten im Westen, sie wollen raus in die Welt, wo immer sie einen Platz für sich sehen, aber sie schätzen ihre Heimat. Was für eine Chance für unser Land!
Sie sagen, Ihr Buch sei kein Geschichtsbuch, eher aber ein Geschichtenbuch. Ich finde, es ist auch ein Erinnerungsbuch. Welche Rolle wird die Erinnerung zukünftig in einer Welt von Facebook, Google und Smartphones spielen?
Erinnerung ist das halbe Leben oder noch mehr. Da spielt es keine Rolle, ob sie die Geschichten am Lagerfeuer erzählen, in Moritaten, Büchern, Zeitungen oder auf Smartphones. Und die jungen Leute, die Smartphone-Generation, sind geradezu begehrlich, wenn es um die Erfahrungen der Alten geht. Wenn Sie mit Ostdeutschen sprechen, hören sie von den Älteren oft das Argument: „Macht ein Ende mit der Rückschau, mit den Stasi- und Opfern-Geschichten! Die wollen die jungen Leute einfach nicht hören.“ Aber das Gegenteil ist der Fall, die Jungen wollen wissen, wie das Leben in der Diktatur war – nicht als Vorlage für eine Anklage, sondern als Erfahrung, von der sie lernen wollen in der Freiheit, die sie genießen.
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Für wen schreiben wir? Für uns selber oder für die Leser?
Journalisten sollten nicht darüber rätseln, was die Leserinnen und Leser wollen, sie sollen ehrlich sagen, was ihnen selber wichtig ist. Für mich ist es das Schreiben und Lesen. Ich mag keine schlecht geschriebenen Artikel, und wenn ich lese, will ich keine Videos dazu sehen.
Jean-Martin Büttner im Newsletter der MAZ, der Schweizer Journalistenschule: Er ist laut Newsletter mehrfach ausgezeichneter Journalist und Redaktor beim Tages-Anzeiger. Er antwortet auf die Frage „Immer mehr konvergent arbeitende Redaktionen mit Journalisten, die mehrere Kanäle bedienen sollen: Verliert das Schreiben als klassisches Handwerk an Bedeutung?“
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