Alle Artikel mit dem Schlagwort " Pressefreiheit"

Wie viel Breivik darf sein? Die Journalisten zweifeln

Geschrieben am 19. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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Der Bürger ist mündig, er kann und muss sich selber eine Meinung bilden – auch wenn es um so schreckliche Inszenierungen geht wie die des Massenmörders Anders Breivik im Osloer Gericht. Diese Souveränität des Bürgers gehört zum Selbstverständnis der Aufklärung, die den modernen Staat ermöglichte – mit der Pressefreiheit als stabilem Fundament.

Mit welchem Recht verschließen Journalisten ihren Lesern wichtige Informationen, die sie brauchen, um sich eine Meinung bilden und mitwirken zu können in einem Staat, der ihr Staat ist (und nicht der Staat der Journalisten)?

Auch die Aussagen von Anders Breivik klären auf. „Sie sind ein Impfstoff gegen derartige Ideen“, sagt ein norwegischer Anthropologe. Und die norwegische Boulevardzeitung Verdens Gang spricht von der „Demaskierung einer erbärmlichen Gestalt“, wenn man ihn vor Gericht sieht und hört (FAZ 19.4.2012)

Gleichwohl bleibt die Frage für Journalisten: Was ist eine wichtige Information? Wie wirken Bilder des Massenmörders mit erhobener Faust, groß auf eine Zeitungsseite gezogen?

Meike Oblau vom „Westfalenblatt“ in Bielefeld verweist auf ein Stopp-Zeichen in ihrer Zeitung:

„In eigener Sache: Anders Behring Breivik wollte den zweiten Verhandlungstag dazu nutzen, seinen Anschlag zu rechtfertigen. Aus Rücksicht auf die Gefühle der Angehörigen der Opfer und um dem Täter nicht ein Forum für die Verbreitung seiner wirren Gedanken zu bieten, bemüht sich das WESTFALEN-BLATT um eine zurückhaltende Prozessberichterstattung. Dabei war es uns wichtig, auf wörtliche Zitate des Täters weitgehend zu verzichten. Zudem wollen wir keine Fotos zeigen, auf denen provozierende Gesten Breiviks zu sehen sind. Die Redaktion“

„Dagbladet“ ist vorbildlich in der Aufklärung ihrer Leser: Die Redakteure analysieren das „Manifest“ von Breivik, entdecken fehlerhafte Zitate und entdecken sogar von Breivik angegebene Quellen, die es gar nicht gibt (SZ 19.4.2012). Ist das der ideale Weg?

Grass, der Gleichmacher – Friedhof der Wörter

Geschrieben am 13. April 2012 von Paul-Josef Raue.
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Die goldenen zwanziger Jahre waren der kurze Frühling der freien Presse in Deutschland. Er endete abrupt 1933. Gleichschaltung nannten die Nationalsozialisten den Abschied von der Pressefreiheit.

Der Amerikaner William L. Shirer arbeitete zu Beginn des Dritten Reichs als Berliner Korrespondent einer amerikanischen Nachrichtenagentur. In sein „Berliner Tagebuch“ schrieb Shirer am 4. Januar 1936 über die Gängelung der Journalisten:

„X. von der Börsenzeitung wird nicht hingerichtet. Seine Todesstrafe ist in lebenslange Haft umgewandelt worden. Sein Vergehen: Er hatte gelegentlich gesehen, dass einige von uns Kopien der Goebbelschen täglichen geheimen Befehle für die Presse erhielten. Die Lektüre lohnte sich, täglich wurde hier die Unterdrückung bestimmter Wahrheiten und ihre Ersetzung durch Lügen angeordnet.
Wie ich hörte, hat ihn ein polnischer Diplomat verraten, ein Mann, dem ich niemals traute. Die Deutschen sind, wenn sie nicht ausländische Zeitungen lesen können, völlig abgeschnitten von den Ereignissen in der Welt draußen, und natürlich erfahren sie auch nichts davon, was sich hinter geschlossenen Türen in ihrem eigenen Land abspielt.“

Die gleichgeschalteten Zeitungen im Dritten Reich hatten bedingungslos dem Diktat des Führers zu gehorchen; selbst die Wörter, die zu drucken waren, befahl der Propaganda-Minister in seinen Geheimbefehlen für die Presse. Das Nazi-Wort von der „gleichgeschalteten Presse“ griff Günter Grass in dieser Woche auf, als er sich über die harsche Kritik auf sein Israel-Gedicht beschwerte.

Er suggerierte: Irgendwo in dieser Demokratie versteckt sich ein kleiner Goebbels und flüstert den Journalisten ein, was sie zu schreiben haben. Man könnte über solch eine Verschwörungs-Theorie schmunzeln, wenn sie nicht ein Nobelpreisträger für Literatur äußerte.

Ein Meister der Sprache müsste wissen, wie Wörter wirken und welche Wörter auf ewig ruhen sollten.

THÜRINGER ALLGEMEINE vom 10.04.2012, S. 14

Grass und das „Wörterbuch des Unmenschen“

Geschrieben am 7. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Günter Grass ist nicht der erste, der den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff der „Gleichschaltung“ nutzt, wenn er von der Presse in einem demokratischen Staat spricht. Vor fünf Jahren sprach Eva Herman schon von der „gleichgeschalteten Presse“. Stefan Niggemeier kommentierte nach Hermanns Auftritt und Rauswurf bei „Kerner“ in seinem Blog:

„Das eigentlich Erschreckende ist, wie dumm jemand sein kann, wie ahnungslos, wie dilettantisch und laienhaft in einer Medienwelt, in der sie sich seit vielen Jahren professionell bewegt.“

Dumm ist Grass sicher nicht, aber auch er hat sich in seiner Opferrolle eingekuschelt (wie es Niggemeier 2007 über Eva Hermann geschrieben hatte).

Nobelpreisträger für  Literatur haben bisweilen groben politischen Unsinn verbreitet, mit der Sprache sollten sie schon schonend umgehen können. Wenn Grass von „Gleichschaltung“ spricht, nutzt er einen Begriff der Nationalsozialisten; Gleichschaltung der Presse war das Diktat des Führers und des Propaganda-Ministers, damit alle derselben Ideologie folgen bis in die Wahl der Wörter hinein.

In einem Interview mit Heribert Prantl, heute in der “ Süddeutschen“ veröffentlicht (7. April 2012), sagt Grass:

„Ich rede nicht von der Gleichschaltung wie in einem totalitären Staat. Wenn in einer Demokratie der Eindruck von Gleichschaltung entsteht, ist das ja noch schlimmer.“

 Dolf Sternberger schrieb mit anderen nach dem Krieg das „Wörterbuch des Unmenschen“,  in das er die Phrasen der Unmenschlichkeit notierte. Auch wenn „Gleichschaltung“ nicht in Sternbergers Sammlung steht, so gehört das Wort zu denen, die typisch sind für die Ideologie der Nazis.

Was treibt den Nobelpreisträger an, die freie Presse in unserem demokratischen Staat mit der Presse im Nationalsozialismus nicht nur gleichzustellen, sondern als „noch schlimmer“ zu verhöhnen?

„Der Verderb der Sprache ist der Verderb der Menschen.“ (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen)

„Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser“

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

„Ein Problem in der Summe der im Internet kursierenden Informationen ist ja, das vieles nicht stimmt. Es gibt moderne Märchen, die sich imInternet schnell verbreiten“, sagt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) im Interview mit BZ-Chefredakteur Armin Maus. „Der Nutzer muss sich genau ansehen, aus welcher Quelle die Informationen stammen, und er braucht die Sicherheit, dass Informationen aus unseren Medien verlässlich sind.

Zu lesen ist das auführliche Interview in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die Braunschweiger Zeitung ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

Nienhaus plädiert, besonders auf die Glaubwürdigkeit im Journalismus zu achten:

„Was als journalistischer Beitrag gekennzeichnet ist, darf niemals parteiisch und gefärbt oder den wirtschaftlichen Interessen anderer untergeordnet sein… Die Pflicht zur guten Recherche, zu ordentlicher, sauberer Arbeit und vor allen Dingen zur Bekämpfung der eigenen Vorurteile gehören zum freien Journalismus.
Aber der Verlag muss eine Brandmauer errichten, um die Interessen der von uns ebenfalls geschätzten Anzeigenkunden deutlich abzutrennen.“

Die Kernleistung der Zeitungen ist für Nienhaus das Lokale und Regionale:

„Man kann Synergien auf allem möglichen Feldern schaffen, aber muss vor Ort aktiv mit eigenen Journalisten tätig sein. Wir brauchen in den Städten der Region Journalisten, die unabhängig sind, die unabhängig von Interessengruppen schreiben, ob die Haushaltsrede des Bürgermeisters im Stadtrat ordentlich war oder nicht, und ob der Sportverein gut gespielt hat, und ob die Sanierung der Fußgängerzone vernünftig von statten geht, oder wo zu viele Baustellen sind.
Das alles sind Dinge, die man nicht über Blogs im Internet, mit staatlichen Pressestellen und interessengesteuerten Einträgen organisieren kann. Da braucht man eine Instanz, von der man weiß, dass sie unabhängig ist. Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser, sind deswegen nur dem Leser verpflichtet. Guten kritischen Journalismus – den wird es auch in 35 Jahren geben.“

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Kapitel 3 „“Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Scheibchen-Journalismus

Geschrieben am 16. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
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So wie der Bundespräsident die Wahrheit in Scheibchen serviert, tun dies auch einige Zeitungen. Nehmen wir die FAZ. Aus einem Seite-3-Beitrag von Eckart Lohse, „Christian Wulffs Gratwanderung“, in der Sonntagszeitung lässt sich diese Chronik zusammenstellen:

28. November: Die Bildzeitung fragt beim Bundespräsidenten wegen der Finanzierung seines Hauses.
ca. 10. Dezember: Der Bundespräsident bittet die Bildzeitung um Aufschub; er wird gewährt.
12. Dezember: Der Bundespräsident spricht dem Chefredakteur der Bildzeitung auf die Mailbox; er bittet, droht und spricht von „Krieg führen“.
16. Dezember: Die Sonntagszeitung der FAZ schreibt Olaf Glaeseker, dem Sprecher des Bundespräsidenten, eine SMS, wünscht eine Stellungnahme zum Mailbox-Anruf und erwähnt Worte aus dem Anruf wie: „Krieg führen“ und „der Rubikon ist überschritten“.
„Danach“: Olaf Glaeseker informiert die Bildzeitung über die FAZ-Anfrage.
Erst danach“: Glaeseker schreibt eine SMS an die FAS: „Es gab Differenzen. Diese sind zwischen Christian Wulff und Kai Diekmann sollständig ausgeräumt.“

Offenbar wollte die Bildzeitung nicht direkt mit dem Wulff-Anruf in die Öffentlichkeit. Ihr Chefredakteur hatte offenbar Skrupel (was ihn ehrte); wenn man davon ausgeht, dass Kai Diekmann alle Fäden in der Hand hält, ist zu folgern: Er ließ in aller Eile eine Informations-Brücke zur FAZ bauen. Sie war und ist offenbar stabil, auf jeden Fall war die FAZ gut über die Kontakte zwischen Wulff, der Bildzeitung und der Spitze des Springer-Verlags informiert.

Dies „über-die-Bande-spielen“ ist ein eingeübtes Verfahren unter Rechercheuren:

• Ist der Geschäftsführer oder Verleger gegen eine Veröffentlichung (oder denkt man, er sei es), dann steckt man die Fakten einem bekannten Journalisten;
• versucht ein Chefredakteur eine Recherche zu verhindern, spricht man mit einem Kollegen und bekommt so seine Geschichte doch noch ins Blatt (wenn auch unter einem anderen Namen: „Nach Informationen des SP-Magazins…“);
• will ein Chefredakteur oder Verleger den delikaten Erpressungs-Versuch eines Politikers öffentlich machen, tut er dies in der Regel nicht im eigenen Blatt, sondern nimmt den Politiker noch genauer in den Blick und erzählt den Vorfall anderen; er aber kann nur bei Staatsaffären davon ausgehen, dass andere Journalisten dies veröffentlichen und eine Debatte anstoßen.

Es dürfte für Politiker in Deutschland nahezu unmöglich sein, die stimmige Recherche eines Journalisten zu unterdrücken. Dass er sie in Scheibchen serviert, hat mit der Sorge zu tun, von Richtern gestoppt zu werden.

Es ist für geübte Rechtsanwälte einfach, gegen eine Tatsachen-Behauptung eine Unterlassung zu erwirken mittels einer einstweiligen Verfügung. Da ist es hilfreich, noch weitere Fakten und Vorwürfe recherchiert zu haben, denn Verfügungen können nicht vorbeugend erlassen werden. Da helfen nur Drohungen mit Anwälten, wie es offenbar auch der Bundespräsident in seinem Anruf auf die Diekmann-Mailbox getan hat: Ich werde gegenüber Journalisten Strafanträge stellen; die Rechtsanwälte sind beauftragt.

Erfahrene Rechercheure kennen den Grundsatz: Habe bei schwierigen Recherchen immer noch einen Pfeiler im Köcher. Dies trifft sich übrigens mit der Kriegs-Metapher des Bundespräsidenten: Einige Politiker sehen sich im ständigen „Krieg“ mit Journalisten (umgekehrt aber auch).

Der Unterschied zwischen dem Scheibchen-Journalismus und der Scheibchen-Wahrheit des Bundespräsidenten liegt auf der Hand: Die einen wollen aufklären, der andere will verhindern – alles dazwischen ist Taktik.

(zu: Handbuch Kapitel 17 „Die eigene Recherche“)

Pressefreiheit durch Brüssel in Gefahr

Geschrieben am 15. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
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Weitaus gefährlicher für die Pressefreiheit als die Anrufe des Bundespräsidenten bei Chefredakteuren könnte die geplante Verordnung der Europäischen Kommission zum Datenschutz sein. Laut SZ-Montagausgabe (Feuilleton 9. Januar 2012, Seite 2 unten) würde die Verordnung, die wie ein Gesetz wirkt, „die Gewährleistung der Meinungs- und Pressefreiheit dem Bundesverfassungsgericht auch allgemein entwunden werden“. Dies schreibt Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht.

Zudem wird laut Masing ein Datenschutzbeauftragter in Brüssel, den keiner kontrollieren wird, auch die persönlichen Daten zwischen Privaten im Internet kontrollieren. „Bisher befindet sich alles in einem Entwurfsstadium – für eine Diskussion ist es nicht zu spät“, appelliert der Richter.

Debatte dazu : www.internet-law.de

(zu: Handbuch 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“)

Braun: Leser verzeihen keinen Kampagnen-Journalismus

Geschrieben am 12. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
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In seinem Blog „Ankommen in Bayreuth“ schreibt Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“, über Politiker, die Redakteure einzuschüchtern versuchen:

„Gestern hat’s wieder einer probiert. Nein, keine Drohung, kein Stahlgewitter, und auch vom Rubikon war keine Rede. Obwohl der Mann Lateiner ist. Der Hobbypolitiker sprach lediglich von der “oberfränkischen Version von Pressezensur”, von “Gutsherrenart” (nicht Guttenberg, wohlgemerkt). Irgendwie blöd jedenfalls. Und als ich ihn anrief, schimpfte er am Telefon, dass Kollege M. bei der CSU angeblich nicht schreiben durfte, was er wollte, bei der FDP hingegen schrieb, was er wollte, aber nicht sollte. Das gefiel ihm dann auch nicht. Sie haben Recht, so ein Verhalten ist eher lächerlich. Das ist keine Kriegsdrohung, kein Wulffen – das ist Alltag in der Lokalredaktion.

Kein Lokalredakteur, schon gar kein Chefredakteur wundert sich über das, worüber zurzeit die Republik diskutiert. Dass nämlich Politiker versuchen, Journalisten einzuschüchtern, Berichterstattung zu verhindern, zu drohen. Das war schon immer so, und daran wird sich auch nichts ändern.

Als der Nordbayerische Kurier kürzlich zwei wichtigen oberfränkischen Politikern mitteilte, man werde vor das Verwaltungsgericht ziehen, um eine vom Presserecht gedeckte, von den beiden Herren aber verweigerte Auskunft zu bekommen, da ging erst mal die Post ab.

Einer der beiden, der weniger coole, rief sofort beim Kurier-Geschäftsführer an und schimpfte und drohte: Niemals werde er die gewünschte Auskunft gehen. Lieber gehe er in Beugehaft. Und außerdem: Eine solche Klage werde sich äußerst negativ auf die Beziehungen zwischen seiner Behörde und der Zeitung auswirken. Das sei ja wohl klar.

Mit mir wollte der Mann erst gar nicht sprechen. Schade eigentlich.

Die Sache ging ihren Gang.

Kurz darauf gab’s darum noch einen ”Schlichtungsversuch”. Gesprächstermin bei einem der beiden Politiker. Nun wollte man auch mit mir reden. Eine Stunde Hin-und-Her-Geeiere. Und dann der letzte Coup: “Ich gebe Ihnen jetzt die gewünschte Auskunft, aber Sie versprechen mir, dass Sie sie nicht veröffentlichen.” So etwas Törichtes hätte ja nicht einmal unser Bundespräsident probiert.

Die Klage ist eingereicht. Demnächst ist Verhandlungstermin.

Der (all)tägliche Wulff.

Den probierte weiland auch ein inzwischen pensionierter Landrat aus dem Oberbayerischen, den meine Berichte und Kommentare mächtig ankotzten. Zwei Mal saß er beim Verleger im Büro, und beim Starkbier-Anstich auf dem Andechser Klosterberg ging er erneut auf Tuchfühlung zu meinem obersten Dienstherrn. Den nervte das, zumal klar war, dass die Recherchen stimmten, und die mitgereisten Bürgermeister-Kollegen des Landrats waren beschämt. Wulff regierte da übrigens noch in Hannover.

So ist das seit jeher zwischen (Lokal-)Politikern und (Lokal-)Journalisten. Und daran wird sich auch durch die jüngsten Diskussionen nichts ändern, obwohl auch Landräte und Bürgermeister auf die Verfassung – und damit auf die Pressefreiheit – vereidigt sind.

Warum soll sich auch was ändern? Das gehört zum Spiel. Journalisten können schreiben, was sie wollen – beklagen jedenfalls die Politiker. Und obwohl sie nicht gewählt sind, mischen sie sich in Dinge ein, die sie nichts angehen. Das kann man so sehen, aber nur wenn man das Grundgesetz nicht gelesen hat.

Journalisten sitzen am längeren Hebel, das glauben auch viele Menschen. Die machen Politik, die halten Nachrichten zurück, die kochen ihre eigene Suppe. Wie jetzt die Bild-Zeitung, die Wochen wartete, bis sie die Nachricht von der Mailbox-Botschaft des Bundespräsidenten durchsickern ließ und anschließend deren genaue Inhalte auch noch verbreitete.

Das aber unterscheidet die Bild-Zeitung von regionalen Blättern wie dem Kurier. Wir könnten uns so etwas nie leisten. Wir wüssten auch nicht, warum wir das tun sollten. Unser Regulativ sind unsere Kunden, die Leser. Und die verlangen Offenheit und Glaubwürdigkeit. Die würden uns Kampagnenjournalismus nicht verzeihen. Zu Recht…“

 (zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“)

Wenn Politiker drohen

Geschrieben am 5. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 5. Januar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Rollt eine Lawine von Entlarvungen auf uns zu?  Redaktionen drucken (endlich?), welche Politiker ihnen schon gedroht haben. Den Anfang macht jedenfalls Hans Hoffmeister,  Chefredakteur der „Thüringischen Landeszeitung“, in der heutigen Ausgabe mit einem „Schlüsselloch – extra“ (5. Januar 2012, Seite 3):

 

„Da denkt man glatt, das gibt’s doch nicht. Nicht bei uns in Thüringen!

Sie, verehrte Leser, glauben bestimmt, bei uns sei die Welt noch in Ordnung. Also so eine Nummer, dass ein Spitzenpolitiker den Chefredakteur anruft und bedroht, mit dieser speziellen Berichterstattung über ihn werde jetzt der sprichwörtliche Rubikon überschritten – doch, das gab’s. Auch bei uns.

Zum Beispiel Herr Kaiser. Der Regierungssprecher, den wir – nun ja – recht nett, doch etwas fahrlässig zu dessen 50. Geburtstag Bernhard Vogels besten Mann genannt hatten, gebärdete sich zwar selten, aber dann doch noch viel schlimmer als unser aller Bundespräsident.

Irgendetwas Schreckliches stand auf der Titelseite, und der Kaiser brüllte ins Telefon – so unartikuliert, dass man fast nichts verstand. Dann – man hatte gerade zum Zurückbrüllen angesetzt – brach seine Stimme ab. Die Heiserkeit hatte ihn übermannt, der Sprecher sprach nicht mehr. Er kriegte darauf gegen die entzündeten Mandeln eine vom eigenen runden Geburtstag übriggebliebene Flasche Château-neuf-du- Pape, um die es einem heute noch leidtut, per Kurier abgegeben mit guten Genesungswünschen bei der Wache in der Staatskanzlei. Ob er sie je wirklich gekriegt hat, hat er nie bestätigt. Der Kaiser dachte wohl, der Rotwein sei viel teurer als Geschenke, die solchen wie ihm erlaubt seien. Da war Wulff nicht so pingelig – er nahm einfach. Zum Beispiel das besondere Vorteilsdarlehen.

Dass so ein Spitzenpolitiker dann auch noch den Verlagsgeschäftsführer der Zeitung anruft, der ja mit dem Inhalt eben dieser Zeitung überhaupt nichts zu tun hat, gell?, um den Chefredakteur von der Seite unter Druck zu setzen, damit der also mal diesen Herrn so richtig unter vier Augen stramm stehen lässt, das gibt’s nicht, denken Sie?

Doch, gibt’s auch. Der große weise Bernhard Vogel machte sicher manches, aber d a s nie. Vermeintlicher Meister auf dem Gebiet bleibt unerreicht Kulturminister Christoph Matschie – in bleibender Erinnerung mit seinem Manöver wg. der TLZ-Aktion pro Seemann. Auch Wirtschaftsminister Matthias Machnig ist da nicht bange. Überhaupt – die Thüringer Obersozis sind gar nicht pingelig und baggern schon mal wie blöde.

Dass ein Spitzenpolitiker sodann auch noch den Oberchef des Chefredakteurs, also gaaaanz oben, anspricht, um den Druck ins Unermessliche zu steigern, das, denken Sie, gibt’s bestimmt nicht – nicht bei uns in Thüringen? Wieder Irrtum. Der frühere Vize-MP Gerd Schuchardt (auch SPD) brachte das fertig – steckte einen Stapel gesammelter unliebsamer TLZKommentare in einen Umschlag, schön ordentlich versehen mit einer Büroklammer, um sie nach Essen zu schicken. Der Chef der SPD-nahen Friedrich- Ebert-Stiftung in Erfurt, Werner Rechmann, hinderte ihn – und führte stattdessen ein Gespräch mit dem Chefredakteur im „Elephant“ in Weimar bei zwei groooßen Hennessy. Über Schuchardt wurde milde gelächelt, und eine Freundschaft entstand: Die TLZ hatte mit Rechmann fortan über Jahre einen Horchposten in der SPD.

Den größten Hammer leistete sich dann ein CDU-Spitzenmann. Nicht etwa Bernhard Vogel überschritt den Rubikon, sondern Dieter Althaus. Er verlangte gaaaanz oben die Ablösung des TLZ-Chefredakteurs – und holte sich eine Fahrkarte. Am Ende vergeigte Althaus trotz solch verzweifelter Manöver seine Wahl. Vorher ließ er noch schnell in der illustrierten Postille „Tolles Thüringen“ in Millionenauflage auf Seite 9 grau unterlegt verbreiten, der TLZ-Chefredakteur sei ja krank und werde gehen. Was ihm den Rest gab: Die tollen Leser fanden das nicht toll, sondern widerwärtig.

Die ein bisschen pharisäerhafte Einstellung „Gut, dass wir nicht sind wie diese da in Berlin“ ist also auf Thüringen nicht durchgängig anzuwenden.Übrigens: Entschuldigt hat sich hier zu Lande nie jemand der Herren für solche Übergriffe auf die freie Presse, anders als Wulff.

Weil das (fast) alles mittlerweile Historie ist, unterliegt es heute – lang ist’s her – nicht mehr einer gewissen Rücksicht, die wir uns gern auferlegt hatten.“

 

Moral und Journalismus

Geschrieben am 3. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 3. Januar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Studenten der Business-Universität in Harvard schwörten 2008 erstmals, als Manager loyal, fair, nachhaltig und integer zu handeln; das berichtet die „Welt“ in ihrer Weihnachtsausgabe. Der „MBA-Oath“ wird seitdem weltweit Studenten an über 300 Hochschulen angeboten; 6000 haben unterschrieben; in Deutschland hat nur die European Business School einen Kodex eingeführt.

Redakteure haben einen Vorsprung. Karl-Hermann Flach beginnt sein Buch „Macht und Elend der Presse“ (1968) – nach dem Zitat des Artikels 5 Grundgesetz – mit dem „Code of ethics for Journalism, Wisconsin 1925“; die internationale Journalisten-Förderation formulierte ihren Kodex 1954; der deutsche Pressekodex gilt seit 1973; große Verlage und die öffentlich-rechtlichen geben ihre eigenen Ethik-Regeln heraus.

So nahmen wir in die neue Ausgabe des Handbuchs 2012 im Service-Teil ein eigenes Kapitel auf: „Medien-Kodizes“ auf 24 Seiten (ab S. 354); darin zu finden sind die Europäische Charta für Pressefreiheit + Der (deutsche) Pressekodex mit allen Richtlinien + Medienkodex Netzwerk Recherche + WAZ-Mediengruppe-Verhaltenskodex + Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit für Axel-Springer-Verlag + Radio-Guidebook (Ethische Standards für die Radioarbeit)

Die umfangreichste Sammlung von Journalisten-Kodizes gibt das Netzwerk-Recherche heraus (nr-Werkstatt 15)

Seiten:«12345678

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