Alle Artikel mit dem Schlagwort " Leser"

„Es gibt keine wichtigere Institution als die Lokalzeitung“

Geschrieben am 29. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.

Zwei Meldungen zur Zukunft der Zeitung aus einer Woche:

1. Im US-Bundesstaat Louisiana erscheint die „Times-Picayune“ ab Herbst nicht mehr täglich, sondern nur am Mittwoch, Freitag und Sonntag. Zwar wird der Online-Auftritt verstärkt, doch wird es Entlassungen geben. Die Times-Picayune, gegründet 1837, erschien schon einmal nur als Online-Ausgabe, als drei Tage lang der Hurrikan Katrina einen Druck der Zeitung in New Orleans unmöglich machte. Vor sechs Jahre hatte die Zeitung den Pulitzer-Preis gewonnen.

2.
Warren Buffett hat 63 Regional- und Lokalzeitungen in den USA gekauft. Er gilt als der drittreichste Mann der Welt und als einer der erfolgreichsten, weil wenig auf riskante Geschäfte setzende Investor. So dürfte es wohl mehr als nostalgische Jugenderinnerung sein, die den Milliardär zum Kauf veranlasste: Als Junge war er Zeitungsbote des Omaha World-Herald.

Zitiert wird Buffett mit dieser Erklärung:

In Orten, in denen noch starker Gemeinsinn herrscht, gibt es keine wichtigere Institution als die Lokalzeitung. Die von uns erworbenen Zeitungen erscheinen in solchen Orten. Wir freuen uns darüber, dass sie bei uns ein dauerhaftes Zuhause gefunden haben.

(Quellen: dpa 25. und FAZ 22. Mai 2012)

Mit Wahlkämpfern unterwegs: Bier auf dem Markt

Geschrieben am 25. April 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 25. April 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Recherche.

Wahlkampf in Heiligenstadt: Auf ein Pils! (Foto: Jüngel/TA)

In 49 Dörfern und kleineren Städten waren die Volontäre der Thüringer Allgemeinen unterwegs, bevor die Wähler am Sonntag ihre Bürgermeister und Landräte bestimmen durften; vor den Stichwahlen in zehn  Tagen ist das „TA-Wahl-Mobil“, ein Elektro-Auto, weiter im Einsatz.

Auf den 49 Wahlmobil-Fahrten erlebten die Volontäre allerlei amüsante Geschichten. Tino Nowitzki hat einige aufgeschrieben:

Eigentlich war das Thema eben ernst gemeint. Gerade noch erzählen die Kandidaten von Plänen zur Finanzgesundung und den vielen Visionen, die sie für ihre Stadt haben. Da klirrt es plötzlich hinter ihnen.

„Ich dachte, die Herren hätten vielleicht Durst“, sagt ein fröhlich grinsender Mann, der gerade aus seiner Bar geeilt kommt, und hält ein Tablett mit sechs Gläsern Bier in die Runde. Der eine zögernd, der andere dankbar, setzen die Männer zu einem kräftigen „Prost!“ an. Die seriösen Politikermienen entkrampfen sich im Handumdrehen zu strahlenden Gesichtern.

Freilich war diese Szene vom Wahlmobil in Heiligenstadt ein fröhlich-perlender Einzelfall. Und doch sind uns auf den 49 Fahrten zu Thüringens Marktplätzen und Rathäusern neben wichtigen Themen auch viele Kuriositäten begegnet.

Und Heiligenstadt im Eichsfeld  hatte davon sogar gleich zwei zu bieten: In keiner anderen Stadt nimmt man es wohl so genau mit Regeln und Verordnungen. So kommt es, dass wir dort schon mal gefragt wurden: „Haben Sie eigentlich eine Genehmigung für das, was Sie hier machen?“

Aber die Eichsfelder Liebe zur Ordnung hatte auch seine guten Seiten: Die gesamte Zeit über wurde das Treffen mit Heiligenstadts Bürgermeisterkandidaten argwöhnisch von einem Polizeibeamten bewacht. Der wohl sicherste Termin der Serie.

Darfs eine Flagge sein? Oder ein Espresso?

Anderen Orts ging es dagegen vergleichsweise chaotisch zu: In Nordhausen zum Beispiel waren wir zuerst verblüfft von der offenen und geselligen Art der fünf Kandidaten, die sich auch miteinander prächtig zu verstehen schienen. Die Ungezwungenheit ging am Ende aber so weit, dass die Bewerber lieber untereinander klönten und ein Wahlmobilreporter alle Mühe hatte, die Gruppe bei Disziplin zu halten. So schnell lässt sich eine Respektsperson in Uniform vermissen.

Bald wurde uns klar: so bunt Thüringens Landschaften sind, so vielfältig sind auch seine Kommunalpolitiker. Während die einen im Umgang mit Medien eher unsicher wirkten, strotzten andere vor Professionalität: Da kam es schon mal vor, dass ein Kandidat mit eigener Werbe-Flagge um die Ecke bog. Ein anderer verteilte unbefangen Tütchen mit löslichem Espresso – darauf das lächelnde Gesicht des Bewerbers.

Manchmal waren wir aber auch froh, überhaupt zum Termin am Rathaus zu finden. Vor allem dann, wenn die Gemeinde-Zentrale zuvor clever versteckt wurde – zum Beispiel in einem unscheinbar wirkenden Wohnhaus in Fretterode oder in einer alten Dorfschule in Bufleben.

Überhaupt hat uns wirklich überrascht, wie verschieden doch die Arbeitsplätze von Thüringens Bürgermeistern aussehen. Vom fast feudalen Amtssitz aus der Renaissance mit Giebeln und Türmchen (Gotha) bis zum Mietbüro mit Briefkasten im Plattenbau (Seebach) war alles dabei.

Auch mit Bürgern war es nicht nur leicht. Wo sie hinzukamen, stellten sie meist wichtige und erhellende Fragen. Hin und wieder aber mischte sich auch ein Querulant darunter, der Kandidaten und Publikum mit ellenlangen Vorträgen traktierte. Nicht selten, so stellte sich heraus, handelte es sich dabei um einen getarnten Partei-Sympathisanten.

Andere Bürger – meist ältere – fanden die Art und Weise, wie die Treffen stattfanden, so gar nicht vergnüglich: Dem einen war es zu früh oder zu spät, der andere fragte: „Warum haben Sie eigentlich keine Bänke zum Sitzen mitgebracht?“ Anregungen, die wir für die Zukunft aufnehmen werden.

Und da wäre noch das Auto. Dessen offizieller Titel „Wahlmobil“ sorgte beim einen oder anderen Bürgermeisterkandidaten für Verwirrung. „Ist das schon alles?“, hieß es dann. „Ich hatte einen Bus erwartet“.

Enttäuscht war auch so mancher, als wir statt Elektroauto mit einem „herkömmlichen“ Vehikel um die Ecke bogen. Doch der Wechsel war dann und wann nötig, allein um gewisse Strecken überhaupt zu meistern. Zumindest hat uns das gezeigt, welche erstaunliche Fan-Basis unser kleiner Strom-Mitsubishi inzwischen hat.

Als es mit der Stromladung einmal besonders knapp wurde, hieß es gar Zwischenladen mitten im Thüringer Wald, in Ilmenau. Zum Glück gibt es dort seit Kurzem eine Elektrotankstelle der Stadtwerke am Bahnhof.

Doch mal eben so Strom zapfen? Gar nicht so einfach. Für die Nutzung mussten wir uns registrieren, einen Pfand von 20 Euro hinterlegen und bekamen dafür unsere „eMobility-Card“ mit Nummer 01: Die ersten Kunden überhaupt. Dafür konnten wir unser Ladekabel andocken und schafften es zurück zur Erfurter Redaktion.

Trotz aller Widrigkeiten: Genossen haben wir die Tour durch Thüringens wählende Gemeinden allemal. Sie hat uns gezeigt: Hinter den strahlenden Gesichtern auf Wahlplakaten stecken ganz normale Menschen. Menschen, die in den letzten Wochen um jede Stimme gekämpft haben.

Da sei auch ein erfrischendes Pils gegönnt.

/ Thüringer Allgemeine, Freitag, 20. April 2012

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“)

Wie werde ich Bürgermeister? – Wahlen im Lokalen

Geschrieben am 22. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Am heutigen Sonntag (22. April 2012) wählen Thüringer in den meisten Städten und Landkreisen ihre Bürgermeister und Landräte. Die  Thüringer Allgemeine hat über viele Woche ihre Leser neugierig gemacht auf die Wahl, die Kandidaten, die Probleme in ihrer Stadt, die Lösungen, die Möglichkeiten.

Mit dem TA-Mobil, einem reinen Elektro-Auto (mit all seinen Tücken), fuhren die Volontäre jeden Tag in eine der kleineren Städte, um mit den Kandidaten auf der Straße zu sprechen; die Leser waren zu diesen Interviews eingeladen, die Termine angekündigt.

Die Volontäre besuchten 49 Städte und Gemeinden, die sie zumeist zum ersten Mal sahen, sie sprachen mit weit über hundert Kandidaten. In seiner Bilanz erzählt Nicolas Miehlke von den finanziellen Schwierigkeiten von Bürgermeistern und Bürgern, von Fördermitteln und der Neuordnung der Gemeinde-Grenzen, aber er schreibt auch (TA 20.4.2012):

In den kleinen Gemeinden haben wir Menschen getroffen,die sich einfach für ihren Ort engagieren wollen, fernab von Parteimeriten. Leute, die reden, wie es ihnen aus dem Herzen kommt, und sich nicht mit Politikersprech ins Ungefähre retten.

In 16 von 49 Kommunen gab es auch keine Widerrede, weil es nur einen Kandidaten gibt und die Wähler nur Ja oder Nein stimmen können.

Alle Artikel, alle mehrspaltig als Aufmacher, standen im Thüringen-Teil der Thüringer Allgemeinen, hatten also die größtmögliche Leserschaft – selbst wenn es um den Bürgermeister einer Gemeinde mit nur wenigen tausend Einwohnern ging.

Mein Leitartikel in der Ausgabe vor der Wahl (21.4.2012) war auch ungewöhnlich, wandte sich an die Bürger, die laut verkünden, das Vertrauen in die Politiker verloren zu haben.

Wie werde ich Bürgermeister?

Haben Sie auch kein Vertrauen mehr in unsere Politiker? Sind Sie enttäuscht von den Parteien? Klopfen Sie ihrem Nachbarn auf die Schultern, wenn er über den Zustand unseres Landes klagt?

Wenn einer sagt: „Es wird immer schlimmer“, nicken Sie dann und wiederholen: „Ja, immer schlimmer.“ Und wissen Sie auch nicht, wie man das ändern kann?

Warum kandidieren Sie nicht? Als Bürgermeister beispielsweise. In einigen thüringischen Städten gibt es nur einen Kandidaten, so dass die Bürger keine richtige Wahl haben.

Warum sagt keiner von denen, die immer nur klagen: Ja, ich werde Bürgermeister! Ich zeige, wie man es besser macht! Ich beweise, dass die Bürger Vertrauen haben können – in mich beispielsweise!

„Das ist ein Scherz“, sagen Sie. Nein, in kleineren Städten reichen ein paar Tausend Stimmen und ein überzeugender Auftritt – und Sie sind gewählt, sogar ohne einer Partei nahetreten zu müssen.

Für die Wahl am Sonntag kommt eine Kandidatur wohl zu spät, aber Sie können es sich ja überlegen: Schon in zwei Jahren beispielsweise wählen die Thüringer die Gemeinde- und Stadträte.

Wenn Sie gewählt wurden, weil ihnen die Bürger vertrauen, dann klagen Sie vielleicht nicht mehr so laut. Vielleicht sagen sie: „Es geht uns eigentlich recht gut in dieser Demokratie. Sicher, manches könnte besser sein, aber ich kann ich ja dafür kämpfen.

In einer Demokratie darf man stöhnen und verdrossen sein ohne Ende. Aber man darf auch mitmachen, es besser machen. Zumindest sollte man wählen gehen.

Am Sonntag auf jeden Fall.

Online sind alle Artikel und Bilder zu sehen auf:
www.wahlen-in-thueringen.de
Dort stehen heute im Wahl-Ticker auch alle Ergebnisse.

(zu: Handbuch-Kapitel 56 „Service und Aktionen“)

Vom Nutzen der Zeitung

Geschrieben am 16. April 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 16. April 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Der Besitzer des Campingplatz Utvika will nichts mehr hören und lesen vom Massenmörder Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya 77 Menschen ermordet hatte.  Er will den Prozess, der am Montag (16. April) in Oslo beginnt, kaum verfolgen: „Nur am Rande, beim Zeitungslesen.“

(SZ, 14.4.2012, Seite 2)

(zu: Handbuch-Kapitel 53 „Was die Leser wollen“)

„Die Arroganz der Macher“ – Zitat der Woche

Geschrieben am 28. März 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 28. März 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

„Die Arroganz der Macher ist keine Antwort auf die Unvollkommenheit des Publikums.“


(Die Regisseurin Professor Regina Ziegler auf der Chefredakteurs-Konferenz der Zeitungsverleger in Berlin; sie wetterte vehement gegen die Verachtung des Publikums, die Journalisten wie Filmemacher ebenso meiden sollten wie Peinlichkeiten, Pöbeleien und Voyeurismus)

(zu: Handbuch-Kapitel 53 „Was die Leser wollen“)

Leser kippen das BILD-Girl von Seite 1

Geschrieben am 11. März 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 11. März 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Was Leserbeiräte so alles bewirken können! „Viele Frauen – auch in den BILD-Leserbeiräten – hatten es sich immer gewünscht“, schreibt die Bildzeitung am Frauentag und verbannt das nackte Girl ins Innere des Blatts. Die Bildzeilen bleiben also, die „Bild“ als Gaga-Kult lobt:

„immer schräg, an den Haaren herbeigezogen, aberwitzig“.

 

(zu Handbuch-Kapitel 35 „Boulevardjournalismus“ und Kapitel 56 (Leserkonferenzen)

„Nachvollziehen“ auf dem Friedhof der Wörter

Geschrieben am 5. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie muss man sich die „nachvollziehbare Möglichkeit eines Beischlafs“ vorstellen? So stand es in einem Zeitungsbericht über eine Gerichtsverhandlung; der TA-Leser Heinz-Ulrich Görwitz aus Berka hat es ihn entdeckt.Er schreibt: „Kommt man da nicht auf den Gedanken, dass die Herren Rechtsgelehrten diesen besagten Beischlaf genüsslich virtuell nachvollzogen haben?“

„Nachvollziehen“ ist für den 89-jährigen Leser ein Unwort, zu begraben auf dem „Friedhof der Wörter“. Dort gehört es hin, in der Tat. Doch wir kommen an dem Wort in seiner eigentlichen Bedeutung nicht vorbei.

Gerade Richter müssten es wissen: Sie kennen den Vollzug als Kurzform für den Strafvollzug; der Vollzugsbeamte erscheint regelmäßig in den Gerichtssälen; sie erwarten eine Vollzugsmeldung, um zu erfahren, dass etwas, was sie angeordnet haben, auch wirklich „vollzogen“ wurde.

„Vollziehen“ bedeutet schlicht: machen. Der große sechsbändige Duden übersetzt es: „etwas verwirklichen, in die Tat umsetzen, ausführen“. So führt beispielsweise der Gerichtsvollzieher aus, was ein Richter angeordnet hat.

Nachvollziehen ist eine unsinnige Erweiterung von „vollziehen“ und kann nichts anderes bedeuten als: nachmachen, etwas kopieren. Das Modewort „nachvollziehen“ hat die Bedeutung ins Undeutliche verschoben und meint: nachempfinden, nachfühlen, einsehen, verstehen, kapieren, sich klar machen.“

„Ich kann das Attentat nicht nachvollziehen“, sagt ein Politiker. Wir hätten es ihm auch nicht zugetraut.

(Diese Kolumne erscheint, leicht verändert, in der Thüringer Allgemeinen vom 5. März 2012)

(Zu: Handbuch-Kapitel 16  „Lexikon unbrauchbarer Wörter“.)

 

„Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser“

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

„Ein Problem in der Summe der im Internet kursierenden Informationen ist ja, das vieles nicht stimmt. Es gibt moderne Märchen, die sich imInternet schnell verbreiten“, sagt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) im Interview mit BZ-Chefredakteur Armin Maus. „Der Nutzer muss sich genau ansehen, aus welcher Quelle die Informationen stammen, und er braucht die Sicherheit, dass Informationen aus unseren Medien verlässlich sind.

Zu lesen ist das auführliche Interview in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die Braunschweiger Zeitung ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

Nienhaus plädiert, besonders auf die Glaubwürdigkeit im Journalismus zu achten:

„Was als journalistischer Beitrag gekennzeichnet ist, darf niemals parteiisch und gefärbt oder den wirtschaftlichen Interessen anderer untergeordnet sein… Die Pflicht zur guten Recherche, zu ordentlicher, sauberer Arbeit und vor allen Dingen zur Bekämpfung der eigenen Vorurteile gehören zum freien Journalismus.
Aber der Verlag muss eine Brandmauer errichten, um die Interessen der von uns ebenfalls geschätzten Anzeigenkunden deutlich abzutrennen.“

Die Kernleistung der Zeitungen ist für Nienhaus das Lokale und Regionale:

„Man kann Synergien auf allem möglichen Feldern schaffen, aber muss vor Ort aktiv mit eigenen Journalisten tätig sein. Wir brauchen in den Städten der Region Journalisten, die unabhängig sind, die unabhängig von Interessengruppen schreiben, ob die Haushaltsrede des Bürgermeisters im Stadtrat ordentlich war oder nicht, und ob der Sportverein gut gespielt hat, und ob die Sanierung der Fußgängerzone vernünftig von statten geht, oder wo zu viele Baustellen sind.
Das alles sind Dinge, die man nicht über Blogs im Internet, mit staatlichen Pressestellen und interessengesteuerten Einträgen organisieren kann. Da braucht man eine Instanz, von der man weiß, dass sie unabhängig ist. Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser, sind deswegen nur dem Leser verpflichtet. Guten kritischen Journalismus – den wird es auch in 35 Jahren geben.“

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Kapitel 3 „“Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Aktion zur Leser-Blatt-Bindung: 500 Funklöcher und mehr

Geschrieben am 27. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Redaktion der „Thüringer Allgemeine“ hatte die Idee: Leser, meldet die Orte, an denen Eure Handys keinen Empfang haben! 500 Leser meldeten die Funklöcher, die Zeitung brachte auf einer Panoramaseite eine Thüringen-Karte mit allen Löchern in allen Netzen. Und die Netzbetreiber kamen ins Schwitzen und kündigten an: Bald wird es keine Funklöcher mehr geben.

Einsam schrieb ein Leser; „Danke für diese detaillierte Karte der Funklöcher Thüringens. Jetzt weiß ich wenigstens, wo ich dem ununterbrochenen Gesabbel entkommen kann, das allerorts über mich hereinbricht. Ein bissel neugierig bin ich ja auch, aber über Hautkrankheit fremder Personen, über Eheprobleme junger Frauen, über Rheuma-Attacken anderer, über Seitensprünge von Ehemännern oder über die Ereignisse und Folgen nächtlicher Orgien möchte ich doch nicht unbedingt informiert werden…“

(zu: Handbuch-Kapitel 56 „Service und Aktionen“)

Braun: Leser verzeihen keinen Kampagnen-Journalismus

Geschrieben am 12. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 12. Januar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Presserecht & Ethik.

In seinem Blog „Ankommen in Bayreuth“ schreibt Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“, über Politiker, die Redakteure einzuschüchtern versuchen:

„Gestern hat’s wieder einer probiert. Nein, keine Drohung, kein Stahlgewitter, und auch vom Rubikon war keine Rede. Obwohl der Mann Lateiner ist. Der Hobbypolitiker sprach lediglich von der “oberfränkischen Version von Pressezensur”, von “Gutsherrenart” (nicht Guttenberg, wohlgemerkt). Irgendwie blöd jedenfalls. Und als ich ihn anrief, schimpfte er am Telefon, dass Kollege M. bei der CSU angeblich nicht schreiben durfte, was er wollte, bei der FDP hingegen schrieb, was er wollte, aber nicht sollte. Das gefiel ihm dann auch nicht. Sie haben Recht, so ein Verhalten ist eher lächerlich. Das ist keine Kriegsdrohung, kein Wulffen – das ist Alltag in der Lokalredaktion.

Kein Lokalredakteur, schon gar kein Chefredakteur wundert sich über das, worüber zurzeit die Republik diskutiert. Dass nämlich Politiker versuchen, Journalisten einzuschüchtern, Berichterstattung zu verhindern, zu drohen. Das war schon immer so, und daran wird sich auch nichts ändern.

Als der Nordbayerische Kurier kürzlich zwei wichtigen oberfränkischen Politikern mitteilte, man werde vor das Verwaltungsgericht ziehen, um eine vom Presserecht gedeckte, von den beiden Herren aber verweigerte Auskunft zu bekommen, da ging erst mal die Post ab.

Einer der beiden, der weniger coole, rief sofort beim Kurier-Geschäftsführer an und schimpfte und drohte: Niemals werde er die gewünschte Auskunft gehen. Lieber gehe er in Beugehaft. Und außerdem: Eine solche Klage werde sich äußerst negativ auf die Beziehungen zwischen seiner Behörde und der Zeitung auswirken. Das sei ja wohl klar.

Mit mir wollte der Mann erst gar nicht sprechen. Schade eigentlich.

Die Sache ging ihren Gang.

Kurz darauf gab’s darum noch einen ”Schlichtungsversuch”. Gesprächstermin bei einem der beiden Politiker. Nun wollte man auch mit mir reden. Eine Stunde Hin-und-Her-Geeiere. Und dann der letzte Coup: “Ich gebe Ihnen jetzt die gewünschte Auskunft, aber Sie versprechen mir, dass Sie sie nicht veröffentlichen.” So etwas Törichtes hätte ja nicht einmal unser Bundespräsident probiert.

Die Klage ist eingereicht. Demnächst ist Verhandlungstermin.

Der (all)tägliche Wulff.

Den probierte weiland auch ein inzwischen pensionierter Landrat aus dem Oberbayerischen, den meine Berichte und Kommentare mächtig ankotzten. Zwei Mal saß er beim Verleger im Büro, und beim Starkbier-Anstich auf dem Andechser Klosterberg ging er erneut auf Tuchfühlung zu meinem obersten Dienstherrn. Den nervte das, zumal klar war, dass die Recherchen stimmten, und die mitgereisten Bürgermeister-Kollegen des Landrats waren beschämt. Wulff regierte da übrigens noch in Hannover.

So ist das seit jeher zwischen (Lokal-)Politikern und (Lokal-)Journalisten. Und daran wird sich auch durch die jüngsten Diskussionen nichts ändern, obwohl auch Landräte und Bürgermeister auf die Verfassung – und damit auf die Pressefreiheit – vereidigt sind.

Warum soll sich auch was ändern? Das gehört zum Spiel. Journalisten können schreiben, was sie wollen – beklagen jedenfalls die Politiker. Und obwohl sie nicht gewählt sind, mischen sie sich in Dinge ein, die sie nichts angehen. Das kann man so sehen, aber nur wenn man das Grundgesetz nicht gelesen hat.

Journalisten sitzen am längeren Hebel, das glauben auch viele Menschen. Die machen Politik, die halten Nachrichten zurück, die kochen ihre eigene Suppe. Wie jetzt die Bild-Zeitung, die Wochen wartete, bis sie die Nachricht von der Mailbox-Botschaft des Bundespräsidenten durchsickern ließ und anschließend deren genaue Inhalte auch noch verbreitete.

Das aber unterscheidet die Bild-Zeitung von regionalen Blättern wie dem Kurier. Wir könnten uns so etwas nie leisten. Wir wüssten auch nicht, warum wir das tun sollten. Unser Regulativ sind unsere Kunden, die Leser. Und die verlangen Offenheit und Glaubwürdigkeit. Die würden uns Kampagnenjournalismus nicht verzeihen. Zu Recht…“

 (zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“)

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

Kritik und Anregungen bitte an: mail@journalisten-handbuch.de

Rubriken

Letzte Kommentare

  • Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
  • Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
  • Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
  • Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
  • Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...

Meistgelesen (Monat)

Sorry. No data so far.