Alle Artikel der Rubrik "G 29 Journalisten manipulieren"

Journalisten manipulieren und inszenieren: Die Femen-Aktion zu Weihnachten im Kölner Dom

Geschrieben am 30. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

„Viele Ereignisse werden eigens inszeniert, damit über sie berichtet werden kann“, steht im Handbuch-Kapitel „Die meisten Journalisten sind unkritisch“. Hans Leyendecker deckt in der Süddeutschen Zeitung auf, dass der Tanz einer halbnackten Philosophie-Studentin inszeniert war – während der Weihnachtsmesse auf dem Altar im Kölner Dom, vor den Augen des Kardinals Meissner.

1. Femen bekommen ein spezielles Training für ihre Nackt-Provokationen.

2. Die Paparazzo-Agentur „Hans Paul Media“ aus Sydney will eine Nachricht aus dem Umfeld der Frau bekommen haben, wollte exklusiv berichten und stellte einen Kameramann in den Dom. Hans Paul zu Leyendecker: „Leider kam unserem Paparazzo in Köln der Express in die Quere und nahm uns die Exklusivität.“ Dadurch sei ein Schaden von hunderttausend Eurp entstanden, auch wenn die Fotos an die englische Sun, in die USA und nach Südamerika verkauft werden konnten.

3. Der Kölner Express fotografierte die Studentin vor ihrer Aktion, als sie mit Kopftuch und Kleidung in der ersten Reihe saß. Der Fotograf jagte auch hinter der Frau her, als beim ersten Lied nach vorne stürmte und sich die Kleider vom Leib riß, auf dem „I am God“ geschrieben war.

4. Die Chefredaktion des Express berief sich laut Leyendecker auf Informantenschutz und verurteilt solche Aktionen prinzipiell – nachdem die Zeitung die Bilder gedruckt hatte: „So missbrauchen Aktivisten unseren Dom“.

5. Leyendecker rechnet mit einer Bewährungsstrafe für die Feministin und gegen den Fotografen möglicherweise mit einem Verfahren wegen Beihilfe.

Quelle: Süddeutsche, „Halbnackte Wahrheit“ vom 30. Dezember 2013

Von Überschriften und vom Verschweigen (Zitate des Journalismus 8)

Geschrieben am 30. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Es sprach der Zeitungsredakteur: Eine Schlagzeile muß her!
Ich glaube fast das isse: Hornist erschlägt Hornisse

Erhard Horst Bellermann, Bauingenieur, Dichter und Aphoristiker (Lodz, 1937)

**

Schlimm ist nicht, was die Journalisten schreiben.
Schlimm ist, was sie verschweigen

Gerhard Kocher, Schweizer Publizist (Bern, 1939)

Quelle: Jahresprogramm der ABZV

Wie PR die Nachrichten erobert: Die Huffington Post nun auch deutsch

Geschrieben am 11. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein PR-Berater kommt zur Huffington Post, um die Pressemitteilungen loszuwerden, die seriöse Tageszeitungen nicht drucken, schreibt die FAZ nach der Pressekonferenz zum Start der deutschen Huffington Post. Weiter lesen wir: „Dass viele von den Bloggern Geld von Firmen bekommen, deren Werbebotschaften sie verbreiten, ist leicht zu erahnen.

In dem Internet-Anzeigenblatt Huffington Post, in der 15 Redakteure bezahlt arbeiten, kann jeder schreiben unter der Bedingung, dass er kein Honorar bekommt. Ziel der Burda-Tochter, die in Deutschland drei Millionen investieren will, ist es, die Huffington Post zu den drei bis fünf größten Nachrichten-Portalen aufsteigen zu lassen. Wie gesagt: Nachrichten-Portal, nicht PR-Portal. Frau von der Leyen schreibt auch.

Quelle: FAZ 11.10.2013

Wann wird ein Gesicht gepixelt? (Frage eines Lesers)

Geschrieben am 7. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Warum werden Straftäter, auch wenn sie eindeutig gesucht werden und entlarvt sind, in Videos und Fotos oft verpixelt dargestellt?

Ein Leser fragt, in der Samstag-Kolumne antwortet der TA-Chefredakteur:

Solange ein Bürger nur angeklagt und nicht verurteilt ist, gilt die Vermutung der Unschuld. Also dürfen weder Polizei noch Zeitungen die Gesichter zeigen, es sei denn die Angeklagten sind öffentlich bekannte Persönlichkeiten wie beispielsweise der ehemalige Bundespräsident Wulff, der sich bald vor Gericht verantworten muss.

Wäre Wulff ein einfacher, kaum bekannter Bürger, käme sein Bild nicht in die Zeitung – bei einem relativ geringen Vorwurf wie der Vorteilsnahme.

Wer nur für kurze Zeit ins Gefängnis geht, hat auch ein Recht, dass sein Gesicht nicht öffentlich gezeigt wird: Hat er seine Strafe abgesessen, soll er ein normales Leben führen dürfen. Kennen viele Menschen sein Gesicht, wirkt ein Foto wie ein lebenslanger Pranger und eine lebenslange Strafe.

Sucht die Polizei einen mutmaßlichen Gewaltverbrecher, der auf der Flucht ist, gibt sie zur Fahndung ein Foto heraus, das auch von unserer Zeitung gedruckt wird ohne eine Verfremdung des Gesichts.

Unproblematisch ist dies nicht: Im Internet wird dies Foto für alle Zeiten sichtbar sein, auch wenn sich die Unschuld herausstellen sollte.

Dankbar bin ich Ihnen für diese Zeilen am Ende Ihres Briefs:

Die TA schreibt meinen Namen unter meinen Leserbrief, weil ich mit meinem Namen auch zu dem stehe, was ich sage. Das aber beweist meine Naivität. Schlaue Kommentatoren schreiben nämlich unter Pseudonym oder verfassen böse Briefe mit falschem Namen. Leider ist in solchen Fällen eine ehrliche mutige Diskussion nicht möglich.

Ich versichere Ihnen: Sie sind nicht naiv, Sie beweisen im Gegenteil Zivilcourage! Wer sich in die öffentliche Diskussion einmischt, sollte sein Gesicht zeigen – von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenn sich ein Leser sorgt um Leib und Leben.

Auch wenn uns ein Leser informiert über Machenschaften, beispielsweise in einer Behörde, dann garantieren wir ihm Anonymität – auch gegenüber Staatsanwalt und Polizei.

Leser, die unter falschem Namen schreiben, sind nicht schlau, vielmehr betrügen sie die anderen Leser unserer Zeitung. Doch kommt dieser Betrug nur sehr selten vor, weil wir in der Regel die Identität prüfen.
Dass Leser mir ihrem guten Namen für ihre Meinung einstehen, ist der große Vorzug der Zeitung vor dem Internet. Dort wird zu oft beleidigt, beschimpft, besudelt – von Menschen, die sich hinter einem Pseudonym verstecken. Ich stelle mir eine Demokratie anders vor, eben so wie wir in der Zeitung miteinander umgehen und diskutieren.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 7. September

Der erste Band der „Bibliothek des Journalismus“: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt

Geschrieben am 31. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Er ist ein Getriebener, ein Schwarz-Weiß-Seher, ein Himmelhochjauchzendundzutodebetrübter, atemlos mit dem geschriebenen wie dem gesprochenen Wort.

So schreibt Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig über Hans Hoffmeister, 22 Jahre Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung; er wurde, der am Freitag in den Ruhestand verabschiedet wurde (30. August 2013). Machnig war einer der 250 Gäste, die zum Abschied in den Weimarer „Elephant“ gekommen waren. Machnig, auch ein Politiker starker Worte. schreibt weiter:

Das feine Florett war nicht Hoffmeisters Waffe, eher die schwere Nagelkeule.

Machnigs Einschätzung ist zu lesen in einem Interview-Buch, das Paul-Josef Raue, Autor dieses Blogs, über Hans Hoffmeister verfasst hat; es ist der erste Band der neu gegründeten „Bibliothek des Journalismus“, die im Klartext-Verlag erscheint mit Raue als Herausgeber:

Paul-Josef Raue: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt. Klartext-Verlag, 163 Seiten, 13,95 Euro

„Wir haben nicht über die Wende berichtet. Wir haben sie gemacht“, sagt Hans Hoffmeister in dem fünfstündigem Interview, in dem der scheidende Chefredakteur ausführlich seinen Anfang in Thüringen direkt nach der Wende erzählt. Die Kapitel-Überschriften führen durch das Buch wie durch das Hoffmeistersche Leben. In der ersten Hälfte sind die Wende und die folgenden Jahre das Thema:

> „Eine Affekthandlung“ – Hoffmeisters Aufbruch in den Osten
> „So war der wilde Osten“ – Der Start der „Tagespost“ in Eisenach
> „Wie sollten sie denn plötzlich Demokraten sein?“ – Die ersten Tage in der Weimarer Redaktion
> „Nicht nur nicken, auch handeln“ – Die ersten Jahre der TLZ
> „Harmonie ist mir suspekt“ – Wie es dem Westdeutschen im Osten erging.

Im zweiten Teil erzählt Hans Hoffmeister aus seinem Leben und von seinen Anfängen als Journalist im Westen: „Es wurde unfassbar viel gesoffen“. Immer wieder räsonieren die beiden Chefredakteure auch über den Journalismus, seine Werte und Regeln.

Zwei Auffassungen von Journalismus prallen in dem Interview aufeinander:

> Hoffmeister bekennt sich zur Einmischung der Redaktion in die Politik, er nimmt Partei, ist gegen die Trennung von Nachricht und Meinung und begründet dies so: „Ich will nicht, dass dieses Land, mein Land, Schaden nimmt“.

> Paul-Josef Raue, Chefredakteur der konkurrierenden Thüringer Allgemeine (TA), plädiert dagegen für eine Distanz, die dem Leser die Freiheit lässt, selber ein Urteil zu bilden, und zitiert den TV-Moderator Friedrich: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“

Im Anhang antworten 21 Prominente auf die Frage „Hatten Sie Angst vor Hans Hoffmeister:

Erfurts MDR-Funkhaus-Chef Werner Dieste:

Viel spannender ist die Frage: Hat Hans Hoffmeister in den vielen Jahren in der Weimarer Marienstraße manchmal Angst gehabt – gar vor sich selbst?

TA-Redakteur Henryk Goldberg:

Ich habe ein wenig Angst vor einer Fähigkeit, die Hans Hoffmeister auszeichnet, und die mir seit 1990 abhandenkam: Sich so ganz, so rückhaltlos einer Sache hinzugeben.“
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht: „Wir sind stolz darauf, dass er Bürger unseres Landes ist.

Ex-Jenoptik-Chef Lothar Späth:

Parlaments- und Regierungsvertreter hatten bei ihm kaum eine Chance, ihre Sicht der Dinge vorzutragen. Am liebsten hätte er das Ganze selbst übernommen.

Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie über Hoffmeisters Samstagkommentar, das „Schlüsselloch“:

Im Schlüsselloch ließ Hans Hoffmeister nicht selten das Fallbeil auf Politiker nieder. Mich traf es auch, aber ich lebe noch.

Wahlkampf: Wenn Parteien ihre Mitglieder zu Leserbriefen animieren

Geschrieben am 22. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser, der ungenannt bleiben will, schickt mir einen Brief und erzählt: Ein Verwandter hörte in einer internen Partei-Versammlung, dass die Mitglieder die Leserseite der TA zu Wahlkampf-Zwecken nutzen sollten. Auch die Themen gab man vor:

Altersarmut, Kinderarmut, korrupte Politiker, „Ossigkeit“ in allen Formen wie Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit.

Offenbar hat diese Partei ihr Ziel erreicht, ihre Anordnung geht voll auf, schreibt unser Leser. Genau die von der Partei befohlenen Themen füllen die Leser-Seite; er nennt zwei Beispiele:
+ Da berichtet ein fast 90-jähriger und schließt mit den Worten „armes Deutschland“. Wann in seinem Leben war es denn besser?

+ Da schreibt eine Mittfünfzigerin über ihre Arbeits- und Perspektivlosigkeit: „Ich wohne in einem 100-Seelendorf mit schlechter Verkehrsanbindung und habe keine Fahrerlaubnis und bekomme keine Arbeit.“ Tausende sind dahin gezogen, wo es Arbeit gibt; Tausende haben die Fahrerlaubnis gemacht und pendeln täglich mehrere Stunden…

Wie kommt es, fragt unser Leser, dass die Mehrheit der Thüringer für die Regierung votiert, aber auf der Leser-Seite sich zu 95 Prozent die Unzufriedenen einer Partei finden?

Schreiben die anderen nicht?, merkt unser Leser noch an. „Das sind aber die Leistungsträger, die mit Pendlerzeit 12 Stunden am Tag tätig sind und keine Zeit zum Schreiben haben.“

Wahl-Tagebuch in der Thüringer Allgemeine, 23. August 2013

Margot Käßmann und die Sünden der Journalisten

Geschrieben am 27. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Wäre es Ihnen so wichtig, dass Ihnen Ihre Sünden vorgehalten werden?

fragt die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann die Spiegel-Reporter Jan Fleischhauer und Rene Pfister, die ihre Frage anhängen: „Gehört das nicht zu Ihren Aufgaben?“

Käßmann:

Na gut, wenn ich an das achte Gebot denke – „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ -, fällt mir bei Journalisten einiges ein. Wir könnten zum Beispiel darüber sprechen, was es für sie bedeutet, dass Luthers Kleiner Katechismus dazu schreibt:

Ihr sollt Euren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.

Spiegel 30/2013, Seite 45

Der 17. Juni, BILD – und die „DDR“ in Tüttelchen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Sprache fällt nicht vom Himmel und nur selten aus dem Maul des Volks. Sprache wird öfter von Politikern, aber auch von Journalisten manipuliert; sie ist selber ein Politikum.

Wer in Artikel von westdeutschen Zeitungen schaut, die nach dem 17. Juni 1953 erschienen, liest selten von der „DDR“, sondern von der „Sowjetzone“, der „SBZ“, der „ Ostzone“ oder einfach von der „Zone“. Das Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Brandenburg nennt die Wörter Ostzone und Zone „derb“, der Duden nennt sie „veraltet, oft abwertend“.

Der Duden hat Recht. Wer von der „Zone“ schrieb oder sprach, der meinte: Die Bürger sind nicht frei, leiden noch unter der Knute der sowjetischen Besatzer – im Gegensatz zur freien Republik im Westen, die sich weitgehend von den Besatzern abgenabelt hat. Sprache verrät die Haltung.

In der Bildzeitung oder in der „Welt“ schrieben die Journalisten bis in den Sommer 1989 hinein die „DDR“ mit Tüttelchen – als ein Zeichen, so der Chefredakteur, „für unseren Standpunkt zu Freiheit und Selbstbestimmung“. Deutlicher kann man nicht festlegen, dass Wörter politisch sind und ein Mittel im Meinungs-Streit – auch gegen die Wirklichkeit.

Als „Welt“ und „Bild“ im August 1989 die „DDR-Tüttelchen“ abschafften, schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Der Versuch hat sich überlebt habe, Journalismus gegen die Wirklichkeit zu betreiben.

Die Süddeutsche Zeitung konnte ihre Ironie nicht halten und kommentierte „Den Staatslenkern des real existierenden Sozialismus wird schon etwas fehlen, wenn sie zum ersten Male ungeschützt in ‚Bild‘ entdecken werden – die DDR, ganz nackt!“ Die Bildzeitung blieb
ungerührt: „Wir ändern die Schreibweise, nicht die Überzeugung.“

Die DDR-Staatsführung und die SED-Zeitungen wehrten sich auf ihre Weise und nannten den Westen: „BRD“. Und wer im Westen „BRD“ schrieb, wurde überführt als Kommunist und Verfassungsfeind.

Und das Volk, dem wir abschließend aufs Maul schauen, sprach schlicht von „drüben“ – was auf beiden Seiten funktionierte und richtig war und ist, bis heute.

Thüringer Allgemeine 17. Juni 2013 (Kolumne Friedhof der Wörter)

Fotos bearbeiten: Wieviel Manipulation darf sein?

Geschrieben am 6. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.

Wie stark darf man ein Foto digital bearbeiten? Wann wird die Wahrheit eines Bildes verfälscht? Nahezu jedes Jahr wird die Debatte geführt, wenn die besten journalistischen Bilder des Jahres gekürt werden, die Worldpress-Fotos – so auch in diesem Jahr über das Foto, das einen Trauerzug in Gaza zeigt.

Auch im Blog der Nachrichtenagentur AP ist die Fotobearbeitung ein Thema; in den internen Richtlinien von AP ist festgelegt, dass geringfügige Anpassungen in Photoshop erlaubt sind. Allerdings ist verboten: Nachträgliche Änderung von Belichtung, Kontrast, Farbwerten und -sättigung, die die Aufnahme entscheidend verändert.

Wie viel Manipulation darf sich eine Lokalredaktion erlauben, zumal viele Redakteure mit Photoshop arbeiten und im Volontariat die Technik gelernt haben. Die THÜRINGER ALLGEMEINE hat in der Wochenend-Beilage ein Interview mit ihren Fotografen Marco Kneise und Alexander Volkmann geführt über ethische Grenzen bei der Bildbearbeitung:

Den Möglichkeiten zur nachträglichen Bildbearbeitung in der Digitalfotografie sind ja kaum Grenzen gesetzt. Wie aber stelle ich sicher, dass die Fotos in meiner Zeitung authentisch sind?

Volkmann: Bei uns Fotografen der Thüringer Allgemeine gilt ein strenger Kodex, wonach Bildbearbeitung nur in dem Rahmen erlaubt ist, wie er auch in der Dunkelkammer hätte gemacht werden können.

Also beispielsweise die Farbstimmung verändern?

Kneise: Ja genau. Im Fotolabor können wir – anders als bei digitalen Fotos – an dem Negativbild ja keine Details mehr verändern. Möglich ist dort allenfalls Helligkeit, Kontraste oder Farbe über die Wahl von Belichtungszeiten, Fotopapier oder Entwicklungszeiten zu verändern. Auch das so genannte Abwedeln ist im Labor möglich und damit in der digitalen Bildbearbeitung erlaubt.

Was ist Abwedeln?

Kneise: Das bezeichnet eine moderate Veränderung der Kontrastumfänge in einzelnen Bildbereichen. Wenn eine Person im Schatten vor einer hellen Lichtquelle kaum zu sehen ist, kann ich diese Person auf dem Bild sichtbarer machen, wenn ich den Bereich im Labor nicht so stark belichte wie den Rest des Bildes. Das geht natürlich auch in der digitalen Nachbearbeitung am Computer.

Mehr Veränderung ist nicht erlaubt?

Volkmann: Wenn wir bei der Thüringer Allgemeine Veränderungen an den Bildern vornehmen, die darüber hinausgehen, müssen wir das als Fotomontage oder als nachbearbeitet kenntlich machen.

Als Manipulation bekannt geworden ist ja das Bild von der winkenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, der die Schweißflecken unter den Achseln wegretuschiert wurden. Sollte so etwas nicht doch erlaubt werden?

Kneise: Nochmal, wenn man das Bild als bearbeitet kennzeichnet, geht das in Ordnung. Aber wo würde Manipulation anfangen und wo aufhören, wenn alle möglichen begründbaren Ausnahmen zugelassen wären. Das Bild mit Achselflecken ist nun einmal die Realität. Und der Wahrheit ist der Journalismus nun einmal verpflichtet.

Zeitungen werden von Agenturen beliefert. Wie kann man sicherstellen, dass die Bilder dort nicht zuvor bearbeitet wurden?

Volkmann: Zum einen gilt solch ein Kodex auch für jede seriöse Nachrichtenagentur. Manch internationale Agentur geht sogar so weit, die stellen nur die Rohdaten der Bilder ein. Ob die Kunden dann an der Farbe, der Helligkeit oder den Kontrasten ändern, liegt dann in deren Ermessen.

Und selbst haben Sie noch nie das Bedürfnis verspürt, etwas wegzuretuschieren?

Kneise: Nein. Manchmal schießt man ein tolles Bild aus der Situation heraus. Und dann läuft im Hintergrund jemand durch das Bild. Das ist dann ärgerlich. Aber nicht zu ändern.
Volkmann: Da denkt man nicht dran. Wenn solche Manipulationen nachträglich herauskommen würden, wären sie sofort Gesprächsthema auf allen Fotografenstammtischen.

So wie das Worldpress-Foto 2012. Das soll ja auch bearbeitet worden sein.

Kneise: Ist es auch. Die Farbe und die Kontraste vor allem. Aber das ist, wie gesagt, erlaubt. Ich denke, das Bild – es zeigt einen Trauerzug durch Gaza-Stadt – wird zu Unrecht kritisiert.

THÜRINGER ALLGEMEINE, 1. Juni 2013 (Thüringen Sonntag)

NSU-Prozess: Wenn Zschäpe vom Teufel besessen ist, geht sie uns nichts mehr an (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

„Der Teufel hat sich schick gemacht“ – lautete am Dienstag die Schlagzeile der Bildzeitung. Beate Zschäpe wird als Teufel identifiziert, wobei die Boulevardzeitung die Geschlechtsumwandlung nicht stört: Der Teufel wird zur Frau.

Die Redaktion spielt auf einen erfolgreichen Film an: „Der Teufel trägt Prada“. Meryl Streep spielt die von Macht berauschte und schöne Chefredakteurin, die feine Sache trägt, nicht nur Prada. Der Film ist eine Satire.

Der NSU-Prozess ist Wirklichkeit. Erst Elitz, Kommentator der Bildzeitung, schreibt: „Das Böse hat ein Gesicht. Beate Zschäpe“; der Kommentator war immerhin Intendant von Deutschlandradio Kultur, einem angesehenen Sender in Deutschland.

Dürfen wir einen Menschen einen „Teufel“ nennen? Im Alltag denken wir uns wenig dabei. „Teufel“ ist leicht jeder, der seine Macht offen zeigt. Selbst Kinder, die ihren Willen testen, nennen wir „kleine Teufel“ – und nicht selten lächeln wir dabei.

Aber ein „Teufel“ auf der Anklagebank? Das ist nicht mehr zum Lachen, das ist Vorverurteilung, das ist Zerstörung, Dämonisierung eines Menschen, der nicht verurteilt ist. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.

In seinem Roman „Der Name der Rose“ lässt Umberto Eco seinen Helden, den Mönch William, mit einem Abt über das Wirken des Teufels diskutieren. Kann es sein, so William, dass die Richter und das ganze Volk sehnlichst eine Präsenz des Bösen wünschen? „Vielleicht ist das überhaupt der einzige wahre Grund für das Wirken des Teufels: die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen.“

Wer vom Teufel besessen ist, ist von einer fremden bösen Macht gesteuert. Dann können wir uns zurücklehnen und sagen: Sie ist keine von uns, das geht uns nichts an.

Thüringer Allgemeine, geplant für die Kolumne „Friedhof der Wörter“ am 13. Mai 2013

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