Alle Artikel mit dem Schlagwort " Leser"

Noch nie war Journalismus so wichtig (dapd-Interview 6)

Geschrieben am 6. August 2012 von Paul-Josef Raue.

Können Sie jungen Leuten noch dazu raten, Journalisten zu werden?
fragt Ulrich Meyer im dapd-Interview. Raue antwortet:

Ja und nochmals: ja – wenn ein junger Mensch mit Leidenschaft für diesen Beruf brennt. Nein – wenn ein junger Mensch den Typ Beamten schätzt in Habitus, Denken und Sein.

Noch nie war der Beruf so spannend und noch nie so wichtig wie heute: Im digitalen Zeitalter muss die Freiheit und Unabhängigkeit und Verständlichkeit des Journalismus mit neuen Mitteln verteidigt werden. Die Ideen dafür bringen die jungen Journalisten mit, die mit Neugier und Lust am Experiment starten und von den alten lernen, dass die Demokratie starke Journalisten braucht und wir Journalisten eine starke Demokratie brauchen.

Zum ersten Mal in der Ausbildung lernen die Alten – die Profis der analogen Welt – von den Jungen – die technisch Versierten der digitalen. Das müsste der Beginn einer wunderbaren Partnerschaft sein.

Die Alten schrieben in der Gewissheit: Wir füllen unbehelligt den Raum zwischen den Anzeigen – und vergaßen, dass Zeitungen immer kommerziell waren, einst abhängig von Werbung, bald von den Lesern oder von „Nutzern“, wie Leser digital heißen.

Der Raum zwischen den Anzeigen ist mittlerweile so groß geworden, dass so manche Redaktion von Werbe-Einnahmen allein nicht mehr finanziert werden kann. Wir brauchen also neue Finanzierungen. Die müssen die Jungen finden, ohne dabei die Vernunft des Journalismus zu verraten.

(aus einem dapd-Interview, das am 3. August gesendet wurde)

(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 2-3 „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Wer sich nach seinen Lesern richtet, stärkt die Zeitung (dapd-Interview 5)

Geschrieben am 6. August 2012 von Paul-Josef Raue.

„Journalismus gilt vielen als die richtige Strategie. Wie lässt sich das finanzieren?“
fragt Ulrich Meyer im dapd-Interview. Raue antwortet:

Wenn wir immer besonnen gearbeitet hätten, ginge es uns zurzeit besser. Wir verlieren ja nicht – oder zumindest: nicht nur – wegen des Internets, sondern wegen unseres Hochmuts, unsere Leser nicht ernst zu nehmen.

Die Auflagen rutschten schon, als nur wenige das Internet kannten und noch weniger nutzten. Die Auflagen rutschen selbst dort, etwa im Osten, wo das Internet am wenigsten verbreitet und am wenigsten schnell ist.

Früher klagten nicht wenige Redakteure, sie stünden unter der Knute der Anzeigenabteilung. Heute klagen sie, sie stünden unter der Knute der Leser, die nur für das zahlen, was wertvoll ist. Immer schon galt: Wer sich an seine Werbekunden anpasst, hat die Zeitung und den unabhängigen Journalismus aufgegeben. Wer sich dagegen nach seinen Lesern richtet, stärkt die Zeitung und den unabhängigen Journalismus.

(aus dapd-Interview vom 3. August 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 5 „Die Internet-Revolution“, darin: Das Internet wirbelt den Journalismus durcheinander)

Was Journalisten vom Domprediger lernen können

Geschrieben am 6. August 2012 von Paul-Josef Raue.
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„Man darf keine Menschenscheu haben. Und wenn es besonders gelingen soll, dann muss es von Menschenfreundlichkeit und Interesse an den Biografien der Menschen geprägt sein. Denn Rhetorik hat den Hörer oder die Hörerin ganz direkt im Blick.“ So antwortet der Braunschweiger Domprediger Joachim Hempel, seit 20 Jahren im Amt, auf die Frage nach seinen rhetorischen Fähigkeiten.

Es gibt bemerkenswerte Parallelen zwischen einem guten Prediger und einem guten Journalisten. Man ersetze einfach „Rhetoriker“ durch „Journalist“, „Reden“ oder „Predigen“ durch „Schreiben“.

Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, führte mit dem Domprediger ein Interview in der BZ; die Zitate sind der Langfassung im Internet entnommen:

  • Man kann mit rhetorischen Fähigkeiten Gutes bewirken und auch fatale Folgen erzielen.
  • Sie fragten nach dem Lernen (der guten Rede). Das geht nur durch Praxis… Ein Manuskript vorzulesen, das reicht nicht. Ich wundere mich manchmal, wie wenig Menschen, die immer wieder in die Situation des Redens kommen, die Art und Weise, auch die Technik des Redens wertschätzen.
  • Es gibt eine Form des Redens, die ist nahe an der Beleidigung derer, die zuhören sollen. Sonst wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass Form und Inhalt korrespondieren. Aber so viele, die Sprache nutzen, kümmern sich nicht wirklich darum, wie das geht mit dem Reden.
  • Man muss etwas zu sagen haben, und es muss ihre persönliche Art und Weise sein. Das macht ja die Rednerin oder den Redner so spannend. Wenn alle gleich reden würden, das wäre so was von langweilig.
  • Predigen ist mit Arbeit und Mühe verbunden. Und wenn manchmal der Eindruck entstünde, das würde man aus dem Ärmel schütteln, kann ich nur sagen, hier wird ordentlich und anständig gearbeitet. Ich habe Zuhause keinen Internetanschluss; das, was ich erarbeite, soll aus meinem Kopf und meinem Herzen und aus meiner Lektüre kommen.
  • Ich möchte der Versuchung widerstehen, durch den Zugriff auf bestimmte Tastaturen (im Internet) mal eben eine Brücke hinzukriegen. Wenn in Reden Zitate vorkommen, kann man feststellen, ob jemand ein Stichwort eingegeben hat, oder ob das Zitat aus dem Fluss dessen kommt, was man gerade gesagt hat und genau dort hin gehört.
    Da passiert es eben, dass einer ausruft: Und übrigens hat schon Machiavelli gesagt… und jeder fragt sich, wie kommt er denn nun auf Machiavelli?
  • Wenn sich ein Tsunami ereignet oder es der 11. September ist, dann kommen sogar noch mehr Leute in den Dom. Sie erwarten, dass ich etwas zu diesen Themen sage. Ich kann nicht sagen, kommen Sie am Sonntag wieder, heute fällt mir dazu nichts ein. Die Predigt entsteht immer in einer aktuellen Situation.

(zu: Handbuch-Kapitel 11ff  „Schreiben und Redigieren“ + 55 „Der neue Lokaljournalismus“)

Wir stellen den Journalismus vom Kopf auf die Füße (dapd-Interview 3)

Geschrieben am 5. August 2012 von Paul-Josef Raue.
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Wie versuchen Sie, Ihrer Thüringer Allgemeinen die Zukunft zu sichern?
fragt dapd-Redakteur Ulrich Meyer in einem Interview, das die Nachrichtenagentur am 3. August in ihrem Dienst veröffentlicht hat. Raue antwortet:

Wir verlassen die Wolke, von der wir auf unsere Leser hinabschauten. Wir klettern die wacklige Leiter hinunter, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Wir stellen den Journalismus vom Kopf auf die Füße – ohne dabei kopflos zu werden. Wir schreiben für Menschen, mit denen wir zusammen leben, deren Bedürfnisse wir kennen.

Wer sein Leben und den Alltag ohne Arroganz mit seinen Lesern teilt, der schreibt ihnen nicht mehr vor, was sie zu denken haben. Der Hochmut wäre in der Tat unser Untergang.

Die Bedürfnisse der Leser ernst zu nehmen, bedeutet für uns Journalisten: Haltet die Gemeinschaft lebendig! Haltet sie zusammen – mit Vereinsberichten, Service und tiefen Recherchen! Es bedeutet nicht, um jeden Preis populistisch zu werden, also der vermuteten Mehrheit hinterher zu hecheln.

Wir ermuntern zur Debatte, wir fördern sie. Doch Debatten entstehen nur, wenn Minderheiten und Querdenker zu Wort kommen und auch Redakteure nicht nur mit dem Strom schwimmen. Leser mögen Debatten, mögen Querdenker – auch wenn sie gerne zetern: Warum steht das in meiner Zeitung? Aber sie lesen es und streiten.

(zu: Handbuch-Kapitel 53 „Was die Leser wollen“)

Ohne seriösen Journalismus gerät unsere Demokratie ins Wanken (dapd-Interview 2)

Geschrieben am 4. August 2012 von Paul-Josef Raue.
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Wie beurteilen Sie die Lage und vor allem die Zukunft der Zeitungsbranche? Ist der Untergang nahe?
fragt Ulrich Meyer, Redakteur der Nachrichtenagentur dapd. Raue antwortet:

Wir fahren nicht auf der Titanic! Wir kennen unser Schiff, das stabil gebaut ist und schon einige Orkane überstanden hat. Wir kennen die Eisberge, auch ihre gefährliche Schönheit unterhalb der Oberfläche. Aber wir sind Opfer unserer Lust auf Untergang, Tragödie und Katastrophe. Wir lieben das Wort „noch“: Noch gibt es die Zeitung! Noch greifen die meisten zur gedruckten Zeitung! Noch schätzen viele Menschen anspruchsvollen Journalismus! Noch gibt es uns Journalisten und noch nicht nur Blogger! Noch, noch, noch.

Wir haben aber allen Grund, selbstbewusst zu sein: Ohne seriösen Journalismus, ohne Hunderte von Lokalzeitungen, „Zeit“ und „Spiegel“, gerät unsere Demokratie ins Wanken.

Was uns Sorgen macht, ist das Geschäftsmodell. Der Zeitungsmarkt wird ein reiner Lesermarkt, das heißt: Die Leser müssen immer mehr für unabhängigen Journalismus bezahlen. Nur – begeistern wir die Leser mit unserer Untergangs-Sehnsucht? Rauben wir uns nicht viel Kraft, wenn wir jammern statt handeln?

(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“, darin Seite 26: Das Internet wirbelt die Märkte durcheinander)

Was tun? Weiblicher, jünger, verständlicher

Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Im Sinne unserer Leserschaft müssen wir weiblicher, jünger und verständlicher werden.

Helmut Heinen (56), seit zwölf Jahren Präsident der deutschen Zeitungsverleger, Verleger der Kölnischen Rundschau und Mit-Verleger der Berliner Zeitung (im Interview mit der FAZ 31.8.2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen)

Der lokale Teaser macht die Leser neugierig

Geschrieben am 31. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
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Der Teaser, so steht’s im Lexikon des Handbuchs, ist ein „Anschmecker“ oder eine „reißerische Vorankündigung“. Der neue Teaser-Trend ist: Ein Foto im Querformat mit einer integrierten Schlagzeile am Kopf der Titelseite – noch über dem Aufmacher. Die Zeit hat’s vorgemacht, die Stuttgarter Zeitung folgte und wurde dafür mit dem „European Newspaper Award“ ausgezeichnet, einige Regionalzeitungen machen es, darunter die Thüringer Allgemeine.

Für Regionalzeitungen ist es die Chance, opulent lokale „Anschmecker“ auf die Titelseite zu holen. Die Thüringer Allgemeine zeigt heute, also mitten im Sommerloch,  in 11 der 14 Ausgaben einen lokalen Teaser, etwa: Worbis wird 850 Jahre alt / Satellit fliegt mit Technik aus Ilmenau / Erster Kuss in Erfurt (zwei Giraffen im Zoo) / Eisenacher Stolpersteine.

Wir erfahren in Leserkonferenzen: Gut ein Drittel unserer Leser blättert die Zeitung von hinten durch. Diese Von-Hinter-Leser bestätigen: Wir bleiben stets auf der Titelseite hängen, was früher selten geschehen ist – zuerst bei den lokalen Promos, dann beim großen Bild, dem Teaser – vor allem wenn er ein lokaler ist.

Das Erfolgsrezept der lokalen Teaser: Gezeigt wird ein Bauwerk oder eine Landschaft, die ein Wahrzeichen der Stadt oder Region ist; zumindest muss in der Überschrift erkennbar sein: Das spielt sich in unserer Region ab (Name der Stadt oder Landschaft); und es sollten in der Regel Menschen zu sehen sein (oder, was offenbar immer attraktiv ist: Tiere).

Was die Leser verärgert: Ein reines Schmuckbild. Die Leser wollen einen größeren Beitrag im Lokalteil oder anderswo im Blatt zu dem Teaser lesen. Der Teaser muss relevant sein.

(zu: Handbuch-Kapitel Service-H „Lexikon journalistischer Fachausdrücke + 40 „Das Layout“ + 41 „Das Foto“ + 54 „Die neue Seite 1“ + 55 „Der neue Lokaljournalismus“

Elender Lokaljournalismus? „Prügelei im Nachbardorf statt Bürgerkrieg in Syrien“

Geschrieben am 25. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

Jörg Biallas, Chefredakteur von „Das Parlament“, schaudert, wenn er Lokalteile von deutschen Regionalzeitungen liest:

Es gibt zahlreiche Beispiele, dass Tageszeitungen den richtigen Ansatz einer dosierten Regionalisierung mit platter Provinzialisierung verwechseln.

In einem Beitrag zum „Qualitätsjournalismus“ in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (29-31/2012 vom 16. Juli) entdeckt der Hauptstadt-Journalist im Lokalen wenig Qualität:

Oktoberfest-Prügelei im Nachbardorf statt Bürgerkrieg in Syrien, Verkehrsunfall an der Ecke statt Flugzeugabsturz in Asien, Gemeinderat statt Bundestag.

Für Biallas werden „Nichtigkeiten aufgeblasen mit der Begründung, entscheidend sei ausschließlich der lokale Bezug“. Der „Zwang zum Regionalen mit einem Hang zum Provinziellen“ gehe „auf Kosten einer nachrichtlichen Vollversorgung“.

Woher Biallas seine Erkenntnisse nimmt, wird nicht klar. Im Gegensatz zu den meisten Beiträgen in „Politik und Zeitgeschichte“, die wissenschaftlichen Anspruch stellen, verzichtet er auf Fußnoten, auf Quellen, kurz: auch aus journalistischer Sicht auf nachvollziehbare Recherche.

Er nimmt weder die Leserforschung wahr, die in den vergangenen Jahren wesentliche Erkenntnisse gebracht hat (siehe Haller in Leipzig und andere), noch beobachtet er eingehend die intensiven und kontroversen – in der Tat höchst kontroversen – Debatten innerhalb des Lokaljournalismus, noch hat er die beachtlichen Konzepte gelesen, die Jahr für Jahr beim Deutschen Lokaljournalistenpreis eingereicht werden, noch die Ansätze mit hyperlokalen Angeboten in der Online-Welt usw.

Es gibt bei 1500 Lokalteilen, die täglich erscheinen, ausreichend Beispiele, die das Elend belegen; es gibt aber eine stetig wachsende Zahlvon Redaktionen, die nicht nur das Gegenteil beweisen, sondern hohe Qualität zeigen.

Der Beitrag aus dem Elfenbeinturm des elitären Journalismus, der Qualität für sich allein beansprucht, wäre nicht bemerkenswert, wenn er nicht in einem Heft erscheint, das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird. Gerade diese unorthodoxe Behörde hat den politischen Lokalteil entdeckt und gefördert; sie hat erkannt, dass Qualität im Lokalen unverzichtbar ist für eine Demokratie, die von den Bürgern verstanden und getragen wird.

Der moderne Lokaljournalismus provoziert die Debatten der Bürger, ermuntert sie zum Mitmachen; der moderne Lokaljournalismus ist die neue Qualität der Demokratie. Während Biallas die Zukunft des Lokalen nicht mehr als Massenprodukt sieht, sondern eher klein, aber fein „als festen Bestandteil einer bürgerlich-elitebewussten Lebensführung“, hat Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale, eine ganz andere Vision.

Vor kurzem sprach er in Siegen während der Tagung „Lokale Öffentlichkeit und politische Partizipation“ über die digitale Medienwelt und Lokaljournalismus:

Ob und in welchem Maße neue und alte Partizipationswege der Demokratie neues Leben einhauchen können, hängt wesentlich davon ab, inwieweit es dem Journalismus im Lokalen gelingt, als informierende, moderierende und kritische Instanz weiterhin wahr- und ernst genommen zu werden…

Jedem, der an lebendiger Demokratie gelegen ist, muss hoffen, dass dieser Sprung (in die digitale Welt) gelingt. Wir brauchen diese mediale Mitte der sich immer weiter zersplitternden Öffentlichkeiten. Wir brauchen eine Kraft, die den Fliehkräften des Individualismus und der Interessenvertretung durch Aufklärung über die Bedeutung der Gemeinschaft und des allgemeinen Wohls entgegenwirkt. Ich sehe keine andere Instanz (als den Lokaljournalismus), die – nicht punktuell, sondern auf breiter Front – diese Dienstleistung erbringen könnte.

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + 47 „Newsdesk und Ressort“ + 7 „Die Online-Redaktion“)

Endlich! Die Süddeutsche „in dezent anderem Gewand“

Geschrieben am 7. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

Ohne Pauken, ohne Trompeten kündigt die Süddeutsche an, am Montag das Blatt aufzuräumen: Neue Schrift, weniger Staub, leichtere Orientierung. Die Bilder sollen nicht größer werden, die Texte nicht kürzer, wenn sie nur gut sind.

So schreibt Kurt Kister, der Chefredakteur, am heutigen Samstag auf der Titelseite: „Schrift-Wechsel. Von Montag an erscheint die SZ in dezent anderem Gewand“. Nichts Konkretes ist zu lesen, dennoch sind die 75 Zeilen Relaunch-Ankündigung ein Muster für alle, die ihren Lesern (und Redakteuren) die Furcht vor der Veränderung nehmen wollen:

1. Nichts andern! Denn – „Zeitung ist auch Gewöhnung und Ordnung“. Und, nächste Warnstufe: „Eine Veränderung des Erscheinungsbildes ist riskant, denn für viele Leser gibt es nichts Schlimmeres als das Gefühl, die Zeitung sei nicht mehr das, was sie früher war.“

2. Doch ein bisschen ändern! Ein bisschen modern! Denn „manchmal muss man Altbewährtes auch behutsam verändern, es den Zeitläuften anpassen und hie und da modernisieren.“ Man lese genau: Um aufs Moderne hinzuweisen, wird die Sprache ganz alt: „Altbewährtes“ (als wenn es Neubewährtes gibt), „Zeitläufte“ (damit ja keiner dem „Zeitgeist“ verfällt), „hie und da“.

3. Aha! Wir müssen ändern, damit uns die Leser nicht weglaufen! Denn – „eine Tageszeitung, die sich nicht verändert, bleibt stehen.“ Und übrigens haben wir uns „ohnehin immer wieder in kleinen Schritten verändert“. Nur – wie bei allen Zeitungen – machen solche planlosen Veränderungen die Ordnung selten besser, aber den Leser verwirrter und das Chaos chaotischer. Ein paar Zeilen weiter ist der Chefredakteur auch ehrlicher: Wir müssen aufräumen.

4. Wir treiben es aber nicht so wild wie andere Zeitungen! Denn – „manche Kollegen in anderen Zeitungen haben mit gewaltigen Relaunches ihre Leser mehr verschreckt als animiert.“ Ein Schelm, wer an die Frankfurter Rundschau denkt, die – wohl im Kontrast zur SZ – kein „ordentliches Blatt“ ist.

Wen nur meint Kurt Kister, wenn er schreibt: „Es gibt einen bestimmten neuen Typ eher kleinformatiger, etwas bunter Blätter mit nicht ganz so langen Texten, die bei Zeitungsdesignern beliebt sind, von vielen Lesern allerdings weniger geschätzt werden“?

Und wer legt bei der SZ die Designerhand an?

5. Wir haben den Designer-Jargon auch drauf, selbst wenn wir ein ordentliches Blatt sind! Die neue Schrift („evolutionär“!) ist „moderner, vielfältiger verwendbar und gefälliger“. Das sagt wenig, klingt aber gut.

„Mehr am Montag“, so schließt der Chefredakteur. Mehr am Montag.

(zu: Handbuch-Kapitel 40 „Das Layout“)

Nähe und Distanz: Der Lokalredakteur

Geschrieben am 1. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. Juni 2012 von Paul-Josef Raue in Lokaljournalismus, Presserecht & Ethik.

Gerade in der Provinz ist es nicht einfach, kritisch und unabhängig zu berichten und gleichzeitig in dieser großen Nähe zu den Menschen zu leben. Ich versuche, mir immer wieder über meine Funktion, meine Rolle als Journalist klarzuwerden. In solchen kleinen Biotopen, in denen wir Journalisten in der Provinz arbeiten, sollte man sich das besonders häufig vor Augen führen. Jeder von uns hat sich ja irgendwann mal Gedanken darüber gemacht, warum er Journalist werden will. Aber diese Haltung kann sich auch im Laufe der Jahre durch Widerstände und Routine abschleifen. Daher plädiere ich dafür,sich immer wieder bewusst zu machen, was unsere Aufgabe ist.

Ekkehard Rüger, Alleinredakteur der Lokalredaktion Burscheid (Westdeutsche Zeitung), in einem Interview mit der Drehscheibe.

(zu: Handbuch-Kapitel 48 „Wie Journalisten entscheiden“ + Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + Kapitel 3 „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

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