Alle Artikel der Rubrik "K. Wie man Leser gewinnt"

Die erfolgreiche Titelseite: Lokal-Schau oder Tagesschau?

Geschrieben am 1. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Wie sieht die ideale Titelseite aus? Tagesschau-Nachdreher? Regional und lokal? Ein Mix, also: Lokales Foto und Berliner Aufmacher? Marianne Schwarzer ist Redakteurin der Lippischen Landes-Zeitung in Detmold und gehört zu einer Arbeitsgruppe, die ein Konzept für die Lokalzeitung im Kreis Lippe diskutiert. Sie fragt nach den Erfahrungen der Thüringer Allgemeine, die seit drei Jahren eine strikt regionale Titelseite anbietet.

Das sind die Thüringer Erfahrungen:

Die Leser wollen eine regionale Titelseite, aber sie wollen eine regionale Titelseite mit Qualität: Die Themen müssen wichtig sein, gut recherchiert und gut geschrieben – und sie sollten, so oft wie möglich, die Leser auch überraschen.

Wir haben dies in einigen Leserbefragungen erkundet:

> Die Leser wollen auf der Titelseite keine Stoffe, die sie aus der Tagesschau, den Hörfunk-Nachrichten und dem Internet längst kennen. Wenn wir diese Themen doch bringen, dann müssen sie aus der Perspektive der Leser gesehen werden: Flüchtlinge aus Syrien – ja, aber gibt es noch Platz in unserer Region? Was sagen die Landräte usw. / Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada – ja, aber was sagen die IHK, die Unternehmer? Kostet es oder bringt es Arbeitsplätze in der Region usw.

> An den meisten Tagen bringen wir eigene Geschichten als Aufmacher, sehr viel aus der Wirtschaft und der regionalen Politik, aber auch Gesundheits- und Schul-Themen; eine Besonderheit im Osten sind historische Themen, die sich um die DDR drehen. Was in einer Region für die Leser interessant ist, bekommt eine Redaktion mit, wenn sie oft mit den Lesern spricht und dies am besten institutionalisiert.

> Qualität bekommt eine Redaktion allerdings nur, wenn sie gute Reporter hat, die ein aktuelles Thema auch schnell runterbrechen können (und nicht erst am Folgetag oder noch später). Wir nennen diesen Reporter „Ad-hoc-Reporter“, es gibt jeden Tag einen (und wenn er nichts zu recherchieren hat, dann arbeitet er an einer größeren Eigen-Recherche für die kommenden Tage).

> Einfach die erste Lokalseite auf die Titelseite bringen, dürfte schief gehen – nicht nur an einem Montag im Sommer, wenn die Hüpfburgen beschrieben werden. Die Leser müssen schon das Gefühl bekommen, dass sie für ihr gutes Geld Qualität bekommen und keine Ramsch-Ware.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob es in ländlichen Regionen doch gelingen könnte. Das kann man testen: Eine Null-Nummer produzieren und zu Leserkonferenzen einladen (aber nicht nur Oberstudienräte, die uns einen Bildungsauftrag aufschwatzen wollen).

> Wenn man ein komplettes Bundesland mit seinen Themen für die Seite 1 hat, ist es wahrscheinlich einfacher, als wenn man ein eher kleines Gebiet mit Nachrichten versorgt. Bei uns wollten die Leser Thüringen auf der Titelseite. Die Reaktionen geben uns recht: Seit mehr als zwei Jahren steigt der Einzelverkauf deutlich (gegen den bundesweiten Trend), und beim „Lesewert“ – eine Art Einschaltquote für die Zeitung – bekommt die Titelseite exzellente Werte, am meisten übrigens der Leitartikel auf der ersten Seite, der strikt regional ist und sich meist auf den Aufmacher oder Aufsetzer der Titelseite bezieht. Besonders gut läuft der Einzelverkauf, wenn der Teaser – ein sechsspaltiges Foto oben auf der Seite – emotional ist, einfach ein Hingucker ist, und wenn der Aufmacher eine leicht verständliche Überschrift hat und zum Gespräch anregt.

Wenn Redakteure religiöse Gefühle verletzen: Absicht oder Ahnungslosigkeit? (Leser fragen)

Geschrieben am 29. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Die Mohamed-Karikaturen brachten die muslimische Welt in Aufruhr und unsere westliche in Verwirrung: Wie kann in aufgeklärten Gesellschaften die Religion und das Spiel mit ihr die Gefühle noch so stark verletzen?  Sind Muslime, die den dänischen Karikaturisten mit dem Tod bedrohen, einfach Jahrhunderte hinter der Aufklärung zurück – und somit unfähig, Ironie, Satire und Spott über Gott und seine Vertreter auf Erden zu verstehen und zu ertragen?

Doch auch Christen tun sich schwer mit dem leisen Spott, wenn er ihre  Gefühle trifft – erst recht im weitgehend entchristlichten Osten, wo Kirchenferne und Kirchenfeinde, Agnostiker und Atheisten die überwältigende Mehrheit stellen. In Thüringen, einem Land mit gerade mal 150.000 Katholiken (bei 2,2 Millionen Einwohnern), ärgern sich Leser  über die Berichterstattung  der Thüringer Allgemeine zur Einführung des neuen Bischofs. Einer fragt: „Insgesamt ist Ihr Ton herablassend, abschätzig und teilweise beleidigend. War das vielleicht sogar Absicht oder ,nur‘ Ahnungslosigkeit?“

Im Zentrum der Kritik steht der Vergleich der Mitra, der Kopfbedeckung des Bischofs, mit einer Kochmütze. „Sie ergehen sich vorwiegend in Nebensächlichkeiten, machen sich Gedanken über das Treiben auf dem Domplatz, über Wurstprodukte aus dem Eichsfeld und natürlich über das Wetter, aber über das Eigentliche, über die hohe Bedeutung und den Sinn dieser Festlichkeit, wissen Sie nichts zu berichten. Sie nennen es ,Spektakel.“

In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Wir wollen keine religiösen Gefühle verletzen – das erklären wir ohne Umschweife. Sollten wir dies, gegen unsere Absicht, getan haben, bitten wir um Entschuldigung. Der Pressekodex, in dem Journalisten ihre Berufsehre erklären, bestimmt:

Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.

Daran halten wir uns.

Was ist eine Schmähung? Da werden Gottlose anders urteilen als Menschen, die an Gott glauben – gleich ob sie ihn Christus, Jahwe oder Allah nennen. Zwei Beispiele:

  • Die in Berlin erscheinende „Tageszeitung (taz)“ liebt die Satire auch in nachrichtlichen Texten und überschrieb nach der Papstwahl den Aufmacher: „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“. Der deutsche Papst war in der Tat ein Hitlerjunge gewesen, der neue Papst aus Südamerika wird von einigen verdächtigt, einen Pakt mit Diktatoren geschlossen zu haben. „Das sei nicht belegt“, urteilte der Presserat und rügte die Überschrift als Schmähung religiöser Gefühle.
  • Ohne Rüge blieben allerdings die Formulierungen: „Alter Sack I. folgt Alter Sack II.“ und „esoterischer Klimbim“ für die katholischen Dogmen. Die fehlende Rüge rügte dafür das Zentralkomitee der Katholiken: „Gerade auch in einer säkularen und offenen Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt lebe, müsse man Respekt gegenüber den Religionsgemeinschaften pflegen.“

    Ist also die Kochmütze eine Schmähung? Respektlos könnte sie sein, wenn man bedenkt: Auch demokratische Institutionen verordnen ihre hohen Repräsentanten ungewöhnliche Kopfbedeckungen – wie beispielsweise den Verfassungsrichtern in Karlsruhe.

Angemerkt sei abschließend: Die respektlosesten Witze über Gott und Würdenträger werden im Vatikan erzählt. Aber, eben mit Respekt sei eingeschränkt: Eine Nachricht ist kein Witz.

**

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 29. November 2014

Die „Zeit“ versucht sich am Lokalen und lernt Demut vor dem Leser

Geschrieben am 26. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Was passiert, wenn eine Zeit-Redakteurin plötzlich eine Lokalausgabe macht? Sie ist verwirrt, verwundert und stellt fest:

Man merkt erst einmal, wie stark man wirklich gelesen wird. Einmal haben wir zum Beispiel über den überhitzten Immobilienmarkt geschrieben. Und auf einmal hing der Artikel in Eimsbüttel an den Laternenmasten. Selbst beim geschliffensten politischen Kommentar zur internationalen Großwetterlage passiert das nicht.

So staunt Zeit-Hamburg-Chefin Charlotte Parnack in einem Interview mit Alexander Becker bei meedia.de (vom 19. November 2014). Der Zeit-Redakteurin fällt auf, was Lokalredakteure längst wissen: „Im Lokalen ist vieles extremer. Die Reaktionen im Positiven, aber auch im Negativen sind stärker. Bei den Lesern geht es immer gleich um alles. Das lehrt einen als Journalisten Demut. Es gibt keine Kleinigkeiten mehr. Das verändert alles.“

So ganz ist der typische Hochmut einer Zeit-Redakteurin aber noch nicht verflogen: „Wir glauben: Der Leser will erst einmal über den Krieg in Syrien lesen, nicht über die Busbeschleunigung vor seiner Haustür.“

Der Blick von außen auf das Lokale lässt auch Defizite erkennen. Beckers Frage „Fehlt grundsätzlich der Spieltrieb im Lokaljournalismus?“ bejaht Parnack zu Recht: Leser wollen Neues, das so sein soll wie das Alte. Die typische Zeit-Lokalgeschichte muss, so Parnack, eine Lagerfeuergeschichte sein, über das Kleine im Großen. „Also eine Geschichte, über die ich abends am Abendbrottisch immer noch sprechen will.“

PS. Die Konkurrenz vom Hamburger Abendblatt hat schon zweimal den Deutschen Lokaljournalistenpreis gewonnen und ähnlich wichtige Preise. So schlecht steht es um Hamburgs Lokales also nicht.

**

Mail vom Journalisten und Juristen Daniel Grosse

Wenn lokale Geschichten bei Spiegel, stern und Co. explodieren

Es sind lokale Geschichten, die dann irgendwann explodieren. Überregional in einem der Medien wie Spiegel, stern oder Süddeutsche Zeitung. Dort sind die Explosionen zu hören. Mit den Augen. Es sind diese Geschichten hinter den Geschichten aus der Provinz, dem Lokalen. Einst immer wieder aufgegriffen von Reportern vor Ort, begleiten diese Geschichten ihre Leser. Und dann, wenn die Nachrichtenkriterien endlich übererfüllt sind, ziehen die Überregionalen nach. Genauso könnte es auch der Geschichte um den seit rund 20 Jahre währenden Verfall des Ortsmittelpunktes Marbach ergehen. Misswirtschaft, Familienschicksale und dann der Brand haben dort aus einer einst denkmalgeschützten Fachwerk-Villa mit imposantem Gelände einen öden Ort gemacht.

Ein verkohltes Dachstuhl-Gerippe überragt die vom stundenlangen Feuer geschundene Fassade, zerborstene Fensterscheiben erinnern an ein nächtliches Inferno, verkohlte Vorhangreste flattern hinter rußgeschwärzten Fensterrahmen. Beirut, Libanon, sind Worte, die Passanten sagen, wenn sie heute an der Bauruine in der Brunnenstraße vorbeigehen. Tatsächlich wie im Krieg. So sieht es dort aus. In dem ansonsten sehr ansehnlichen, gemütlichen Ortsteil Marbach am Rande der Uni-Stadt Marburg.

Gebrannt hat es am 15. August 2014. In der Nacht. Behörden, Feuerwehr, Polizeiermittler, Gerichte, Zwangsverwalter, Sachverständige und die Staatsanwaltschaft suchen seitdem nach Schuldigen, nach Hintergründen, sortieren Interessenlagen, sichern den Brandort und die Umgebung, planen weitere Schritte. Pikantes Detail: Gebrannt hat es in den vergangenen Jahren bereits in verschiedenen anderen Gebäuden des Eigentümers. Marbacher Bürger rätseln, verdächtigen und spekulieren. Suchen Zusammenhänge. Oberhessische PresseGr und Lokalreporter berichten. Weiträumige installierte Absperrgitter schützen Kinder, Blinde und andere Passanten vor maroden Gebäudeteilen, die herabstürzen könnten.

Eine Geschichte, die ganz sicher noch überregional in den Medien explodieren wird. Vielleicht spätestens dann, wenn zum Beispiel auf dem historischen Grund in bester Lage eventuell eine neue Immobilie wächst.

Quelle: Blog von Daniel Grosse
http://irondan.de/?p=119
………………………………………………
—–
freier Journalist – Jurist
Am Engelsberg 22, D-35041 Marburg
Tel/Fax: +49-(0)6421-33494
E-Mail: info@dgrosse.de
Internet: www.dgrosse.de
Mitglied des digitalen Kollektivs torial www.torial.com/daniel.grosse
Mitglied des Autorenpools www.wortwexxel.de

Ramelow & Co: Leser beklagt eine „Angst- und Verunglimpfungs-Kampagne“

Geschrieben am 22. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser der Thüringer Allgemeine (TA) schreibt:

Ich bin kein Linker, ich bin ein SPD-Anhänger. Wie können Sie es zulassen, dass gegen Rot-Rot-Grün und Herrn Ramelow die Angst- und Verunglimpfungskampagne weitergeht?

Selten war eine Regierungsbildung so heftig diskutiert wird die Rot-Rot-Grüne in Thüringen, die seit Wochen Öffentlichkeit wie Zeitung umtreibt mit Debatten über den Unrechtsstaat DDR und die Last der Diktatur auf den Schultern der Gegenwart überhaupt. Aktueller Anlass für den Leser war ein Foto auf der Titelseite am Montag nach dem Mauerfall-Jubiläum: Es zeigt die Erfurter Domplatz-Demonstration, auf der sich viertausend Bürger mit Kerzen in den Händen gegen die rot-rot-grüne Koalition wandten. Der Leser wollte lieber über die Feiern zum Mauerfall-Jubiläum auf der Titelseite lesen und folgert: „Mit dieser eindeutig parteilastigen Berichterstattung machen Sie die TA zum Sprachblatt der CDU.“

In der Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Der Vorwurf der „Angstmache- und Verunglimpfungskampagne“ geht an die Ehre eines Journalisten – denn unser Ehrenkodex bestimmt: „Die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Das bedeutet:

Wir schauen bei den Mächtigen genau hin, also auch bei denen, die zu den Mächtigen aufsteigen wollen – dabei interessiert uns keine Partei. Würden wir anders handeln, wären wir wirklich ein Parteiblatt. Wir geben allen eine faire demokratische Chance, wie Sie es fordern: Darum beobachten wir die Politiker, wenn möglich auf Schritt und Tritt. Das ist unsere Aufgabe.

Wir dürfen auch nicht wegschauen: Das Unterdrücken von Nachrichten missachtet das Recht der Leser, sich selber eine Meinung zu bilden. Ob eine Nachricht, eine Diskussion, eine Affäre oder ein Skandal einem Politiker oder einer Partei schadet oder nutzt, das entscheidet der Wähler. Wir liefern nur die Informationen und regen zur Meinungsbildung an.

Den Vorwurf, ein Parteiblatt von SPD oder Linken zu sein, bekamen wir in den vergangenen Jahren von der CDU und CDU-Wählern, als wir die Affären von Zimmermann bis Gnauck aufgedeckt und ausführlich berichtet hatten. Wir machen eben keine Affären, wir berichten über sie. Angst und Verleumdung ist nicht unser Geschäft.

**

Thüringer Allgemeine 22. November 2014

Nun erwischt es auch eine Journalismus-Zeitschrift: Message wird nicht mehr gedruckt

Geschrieben am 21. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Bisher hat Message die Schwierigkeiten und vor allem Defizite von Zeitungen und Zeitschriften analysiert – und des Journalismus überhaupt. Nun muss Message selber aufgeben und verkauft das Ende als „Schritt in die Zukunft“. Im kommenden Jahr erscheint Message nur noch im Netz, als App oder E-Paper.

Die Abos gehen, wie bei den Zeitungen, zurück. Noch in diesem Jahr sollte der Relaunch den Niedergang stoppen – vergebens. Auch hat die Zeitschrift den Abgang von Gründer Michael Haller vor zwei Jahren nicht verkraftet. Das Projekt der „Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus“ hat wohl selber keine ausreichende Qualität liefern können.

Zum 15-Jährigen in diesem Jahr hatte Michael Haller noch einmal die Feder gespitzt – und manchem Medien-Wissenschaftler in seiner gewohnt diplomatischen Art bescheinigt, dass sie nicht in der Lage sind, „ihre Befunde allgemeinverständlich rüberzubringen“:

Unvergessen blieb mir ein über Wochen laufender Mailverkehr mit einem Professorenkollegen, dessen Text im Wissenschaftsjargon abgefasst (aufgeblasen) war und im Zuge unserer Bearbeitung seine gedankliche Trivialität offenbarte. Am Ende zog der Kollege den Text zurück: Wir hätten seinen Gedankengang zerstört.

Auch die Macher, die Chefredakteure, geißelte Haller, der selber kaum am Minderwertigkeits-Syndrom leidet:

Warum wird man Ressortchef, dann Chefredakteur? Auf welche Qualifikationen kommt es an, um den Medienwandel zu verstehen und den heute sogenannten Changeprozess crossmedial zu steuern? Wir haben dieses Thema später dann nur noch mit spitzen Fingern angefasst, weil wir merkten, dass doch viele Redaktionschefs in Deutschland auf Manöverkritik eher beleidigt reagieren, offenbar, weil ihnen, spitz gesagt, die eigene Eitelkeit im Wege steht.

Wenn ich meinen Aktenordner mit Korrespondenzen der vergangenen 15 Jahre durchblättere, begegnen sie mir wieder, die pseudo-coolen, doch im arroganten Ton abgefassten Beschwerdebriefe deutscher Chefredakteure. Es war nicht nur Mangel an Selbstreflexion, der irritierend wirkte, sondern auch deren Weigerung, sich mit dem Wandel der Medienfunktionen praktisch zu beschäftigen und Konsequenzen zu ziehen.

Trotz anhaltendem Reichweitenschwund hielten viele Blattmacher an der Überzeugung fest, ihr persönliches Bauchgefühl sei Garant für erfolgreichen Journalismus.

Diese Arroganz wird uns, zumindest in gedruckter Form, fehlen. Der Abschied vom Druck wird wohl der Abschied von Message überhaupt sein.

PS. Der Autor dieses Blogs hat nie einen Brief an Message geschickt, noch war er Autor der Zeitschrift.

Wenn Leser schwarz sehen: Cecilia Bartoli mag offenbar Bilder, auf denen nichts zu sehen ist

Geschrieben am 16. November 2014 von Paul-Josef Raue.
Bartoli in Mannheim

Bartoli in Mannheim

Der Kritiker des Mannheimer Morgen durfte Cecilia Bartoli zuhören, der Fotograf durfte seiner Arbeit nur eingeschränkt nachgehen. Also druckte die Zeitung nur die Kritik und zeigte eine schwarze Fläche statt eines Fotos der Sängerin. In der Bildzeile stand der Grund:

Wir hätten Ihnen gerne Fotos vom Bartoli-Konzert im Rosengarten geliefert. Leider war dies im Rahmen unseres öffentlichen Auftrags nicht möglich. Die Vorgaben des Managements der Künstlerin lauteten:

„Fotografiert werden darf nur während des Schlussapplauses. Und die Fotos müssen vor der Veröffentlichung vom Management freigegeben werden.“

Diese Art von Zensur wollen wir Ihnen nicht zumuten und verzichten deshalb auf Konzert-Bilder.

 

Im Juni 2013 hatte das Hamburger Abendblatt eine riesige, damals weiße Fläche gezeigt statt eines Foto von Cecilia Bartoli nach dem Konzert in Hamburg – mit dieser Bildzeile:

An dieser Stelle hätten wir gern ein Konzertfoto der Sängerin gezeigt. Doch das Schweizer Management stellte unannehmbare Bedingungen: Fotos in der Pause zur Auswahl vorlegen, die nicht genehmen löschen? Darauf haben wir uns nicht eingelassen.

Siehe dieser Blog vom 7. Juni 2013

Darf eine Zeitung das Bild eines rasenden Politikers drucken? Ramelows Blitzerfoto und Quietsche-Enten

Geschrieben am 15. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser der Thüringer Allgemeine fragt zum „Blitzerstreit des B.R.“, gemeint ist Bodo Ramelow, der erster Ministerpräsident der Linken in Deutschland werden will: „Der Abdruck des Blitzerfotos ist gesetzwidrig, er verletzt das hohe Gut des Persönlichkeitsrechtes – warum dazu kein Hinweis?“ Der Leser bezieht sich auf Berichte und Fotos, zuerst der Bildzeitung, über Bodo Ramelow, der zu schnell gefahren sein soll, wie ein Blitzerfoto beweise (was von ihm bestritten wird: Erst akzeptierte er den Bußgeldbescheid nicht, aber zahlte dann laut eigener Angabe doch, nachdem der Fall ans Amtsgericht weitergeleitet und öffentlich diskutiert worden war).

Auch die Thüringer Allgemeine und der FAZ berichteten ausführlich, FAZ und Bild sogar mit Angabe des Kennzeichens von Ramelows Wagen.

Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“ auf der Leserseite:

Es gibt in der Tat ein Recht am eigenen Bild. Doch gibt es auch eine Reihe von Ausnahmen – vor allem für Bürger, die gewählt sind als Vertreter des Volks, für Bürger, die berühmt sind und die sich in der Öffentlichkeit stolz präsentieren.

Blitzerfotos waren sogar Gegenstand einer Klage beim Bundesverfassungsgerichts, das entschied: Sie sind erlaubt, denn sie werden auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet und sind jedermann wahrnehmbar – und schließlich gehe es um die Sicherheit im Straßenverkehr, die eine Einschränkung der „grundrechtlichen Freiheiten“ erlaubt.

Vor allem Politiker, die von den Bürgern als Vorbild gesehen werden, müssen akzeptieren, dass sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Bodo Ramelow nennt dies in einer Facebook-Nachricht sinngemäß: Die Presse spiele mit Quietsche-Enten. Selbst eine Politikerin wie Heidi Simonis, die abgewählt war, musste ertragen, dass sie beim Einkaufen fotografiert wurde. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Bürger dürfen erfahren, wie sich ein Politiker verhalte – gerade in spektakulären Situationen. Er könne sich “nicht ohne Weiteres der Berichterstattung unter Berufung auf seine Privatheit entziehen“.

Und dass sich Bodo Ramelow in einer spektakulären Situation befindet, dürfte selbst bei ihm unstrittig sein, wie sein persönliches Engagement in den sozialen Netzwerken beweist.

Zudem: Wen sollte ein Reporter nach der Zustimmung zur Veröffentlichung des Blitzerfotos fragen, wenn unklar ist, wer überhaupt auf dem Foto abgebildet ist?

**

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“ 15. November 2014 (hier erweitert)

Quellen: Bild 6.11. „Wird hier Thüringens neuer Landeschef geblitzt?“ und FAZ 7.11. von Claus Peter Müller „Zur Akteneinsicht gebracht“

Shitstorm und Putin-Versteher: Sind Journalisten aus dem Osten empfindlicher als die im Westen?

Geschrieben am 15. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ist ein Journalist, aufgewachsen in der DDR, empfindlicher als einer aus dem Westen? Muss man ihn mit Walter Ulbricht vergleichen, weil er keine Lust und keine Nerven mehr hat, in Shitstorms zerlegt zu werden? Kann ein ehemaliger DDR-Korrespondent in Moskau heute nicht objektiv über Putins Russland schreiben?

Paul Schreyer kommentiert auf heise.de einen Beitrag des Spiegel-Autor Christian Neef, der im Medium Magazin beklagte:

Onlinemedien wie Spiegel Online nehmen inzwischen sogar in Kauf, dass die Berichte ihrer Korrespondenten gleich im Anschluss an den Text in den Foren aufs Übelste zerpflückt und als unwahr bezeichnet werden, sie desavouieren damit ihre eigenen Mitarbeiter und liefern sie schutzlos dem Shitstorm aus. Ich habe die Kollegen bei Spiegel Online deswegen gebeten, bei bestimmten Texten, die ich schreibe, die Kommentarfunktion künftig abzuschalten – so wie es andere Webseiten schon länger tun.

Paul Schreyer wundert sich, dass die üblen Kommentare „langsam Wirkung auf einzelne Journalisten zeigt“ und fragt: „Geht es nicht am Ende um den Leser? Ist dieser nicht der Souverän in einer offenen Mediengesellschaft?“

Das sind interessante Ansichten, intelligente Fragen – allemal eine Debatte wert, zumal Günther Nonnenmacher (FAZ) und Hans Leyendecker (SZ) ähnlich wie Christian Neef argumentieren. Nur – was um alles in der Welt – hat das mit der DDR zu tun? Warum wird einer aus dem Osten abgekanzelt, weil er aus dem Osten kommt? Und dies noch auf eine, vorsichtig ausgedrückt, seltsame und unjournalistische Art – unter Berufung auf Widerstand im Spiegel, der unter „vorgehaltener Hand“ geäußert wird. Das ist eher DDR-mäßig: Anonym und hinterhältig.

Schreyer schreibt:

Auch innerhalb des Spiegel regt sich nun Widerstand gegen Neefs Ansichten. Unter vorgehaltener Hand heißt es aus der Redaktion, hinter den Äußerungen des Russlandkorrespondenten stecke „eine Denkweise, die Walter Ulbricht einst auf die Formel brachte, man dürfe ‚die Dinge nicht dem Selbstlauf überlassen'“. Die Pointe dabei: Neef ist selbst in der DDR aufgewachsen, war in den 1980er Jahren Korrespondent des DDR-Rundfunks in Moskau, ist seit der Wende aber beim Spiegel und profiliert sich dort seit vielen Jahren vor allen Dingen mit massiver Russlandkritik. Er war es auch, der den Begriff „Putinversteher“ 2011 erstmals in einer Schlagzeile verwandte.

Und was ist wirklich die Pointe?

Die SZ über Lothar Matthäus Ehen: Was ist eine gute Überschrift?

Geschrieben am 21. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Der Herr der Ringe

Die SZ auf ihrer Panorama-Seite über eine Chronik der fünf Ehen von Lothar Matthäus. Ist dies eine gute Überschrift?

Überschriften sollen nachrichtlich sein, das ist ihre wichtigste Funktion, sagt die Leseforschung. Zu Recht: Leser wollen ihre knappe Lese-Zeit nicht mit Suchen vergeuden, sondern durch Überschrift und Foto schnell entscheiden, ob sie ein Beitrag interessiert – oder ob es sinnvoller ist weiterzublättern.

Schön darf, ja soll die Überschrift auch sein, aber nicht verspielt. „Feuilletonistisch“ schwärmen gerne Redakteure, wenn sie dichten, aber den Leser nicht informieren. Das beliebteste Spiel der verkannten Dichter ist die Anspielung an Film- oder Buchtitel, die jeder kennt (eben: „Der Herr der Ringe“) oder die Alliteration (gleicher Laut oder Buchstabe bei jedem Wort-Anfang). Ein berühmtes Beispiel aus der Bildzeitung vom 8. April 2006:

Klinsi killt King Kahn

Also: Nachrichtlich und sprachlich schön – das ist die perfekte Überschrift. Im Zweifelsfall geht die Nachricht vor der Schönheit.

Und die SZ-Überschrift „Der Herr der Ringe“? Eigentlich nur schön, aber nicht nachrichtlich. Schaut man aber auf den gesamten Beitrag, ist die Überschrift perfekt: Zu sehen sind fünf Bilder von Matthäus mit seinen Frauen; die Nachricht übermitteln die Bilder.

Am Rande sei das schönste Matthäus-Zitat erwähnt (nach dem Ende der vierten Ehe):

Manchmal schaut man dann schon in den Spiegel und denkt: Was ist das für eine Welt? Was für eine schmutzige Welt!

**

Quelle: SZ 20.9.2014

Die Debatte geht weiter: Wieviel Mantel braucht eine Regionalzeitung? (Interview der „Drehscheibe“)

Geschrieben am 2. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Viele Besucher kamen in meinem Blog, um die Eröffnung einer Debatte über Newsdesk, Lokales, Qualität und die richtige Gewichtung in einer Regionalzeitung zu lesen. Eine Debatte ist nicht aufgekommen. Noch nicht? Die Drehscheibe ist jetzt eingestiegen mit einem Interview:

Herr Raue, Sie fordern auf Ihrem Blog einen anderen Umgang mit dem Desk. Wie sieht für Sie der ideale Desk aus?

Es gibt keine gängigen Modelle in deutschen Zeitungen, nahezu jeder Desk ist ein Unikat. Das verwirrt Redaktionen, Verleger und Manager. Der klassische Desk ist einfach: Am Tisch, den der Boulevard „Balken“ nennt, sitzen die „Editors“, die Blattmacher: Sie sind die Textchefs, die auf Verständlichkeit, Logik und Korrektheit achten ebenso wie auf das Einhalten von rechtlichen und ethischen Normen, auf die Linie des Blatts usw.
Die Reporter recherchieren und schreiben, sie sind die Streetworker der Redaktion, befreit von den zu Recht beklagten Einschränkungen durch Technik: Sie sind keine Layouter und Redaktionshocker mehr, sie brauchen nur noch ihren Laptop, eine kleine Kamera und ein Smartphone für die schnellen Meldungen ins Netz. Das ist der eigentliche, wohl auch der ideale Desk.

Wäre damit der klassische Mantelteil, gefüllt mit dpa-Material, überholt?

„Mantel“ ist ein Begriff aus der alten Zeit der zwei Welten: Hier die große Welt, die eigentliche; dort die kleine Welt, die lokale. Heute verlangt der Leser, dass die Zeitung die Welt, die komplette Welt, aus seiner Perspektive sieht, dass sie ihm die Welt ordnet in wichtig und unwichtig für sein Leben – und nicht für das Leben des Redakteurs.

Jede Regional-Zeitung muss selber erkennen, wie viele nicht-lokale Seiten sie bietet, das wird in Flensburg anders sein als in Düsseldort. Diese Seiten sind auch nicht die entscheidenden für Abo und Kiosk. Die Entscheidung fällt im Lokalen, dort muss die Qualität zu Hause sein.

Die Bedeutung des Lokalen für die Zeitung der Zukunft dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Was hindert viele Verlag noch daran, diesen Weg – die Stärkung des Lokalen – entschlossen zu gehen?

Nichts hindert sie. Aber dem Denken und vor allem dem Handeln eine neue Richtung zu geben, fällt vielen schwer. Im Zweifelsfall holt sich der Verleger doch einen Korrespondenten als Chefredakteur, weil er eben stolz ist, wenn die Kanzlerin auch seinem Blatt ein Interview gewährt.

Vielleicht gibt es auch zu wenige, die aus dem Lokalen kommen und zum Chefredakteur taugen. Da rächt sich, dass über Jahrzehnte das Lokale kaum beachtet und oft belächelt wurde. Vielleicht fehlt auch immer mehr Chefredakteuren die Leidenschaft für den schönsten Beruf in einer Demokratie: Sie lassen sich eher von Excel-Tabellen faszinieren als von starken Themen und guten Recherchen.

Interview: Stefan Wirner

Link zur Drehscheibe:
http://www.drehscheibe.org/im-lokalen-muss-die-qualitaet-zu-hause-sein.html

Facebook-Kommentare

von Frank Fligge

Provokant wäre die Fragestellung: Braucht Regionalzeitung einen Mantel?

Joachim Widmann

Eine Regionalzeitung, die im klassischen Sinne einen Mantel hat (z.B. weil sie ihn als typischen dpa-Sampler von einem anderen Anbieter bezieht), vergibt ihre Chance, mit blattmacherisch überzeugender regionalisierter Berichterstattung über nationale und internationale Top-Themen Lesern in ihrem Verbreitungsgebiet nahe zu kommen. Das heißt, dass sie bei relevanten Themen Verzicht übt oder schwächelt, was gerade das kritische jüngere Publikum fernhalten dürfte. Ergo: kein Mantel (im klassischen Sinne) ist besser, aber die wichtigsten Mantelthemen gehören unbedingt mit eigenem Dreh und Inhalt sowie hoher Erklärqualität in die Zeitung und müssen von ihr kommentiert und auf Social Media auch mit ihren Lesern diskutiert werden.

Raimund Hellwig:

Provokant wäre: Brauchen wir Regionalzeitungen. Oder tun`s Lokalblätter auch?

Lars Reckermann

Lokalblätter klingt so abwertend gegenüber RegionalZEITUNGEN. Lokales macht auch Zeitung. Ihnen, lieber Herr Raue, pflichte ich bei: Desk ist nicht gleich Desk. Ich muss auf der Ostalb nicht 18 Lokalredaktionen vereinen. Ich muss durch den Desk wieder unsere Reporter zu Reportern machen und sie von Verwaltern zu Gestaltern machen. Damit beginnen wir intensiv im Oktober. Und wir bleiben brutal lokal. Ja, auch mit Vereinen. Ja, auch mit Berichten aus jeder Ecke der Ostalb, in der wir täglich Nachrichten finden (müssen). Wir sind digital auch nicht mehr kostenlos. Wir sind so selbstbewusst, dass wir unsere Lokalnachrichten nicht verschenken. Auch diese Koordination muss ein Desk, nein, muss UNSER Desk übernehmen. Eine Online-Redaktion haben wir nicht. Wir haben EINE Redaktion für unsere Nachrichten. Ich glaube zudem, dass wir mir all dem „alles-muss-sich-ändern“ unseren treuen Leser vor den Kopf stoßen. Lasst uns gute Geschichten schreiben, die gefallen treuen und neuen Lesern. Mir kommt es immer so vor, als hätten wir vor der Einführung von Desks nur schlechte Nachrichten geschrieben – das ist Blödsinn. Ein Desk sorgt nur für bessere Koordination, nicht für bessere Geschichten.

Frank Fligge

DER Desk ist eine Erfindung von Unternehmensberatungen, die vorgeben, von außen kommend, Universallösungen parat zu haben. Das ist Bullshit, den phantasielose Verlagsmanager in ihrer Einfallslosigkeit allerdings sehr gerne glauben. Ein Desk muss auf die ganz speziellen Bedürfnisse der Redaktion/en, für die er arbeitet, ausgerichtet sein. Dann, und nur dann, macht er Sinn. Im Optimalfall arbeitet ein Desk auch nicht FÜR Redaktionen, sondern HAND IN HAND mit ihnen.

Paul-Josef Raue

Der Desk ist älter als jede Unternehmensberatung: Desks gibt es im angelsächsischen Raum seit langem, die Trennung von Editor und Reporter ist weltweit die normale Redaktions-Organisation. Nur Deutschland und die deutschsprachigen Nachbarn gingen nach dem Krieg einen Sonderweg – außer Zeitschriften und Boulevard (der Balken bei Bild).


Frank Fligge

. . . und dann haben findige Berater den Desk zum Sparmodell erklärt, sich selbst ein wunderbares Geschäftsmodell erschlossen und zur weiteren Irritation Begrifflichkeiten wie „Producerdesk“ und „Entscheiderdesk“ eingeführt. Da krieg‘ ich Pickel, wenn ich das höre.

Lars Reckermann

Also ich habe sogar selbst als Volo layoutet und getextet – ich wusste, welches Layout das Blatt hat (4:3) und das jede Seite einen Aufmacher mit harten Facts und eine bunte Geschichte benötigt. Da war mir der angelsächsische Raum, ehrlich gesagt, ziemlich Schnuppe.


Frank Fligge

Als ich Ende der 90er als Jungredakteur in der Lokalredaktion Unna eine zentrale Produktion der Seiten für Unna, Fröndenberg, Holzwickede und Bönen eingeführt habe, also so eine Art internen Mini-Desk, muss Angelsachsen auf einem anderen Planeten gelegen haben.


Frank Jungbluth

Da fällt mir mein geschätzter früherer Kollege #Hans-Albert Limbrock ein, mit dem wir in der WP-Lokalredaktion Soest 1994 eine Revolution veranstaltet haben, die nicht allen Kollegen gefiel: Er spiegelte als stellv. Lokalchef fünf bis sechs Seiten, wir drei anderen Lokalredakteure waren Draußen und recherchierten, schrieben, teilweise auch Zuhause, weil’s manchmal schneller ging. Abends wurde vorgeplant: Wie sieht’s mit der und der Geschichte aus? Rat machen wir aktuell! Ich fand’s großartig, konnte unterwegs sein, mit den Leuten reden, alles einsammeln, was alle „offiziellen“ Verlautbarer uns nie erzählt haben und hätten. Wir sind schlicht und ergreifend hingefahren zu den Leuten und haben nicht nur angerufen. Wir waren nahe dran und besser als die weitaus auflagenstärkere Konkurrenz … Layouten konnten wir alle, auch Filme entwickeln und Negative scannen oder vorher Positive abziehen, im Sonntagsdienst musste man das auch, aber mit dem „Lokaldesk“ 😉 war einfach mehr Zeit für das Wesentliche: Den Journalismus!

Paul-Josef Raue

Der Desk ist einfach ein Tisch, mehr nicht. Es geht um die Organisation der Arbeit, es geht um den Journalismus: Die einen recherchieren, die anderen machen das Blatt. Frank Jungbluth beschreibt es sehr genau, und er beschreibt es so, dass selbst eine kleine Lokalredaktion davon einen großen Nutzen hat. Der Redaktroniker war nie das Ideal des Journalismus: Layouter, Fotograf, Planer, Rechercheur und Schreiber in einem. Sicher gab es begnadete Redakteure, die 12 Stunden im Einsatz waren und alles gestemmt haben; aber ich bin mehr für Professionalität statt für Gnade. In zu vielen Redaktionen sind die meisten nicht mehr rausgegangen: Sie haben mühsam layoutet, auf die Freien gewartet, zwischendurch ein paar Mal telefoniert, Pressemitteilungen umgeschrieben usw. Der Desk macht aus Redaktronikern wieder Journalisten.
Zudem: Die Talente sind in der Regel auch ungleichmäßig verteilt, der eine kann gut recherchieren und mag die Menschen; der andere kann gut redigieren und organisieren und mag seine Kollegen.

Und ich bin sicher, verehrter Herr Reckermann: Wenn Sie immer schon wie in der NewYork Times gearbeitet hätten, wären Sie in der Chefredaktion des Spiegel.

Frank Fligge

Ich glaube, den Widerspruch, auf den es hier gerade hinaus läuft, gibt es in Wahrheit gar nicht.

Lars Reckermann

Paul-Josef Raue Es gibt keinen Widerspruch. Ich bin ganz bei Ihnen, wie ich es auch jüngst in meinem Blog beschrieben haben. Den Kollegen das vor-Ort-sein ermöglichen -das muss der Desk. Aber dennoch sei mir, verehrter Herr Raue, erlaubt zu ergänzen: Wer sagt denn, dass ich zum SPIEGEL will. Ich bin Lokalredakteur und das gerne.

Frank Fligge

Wer will schon zum Spiegel?

Paul-Josef Raue

Lieber Herr Reckermann, es war pure Wertschätzung – in jeder Hinsicht.

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

Kritik und Anregungen bitte an: mail@journalisten-handbuch.de

Rubriken

Letzte Kommentare

  • Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
  • Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
  • Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
  • Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
  • Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...

Meistgelesen (Monat)

Sorry. No data so far.