Alle Artikel mit dem Schlagwort " Goethe"

Wie Goethe den Genitiv missachtete (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Prüfen Sie sich! Welche der folgenden Sätze sind richtig:

1. Dank meines Fleißes werde ich in den Bundestag gewählt?
2. Großalarm wegen totem Hund?
3. Trotz Umbaus geöffnet?
4. Laut unseres Briefes sind sie von der Zahlung befreit?

Wer die deutsche Sprachen retten will, der rettet den Genitiv. Helmut Wolf aus Erfurt, Leser der Thüringer Allgemeine, ärgert sich, wenn in der Zeitung „immer wieder“ Genitiv und Dativ verwechselt wird – sogar auf der Kinderseite und ausgerechnet in einem Artikel über die Bildungsministerin.

Helmut Wolf hat Recht: Wir sollten den Genitiv wahren, so es die Regel gibt. Aber wir sollten bedenken, dass auch die Regel eine Geschichte hat. Nehmen wir als Beispiel: Der Genitiv nach der Präposition „wegen“.

Wer „wegen totem Hund“ schreibt, wie in einer Überschrift unserer Zeitung, wer also Dativ und Genitiv verwechselt, gilt als Sprachverderber. Aber wie schrieb Goethe gleich mehrfach in seinen Briefen? „Wegen eintretendem Reformationsfeste“.

Noch derber trieb es der Geheimrat am Weimarer Hof, als er in einem einzigen Satz „wegen“ erst mit dem Genitiv, dann mit dem Dativ gebrauchte: „Wegen des Stoffs als wegen den Umständen“.

Auch Schiller verwechselte: „Wegen dem Göz von Berlichingen“, und Gerhard Hauptmann verwechselte und Adalbert Stifter.

Es geht drunter und drüber, wie so oft in der Geschichte unserer Sprache. Erst war „wegen“ mit dem Dativ verbunden, dann mit dem Genitiv – wie beispielsweise schon im Urkundenbuch des thüringischen Arnstadt von 1432:

Von wegen syner koniglichen Durchluchtigkeit.

Der Genitiv setzte sich durch, nur nicht jederzeit bei Goethe, Schiller und anderen dichtenden Heroen, vor allem wenn sie eiligst Briefe schrieben – und im Volke wohl auch nicht.

Meinetwegen, könnte man sagen: Ich bleibe beim Genitiv, den auch Schiller durchaus schätzte und das „wegen“ hinter das Hauptwort verbannte. Statt „wegen seiner Natur“ schrieb er: Es ist dem Menschen „von Natur wegen möglich gemacht, aus sich selbst zu machen, was er will“.

Was ist also richtig? Alle Sätze sind – mehr oder minder – falsch im Eingangstest, und so sind sie richtig:

1. Dank meinem Fleiß (laut Duden);
2. Großalarms wegen eines toten Hundes (allerdings registriert der Duden schon: umgangssprachlich auch mit Dativ);
3. Trotz Umbau geöffnet (denn Hauptwörter ohne Artikel oder Attribut werden meistens nicht gebeugt);
4. Laut unserem Brief (allerdings lässt der Duden auch „laut unseres Briefes“ zu).

Geben wir Friedrich Schiller das letzte, oder besser: vorletzte Wort:

Schätzen Sie mich wegen dem, was ich unter besseren Sternen geworden wäre.“

Thüringer Allgemeine 11. März 2013

Bach und das weihnachtliche Lallen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 26. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.
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Johann Sebastian Bach bringt Menschen leicht in weihnachtliche Stimmung. Sein Weihnachtsoratorium füllt die Thomaskirche, wo der Chor mit matten Gesängen lallte. Wie? Er lallte?

Wehe, ein Kritiker würde Sänger heute so bewerten! Die Leserbrief-Seiten füllten sich über Tage, von einer Welle der Empörung überflutet. Doch, der so spricht, ist Bach selber in seinem Weihnachts-Oratorium:

Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen,
Lass dir die matten Gesänge gefallen!

Von hoher göttlicher Warte aus ist alles Menschliche unvollkommen – selbst das Lob des Höchsten.

Da spricht noch nicht der selbstbewusste Mensch der Aufklärung, da ist der mündige Bürger noch der lallende Untertan, eben das Kind, das noch nicht zur Sprache gefunden hat.

In diesem Sinne verschwand das Lallen aus unserem Sprachgebrauch, findet sich allenfalls noch in Prozessakten, wenn ein Betrunkener Auto gefahren ist. Eigentlich ist es ein schönes Wort, bedeutete bei den Römern: „in den Schlaf singen“.

Und Goethe inspirierte es zu den Versen:

Und nachts, wenn jeder Ton verhallt, so hören wir ein Kind, das lallt.

Thüringer Allgemeine, 17. Dezember 2012

Kann man den Mittag essen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 2. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Die Eltern gehen Mittag essen.“ So stand es in der Zeitung. Ein eifriger Leser stutzte und schrieb: „Ich persönlich hätte erstens: Mittagessen zusammen geschrieben; zweitens gefragt: Kann man überhaupt Mittag essen?“

Er entschuldigt sich mit einem englischen Wort, das mittlerweile selbst verzweifelt kämpfende Sprachpfleger schätzen: „Sorry, wenn ich etwas zu spitzfindig bin oder kleinkariert.“

In der Tat kann man den „Mittag“ nicht essen, er ist eine Tageszeit, somit ungenießbar. Doch selbst die Zeitangabe ist schon aus dem Wort entwichen.

Die Mitte des Tages ist der „Mittag“, ist, so der Dichter, die Bezeichnung der Zeit, „da die Sonne gleich weit vom Aufgange wie vom Niedergange steht“. Folglich müsste das Wort, regelrecht, mit drei „ttt“ geschrieben werden: Mitt-tag“.

Doch unsere Alltagssprache kümmert sich nicht immer um Regeln, sie plappert daher und ist dennoch verständlicher als manche Expertensprache. „Mittag essen“ meint „zu Mittag essen“, ist eine Verkürzung, die das Volk, sparsam und wortkarg, erst hingenommen, dann übernommen hat.

Goethe schrieb den Mittag und das Essen noch zusammen: „Wir bestellten uns auf morgen ein Mittagessen.“ Der Duden trennt den „Mittag“ und das „essen“, nicht ohne Sinn, denn „zu Mittag essen“ zwingt zur Getrenntschreibung.

Mit Goethe könnten wir auch anders schreiben. Doch immer wenn des Volkes Sprache zum Allgemeingut wird und in den Duden wandert, ist es zweckmäßig, sich auf eine Regel zu einigen – bis zur nächsten Änderung.

(nach der Thüringer Allgemeine vom 29. Mai 2012)

„Kürzen, dass es lesbar ist“ – Zitat der Woche

Geschrieben am 19. März 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 19. März 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

„Ich hätte einem Doktoranden, der mir fast 500 Seiten abliefert, gesagt, er soll wieder nach Hause gehen und mir 150 draus machen. Wie hat Goethe angeblich gesagt: Getretener Quark wird breit – und nicht stark. Die Kunst liegt nicht im Schreiben oder Kopieren, sondern im Kürzen, dass es lesbar ist.“

(Ex-Bundespräsident Roman Herzog im Welt-Interview 17. März 2012)

 

 

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