Ulrich Wickert wollte kein Journalist werden (Zitat der Woche)
Journalist aber wollte ich immer noch nicht werden. Ich blieb nur wegen des regelmäßigen Einkommens. Ein richtiger Job würde sich irgendwann noch finden.
Ulrich Wickert in seinem neuen Buch „Neugier und Übermut“ über seine Jugend, als er das Jura-Studium nach dem ersten Staatsexamen beendet hatte und bei Monitor-Chef Claus-Hinrich Casdorff viel Geld verdiente.
„Welche Spielchen werden mit der freien Presse gespielt?“
Welchen Einfluss haben Politiker auf Redakteure? Diese Frage beschäftigt nach der CSU-ZDF-Affäre auch die Leser von Tageszeitungen. Ein Leser der Thüringer Allgemeine reagierte auf die TA-Samstags-Kolumne „Leser fragen“, in der die stetigen, aber erfolglosen Rügen der Politiker thematisiert waren:
Man „rügt“ Sie, wie Sie schreiben, „immer wieder“. Sind das etwa „Leute“, die an oder in der Regierung sind oder politische Pöstchen haben?
Hier denke ich an Herrn Dr. Strepp und das ZDF!
Ich frage Sie, Herr Chefredakteur, welche Spielchen werden mit uns und der ‚sogenannten‘ freien Presse gemacht in unserem schönen Thüringenland; der alte Vogel und Althaus sind doch nicht mehr da. Aber sicher gibt es neue Akteure, die Telefone bedienen können.
Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortete in der TA:
Weder auf die Leser-Seite noch auf die Artikel der Redakteure haben Politiker einen Zugriff. In der Tat rufen Minister bisweilen an, mal in scharfem Ton, mal in gesteigerter Tonstärke, mal umwerbend, mal umarmend. Das ist ihr gutes Recht: Auch Politiker dürfen sich beschweren, dürfen rügen, dürfen loben.
Doch keiner spielt mit uns ein Spielchen. Wir haben einen großen Vorteil gegenüber einigen Redakteuren bei ZDF oder anderen öffentlich-rechtlichen Sendern: Wir werden nicht von Politikern kontrolliert; kein Redakteur, vor allem kein Leitender, verdankt seine Karriere einem stark politisch durchsetzten Gremium.
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
„Das Internet, eifersüchtige und unendlich anspruchsvolle Geliebte“ oder: Das Netz und die Konservativen
Man sehe sich an einem beliebigen Bahnsteig um, an dem viele Menschen warten, oder im Zug selbst und vergleiche diese Situation mit der von vor fünfzehn Jahren: Die ununterbrochene digitale Kommunikation mit Abwesenden lässt die Menschen wie Autisten, ja, von einem rein phänomenologischen Standpunkt aus betrachtet, schon fast wie Geisteskranke aussehen.
Edo Reents sieht in den sozialen Netzwerken die „allgemeine Durchinfantilisierung“ der Gesellschaft:“Aus Leuten werden Kindern“ (FAZ 3. November 2012)
In derselben Ausgabe schreibt Jan Wiele in „Bilder und Zeiten“ über den ersten Social-Media-Pilger, der sich seine Schlafplätze über Twitter besorgt und unentwegt bloggt auf seinen zehntausend Kilometern durch Europa. Er schreibt der holländischen Königin, die beklagt hatte, das Internet fördere die soziale Kälte und verhindere Nächstenliebe:
Majestät, ich stimme mit ihnen darin überein, dass bestimmte soziale Werte heute im Verfall begriffen sind. Das sieht man auch im Internet, aber es wird nicht notwendigerweise durch dieses verstärkt… Der mittelalterliche Pilger trug nichts außer einer Schale und einem Löffel und fand Unterkunft mit gleichgesinnten Gläubigen. Ich habe ein iPhone und den Glauben daran, dass helfende Hände immer noch zu finden sind.“
Eine Ausgabe der FAZ, vier Mal die Auseinandersetzung mit dem Internet: Patrick Bahners berichtet über den amerikanischen Wahlkampf, in dem das Internet fröhlich herrscht. In Obamas Hauptquartier entdeckt Bahners den Chefwissenschaftler, der einst Modelle entwickelt hatte, mit denen der Endpreis einer Ebay-Auktion zu 96 Prozent vorherzusagen ist. Für Obama entwickelt der Chefwissenschaftler den „Dreamcatcher“, ein Programm, mit dem Wähler zu umgarnen sind.
Und auf der letzten Seite räsonniert der in Leningrad geborene US-Dichter Gary Shteyngart über das Ende des Lesens:
Im Grunde lesen die Amerikaner nicht mehr oder nicht mehr viel, weil sie so viel Zeit mit den Spielereien auf ihren iPads, iPhones und iPods zubringen. Diese Dinger und das Spielen führen zu einer echten Sucht. Manche Leute stehen inzwischen sogar mitten in der Nacht auf, um nach ihren E-Mails zu sehen. Unter solchen Umständen liegt es auf der Hand, dass die Literatur leidet
Und was passiert nach dem Ende der Literatur?
Zunächst einmal weniger Einfühlungsvermögen. Bücher machen es möglich, sich in andere Menschen hineinzuversetzen… Außerdem bedeutet es weniger Introspektion, denn die ist der schlimmste Feind des Internets, dieser eifersüchtigen und unendlichen anspruchsvollen Geliebten. Und schließlich ständige Ruhelosigkeit, denn Ruhe ist vollkommen unvereinbar mit den neuen Technologien.“
(zu: Handbuch-Kapitel 5 Die Internet-Revolution)
Vorsicht: Ironie!
Leser schreiben auch vortreffliche Satiren – beispielsweise Karl-Ernst Schwartz aus Sondershausen in der Thüringer Allgemeine, als er während der Schulessen-Affäre auf die Frage reagierte: Warum waren nur ostdeutsche Länder von der Lieferung vergifteter Erdbeeren betroffen?
Das ist nur die Spitze des Eisberges. Um das dahinterliegende System zu verstehen, müssen wir in die Vergangenheit schauen:
Zuerst hat man uns Ostdeutschen unsere zwei Eriche genommen, von denen der eine uns besonders geliebt und dies auch öffentlich zum Ausdruck gebracht hat. Dann wurde der Hauptteil unserer Ersparnisse in harter DDR-Mark auf Wunsch des westdeutschen Großkapitals 2:1 abgewertet.
Anschließend verschleuderte die Treuhand unser Eigentum an modernsten Betrieben und Einrichtungen, wie wir fast jeden Tag in dieser Zeitung lesen können. Unsere Rentner kümmern mit ihren jämmerlichen, nicht angepassten Ostrenten dahin und verhungern reihenweise, auch hier fast täglich nachzulesen.
Nicht genug damit, unsere ostdeutsche Jugend, insbesondere die jungen, gut ausgebildeten Frauen, werden mit Versprechungen höherer Löhne und Gehälter in die Betriebe westdeutscher Ausbeuter gelockt, wer weiß, was dort mit ihnen geschieht.
Zu guter Letzt werden auch noch unsere ostdeutschen Kinder, von denen es sowieso nicht viele gibt, und möglicherweise unsere intellektuelle Elite, die Pädagogen, mit verseuchtem Schulessen, zum Hohn auch noch mit roten chinesischen Erdbeeren, vergiftet.
Das ist Völkermord! Wann schreitet endlich die UNO ein?
Die TA druckte die Satire, aber unter der Überschrift: Vorsicht Ironie!
(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)
Wenn Politiker drohen – schreib drüber!
Wie geht ein Chefredakteur mit Politikern um, die sich gegen Zeitungskritik wehren? Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), teilt aus, steckt ein – und berichtet regelmäßig darüber in seiner Sonnabend-Kolumne „Schlüsselloch“.
Offenbar gab es mehr als einen Anruf des thüringischen Wirtschaftsministers Machnig, der gerade in Steinbrücks Wahl-Beraterkreis aufgerückt ist. In seinem aktuellen „Schlüsselloch“, in dem er über die Kleider der Mächtigen sinniert, schreibt Hoffmeister:
Kleidsam geht auch nach seinem Schlüsselloch-Knatsch mit der TLZ samt nachgereichtem milden Interview Wirtschaftsminister Machnig… Dabei hat Machnigs Kleidung doch eigens einen neuen Akzent. Wem’s noch nicht aufgefallen ist: Er trägt nicht länger himmelsflitzige Hemdkragen. Das Wort mit A… verwendet er auch nicht mehr. Und er vermeidet den Anschein von Sturztrünken.“
Also: Harscher Zeitungskritik folgt Anruf und Ärger mit dem Minister folgt ein mildes Interview als Wiedergutmachung und folgt neue…
TLZ, 3.11.2012 „Ohne Benimm kommen Politiker in Verschiss“
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
Öffentlich-rechtliches „Schmierentheater“
So scharf geht selbst die FAZ selten mit ARD und ZDF ins Gericht. Als „Schmierentheater“ und „einzigartiges Schauspiel“ und „einfach lächerlich“ kommentiert Michael Hanfeld die Reaktion des Senders auf den Anruf des CSU-Pressesprechers im ZDF-Nachrichtenraum, um Einfluss aufs Programm zu nehmen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist von den politischen Parteien abhängig bis ins Mark. Er hat so wenig Luft zum Atmen, dass der größte Sender Europas sich ein wenig Freiraum verschaffen muss, indem er die Anrufe eines bedauernswerten Pressesprechers zum Angriff auf die Pressefreiheit stilisiert… Die ,Staatsferne‘, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszeichnen soll, ist eine Chimäre.“
Jede Redaktion müsse solchem Ansinnen lässig begegnen können. „Anrufe von Pressesprechern und anderen, freundliche oder unfreundliche, berechtigte Kritik, Beschwichtigungen oder Drohungen sind für Journalisten Tagesgeschäft. Wollte man derlei an die große Glocke hängen, käme man zu nichts anderem mehr.“
FAZ, 3. November 2012 „Geld gegen Proporz“
(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik + 51- 52 Pressesprecher und PR)
Fast alle wollen die Zeitung lesen
Zwei Drittel der Deutschen wollen eine Zeitung lesen. Selbst unter den digitalen Ureinwohnern liegt der Wert nur knapp darunter, bei den Älteren, der Analog-Generation, liegt er knapp darüber.
Quelle: Umfrage von Handelsblatt und Mafo nach Media Updates)
(zu: Handbuch-Kapitel Welche Zukunft hat der Journalismus)
WAZ-Chef Nienhaus: Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren
Rufen Sie uns an! Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren! Darüber beschweren wir uns nicht. Aber – aus der Zeitung fliegt deswegen kein Beitrag!
WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus in Erfurt am Dienstag bei der Verabschiedung von Martin Jaschke, der als Geschäftsführer zu den Stuttgarter Zeitungen wechselt, und zur Einführung von Inga Scholz, der neuen Sprecherin in der Geschäftsführung der Zeitungsgruppe Thüringen (u.a. TA, OTZ, TLZ) und der ersten Frau an der ZGT-Spitze
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
Anton Sahlenders Kommentar via Facebook:
Das gilt nicht nur bei der WAZ. Und sie haben es wohl immer schon getan, die Politiker, überall. Entscheidend ist, wie man in Medien damit umgeht. Und da könnte es beim ZDF eine Art Notwehrreaktion gegeben haben.
Politiker werden gewählt, um in Talkshows aufzutreten (Zitat der Woche)
Staatsrechtler sind der Ansicht, dass in unserer Demokratie die Abgeordneten ausschließlich gewählt worden seien, um Reden zu halten, in Talkshows aufzutreten und Lobbyarbeit zu leisten. Wenn sie nebenher noch im Bundestag auftreten wollten, dürfe das auf keinen Fall zu Lasten ihrer Haupttätigkeit gehen. Das würde den Verrat aller demokratischen Ideale bedeuten.
(Zippert in der Welt vom 30. Oktober 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)
Wie Politiker in Thüringen auf Journalisten Einfluss nehmen – oder: Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch
Die Mächtigen in Thüringen waren auch nicht besser als die Bayerns, schreibt Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), in seinen Erinnerungen, die er am Sonnabend in seiner Zeitung veröffentlicht hat (27.10.2012): „Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch politischer Einflussnahme“. Er schreibt:
Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen. Es war nie ein Spiel, es war immer ein Machtkampf.“
Einzigartig dürfte sein: Hans Hoffmeister hat über die Einflussnahmen nicht nur an journalistischen Stammtischen erzählt, sondern immer auch in seiner Zeitung – „weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.“
Er weist darauf hin, dass solche Einflussnahmen nach der friedlichen Revolution in Thüringen umso schwerer wogen: „Die Pressefreiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen.“
Hoffmeister zählt das Arsenal der Beeinflussung detailliert auf:
Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los.
In seinem Essay nennt Hoffmeister ein knappes Dutzend Namen quer durch alle Parteien, er berichtet von Pressesprechern bei Ministerpräsident Vogel, „durchtrieben“ und „ungeniert“; vom Versuch, seine Entlassung zu betreiben. Er berichtet vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und seiner „brutalen Einflussnahme“; von einem Ex-Wirtschaftsminister, der mit einer Abbestellungswelle drohte, wenn nicht positive Artikel kurz vor der Wahl erschienen.
Positiv sieht Hoffmeister den aktuellen Regierungssprecher Zimmermann: „Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten.“
Der komplette Hoffmeister-Essay aus der TLZ (unredigiert):
Weimar. So etwas wie in Bayern gab’s in Thüringen auch. Nicht anders als in manchem anderen Bundesland. Je absoluter die Mehrheit, desto rüder versuchen Regierende politisch Einfluss auf journalistische Inhalte und damit auf Redaktionsspitzen zu nehmen. Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen.
Wir haben im Laufe der Jahre im Blatt immer mal recht offen darüber berichtet – in Rückblicken -, weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.
Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los. Nur dass es leider kein Spiel war. Es war ein Machtkampf.
Das war früher. Und man dachte, das ist vorbei. Dass der Sprecher des CSU-Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten – wie jetzt in Bayern – eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ungeniert, offen und öffentlich sogar per SMS, also doch vermutlich nachweisbar, auffordert, über einen SPD-Landesparteitag am Abend der Veranstaltung möglichst überhaupt nicht zu berichten, das hatte man noch nicht erlebt.
Obwohl: Der Thüringer Regierungssprecher Hans Kaiser hat unter Bernhard Vogel immer besonders gern beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, aber auch beim Privatfunk, natürlich auch bei den Zeitungen, seine Spielchen derart durchtrieben versucht, dass er schließlich fast nur noch nach eigenem Gusto handelte und sich selbst gefangen nahm, wie jetzt der Typ in Bayern.
Schließlich kegelte Vogels Nachfolger Dieter Althaus nach der Wahl den mittlerweile zum Staatssekretär Beförderten einfach raus aus dem Team. Sogar Vogel baute ihm in seiner Adenauer-Stiftung kein Rettungsboot an seiner Seite, sondern Kaiser musste zusehen, wie er weit weg versetzt wurde – nach Taschkent. Mittlerweile leckt er seit Jahren in Budapest seine Wunden.
Brutale Versuche
sind nicht an eine
Partei gebunden
Nachfolger Hermann Binkert, Althaus Grundsatzreferent, später auch Staatssekretär, machte das dann genauso bei seinem Chef. Er indoktrinierte ihn selbst sehr erfolgreich und verpasste ihm eine Art Gehirnwäsche. Die folgenden politischen Dramen etwa um einen Thüringer Kulturkahlschlag, die vermeintliche Familienoffensive mit gekürzten Horten und vieles mehr waren die Folgen. Binkert versuchte ungeniert, auch auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen, wenn dies probat erschien – aber nicht so ungeniert wie Kaiser das tat. Die TLZ kann ein Lied davon singen.
Es endete im TLZ-Fall, von Binkert vermeintlich clever eingefädelt, mit einer Nähe zur Verlegerin eines großen (anderen) Zeitungshauses und der Idee, über diese Brücke dessen ehemaligen Geschäftsführer, mittlerweile höchster Chef unserer WAZ-Mediengruppe, somit auch der TLZ, zu nötigen, mich abzulösen. Der so von Althaus direkt Angesprochene lächelte nur und verwies den Ministerpräsident auf sich selbst zurück. Wie auch anders?
Was Binkert nicht hindern sollte, im Tollen Thüringen, einer millionenfach verbreiteten, undurchsichtig finanzierten Wahlkampf-Illustrierten, für Dieter Althaus brutal direkt und öffentlich über meine Gesundheit Gerüchte zu verbreiten. So etwas ist in Deutschland strafbar. Ich habe keine Anzeige erstattet. Doch ein Sturm im Blätterwald folgte: Von der Mitteldeutschen bis zur Badischen Zeitung reichte die solidarische Entrüstung, auch im Presseecho der WAZ-Gruppe reportiert. Binkert und Althaus waren gescheitert. Ihr politisches Ende folgte alsbald.
Aber das gibt’s nicht nur bei der CDU. Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie (SPD) hat brutale Einflussnahme, einfach so, weil er in Not war, bei der TLZ auch versucht – im Zuge der Seemann-Affäre. Und das liegt noch nicht lange zurück.
Auch von der Nachwende-FDP haben wir solche Versuche erlebt. Der einstige Wirtschaftsminister Jürgen Bohn drohte zwei Tage vor der Wahl TLZ-Vize Hartmut Kaczmarek, wenn er nicht sofort dieses und jenes schreibe, werde er für 30 Abbestellungen sorgen. Während aus der Erfurter CDU der Wink Richtung TLZ kam: Der Chefredakteur schädigt mit seiner Weimarerei den Wirtschaftsstandort Erfurt. Man wollte die Berichterstattung und Kommentierung über die geplante Zwangsfusion zwischen DNT und der neuen Oper unterbinden.
Missliebige
Kommentare
abgeheftet
Es gab auch schwere Verstöße anderer Art: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Andreas Kniepert, glaubte in den Anfängen, mit dem ersten Privatsender Antenne Thüringen ein quasi leibeigenes Medium zu haben. Sein Kollege von der CDU, Jörg Schwäblein, versuchte sogar, bei einem kleinen CDU-Parteitag am Rande der Vereinigungsfeiern in Hamburg eine öffentliche-rechtliche Zeitung zu beschließen. Etwas später machte Bernhard Vogel diesen Überlegungen den Garaus.
Vize-Ministerpräsident Gerd Schuchardt (SPD) sammelte kritische TLZ-Kommentare, um diese, geheftet mit einer Büroklammer, an den WAZ-Gruppengeschäftsführer zu schicken. Daran hinderte ihn der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Werner Rechmann. Der WAZ-Gruppengeschäftsführer riet in solchen Lagen dem TLZ-Chefredakteur, egal wie der Fall lag: „Behaupten Sie sich!“ Ein ähnlicher Versuch der Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) scheiterte analog.
Auch andernorts gab’s so etwas. Und manchmal kam es raus – im Nachhinein. Ein namhafter Thüringer Fernsehchef etwa wurde von Oskar Lafontaine (SPD) zu dessen MP-Zeiten in Saarbrücken direkt genötigt. Sinngemäß: Ich hab es dir doch gesagt, dass du das so und nicht anders drucken sollst; und jetzt hast du’s wieder nicht gemacht! –
Das konnte der Journalist auch als Drohung empfinden. Es hat den Mann fast „umgebracht“ – so sehr hat ihm das zu schaffen gemacht. Der Journalist hat’s später mal beim Bier erzählt.
Mittlerweile – so dachte man – gibt’s so was jedenfalls in Thüringen nicht mehr. Bernhard Vogel ist lange weg und führt nur noch Anerkennungskämpfchen vor für sich selbst. Dabei hat die Geschichte längst geurteilt. Nicht mal Ehrenbürger von Erfurt darf er werden. Diese äußerste Anerkennung wird ihm in seiner Sammlung von Ehrungen schmerzlich fehlen. Das ist nicht peinlich, das ist gerecht. Peinlich ist nur sein ewiges Nachdrehen mit rückwirkender Geschichtsklitterung.
Die großen Essen mit Chefredakteuren samt Gängelei und Balzerei im Gästehaus der Landesregierung hat – auf TLZ-Betreiben – schon Althaus abgeschafft. Und solche Gästehäuser gibt es auch nicht mehr.
Sprecher sind
jetzt vor allem
Dienstleister
Solche Regierungssprecher wie Hans Kaiser gibt es schon gar nicht mehr. Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten. Nur in Bayern hat sich das noch nicht rumgesprochen. Man erschrickt über solche späte Auswüchse.
Horst Seehofer, der offenbar wegen der Affäre nicht am derzeitigen MP-Treffen in Thüringen teilnimmt, trat am Donnerstagabend sehr nervös, verlegen, mit rotem Kopf vor die Kameras und stammelte. Hatte er doch soeben noch zum Thema Medien Offenheit verkündet und den Spruch abgelassen, dass wir heute nicht mehr in Herrschaftszeiten leben…
Seehofer suchte nach Ausreden. Und er fand sie nicht. Statt klar zu sagen: Ich entschuldige mich beim ZDF und vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit für diese Fehlleistung meines Sprechers. – So löst man solche Krisen. Seehofer war gerade in seinen Umfragen endlich mal auf einen Baum geklettert, und es herrschte eine gewisse Entspannung in der Koalition in Berlin aus CDU/CSU und FDP. Jetzt ist er wieder runtergefallen. Aus eigener Schuld.
Dabei ist er selbst ein Profi aus der alten Garde – nicht anders als Vogel und – wie man sieht – nicht anders in der Rolle gefärbt. Jetzt kriegt er die Zähne nicht auseinander zu drei einfachen deutschen Hauptsätzen: „Das war Mist. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen.“
Die Presse ist frei – Punkt. So steht’s im Gesetz. Ihre Freiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen. Das weiß man eigentlich in der Bundesrepublik seit der Spiegel-Affäre mit Franz-Josef Strauß. Sie liegt gerade 50 Jahre zurück, wie die TLZ berichtete.
Das beruhigende an solchen Affären ist, dass die schlimmsten herauskommen. So auch hier. Das belegt: Die Demokratie ist – doch – intakt.
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