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Wolf Schneider: „Alle Germanisten hassen mich – und ich hasse sie“ (Luther-Disput 1)

Geschrieben am 18. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Dies können wir – laut Wolf Schneider – von Luther lernen:

• Sprich in den konkretesten farbigsten Worten!
• Benutze Worte mit möglichst wenigen Silben!
• Sprich und schreibe in überschaubaren, einfachen Sätzen!
• Nutze anschauliche Beispiele!

Beim Luther-Disput der Thüringer Allgemeine debattierte Wolf Schneider mit dem Thüringer Pfarrer Felix Leibrock – beginnend mit Frage: „Worin bestand Luthers Leistung, als er auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche übersetzte?“

Felix Leibrock:
Luther hat ein großartiges Buch, eben die Bibel, in ein großartiges Deutsch übersetzt; er formte die Sprache aus und trieb sie auf die Höhe.

Doch ist es schon fast ein Ritual, Luthers Übersetzungsleistung zu loben. Ich habe allerdings auch ein Problem mit Luthers Sprache. 13- und 14-jährige Konfirmanden heute verstehen sie nicht mehr.

Luther war eben auch ein Kind seiner Zeit. Er hat die Sprache des Mittelalters gesprochen, viele Begriffe sind heute unbekannt. Wer weiß noch was mit dem „Scherflein der Witwe“ gemeint ist?
Der Scherf war eine Erfurter Münze mit wenig Wert.
Luther war es wichtig, die Bibel in seine Zeit und zu den Menschen zu holen, mit denen er lebte. Fünfhundert Jahre später muss es erlaubt sein, Luther zu verändern. Es ist sogar unsere Aufgabe, die Sprache der Bibel immer neu zu übersetzen.
Martin Luther hat von der Sprache des Volkes gelernt

Wolf Schneider:
Luther Wort für Wort übernehmen oder vorbildlich finden, davon kann keine Rede sein. Aber wir können uns ein Beispiel daran nehmen, wie er sich der Volkssprache zugewendet und wie er sie geprägt hat.

Luthers Sprache ist voller Leben, also voll von dem, was alle verstehen. Luthers Kirchensprache war nicht akademisch versaubeutelt, um es mal streitgesprächsfreudig zu sagen.

Deutsche Professoren neigen dazu, für deutsche Professoren zu schreiben und nicht für alle Deutschen. Luthers Ehrgeiz war das äußerste Gegenteil. Und ich wünsche mir von allen Schreibenden, auch von Journalisten, die gleiche Gesinnung wie bei Luther. Ich will von allen gelesen und von allen verstanden werden.

Leibrock:
In angelsächsischen Ländern werden akademische Arbeiten auch nach der Lesbarkeit und Verständlichkeit bewertet; in Deutschland bekommt man die Dissertation zurück, wenn sie nicht im akademischen Sprachstil verfasst ist.

Schneider „Dieser akademische Sprachstil…:
Dieser akademische Sprachstil ist ein Thema, das mich immer wieder ärgert; gegen diesen akademischen Unsinn kämpfe ich. So muss ich damit leben: Alle Akademiker, alle Germanisten hassen mich – und ich hasse sie. Wir haben miteinander überhaupt nichts zu tun. Es ist unter der Würde eines Germanisten, sich zu bemühen, dass die Hälfte aller Deutschen sie verstehen kann. Das mögen sie nicht.

Leibrock:
Meine Tochter schreibt gerade ihre Abschluss-Arbeit über die Verkehrswege in Mexiko. Ich sollte sie durchlesen auf Verständlichkeit und Stil. Da las ich beispielsweise den Satz: „Die Verkehrssituation in Mexiko ist polyvalent zu sehen…“

Ich habe sie gefragt: Was willst du damit sagen? Sie antwortete: „Es gibt in Mexiko zu wenig Autobahnen.“ So kann sie aber nicht schreiben, da protestiert ihr Professor. Er verlangt akademische Sätze, die oft nichts aussagen.

Als ich Student war, hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Unsere Nachbarn schwärmten davon, dass ihr Kind das Studium mit einer Arbeit abgeschlossen hatte, die nur vier Menschen auf der ganzen Welt verstehen würden.

Ich sagte mir damals: Solche Bücher möchte ich nicht schreiben. Ich möchte Bücher schreiben, die man auch lesen kann. Entscheidend ist für mich die Klarheit des Gedankens, dann kommen die Worte von allein. Wenn ich das klar mache, dann ist es ein Leichtes, zu schreiben.

Schneider: „Um die Worte muss man ringen“
Dass die Worte von alleine kommen, das wiederum bestreite ich. Meine Erfahrung nach 60-jähriger Berufserfahrung und 30-jähriger Journalistenausbildung: Um die Worte muss man ringen, die Worte kommen nicht von allein.

Meinen Schülern sage ich: Qualität kommt von Qual. Glaube ja nicht, dass etwas gut ist, weil es da steht! Weil die Grammatik stimmt! Und weil es von dir ist! Nein, es steht da, die Grammatik stimmt, und es ist von dir – und nun beginnt die Arbeit.

Auch ich ringe mit meinen eigenen Texten bis heute – obwohl ich auch gedruckt würde mit weniger Sorgfalt und Mühe. Auch Luther hat natürlich um die Worte gerungen; es gibt viele Anekdoten, wie er gerungen hat.

Alle großen Schriftsteller haben gerungen, keinem ist etwas zugeflogen. Goethe hat mal behauptet, ihm sei über Nacht ein Gedicht zugeflogen – und er habe es mit dem Bleistift aufgeschrieben, weil das Kratzen der Feder ihn bereits aus seiner Inspiration gerissen hätte. Seine Biografen weisen ihm allerdings nach, dass er drei Tage lang daran geschuftet hat. Von alleine kommen keine Worte, erst recht keine verständlichen Worte.

Wir plagen uns ja alle mit der Bildung herum, die wir lernen mussten – und von der wir uns bis zu einem gewissen Grade entfernen müssen. Sie, Herr Leibrock, schreiben beispielsweise: „Die Bibel mahnt zur Reflexion eigenen Handelns.“ So würde ich niemals schreiben, sondern:

„Die Bibel mahnt: Denkt mal drüber nach!“ Das halte ich für eine Klasse besser – als „Reflexion eigenen Handelns“.

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FELIX LEIBROCK leitet die Evangelische Akademie in München, war Pfarrer in Apolda (Thüringen) und ist Autor des Romans „Luthers Kreuzfahrt“ mit dem ersten deutschen Sauna-Seelsorger Wolle Luther, der auf dem Kreuzfahrtschiff „Nofretete“ arbeitet.

WOLF SCHNEIDER ist Mitautor des „Handbuch des Journalismus“ und Autor von Bestsellern über die Sprache wie „Deutsch für Kenner“.

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Erster Teil des Luther-Disputs, erschienen am 11. Januar 2014 im „Thüringen Sonntag“ der Thüringer Allgemeine.

Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause

Geschrieben am 23. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):

Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro

In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:

In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?

Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.

Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?

Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?

Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?

Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.

Und hat es geholfen?

Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.

Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?

Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.

„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?

Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.

„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?

Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.

Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?

Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.

Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?

Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.

Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?

Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.

Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?

Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.

Also doch nicht alles Fiktion?

Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.

Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?

Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.

Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.

Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)

Die Unlogik der Sprache und die Untiefen der Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Ich bin ein Betriebswirt und kenne den Fachbegriff Unkosten nicht“, schreibt ein Leser verärgert, als er in seiner „Qualitätszeitung“ gelesen hatte: „In Unkosten stürzen sich Studenten für die eigentlich teure Technik.“

Nur weil umgangssprachlich dieser betriebswirtschaftlich unsinnige Begriff genutzt wird, muss der nicht in der Zeitung stehen. Was kommt als nächstes?

Ich schlag gern bei Goethe nach, wie er mit den Wörtern hantierte. Er schrieb in seinen frühen Tagebüchern:

Es fiel mir dabei die königliche Grille Ludwigs des Großen ein, der so viel Unkosten verschwendete, um eine Wüste zum Paradies umzuschaffen.

Offenbar sind die „Unkosten“ keine Liederlichkeit unserer Tage. Die Brüder Grimm listen in ihrem Wörterbuch die „Unkosten“ schon in Rechnungen aus dem 14. Jahrhundert auf und in einer Mainzer Chronik aus dem 15. Jahrhundert.

Unsere Sprache ist eben bisweilen unlogisch und – vor allem bei Verneinungen – komplett verrückt: Die Schwester der „Unkosten“ ist die „Untiefe“: Sie kann Gegensätzliches bezeichnen, eine besonders seichte wie eine besonders tiefe Stelle im Meer.

Fürst Pückler, der Gartenkünstler aus der Lausitz, schrieb vor knapp zweihundert Jahren in einem Brief:

Wer die Flut nutzt, erreicht den Hafen des Glücks, und wer sie vorüberlässt, dessen ganze Lebensreise geht durch Untiefen und Elend.

Eigentlich bedeutet die Vorsilbe „un“ eine Verneinung: Eine Untiefe ist das Gegenteil der Tiefe; die Unkosten das Gegenteil von Kosten; die Unmenge das Gegenteil der Menge.

Aber „un“ kann auch bekräftigen – wie bei den Unkosten: Sie bezeichnen nichts Kostenloses, sondern besonders hohe oder nicht geplante Kosten. Es ist also ein Kreuz mit der Verneinung und der Sprache – aber dies schon seit einigen Jahrhunderten.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 26. August 2013

Veggie gegen Hacktäschli (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. August 2013 von Paul-Josef Raue.
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Der Burger hat nichts mit einer Burg gemein, ist die Abkürzung von Hamburger, der auch nichts mit der Hansestadt gemein hat, er ist ein Anglizismus und wird Börger ausgesprochen. Es gibt auch deutsche Wörter für den Hackfleisch-Kloß: Frikadelle, Bulette, Klops, Fleischpflanzerl, Hacktätschli und andere mehr.

Auch die Verächter des Burgers und des Fleischs im Generellen demonstrieren ihre Liebe zu den Anglizismen und nennen den Tag ohne Fleisch: „Veggieday“. Veggie ist das englische Wort für „Vegetarier“ oder für „vegetarisch“; „day“ ist der Tag.

Das deutsche Wort liegt also zum Greifen nahe: Vegetarischer Tag oder Fleischlos-Tag oder Ohne-Fleisch-Tag. Im Eichsfeld und anderen katholischen Enklaven könnte man auch zum „Fischtag“ greifen, weil nach altem Brauch am Freitag kein Fleisch, sondern Fisch auf den Tisch kommt.

Warum spricht die Thüringerin Katrin Göring-Eckardt dann vom „Veggieday“, die Kanzler-Kandidatin der Grünen? Es dürfte ein politischer Werbe-Trick sein: Wer anglizistisch spricht, möchte als modern gelten und weltläufig.

Und wer die deutsche Sprache mag, die Sprache Goethes und Luthers – was wird dem nachgesagt im Kreis der global Player?

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Kolumne der Thüringer Allgemeine 12. August 2013

Luther, Goethe und der Starkregen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 23. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.
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„Himmel, Arsch und Starkregen!“ ist kein Fluch, denn Starkregen ist – im Vergleich mit Himmel und Arsch – ein schwaches Wort. Doch der „Starkregen“ war in den vergangenen Wochen eines der am meisten genutzten Wörter; im Wetterbericht stand es an erster Stelle.

Doch wir haben ein starkes Wort, ein Gefühls-Wort, das in Vergessenheit gerät und dem schwachen Starkregen weicht: Wolkenbruch. Vor einem halben Jahrtausend schlüpfte es in die deutsche Sprache.

Martin Luther schwankte noch, gebrauchte erst die damals geläufige „Wolkenbrust“ – wenn er beispielsweise in seinen Tischreden gegen den Oberchristen in Rom wetterte: „Da ist der Papst mit seinen schädlichsten Traditionen herein gefallen wie eine Wolkenbrust und Sündflut.“

Später wechselte Luther zum modernen „Wolkenbruch“, wenn er dem Volk ins Gewissen redete: „Dich überfallen hier nicht allein Tropfen, sondern eitel Wolkenbrüche mit Sünden.“

Paracelsus war ein berühmter Arzt und Zeitgenosse von Luther. Als er vom Aufplatzen einer Wunde sprach, das er „Platz“ nannte, verglich er es so: Ein Platz geschieht wie ein Wolkenbruch.

Drei Jahrhunderte später machte sich der Dichter Friedrich Hebbel seine Gedanken über die leere Speisekammer: „Hat man nichts zu Hause, so kommen die Gäste wie Wolkenbruch und Hagelschlag.“ Übrigens sah man im Wolkenbruch eine Zeit lang eine Frau: Die Wolkenbruch.

Enden wir das Loblied auf den Wolkenbruch mit einem Fluch des Weimarer Dichters Goethe, zu entdecken in einem seiner Lustspiele: „Wolkenbruch und Hagel!“ Und eben kein Starkregen.

Thüringer Allgemeine, Montag, 24. Juni 2013

Warum sind schwierige Wörter schwierig? – Die Addresse des Albatross (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.
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Warum schreiben viele die „Adresse“ falsch: Addresse? Die englische Sprache führt in die Irre: Sie verdoppelt das „d“ zu „address“, das dieselbe Bedeutung hat wie die deutsche Adresse.

Vor einigen Jahrhunderten besetzten nicht englische Wörter die deutsche Sprache, sondern französische. Wer modern sein wollte im Weimar des 17. und 18. Jahrhunderts, der mischte französische Sprachbrocken in seine Rede – so auch die Adresse. Der Franzose schrieb und schreibt die Richtung, so die ursprüngliche Bedeutung von Adresse, mit einem „d“, und so gelangte sie in die deutsche Sprache.

Aber selbst Goethe kam in Weimar durcheinander und schrieb in einem Brief: „Haben Sie die Gütigkeit, und setzen meinen Vornahmen auf die Addresse“ – also verdoppelte das „d“ wie ein Engländer.

Auch andere Wörter schreiben wir nicht wie die Engländer, obwohl viele glauben, ein englisches Wort zu benutzen: Albatros, der Seevogel, bekommt im Englischen noch ein zweites „s“ am Ende – und gilt folglich auch als schwieriges Wort in unserer Sprache, zumal wir im Plural auch das „s“ verdoppeln: Albatrosse.

Kolumne der Thüringer Allgemeine, Montag, 10. Juni 2013

Immer mehr Fehler in der Zeitung oder: Die schwierigsten Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 28. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.
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Die täglichen Fehler in der Zeitung werden immer peinlicher. Welche Qualifikation müssen Mitarbeiter, die sich Journalisten nennen, überhaupt nachweisen?

Das fragt ein TA-Leser aus Bad Langensalza. Wir kennen und schätzen die Fehler-Detektive unter den Lesern, die statt der „Kinderkrippe“ die „Kindergrippe“ entdecken und statt „Vergären“ von Früchten das „Vergehren“. Der Spiegelfüllt mit Sprach- und Logik-Schnitzern jeden Montag den „Hohlspiegel“.

Ein TA-Leser, der in einem Versicherungsbüro arbeitet, vermutete gar eine Demenz-WG in der Redaktion, als er von einem „Stehgreifspiel“ las statt vom „Stegreif“.

Den „Stegreif“ führt der „Duden“ in seiner Liste der schwierigen Wörter, die oft falsch geschrieben werden. Warum sind Wörter schwierig? Warum werden sie oft falsch geschrieben?

Der „Stegreif“ zum Beispiel ist ein Bild, das längst aus unserem Bildergedächtnis verschwunden ist und selbst von Reitern kaum mehr verstanden wird. Der Stegreif ist ein tausend Jahre altes Wort aus dem Mittelhochdeutschen und bezeichnete den Reif, also den Ring, um auf ein Pferd zu steigen. Heute nennen wir ihn Steigbügel.

Wer aus dem Stegreif reden kann, der spricht schnell – ohne vom Pferd hinabzusteigen. Goethe mochte die Redensart: „Aus dem Stegreif die Reime zu machen, wie leicht war das!“ Und Lessing brachte den Stegreif und das Sprachgenie zusammen: „Jedes große Genie redet alles aus dem Stegreif.“

Sprachgenies heute, so sie Journalisten sind, sollten den Stegreif meiden, damit sie nicht zum Stehen kommen im „Stehgreifspiel“. Sprachbilder, die im Kopf kein Bild mehr malen, sind unnütz, verwandeln sich in leere Redensarten – eben schwierige Wörter.

Kolumne derThüringer Allgemeine, Montagausgabe 27. Mai 2013

Wörter haben eine Seele oder: Journalisten sind für die Wirkung ihrer Texte verantwortlich

Geschrieben am 6. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

Wo ist Ihr Mitgefühl?

fragt ein Leser nach der Lektüre einer Kolumne, die sich mit dem Dativ beschäftigte: Ist es richtig, in der Überschrift zu schreiben „Mädchen ertrinkt in Ententeich“ – oder muss es heißen „Mädchen ertrinkt im Ententeich“?

Der Leser weiter:

Ein zweijähriges Mädchen ist durch unglückliche Umstände ertrunken. War es nun im oder in Ententeich, das war Ihnen eine Kolumne wert. Fragen Sie mal die Familie, wie wichtig in diesem Fall der Dativ für sie ist.

Meine Antwort:

Sie haben Recht, und Sie haben auch ein Recht darauf, dass ich um Entschuldigung bitte. Zudem ärgere ich mich. Denn in meiner Kolumne „Friedhof der Wörter“, die montags auf der Kultur-Seite erscheint, schreibe ich mit einer Beharrlichkeit, die manche Deutschlehrer ebenso irritiert wie einige der Gebildeten unter unseren Lesern:

Unsere Sprache ist keine Maschine, die nach einem Takt läuft, der einmal festgelegt wurde. Unsere Sprache spiegelt unser Leben wieder, sie ist die Seele der Gesellschaft.

Es reicht also nicht, korrekt zu schreiben. Wichtiger als jeder korrekte Dativ, wichtiger als die perfekte Grammatik ist die Wirkung, die wir mit den Wörtern erzielen.

Wir sind verantwortlich dafür, dass wir korrekt schreiben, aber wir sind auch verantwortlich dafür, was wir anrichten mit den Wörtern. Wir können mit Wörtern ebenso verletzen wie mit dem Sprechen über Wörter, wie mit dem Sprechen über Regeln der Wörter und Sätze. Wörter fordern den Verstand, aber sie berühren auch unsere Seele.

Unsere Sprache ist uralt, reicht zurück in die Steinzeit des Denkens und Fühlens. Also müssen wir den Wörtern und Regeln misstrauen, den alten und erst recht den neuen. Denn die Sprache ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.

Der Teufel trifft sich in der von Goethe ausgeschmückten Hexenküche mit Faust. Es ist dieser neugierige Mensch, der entdecken will, was sein Leben und die Welt im Innersten zusammenhält.

„So schwätzt und lehrt man ungestört“, doziert der Teufel als Sprachkritiker und fügt hinzu:

„Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“

Thüringer Allgemeine, unredigiert, 4. Mai 2013 (Leser fragen)

Stefam Heym zum 100. – „Es kostet mehr Zeit, kurz und prägnant zu schreiben

Geschrieben am 9. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Was für ein Glück, wenn ein angehender Journalist schon einen Meister findet. Stefan Heym, der morgen (10. April) seinen 100. feiern könnte, schreibt in seinen Erinnerungen „Nachruf“ von einem Besuch bei Wilhelm Münzenberg:

Münzenberg wollte populistische Blätter gemacht haben, Boulevard-Stil, und wie S.H. in seiner späteren Arbeit selbst erfahren sollte, kostete es mehr Zeit, kurz und prägnant zu schreiben als wortreich und verschwommen, und noch mehr, anderer wortreiche Prosa auf ein lesbares Maß zu trimmen.

Münzenberg, der gebürtige Erfurter, gründete zusammen mit Zille auch den Eulenspiegel. Er starb 1940 auf der Flucht vor den Nazis in Südfrankreich.

Die Schwierigkeiten, kurz zu schreiben, hatten auch andere:

Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit.

Goethe soll es geschrieben haben oder Voltaire oder Mark Twain oder Karl Marx. Wer es auch war: Es ist ein wahrer und treffender Satz.

Stefan Heym schreibt in seinen Erinnerungen auch über Bruno Frei, den Chefredakteur von Berlin am Morgen:

Frei war in einer Linie nicht Funktionär, sondern Journalist, Berufsjournalist sogar, und Österreicher; die österreichische Presse aber zog sich Leute heran, die eine leichte Hand hatten und im allgemeinen auch mehr Phantasie als ihre deutschen Kollegen; jedenfalls lasen sich die deutschen Lügen immer viel schwerfälliger.

Erinnern mit Goethe und Josef Fischer (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 22. März 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 22. März 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Ist dieser Satz falsch? Gar Denglisch?

„Seine Mutter starb früh, und er erinnert heute noch in allen Einzelheiten ihren Tod.“ Der Satz stand in unserer Zeitung im Porträt des Starkochs Heinz Winkler.

Da verfällt der Autor unversehens in einen gepflegtes Denglisch, schimpft ein Zeitungsleser aus Weimar und begründet es so:

„Diese englische Variante des deutschen ,sich erinnern‘ wurde schon vor Jahren durch den Ex-Außenminister Josef Fischer kreiert, der seine Putztruppenzeit absolut nicht erinnert.“
Vergessen wir Josef Fischer, bleiben wir in Weimar. „Erinnre mich nicht jener schönen Tage“, schrieb Goethe in der „Iphigenie auf Tauris“.

Ist Goethe verdächtig, in einem gepflegten Denglisch zu schreiben? Nur weil er nicht dichtete: „Erinnre mich nicht an jene schönen Tage“?

Zu Goethes Zeiten brachen nicht englische, sondern französische Wörter in die deutsche Sprache ein: Jede Zeit hat ihre Sprachmoden.

Matthias Claudius, ein schlichter Zeitgenosse Goethes, schrieb nicht nur „Der Mond ist aufgegangen“, sondern auch „Da unser einer doch täglich seiner Sterblichkeit erinnert wird“ in seinem „Wandsbecker Boten“ – und eben nicht „Unser einer wird täglich an seine Sterblichkeit erinnert.“

Jahrhunderte vor Goethe und Claudius übersetzte Martin Luther die Bibel: „etwas erinnern“ und nicht „an etwas sich erinnern“. Kurzum: Denglisch ist teuflisch, aber „erinnern“ ist, wie auch der Duden beteuert, so zauberhaft wie die goldnen Sternlein, die prangen – am Himmel hell und klar.

Thüringer Allgemeine geplant für 25. März 2013

Seiten:«1234»

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