Wenn Politiker drohen – schreib drüber!
Wie geht ein Chefredakteur mit Politikern um, die sich gegen Zeitungskritik wehren? Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), teilt aus, steckt ein – und berichtet regelmäßig darüber in seiner Sonnabend-Kolumne „Schlüsselloch“.
Offenbar gab es mehr als einen Anruf des thüringischen Wirtschaftsministers Machnig, der gerade in Steinbrücks Wahl-Beraterkreis aufgerückt ist. In seinem aktuellen „Schlüsselloch“, in dem er über die Kleider der Mächtigen sinniert, schreibt Hoffmeister:
Kleidsam geht auch nach seinem Schlüsselloch-Knatsch mit der TLZ samt nachgereichtem milden Interview Wirtschaftsminister Machnig… Dabei hat Machnigs Kleidung doch eigens einen neuen Akzent. Wem’s noch nicht aufgefallen ist: Er trägt nicht länger himmelsflitzige Hemdkragen. Das Wort mit A… verwendet er auch nicht mehr. Und er vermeidet den Anschein von Sturztrünken.“
Also: Harscher Zeitungskritik folgt Anruf und Ärger mit dem Minister folgt ein mildes Interview als Wiedergutmachung und folgt neue…
TLZ, 3.11.2012 „Ohne Benimm kommen Politiker in Verschiss“
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
WAZ-Chef Nienhaus: Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren
Rufen Sie uns an! Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren! Darüber beschweren wir uns nicht. Aber – aus der Zeitung fliegt deswegen kein Beitrag!
WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus in Erfurt am Dienstag bei der Verabschiedung von Martin Jaschke, der als Geschäftsführer zu den Stuttgarter Zeitungen wechselt, und zur Einführung von Inga Scholz, der neuen Sprecherin in der Geschäftsführung der Zeitungsgruppe Thüringen (u.a. TA, OTZ, TLZ) und der ersten Frau an der ZGT-Spitze
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
Anton Sahlenders Kommentar via Facebook:
Das gilt nicht nur bei der WAZ. Und sie haben es wohl immer schon getan, die Politiker, überall. Entscheidend ist, wie man in Medien damit umgeht. Und da könnte es beim ZDF eine Art Notwehrreaktion gegeben haben.
Wie Politiker in Thüringen auf Journalisten Einfluss nehmen – oder: Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch
Die Mächtigen in Thüringen waren auch nicht besser als die Bayerns, schreibt Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), in seinen Erinnerungen, die er am Sonnabend in seiner Zeitung veröffentlicht hat (27.10.2012): „Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch politischer Einflussnahme“. Er schreibt:
Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen. Es war nie ein Spiel, es war immer ein Machtkampf.“
Einzigartig dürfte sein: Hans Hoffmeister hat über die Einflussnahmen nicht nur an journalistischen Stammtischen erzählt, sondern immer auch in seiner Zeitung – „weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.“
Er weist darauf hin, dass solche Einflussnahmen nach der friedlichen Revolution in Thüringen umso schwerer wogen: „Die Pressefreiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen.“
Hoffmeister zählt das Arsenal der Beeinflussung detailliert auf:
Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los.
In seinem Essay nennt Hoffmeister ein knappes Dutzend Namen quer durch alle Parteien, er berichtet von Pressesprechern bei Ministerpräsident Vogel, „durchtrieben“ und „ungeniert“; vom Versuch, seine Entlassung zu betreiben. Er berichtet vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und seiner „brutalen Einflussnahme“; von einem Ex-Wirtschaftsminister, der mit einer Abbestellungswelle drohte, wenn nicht positive Artikel kurz vor der Wahl erschienen.
Positiv sieht Hoffmeister den aktuellen Regierungssprecher Zimmermann: „Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten.“
Der komplette Hoffmeister-Essay aus der TLZ (unredigiert):
Weimar. So etwas wie in Bayern gab’s in Thüringen auch. Nicht anders als in manchem anderen Bundesland. Je absoluter die Mehrheit, desto rüder versuchen Regierende politisch Einfluss auf journalistische Inhalte und damit auf Redaktionsspitzen zu nehmen. Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen.
Wir haben im Laufe der Jahre im Blatt immer mal recht offen darüber berichtet – in Rückblicken -, weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.
Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los. Nur dass es leider kein Spiel war. Es war ein Machtkampf.
Das war früher. Und man dachte, das ist vorbei. Dass der Sprecher des CSU-Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten – wie jetzt in Bayern – eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ungeniert, offen und öffentlich sogar per SMS, also doch vermutlich nachweisbar, auffordert, über einen SPD-Landesparteitag am Abend der Veranstaltung möglichst überhaupt nicht zu berichten, das hatte man noch nicht erlebt.
Obwohl: Der Thüringer Regierungssprecher Hans Kaiser hat unter Bernhard Vogel immer besonders gern beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, aber auch beim Privatfunk, natürlich auch bei den Zeitungen, seine Spielchen derart durchtrieben versucht, dass er schließlich fast nur noch nach eigenem Gusto handelte und sich selbst gefangen nahm, wie jetzt der Typ in Bayern.
Schließlich kegelte Vogels Nachfolger Dieter Althaus nach der Wahl den mittlerweile zum Staatssekretär Beförderten einfach raus aus dem Team. Sogar Vogel baute ihm in seiner Adenauer-Stiftung kein Rettungsboot an seiner Seite, sondern Kaiser musste zusehen, wie er weit weg versetzt wurde – nach Taschkent. Mittlerweile leckt er seit Jahren in Budapest seine Wunden.
Brutale Versuche
sind nicht an eine
Partei gebunden
Nachfolger Hermann Binkert, Althaus Grundsatzreferent, später auch Staatssekretär, machte das dann genauso bei seinem Chef. Er indoktrinierte ihn selbst sehr erfolgreich und verpasste ihm eine Art Gehirnwäsche. Die folgenden politischen Dramen etwa um einen Thüringer Kulturkahlschlag, die vermeintliche Familienoffensive mit gekürzten Horten und vieles mehr waren die Folgen. Binkert versuchte ungeniert, auch auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen, wenn dies probat erschien – aber nicht so ungeniert wie Kaiser das tat. Die TLZ kann ein Lied davon singen.
Es endete im TLZ-Fall, von Binkert vermeintlich clever eingefädelt, mit einer Nähe zur Verlegerin eines großen (anderen) Zeitungshauses und der Idee, über diese Brücke dessen ehemaligen Geschäftsführer, mittlerweile höchster Chef unserer WAZ-Mediengruppe, somit auch der TLZ, zu nötigen, mich abzulösen. Der so von Althaus direkt Angesprochene lächelte nur und verwies den Ministerpräsident auf sich selbst zurück. Wie auch anders?
Was Binkert nicht hindern sollte, im Tollen Thüringen, einer millionenfach verbreiteten, undurchsichtig finanzierten Wahlkampf-Illustrierten, für Dieter Althaus brutal direkt und öffentlich über meine Gesundheit Gerüchte zu verbreiten. So etwas ist in Deutschland strafbar. Ich habe keine Anzeige erstattet. Doch ein Sturm im Blätterwald folgte: Von der Mitteldeutschen bis zur Badischen Zeitung reichte die solidarische Entrüstung, auch im Presseecho der WAZ-Gruppe reportiert. Binkert und Althaus waren gescheitert. Ihr politisches Ende folgte alsbald.
Aber das gibt’s nicht nur bei der CDU. Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie (SPD) hat brutale Einflussnahme, einfach so, weil er in Not war, bei der TLZ auch versucht – im Zuge der Seemann-Affäre. Und das liegt noch nicht lange zurück.
Auch von der Nachwende-FDP haben wir solche Versuche erlebt. Der einstige Wirtschaftsminister Jürgen Bohn drohte zwei Tage vor der Wahl TLZ-Vize Hartmut Kaczmarek, wenn er nicht sofort dieses und jenes schreibe, werde er für 30 Abbestellungen sorgen. Während aus der Erfurter CDU der Wink Richtung TLZ kam: Der Chefredakteur schädigt mit seiner Weimarerei den Wirtschaftsstandort Erfurt. Man wollte die Berichterstattung und Kommentierung über die geplante Zwangsfusion zwischen DNT und der neuen Oper unterbinden.
Missliebige
Kommentare
abgeheftet
Es gab auch schwere Verstöße anderer Art: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Andreas Kniepert, glaubte in den Anfängen, mit dem ersten Privatsender Antenne Thüringen ein quasi leibeigenes Medium zu haben. Sein Kollege von der CDU, Jörg Schwäblein, versuchte sogar, bei einem kleinen CDU-Parteitag am Rande der Vereinigungsfeiern in Hamburg eine öffentliche-rechtliche Zeitung zu beschließen. Etwas später machte Bernhard Vogel diesen Überlegungen den Garaus.
Vize-Ministerpräsident Gerd Schuchardt (SPD) sammelte kritische TLZ-Kommentare, um diese, geheftet mit einer Büroklammer, an den WAZ-Gruppengeschäftsführer zu schicken. Daran hinderte ihn der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Werner Rechmann. Der WAZ-Gruppengeschäftsführer riet in solchen Lagen dem TLZ-Chefredakteur, egal wie der Fall lag: „Behaupten Sie sich!“ Ein ähnlicher Versuch der Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) scheiterte analog.
Auch andernorts gab’s so etwas. Und manchmal kam es raus – im Nachhinein. Ein namhafter Thüringer Fernsehchef etwa wurde von Oskar Lafontaine (SPD) zu dessen MP-Zeiten in Saarbrücken direkt genötigt. Sinngemäß: Ich hab es dir doch gesagt, dass du das so und nicht anders drucken sollst; und jetzt hast du’s wieder nicht gemacht! –
Das konnte der Journalist auch als Drohung empfinden. Es hat den Mann fast „umgebracht“ – so sehr hat ihm das zu schaffen gemacht. Der Journalist hat’s später mal beim Bier erzählt.
Mittlerweile – so dachte man – gibt’s so was jedenfalls in Thüringen nicht mehr. Bernhard Vogel ist lange weg und führt nur noch Anerkennungskämpfchen vor für sich selbst. Dabei hat die Geschichte längst geurteilt. Nicht mal Ehrenbürger von Erfurt darf er werden. Diese äußerste Anerkennung wird ihm in seiner Sammlung von Ehrungen schmerzlich fehlen. Das ist nicht peinlich, das ist gerecht. Peinlich ist nur sein ewiges Nachdrehen mit rückwirkender Geschichtsklitterung.
Die großen Essen mit Chefredakteuren samt Gängelei und Balzerei im Gästehaus der Landesregierung hat – auf TLZ-Betreiben – schon Althaus abgeschafft. Und solche Gästehäuser gibt es auch nicht mehr.
Sprecher sind
jetzt vor allem
Dienstleister
Solche Regierungssprecher wie Hans Kaiser gibt es schon gar nicht mehr. Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten. Nur in Bayern hat sich das noch nicht rumgesprochen. Man erschrickt über solche späte Auswüchse.
Horst Seehofer, der offenbar wegen der Affäre nicht am derzeitigen MP-Treffen in Thüringen teilnimmt, trat am Donnerstagabend sehr nervös, verlegen, mit rotem Kopf vor die Kameras und stammelte. Hatte er doch soeben noch zum Thema Medien Offenheit verkündet und den Spruch abgelassen, dass wir heute nicht mehr in Herrschaftszeiten leben…
Seehofer suchte nach Ausreden. Und er fand sie nicht. Statt klar zu sagen: Ich entschuldige mich beim ZDF und vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit für diese Fehlleistung meines Sprechers. – So löst man solche Krisen. Seehofer war gerade in seinen Umfragen endlich mal auf einen Baum geklettert, und es herrschte eine gewisse Entspannung in der Koalition in Berlin aus CDU/CSU und FDP. Jetzt ist er wieder runtergefallen. Aus eigener Schuld.
Dabei ist er selbst ein Profi aus der alten Garde – nicht anders als Vogel und – wie man sieht – nicht anders in der Rolle gefärbt. Jetzt kriegt er die Zähne nicht auseinander zu drei einfachen deutschen Hauptsätzen: „Das war Mist. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen.“
Die Presse ist frei – Punkt. So steht’s im Gesetz. Ihre Freiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen. Das weiß man eigentlich in der Bundesrepublik seit der Spiegel-Affäre mit Franz-Josef Strauß. Sie liegt gerade 50 Jahre zurück, wie die TLZ berichtete.
Das beruhigende an solchen Affären ist, dass die schlimmsten herauskommen. So auch hier. Das belegt: Die Demokratie ist – doch – intakt.
Zeitungen müssen ein Markenartikel der Demokratie bleiben
In einer Demokratie ist nichts wertvoller als der Journalismus – aber ein Journalismus, der recherchiert, was die Mächtigen planen und im Verborgenen tun; der die Bürger ernst nimmt, ihre Interessen und Bedürfnisse kennt und für sie Wichtiges vom Unwichtigen trennt; der viele Meinungen anbietet, auch Querdenkern das Wort gibt, der Debatten anstößt und führt.
Ein Beitrag für die Serie „Zukunft des Qualitätsjournalismus: Was ist uns Journalismus wert?“ von dapd, erschienen unter anderem im Echo (Darmstadt) und http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Aus%20(Worms)
(zu: Handbuch-Kapitel 57 Wie können Zeitungen überleben + 48-49 Wie Journalisten entscheiden (sollten) + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)
Journalistische Inzucht und ein Verleger, der alles bestimmt
Was ist ein guter Verleger? Einer, der Einfluss nimmt, sagt Bruno Schnell, Verleger der Nürnberger Nachrichten; einer, der sich unterscheidet von den neuzeitlichen, auf Profit getrimmten Verlagsmanagern.
Wie nimmt er Einfluss? Uwe Ritzer hat den 83jährigen Verleger, den viele Redakteure als Muster-Verleger verehren, für die Süddeutsche Zeitung interviewt (28. August 2012):
Es heisst, dass der Verleger Bruno Schnell ungeniert Einfluss nimmt auf die Berichterstattung, dass der soziale Übervater seine Kinder rigoros zur Ordnung ruft. „Fünf- bis sechsmal pro Jahr“ rügt Schnell nach eigenem Bekunden die strukturell ohnehin schwache NN-Chefredaktion, „weil die Linie des Hauses verlassen wurde“.
Wann das der Fall ist? „Zum Beispiel, wenn Frau Merkel unrichtigerweise gelobt wird.“ Wer was von Politik verstünde, könne sie nicht loben, findet Bruno Schnell.
In der Redaktion findet sich auch kein Fremder als Ressortleiter oder Chefredakteur, man muss sich im Haus hochdienen. „Das hat etwas von einer Behörde“, kommentiert Uwe Ritzer. Und Bruno Schnell, der Verleger, räumt ein: Ich weiß um die Gefahr der gelebten journalistischen Inzucht.
Bekannt wurde Bruno Schnell, weil er seinen Redakteuren gute Arbeitsbedingungen schafft und weil er beim Tarifkonflikt 2004 gegen die Verleger die Position der Redakteure einnahm und sie in einem Kommentar in der eigenen Zeitung auch leidenschaftlich vertrat.
(zu: Handbuch-Kapitel 46 Wer hat die Macht?)
Noch nie war Journalismus so wichtig (dapd-Interview 6)
Können Sie jungen Leuten noch dazu raten, Journalisten zu werden?
fragt Ulrich Meyer im dapd-Interview. Raue antwortet:
Ja und nochmals: ja – wenn ein junger Mensch mit Leidenschaft für diesen Beruf brennt. Nein – wenn ein junger Mensch den Typ Beamten schätzt in Habitus, Denken und Sein.
Noch nie war der Beruf so spannend und noch nie so wichtig wie heute: Im digitalen Zeitalter muss die Freiheit und Unabhängigkeit und Verständlichkeit des Journalismus mit neuen Mitteln verteidigt werden. Die Ideen dafür bringen die jungen Journalisten mit, die mit Neugier und Lust am Experiment starten und von den alten lernen, dass die Demokratie starke Journalisten braucht und wir Journalisten eine starke Demokratie brauchen.
Zum ersten Mal in der Ausbildung lernen die Alten – die Profis der analogen Welt – von den Jungen – die technisch Versierten der digitalen. Das müsste der Beginn einer wunderbaren Partnerschaft sein.
Die Alten schrieben in der Gewissheit: Wir füllen unbehelligt den Raum zwischen den Anzeigen – und vergaßen, dass Zeitungen immer kommerziell waren, einst abhängig von Werbung, bald von den Lesern oder von „Nutzern“, wie Leser digital heißen.
Der Raum zwischen den Anzeigen ist mittlerweile so groß geworden, dass so manche Redaktion von Werbe-Einnahmen allein nicht mehr finanziert werden kann. Wir brauchen also neue Finanzierungen. Die müssen die Jungen finden, ohne dabei die Vernunft des Journalismus zu verraten.
(aus einem dapd-Interview, das am 3. August gesendet wurde)
(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 2-3 „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)
Nähe und Distanz: Der Lokalredakteur
Gerade in der Provinz ist es nicht einfach, kritisch und unabhängig zu berichten und gleichzeitig in dieser großen Nähe zu den Menschen zu leben. Ich versuche, mir immer wieder über meine Funktion, meine Rolle als Journalist klarzuwerden. In solchen kleinen Biotopen, in denen wir Journalisten in der Provinz arbeiten, sollte man sich das besonders häufig vor Augen führen. Jeder von uns hat sich ja irgendwann mal Gedanken darüber gemacht, warum er Journalist werden will. Aber diese Haltung kann sich auch im Laufe der Jahre durch Widerstände und Routine abschleifen. Daher plädiere ich dafür,sich immer wieder bewusst zu machen, was unsere Aufgabe ist.
Ekkehard Rüger, Alleinredakteur der Lokalredaktion Burscheid (Westdeutsche Zeitung), in einem Interview mit der Drehscheibe.
(zu: Handbuch-Kapitel 48 „Wie Journalisten entscheiden“ + Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + Kapitel 3 „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)
Noch einmal: „Solidarität mit der Ukraine“
„Solidarität mit der Presse in der Ukraine zeigen, die jeden Tag unter massivem Druck zu leiden hat und oft vollkommen isoliert ist“ – das ist die Begründung, warum die Verleger und Chefredakteure der Welt sich im September in der Ukraine treffen (schon einmal in diesem Blog am 17. Mai). Nach Protesten mit Verweisen auf die Boykott-Drohungen zur Fußball-EM in der Ukraine schreibt Jacob Mathew, der WAN-IFRA-Präsident, einen Brandbrief (in Auszügen):
Mit der Ausrichtung unserer Jahresveranstaltung in der ukrainischen Hauptstadt bieten wir der ukrainischen Presse die Gelegenheit, mit der internationalen Zeitungscommunity ins Gespräch zu kommen, von internationalen Best-Practice-Fallbeispielen zu profitieren und Weiterbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Überdies versichern wir den Kollegen mit unserer Veranstaltung unsere moralische Unterstützung.
Wie schon bei Wladimir Putin beim Kongress und Editors Forum 2006 in Moskau werden wir die Möglichkeit haben, unser Anliegen direkt an Präsident Viktor Janukowitsch zu richten, der den Kongress und das Forum eröffnen wird.
Wer in Moskau dabei war, wird sich an die Eröffnungsfeier im Kreml sicherlich erinnern. Dies war eine einmalige Gelegenheit, um mit Putin persönlich über die Missstände im Hinblick auf die Pressefreiheit in Russland zu sprechen.Wenn Herausgeber von Zeitungen, Chefredakteure und Journalisten aus der ganzen Welt zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen zusammenkommen, dann ist das eine hervorragende Gelegenheit, um die Probleme im Zusammenhang mit der Pressefreiheit in der Ukraine in den Fokus globaler Aufmerksamkeit zu rücken und Druck auf die Verantwortlichen auszuüben.
(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“ (Das Internet wirbelt die Mächtigen durcheinander) und einem ungeschriebenen Kapitel „Journalisten in der unfreien Welt“)
Chefredakteure treffen sich in der Ukraine
Politiker diskutieren einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Und die Chefredakteure und Verleger? Sie treffen sich im September zum Weltkongreß in Kiew – und begründen die Wahl des Ortes so:
Mit der Ausrichtung der diesjährigen Jahreskonferenz in der Ukraine können nach Überzeugung von WAN-IFRA die Solidarität mit den unabhängigen Verlegern, Redakteuren und Journalisten des Landes gestärkt, die Aufmerksamkeit auf Pressefreiheitsthemen gelenkt und Gespräche mit den ukrainischen Behörden gefördert werden.
Jeffrey Gettleman wird über das Geschichtenerzählen, das Storytelling, referieren. Er hat als Leiter des Ostafrika-Büros der New York Times reichlich Erfahrungen mit Diktaturen wie in Somalia oder dem Kongo; in diesem Jahr bekam er den Pulitzer-Preis für Auslandsberichtserstattung.
(zu: Handbuch-Kapitel 10 „Was Journalisten von Bloggern lernen können“ (Seite 47 – New York Times hat seit den Unruhen im Iran einen Redakteur, der nur Tweets auswertet); siehe auch Sachregister „Korrespondenten“.)
Stadt muss Geheim-Gutachten an Journalisten geben
Die Stadt Mülheim muss der WAZ-Mediengruppe Einsicht in ein bislang geheim gehaltenes Gutachten zu Millionen-Wetten der kommunalen Stadtspitze mit der West-LB geben. Eine entsprechende Auskunftsklage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) konnte die WAZ- Mediengruppe vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf durchsetzen.
Das bislang von der Stadtspitze um Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) geheim gehaltene Papier enthält Einschätzungen des Mülheimer Rechtsamtes zu einem Millionenverlust-Geschäft der Gemeinde. Im Kern hatte die Stadt mit der damals noch staatlichen WestLB auf steigende und fallende Zinsen gewettet. Die Stadt verlor die Wetten, die WestLB gewann. Die Kommune setzte so alleine in drei Jahren bis 2008 rund 6 Millionen Euro in den Sand.
Das besondere an den schlechten Geschäften: beraten wurde Mülheim ausgerechnet von der WestLB, die gleichzeitig als Wettgegner in den Deals antrat. Gewinnen konnte die Bank nur, wenn die Stadt verlor. Noch immer laufen entsprechende Wetten, immer noch mit Millionen Verlusten.
Die schlechten Geschäfte sind in Mülheim aufgefallen. Das Rechtsamt der Stadt hat schließlich ein Gutachten erstellt, um zu prüfen, ob die Stadt gegen die WestLB, den damals verantwortlichen Kämmerer Gerd Bultmann oder andere leitenden Beamten auf Schadensersatz klagen könnte. Auf Basis des Gutachtens verzichtete die Gemeinde auf rechtliche Schritte und zahlte lieber weiter Geld an die WestLB.
Die WAZ-Mediengruppe wollte nun auf Basis des IFG in dieses Rechtsgutachten schauen, um zu sehen, warum die klamme Stadt nicht um die Millionen kämpft. Dies wurde ihr von der Kommune verweigert.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied nun, dass die Stadt mit ihrer Geheimhaltung das Recht gebrochen hat (AZ: 26K3489/11). Es gebe keinen zulässigen Grund, das Papier vor der Öffentlichkeit zu verstecken, entschied das Gericht. Die Grundlagen für die Weigerung Schadensersatz einzutreiben, müssen offen gelegt werden.
Geklagt hatte Mirco Stodollick, stellvertretender Redaktionsleiter der WAZ Mülheim an der Ruhr. Er wurde vom Justiziar der WAZ-Mediengruppe, dem Bochumer Rechtsanwalt Ralf Geppert vertreten.
Es ist der erste derartige Sieg für die WAZ-Mediengruppe.
(Aus Westen.de / von David Schraven)
(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht“)
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