„Achtet darauf, zu welchem Inhalt die Leute zurückkehren!“ (Zitat der Woche)
Seid nicht so fixiert auf die Klicks, das bringt viel Leid in die Branche. Die meisten Klicks haben immer die billigsten Inhalte und provokantesten Schlagzeilen. Achtet darauf, zu welchem Inhalt die Leute zurückkehren, nur mit Geschichten auf hohem Niveau gewinnt Ihr eine treue Leserschaft.
Die New Yorker Firma chartbeat in der Arte-Sendung „Journalismus von morgen“, die am 9.November um 8,55 Uhr in Arte wiederholt wird. Zitat nach Lothar Müllers Besprechung in der SZ „Bleibt alles anders“ (26.8.14)
FACEBOOK-Kommentar
Raphael Raue
Man sollte sich von chartbeat nicht irre leiten lassen, die haben ein Produkt zu verkaufen. Ein gutes, was die interaktionsrate wirklich gut darstellt aber eben auch zeigt, dass klickstrecken und boulevardesker Inhalt ebenso gute Interaktionsraten bekommt wie gute Hintergründe und Reportagen. Habe das überprüft. In chartbeat.
Die SZ lobt „das Kriegsfahrzeug des kleinen Mannes“, gemeint sind IS-Terroristen und der Toyota Hilux
Das Foto sticht ins Auge: Wenige Tage nach der Ermordung des Journalisten James Foley zeigt die Süddeutsche Zeitung am Samstag das AP-Bild eines IS-Terroristen mit schwarzer Fahne und Kalaschnikow, der an einer Sanddüne auf einen Toyota Hilux schaut. Die Bildzeile, offenbar ernst gemeint:
IS-Kämpfer und Taliban, somalische Piraten und libysche Milizionäre – alle fahren Toyota Hilux. Warum Aufständische in aller Welt besonders gerne den japanischen Geländewagen nutzen.
Die Autorin Luisa Seeling kommt ins Schwärmen, man spürt ihre Emphase, am liebsten ins nächste Flugzeug gen Irak oder Syrien zu fliegen – und zu staunen über das „Symbol der asymetrischen Kriegsführung“:
Ob Tundra oder Wüstensand – mit dem Toyota Hilux lässt sich widriges Gelände sogar mit schweren Lasten bezwingen, behauptet zumindest der Hersteller. Diese Qualitäten wissen auch die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Syrien und Irak zu schätzen: Auf Fotos und Videos, die ihren Vormarsch dokumentieren, ist der Hilux oft zu sehen. Und nicht nur dort.
Afghanische Taliban, somalische Piraten, libysche Milizionäre – sie alle schätzen das Fahrzeug, das der US-Sicherheitsexperte Andrew Exum im US-Magazin Newsweek das „fahrende Pendant zum AK-47“ nannte. Die Zeitschrift hatte einmal die Länder aufgelistet, in denen schon Toyota-Pick-ups in bewaffneten Konflikten eingesetzt wurden: Libyen, Sudan, Pakistan, Ruanda, Liberia, Irak und Somalia waren etwa dabei. Pick-ups sind das Kriegsfahrzeug des kleinen Mannes und vor allem der Hilux ist zu einem Symbol der asymmetrischen Kriegsführung geworden.
Es ist keine Satire, es ist ernsthafter Journalismus in Deutschlands führender Zeitung. Also – nichts wie hin zum nächsten Toyota-Händler!
In derselben Ausgabe der SZ ist ein exzellenter Essay von Tomas Avenarius zu lesen – über den Kriegsreporter. Ob der auch den Toyota Hilux fährt?
Mehr über den Kriegsreporter bald in diesem Blog.
Quelle: SZ 23. August 2014
Die ideale Organisation einer Regionalzeitung! Eine Provokation zu einer notwendigen Debatte
Lasst die Provinz hochleben! Schafft den Zentralismus ab! Habt Mut, Euch Eures eigenen Verstandes zu bedienen – statt das Massenprodukt aus Zentralredaktionen den Lesern überzustülpen!
Jahrzehntelang hatten wir eine Organisation in der Redaktionen, die auf die Ewigkeit ausgerichtet war: Ressorts im heiligen Mantel, die in Tarifverträgen festgeschrieben waren (und noch sind, aber immer seltener beachtet werden, weil im Norden kaum mehr Verlage noch im Tarif sind); daneben gab es noch die meist belächelten Lokalredaktionen, in denen fast alle vom sozialen Redaktions-Aufstieg träumten, und das war ein Platz in den Konferenzen des Mantels.
Seit Jahren ist nichts mehr von Ewigkeit. Da keiner so recht weiß, wie die Zeitung der Gegenwart, erst recht die der Zukunft aussehen muss, bastelt man an den Organisationen. Kein Verleger kann noch auf den Desk verzichten, und so stellen ihre Chefredakteure einen großen teuren Tisch in die Redaktion. Oft bleibt es beim Holzstück.
Die ersten entsorgen schon das gute Stück, meist mit der Begründung: Der Desk hat keine Kosten gespart! Als ob der Desk zum Sparen gedacht war und ist! Nein, er sollte die Redaktion besser organisieren, die Kräfte bündeln, die Qualität heben und so den Leser erfreuen und halten.
Wer Kosten sparen will oder muss, der braucht keinen Desk. Er kehrt die Ecken aus, in die seit Ewigkeiten keiner mehr geschaut hat; es soll noch Redaktionen geben, die eine Texterfassung haben oder Sekretärinnen, die Mails ausdrucken. Oder er sagt einfach: Zwanzig Prozent auf alles, koste es, was es wolle – dafür braucht man keinen Desk, sondern den Rasenmäher im Kopf.
Die Verachtung des Desks hat einen zweiten Grund: Er wird zu einer grobschlächtigen Zentralisierung missbraucht. Vorzugsweise in Berlin produziert ein Zentraldesk sogenannte überregionale Seiten und beglückt damit Redaktionen in Nord und Süd, sogar in Ost.
Dieser Desk redigiert dpa und andere Agenturen, gießt einen Zuckerguss aus hübschen Reportagen darüber und kredenzt als Sahnehäubchen einmal im Jahr ein Exklusiv-Interview mit der Kanzlerin, das in Kurzform dann wieder von dpa zitiert wird – ohne dass sich eine Zeitung damit schmücken kann („Wie die Redaktionsgemeinschaft Müller-Meier-Schulze in einem Interview mit der Kanzlerin…“)
Diese Desks sind nicht besser, meist deutlich schwächer als dpa. Alles, was diese Tische produzieren, probiert dpa schon lange aus, ist dabei immer besser geworden und arbeitet an immer neuen Formaten, auch in der Desk-Organisation. Dpa reicht für alle Regionalzeitungen locker aus, wird sowieso von allen Redaktionen bezahlt und hat mit „dpa-News“ eine vorbildliche Plattform geschaffen: Exzellenter und schneller Überblick, Kommentar- und Frage-Funktion (auf die in spätestens 15 Minuten eine Antwort kommt) – Redakteursherz in der Provinz, was brauchst du mehr aus der großen weiten Welt?
Der größte Nachteil der zentralen Desks: Er verhindert, dass sich die angeschlossenen Redaktionen noch mit der Welt beschäftigen! Regionalzeitung bedeutet ja nicht: ich berichte nur noch aus meinem Beritt. Regionalzeitung bedeutet: ich schaue auf die Welt aus der Perspektive meiner Leser. Des Lesers Perspektive ist die einzig gültige.
Wenn ein Politiker fordert, wir müssen eine halbe Million Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen, dann fragt die Regionalzeitung Wie viele haben wir schon? Wie viele können wir unterbringen? Wie bereit sind die Bürger? Das ist nicht neu: Runterbrechen auf meinen Leser; aber eine Zeitung muss es auch tun, bei allen Themen, so aktuell wie möglich.
Ein Vorschlag zur Debatte: So könnte die ideale Organisation einer Regionalzeitung aussehen:
> In den Lokalredaktionen arbeiten die Redakteure als Reporter und nur als Reporter – abgesehen vom Lokalchef, der auch Reporter ist, aber zudem die Themen gewichtet und verteilt und bestimmt, wie seine Seiten aufgemacht werden.
Im Lokalen und nur im Lokalen werden die Nachrichten und die Geschichten recherchiert und geschrieben, die unsere Leser wollen, die sie brauchen und die sie als unverzichtbar erkennen; nur hier wird kommentiert, was die Meinungsbildung der Leser wirklich beeinflusst; nur hier beginnen die großen Debatten, die die Menschen bewegen; nur hier starten die Initiativen, die Ehrenämter, die Gründer. Der Lokalteil ist das bedeutendste soziale Netzwerk, wenn wir es nur wollen, wenn wir es können, wenn wir es richtig organisieren.
> In der Zentrale werden an einem Desk – oder an regionalen Standorten, an denen mehrere Lokalteile zusammenfließen – die Seiten gestaltet, die Meldungen sortiert und geschrieben (auch schon für den Online-Auftritt), die Texte der Reporter redigiert. Der Blattmacher ist vor allem Textchef, er ist der Qualitäts-Manager und ein bisschen Gestalter, wobei das Layout und all die Relaunches weit überschätzt werden: Es kommt auf den Inhalt an; stimmt der nicht, ist alles andere Schnickschnack.
Im Regionalen ist Zentralisierung zweckmäßig. Die Nachbarschaft unserer Leser deckt sich selten mit dem Zuschnitt unserer Lokalredaktionen; zu schnell haben wir den Unsinn von Politikern übernommen, die Kreise ohne Sinn und Verstand am Bürokraten-Tisch entwarfen.
Der Zentral-Desk kann ohne lange Konferenzen wieder zusammenbringen, was zusammengehört; er kennt die Historie einer Region, weiß um Pendler- und Einkaufs- und Schul- und Freizeit-Ströme, er kennt Zuneigung und Animosität von Nachbarn. Was Facebook kann, kann ein Desk schon lange (zumindest kann er es lernen). So überwinden wir auch den Nachteil von Lokalredaktionen, die sich gerne wie in einer Burg fühlen und die Zugbrücke hochziehen.
> Am Desk schaut der Chef alles an, nimmt die besten Geschichten und Nachrichten aus dem Lokalen und sortiert sie – für die Titelseite, für Wirtschaft und Kultur, für den Regionalteil usw. Er regt an und manchmal auch auf; er ist Drehscheibe, der gute Themen einer Redaktion den anderen ans Herz legt; er hilft weiter mit Hintergrund-Stücken zu lokalen Geschichten (auch zusammen mit dpa), Info-Kästen, Grafiken u.ä.; er schaut in die Agenturen und das Netz, um aktuelle Themen zu entdecken, die schnell runterzubrechen sind.
Er verfügt über einige Reporter, die Themen recherchieren, die als Aufmacher der Titelseite taugen (so sie nicht schon lokal sind), sei es aus der Landespolitik, der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Gesundheit usw. Im Idealfall hat er einen Korrespondenten in Berlin – am besten auch in Brüssel -, der ihm Nachrichten und Geschichten für seine Region, für seine Lokalteile bringt und nicht einen Zweitaufguss von Artikeln. wie sie auch dpa schreibt und die Tagesschau sendet.
> Am Desk werden schnell und unaufwändig auch die Seiten, meist aus dpa-Material, produziert, die unsere Leser wünschen, die aber nicht der Grund sind, warum sie unsere Zeitung abonnieren oder kaufen: Themen des Tages, Vermischtes usw. Was auf diese Seiten passt, ist aber auch von Region zu Region verschieden.
In Erfurt kommt auch ein Ex-DDR-Star aufs Vermischte, den in Düsseldorf keiner kennt; in Bremerhaven steht das Werften-Problem auf der Themen-Seite, wenn es in Berlin diskutiert wird, aber im Allgäu interessiert es keinen. Und auf der Ratgeber-Seite ist der Tipp des heimischen Chefarztes wichtiger als der einer Koryphäe, der ein paar hundert Kilometer entfernt operiert.
> Der Desk ist auch vorbereitet auf die Zeit, wenn wir die Zeitung im Internet verkaufen. Wenn „Online to Print“ kommt, geht es nur mit einem Tisch – erst recht lokal.
Es gibt einige gute Vorbilder. In Neubrandenburg trennte man sich von einem fremden Desk, weil er vielleicht Kosten sparte, aber Leser kostete. In den USA kaufte der Milliardär Warren Buffett für 350 Millionen Dollar Regional- und Lokalblätter, die sich der Gemeinschaft verpflichtet fühlen, eine richtige gute Provinzzeitung machen und nicht missionarischen Ideen selbsternannter Qualitäts-Journalisten folgen. „In Städten und Orten mit einem starken Gemeinschaftsgefühl gibt es keine wichtigere Einrichtung als die Lokalzeitung“, sagt Buffett. „Zeitungen haben eine gute Zukunft, wenn sie weiter Informationen liefern, die man nirgends sonst findet.“
Hören wir also auf den Milliardär! Hören wir auf, in Festreden die hohe Bedeutung des Lokalen zu loben! Organisieren wir es einfach, mit Herz und Verstand!
Wo leben und arbeiten die Print-Grufties? (Zitat der Woche)
Die Redaktionen der Funke-Mediengruppe sind die „Heimstätte bemitleidenswerter Print-Grufties“, so zitiert der kressreport ungenannte Kritiker (22. August 2014).
Antisemitismus und Rechtsextremes im Leserbrief: Wie der Chefredakteur in der Zeitung antwortet
Wie können Sie behaupten, dass bei bis zu 100.000 Thüringern mit nationaler Gesinnung die NPD keine Chance hat?
So fragt ein Leser, nachdem er die Chefredakteurs-Kolumne „Leser fragen“ gelesen hatte, in der ein Offener Brief der NPD zu Wahlkampf in Thüringen und Pressefreiheit eine Antwort fand. Der Leser fährt fort:
Sie zeigen uns, dass Sie voll auf politisch gewollter Linie liegen und es eine Pressefreiheit in Deutschland zur Zeit nicht gibt!
Ich kann den Zweck Ihrer offensichtlichen Manipulationen schon verstehen. Die Thüringer gehören mehrheitlich der christlichen Religion an bzw. sind Atheisten! In Ihrer Zeitung ist seit Ihrem Amtsantritt eine andere Religionsgemeinschaft überproportional vertreten.
Glauben Sie nicht, dass die Leser das nicht bemerkt haben? Hinter vorgehaltener Hand wird schon nicht mehr von der Thüringer Allgemeinen sondern von der „Jüdischen Allgemeinen“ gesprochen!
Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:
Sehr geehrter Herr S.,
Sie haben recht: Sie zählen zu den rund 250.000 Thüringern – also deutlich mehr als Ihre vermuteten 100.000 – mit rechtsextremer Einstellung. Das fand der „Thüringer Monitor“ heraus, über den wir kurz vor Weihnachten berichtet hatten.
Offenbar wählen die Rechtsextremen aber nur zum geringen Teil die NPD, wie die Umfragen und die Wahlen der vergangenen Jahre zeigen. Thüringen ist das ostdeutsche Bundesland, in dem noch nie ein Rechtsradikaler in den Landtag gewählt worden ist.
Eine Redaktion, die Freiheit und Demokratie schätzt, wird sich bemühen, dass dies so bleibt. Lenin wird der Satz zugeschrieben: „Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.“ Die Rechtsextremen mögen ähnlich denken, wenn sie von den Demokraten und der Pressefreiheit sprechen – und sie werden sich ebenso irren, wie es Lenin tat.
Wir schätzen keine Diktaturen, wir verachten den Faschismus. Damit wir nie wieder erleben, wie Deutsche ein Volk ermorden, darum erinnern wir immer wieder an den braunen Terror – aber debattieren auch über die Irrtümer in der Geschichte der Christen, wenn wir beispielsweise Luthers Judenhass zum Thema machen.
Wir wollen erreichen, dass der Antisemitismus in Thüringen keine Zukunft hat. Und Sie haben wieder Recht: Die Zahl der Rechtsextremen hat sich in den vergangenen Jahren halbiert – und das können sie bitte verbreiten ohne vorgehaltene Hand.
**
Thüringer Allgemeine, 16. August 2014
Antwortet eine Redaktion auf den offenen Brief der NPD zur Pressefreiheit? Und wenn ja: Wie?
NPD-Landesvorsitzender Patrick Wieschke schreibt als „Leser und Demokrat“ einen offenen Brief an den Chefredakteur der Thüringer Allgemeine über die Pressefreiheit. Unter anderem ist zu lesen:
Mit Sorge beobachte ich, daß die Pressefreiheit zunehmend mißbräuchlich verwendet wird. Durch das Grundgesetz ist nicht nur die Freiheit der Presse garantiert, sondern eben auch das Grundrecht auf Information (Art. 5) für alle Staatsbürger und das Recht auf freie Wahlen (Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 sowie Artikel 38 Abs. 1).
Dieses wird meines Erachtens dadurch unterlaufen, indem Journalisten nach rein subjektiven Einschätzungen und vielleicht auch privaten politischen Meinungen ihre Berichterstattung vornehmen.
Im laufenden Landtagswahlkampf gipfelt die Beeinträchtigung oben genannter Grundrechte darin, daß die von Ihnen verantwortete Thüringer Allgemeine eine eigene Einschätzung dergestalt vornimmt, welche Parteien „wichtig“ sind und folglich welche nicht.
Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet in seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“:
Sehr geehrter Herr Wieschke,
unsere Zeitung stellt alle Parteien vor. Ausführlich werden Parteien mit ihren Programmen verglichen nach folgenden Kriterien:
> Mitglieder des aktuellen Landtags (CDU, Linke, SPD, FDP und Grüne)
> und die AfD als Partei, die nach den Umfragen gute Chancen hat, in den Landtag einzuziehen. Die anderen sechs Parteien, darunter die NPD, haben offensichtlich kaum Chancen.Gleichwohl können sich unsere Leser auch ausführlich in allen Partei-Programmen informieren. Der Wahl-O-Mat wird bald auf unserer Internet-Seite wieder Tausenden von Lesern die Chance geben, ihre eigenen politischen Anschauungen mit denen der Parteien in Thüringen – also auch der NPD – zu vergleichen.
Mit Verwunderung habe ich Ihre Belehrung zu Pressefreiheit gelesen. Pressefreiheit in einer Demokratie erlaubt, ja fordert und fördert sogar subjektive Einschätzungen.
Wenn Sie subjektive und private politische Meinungen als „Beeinträchtigung“ ansehen, wollen Sie faktisch die Pressefreiheit abschaffen. So verfahren Sie auch: Die NPD verhindert immer wieder Berichterstattung von ihren Parteitagen.
Sie bemühen als Feind unserer Verfassung die Pressefreiheit, um sie abzuschaffen – so wie sie es mit den meisten unserer Grundrechten tun wollen. Jeder Redakteur der TA dagegen schätzt und schützt unsere Verfassung. Wir werden nicht untätig zusehen, dass Sie dies verhindern wollen.
**
Thüringer Allgemeine 9. August 2014
Ein Kuss, ein Gebet – Die letzten Stunden der Opfer von MH 17: Ein Glanzstück der Nachrichtenagentur AP
Das sind die Geschichten, die Leser lieben: Wie verbrachten die Passagiere des Flugs MH 17, den Terroristen abgeschossen haben, ihre letzten Stunden? Mit wem sprachen sie zuletzt? Wie lautete ihre letzte Mail? Welchen Menschen sahen sie als letzten, bevor sie zum Flugsteig gingen? Wen küssten sie? Wen umarmten sie?
Es ist schon ungewöhnlich, dass eine große Nachrichtenagentur wie AP solch ein großes Erzähl-Stück recherchiert und veröffentlicht. Normalerweise bringt sie die aktuelle Meldung, vielleicht noch die Namensliste der Opfer, ihre Nationalitäten. Kristen Gelineau, AP-Chefin in Australien, wollte hinter die Nachrichten schauen, die Kleinigkeiten entdecken, die das Leben ausmachen, sie suchte den Zeitstempel des letzten Gesprächs der Opfer, sie wollte „Qualität statt Quantität“ – und bat um Recherche-Hilfe bei Reportern in Neuseeland und auf den Philippinen, in Indonesien, Holland und Malaysia.
Erin Madigan White erklärte die Reportage „A kiss, a prayer: The last hours of MH 17’s victims“ im AP-Blog zum „Beat of the week“, der mit 500 Dollar honoriert wird. Kristen Gelineaus Geschichte beginnt so (frei übersetzt):
Im Schlafzimmer eines Hauses nahe Amsterdam fragt Miguel seine Mutter: „Mama, darf ich Dich umarmen?“ Samira, seine Mutter, legt ihre Arme um ihren elfjährigen Sohn, der sie seit Tagen nervt mit Fragen nach dem Tod, nach Gott und seiner Seele.
Am nächsten Morgen brachte sie ihn und seinen großen Bruder Shaka zum Flughafen, wo sie den Flug Malaysia Airline 17 nehmen wollten, um ihre Großmutter in Bali zu besuchen mit der Aussicht auf Wasser-Ski und Surfen im Paradies.
Irgendetwas war anders. Am Tag vor dem Flug brach es aus Miguel heraus beim Fußballspiel: „Wie willst du sterben? Was wird aus meinem Körper, wenn ich beerdigt bin? Fühle ich nichts, weil unsere Seele zu Gott zurückkehrt?“ Er beginnt mich zu vermissen, sagte sich seine Mutter. Sie hielt ihn die ganze Nacht fest in den Armen.
Das war um 23 Uhr am 16. Juli. Shaka und 296 andere Passagiere auf Flug 17 hatten noch ungefähr 15 Stunden zu leben.
Die Geschichte liest sich wie die Skizze für einen großen Roman. Zur Nachahmung empfohlen – für Nachrichtenagenturen und jeden, der Qualität mag und seine Leser liebt.
Diekmann hat bei Wulff-Frühstück nicht angebliche Rotlicht-Vergangenheit der Gattin angesprochen, so Diekmann
Veränderte Überschrift
@KaiDiekmann korrigierte in einem Tweet:
@pjraue BEI JENEM FRÜHSTÜCK spielte das Thema in der Tat keinerlei Rolle! Heisst nicht, dass es nicht eine andere Gelegenheit gab!
Die ursprüngliche Überschrift lautete: „Diekmann hat mit Wulf nicht über angebliche Rotlicht-Vergangenheit der Gattin gesprochen, sagt Diekmann“
**
Was geschah beim Frühstück im Schloss Bellevue, als Bundespräsident Wulff Bild-Chefredakteur Diekmann zu Kaffee und Toast eingeladen hatte – damals wohl noch ein Herz, aber ohne Seele? Die Berliner Morgenpost lauschte und schrieb nach dem Wulff-TV-Auftritt bei Maybrit Illner:
Wer seine Urlaube mit Top-Wirtschaftsleuten verbringt, wer Amt und Freundschaften bis zur Unkenntlichkeit vermischt, der ist eine dubiose öffentliche Figur. Und wenn Kai Diekmann bei einem privaten Frühstück im Schloss Bellevue die neue Ehefrau Bettina Wulff auf ihre angebliche Rotlichtvergangenheit anspricht, dann wäre spätestens das der Moment gewesen, den Mann sofort vor die Tür zu setzen. Warum hat Wulff damals kein Rückgrat gezeigt?
Diekmann antwortet kurz vor Mitternacht per Twitter:
@KaiDiekmann: Ganz einfach, liebe @morgenpost: Ich habe das Thema bei jenem Frühstück gar nicht angesprochen.
Worüber haben die Drei denn gesprochen? Die FAZ hatte Wulffs Mailbox-Nachricht auf Diekmanns Handy veröffentlicht – ist jetzt die Süddeutsche an der Reihe, Diekmanns Gedächtnisprotokoll des Frühstücks im Bellevue zu drucken?
++
Quellen: Morgenpost 25.7.2014 / Tweet Diekmann

„Deutschlandradio Kultur“ hat das Mediengespräch am Morgen beerdigt
Journalisten sind eitle Menschen – auch nicht wenige leitende Redakteure von Regionalzeitungen, die selten eine Chance haben, im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört zu werden. Kurzum: Sie freuen sich über jeden Auftritt!
Besonders beliebt war das Mediengespräch, einst das Zeitungsgespräch, in Deutschlandradio Kultur – jeden Morgen um 8.10 Uhr. Da stand der Redakteur gerne mal früh auf, um am Telefon zu erklären, warum es auch in der Provinz bisweilen hoch hergeht – oder auch: Warum eine Zeitung in der Provinz die Welt erklären kann. Da gab es legendäre Stimmen und Erklärer: Wolfgang Molitor von den Stuttgarter Nachrichten beispielsweise oder Alfons Pieper von der WAZ, als er stellvertretender Chefredakteur war.
Bisweilen ging es auch so daneben, dass einem der Moderator leid tat: Kein gerader Satz, kein Inhalt, Lampenfieber pur. Doch die fünf Minuten am frühen Morgen waren auch eine Verbeugung vor den Zeitungen in der Provinz, die massgeblich die öffentliche Meinung in Deutschland herstellen und nicht selten bestimmen. Gerade Deutschland-Radio Kultur legt, oder besser: legte großen Wert darauf, von den Eliten, Meinungsbildnern und Multiplikatoren gehört zu werden. Die Journalisten in der Provinz gehören nicht mehr dazu.
Das Zeitungsgespräch ist gerade wegreformiert worden. Auf die Frage, ob es einen neuen Sendeplatz gebe, antwortet der Sender:
Das Feuilletonpressegespräch wird es weiter geben – künftig in der Sendung „Kompressor“ (montags bis freitags von 14.00 bis 15.00 Uhr), allerdings nicht mehr täglich, sondern 2-3mal pro Woche in der Rubrik „Das Lesen der Anderen“.
Ruhe sanft!
Interview-Eklat (3) – Gestrichen: „Hören Sie auf, wenn Sie Weltmeister werden?“ Löw antwortete „Gut möglich“
Wieder ein Redakteur, diesmal ein Chefredakteur, der von einer peinlichen Interview-Autorisierung erzählt – allerdings ein Vierteljahr zu spät. Der Schweiz am Sonntag hatte Bundestrainer Löw seinen Rücktritt angedeutet, aber DFB-Pressesprecher Jens Grittner drohte und flehte am Telefon: „Wenn Sie diesen Satz im Interview drin lassen, dann brauchen wir gar nicht erst nach Brasilien fahren!» Es ist Samstagabend, 29. März, drei Stunden vor Andruck.
Der DFB-Pressesprecher sagte dann noch: „Also machen Sie jetzt bitte keine Dummheiten! Die deutschen Medien stehen Kopf, wenn Sie das drucken.“ Die Schweizer druckten diese beiden Löw-Sätze, die letzten im Interview, nicht:
Frage: „Falls Sie Weltmeister werden, hören Sie dann auf?“
Löw: „Das weiss ich nicht. Gut möglich. Nach zehn Jahren kann ich mir auch vorstellen, dass ich mal gerne wieder einen Verein trainieren möchte.“
Chefredaktor Patrik Müller berät mit seinem Reporter Markus Brütsch, der das Interview geführt hat, und kommt zum Ergebnis:
Drucken, was effektiv gesagt wurde – es aber damit wohl für alle Zeiten mit Löw und dem DFB verderben? Ist es das wert? Gemeinsam entscheiden wir, die Spielregeln, wie sie sich in unserer Branche eingebürgert haben, zu respektieren. Schliesslich haben wir das Interview nur unter der Voraussetzung bekommen, dass es gegengelesen werden darf.
Und wie endet das gedruckte Interview:
Falls Sie Weltmeister werden, hören Sie dann auf? —
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Und warum erzählt der Chefredakteur heute diese Geschichte einer unterdrückten Sensation?
Jetzt darf das verbotene Zitat raus. Eine gewisse Pikanterie hat es nach wie vor, schliesslich ziert sich Jogi Löw zurzeit immer noch, klar zu sagen, dass er seinen Vertrag, der bis zum Jahr 2016 läuft, erfüllt und Bundestrainer bleibt. Auch wenn alle davon ausgehen, dass er es macht.
Falls es so kommt, lieber DFB: Wir hätten dann gern mal noch ein Interview mit dem Weltmeistertrainer. Wir waren doch so nett.
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