Alle Artikel mit dem Schlagwort " Goethe"

„Um alles in der Welt“ – das Multi-Wort „um“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser ärgert sich und schneidet diese Überschrift zur Sonnenfinsternis aus:

„Um kurz vor elf blieb es überraschend hell“.

Er streicht das „Um“ weg und schimpft: „Da sträuben sich einem die Nackenhaare! Ausdruck mangelhaft! ,Um‘ hat hier nichts zu suchen!“

Schimpft unser Leser zu Recht?

Ja, weil der Satz ohne „um“ kürzer und somit verständlicher wird – und angenehmer im Rhythmus.

Nein, weil der Satz grammatisch korrekt ist. In der Wendung „Um elf“ beispielsweise könnte der Schreiber nicht auf „um“ verzichten.

„Um“ ist eines der Multi-Talente in unserer Sprache. Wir brauchen es

> als Präposition vor einem Objekt: „Ich gehe um zehn Uhr ins Bett.“ Goethe legt im 13. Kapitel des „Faust“ der lachenden Marthe in den Mund:
„Denk, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.“

> als schlichtes Adverb in der Bedeutung von „vorbei“: „Seine Zeit ist um gewesen“; oder in der Bedeutung von „ungefähr“: „Erfurt hat um die 200.000 Einwohner“; oder als Aufruf: „Rechts um!“

> als Konjunktion und Auftakt eines erweiterten Infinitivs: „Um zu begreifen, dass der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen“, schreibt Goethe in Wilhelm Meisters Wanderjahre.

> als österreichische Besonderheit, um im Urlaub die Einheimischen zu verstehen, die Milch kaufen wollen: „Ich gehe um Milch“, notiert der Duden. Der Österreicher sagt auch nicht „das Auf und Ab“, sondern „das Um und Auf“ – das wäre auch der einzige Fall, in dem „Um“ groß geschrieben wird, vom Satzanfang abgesehen.

Gleichwohl folge ich unserem Leser, der anonym schreibt, aber zu Recht den Präpositions- und Adverbien-Salat rügt: „Um kurz vor“ – das ist ein Wort zu viel. Wir brauchen Adverben, Konjunktionen, Subjunktionen und Präpositionen, um präzise zu sprechen. Aber sie gehören eben nur zum Beiwerk unserer Sprache.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 12. April 2015

Der längste Buchtitel des Jahres? Aller Zeiten? oder: „Jetzt sprechen die Opfer“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Bei der Leipziger Buchmesse zeichnete das Magazin „Was liest Du“ am Wochenende den „ungewöhnlichsten Titel“ aus, der das Zeug hat, mit 18 Wörtern auch der längste Titel 2014 zu werden:

Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Sternennacht, wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht 

Autor ist der Regensburger Thomas Spitzer, der sich einen „Slammer“ nennt. Das amerikanische Wort ist abgeleitet von dem Verb „to slam“, das der nutzt, der eine Tür zuknallt oder jemanden runtermacht.

Slammer treffen sich zum „Poetry Slam“, einem Dichter-Wettstreit, bei dem jeder in kurzer Zeit einen neuen Text  meist frei vorträgt und das Publikum am Ende den Sieger kürt. Im vergangenen Jahr siegte in Leipzig auch ein Slammer, dessen Buchtitel drei Wörter weniger hatte: „Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr und der Junge mit dem Löffel im Hals“.

Während die großen Dichter früher kurze Titel schätzten wie „Lotte in Weimar“ oder „Ulysses“, begann der Schwede Jonas Jonasson 2009 mit einem neun Wörter langen Titel die Bestseller-Liste zu erobern: „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Im schwedischen Original war der Titel allerdings ein Wort kürzer: „Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann“.

Acht Wörter lang war auch der Buchtitel, den die Frankfurter Buchmesse einst als kuriosesten Buchtitel auszeichnete: „Begegnungen mit dem Serienmörder. Jetzt sprechen die Opfer“. Diese Ehrung gibt es nicht mehr. Leider.

Stephan Thurm: Das Internet ist keine Bedrohung für Zeitungen

Geschrieben am 24. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Es gehört also immer mehr zu den Aufgaben der Redaktionen, für die „soziale“ Verbreitung Ihrer Artikel zu sorgen. Belohnung ist, dass auch ein Dialog mit den Lesern entsteht und die Publizisten dabei viel erfahren können.

Stephan Thurm ist Geschäftsführer von Funke-Digital in Berlin: Er soll die Zeitungen wie WAZ oder Hamburger Abendblatt ebenso in die digitale Zukunft führen wie die Zeitschriften von Hörzu bis Die Aktuelle. Diesen Vortrag hielt er beim Symposium „25 Jahre Thüringer Allgemeine“ in Erfurt:

Ich beschäftige mich beruflich seit 17 Jahren intensiv mit dem digitalen Wandel unserer Medienwelt. Meine Tochter hat die guten alten Kodak-Filmröllchen nicht mehr kennen gelernt und würde nicht mehr auf die Idee kommen, eine CD zu kaufen, wenn man doch mit Spotify alle Titel hören kann. Aber man muss sagen, dass es mittlerweile keine Branche mehr gibt, die vom digitalen Wandel nicht unmittelbar betroffen ist:

> Der Handel musste sich auf Amazon einstellen, deren letztes Weihnachtsgeschäft zu 60% über mobile Plattformen abgewickelt wurde.
> Dienstleister wie Friseure, Handwerker, Taxis und Restaurants werden per Handy gebucht und bewertet;
> Autos und Ferienwohnungen muss man nicht mehr besitzen, mittels „App“ lässt sich der Besitz effizient teilen;
> und natürlich hat sich die Mediennutzung in den letzten 25 Jahren stark verändert. 

Fakt ist: Insbesondere junge Menschen nutzen Medien anders als noch vor 10 Jahren und haben einen veränderten Zugang zu Nachrichten. Doch Medien sind kein beliebiges Produkt, denn wie wir auch hier in Thüringen sehen, ist die Entwicklung unserer Demokratie ohne kritische Journalisten nicht vorstellbar. Das haben letztes Jahr eindrucksvoll auch wieder die Enthüllungen von Edward Snowden gezeigt.

Wenn wir über „Zeitungen“ sprechen, haben sich die Medienmacher weltweit längst abgewöhnt, das Produkt nur noch mit Papier zu verbinden. Denn unabhängig von der Darreichungsform zählt der Inhalt, egal ob man seinen Goethe auf Papier oder auf Kindle liest. So haben finden sich alle starken Zeitungsmarken im Internet oder auf dem Smartphone und erreichen auf diese Weise auch junge Menschen. So wurde auch das Zeitungshaus Thüringen zum Medienhaus.

Reicht es also, wie bisher mit guten Journalisten relevante Nachrichten zu produzieren und diese schlicht zu digitalisieren? Sicher nicht, denn jedes Medium hat eigene Gesetze, und wir würden auch nicht auf die Idee kommen, im Radio die Zeitung vorzulesen.

Geschichten müssen anders erzählt werden, denn häppchenweise Lesen auf dem Handy erinnert sich eher an ADHS als ans entspannte Zeitungslesen am Frühstückstisch. Es reicht auch nicht mehr aus, wenn Journalisten Ihre Geschichten schreiben und dann zufrieden nach Hause gehen: Mehr als die Hälfte der Online-Leser finden die Geschichten über Google, Facebook oder Twitter. Es gehört also immer mehr zu den Aufgaben der Redaktionen, für die „soziale“ Verbreitung Ihrer Artikel zu sorgen. Belohnung ist, dass auch ein Dialog mit den Lesern entsteht und die Publizisten dabei viel erfahren können. 

Zwar ist nach einer BBC-Studie Deutschland eines der wenigen Länder, das bei Nachrichten mehr auf Gedrucktes als auf TV vertraut. Starke Marken – wie hier in Thüringen – sind wichtig. Aber was könnte wichtiger sein, als die Empfehlungen meiner Freunde?

Auch die Zeiten von Meinungsmonopolen sind vorbei: Jeder kann publizieren und die Nachrichtenströme organisieren sich blitzschnell, wie man in Paris zuletzt sehen konnte: 5 Millionen Twitter-Meldungen mit dem Hashtag #jesuischarlie haben die News kanalisiert und Journalisten hatten auf diese Weise Zugang zu Tausenden von Quellen.

Als Anmerkung sei gestattet: Lassen wir die Kirche im Dorf, alleine die Tageszeitungen unserer Gruppe erreichen täglich mehr als 5 Mio Leser…!

Einzelne Twitter-Meldungen gehen dabei um die Welt, wie das Foto einer Mutter von ihrem Neugeborenen beweist: Auf dem Namensschild, um das Ärmchen gebunden, steht „Je suis Charlie“. Das alles ist übrigens nicht ungefährlich, denn Terroristen wissen die sozialen Medien für Ihre Propagandazwecke trefflich zu missbrauchen.

Ist das eine Bedrohung für die Zeitungen? Nein, denn plötzlich tun sich guten und schnellen Journalisten viele neue Quellen zur Recherche auf, deren Einordnung und Bewertung die meisten „Normalverbraucher“ immer noch gerne der Redaktion Ihres Vertrauens überlassen. So haben Zeitungen einerseits die Herausforderung, auf das geänderte Mediennutzungsverhalten zu reagieren, das nach „live news“ und Informationshäppchen auf dem Handy verlangen.

Andererseits gilt es, den Markenkern der Zeitung mit einer reflektierten Berichterstattung neben diesem hektischen „news stream“ zu wahren. Denn die klassische Stärke der Zeitung liegt im täglichen Informationspaket der Redaktion meines Vertrauens, kompakt und übersichtlich, pünktlich geliefert. Ein Paket, das einen Anfang und ein Ende hat. Das mir hilft, das Weltgeschehen einzuordnen und mit einem guten Gefühl informiert in den Tag zu gehen. Es wäre schön, wenn die Zeitungen bei allem Wandel auf Ihre Stärken nicht vergessen.

Eine besondere Herausforderung für die Zeitungen ist das Geschäftsmodell: Lässt sich Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt noch finanzieren? Daran arbeitet die gesamte Branche, und es wird sich bezahlen lassen, wenn die Leser bereit sind, für die Nutzung unserer Produkte auch eine Zahlungsbereitschaft zu entwickeln.

Dafür gibt es viele positive Beispiele und ich bin sehr zuversichtlich, dass dies auch hier in Thüringen gelingen wird.

 

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Das Symposium fand am 12. Januar 2015 in Erfurt statt.

Goethe erdachte Facebook

Geschrieben am 4. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. Januar 2015 von Paul-Josef Raue in C 5 Internet-Revolution.

Das sicherste Mittel, ein freundschaftliches Verhältnis zu hegen und zu erhalten, finde ich darin, dass man sich wechselweise mitteile, was man tut. Denn die Menschen treffen viel mehr zusammen in dem, was sie tun, als in dem, was sie denken.

Johann Wolfgang von Goethe im Dezember 1798 an Wolfgang Herder, gelesen auf der Weihnachtskarte der „Klassik Stiftung Weimar“

Und Mario Schattney dreht weiter und schreibt auf Facebook:

… und Nietzsche hat mit seinen aphoristischen Prosa und Philosophie Twitter vorweggenommen 😉

Danke!

Zwangsheirat gab es auch in Deutschland vor 200 Jahren (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 1. November 2014 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. November 2014 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Boko Harem, die islamistische Terror-Armee, hat 200 nigerianische Mädchen entführt und zwangsverheiratet – so eine Meldung vom Wochenende. Wir lesen mit Abscheu neue Wörter wie „zwangsverheiraten“ und würden sie am liebsten gleich auf dem Friedhof der Wörter beerdigen.

Doch so neu ist das Wort nicht, es taucht schon in alten Wörterbüchern auf wie dem der Brüder Grimm. Sie erwähnen den deutschen Dichter Jean Paul, der im Weimar der Goethe-Zeit als Frauenheld mehr von sich reden machte als durch seine Werke.

Als er endlich heiratete und Weimar gen Berlin verließ, entstand der 900-Seiten-Wälzer „Titan“, in dem er vehement gegen die Männer-Ansicht polemisierte: Neigungsehen fallen oft schlecht und Zwangsehen oft gut aus. 

Wer so denke, schreibt der Dichter, handle wie alle barbarischen Völker, die nur an das Glück des Mannes denken und nicht die „weiblichen Seufzer hören und zählen“:

Wie niedrig ist ein Mann, der verlassen vom eigenen Wert, eine Frau in ein langes kaltes Leben wegschleppt und sie in seine Arme wie in frostige Schwerter drückt. Diese Seeleneinkäufer erpressen vom bezwungenen Wesen noch zuletzt das Zeugnis der Freiwilligkeit.

Es ist also gerade mal zweihundert Jahre her, dass „zwangsverheiraten“ in Thüringen zum Wortschatz zählte und die Zwangsheirat, nicht selten mit Gottes Segen, keine Erzählung war aus Tausendundeiner Nacht.  

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 3. November 2014

Das Goethe-Institut und die deutsche Sprache – wie Feuer und Wasser (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 25. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Welche Rolle spielt die deutsche Sprache in unserem Berufsleben? Diese Frage will das Goethe-Institut beantworten und lädt zu einer Tagung: „Sprache. Mobilität. Deutschland.“

Wer das Programm durchliest, wähnt sich in einem Test: Verstehen Sie deutsch? Zum Beispiel: Was bedeuten diese beiden Wörter:

>  Zirkuläre Migration;
> dichotomische Wahrnehmung.

Ein türkischer Gastarbeiter arbeitet in Deutschland, kehrt in seine Heimat zurück und kommt wieder nach Deutschland: Er pendelt zwischen den Ländern ebenso wie ein polnischer Professor, der in jedem Jahr zur Spargel-Ernte nach Thüringen kommt: Beide sind zirkuläre Migranten, Pendler oder Wanderarbeiter.

Steffen Angenendt arbeitet für die Stiftung „Wissenschaft und Politik“ mag den Begriff „zirkuläre Migration“ nicht:

In der politischen Debatte ist weitgehend unklar, was unter zirkulärer Migration verstanden werden soll und dementsprechend unterschiedlich sind auch die Antworten.

Nur – warum bedient sich das Goethe-Instiutut eines Spezial-Begriffs, den selbst ein Experte als unklar bezeichnet?

Ähnlich fragen wir nach der Dichotomie, die nicht unklar, aber schwer verständlich ist, ein Spezialwort eben. Dichotomisch ist Yin und Yang, Mann und Frau, Feuer und Wasser, Erfurt und Jena, Gut und Böse, Schwarz und Weiß – also alles, was zusammengehört und doch unterschiedlich ist.

Wer, wenn nicht das Goethe-Institut, sollte verständlich sein? Sollte Gespräch oder Diskussion statt „Diskurs“ wagen, Forum oder Arbeitsgruppe statt „Panel“ sagen und nicht endlose Folgen von Hauptwörtern aneinanderreihen.

Es lohnt sich von Goethe zu lernen; er spricht von den Quellen der Sprache:

Sie sollten  in ihrer Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen – er setzt sich zu Boden und die reine Welle fließt darüber her.

Das wäre eine schöne Aufgabe für das Institut, das sich auf den Dichter aus Weimar beruft: Bergschutt zu Boden sinken lassen!

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Thüringer Allgemeine „Friedhof der Wörter“ 27. Oktober 2014

Freud und der Deppen-Apostroph (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. September 2014 von Paul-Josef Raue.

An diesem Häkchen scheiden sich die Sprach-Geister: Braucht die Couch von Sigmund Freud ein Häkchen? Oder ist das Häkchen überflüssig, gar falsch, wenn sich einer auf die Freud’sche Couch legt?

In der Dienstag-Ausgabe der Thüringer Allgemeine stand auf der viel gelesenen „Thema des Tages“-Seite: „Thüringer auf der Freud’schen Couch“. War das ein freudscher Verschreiber, analog dem berühmten freudschen Versprecher?

„Deppen-Apostroph“ nennen Sprach-Puristen das Häkchen, der vor zwei Jahren an dieser Stelle schon einmal das Thema war – als Beleg für die besinnungslose Übernahme der englischen Sprache. „Ingo’s Bierstube“ und „Angela’s Haarstübchen“ waren immer öfter zu sehen und galten als klassisches Beispiel für den Verfall der Sprache.

Mittlerweile sind wir milder gestimmt. Der Duden, der große Dulder, lässt den Apostroph zu, etwa in „Willi’s Würstchenbude“: „In vielen Fällen können die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie ihn setzen wollen oder nicht.“ 

Zu Goethes Zeiten, als das Englische keine Rolle spielte, war der „Deppen-Apostroph“ schon üblich: „Goethe’s Werke“ steht auf dem Titelblatt, als Cotta sie 1827 verlegte. Und Freud? 

Nach der Regel werden Adjektive, von Namen abgeleitet – klein geschrieben: freudsche Couch und goethesche Dramen und platonische Liebe. Schreiben wir aber den Namen groß und bilden das Adjektiv mit „sch“, um an einen Großen zu erinnern, dann müssen wir das Häkchen setzen, also „Freud’sche Couch“.

Übrigens ist  „Andrea’s Haarstübchen“ nicht nur möglich, sondern die einzig korrekte Form: „Andreas Haarstübchen“ machte aus der Frau einen Mann.

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Thüringer Allgemeine 29. September 2014

Wahl-Slogans: Besser gut geklaut als selbst schlecht erfunden (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 31. August 2014 von Paul-Josef Raue.

Wahl-Slogans sind selten sprachliche Edelsteine. Wenn sich Freunde der deutschen Sprache und Skeptiker des politischen Geschäfts über die Slogans hermachen, wird der Untergang des Abendlands beschworen wie bei Rainer Link:

Ein erfolgreicher Politiker muss nicht nur ein guter Redner sein, er muss ein Verkäufer sein, der die Kunst des Schönredens, notfalls des Verschleierns beherrscht.

Doch die Slogans werden erfunden von Werbe-Managern, die zu anderen Zeiten für Wirtschafts-Unternehmen dichten, wobei ihnen bisweilen Sätze einfallen, die sprichwörtlich werden wie „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ oder „Geiz ist geil“.

Was ist ein guter Werbespruch? Er fällt auf, zielt aufs Gemüt und hat im besten Fall sogar eine Aussage, die zum Parteiprogramm passt – und sich deutlich vom politischen Gegner abhebt. 

„Mut zu Thüringen – Unser Land geht vor“, plakatiert die CDU zur Landtagswahl in Thüringen. Aber baumelte ein ähnlicher Spruch nicht vor wenigen Monaten schon an den Laternen? „Mut zu Deutschland“ lautete der Slogan der AfD in der Europawahl.

Der „Mut für Deutschland“ deutete bei der AfD auf den Unmut über Euro und Europa hin. Nun plant die Thüringer CDU sicher keinen eigenen Staat mit Sitz in der UN, aber die Werbemanager haben zumindest ungeschickt einen Slogan geborgt und die Nähe zu einer Partei angedeutet, mit der die Ministerpräsidentin nichts zu tun haben will.

Besser geborgt hat die Linke. Neben dem  Bild des Spitzenkandidaten Bodo Ramelow  lesen wir: „Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen.“ Ähnlich lautete der Slogan von Gerhard Schröder im erfolgreichen Wahlkampf 1998. Der Satz gefiel dem neuen Kanzler so gut, dass er ihn gleich eingangs seiner Regierungserklärung wiederholte.

Allerdings war Schröders Erfolgs-Slogan  einprägsamer: „Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser“ – 8 Wörter statt 12 bei Ramelow: Je kürzer, desto besser, das ist ein Werbe-Gesetz.

Aber auch Schröders mehrfach imitierter Spruch findet keine Gnade bei Kritikern wie Rainer Link, der ihn allerdings als „einen der geschicktesten Slogans“ einschätzt:

Ja, was wollen Sie denn dann noch sagen? Das ist so inhaltsschwer und gleichzeitig leer, dass es eigentlich nicht mehr zu über- oder unterbieten geht.

Die Thüringer SPD wird sich ärgern, dass die Linke ausgerechnet einen SPD-Erfolgs-Slogan ausgeliehen hat. „Besser bleiben“ heißt ihr leicht rätselhafter Spruch: Will Mensch oder Partei nicht besser werden? Oder gut bleiben? 

Immerhin borgte die SPD bei einer thüringischen Geistes-Größe, die im West-östlichen Divan im „Buch des Unmuts“ schrieb:

Denn die Menschen die sind gut
Würden besser bleiben
Sollte einer wie’s einer tut,
Auch der Andre treiben

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> Quelle Rainer Link: „Es gilt das gesprochene Wort“ DLF 7. Juni 2005

> Erweiterte Fassung des „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine 1. September 2014

Schirrmachers letzter Tweet – @fr_schirrmacher

Geschrieben am 14. Juni 2014 von Paul-Josef Raue.

Früher sammelte die Welt letzte Worte, heute kann jeder nachschauen – und den letzten Tweet entdecken. Das war der letzte von „frankschirrmacher“, wenige Minuten vor Mitternacht in der Nacht seines plötzlichen Todes:

11.06.14 23:49
Bilanz des Krieges gegen den Terror: Der Irak fällt in die Hände von Leuten, die selbst AlKaida zu extrem sind. theguardian.com/world/2014/jun…

Der englische „Guardian“ war wohl die letzte Lektüre des großen Journalisten aus Frankfurt:

world news
Who are Isis? A terror group too extreme even for al-Qaida
The Islamic State of Iraq in Syria has a reputation for being even more brutal than the main jihadi group of inspiration

Die letzte Magazin-Lektüre galt Wired, dem Kult-Magazin des Silikon Valley: „Googles allsehender Satellit mit großem Potential fürs Gute und Böse“. Da las er die Frage, die auch seine Frage war: „Was bedeutet das Recht auf Vergessen, wenn Google dich überall sehen kann?“

Der FAZ-Herausgeber Schirrmacher twitterte viel, in der Regel knapp ein halbes Dutzend am Tag. Er las regelmäßig Heise-Online, Golem.de, die New York Times, den Spiegel, den Economist, die Süddeutsche und seine eigene Zeitung. Er las Olaf Scholz, Peter Sloterdijk, Sascha Lobo und Jürgen Habermas. Und manchmal beschäftigte er sich neben Richard Strauß und krautreporter , neben Al Gore und Snowden auch mit Nachrichten, die eigentlich keine waren für einen Intellektuellen wie ihn:

@fr_schirrmacher: Aha, die Tagesschau verspricht, dass der gestern ausgefallene Wetterbericht heute nachgeholt wird.

Er war, tröstlich, auch ein ganz normaler Mensch. Dennoch wird es mindestens eine Dissertation geben, die in seinem Tweet-Vermächtnis Schirrmachers Schlüssel zur Welt suchen wird.

„Mehr Licht“ sollen Goethes letzte Worte in Erwartung des Todes gewesen sein. Der „Krieg gegen den Terror“ war in der Tat Schirrmachers letzter Tweet. Ein Zufall vor einem plötzlichen Tod? ein Vermächtnis? Nein, doch eher ein Zufall.

Ausgebrannt oder burn-out? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 7. April 2014 von Paul-Josef Raue.

Alle reden vom „Burn-out“. Wer nicht Symptome dieser Krankheit spürt, ist nicht von dieser Zeit: Der Alltag und der Beruf, die Gesellschaft und der Kapitalismus machen uns fertig. Wer stöhnt nicht unter der Last? Wer kann es sich überhaupt leisten, nicht zu stöhnen?

Ist Burn-out überhaupt eine  Krankheit? Im großen Buch der 12.000 Diagnosen, das die Weltgesundheits-Organisation herausgibt, fehlt das Burn-out.

Denken wir hier nicht über Erschöpfung und Stress nach, sondern über das Wort, den Anglizismus „Burn-out“; der Duden führt ihn seit gut zehn Jahren und gibt als Schreibweise „das (!) Burn-out“ vor, ersatzweise auch zusammengeschrieben „Burnout“. Wir könnten ein treffendes deutsches Wort dafür finden: ausgebrannt. Das Sprachbild ist stark, reizt unsere Sinne: So wie ein Haus ausbrennt, so brennt die Seele eines Menschen aus. 

Der „Sturm-und-Drang“-Erfinder Friedrich Maximilian Klinger war ein Jugendfreund Goethes, der eine Zeitlang  in Weimar lebte. Er dürfte als erster „ausgebrannt“ für eine Regung unserer Seele, für das Ende einer Liebe,  genutzt haben. In seinem Drama „Der Günstling“, vor gut zwei Jahrhunderten geschrieben,  sagt einer:

Eure Liebe war ein Traum, der um beseelte Schönheit buhlte; Ihr fandet sie verschwunden und Eure Liebe brannte aus.

Doch „ausgebrannt“ machte keine Karriere in unserer Sprache. So ließen wir „Burn-out“ einwandern:

> In den USA schrieb Graham Greene in den sechziger Jahren die Aussteiger-Geschichte_ „Ein ausgebrannter Fall“ (A burnt-out case). Ein Kirchen-Architekt ist seiner Arbeit und seines Lebens überdrüssig und wandert nach Afrika aus.
> In den achtziger Jahren der USA galt „A burn-out“ auch nicht als Krankheit, sondern als Lebensmotto: Junge Rebellen und Aussteiger wollten lieber kurz brennen, als ein langes langweiliges Leben führen.

Der Sänger Neil Young schrieb die Hymne der brennenden Generation: Besser ist es zu verbrennen als langsam zu verblassen  („It’s better to burn out than to fade away“). Kurt Cobain, der Kult-Rebell, schrieb vor genau zwanzig Jahren diese Zeile in seinen Abschiedsbrief und erschoss sich mit einer Schrotflinte.

Kolumne „Friedhof der Wörter“ in Thüringer Allgemeine 7. April 2014 (redigierte Fassung)

Das Greene-Buch „Ein ausgebrannter Fall“ ist als dtv-Taschenbuch auf dem Markt.
Neil Youngs Lied ist „My my – Hey hey“

Seiten:«1234»

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