Alle Artikel mit dem Schlagwort " Kontrolle der Mächtigen"

Ude (1): Kein Berufsstand so mimosenhaft wie Journalisten

Geschrieben am 11. November 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 11. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Schon die Bemerkung, dass eine Jahreszahl in der Zeitung verwechselt wurde, gilt als ein Anschlag auf die Pressefreiheit. Kein Berufsstand ist so mimosenhaft wie der der Journalisten – obwohl es doch ihr Beruf ist zu kritisieren. Das Phänomen habe ich nicht ergründen können.“

Christian Ude, Münchens Oberbürgermeister, in seiner Rede beim Lokaljournalismus-Kongress des Netzwerk Recherche.

Kritik ist das Lebenselixier der Demokratie, sagen Journalisten zu Recht. Warum sind sie dann so mimosenhaft? Politiker teilen auch aus und stecken ein und gehen nachher ein Bier trinken. Das wünsche ich mir auch von Journalisten.

„Welche Spielchen werden mit der freien Presse gespielt?“

Geschrieben am 5. November 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 5. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Welchen Einfluss haben Politiker auf Redakteure? Diese Frage beschäftigt nach der CSU-ZDF-Affäre auch die Leser von Tageszeitungen. Ein Leser der Thüringer Allgemeine reagierte auf die TA-Samstags-Kolumne „Leser fragen“, in der die stetigen, aber erfolglosen Rügen der Politiker thematisiert waren:

Man „rügt“ Sie, wie Sie schreiben, „immer wieder“. Sind das etwa „Leute“, die an oder in der Regierung sind oder politische Pöstchen haben?

Hier denke ich an Herrn Dr. Strepp und das ZDF!

Ich frage Sie, Herr Chefredakteur, welche Spielchen werden mit uns und der ‚sogenannten‘ freien Presse gemacht in unserem schönen Thüringenland; der alte Vogel und Althaus sind doch nicht mehr da. Aber sicher gibt es neue Akteure, die Telefone bedienen können.

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortete in der TA:

Weder auf die Leser-Seite noch auf die Artikel der Redakteure haben Politiker einen Zugriff. In der Tat rufen Minister bisweilen an, mal in scharfem Ton, mal in gesteigerter Tonstärke, mal umwerbend, mal umarmend. Das ist ihr gutes Recht: Auch Politiker dürfen sich beschweren, dürfen rügen, dürfen loben.

Doch keiner spielt mit uns ein Spielchen. Wir haben einen großen Vorteil gegenüber einigen Redakteuren bei ZDF oder anderen öffentlich-rechtlichen Sendern: Wir werden nicht von Politikern kontrolliert; kein Redakteur, vor allem kein Leitender, verdankt seine Karriere einem stark politisch durchsetzten Gremium.

(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)

Wenn Politiker drohen – schreib drüber!

Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Wie geht ein Chefredakteur mit Politikern um, die sich gegen Zeitungskritik wehren? Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), teilt aus, steckt ein – und berichtet regelmäßig darüber in seiner Sonnabend-Kolumne „Schlüsselloch“.

Offenbar gab es mehr als einen Anruf des thüringischen Wirtschaftsministers Machnig, der gerade in Steinbrücks Wahl-Beraterkreis aufgerückt ist. In seinem aktuellen „Schlüsselloch“, in dem er über die Kleider der Mächtigen sinniert, schreibt Hoffmeister:

Kleidsam geht auch nach seinem Schlüsselloch-Knatsch mit der TLZ samt nachgereichtem milden Interview Wirtschaftsminister Machnig… Dabei hat Machnigs Kleidung doch eigens einen neuen Akzent. Wem’s noch nicht aufgefallen ist: Er trägt nicht länger himmelsflitzige Hemdkragen. Das Wort mit A… verwendet er auch nicht mehr. Und er vermeidet den Anschein von Sturztrünken.“

Also: Harscher Zeitungskritik folgt Anruf und Ärger mit dem Minister folgt ein mildes Interview als Wiedergutmachung und folgt neue…

TLZ, 3.11.2012 „Ohne Benimm kommen Politiker in Verschiss“

(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)

Öffentlich-rechtliches „Schmierentheater“

Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

So scharf geht selbst die FAZ selten mit ARD und ZDF ins Gericht. Als „Schmierentheater“ und „einzigartiges Schauspiel“ und „einfach lächerlich“ kommentiert Michael Hanfeld die Reaktion des Senders auf den Anruf des CSU-Pressesprechers im ZDF-Nachrichtenraum, um Einfluss aufs Programm zu nehmen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist von den politischen Parteien abhängig bis ins Mark. Er hat so wenig Luft zum Atmen, dass der größte Sender Europas sich ein wenig Freiraum verschaffen muss, indem er die Anrufe eines bedauernswerten Pressesprechers zum Angriff auf die Pressefreiheit stilisiert… Die ,Staatsferne‘, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszeichnen soll, ist eine Chimäre.“

Jede Redaktion müsse solchem Ansinnen lässig begegnen können. „Anrufe von Pressesprechern und anderen, freundliche oder unfreundliche, berechtigte Kritik, Beschwichtigungen oder Drohungen sind für Journalisten Tagesgeschäft. Wollte man derlei an die große Glocke hängen, käme man zu nichts anderem mehr.“

FAZ, 3. November 2012 „Geld gegen Proporz“

(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik + 51- 52 Pressesprecher und PR)

WAZ-Chef Nienhaus: Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren

Geschrieben am 31. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 31. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Rufen Sie uns an! Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren! Darüber beschweren wir uns nicht. Aber – aus der Zeitung fliegt deswegen kein Beitrag!

WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus in Erfurt am Dienstag bei der Verabschiedung von Martin Jaschke, der als Geschäftsführer zu den Stuttgarter Zeitungen wechselt, und zur Einführung von Inga Scholz, der neuen Sprecherin in der Geschäftsführung der Zeitungsgruppe Thüringen (u.a. TA, OTZ, TLZ) und der ersten Frau an der ZGT-Spitze

(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)

Anton Sahlenders Kommentar via Facebook:

Das gilt nicht nur bei der WAZ. Und sie haben es wohl immer schon getan, die Politiker, überall. Entscheidend ist, wie man in Medien damit umgeht. Und da könnte es beim ZDF eine Art Notwehrreaktion gegeben haben.

Politiker werden gewählt, um in Talkshows aufzutreten (Zitat der Woche)

Geschrieben am 31. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 31. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Staatsrechtler sind der Ansicht, dass in unserer Demokratie die Abgeordneten ausschließlich gewählt worden seien, um Reden zu halten, in Talkshows aufzutreten und Lobbyarbeit zu leisten. Wenn sie nebenher noch im Bundestag auftreten wollten, dürfe das auf keinen Fall zu Lasten ihrer Haupttätigkeit gehen. Das würde den Verrat aller demokratischen Ideale bedeuten.

(Zippert in der Welt vom 30. Oktober 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)

Wie Politiker in Thüringen auf Journalisten Einfluss nehmen – oder: Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch

Geschrieben am 28. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Mächtigen in Thüringen waren auch nicht besser als die Bayerns, schreibt Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), in seinen Erinnerungen, die er am Sonnabend in seiner Zeitung veröffentlicht hat (27.10.2012): „Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch politischer Einflussnahme“. Er schreibt:

Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen. Es war nie ein Spiel, es war immer ein Machtkampf.“

Einzigartig dürfte sein: Hans Hoffmeister hat über die Einflussnahmen nicht nur an journalistischen Stammtischen erzählt, sondern immer auch in seiner Zeitung – „weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.“

Er weist darauf hin, dass solche Einflussnahmen nach der friedlichen Revolution in Thüringen umso schwerer wogen: „Die Pressefreiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen.“

Hoffmeister zählt das Arsenal der Beeinflussung detailliert auf:

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los.

In seinem Essay nennt Hoffmeister ein knappes Dutzend Namen quer durch alle Parteien, er berichtet von Pressesprechern bei Ministerpräsident Vogel, „durchtrieben“ und „ungeniert“; vom Versuch, seine Entlassung zu betreiben. Er berichtet vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und seiner „brutalen Einflussnahme“; von einem Ex-Wirtschaftsminister, der mit einer Abbestellungswelle drohte, wenn nicht positive Artikel kurz vor der Wahl erschienen.

Positiv sieht Hoffmeister den aktuellen Regierungssprecher Zimmermann: „Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten.“

Der komplette Hoffmeister-Essay aus der TLZ (unredigiert):

Weimar. So etwas wie in Bayern gab’s in Thüringen auch. Nicht anders als in manchem anderen Bundesland. Je absoluter die Mehrheit, desto rüder versuchen Regierende politisch Einfluss auf journalistische Inhalte und damit auf Redaktionsspitzen zu nehmen. Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen.

Wir haben im Laufe der Jahre im Blatt immer mal recht offen darüber berichtet – in Rückblicken -, weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los. Nur dass es leider kein Spiel war. Es war ein Machtkampf.

Das war früher. Und man dachte, das ist vorbei. Dass der Sprecher des CSU-Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten – wie jetzt in Bayern – eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ungeniert, offen und öffentlich sogar per SMS, also doch vermutlich nachweisbar, auffordert, über einen SPD-Landesparteitag am Abend der Veranstaltung möglichst überhaupt nicht zu berichten, das hatte man noch nicht erlebt.

Obwohl: Der Thüringer Regierungssprecher Hans Kaiser hat unter Bernhard Vogel immer besonders gern beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, aber auch beim Privatfunk, natürlich auch bei den Zeitungen, seine Spielchen derart durchtrieben versucht, dass er schließlich fast nur noch nach eigenem Gusto handelte und sich selbst gefangen nahm, wie jetzt der Typ in Bayern.

Schließlich kegelte Vogels Nachfolger Dieter Althaus nach der Wahl den mittlerweile zum Staatssekretär Beförderten einfach raus aus dem Team. Sogar Vogel baute ihm in seiner Adenauer-Stiftung kein Rettungsboot an seiner Seite, sondern Kaiser musste zusehen, wie er weit weg versetzt wurde – nach Taschkent. Mittlerweile leckt er seit Jahren in Budapest seine Wunden.

Brutale Versuche

sind nicht an eine

Partei gebunden

Nachfolger Hermann Binkert, Althaus Grundsatzreferent, später auch Staatssekretär, machte das dann genauso bei seinem Chef. Er indoktrinierte ihn selbst sehr erfolgreich und verpasste ihm eine Art Gehirnwäsche. Die folgenden politischen Dramen etwa um einen Thüringer Kulturkahlschlag, die vermeintliche Familienoffensive mit gekürzten Horten und vieles mehr waren die Folgen. Binkert versuchte ungeniert, auch auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen, wenn dies probat erschien – aber nicht so ungeniert wie Kaiser das tat. Die TLZ kann ein Lied davon singen.

Es endete im TLZ-Fall, von Binkert vermeintlich clever eingefädelt, mit einer Nähe zur Verlegerin eines großen (anderen) Zeitungshauses und der Idee, über diese Brücke dessen ehemaligen Geschäftsführer, mittlerweile höchster Chef unserer WAZ-Mediengruppe, somit auch der TLZ, zu nötigen, mich abzulösen. Der so von Althaus direkt Angesprochene lächelte nur und verwies den Ministerpräsident auf sich selbst zurück. Wie auch anders?

Was Binkert nicht hindern sollte, im Tollen Thüringen, einer millionenfach verbreiteten, undurchsichtig finanzierten Wahlkampf-Illustrierten, für Dieter Althaus brutal direkt und öffentlich über meine Gesundheit Gerüchte zu verbreiten. So etwas ist in Deutschland strafbar. Ich habe keine Anzeige erstattet. Doch ein Sturm im Blätterwald folgte: Von der Mitteldeutschen bis zur Badischen Zeitung reichte die solidarische Entrüstung, auch im Presseecho der WAZ-Gruppe reportiert. Binkert und Althaus waren gescheitert. Ihr politisches Ende folgte alsbald.

Aber das gibt’s nicht nur bei der CDU. Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie (SPD) hat brutale Einflussnahme, einfach so, weil er in Not war, bei der TLZ auch versucht – im Zuge der Seemann-Affäre. Und das liegt noch nicht lange zurück.

Auch von der Nachwende-FDP haben wir solche Versuche erlebt. Der einstige Wirtschaftsminister Jürgen Bohn drohte zwei Tage vor der Wahl TLZ-Vize Hartmut Kaczmarek, wenn er nicht sofort dieses und jenes schreibe, werde er für 30 Ab­bestellungen sorgen. Während aus der Erfurter CDU der Wink Richtung TLZ kam: Der Chefredakteur schädigt mit seiner Weimarerei den Wirtschaftsstandort Erfurt. Man wollte die Berichterstattung und Kommentierung über die geplante Zwangsfusion zwischen DNT und der neuen Oper unterbinden.

Missliebige

Kommentare

abgeheftet

Es gab auch schwere Verstöße anderer Art: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Andreas Kniepert, glaubte in den Anfängen, mit dem ersten Privatsender Antenne Thüringen ein quasi leibeigenes Medium zu haben. Sein Kollege von der CDU, Jörg Schwäb­lein, versuchte sogar, bei einem kleinen CDU-Parteitag am Rande der Vereinigungsfeiern in Hamburg eine öffentliche-rechtliche Zeitung zu beschließen. Etwas später machte Bernhard Vogel diesen Überlegungen den Garaus.

Vize-Ministerpräsident Gerd Schuchardt (SPD) sammelte kritische TLZ-Kommentare, um diese, geheftet mit einer Büroklammer, an den WAZ-Gruppengeschäftsführer zu schicken. Daran hinderte ihn der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Werner Rechmann. Der WAZ-Gruppengeschäftsführer riet in solchen Lagen dem TLZ-Chefredakteur, egal wie der Fall lag: „Behaupten Sie sich!“ Ein ähnlicher Versuch der Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) scheiterte analog.

Auch andernorts gab’s so etwas. Und manchmal kam es raus – im Nachhinein. Ein namhafter Thüringer Fernsehchef etwa wurde von Oskar Lafontaine (SPD) zu dessen MP-Zeiten in Saarbrücken direkt genötigt. Sinngemäß: Ich hab es dir doch gesagt, dass du das so und nicht anders drucken sollst; und jetzt hast du’s wieder nicht gemacht! –

Das konnte der Journalist auch als Drohung empfinden. Es hat den Mann fast „umgebracht“ – so sehr hat ihm das zu schaffen gemacht. Der Journalist hat’s später mal beim Bier erzählt.

Mittlerweile – so dachte man – gibt’s so was jedenfalls in Thüringen nicht mehr. Bernhard Vogel ist lange weg und führt nur noch Anerkennungskämpfchen vor für sich selbst. Dabei hat die Geschichte längst geurteilt. Nicht mal Ehrenbürger von Erfurt darf er werden. Diese äußerste Anerkennung wird ihm in seiner Sammlung von Ehrungen schmerzlich fehlen. Das ist nicht peinlich, das ist gerecht. Peinlich ist nur sein ewiges Nachdrehen mit rückwirkender Geschichtsklitterung.

Die großen Essen mit Chefredakteuren samt Gängelei und Balzerei im Gästehaus der Landesregierung hat – auf TLZ-Betreiben – schon Althaus abgeschafft. Und solche Gästehäuser gibt es auch nicht mehr.

Sprecher sind

jetzt vor allem

Dienstleister

Solche Regierungssprecher wie Hans Kaiser gibt es schon gar nicht mehr. Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten. Nur in Bayern hat sich das noch nicht rumgesprochen. Man erschrickt über solche späte Auswüchse.

Horst Seehofer, der offenbar wegen der Affäre nicht am derzeitigen MP-Treffen in Thüringen teilnimmt, trat am Donnerstagabend sehr nervös, verlegen, mit rotem Kopf vor die Kameras und stammelte. Hatte er doch soeben noch zum Thema Medien Offenheit verkündet und den Spruch abgelassen, dass wir heute nicht mehr in Herrschaftszeiten leben…

Seehofer suchte nach Ausreden. Und er fand sie nicht. Statt klar zu sagen: Ich entschuldige mich beim ZDF und vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit für diese Fehlleistung meines Sprechers. – So löst man solche Krisen. Seehofer war gerade in seinen Umfragen endlich mal auf einen Baum geklettert, und es herrschte eine gewisse Entspannung in der Koalition in Berlin aus CDU/CSU und FDP. Jetzt ist er wieder runtergefallen. Aus eigener Schuld.

Dabei ist er selbst ein Profi aus der alten Garde – nicht anders als Vogel und – wie man sieht – nicht anders in der Rolle gefärbt. Jetzt kriegt er die Zähne nicht auseinander zu drei einfachen deutschen Hauptsätzen: „Das war Mist. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen.“

Die Presse ist frei – Punkt. So steht’s im Gesetz. Ihre Freiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen. Das weiß man eigentlich in der Bundesrepublik seit der Spiegel-Affäre mit Franz-Josef Strauß. Sie liegt gerade 50 Jahre zurück, wie die TLZ berichtete.

Das beruhigende an solchen Affären ist, dass die schlimmsten herauskommen. So auch hier. Das belegt: Die Demokratie ist – doch – intakt.

Zeitungen müssen ein Markenartikel der Demokratie bleiben

Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

In einer Demokratie ist nichts wertvoller als der Journalismus  –  aber ein Journalismus, der recherchiert, was die Mächtigen planen und im Verborgenen tun; der die Bürger ernst nimmt, ihre Interessen und Bedürfnisse kennt und für sie Wichtiges vom Unwichtigen trennt; der viele Meinungen anbietet, auch Querdenkern das Wort gibt, der Debatten anstößt und  führt.

Qualität ist nur, wenn Zeitungen ein Markenartikel der Demokratie bleiben. Alle Freiheiten sind wenig wert ohne die Freiheit der Presse. Diese Freiheit ist allerdings kein Privileg für uns Journalisten, sondern Verpflichtung, den Bürgern die Kontrolle der Macht zu ermöglichen.

 

Je tiefer wir kontrollieren, je genauer wir informieren, je stärker wir die Bürger mitwirken lassen, umso mündiger werden sie. Das bedeutet auch: Wenn der Journalismus dies nicht leistet, wird der Bürger entmündigt. Aus der Schwäche des Journalismus folgt die Schwäche der Demokratie. Wenn wir über den Wert des Journalismus sprechen, dann sprechen wir über den Wert unserer Gesellschaft.

 

Oft wird die journalistische Qualität allein an professionellen Kriterien gemessen. Doch guter Stil, Verständlichkeit oder saubere Recherche sind  kein Selbstzweck. Wem nützt eine Überschrift, die ein neues Gesetz erläutert, wenn sie reizlos ist, wenn sie nicht einlädt zum Lesen?

 

Die Beherrschung des Handwerks und der klare Willen, dem Leser zu dienen, ist Voraussetzung für Qualität.  Daraus wächst die Aufgabe, die Freiheit der Bürger zu sichern.

 

So bestimmt nicht die Zahl der Auslands-Korrespondenten die Qualität, auch nicht die Eleganz der Edelfedern oder die Zitierung der Leitartikler. Das behaupten zwar die selbst ernannten Gralshüter der „Qualitäts-Medien“, doch Emil Dovifat hat schon 1955 zu Recht auch den Wert der Provinz erkannt:

 

„Jede Zeitung hat ihren Inhalt so zu gestalten, daß sie in ihrem Verbreitungsgebiet eine Lesergemeinde gründen und behaupten kann.“ Es komme darauf an, selbst in kleinen Blättern die Auswirkungen der großen Politik für den Alltag der Leser klar zu machen.

 

Der Journalist ist selbstbewusster Diener der Bürger. Als Leser ist der Bürger, um noch einmal Dovifat zu zitieren, ein „seltsamer, aber oft auch nützlicher“ Mitarbeiter. Wir umsorgen ihn nicht nur mit Informationen, wir sorgen auch dafür, dass er der Demokratie nicht abhanden kommt, dass er souveräner Bürger bleibt und sich nicht der Bevormundung durch den Staat ergibt.

 

Souveränität setzt Kenntnis voraus. So ist die tiefe Recherche der eigentliche Wert des Journalismus. Wir müssen zuerst die Nachrichten entdecken, ehe wir sie bewerten, einordnen und veredeln  können.

 

Unsere Freiheit ist kein Wert, der einmal erfolgreich errungen ist, sondern ein Wert, um den wir stets kämpfen müssen. Jede Macht, auch in der Demokratie, neigt dazu, Obrigkeit zu werden. Sie versteckt sich hinter Daten- und Persönlichkeitsschutz, richtet Schattenhaushalte ein und pocht auf Geheimhaltung, um unbehelligt zu bleiben. Die Macht will nicht kontrolliert werden.

 

Das Verfassungsgericht hat im Spiegel-Urteil vor einem halben Jahrhundert den Wert des Journalismus formuliert als: „nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkt“. Diesen Wert müssen wir verteidigen.

 

 

 

Ein Beitrag für die Serie „Zukunft des Qualitätsjournalismus: Was ist uns Journalismus wert?“ von dapd, erschienen unter anderem im Echo (Darmstadt) und http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Aus%20(Worms)

(zu: Handbuch-Kapitel 57 Wie können Zeitungen überleben + 48-49 Wie Journalisten entscheiden (sollten) + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)

„Die Lokalzeitung ist Anwalt der Leser, nicht Richter“ (Golombek-Interview 2)

Geschrieben am 23. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 23. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Wer legt fest, was die Menschen diskutieren? Es sind die Lokaljournalisten,sagt Dieter Golombek. Im zweiten Teil des Interviews beleuchtet er das Verhältnis von Politikern und Journalisten; Teil 1:  „Was reizt Sie so am Lokaljournalismus“.

Darf die Lokalzeitung selber Themen anstoßen? Muss sie nicht warten, bis Politiker oder Initiativen Themen anbieten?

Golombek: Wer, bitte sehr, soll festlegen dürfen, was in der Gesellschaft wann diskutiert wird? Die Politiker, die Verwaltungen, die vielen Initiativen? Journalisten müssen im Auftrag und im Interesse ihrer Leser selber Debatten anstoßen können. Sie müssen dabei gut aufpassen, dass sie sich nicht vor einen Karren spannen lassen.

Genau das versuchen aber doch viele Politiker?

Golomek: Ja, und machen es mit Raffinesse. Sie verfolgen eben ihre Interessen. Der Auftrag für die Zeitung ist aber anders, sie darf sich nicht einbinden lassen, in politische Geschäfte auch nicht durch Vertraulichkeit – etwa nach dem Motto: „Ich erzähle Dir jetzt, wie es wirklich läuft, Du sollst ja Bescheid wissen, aber schreiben darfst Du darüber natürlich nicht.“

Die politisch Handelnden wollen Entscheidungen in ihrem Sinne durchsetzten, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen.

In Städten und Kreisen kommen sich Politiker und Journalisten sehr nahe. Sind Konflikte da nicht vorprogrammiert?

Golombek: Das ist richtig und darin lauert auch eine große Gefahr. Wenn mein Sohn mit dem Bürgermeistersohn dieselbe Klasse besucht, die Frauen sich gut verstehen, er kein unrechter Typ ist, wenn man sich freundlich begegnet, dann kann es schon sehr schwer fallen, für den Bürgermeister unangenehme Nachrichten ins Blatt zu bringen.
Nachrichten trotz Nachbarschaft zu liefern, ist das schwere Brot für Lokaljournalisten.
Es erfordert Mut, Missstände und Versäumnisse öffentlich zu machen, es erfordert Mut und Augenmaß, das Wächteramt auszufüllen. Die lokale Tageszeitung ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort, Anwalt, aber nicht Richter.

Interview in der Thüringer Allgemeine, 13. Oktober 2012 (Auszug)

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus)

Was reizt Sie so am Lokaljournalismus? Golombek-Interview

Geschrieben am 21. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Neuigkeiten zu verbreiten, reicht heute für eine Lokalzeitung nicht mehr aus, sagt Dieter Golombek. Vielmehr muss sie Debatten anstoßen und Voraussetzungen für gute Debatten schaffen. Die Journalisten dürfen sich jedoch vor niemandes Karren spannen lassen – und sich schon gar nicht zum Anwalt von Stammtischparolen machen.

Dieter Golombek ist der Gründer des Lokaljournalistenprogramms (in der Bundeszentrale für politische Bildung). Der große Förderer und Forderer des Lokaljournalismus ist Sprecher der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises. Am Rande der diesjährigen Preisverleihung sprach Paul-Josef Raue in Bonn mit Golombek.

Sie mögen die Stadt und das Dorf, die kleine Politik und die großen Fragen. Sie gelten als Pionier der Lokalzeitungen. Was reizt Sie so am Lokaljournalismus?

Dieter Golombek: Nirgendwo ist der Journalist den Menschen so nahe. Und in der Pflicht, die Bürger dazu einzuladen, „sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen“, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler formuliert hat.

Hört sich nach einem Bildungsauftrag an?

Golombek: Das ist auch so. Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, den Leser mit Neuigkeiten zu versorgen. Das schafft das Internet schneller. Informationen müssen immer wieder so komponiert werden, dass Orientierung entsteht.

Bei Themen, die die Menschen bewegen, wollen sie Bescheid wissen: Welche Folgen hat der demografische Wandel für meine Region, wie steht es um die Qualität von Pflegeheimen, wie kommen die Stadtwerke mit der Energiekrise zurecht und welche Folgen hat dies für meinen Geldbeutel? Solche Themen dürfen nicht im Klein-Klein der routinierten Lokalberichterstattung versanden. Sie brauchen Raum, um verständlich rüberzukommen.

Dann wollen die Leser doch mitreden?

Golombek: Ja. Und dafür hat die Zeitung die Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ihr vornehmster Auftrag in einer Demokratie: Debatten anzustoßen und Voraussetzungen für gute Debatten zu schaffen mithilfe des guten alten Mediums Tageszeitung und mit Unterstützung der neuen medialen Möglichkeiten, dem Online-Auftritt ebenso wie Facebook und Twitter.

Zeitung soll Bündnisse eingehen mit der Konkurrenz?

Golombek: So ist es. Für Zeitungen eröffnen sich umso mehr Möglichkeiten, je weiter das Netz um sich greift. Online-Journalismus ist eine große Chance für die lokalen Tageszeitungen, mit den neuen medialen Möglichkeiten Leser und Nutzer zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen.

Viele Leser verlangen von ihrer Zeitung, sie solle sich radikal auf ihre Seite stellen, ihr Anwalt sein im Kampf gegen Staat und Politiker.
Die Redakteure können es sich leicht machen, Politiker beschimpfen, Politik verächtlich machen und sich als Anwalt der Unzufriedenen in Szene setzen.

Das kommt bei vielen bestimmt gut an. Journalisten sind aber gehalten, genau zu recherchieren, Problemen auf den Grund zu gehen, auch zu zeigen, wie schwierig sich Entscheidungen oft gestalten, weil es nicht möglich ist, allen Anforderungen, Wünschen und Interessen gerecht zu werden. Journalisten dürfen sich auf keinen Fall zum Anwalt von Stammtischparolen machen.

Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 53 Was die Leser wollen + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)

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