Alle Artikel der Rubrik "G. Wie Journalisten informieren"

Von Überschriften und vom Verschweigen (Zitate des Journalismus 8)

Geschrieben am 30. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Es sprach der Zeitungsredakteur: Eine Schlagzeile muß her!
Ich glaube fast das isse: Hornist erschlägt Hornisse

Erhard Horst Bellermann, Bauingenieur, Dichter und Aphoristiker (Lodz, 1937)

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Schlimm ist nicht, was die Journalisten schreiben.
Schlimm ist, was sie verschweigen

Gerhard Kocher, Schweizer Publizist (Bern, 1939)

Quelle: Jahresprogramm der ABZV

Der Unterschied zwischen Literatur und Journalismus (Zitate des Journalismus 5)

Geschrieben am 26. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Unterschied zwischen Literatur und Journalismus besteht darin,
dass der Journalismus unlesbar ist und die Literatur nicht gelesen wird

Oscar Wilde, irischer Schriftsteller (Dublin – Paris, 1854-1900)

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Tu erst das Notwendige,
dann das Mögliche,
und plötzlich schaffst du das Unmögliche

Franz von Assisi, italienischer Ordensgründer und katholischer Heiliger (Assisi, 1181 oder 1182-1226)

Quelle: Jahresprogramm der ABZV

Der Oberlehrer im Journalisten (Zitate des Journalismus, 4)

Geschrieben am 24. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in G. Wie Journalisten informieren.

Manche Journalisten scheinen ihre Aufgabe darin zu erblicken, anderen zu erklären, was sie selber nicht verstehen

Markus M. Ronner, Schweizer Theologe, Publizist und Journalist (Bern, 1938)

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Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer

Lucius Annaeus Seneca, römischer Philosoph und Dichter (Corduba – Rom, 4v. Chr.-65 n.Chr.)

Quelle: Programmheft ABZV

Verkürzung und Vereinfachung, Polemik und Emotion (Zitate des Journalismus, 2)

Geschrieben am 22. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Journalismus, wenn er erfolgreich sein soll, lässt sich nicht ohne Verkürzung und Vereinfachung, Polemik und Emotion betreiben, was immer unsere puristischen Sonntagsredner dazu sagen mögen

Horst Stern, Journalist, Filmemacher und Schriftsteller (Stettin, 1922)

Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren

Vincent van Gogh, niederländischer Maler (Groot-Zundert – Auvers-sur-Oise, 1853-1890)

Quelle: ABZV-Bildungsprogramm

Korrespondent in Israel: Mittags als Reporter im Krieg, abends als Familienvater zu Hause

Geschrieben am 21. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Korrespondent in Israel – das ist wohl der einzige Platz in der Welt, wo man als Reporter von einem ausgewachsenen Krieg berichten und abends bei der Familie schlafen kann. Sagt Christian Sievers, Leiter des ZDF-Studios in Tel Aviv. „Alles ist ganz nah“ – und stellt fest, dass Israel ein flächenmäßig kleines Land ist, umgeben von Ländern mit Krieg, Aufruhr, Terror und instabilen politischen Verhältnissen.

Dennoch stehen Krieg und Unfrieden bei den Nachbarn nicht ganz vorne in den israelischen Medien, sondern mehr die sozialen Unruhen in Israel – die kaum bezahlbaren Mieten, die teure Milch, die schwindenden Karriere-Chancen in der Mittelschicht. „So jagen die israelischen Medien jeden Tag eine neue Sau durchs Land, aber am nächsten Tag ist davon nichts mehr zu sehen. Es fehlt das nachfassende Element“, stellt der ZDF-Korrespondent Sievers fest und nennt diese Art von Aufmachern „One-Day-Stories“.

So träumen immer mehr israelische Jugendliche vom Ausstieg aus dem Land, sind die Flüge von Tel Aviv nach Berlin stets ausgebucht. „Das ist schon fast eine Schieflage, wie begeistert die jungen Israelis von Berlin sind, von Deutschland überhaupt“, kommentiert Gisela Dachs, seit zwei Jahrzehnten Korrespondentin der Zeit in Israel. „Die jungen Deutschen werfen den Israelis ihre Probleme mit den Palästinensern vor; die jungen Israelis werfen den jungen Deutschen nichts mehr vor.“

Für die Enkelgeneration steht die Shoa offenbar nicht mehr im Vordergrund. „Die jungen Israelis interessiert der Rechtsextremismus in Deutschland nicht, auch nicht die Morde der NSU“, stellt Gisela Dachs fest.

Der junge Torsten Teichmann ist Leiter des ARD-Hörfunks in Tel Aviv. „Ich bringe viele Geschichten in den Jugendwellen der einzelnen Sender unter“, erzählt er; offenbar ist das Interesse an Israel bei den jungen Deutschen groß.

Das Interesse an Israel, dem Iran und dem Nahen Osten in Deutschland scheint in der Tag groß zu sein, nicht nur bei den Jungen: So plant Richard Schneider, seit vier Jahren Chef des ARD-Studios in Tel Aviv, für den 31. März einen 90-Minuten (!)-Film über den Nahen Osten.

Schneider ist Jude und wollte schon vor 15 Jahren als Korrespondent nach Israel. „Damals schickte man mich nicht nach Israel, weil ich Jude bin. Vor 8 Jahren schickte man mich doch. Die Zeiten hatten sich geändert.“

Quelle: Diskussion mit Israel-Korrespondenten in Tel Aviv bei einer Reise der Bundeszentrale für politische Bildung anlässlich von „50 Jahren Studienreise nach Israel“

Wie PR die Nachrichten erobert: Die Huffington Post nun auch deutsch

Geschrieben am 11. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein PR-Berater kommt zur Huffington Post, um die Pressemitteilungen loszuwerden, die seriöse Tageszeitungen nicht drucken, schreibt die FAZ nach der Pressekonferenz zum Start der deutschen Huffington Post. Weiter lesen wir: „Dass viele von den Bloggern Geld von Firmen bekommen, deren Werbebotschaften sie verbreiten, ist leicht zu erahnen.

In dem Internet-Anzeigenblatt Huffington Post, in der 15 Redakteure bezahlt arbeiten, kann jeder schreiben unter der Bedingung, dass er kein Honorar bekommt. Ziel der Burda-Tochter, die in Deutschland drei Millionen investieren will, ist es, die Huffington Post zu den drei bis fünf größten Nachrichten-Portalen aufsteigen zu lassen. Wie gesagt: Nachrichten-Portal, nicht PR-Portal. Frau von der Leyen schreibt auch.

Quelle: FAZ 11.10.2013

Der Papst über Chefredakteure: Häufig sind sie Narzissten

Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, G 26 Interview, L 46 Wer hat die Macht?.

Narzissmus ist nicht gut und kann nur groben Schaden anrichten. Das schädigt nicht nur die Seele, sondern auch die Beziehungen zu den Mitmenschen, die Gesellschaft, in der wir leben. Das wirklich Schlimme ist, dass vom Narzissmus, der in Wahrheit eine mentale Störung ist, am meisten Personen mit viel Macht betroffen sind. Häufig sind die Chefs Narzissten.

Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischen Journalisten und Agnostiker Eugenio Scalfari. Also sind nicht nur Chefredakteure gemeint, sondern alle Mächtigen, auch alle Journalisten, die sich dem einfachen Volk überlegen fühlen und dem Rest der Journalisten sowieso.

Der Papst nennt auch seine Vorgänger:

Die Kirchenführer sind häufig Narzissten gewesen. Sie waren geschmeichelt und in schlechter Weise freudig erregt über ihre Höflinge. Der Hof ist die Lepra des Pontifikats.

Es gibt viele Höfe, überall.

Quelle des Zitats: Welt 5.10.2013

Bedingungen fürs Interview: Fotos löschen bei Missgefallen

Geschrieben am 9. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Alle Fotos sind vorzulegen; bei Missgefallen dürfen die Porträts nicht gedruckt werden. Das ist Bedingung 1 fürs Interview. Unanständig? Ja, und der Spiegel würde sie nicht akzeptieren, wenn Angela Merkel oder Udo Lindenberg zum Interview erschiene. Aber ein Diktator, über den die ganze Welt spricht?

Bei Assad akzeptierte der Spiegel – und so hätte wohl jeder Journalist entschieden. Dieter Bednarz und Klaus Brinkbäumer, die das Interview führten, akzeptierten auch Bedingung 2: Keine Fotos von Giftgasopfern auf der Interview-Strecke im Blatt.

Vorbildlich erzählen die Reporter ihren Lesern, unter welchen Bedingungen das Interview zustande kam: Drei Stunden dauerten die Verhandlungen am Tag vor dem Interview.

Die Reporter stellten alle Fragen, auch alle harte Fragen, die zu Assad einfallen: „Wären Sie ein aufrichtiger Patriot, dann würden Sie zurücktreten…“ und „Die Legitimität Ihrer Präsidentschaft bestreiten nicht nur wir…“ und „Zurück zu den Chemiewaffen… Chemiewaffen sind kein Grund zum Lachen…“

Assad autorisierte das Interview ohne Änderungen. Ein starkes Interview!

Quelle: Spiegel 41/21ß

Die Einheitsfrage mutet die „Zeit“ nur ihren Ost-Lesern zu

Geschrieben am 3. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

„Ist der Westen noch der Maßstab?“, fragt die Zeit 18 Deutsche, davon die Mehrheit im Westen geboren. Sie nennt die Frage die „Einheitsfrage“ und stellt fest: Das Verhältnis zwischen Ost und West hat sich grundlegend geändert.

Das mag sein – aber nicht für die Zeit. Denn die Antworten auf die Frage stehen nur in der Ost-Ausgabe, also nahezu unter Ausschluss der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Den Lesern im Westen mutet man weder Frage noch Antworten zu. Kann eine Redaktion deutlicher machen, was sie von den Menschen im Osten hält?

Die klügste Antwort gibt die Schauspielerin Claudia Michelsen, die bald ihre Premiere feiern darf als Kommissarin im Magdeburger „Tatort“. Sie stellt eine Gegenfrage:

Die Frage, inwieweit der Westen noch Maßstab ist, klingt für mich fast wie eine Drohung. War der Westen jemals Maßstab?

Die Ost-Leser bekommen die „Zeit im Osten“ als vier zusätzliche Seiten am Ende des ersten Buchs. Da geht das schönste Stück Übersichtlichkeit für die Ost-Zeitler verloren: Die komplette Inhalts-Übersicht auf der letzten Seite des ersten Buchs ist ein exzellenter Service. Der Inhalt, auf eine viertel Seite geschrumpft, steht im Osten auf der drittletzten Seite. Welch ein Verlust!

„Wo eine gute Lokalredaktion ist, verändert sich die Politik einer Stadt“ – Interview, Deutscher Lokaljournalistenpreis

Geschrieben am 29. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Für die Serie „Die Treuhand“, einer Geschichte über die friedliche Revolution auf dem Arbeitsmarkt, wird die Thüringer Allgemeine neben dem Hamburger Abendblatt in diesem Jahr mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet.

Vor der Preisverleihung am 30. September auf der Wartburg hat der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Paul-Josef Raue, im Interview mit der Online-Redaktion der KAS das Konzept hinter der Serie vorgestellt und sich über die wachsende Bedeutung des Lokalen geäußert.(Podcast auf kas.de)

Herr Raue, herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Lokaljournalistenpreis, den Sie sich mit dem Hamburger Abendblatt teilen. Sie erhalten den Preis für die Serie „Treuhand in Thüringen“, die vorbildlich zeigt, wie ein brisantes politisches Thema lokal und regional umgesetzt und damit eine lebendige Debatte entfacht wird. In einem Leserbrief an die Thüringer Allgemeine heißt es: „Die Serie ‚Treuhand in Thüringen’ ist sehr interessant, bringt sie doch zum Ausdruck, was in der Zeit des Umbruches so gelaufen ist oder auch nicht’.“ Bitte schildern Sie uns, welches Konzept hinter der Serie steckt.

Raue: „Die Treuhand“ ist im Grunde die Geschichte der friedlichen Revolution auf dem Arbeitsmarkt. Da die DDR-Wirtschaft völlig zusammengebrochen ist, waren mit einem Schlag Millionen von Menschen arbeitslos. Man musste also zusehen, dass man die Unternehmen aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft bekommt, den Menschen möglichst viele Arbeitsplätze anbietet und viele Firmen in die neue Zeit hinein retten kann.

Wenn man allein das schon sieht, ahnt man, wie viele Millionen menschliche Schicksale sich dahinter verbergen. Es gab kein historisches Vorbild. Es gab eine friedliche Revolution, dann ist ein System zusammengebrochen und es musste ein neues Wirtschaftssystem etabliert werden – das hat vorher keiner geschafft und es war vorher auch noch keiner in dieser Lage.

Diese Zeit hat sehr viel Elend über die Menschen gebracht, aber auf der anderen Seite ist eine Wirtschaft entstanden, die sich mittlerweile mit den meisten Volkswirtschaften in Europa messen kann. Thüringen ist das wirtschaftlich stärkste der fünf neuen Bundesländer.

Aber die drei, vier Jahre nach der Wende sind seltsamerweise aus dem Bewusstsein der Menschen ausgeklammert. Man kann sogar sagen, es ist ein Tabu geworden. Die am lautesten ihre Kritik äußern, sagen, alles was schlecht an der Wiedervereinigung war, ist Treuhand. Auf politischer Ebene wird dies von den Linken als Beweis dafür genommen, dass der Westen den Osten bis heute nicht ernst nehmen würde.

Zwischen diesen beiden Positionen schwanken die Meinungen. Die Menschen sehen diese Zeit rückblickend als nicht besonders positiv. Wir wollten das Thema aus der Tabu-Zone holen und haben nachgeforscht – was bisher keiner getan hat – wir wollten wissen, was wirklich in der Zeit passiert ist.

Welche Abläufe gab es? Stimmen die Vorurteile? Müssen wir die Vorurteile revidieren? Wer hat was getan? Wir haben gemerkt, dass wir dazu mit den Menschen reden und in die Archive gehen müssen. Und schlussendlich auch aufschreiben müssen. Das hat uns etwa anderthalb Jahre gekostet.

Daraus ist eine 60-teilige Serie entstanden, die weitergeführt wird und ein Buch, dass sich auch im Westen sehr gut verkauft. Hinzu kommt noch der Preis, über den wir uns sehr gefreut haben.

Der Deutsche Lokaljournalistenpreis gilt als einer der renommiertesten Preise seiner Branche. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat einmal gesagt, der Preis sei einer der bedeutendsten Auszeichnung für Regionalzeitungen im deutschsprachigen Raum. Den Preis erhält man nicht einfach so, sondern man muss sich bewerben und vor einer fachkundigen Jury um Dieter Golombek bestehen. Was war für Sie initiativ, um sich für den Preis zu bewerben?

Es ist das dritte Jahr, in dem wir uns mit einer historischen Serie beworben haben. „Treuhand“ ist Teil einer Trilogie. Wir wollten die Zeit der Revolution und der davor aufarbeiten und für die Menschen lebendig machen. Wichtig ist dabei, sie nicht Historikern zu überlassen, sondern Menschen zu Wort kommen zu lassen.

Der erste Teil hieß „Meine Wende“ und hatte auch einen Spezialpreis beim Lokaljournalistenpreis vor zwei Jahren erhalten. Darin haben Menschen geschildert, wie sie seelisch die Wende – wobei ich das Wort nicht mag – diesen Umschwung mitbekommen haben. Es war nicht die Frage, wann ich in Eschwege das erste Mal einkaufen war, sondern was ist mit mir seelisch passiert. Ein höchst bewegendes und auch widersprüchliches Buch.

Der zweite Teil der Trilogie war die Grenzwanderung. Wir sind den größten Teil der alten Grenze von Thüringen abgewandert. Meter für Meter sind wir wochenlang gelaufen und haben geschildert, wie es den Menschen heute und zur Zeit der Wende ging und natürlich auch das geschildert, was vorher passiert ist. Wir haben die Geschichte der Grenze beschrieben, worüber kurioserweise zuvor keiner geschrieben hatte.

Der dritte Teil behandelt das Tabuthema Wirtschaft. In der Serie wird die friedliche Revolution noch einmal in der Erfahrung der Menschen gespiegelt, die ihre Arbeit verloren oder wiedergewonnen haben. Was man in dem Zusammenhang nicht vergessen darf, ist, dass sehr viele sich selbständig gemacht haben. Thüringen ist ein Musterbeispiel für mittelständische Industrie und sogar Weltmarktführer in einigen Nischenprodukten.

In der Serie haben wir die Frage gestellt: Wie ist das entstanden und was hat es mit den Menschen gemacht? Weil wir die Trilogie damit abgeschlossen haben, haben wir uns damit beworben und auf einen der kleineren Preise gehofft. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir den ersten Platz beim Deutschen Lokaljournalistenpreis erhalten.

Was bedeutet Ihnen persönlich diese Auszeichnung und was bedeutet Ihrer Redaktion dieser Preis?

Ich habe nicht zum ersten Mal diesen Preis gewonnen, aber es war der, über den ich mich am meisten gefreut habe. Es war auch der, der am schwersten erarbeitet worden ist. Als ich nach Erfurt kam, folgte ich einem Chefredakteur, der fast 20 Jahre die Redaktion geleitet hat. Hinzu kam, dass ich der erste Westdeutsche in leitender Position war. Da hat die Redaktion auch mit sich und dem Chefredakteur gerungen und es gab Auseinandersetzungen, die zum Teil auch öffentlich waren.

Ich will es so sagen: Es hat der Redaktion gut getan, denn sie hat gemerkt, dass diese Kämpfe nicht nur innere oder Abwehrkämpfe waren, sondern die Redaktion hat auch gezeigt, welche Kraft in ihr steckt – was sie an Recherche schafft, an journalistischer Potenz und Professionalität besitzt. Dieser Preis ist für die Redaktion enorm wichtig.

Wir merken gerade jetzt, dass wir im Vergleich zu anderen Lokalzeitungen die intensivste und durchdachteste Berichterstattung vom NSU-Prozess haben. Wir sind jeden Tag mit mindestens einem Redakteur im Gerichtssaal dabei und sehr stark online. Dieser Preis unterstreicht die Professionalität der Redaktion und er hat Kräfte freigesetzt, die die Thüringer Allgemeine zu einer der großen Zeitungen machen wird.

In Zeiten von Globalisierung und weltweiter Mobilität erlebt Heimatverbundenheit eine Renaissance. Die Lokalzeitungen stellen sich mit unterschiedlichem Erfolg auf das Bedürfnis nach noch mehr Berichterstattung über lokale Ereignisse ein. Ist diese Entwicklung eine Gegenreaktion auf die Vielfalt und Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt?

So wird es immer dargestellt. Man muss sich mal die Geschichte dieses Preises anschauen. Vor gut 30 Jahren hat man angefangen dem Lokaljournalismus die Bedeutung in Deutschland zu geben, die er verdient. Damals wusste man noch gar nicht, dass irgendwann das Internet kommt. Lokaljournalismus ist für eine Demokratie extrem wichtig, weil so die Menschen verstehen, wie ein Gemeinwesen tickt, wie es funktioniert – und dass man sich engagieren kann. Dafür braucht es aber einen funktionierenden Journalismus und eine Zeitungslandschaft.

Damals war es der Sprecher der Jury, Dieter Golombek, der das Lokaljournalistenprogramm aufgesetzt hat. Ich glaube, in den vier Jahrzehnten hat sich der Lokaljournalismus von einer Honoratioren-Berichterstattung hin zu einer wirklich ernstzunehmenden Professionalität entwickelt.

Wenn Sie sich die Entwicklung des Preises anschauen, sehen Sie das ziemlich gut. Ich denke, dass die Entwicklung unserer Demokratie sehr viel damit zu tun hat, und der Lokaljournalismus sehr viel stärker geworden ist. Er ist kritischer in den Städten geworden.

Ich bin davon überzeugt, wo eine gute Lokalredaktion ist, verändert sich auch eine Politik in einer Stadt. Wenn ich einiges nicht mehr in meinem Hinterstübchen machen kann und damit rechnen muss, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, mache ich eine andere Politik. Erstmal hat das mit dem Internet relativ wenig zutun.

Aber es hat damit zutun, dass Menschen sich für ihre Nachbarschaft und ihre unmittelbare Umgebung interessieren, denn da können sie etwas bewirken.

In Brüssel oder in New York bei der Uno etwas zu bewirken – da muss man schon sehr euphorisch sein. Aber in seiner eigenen Stadt oder Dorf etwas zu bewegen, dafür muss man nicht euphorisch sein, das kann man lernen und dazu braucht es die Lokalzeitungen, um seine Chancen zu erkennen.

Dieter Golombek sagte einmal in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen: „Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, die Leser mit Neuigkeiten zu versorgen.“ Wie sieht für Sie die Zukunft des Lokaljournalismus’ aus?

Das ist richtig. Aktualität spielt allerdings auch noch im Lokalen eine Rolle. Man sollte das nicht unterschätzen. Die Zeitungen haben das Privileg des aktuellsten Mediums endgültig an das Internet und Fernsehen abgegeben. In der Stadt ist es noch ein bisschen anders. Zumal es auch Zeitungen sind, die das Neue erst herausbekommen und recherchieren müssen. Sie glauben gar nicht, was hinter alten Rathausmauern alles passiert und was alles keiner mitbekommen soll. Das ist das eine.

Das zweite ist, den Menschen zu erklären, was dort passiert. Nehmen Sie die Serie „Treuhand“. Es muss jemand Zeit, Geduld und das Können besitzen, um in 30.000 Dokumenten zu suchen und zu schauen, was damals passiert ist. Einen Großteil dieser Dokumente sollten wir eigentlich gar nicht erhalten. Die liegen noch irgendwo verschlossen. Darum geht es: Du musst den Menschen das Fundament des Gemeinwesens zeigen, in dem wir leben und das unsere Heimat ist.

Dies ist die Hauptaufgabe von Lokalzeitungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Ob dies auf Papier oder im Internet geschieht, wird sich zeigen. Ich denke aber, dass das Papier im Lokalen noch sehr wichtig sein wird. Weil, wenn man länger und intensiver lesen möchte, ist das Papier das bessere Trägermedium.

Immer wieder wird den Zeitungen insgesamt vorgeworfen, nicht genügend neue Ideen für kreative Geschäftsmodelle zu haben. Stimmt das? Wenn ja: Was sind die Gründe? Gibt es Geschäftsmodelle mit denen der Lokaljournalismus überleben kann? Zum Beispiel aktuell das Leistungsschutzrecht für Presseverlage?

Ich denke, das Leistungsschutzrecht zeigt den Weg an, in den das Ganze gehen muss. Das wir unsere Inhalte verschenken, ist unsinnig, denn jemand muss unseren Journalismus bezahlen. Guter Journalismus ist sehr teuer. Das funktioniert im Augenblick noch, indem quer subventionieren. Aber die Diskussion scheint mir beendet zu sein. Wir wissen, dass wir unsere Inhalte im Print- und Onlinebereich verkaufen müssen.

Die entscheidende Frage, die nun kommen wird, ist: Sind es dieselben Formate, mit denen wir Zeitungsleser und Onlineleser gewinnen können? Dazu kann ich ein Beispiel aus der vergangenen Woche geben. In Erfurt gibt es ein großes Festival namens „Domstufenfestspiele“. Wir haben zum ersten Mal einen Liveticker von einer Opernpremiere gemacht. Das war eine Mischung aus Erlebnisschilderungen, Bildern und Videos. Die Menschen vor Ort haben sich dazu eingeschaltet, und es gab einen Dialog mit den Lesern. Das sind Formate, mit denen wir experimentieren müssen.

Was sich dann schlussendlich in Geld verwandeln lässt, wird sich zeigen. Der Lokaljournalismus war in den vergangenen Jahren sehr innovativ, und wir werden auch in der Onlinewelt viel Neues entdecken. Die Treuhand-Serie ist mittlerweile ein großes Archiv, in dem viele Firmen zu finden sind. Die Serie werden wir sicherlich irgendwann bezahlbar machen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Wir haben den Preis zusammen mit dem Hamburger Abendblatt gewonnen. Die Kollegen haben den Preis für die Vermessung Hamburgs bekommen. Auch wir haben zurzeit eine Serie laufen, die heißt „Thüringen vermessen“, aber sie unterscheidet sich ein wenig von den Hamburgern.

Sie werden sämtliche Orte Thüringens dort wiederfinden. Das wird natürlich ein Angebot für jemanden, der nach Thüringen zieht oder geschäftliche Beziehungen knüpfen will, sein. Er kann es dann nutzen und bezahlt dafür.

Am 30. September erhalten Sie in einem Festakt die Urkunde für den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Wissen Sie schon, wo die Urkunde einen festen Platz bekommen wird?

Die Redaktion ist in einem Loft mit Blick auf den Thüringer Wald untergebracht, dort haben wir eine große Wand. An dieser wird sie dann als dritte Auszeichnung der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgehängt. Doch der diesjährige Preis ist uns der liebste, weil er der erste Preis ist. Darauf sind wir sehr stolz.

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

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