Der Tod des Journalisten James Foley: Hinrichtung oder Mord? (Friedhof der Wörter)
Das Internet ist das Medium der Terroristen. Dort zeigen sie, was kein seriöser Journalist, noch nicht einmal der Boulevard, zeigt: Abhacken von Händen und Füßen, Auspeitschen von Frauen, Massen-Erschießungen von Gefangenen, Folterungen jeder Art.
Die Macht der Terroristen wäre weitaus geringer, wenn ihre Untaten und ihre Unmenschlichkeit nicht weltweit verbreitet würden. Sie überziehen ihre Lust am Morden und Foltern mit religiösem Zuckerhut, sie zeigen schwarze Fahnen und halten den Koran hoch – und sind doch nichts weiter als Mordgesellen, so übel wie es sich keiner vorstellen konnte, bevor es das Internet gab.
Ein pathetisches Video im Internet zeigt den Tod des amerikanischen Journalisten James Foley, dem die Terroristen den Kopf abschlagen: Grausamer geht es nicht! Nur Sadisten können ihre Freude daran haben.
„US-Präsident Obama ist entsetzt über die Hinrichtung des Journalisten James Foley“ schrieb eine Zeitung, andere folgten und nannten den gewaltsamen Tod eine Hinrichtung. Nur – war er wirklich eine Hinrichtung?
Nein, eine Hinrichtung inszenieren nur Staaten nach einem Gerichts-Prozess. Die Terroristen im Irak und in Syrien, die sich IS nennen – das ist: Islamischer Staat – freuen sich, wenn freie Medien von „Hinrichtung“ schreiben. Aber es sind und bleiben Terroristen, die unter religiösem Deckmantel morden: Sie handeln nicht als Staat – und werden es hoffentlich nie tun.
Den Terroristen auf den Leim geht auch AP-Präsident Gary Pruitt, wenn er schreibt:
Die Ermordung eines Journalisten in Kriegszeiten sollte international als ein Kriegsverbrechen geächtet werden.
Kriegsverbrechen begehen Staaten; Terroristen sind Mörder, einfach Mörder. Wer sie vor dem internationalen Gerichtshof anklagen will, folgt ihrer Propaganda: Wir sind ein Staat, wir bauen ein Kalifat auf und haben die von Allah verliehene Macht über Leben und Tod, vor allem über den Tod.
Im TV-„Tatort sprechen Kommissare gerne von Hinrichtung, wenn der Täter die Kugel aus kurzer Entfernung abgefeuert hat oder besonders brutal war. Aber auch diese Taten sind ein Mord und keine Hinrichtung.
Hinrichten ist eine Spezialität von Staaten, die in der Regel nach einer bürokratisch festgelegten Prozedur vorgehen und ihre Henker bezahlen. Morden ist Privatsache und wird in der Regel bestraft.
Am besten wäre es, wenn es der Unterscheidung nicht mehr bedarf: Staaten schaffen die Todesstrafe ab und richten einfach nicht mehr hin. Bis es soweit ist, sollten wir die Sadisten mit den schwarzen Fahnen schlicht „Mörder“ nennen – und nicht als Henker aufwerten.
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 25. August 2014
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FACEBOOK-Kommentar von Joachim Widmann
Die Steigerung schaffen dann jene sensiblen Kollegen, die das Wort noch mit dem häufig verwendeten Blähwort „regelrecht“ kombinieren. Der Satz „Es war eine regelrechte Hinrichtung“ soll heißen: Es war ein Mord inszeniert wie in einem richtig geilen Thriller. Merke: Wer so etwas schreibt, benutzt auch das Wort „Blutbad“ in Polizeimeldungen.
Dürfen Chefredakteure beim Interview mit der Kanzlerin „entgleisen“?
„Fürchterliche und beleidigende Entgleisungen“ entdeckt ein 84 Jahre alter und nach eigener Auskunft parteiloser Leser der Thüringer Allgemeine in den Fragen der Chefredakteure beim Interview mit der Kanzlerin. Das Interview hatten die Chefredakteure der drei Thüringer Tageszeitungen (TA, OTZ, TLZ) gemeinsam geführt und wortgleich veröffentlicht.
Vor allem eine Frage empfindet der Leser als „unerhört und falsch“ und erinnert ihn an Politiker in der alten BRD des kalten Kriegs:
Sehr wahrscheinlich werden stasibelastete Politiker für die Linke in den Thüringer Landtag einziehen. Nach Ansicht der Thüringer CDU ist die Linke ein Sammelbecken für Stalinisten, linke Gewalttäter und Stasi-Zuträger. Teilen Sie diese Meinung?
Unser Leser zweifelt sehr, „dass die Thüringer CDU so falsch geprägt ist, wie das in der Fragestellung behauptet wird“.
Chefredakteur antwortet:
Sehr geehrter Herr S.,
die Frage an die Kanzlerin nimmt das Zitat eines führenden CDU-Politikers in Thüringen auf. Der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring sagte in einem Interview mit Bernd Hilder, dem Chef der TLZ:
Bodo Ramelow verstellt sich. Hinter der vermeintlich bürgerlichen Fassade des Fraktionsvorsitzenden der Thüringer Linken verbirgt sich eine Gruppe aus Stalinisten, aus Extremisten, aus Leuten, die beim Schwarzen Block aktiv sind, aus linken Gewalttätern und ehemaligen Stasi-Spitzeln.
< Hier werden wir Journalisten für eine "Entgleisung", so sie eine ist, in Haftung genommen, die wir lediglich zitieren - um zu erfahren, ob die Kanzlerin so denkt wie ihr Parteifreund in Thüringen. Wir sind nur die Boten, mehr nicht. Es ist auch nicht Aufgabe von Journalisten, Werbung für Politiker zu machen und die Floskeln ihrer Pressesprecher und Wahlkampf-Manager zu drucken. Es ist unsere Aufgabe, mit unbequemen, gar frechen Fragen dem Politiker die Wahrheit seines Denkens zu entlocken. Das schulden wir unseren Lesern und den Bürgern. Ist uns das mit dem Merkel-Interview gelungen? Im Gegensatz zu Ihnen fanden andere Leser das Interview als zu zahm. Ich gebe zu: Unerhört, falsch und entgleisend waren die Fragen wohl nicht; im Gegenteil: Wir hätten schon ein bisschen bissiger sein können. Thüringer Allgemeine, Samstag-Kolumne „Leser fragen“ 23. August 2014
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Der Leserbrief in Auszügen, am 20. August 2014 auf der TA-Leserseite veröffentlicht:
Eine Stimme für die Linke
Frau Merkel wird gefragt: „Sehr wahrscheinlich werden stasibelastete Politiker für die Linke in den Thüringer Landtag einziehen. Nach Ansicht der Thüringer CDU ist die Linke ein Sammelbecken für Stalinisten, linke Gewalttäter und Stasi-Zuträger. Teilen Sie diese Meinung?“.
Hierzu antwortet ein 84-jähriger Bürger aus Erfurt, der in der DDR gelebt, ordentlich gearbeitet und seit 61 Jahren eine Familie mit einer Frau hat, seit 1989 parteilos ist und seit der Wende als Senior sehr aktiv ehrenamtlich tätig ist.
Die bereits erwähnte unerhörte, falsche Fragestellung von Chefredakteuren der drei Zeitungen in Thüringen zeigt eine Grundeinstellung dieser Chefs, die an den Kalten Krieg von vor 1989 erinnert, wie er von den Politikern und anderen klugen Leuten von der alten BRD öffentlich geführt wurde.
Ich zweifle sehr, dass die „Thüringer CDU“ so falsch geprägt ist, wie das in der Fragestellung der Redakteure gesagt und behauptet wird.
Die Linke ist heute eine Partei, die besonders in den östlichen Bundesländern von zum Teil mehr Menschen vertrauensvoll angesehen und gewählt wird, da sie mit sauberen und demokratischen Mitteln für die Interessen der Menschen hier eintritt und dabei die soziale Gerechtigkeit und andere Grundinteressen der Menschen hoch angebunden vertritt.
Militärische Weichspül-Sprache: Von der Leyens nicht-letale Waffen (Friedhof der Wörter)
Der finale Rettungsschuss hört sich harmlos an, ist aber in der Regel tödlich. Der Kollateralschaden hört sich harmlos an, ist aber auch in der Regel tödlich.
Wenn Offiziere, ob beim Militär oder der Polizei, tödliche Waffen einsetzen, erfinden sie gerne Wörter, die eher an ein Fußballspiel in der Verlängerung denken lassen oder an zerbrechende Kaffeetassen – als an Menschen, die sterben, ob schuldig oder unschuldig.
In die Wörter-Sammlung der Verharmloser bittet in dieser Woche die „nichtletale Waffe“ um Aufnahme. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will Nicht-Letales ins Kurdengebiet liefern, also Waffen, die nicht töten sollen – aber töten können.
Nicht-letal ist beispielsweise Narkose-Gas, das in einen Raum gesprüht wird, um Menschen zu betäuben. Als Soldaten 2002 bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater eine zu hohe Dosis versprühten, starben 170 Menschen.
„Non-Lethal“ ist ein englisches Wort, das mit „nicht-tödlich“ zu übersetzen ist. Aber Minister und Soldaten sprechen nicht gerne vom Tod.
Das Fraunhofer Institut, eine angesehene Wissenschafts-Organisation, forscht nicht nur an neuen Waffen, sondern auch an der Sprache und schreibt auf seiner Internetseite: „Das Fraunhofer ICT sieht die aktuelle Aufgabe darin, die existierenden NLWs weiterzuentwickeln, zu verbessern und auszubauen.“
NLW sind nicht-letale Wirkstoffe, nur ein bisschen tödlich.
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 18. August 2014
Antwortet eine Redaktion auf den offenen Brief der NPD zur Pressefreiheit? Und wenn ja: Wie?
NPD-Landesvorsitzender Patrick Wieschke schreibt als „Leser und Demokrat“ einen offenen Brief an den Chefredakteur der Thüringer Allgemeine über die Pressefreiheit. Unter anderem ist zu lesen:
Mit Sorge beobachte ich, daß die Pressefreiheit zunehmend mißbräuchlich verwendet wird. Durch das Grundgesetz ist nicht nur die Freiheit der Presse garantiert, sondern eben auch das Grundrecht auf Information (Art. 5) für alle Staatsbürger und das Recht auf freie Wahlen (Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 sowie Artikel 38 Abs. 1).
Dieses wird meines Erachtens dadurch unterlaufen, indem Journalisten nach rein subjektiven Einschätzungen und vielleicht auch privaten politischen Meinungen ihre Berichterstattung vornehmen.
Im laufenden Landtagswahlkampf gipfelt die Beeinträchtigung oben genannter Grundrechte darin, daß die von Ihnen verantwortete Thüringer Allgemeine eine eigene Einschätzung dergestalt vornimmt, welche Parteien „wichtig“ sind und folglich welche nicht.
Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet in seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“:
Sehr geehrter Herr Wieschke,
unsere Zeitung stellt alle Parteien vor. Ausführlich werden Parteien mit ihren Programmen verglichen nach folgenden Kriterien:
> Mitglieder des aktuellen Landtags (CDU, Linke, SPD, FDP und Grüne)
> und die AfD als Partei, die nach den Umfragen gute Chancen hat, in den Landtag einzuziehen. Die anderen sechs Parteien, darunter die NPD, haben offensichtlich kaum Chancen.Gleichwohl können sich unsere Leser auch ausführlich in allen Partei-Programmen informieren. Der Wahl-O-Mat wird bald auf unserer Internet-Seite wieder Tausenden von Lesern die Chance geben, ihre eigenen politischen Anschauungen mit denen der Parteien in Thüringen – also auch der NPD – zu vergleichen.
Mit Verwunderung habe ich Ihre Belehrung zu Pressefreiheit gelesen. Pressefreiheit in einer Demokratie erlaubt, ja fordert und fördert sogar subjektive Einschätzungen.
Wenn Sie subjektive und private politische Meinungen als „Beeinträchtigung“ ansehen, wollen Sie faktisch die Pressefreiheit abschaffen. So verfahren Sie auch: Die NPD verhindert immer wieder Berichterstattung von ihren Parteitagen.
Sie bemühen als Feind unserer Verfassung die Pressefreiheit, um sie abzuschaffen – so wie sie es mit den meisten unserer Grundrechten tun wollen. Jeder Redakteur der TA dagegen schätzt und schützt unsere Verfassung. Wir werden nicht untätig zusehen, dass Sie dies verhindern wollen.
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Thüringer Allgemeine 9. August 2014
„Regionalzeitungen müssen die Hoheit über das Stadtwissen zurückbekommen“ (Zitat der Woche)
Die Redaktionen müssen wieder zum Kompetenzzentrum werden – Regionalzeitungen die Hoheit über das Stadtwissen zurückbekommen.
Professor Andreas Vogel in einem taz-Interview mit Anne Fromm. Vogel ist Leiter des Instituts für Presseforschung in Köln.
Vogel führt in dem Interview den Abo-Rückgang bei den Zeitungen nicht aufs Internet zurück, sondern auf die Qualität des Inhalts: „Befragt man die Zeitungsabbesteller, warum sie kündigen, nennt kaum jemand das Internet. Die meisten sagen, sie läsen keine Zeitung mehr, weil viele Inhalte sie nicht betreffen oder sie sei zu teuer geworden.“
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Facebook-Kommentare
Michael Geffken:
„Da diese Erkenntnis ja nicht so ganz neu ist, muss man doch fragen, warum so viele Zeitungen keine entsprechenden Reaktionen zeigen – sprich: immer schlechter werden.“
„… der Frust des enttäuschten Zeitungsliebhabers führt zu Übertreibungen. Ich korrigiere mich: Nur wenige Zeitungen sind in den vergangenen Jahren wirklich besser geworden, viele stagnieren und stecken den Kopf in den Sand, immer mehr werden kaputt gespart.“
Wolfgang Kretschmer
„Empfehle den Beitrag von Michael Haller „Chance auf Comeback“ in „Message“ 3/14. – Unterzeile: „Es gibt gute Gründe, an eine Rennaissance der Tageszeitung zu glauben…“ Haller schreibt teils polemisch gallig, teils um Fundierung seiner Sicht der deprimierenden Lage bemüht. Seine Vorschläge, jugendlichen Lesernachwuchs zu gewinnen, sind so neu nicht. Es sind in Hallers Ideen/-Umfragewelt aber m.E. ein paar gute Gedanken enthalten. Leider schließt sich der Kreis zum Beitrag von Michael Geffken. Redaktionen werden kaputtgespart. Andererseits sind aus Hallers Perspektive bei einigen Zeitungen der MGO zB bei der Saale-Zeitung Bad Kissingen gute Ansätze zu erkennen, jugendliche Leser ob per Print/online zu gewinnen.“
Ein Kuss, ein Gebet – Die letzten Stunden der Opfer von MH 17: Ein Glanzstück der Nachrichtenagentur AP
Das sind die Geschichten, die Leser lieben: Wie verbrachten die Passagiere des Flugs MH 17, den Terroristen abgeschossen haben, ihre letzten Stunden? Mit wem sprachen sie zuletzt? Wie lautete ihre letzte Mail? Welchen Menschen sahen sie als letzten, bevor sie zum Flugsteig gingen? Wen küssten sie? Wen umarmten sie?
Es ist schon ungewöhnlich, dass eine große Nachrichtenagentur wie AP solch ein großes Erzähl-Stück recherchiert und veröffentlicht. Normalerweise bringt sie die aktuelle Meldung, vielleicht noch die Namensliste der Opfer, ihre Nationalitäten. Kristen Gelineau, AP-Chefin in Australien, wollte hinter die Nachrichten schauen, die Kleinigkeiten entdecken, die das Leben ausmachen, sie suchte den Zeitstempel des letzten Gesprächs der Opfer, sie wollte „Qualität statt Quantität“ – und bat um Recherche-Hilfe bei Reportern in Neuseeland und auf den Philippinen, in Indonesien, Holland und Malaysia.
Erin Madigan White erklärte die Reportage „A kiss, a prayer: The last hours of MH 17’s victims“ im AP-Blog zum „Beat of the week“, der mit 500 Dollar honoriert wird. Kristen Gelineaus Geschichte beginnt so (frei übersetzt):
Im Schlafzimmer eines Hauses nahe Amsterdam fragt Miguel seine Mutter: „Mama, darf ich Dich umarmen?“ Samira, seine Mutter, legt ihre Arme um ihren elfjährigen Sohn, der sie seit Tagen nervt mit Fragen nach dem Tod, nach Gott und seiner Seele.
Am nächsten Morgen brachte sie ihn und seinen großen Bruder Shaka zum Flughafen, wo sie den Flug Malaysia Airline 17 nehmen wollten, um ihre Großmutter in Bali zu besuchen mit der Aussicht auf Wasser-Ski und Surfen im Paradies.
Irgendetwas war anders. Am Tag vor dem Flug brach es aus Miguel heraus beim Fußballspiel: „Wie willst du sterben? Was wird aus meinem Körper, wenn ich beerdigt bin? Fühle ich nichts, weil unsere Seele zu Gott zurückkehrt?“ Er beginnt mich zu vermissen, sagte sich seine Mutter. Sie hielt ihn die ganze Nacht fest in den Armen.
Das war um 23 Uhr am 16. Juli. Shaka und 296 andere Passagiere auf Flug 17 hatten noch ungefähr 15 Stunden zu leben.
Die Geschichte liest sich wie die Skizze für einen großen Roman. Zur Nachahmung empfohlen – für Nachrichtenagenturen und jeden, der Qualität mag und seine Leser liebt.
Journalisten lernen von Dichtern: Wenn ich meinen Text leise lese, wird er besser
Abends in einer guten Redaktion: Es murmelt – ein Journalistenchor aus Selbstgesprächen. Die Texte sind fertig, die Reporter oder Blattmacher lesen leise, in sich versunken. Es ist wie in einem mittelalterlichen Kloster, in dem die Mönche in der Bibel lesen. Erwischt der Abt einen stummen Mönch, herrscht er ihn an: „Warum liest Du nicht?“ Wenn der Mönch bockig antwortet „Ich lese doch“, tadelt ihn der Abt: „Ich höre nichts!“
Die Hirnforschung hat überraschend die These bestätigt, dass wir beim stummen Lesen und Schreiben auch hören. Unser Gehirn übersetzt die Wörter in Töne, der Lesende aktiviert also auch das Areal fürs Hören.
Schreiben ist ein einsames Geschäft, ist ein Selbstgespräch des Journalisten. Das „Gespräch“ ist dabei wörtlich zu nehmen: Wer schreibt, der spricht – selbst wenn nichts zu hören ist. So wird jeder Text besser, wenn wir ihn leise sprechen – und jedesmal, wenn wir stolpern, nicht ein zweites Mal lesen, sondern den Text verbessern. Dort wo wir stolpern, schachtelt der Satz, hemmen Zahlen oder eine Klammer den Lesefluss, reihen sich zu viele Adverbien aneinander usw.
Wenn ich schon stolpere, der den Text kennt, dann stolpert erst recht der Leser, der den Text nicht kennt. Darauf zu hoffen, dass der Leser ein zweites Mal ansetzt, um den Text zu verstehen, ist trügerisch, sehr trügerisch.
Die Schriftstellerin Judith Hermann erzählt in einem Interview mit Nils Minkmar, wie sie schreibt:
Ich habe mir den Text immer wieder laut vorgelesen, bis der Klang stimmte, meine Vorstellung von Rhythmus. Das hat ziemlich lange gedauert, am Anfang hatte ich gar keine Zeit, mich für das energetische Gespinst der Sprache zu interessieren, ich war auch viel zu aufgeregt, unruhig, zu nervös.
Judith Hermann erzählt auch, wie sie einen Roman schreibt. Diese Arbeitsweise taugt aber nur für Journalisten, die Bücher schreiben – nicht für die Tagesarbeit geeignet:
> Ich habe die Geschichte von Anfang bis Ende aufgeschrieben.
> Dann habe ich sie noch einmal abgeschrieben, und beim Abschreiben habe ich noch einmal umformuliert, geordnet, auch gekürzt,
< und dann habe ich sie ein drittes und letztes Mal abgeschrieben. Ich habe gestrichen.
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Quelle:
Hermann-Interview in FAZ 2. August 2014
Lesetipp:
Stanilas Dehaene (französischer Neurowissenschaftler): Lesen – Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert (Knaus,24.99)
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Tebartzen ist asozial und Hayvan ein Tier: Die Jugendwörter des Jahres (Friedhof der Wörter)
Wer jung ist, redet anders: politisch unkorrekt, seltsam, unverständlich – zumindest für die Eltern und Großeltern. Wer jung ist, schafft sich eine eigene Welt, eine eigene Sprache, eine eigene Musik – wie in diesem Rap von KC Rebell:
Kein ,Hallo’und kein ‚Wie geht’s‘. Ach Bruder, lass mich mal in Ruh. Das hier ist Asozialität. Ich bin ein Hayvan von Beruf.
Hayvan? Ja, Hayvan ist türkisch und das deutsche Jugendwort, das junge Leute mit weitem Abstand am meisten wählten. Hayvan bedeutet „Tier“ – und gewinnt seine Bedeutung erst durch die Betonung oder eine Situation: Es kann bedeuten „Du bist – wie ein Hund – ein guter Freund“ oder auch „Du bist ein Dummer wie ein Schaf“.
Typisch für die Jugendsprache ist – korrekt oder peinlich – das Spiel mit den Wörtern, etwa mit „Asozial“, das im erwachsenen Wörterbuch der politischen Korrektheit nur auftaucht in der Rubrik „Verboten!“
„Asozial“ kommt bei Jugendlichen oft vor, etwa in „Assi-Stempel“, das sind Tätowierungen – die allerdings nicht in die Spitzengruppe der beliebtesten Jugendwörter des Jahres gelandet sind.
Blöde Wörter – aber unpolitisch, mag denken, der dem Trugschluss aufsitzt, junge Leute interessierten sich nicht für Politik. Weit gefehlt.
„Wulffen“ war vor einigen Jahren ein beliebtes Jugendwort in Anspielung auf den gescheiterten Bundespräsidenten. „Tebartzen“ sagen junge Leute, wenn sie sich etwas unverschämt Luxuriöses kaufen – in Anspielung auf den Limburger Bischof, der Wasser predigte und goldene Badewannen anschaffen wollte.
Auch mit dem „Migrationshintergrund“ spielt die Jugendsprache und schafft für arrogante Studenten, die nicht mal einen Kasten Bier schleppen können: den „Immatrikulations-Hintergrund.“ Gar nicht unpolitisch sind auch „Obamern“ für abhören und „entsnowden“ für aufdecken.
So läuft es eben bei dir! Dieser ironische Spruch für alle Gelegenheiten kam auf Platz zwei. Und da junge Leute Ironie mögen und offenbar auch verstehen, wählten sie „Gönn Dir“ auf den dritten Platz.
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Das sind die 30 Nominierungen für das Jugendwort des Jahres (Abstimmung bis Ende Oktober 2014)
>Zur Zeit (3.10.) weit vorn: Fappieren (Selbstbefriedigung bei Jungs)
> Platz 2: Hayvan
> Platz 3: Läuft bei dir (Redewendung für: „Du hast es drauf!“ Synonym für „cool“, „krass“)
> Abgeschlagen:
Immatrikulationshintergrund (Person, die nicht richtig anpacken kann und ungeschickt ist und daher studiert hat) / Gönn dir! (Ironischer Wunsch) / Fußpils (Bier für unterwegs) / Bitch, please! (Lässige Antwort auf eine Selbstverständlichkeit) / Tebartzen (Sich etwas Teures leisten) / Selfie (Foto-Selbstportrait)
> So gut wie ohne Resonanz:
Minus (Nein) / Lass Haare wehen (Beeil dich!) / Obamern (abhören) / Senfautomat (Klugscheißer) / Beta (Einer mit wenig Selbstbewusstsein) / Assi-Stempel (Tätowierung) / Foodgasm (Glücksgefühl bei sehr gutem Essen) / GOML (get on my level – Ausdruck der Überlegenheit) / Twerken (Tanzstil mit starkem Hüfteinsatz) / Entsnowden (aufdecken) / insta– (Vorsilbe für beliebige Adjektive und Nomen) / Like-Geilheit (Markierung mit „Gefällt mir“) / Bürgersteigdeko (Hundehaufen) / sugly (Selfie, auf dem man bewusst eine Schnute zieht) / Therapier mich nicht! (Nerv mich nicht!) / Du Propa! (Propaganda und Angeberei) / SOS (same old shit / Immer die gleiche Scheiße) / Stressieren (Mischung aus „stressen“ und „pressieren“) / Hängs! (Vergiss es!) / Emoxif (Zickiges Verhalten) / FOMO (fear of missing out – Angst, was zu verpassen)
Schleichwerbung im FAZ- und SZ-Feuilleton
Am Wochenende spielen im HSV-Stadion vier Bundesligisten ein Vorbereitungs-Turnier. Auf der Seite „Fernsehen am Samstag“ im Feuilleton der FAZ ist zu lesen:
SAT.1 18.00 Fußball. Telekom Cup. Hamburger SV – VfL Wolfsburg. Live aus der Imtech Arena in Hamburg.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt auf ihrer Seite „Programm vom Samstag“:
20.15 Fußball Telekom Cup. FC Bayern München – Borussia Mönchengladbach. Live aus der Imtech Arena in Hamburg. SAT.1 präsentiert den „TELEKOM CUP 2014″ in der Imtech Arena in Hamburg…
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Ähnlich ist von Telekom und Imtech im Sonntags-Programm zu lesen.
Es geht auch anders: Auf der Sportseite der FAZ steht unter „Sport live im Fernsehen“ (ähnlich im SZ-Sport):
SAT.1 18 Uhr und 20.15 Uhr: Fußball, Turnier in Hamburg…“
(Fettsatz-Heraushebungen von mir)
Diekmann hat bei Wulff-Frühstück nicht angebliche Rotlicht-Vergangenheit der Gattin angesprochen, so Diekmann
Veränderte Überschrift
@KaiDiekmann korrigierte in einem Tweet:
@pjraue BEI JENEM FRÜHSTÜCK spielte das Thema in der Tat keinerlei Rolle! Heisst nicht, dass es nicht eine andere Gelegenheit gab!
Die ursprüngliche Überschrift lautete: „Diekmann hat mit Wulf nicht über angebliche Rotlicht-Vergangenheit der Gattin gesprochen, sagt Diekmann“
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Was geschah beim Frühstück im Schloss Bellevue, als Bundespräsident Wulff Bild-Chefredakteur Diekmann zu Kaffee und Toast eingeladen hatte – damals wohl noch ein Herz, aber ohne Seele? Die Berliner Morgenpost lauschte und schrieb nach dem Wulff-TV-Auftritt bei Maybrit Illner:
Wer seine Urlaube mit Top-Wirtschaftsleuten verbringt, wer Amt und Freundschaften bis zur Unkenntlichkeit vermischt, der ist eine dubiose öffentliche Figur. Und wenn Kai Diekmann bei einem privaten Frühstück im Schloss Bellevue die neue Ehefrau Bettina Wulff auf ihre angebliche Rotlichtvergangenheit anspricht, dann wäre spätestens das der Moment gewesen, den Mann sofort vor die Tür zu setzen. Warum hat Wulff damals kein Rückgrat gezeigt?
Diekmann antwortet kurz vor Mitternacht per Twitter:
@KaiDiekmann: Ganz einfach, liebe @morgenpost: Ich habe das Thema bei jenem Frühstück gar nicht angesprochen.
Worüber haben die Drei denn gesprochen? Die FAZ hatte Wulffs Mailbox-Nachricht auf Diekmanns Handy veröffentlicht – ist jetzt die Süddeutsche an der Reihe, Diekmanns Gedächtnisprotokoll des Frühstücks im Bellevue zu drucken?
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Quellen: Morgenpost 25.7.2014 / Tweet Diekmann

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