Was macht Johann Sebastian Bach mit unserem Herzen? (Friedhof der Wörter)
„Du hast das Herz genommen“, sagt ein finster blickender Mann in einem Horrorfilm – also in einem der Filme, vor denen TV-Sender warnen müssen „Für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“ (was dazu führt, dass die meisten Zuschauer unter 16 sind).
„Du hast das Herz genommen“, sagt der Arzt zu seinem Kollegen, wenn die Organ-Entnahme gelungen ist, das Herz verpackt und zu einem Patienten geflogen wird, der irgendwo in Deutschland auf die Verlängerung seines Lebens wartet.
„Du hast uns das Herz genommen“, singt der Chor in der Kantate von Johann Sebastian Bach, die er für den Sonntag vor Ostern, den Palmsonntag, geschrieben hatte – seine erste überhaupt als Konzertmeister am Weimarer Hof.
Vom Nehmen des Herzens ist in jedem der drei Beispiele die Rede. Aber das „Herz“ wandert in seiner Bedeutung durch die Jahrhunderte und ändert seine Farbe:
> Düster ist es, wenn ein Diener schwarzer Messen das Herz herausschneidet;
> rot ist es, wenn es als Lebens-Spender in einen anderen Menschen verpflanzt wird – aber in einem anderen Rot wie in romantischen Herz- und Schmerz-Schlagern wie „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“;
> kirchlich violett wird es bei Johann Sebastian Bach, für den das Herz ein mystischer Ort ist.
Bachs „Herz“ verstehen wir nicht mehr: Wir freuen uns an der Musik, klatschen begeistert Beifall, wenn wir die Kantate im Konzertsaal hören, aber der Text bleibt uns fremd. Was will uns der Weimarer Dichter Salomon Franck sagen, der für Bach die Vorlage geliefert hat?
Erst hat Gott, der Himmelskönig, „uns das Herz genommen“, wenige Minuten später legen wir es dem Heiland nieder; am Ende der Kantate sind Folter und Hinrichtung, also die Passion, „meines Herzens Weide“.
Das „Herz“, wie es Bach und seine Zeit verstand, hat nur noch die Schreibweise mit unserem Herzen gemeinsam: Was er sagen will, verstehen wir nicht mehr; auch des Pfarrers Mühe in der Predigt ist vergeblich.
Wörter haben ihre Geschichte, sie verwandeln sich, und sie verführen uns, wenn wir nicht achtsam sind, zum Missverständnis – bei aller Herzensfreud.
* Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 14. April 2014
Herbert Kolbe ist tot: Der Pionier der lokalen Welt-Zeitung – aus Emden
Jede deutsche Zeitung vor dreißig Jahren war ein „Generalanzeiger“: Große Politik, große Wirtschaft, große Kultur und am Rande ein bisschen Lokales. Wer nicht mitleidig belächelt werden, wer etwas werden wollte, der sah zu, dass er so schnell wie möglich aus der Lokalredaktion in den „Mantel“ kam.
Die Revolution kam aus dem Norden, von einer kleinen Zeitung an der holländischen Grenze mit gerade mal neuntausend Abonnenten. Der Revolutionär hieß Herbert Kolbe, die Zeitung war die Emder Zeitung.
Herbert Kolbe wurde in Emden 1981 Chefredakteur: Er hatte eine Mission:
Durchdringung der ,großen‘ Nachrichten mit dem Lokalen, wobei ich es lieber umgekehrt formuliere: Durchdringung des Lokalen mit den ,großen‘ Nachrichten.“
Er hatte eine Mission, die er konsequent verwirklichte, aber er war kein Missionar. Er war Realist, der sich die Frage stellte: Ist die Zeitung im Stile eines Generalanzeigers noch zeitgemäß? Hat sie eine Zukunft?
Kolbe begann die Leser-Forschung bei seinem Verleger Edzard Gerhard, der Anfang der achtziger Jahre den Verlag von seinem Vater übernommen hatte: „Ich mochte die eigene Zeitung nicht mehr lesen“, bekannte der Verleger. So viel Ernüchterung war selten, wenn nicht einmalig vor 35 Jahren. Auch der neue Chefredakteur mochte seine Zeitung nicht – und war erstaunt, dass es seinen Lesern ähnlich ging.
Sie langweilten sich bei Meldungen wie „Außenminister Genscher wird morgen mit seinem Amtskollegen NN zusammentreffen und voraussichtlich die bilteralen Beziehungen erörtern…“ Kolbe beschloss das Ende der Langeweile, wollte nicht mehr die kostbare Zeit seiner Leser vergeuden – und verbannte „die zahllosen Handschüttel- und Bundestags-Stehpult-Bilder gnadenlos aus der Zeitung“. Er riß die Ressortgrenzen nieder, schuf eine vertikale Struktur in der Redaktion – also: Lokales und Welt auf Augenhöhe. „Rathaus und Bundeshaus in einem Team“, so arbeitete Kolbe in seiner Redaktion.
Kolbe war ein harter Chefredakteur, dem seine Leser wichtiger waren als seine Redakteure – die sich heftige Kritik gefallen lassen mussten:
> Mittelmäßiger bis schlechter Sprachstil,
> weitgehend ohne Kenntnis der journalistischen Stilmittel,
> dürftige optische Darbietung,
> ungeordnet und meist schlecht ausgebildet.
Diese Kritik übte er nicht nur an seiner Redaktion: „Das ist der Standard vergleichbarer Tageszeitungen (was ja nichts mit Auflagenhöhen zu tun hat)“.
Kolbe trennte sich vom Mantel aus Osnabrück und schuf eine Zeitung aus einem Guß. Auf der Titelseite standen gleichrangig Nachrichten aus Emden und der Welt – eben die wichtigsten des Tages aus der Perspektive der Leser. Nicht selten, wenn die Welt ruhte, standen allein Berichte und Fotos aus Emden auf der Titelseite.
Aber nicht „Local first“ wurde zum Prinzip, sondern stets: „Einordnung des lokales Sachverhalts in das Gesamtgeschehen des Tages“ – mit der Folge, die heute Online-Redakteure als von ihnen entdeckten Fortschritt preisen:
Erst in der Mischung aller bedeutenden Ereignisse eines Tages erhält das Lokale den richtigen Platz und angemessenen Stellenwert. Auch das könnte man wieder umgekehrt ausdrücken.
Das erste Buch wurde zum lokalen Buch, Politik und Meinung wanderten ins zweite Buch. Die Hausfarbe der Zeitung wechselte vom Blau zu Orange, der Blocksatz wurde vom Flattersatz abgelöst – ein bisschen und mehr sah dieEmder Zeitung aus wie USA Today. Die Auflage stieg, in manchem Jahr über vier Prozent.
Kolbe nannte seine Revolution selber den „Urschrei“ und machte sich ein wenig lustig über andere, also die meisten Zeitungen, die Alarmzeichen nicht sehen wollten. Der Rest der Chefredakteure machte sich allerdings lustig über den Provinzler von der Küste. Wer das Lokale so hoch schätzte wie Kolbe musste sich Urteile wie „Das Ende des Qualitätsjournalismus“ gefallen lassen.
Nur wenige sahen die Zeichen: Der Wiener Publizistik-Professor Wolfgang Langenbucher geißelte die Mißachtung des Lesers und die Hofberichterstattung in den meisten Zeitungen. Schon in den achtziger Jahren hielt er die wachsenden Reichweiten-Verluste bei den jungen Leuten für eine Gefahr – für die Zeitung wie für Gesellschaft und Demokratie. Die Frage, ob die Zeitung ein Integrationsmedium bleiben kann, hielt Langenbucher für eine „Schicksalsfrage der Gesellschaft“.
Ebenfalls in der achtziger Jahren schuf Dieter Golombek das „Lokaljournalistenprogramm“ – in einer Behörde, der Bundeszentrale für politische Bildung. Kaum ein Programm hat den Journalismus in Deutschland stärker verändert. 1980 vergab Golombek erstmals den „Deutschen Lokaljournalistenpreis“, der zum bedeutendsten Zeitungs-Preis in Deutschland wurde, der Trends erkannte und setzte. 1980 – das war auch das Jahr, in dem Emden aufbrach in die neue Zeitungszeit.
Die Emder Zeitung hat, wenn ich es recht überblicke, nie den Lokaljournalisten-Preis gewonnen. Das ist einer der wenigen Irrtümer der Jury. Kolbe hätte für seine Pioniertat und sein Lebenswerk den Preis verdient gehabt – ebenso wie den Theodor-Wolff-Preis, den aber bis heute vor allen Leitartikler und Helden des Generalanzeigers für ihr Lebenswerk bekommen.
Kolbes Konzept ist seltsam modern: Die meisten Debatten um die Zukunft der Zeitung und die Gegenwart des Digitalen kreisen um Themen und Ideen, die er schon früh erkannt und formuliert hatte. Am 6. April 2014 ist Herbert Kolbe gestorben, 72 Jahre alt.
Ich habe viel von ihm gelernt. Parallel zur Emder Zeitung entwickelte ich mit meiner Redaktion in der Oberhessischen Presse eine moderne Lokalzeitung im Marburg der achtziger Jahre, belächelt von den meisten in der Zunft, aber geachtet von den Lesern in der Universitätsstadt; auch in Marburg stieg die Auflage kontinuierlich, als das Lokale auf die Titelseite und ins erste Buch kam.
Der Chefredakteur der Oberhessischen Presse berief sich übrigens auf ein noch älteres Konzept, das der US-Presse-Offizier Shepard Stone 1945 bei der Lizenzvergabe so formuliert hatte:
Die Zeitung muss sich durch die Art ihrer Berichterstattung das Vertrauen der Leser erwerben: Der Lokalberichterstattung muss die stärkste Beachtung geschenkt werden und damit den vordringlichsten Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volks.
*
Quelle für Kolbe- und Langenbucher-Zitate:
> Bernd-Jürgen Martini „Journalisten-Jahrbuch 1989“, darin:
> Herbert Kolbe „Das Beispiel Emden: Wie man Erfolg hat“
> Wolfgang Langenbucher „Noch immer wird der Leser mißachtet!“
Die neue Basis des Journalismus: Storytelling und Multimedia
Was sind die Grundlagen des Journalismus? Diego Yanez ist der neue MAZ-Direktor, der Schweizer Journalistenschule; er beantwortet die Frage nach der „soliden Grundausbildung“ im April-Newsletter der Schule:
Recherche, Medienrecht, Storytelling, multimediale Fertigkeiten und vieles mehr.
Schreiben und Redigieren und die Nachricht und die Reportage, über Jahrhunderte die Basis des Journalismus, gehören mittlerweile zu „vieles mehr“. Aber immerhin, so beginnt der Newsletter: „Journalismus ist nach wie vor ein Traumberuf.“ Dann tell me mal ne Story.
In den Grundkurs zum Interview gelangt sicher bald das Interview im Newsletter mit einer erfolgreichen Absolventin. Beispiel:
Frage: Pro Jahr schliessen fast 100 junge Journalisten eine Journalistenschule ab. Braucht es die alle?
Antwort: Keine Ahnung.
Braucht es die alle?
Ausgebrannt oder burn-out? (Friedhof der Wörter)
Alle reden vom „Burn-out“. Wer nicht Symptome dieser Krankheit spürt, ist nicht von dieser Zeit: Der Alltag und der Beruf, die Gesellschaft und der Kapitalismus machen uns fertig. Wer stöhnt nicht unter der Last? Wer kann es sich überhaupt leisten, nicht zu stöhnen?
Ist Burn-out überhaupt eine Krankheit? Im großen Buch der 12.000 Diagnosen, das die Weltgesundheits-Organisation herausgibt, fehlt das Burn-out.
Denken wir hier nicht über Erschöpfung und Stress nach, sondern über das Wort, den Anglizismus „Burn-out“; der Duden führt ihn seit gut zehn Jahren und gibt als Schreibweise „das (!) Burn-out“ vor, ersatzweise auch zusammengeschrieben „Burnout“. Wir könnten ein treffendes deutsches Wort dafür finden: ausgebrannt. Das Sprachbild ist stark, reizt unsere Sinne: So wie ein Haus ausbrennt, so brennt die Seele eines Menschen aus.
Der „Sturm-und-Drang“-Erfinder Friedrich Maximilian Klinger war ein Jugendfreund Goethes, der eine Zeitlang in Weimar lebte. Er dürfte als erster „ausgebrannt“ für eine Regung unserer Seele, für das Ende einer Liebe, genutzt haben. In seinem Drama „Der Günstling“, vor gut zwei Jahrhunderten geschrieben, sagt einer:
Eure Liebe war ein Traum, der um beseelte Schönheit buhlte; Ihr fandet sie verschwunden und Eure Liebe brannte aus.
Doch „ausgebrannt“ machte keine Karriere in unserer Sprache. So ließen wir „Burn-out“ einwandern:
> In den USA schrieb Graham Greene in den sechziger Jahren die Aussteiger-Geschichte_ „Ein ausgebrannter Fall“ (A burnt-out case). Ein Kirchen-Architekt ist seiner Arbeit und seines Lebens überdrüssig und wandert nach Afrika aus.
> In den achtziger Jahren der USA galt „A burn-out“ auch nicht als Krankheit, sondern als Lebensmotto: Junge Rebellen und Aussteiger wollten lieber kurz brennen, als ein langes langweiliges Leben führen.
Der Sänger Neil Young schrieb die Hymne der brennenden Generation: Besser ist es zu verbrennen als langsam zu verblassen („It’s better to burn out than to fade away“). Kurt Cobain, der Kult-Rebell, schrieb vor genau zwanzig Jahren diese Zeile in seinen Abschiedsbrief und erschoss sich mit einer Schrotflinte.
Kolumne „Friedhof der Wörter“ in Thüringer Allgemeine 7. April 2014 (redigierte Fassung)
Das Greene-Buch „Ein ausgebrannter Fall“ ist als dtv-Taschenbuch auf dem Markt.
Neil Youngs Lied ist „My my – Hey hey“
Wenn Studenten keine Zeitung mehr lesen, verdummt die Gesellschaft (Friedhof der Wörter)
Beerdigen wir kurz und würdelos diese Wörter und Wendungen:
- Vorraussetzung
- Beispiel hier führ
- Vermeidlich (statt: vermeintlich)
- Wiederrum
- Wiederstand
Diese Wörter fand die Politikwissenschaftlerin Hannah Bethke aus Greifswald in Hausarbeiten ihrer Studenten. Es sind, so versichert sie, nur Beispiele.
Sie ist erschüttert über die Unkenntnis der deutschen Rechtschreibung bei den meisten Studenten. „Es werden Fehler gemacht, mit denen man nicht einmal einen Hauptschulabschluss kriegen dürfte“, schreibt sie in einem Artikel für die FAZ.
Diese Mängel stellt sie fest:
- Der Konjunktiv: grundsätzlich falsch oder gar nicht angewendet.
- Die Regeln der Kommasetzung: weder verstanden noch umgesetzt.
- Die Groß- und Kleinschreibung: Ein großes Rätsel des Universums.
- Satzbau: Unlogisch, oft unvollständige Sätze.
- Grammatik: Tiefgreifende Unkenntnis.
Die Ursachen sieht die Dozentin in der Weigerung der Studenten, noch Bücher zu lesen, in der Weigerung von Lehrern und Professoren, Fehler zu kontrollieren und schlechte Noten zu geben, und im Versagen des Bildungssystems. Fügen wir noch hinzu: Auch in der Lustlosigkeit der jungen Leute, Zeitung zu lesen.
Die Zukunft sieht Hannah Bethke düster: Eine nachhaltige Verdummung der Gesellschaft.
Hat sie Recht? Oder übertreibt sie?
Kolumne „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine, 31. März 2014
Wenn ein Sprachbild hinkt
Angeregt durch nachwachsende Rohstoffe endet der SZ-Leitartikel über die Energiewende mit einem nachwachsenden Bein:
So steht die deutsche Energiewende nur auf einem Bein. Wächst das zweite Bein nicht bald nach, fällt sie irgendwann um.
Bum.
Quelle: SZ, 31. März 2014
Ein guter Satz, eine tolle Reportage: Guardiola-Porträt in der SZ
Ist dieser Zeitungs-Satz ein guter Satz:
Hermann Gerland, dem große Worte ansonsten so suspekt sind, wie Pep Guardiola rote Meistermützen suspekt sind, Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.
Variante 1 – Nach der reinen Stillehre hätte der Satz geteilt werden müssen:
Hermann Gerland sind große Worte ansonsten so suspekt wie Pep Guardiola rote Meistermützen. Hermann (oder: Dieser) Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.
Variante 2 – Eleganter wäre diese Teilung in zwei Hauptsätze:
Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“. Ansonsten sind Hermann Gerland große Worte so suspekt wie Pep Guardiola rote Meistermützen.
Trotzdem ist der Satz, wie er in der SZ-Reportage von Christoph Kneer steht, ein guter Satz. Dafür gibt es drei Gründe:
- Wer nur Hauptsätze aneinander reiht, langweilt den Leser – erst recht in einer Reportage, die eben keine Nachricht ist, kein Bericht.
- Eine Trennung der beiden Sätze durch ein Semikolon oder einen Gedankenstrich funktioniert nicht, weil beide Sätze eine starke, eine eigenständige Aussage enthalten. Allenfalls in der zweiten Variante wäre eine Semiokolon-Lösung denkbar.
- Wenn ich aus zwei starken Aussagen, die dasselbe Subjekt haben (Hermann Gerland), einen Satz bilden will: Dann darf der eingeschobene Nebensatz maximal fünf bis sieben kurze Wörter enthalten (Drei-Sekunden-Regel). Umfasst er vierzehn Wörter wie in diesem Fall, dann muss ich das Subjekt noch einmal aufnehmen: „Hermann Gerland also…“
Zum Glück verzichtet Christoph Kneer bei der zweiten Gerland-Nennung auf ein Synonym wie „Der Co-Trainer“; die Wiederholung des Namens erleichtert dem Leser die Einordnung („wer genau ist gemeint?“).
Der Zeitungsleser ist ein schneller Leser im Gegensatz zum Buchleser. Also steht die schnelle Verständlichkeit – also das Verstehen beim ersten Lesen – an erster Stelle. Deshalb ist der Trick der Wiederholung des Subjekts in diesem Fall nicht nur schön, sondern auch notwendig; und er ist sinnvoll, wenn ich den Co-Trainer Gerland besonders herausheben will.
Dagegen ist ein Komma überflüssig (vor: „wie Pep Guardiola“) ebenso wie die „suspekt sind“ am Endes des Nebensatzes:
Hermann Gerland, dem große Worte ansonsten so suspekt sind, wie Pep Guardiola rote Meistermützen suspekt sind, Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.
Christof Kneers Porträt des Bayern-Trainers ist ein lesenswertes Porträt, ja ein vorbildliches, geeignet für die Volontärs-Ausbildung:
> Der Autor nimmt zum Einstieg eine eher beiläufige, aber aktuelle Episode – wie das Auf- und Absetzen der roten Meistermütze – und beschreibt, wie typisch sie für den Porträtierten ist.
> Er lässt dann weitere Prominente auftauchen – van Gaal und Heynkes, Klopp und Neururer – und bindet so schon das Interesse des Lesers.
> Er vergleicht Guardiola mit anderen, hier den Vor-Vorgänger Louis van Gaal, und beschreibt die Unterschiede; er nimmt übrigens nicht den direkten Vorgänger Heynkes, weil der kaum Ecken hatte und für einen Vergleich nicht taugt.
> Er erzählt Episoden, die er selber erlebt hat oder aus zuverlässiger Quelle gehört hat (und die, wenn er sie erzählt, keine Gegendarstellung provozieren). Diese Episoden, wie die erste Begegnung mit Hoeneß, machen klar, wie Guardiola als Mensch und Trainer wirklich ist.
> Er erzählt auch von den dunklen Seiten des Menschen, aber beiläufig: „Natürlich kennen sie in München auch die anderen Geschichten…“. In sieben, nur sieben Zeilen geht es um Doping, Katar-Lobbyist, Bespitzeln. Daraus hätte andere eine ganze Reportage gebastelt.
> Er nutzt noch einen Vergleich: Trainer in Spanien und Deutschland (Klopp und Neururer), Barcelona und München. Vergleiche sind besser als jede Beschreibung.
> Er beginnt die Reportage mit einem aktuellen Ereignis – dem Meisterspiel in Berlin – und endet mit der Vorschau auf das letzte Spiel. Eine tolle Szene mit vielen Anspielungen, die nur versteht, wer die Reportage gelesen hat, ein gelungener letzter Satz:
Am letzten Spieltag, wenn die Meisterschale überreicht wird, werden die Spieler ihren Mister mit Bier überschütten, und Kathleen Krüger, die Frau fürs Drumherum, muss ihm einen neuen Anzug bringen.
Quelle: Süddeutsche 29. März 2014, Seite 3 „Kunstrasen“
Auf der Suche nach schönen Wörtern: Bauchgefühl-Demokratie
Bauchgefühl-Demokratie
Ein schönes neues Wort, erdacht von Guenter Hack @guenterhack
Ortsmarke bei AP: Statt „Sewastopol, Ukraine (AP)“ ab sofort: „Sewastopol, Krim (AP)“
Die Ukraine steuert nicht mehr die Krim: Das ist die Begründung der amerikanischen Nachrichtenagentur AP, um die Ortsmarke zu ändern: Erst der Stadtname, dann als Ländername „Krim“
Warum nicht „Sewastopol, Russland“?, fragt der Agentur im AP-Blog. Die Antwort ist ein wenig seltsam: Die Krim ist geographisch getrennt von Russland, hat keine Landgrenze. Allerdings verfährt AP in aller Seltsamkeit so auch schon lange mit anderen Inseln wie „Palermo, Sizilien (AP)“, auch wenn Sizilien Teil von Italien ist, oder „Guadeloupe“ als Teil von Frankreich.
**
Ortsmarke heißt bei dpa „Ortszeile“, früher: Aufgabeort. Wer kennt noch andere Begriffe?
Dialekt und Grammatik: Wie Frau in Wien einen Mann anmacht (Friedhof der Wörter)
Was ist eine „Schlampenschleuder“? Brät darin eine Frau ihren Schwarm an?
Nein, wir sind nicht in der Friedhofs-Abteilung „weibliche Unwörter“, sondern beim österreichischen „Tatort“. In der vergangenen Folge, die Anfang März lief, haben hochdeutsch Geschulte viele Wörter einfach nicht verstanden.
Wer schon an den Ohrenarzt dachte und beginnende Schwerhörigkeit, der sei getröstet: Er hört noch gut, aber versteht eben schlecht – den österreichischen Dialekt, der wie eine durchgehende Nuschelei in den Ohren zerrt.
„Außer koid is der Melanie gar nix mehr“, sagt die Mutter über ihre Tochter, die jahrelang eingesperrt war und der sie gerade eine Wärmflasche gebracht hat. „Koid“ heißt kalt; weiter ist der Satz zumindest grammatisch weit von dem entfernt, was der Duden empfiehlt. Aber so sind Dialekte, und wer sie erhalten will, muss es ertragen oder darf sich sogar daran erfreuen.
Den Hinweis auf die „Untertitel“ im TV-Tatort haben die meisten nicht ernst genommen; aber in der Tat übersetzte die Fernseh-Redaktion das Genuschel ins Hochdeutsche. Ob sie auch die „Schlampenschleuder“ übersetzt hat?
Das Wort war allerdings klar zu vernehmen – und ein Auto war im Bild zu sehen. Die Schlampenschleuder ist ein altes Auto, dem man gut zureden muss, damit es wenigstens eine kurze Strecke fährt. Ob das Wort als weibliches Unwort beerdigt werden muss, können nur die Österreicher entscheiden.
Die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“, die nahe der österreichischen Grenze erscheint, nannte das Wort ein schönes Wort. Dass in Österreich eine Frau ihren Typ nicht anmacht, sondern „anbrät“, fanden die Redakteure in München auch schön.
Aufgefallen war den Münchnern auch der fehlende Genitiv, der in vielen Dialekten, nicht nur im österreichischen, ein Schattendasein führt. „Ich war schon auf beiden Seiten von der Tür“, sagt die Kommissarin und meinte: Sie hat schon Männer aus ihrer Wohnung rausgeworfen; und Männer hätten sie rausgeworfen.
Wem das passiert, für den ist der falsche Genitiv das geringere Problem.
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