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Feuilleton schlägt Politik beim Wettstreit um den längsten Satz des Jahres (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 25. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Warum schreiben Politiker lange unverständliche Sätze? Tragen Sie eine Meisterschaft aus: Wer schafft den längsten Satz? Schauen wir uns den Wettkampf an: Wer ist Deutscher Satzlängen-Meister 2103?

Im Wahlkampf gaben sich die Politiker, die ihre Wahlprogramme schrieben, viel Mühe, lang und unverständlich zu formulieren – doch reichte es nur für die Bronze-Medaille: 71 Wörter.

Mehr Mühe gaben sich die unbekannten Autoren, die „Geisterschreiber“ des Koalitionsvertrags: Die Silbermedaille für 87 Wörter in einem Satz plus eine Zahl.

Sobald der Aufbau eines europäischen Abwicklungsmechanismus beschlossen ist, kann, nachdem der deutsche Gesetzgeber eine entsprechende Entscheidung getroffen und die EZB die Aufsicht operativ übernommen hat, als Zwischenlösung ein neues Instrument zur direkten Bankenrekapitalisierung auf Basis der bestehenden ESM-Regelungen mit einem maximalen Volumen von 60 Mrd. Euro und insbesondere mit der entsprechenden Konditionalität und als letztes Instrument einer Haftungskaskade in Frage kommen, wobei sichergestellt ist, dass vorher alle anderen vorrangigen Mittel ausgeschöpft worden sind und ein indirektes ESM-Bankenprogramm mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit des Staates ausgeschlossen ist.

Nur – was ist ein Politiker gegen einen Journalisten, einen Theaterkritiker? Nichts, wenn es um die Satzlänge geht. Gerhard Stadelmaier brachte es auf 208 Wörter: Das ist der deutsche Rekord 2013, schon einmal gewürdigt in diesem Blog:

Abgesehen davon, dass Jens im Jahr 1998 zu Mozarts „Requiem“ (KV 626) Zwischentexte, Reflexionen schrieb, die den ewigen protestantischen Aufklärer Jens und Auf-Verbesserung-der-Welt-Hoffer als doch etwas leichtfertigen Um- und Gegendeuter und Verharmloser der gewaltigen katholischen Totenmesse zeigt, die das Jüngste Gericht und die Flammen der Verdammnis und die Sühne für alle Sünden und die Gnadenlosigkeit eines Gottes beschwört, bei dem allein die unberechenbare Gnade liegt; abgesehen auch davon, dass Jens im Jahr 2006, als er zur „Reqiem“-Musik seine „Requiem“-Gedanken vortrug, plötzlich das Vermögen, etwas vorzulesen, verließ, er stockte und stotterte und sich so seine Demenz, an der er über die Jahre ohne Sprache und Gedächtnis hinweg verdämmerte, offenbarte; abgesehen auch davon, dass die Stiftskirche, in der einst die Universität Tübingen gegründet wurde und die sozusagen deren erster öffentlicher Raum war, zum Tübinger Öffentlichkeitsspieler- und Nutzer Walter Jens doch wunderbar passt: Es ist ein seltsam Empfinden, wenn jenseits aller Rhetorik und jedes Meinens und Polemisierens und Kritisierens, jedes Forschens und Ergründens und jeder Buchgelehrsamkeit ein Satz in die vollbesetzte Kirche fährt: „Liber scriptus proferetur“ (Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen jede Schuld auf Erdentagen), wo sich dann „solvet saeclum in favilla“ (das Weltall sich entzündet) und „quantus tremor est futurus“ (ein Graus wird sein und Zagen).

Im neuen Jahr entdeckt Gerhard Stadelmaier im FAZ-Feuilleton wieder den Reiz und die Kraft der kurzen Sätze, in denen wir kurze Wörter finden voll emotionaler Wucht – wie in der Kritik einer Luc-Bondy-Inszenierung in Paris:

„Die Sterne funkeln im Theaterhimmel. Jetzt beginnt ihr wahrer Traum: die Geschichte, die aus den beiden Schmetterlingen wird. Ein Nachtstück? Eine Eintagsfliegenaffäre? Eine Ehe? Eine Katastrophe? Eine Seligkeit? Alles ist möglich. Nichts ist ausgeschlossen. Aber so, wie es jetzt gerade ist, ist es das pure Glück. Mehr muss auch nicht sein. Ovationen.“

Wir staunen: Ja, kurz ist in der Regel besser! Also – ein Kompliment für den Kritiker. Wäre da nur nicht die „Eintagsfliegenaffäre.

Erweiterte Fassung eines „Friedhof der Wörter“ in Thüringer Allgemeine 27. Januar 2014

Warum so viel Schumacher? Oder: Wann ist eine Nachricht wichtig?

Geschrieben am 5. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke reagiert auf die Beschwerden und das Unverständnis, warum die seriöse Nachrichtensendung Michael Schumacher tagelang als Top-Thema gebracht hat und tagelang als Aufmacher. Er nennt im Tageschau-Blog die Nachrichten-Faktoren, die für die Redaktion entscheidend waren – und seinen „journalistischen Kompass“:

1. Popularität:

Es war mehr als einer von vielen hundert Skiunfällen: „Wenn zwei Menschen das gleiche tun, ist es nicht das gleiche – dieser Satz gilt auch bei Nachrichten. Millionen von Menschen nehmen Anteil an seinem Schicksal und möchten wissen, wie es ihm geht… Er gehört in eine Kategorie populärer Persönlichkeiten, die eine umfangreiche Berichterstattung rechtfertigt, ohne dass wir damit Tagesschau-Grundsätze aufgeben“

2. Nachrichtenarme Zeit:

„In diesen eher nachrichtenschwachen Tagen würden wir unsere Sendungen krampfhaft mit sogenannten B-Themen füllen.“

3. Keine Mutmaßungen, keine Gerüchte:

„Zu einer gewissenhaften und verantwortungsbewussten Berichterstattung gehört auch die Präsenz vor Ort… Dabei haben wir peinlich genau darauf geachtet, dass wir uns aus Mutmaßungen, Spekulationen, vor allem aber aus Gerüchten und Dramatisierungen heraushalten.“

4. Nur Neuigkeiten, keine Themen-Kampagne

„Wenn wenn die Tagesschau keine Meldung macht, ahnen die Leute wohl, dass es nichts Neues gibt. Wir greifen das Thema also wieder auf, wenn es eine neue Information gibt.“

KOMMENTARE auf Facebook (5. Januar 2014)

Martin K. Burghartz

Wann ist eine Nachricht wichtig? Wenn es genug PR-Agenturen mit Millionenetats gelungen ist, die wenigen Nachrichtenagenturen derart gleichmäßig mit Informationen zu impfen, dass (deutsche) Journalisten das für die Wahrheit halten und darüber berichten und das Geschehen kommentieren. Beispiele sind die Berichterstattung über USA, Syrien, Iran, Israel,… Staatsräson? Dummheit? Zeitnot? Diese Diskussion vermisse ich im „Handbuch“, die Berichterstattung der Tagesschau über Schumacher ist da eher eine Randnotiz…

Paul-Josef Raue

Das ist mir zu viel Weltverschwörung. Welche PR-Agentur hat Snowden engagiert? Warum sterben Reporter in Syrien und Afghanistan? Warum kann jeder Journalist ungehindert nach Israel reisen und auch ins Westjordanland, nach Ramallah?

In der Tat sind PR-Agenturen ein großes Problem, davon handelt im „Handbuch“ auch das Kapitel 20 „Waschzettel und Verlautbarungen“, das in der nächsten Auflage noch schärfer formuliert werden muss – weil gerade im Netz, in den Blogs und Internet-Zeitungen die Trennung von PR und Redaktion noch weniger beachtet wird, ja die Nichtachtung bisweilen die geschäftliche Grundlage ist.

Zudem gibt es im „Handbuch“ ein eigenes PR-Kapitel mit einem Zitat von Klaus Kocks: „Wir sind der Parasit einer freien Presse, wir haben kein Interesse daran, dass das Wirtstier derart schwächelt.“

Und wie beginnt das „Handbuch“? Mit Kapiteln über den guten Journalisten, der Rückgrat haben soll, um den „vielfältigen Versuchungen und Pressionen zu widerstehen, die auf ihn eindringen“ usw.

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„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion

Geschrieben am 27. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.

Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.

Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.

Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.

Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.

Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.

Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:

Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“

Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!

Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:

Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.

Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.

Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro

Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.

Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause

Geschrieben am 23. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):

Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro

In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:

In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?

Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.

Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?

Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?

Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?

Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.

Und hat es geholfen?

Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.

Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?

Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.

„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?

Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.

„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?

Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.

Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?

Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.

Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?

Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.

Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?

Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.

Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?

Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.

Also doch nicht alles Fiktion?

Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.

Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?

Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.

Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.

Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)

Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?

Geschrieben am 21. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.

Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.

Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.

Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?

Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.

Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.

Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.

Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch

Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?

„Es gibt kaum etwas Komplizierteres als die Organisation“ (Zitat der Woche)

Geschrieben am 19. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 19. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue in L. Die Redaktion.

Es gibt nichts Einfacheres als Organisation,
um die Welt überschaubar zu machen.
Aber es gibt kaum etwas Komplizierteres als
die Organisation, die dabei entsteht.

Mit diesem Bonmot von Dirk Baecker wünscht der Unternehmensberater Rainer Wagner geruhsame Feiertage.

Erfolgreiche Bezahlschranke, aber weniger tiefe Recherche

Geschrieben am 28. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

„Wir zahlen nichts“, sagten die Leser der Online-Seiten von Haaretz. „Sie haben gelogen“, sagt Lior Kodner, der Online-Chef der israelischen Zeitung. In einem Land, in dem es mehr Smartphones gibt als Bürger, scheint es zu gelingen: Die Online-Leser zahlen für guten Journalismus.

Es gibt keine eigene Online-Redaktion. Die dreihundert Redakteure sitzen in einem Newsroom, schreiben für die gedruckte Zeitung wie für Online – auch wenn das viele noch üben müssen. Nach dem Wochenende sitzen die Redakteure in der Sonntags-Konferenz zusammen und sprechen über die am meisten gelesenen Artikel der Online-Seiten der vergangenen Woche und des Sabbats.

Was alle noch verstehen müssen: „Wie schreiben wir eine Geschichte in der digitalen Welt?“ Dazu gehören, so Lior Kodner, auch Töne – wenn beispielsweise eine Lokomotive in der Story vorkommt – oder auch kleine Filme. So weit wie Haaretz ist offenbar noch keine große Zeitung in Israel. Der Markt für hebräische Online-Seiten ist auch klein: Gerade mal sieben Millionen potentielle Nutzer in Israel; zwei Millionen davon gehen im Monat auf die Haaretz-Seiten. Weil die Konflikte in Israel und den Nahen Ost auch außerhalb von Israel interessieren, bietet Haaretz nicht nur eine gedruckte Ausgabe in englischer Sprache an, sondern auch eine englische Online-Version, die – je nach Konfliktlage – zwischen zwei und drei Millionen Leser anzieht.

Haaretz musste experimentieren und online gehen, weil die Einnahmen immer mehr zurückgehen – wie nahezu überall in der westlichen Welt. Doch der Journalismus verliert Kraft, „power“, beobachtet Hanoch Marmori, der zehn Jahre lang Chefredakteur von Haaretz war: Weniger investigative Recherche, weniger Bohren in der Tiefe. Der Grund? Die Redakteure wollen das Management nicht aufschrecken, sie wollen keine Risiken eingehen und schauen zu, nur noch Geschichten zu bringen, die die Leute lesen wollen.

Nur auf die Online-Liste der meistgelesenen Artikel zu schauen, sei falsch, meint der Online-Chef Lior Kodner. Man dürfe die gedruckte Zeitung nicht allein nach den Einschaltquoten von Online ausrichten. Man solle sie zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen, aber die Zeitung habe schon ein eigenes Gewicht.

Arabische Journalisten schreiben kaum für die israelische Zeitung. Das beklagt auch der frühere Chefredakteur: Es gibt einen arabischen Kolumnisten, der sehr populär ist, aber sonst keine, auch nicht in den anderen Zeitungen. „Sie wollen nicht“, sagt Hanoch Marmari, und fügt leise an: „Vielleicht schaffen sie es auch nicht.“

Die Israelis scheinen Journalismus bei der Armee zu lernen, guten, unabhängigen Journalismus, wie fast alle versichern. „Die Armee ist die einzige wichtige Journalismus-Schule“, sagt Marmari, und alle nicken, weil auch alle drei Jahre in der Armee dienen (Frauen zwei Jahre) und jedes Jahr zu Reserve-Übungen eingezogen werden: Die Armee als Schule der Nation.

Quelle:
Diskussion am 27. Oktober 2013 im „Israel Democracy Institute“, zusammen mit der Adenauer-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (anläßlich von 50 Jahre Israel-Reisen
#bpb50israel)

Der Papst über Chefredakteure: Häufig sind sie Narzissten

Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, G 26 Interview, L 46 Wer hat die Macht?.

Narzissmus ist nicht gut und kann nur groben Schaden anrichten. Das schädigt nicht nur die Seele, sondern auch die Beziehungen zu den Mitmenschen, die Gesellschaft, in der wir leben. Das wirklich Schlimme ist, dass vom Narzissmus, der in Wahrheit eine mentale Störung ist, am meisten Personen mit viel Macht betroffen sind. Häufig sind die Chefs Narzissten.

Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischen Journalisten und Agnostiker Eugenio Scalfari. Also sind nicht nur Chefredakteure gemeint, sondern alle Mächtigen, auch alle Journalisten, die sich dem einfachen Volk überlegen fühlen und dem Rest der Journalisten sowieso.

Der Papst nennt auch seine Vorgänger:

Die Kirchenführer sind häufig Narzissten gewesen. Sie waren geschmeichelt und in schlechter Weise freudig erregt über ihre Höflinge. Der Hof ist die Lepra des Pontifikats.

Es gibt viele Höfe, überall.

Quelle des Zitats: Welt 5.10.2013

„Es gibt kein Problem, die Leser zu erreichen.“ Interview mit Lars Haider, Chefredakteur Hamburger Abendblatt

Geschrieben am 30. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Lokaljournalismus sei lange Zeit in seiner Bedeutung unterschätzt worden, glaubt Lars Haider. In einer Zeit, in der Informationen aus allen Teilen der Welt ununterbrochen auf einen einprasselten, sei die regionale Berichterstattung für viele Leser heute jedoch um so wichtiger. „Der Deutsche Lokaljournalistenpreis ist für die Motivation und das Renommee dieser Zeitung deshalb besonders wichtig, weil einerseits das Konzept und gleichzeitig die Arbeit der gesamten Redaktion auszeichnet werden“, so der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts im Interview mit „Kas.de“, der Online-Redaktion der Konrad-Adenauer-Stiftung; dort auch ein Podcast des Interviews.

Herr Haider, herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Lokaljournalistenpreis, den Sie sich mit der Thüringer Allgemeinen teilen. Ihre Zeitung, das Hamburger Abendblatt, demonstriert mit seinem crossmedialen Stadt-Konzept modernen Lokaljournalismus in all seinen Facetten. In der Jurybegründung heißt es dazu: „Die Redaktion begegnet dem Leser auf Augenhöhe, bietet ihre guten Dienste an und agiert souverän crossmedial.“ Erklären Sie doch mal, welcher Ansatz Ihrer Arbeit zugrunde liegt.

Lars Haider: Unsere Idee ist, dass eigentlich jeder in der Redaktion, ganz egal, ob er jetzt im Kultur-, Wirtschafts- oder Sportressort arbeitet, gleichzeitig auch noch Lokaljournalist ist und mit offenen Augen durch die Stadt geht. Daher hat fast jeder Redakteur – weil wir mehr Redakteure als Stadtteile haben – die Patenschaft für einen Stadtteil übernommen, diesen Stadtteil vorgestellt, die Straßen darin begangen und gestestet und soll eigentlich auch so etwas sein wie ein Ansprechpartner, wenn in diesem Stadtteil etwas passiert.

Der Deutsche Lokaljournalistenpreis gilt als einer der renommiertesten Preise seiner Branche. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat einmal gesagt, der Preis sei einer der bedeutendsten Auszeichnungen für Regionalzeitungen im deutschsprachigen Raum. Man erhält den Preis nicht einfach so, sondern man muss sich bewerben und vor einer fachkundigen Jury um Dieter Golombek bestehen. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Der Preis ist für Regionalzeitungen mit Sicherheit nicht nur einer der wichtigsten, sondern DER wichtigste Preis. Ich würde ihn zu den vier wichtigsten Preisen in Deutschland zählen und zwar auf Augenhöhe mit dem Henri-Nannen-Preis, dem Wächterpreis und dem Theodor Wolff Preis. Das Besondere an diesem Preis ist, dass er ein Konzept auszeichnet. Es gibt viele gute Reporter und Journalisten, denen richtig gute Texte gelingen und dann bekommt einer einen Preis und darüber freuen wir uns auch.

Aber mit diesem Preis wird einerseits das Konzept ausgezeichnet und andererseits die gesamte Redaktion. Das ist für die Motivation und das Renomee dieser Zeitung etwas ganz anderes. Deshalb ist mir der Deutsche Lokaljournalistenpreis mit Abstand der wichtigste Preis. Er ist ja auch einer der Preise, für den sich am meisten Zeitungen bewerben. In diesem Jahr waren es mehr als 700. Da zu gewinnen, ist einfach großartig.

Sie haben bereits 2005 mit den Elmshorner Nachrichten und 2009 mit dem Weserkurier den Lokaljournalistenpreis erhalten. Man könnte also sagen, dass Ihnen der Lokaljournalismus offenbar eine Herzensangelegenheit ist. Was treibt Sie an?

Was mich antreibt, ist etwas, das seinerzeit auch der Gründung des Deutschen Lokaljournalistenpreises zugrunde lag, nämlich das Problem, dass Lokaljournalismus lange Zeit belächelt wurde. Politik- und Wirtschafts- und Kulturredakteure waren die tollen Journalisten und bei den Lokaljournalisten hieß es immer, das sind die, die zum Kaninchenzüchterberein gehen. In meiner zwanzigjährigen Zeit als Journalist habe ich noch nie eine Geschichte über Kaninchenzüchtervereine geschrieben und auch noch nie eine Geschichte darüber gelesen in einer Regionalzeitung, für die ich gearbeitet habe.

Mein Ziel ist es, den Lokaljournalismus auf die gleiche Stufe zu stellen und seine Qualität ständig zu verbessern. Das treibt mich an und es ist vielleicht auch die schönste Aufgabe im ganzen Journalismus.

In Zeiten von Globalisierung und weltweiter Mobilität erlebt Heimatverbundenheit eine Art Renaissance. Die Lokalzeitungen stellen sich mit unterschiedlichem Erfolg auf das Bedürfnis nach noch mehr Berichterstattung über lokale Ereignisse ein. Ist diese Entwicklung eine Gegenreaktion auf die Vielfalt und damit verbundene Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt?

Sie sagen es. Es wird immer schwieriger, die Welt zu verstehen, weil man immer mehr Informationen aus Teilen der Welt bekommt, von deren Existenz man vor fünf Jahren noch gar nichts wusste. Man kann alles erfahren und das wird sehr unübersichtlicht. Auch habe ich manchmal das Gefühl, man weiß mehr über Dinge, die in Amerika passieren, als über Vorkommnisse bei mir in der Nachbarschaft.

Ich glaube, dass die Leute sich heute einerseits für die großen, globalen Zusammenhänge interessieren – viel stärker als früher und natürlich auch viel mehr Quellen haben, weil man alle Informationen heute überall und kostenlos bekommt – andererseits gibt es aber ein zunehmendes Interesse daran, was im direkten Umfeld passiert.

Das Problem für Regionalzeitungen ist die Ebene dazwischen. Nehmen wir das Beispiel Hamburg. Ich wohne in einem Stadtteil, der Alsterdorf heißt. Der ist gar nicht so weit vom Stadtteil Winterhude entfernt, aber ganz ehrlich interessieren sich die Leser aus Alsterdorf in erster Linie dafür, was in Altsterdorf passiert, auch wenn Winterhude nur drei Kilometer entfernt liegt. Es zu schaffen, den Menschen einer Großstadt wie Hamburg, immer möglichst viele Informationen aus ihrem direkten Umfeld zu bieten, ist die große Herausforderung.


Immer wieder wird den Zeitungen vorgeworfen, nicht genügend neue Ideen für kreative Geschäftsmodelle zu haben. In dieser Diskussion kommt auch immer wieder das Thema Leistungsschutzrecht der Presseverlage zur Sprache. Was sind Ihrer Meinung nach geeignete Rezepte in einer Zeit, in der die Auflagen massiv einbrechen und Internet, Smartphones und Tablet-PCs zunehmend die klassische Zeitungslektüre ablösen?

Die Auflagen der Zeitungen gehen zurück und wir erreichen auf Papier deutlich weniger Leser als früher. Dafür hatten wir andererseits aber früher null Leser auf anderen Kanälen. Wir haben beim Hamburger Abendblatt im Monat heute mehr als zwei Millionen Menschen, die eines unserer Mobilangebote nutzen, zwischen 60.000 und 100.000 Leser allein auf Smartphones. Es gibt also kein Problem, die Leser zu erreichen.

Es stellt sich aber die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Redaktion und des Journalismus allgemein. Jedoch darf es aus meiner Sicht nicht Aufgabe von Journalisten sein, kreative Ideen zu entwickeln, um Geld zu verdienen.

Unsere Aufgabe muss es sein, hochseriösen, unterhaltsamen und gut verständlichen Journalismus zu machen. Wie sich der dann vermarkten lässt, kann per se nicht unsere Aufgabe sein, denn dann würden wir in die eine oder andere Form Dinge tun, die mit dem Journalismus, wie ich ihn möchte, nichts zu tun haben. Wir würden dann zum Beispiel über bestimmte Anzeigenkunden besonders positiv schreiben. Oder wir würden uns Umfelder überlegen, die sich besonders gut vermarkten lassen. Das darf nicht passieren. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir tun und lernen, auch darauf stolz zu sein. Journalismus ist keine Ware, sondern am Ende die Voraussetzung für Demokratie und Freiheit.

Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass sich die Axel Springer AG von einigen Zeitungen, darunter auch dem Hamburger Abendblatt, trennen wird. Manchem Kommentatoren galt dieser Schritt von einem der größten Medienhäuser Europas als Zeichen des Abgesangs auf die klassische Zeitung. Welche Auswirkungen wird der Wechsel in die Funke Mediengruppe ab 2014 für Ihre Arbeit haben?

Ich sehe im Moment und mittelfristig überhaupt keine Veränderung, denn letztendlich wechselt nur der Eigentümer. In der Berichterstattung sind auch einige Dinge komplett durcheinander gebracht worden. Man kann sich diesen Deal aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Man kann sagen, Axel Springer hat das Abendblatt und andere Zeitungen verkauft. Man kann aber auch sagen, die Funke Mediengruppe hat das Abendblatt gekauft. Wir beim Abendblatt haben lächelnd zur Kenntnis genommen, dass das Hamburger Abendblatt mehr wert ist als die Washington Post. Das ist für Regionalzeitungen in Deutschland kein schlechtes Signal.

Blicken wir zum Abschluss kurz gemeinsam auf den großen Tag. Am 30. September erhalten Sie in einem Festakt die Urkunde für den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Wissen Sie schon, wo diese Urkunde einen festen Platz bekommen wird?

Gute Frage. Wir sind Hanseaten und der Hanseat neigt dazu, solche Dinge einfach in einen Schrank zu stellen. Da liegen auch schon relativ viele Preise, die das Abendblatt in den vergangenen fünf bis zehn Jahren gewonnen hat. Ich glaube, wir müssen eine geeignete Fläche dafür in unserem Newsroom schaffen. Da gibt es eine schöne Wand, wo man diese ganzen schönen Preise vielleicht in ein gläsernes Regal stellt könnte. Denn bei aller hanseatischen Zurückhaltung ist es eigentlich eine Schande, dass alles in einem kleinen Safe bei mir liegt. Es muss ja auch irgendwie zu sehen sein.

Die FAZ druckt einen Text, den die taz nicht drucken wollte

Geschrieben am 18. September 2013 von Paul-Josef Raue.

„Und wer kontrolliert die Zeitungen?“ Es gibt kaum eine Diskussion mit Politikern und nicht selten auch mit Leser, in der nicht diese Frage gestellt wird. Die Antwort ist einfach: Die Medien kontrollieren die Medien.

Ein gutes Beispiel lieferte die Sonntagszeitung der FAZ: Sie druckte auf der zweiten und dritten Seite einen Beitrag, den die taz-Chefredakteurin Ines Pohl nicht drucken wollte. Thema von Christian Füllers „Die große Legende“ ist die Förderung von Kindesmissbrauch und Pädophile durch die Grünen in ihren Anfangsjahren.

Die FAS kündigte den Beitrag auf der Titelseite an: „Die taz-Chefin wollte den Text nicht drucken. Genannt wurden dafür alle möglichen Gründe, auch in der Redaktionskonferenz.“ Die Gründe waren: Falsche Tatsachen, falsche Kausalketten, handwerkliche Schwächen. Der Hauptgrund war wohl der Wahlkampf und die schädliche Wirkung des Artikels auf die Grünen, die der taz nahestehen.

Füllers Artikel endet:

Der grüne Moralist ist nackt – und alle können es sehen.

Am Rande sei eine Pikanterie erwähnt: Die taz-Chefredakteurin beschwerte sich in der Redaktionskonferenz, dass der Streit öffentlich wurde. Der Autor dieses Blogs erinnert sich gut daran, wie genüsslich die taz Diskussionen anderer Redaktionen in ihrem Blatt ausbreitet – in der Regel ohne die Angegriffenen zu befragen.

FAS 15. September 2013

Kommentar von Anton Sahlender via Facebook

Da gibt es durchaus noch etwas mehr Kontrolle: Gesetze, Presserat, Leser und da und dort Ombudsleute

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