Vom Granteln und Pranteln und enttäuschter Recherche
Wer die Bayerische Akademie der Schönen Künste um Auskunft bittet, kann als Journalist diese Antwort bekommen: Wir sind „enttäuscht“ von Ihrer Recherche!
Das widerfuhr jedenfalls Jan Wiele von der FAZ, als er fragte: Stimmt es, dass Sie Anita Albus zu einer Diskussion erst ein- dann ausgeladen haben? Es ging um Martin Mosebachs Thesen zur Blasphemie. Mosebach soll sich laut Wiele geweigert haben, mit Albus zu diskutieren, die eine andere Meinung zur Blasphemie vertritt.
Erstaunlich ist erstens: Warum berichtet Wiele in seinem Bericht erst nach hundert Zeilen, dass die Bayerische Akademie mit dieser erstaunlichen Begründung („enttäuscht“) die Recherche abblockt?
Zweitens: Warum recherchierte Wiele, zumindest erkennbar, nicht weiter? Er schreibt lediglich: „Ist dort schon journalistisches Nachfragen verboten?“
Drittens: Warum fragte keiner in der öffentlichen Debatte nach der Ausladung? Immerhin war Heribert Prantl dabei, der sonst keiner Frage aus dem Weg geht.
Prantl erfährt übrigens in dem Bericht eine große Ehre, die ihn in den Duden bringen könnte: Er wird in ein Verb verwandelt. Mosebach „grantelt“, Prantl „prantelt“.
In der Süddeutschen habe ich keinen Bericht über die Diskussion in München gefunden.
(FAZ, 26. Januar 2013)
(zu: Handbuch-Kapitel 17 Die eigene Recherche + Service H Lexikon journalistischer Fachausdrücke (pranteln)
Eiszeit der Bilder: Sibirische Polarpeitsche und russische Kältepeitsche
Wenn es eisig wird in Deutschland, blühen die Sprachbilder, die an den Kalten Krieg erinnern. Die Süddeutsche zählt im Streiflicht die „rhetorischen Schneekanonen“ auf: „Russische Kältepeitsche“ und „Sibirische Polarpeitsche“, ergänzt durch das amerikanische „Snowmageddon“ oder „Snowpocalypse“ oder „Snowzilla“.
Der sprachlichen Gewaltspirale müssten Grenzen gesetzt werden (was für ein Bild!):
Die Herstellung, Lagerung und Verwendung martialischer Wintermetaphern muss international geächtet werden. Denn Tauwetter ist nicht in Sicht.
SZ, 25. Januar 2013
Kurt Kister belebt den „Schwachmaten“, in dessen Verein auch ein „Krawallo“ spielt
Die Brüder Grimm haben nicht nur Märchen gesammelt, sondern auch ein großes Wörterbuch der deutschen Sprache begonnen. Darin kommt der „schwachmaticus“ vor – als „Schwächling“.
Kurt Kister nennt die FDP in seinem Leitartikel vor der Niedersachsen-Wahl einen „Schwachmaten-Verein“. Kister ist Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, ein brillanter Kommentator, ein Journalist deutlicher Worte, der auch Volkes Sprache nutzt, selbst wenn sie derbe ist – nur klar muss sie sein.
Den „Schwachmaten“ haben wahrscheinlich Studenten in Helmstedt vor drei Jahrhunderten erfunden, ehemals eine bedeutende Universitätsstadt, östlich von Braunschweig gelegen. Wer durch die Literatur blättert, findet als Bedeutung nicht nur den Grimmschen „Schwächling“, sondern auch den Idioten, Feigen, Unfähigen oder in der milden, der scherzhaften Form den Zaghaften und Schüchternen. Zwischen Beleidigung und Scherz pendelt die Bedeutung mit deutlichem Drall zu Beleidigung.
Was wohl Kurt Kister meint? Was auch immer er meint: Gut meint er es nicht mit der FDP und ihren Politikern. Wir müssen nicht bei den Grimms nachschlagen, um zu verstehen, was er von dem FDP-Politiker Dirk Niebel hält, den er einen „Gelegenheits-Chaoten“ nennt, oder von Wolfgang Kubicki, den „Krawallo“.
Der „Krawallo“, das Gegenteil des schwächlichen Schwachmaten, ist allerdings ein Liebling des Fernsehens. Im vergangenen Jahr war Kubicki der am häufigsten Eingeladene in den großen Talkshows – vor Ursula von der Leyen, vom Spiegel zur „Quasselkönigin“ gekrönt; Sarah Wagenknecht, die erfolgreichste Ostdeutsche, folgt knapp hinter der Ministerin und darf in diesem Jahr auf den Titel hoffen.
Quelle Kister: SZ vom 19. Januar 2013
Kolumne „Friedhof der Wörter“ geplant für Thüringer Allgemeine 21. Januar 2013
Das erfolgreichste Wort mit 23 Buchstaben
Es gibt auch lange Wörter, die erfolgreich sind. Das wohl erfolgreichste mit 23 Buchstaben, zusammengesetzt aus vier Hauptwörtern:
Weltpokalsiegerbesieger
Das Wort entstand, als im Februar 2002 der FC St. Pauli Bayern München besiegte – kurz nach dem Weltpokal-Erfolg der Bayern. Das T-Shirt mit dem Aufdruck verkaufte sich mehr als 120.000 Mal; St. Pauli stieg trotzdem ab.
Quelle: Die Welt vom 12. Januar 2013
(zu: Handbuch-Kapitel 11 Verständliche Wörter)
Schon Gregor Gysi war vor 18 Jahren gegen den „Ehrensold“ (Friedhof der Wörter)
„Ehrensold“ wählten die Leser der Thüringer Allgemeine zum Unwort des Jahres. Aber wie bei den meisten Wörtern, die zum Unwort werden, meinen die Leute die Sache – oder einen Menschen, den sie verachten – und weniger das Wort.
- Was spricht gegen den „Ehrensold“ für rund fünfhundert Künstler in Not, denen unser Staat jährlich rund drei Millionen Euro schenkt?
- Wer gönnt ehrenamtlichen bayrischen Bürgermeistern nicht die siebenhundert Euro, die sie nach ihrem Ausscheiden als „Ehrensold“ erhalten?
- Wer schüttelt den Kopf über Mozart, der als „kuk-Kammerkompositeur“ einen „Ehrensold“ bekam?
Christian Wulff dagegen wollen viele ehrbare Bürger den Ehrensold verweigern, weil er als Bundespräsident weder vorbildlich war noch vertrauenswürdig. Zwar gab es auch andere, die in der Kritik „etwas Hämisches, geradezu Rachsüchtiges“ entdeckten, doch sie blieben eine Minderheit.
Erstmals kam der „Ehrensold“ vor achtzehn Jahren in Verruf durch Gregor Gysi und Bundestagsabgeordnete der PDS. Auch sie meinten einen Menschen, dem sie den „Ehrensold“ wegnehmen wollten: Der Dichter Ernst Jünger diente, so ihre Begründung, schon vor der Nazi-Diktatur einer „faschistischen Ideologie“ und habe 2000 D-Mark im Jahr nicht verdient.
Der Ehrensold für Christian Wulff erledigte sich übrigens nicht mit seinem Ableben. Seiner Witwe, so es eine gäbe, stünden bis zu ihrem Lebensende rund 120.000 Euro zu.
Ob das Bettina Wulff weiß?
„Ehrensold“ ist Thüringer Unwort des Jahres
„Ehrensold“ ist für die Leser der Thüringer Allgemeine das Unwort des Jahres. Das von Christian Wulff in Verruf gebrachte Wort lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit „Schleckerfrauen“.
Auf den Plätzen drei bis fünf folgen „Nazi-Trio“, „Gehbahn“ und „Mobilitätseingeschränkt“. Die TA-Leser brachten auch eigene Vorschläge wie „Vertafelung“, „Feldrandhygiene“ oder „Patientendisziplin“.
Die FAZ-Leser wählten Anfang Januar mit weitem Abstand „Migrationshintergrund“ zum Unwort des Jahres vor „Work-Life-Balance“, „Burnout“, „Powerfrau“ sowie abgeschlagen „Studentenberg“ und „Zickenkrieg“.
Professor Nina Janich, Sprecherin der großen „Unwort“-Jury“, sagte der TA: Ehrensold ist auch bei den bundesweit eingegangenen 2232 Vorschlägen unter den fünf am häufigsten genannten. Am Dienstag gibt die Jury ihre Entscheidung bekannt.
(zu: Handbuch-Kapitel 56 Service und Aktionen + 11 Verständliche Wörter)
Migrationshintergrund ist auch Thema in der Kolumne „Friedhof der Wörter: http://www.journalismus-handbuch.de/faz-leser-wahlen-unwort-des-jahres-migrationshintergrund-friedhof-der-worter-2657.html
Die „Süddeutsche“ verarscht
Wieviel Umgangssprache verträgt die Zeitung? Die Süddeutsche wird großzügiger. Nico Fried schreibt im Silvester-Leitartikel:
Gleichwohl fühlen sich auch hierzulande viele Bürger schnell und oft von der Politik verarscht.
Damit die Leser merken, dass „verarschen“ kein Ausrutscher war, schreibt Fried wenige Zeiten weiter über das Vertrauen in Politiker:
Oder auch beim Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zumindest bis herauskam, dass der die Leute schon verarscht hatte, bevor er ein richtiger Politiker geworden war.
Fordern die Leser einer seriösen Zeitung die Umgangssprache, ja Gossensprache? Wer sich in Leserkonferenzen setzt, hört das Gegenteil: Die Sprache ist für viele ein Maßstab für Seriosität; Umgangssprache gilt als Beleg für den Boulevard.
Es kommen schon Leserproteste, wenn ein Redakteur „klaut“ in die Überschrift schreibt statt „stiehlt“ – weil es besser passt. Es ist nutzlose Anbiederung, wenn wir schreiben, wie die Leute sprechen (aber nicht schreiben!).
Wir müssen den Leuten aufs Maul schauen, um zu erfahren, über was sie sprechen und sprechen wollen. Aber wir müssen nicht so derb reden, wie die Leute gerne reden – weil Vertrauen nichts mit „verarschen“ gemein hat.
(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen)
Facebook-Reaktion von Alexander Marinos (Generalanzeiger, Bonn) am 1. Januar 2013:
Naja, es ist gewissermaßen ein indirektes Zitat. Er benutzt die Sprache Peter Strucks. Da die Anführungszeichen wegfallen, fehlt allerdings das unmittelbare Distanzierungssignal. Das ist grenzwertig.
Paul-Josef Raue: Ich kenne die indirekte Rede. Aber ein indirektes Zitat? Mir ist jedenfalls nicht klar geworden, dass der Kommentator zitiert. Und warum zitiert er ausgerechnet „verarschen“?
Alexander Marinos
Er zitiert zu Beginn des Kommentars Struck wörtlich und greift das hier in direkter Rede zitierte böse Wort später wieder auf. Ich verstehe das so, dass er sich einen zunächst fremden Duktus später zu eigen macht, weil ihm die unverblümte Art Strucks zu reden offenbar gefällt. Ihnen gefällt das nicht, mir auch nicht – da sind wir einer Meinung.
Mehr Synonyme: Hopfenkaltschale und Beziehungsüberhang
Synonyme sind nicht nur Verzweiflungs-Wörter für Journalisten, die nicht zweimal dasselbe Wort nutzen wollen. Sie sind auch Spaß-Wörter, ironische Wendungen – wie die „Hopfenkaltschale“, am Sonntag im Münchner Tatort zu hören (30.12.2012),
Das Wort steht für „ein schönes kühles Glas Bier“, schreibt das Spaßwörter-Lexikon „Sprachnudel.de“, eine der nervigsten Pop-Up-Seiten, „die wo einem beim Lesen das Messer in der Hose aufgeht“ (Selbstbeschreibung). Die Hopfenkaltschale scheint nicht so scharf zu sein: Nur Platz 666 der Topliste.
Mehr Verzweiflung als Spaß ist „Beziehungsüberhang“, ein Wort, geprägt von Olaf Glaeseckers Anwalt Guido Frings. Gemeint ist schlicht „Freundschaft“, eine besonders private Freundschaft, also kein Netzwerk als „Geben-und-Nehmen“-Kontrakt mit nachfolgender Abhängigkeit.
Glaesecker war Wulffs Pressesprecher, erst in Hannover, dann im Berliner Schloss Bellevue.
(Quelle: SZ 29.12.2012)
Wortschöpfer: Löffelfertig, ticktacken und mähmähen
Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung, hörte ein neues Wort und twitterte:
Wie heißt das Pendant zu „Schlüsselfertig“ bei Hotel-Projekten? „Löffelfertig„. (In Gespräch mit Makler gelernt)
Das Wort hatte ich auch noch nicht gehört, scheint bei Hauskäufern- und verkäufern geläufig zu sein: 27.000 Einträge bei Google.
Dirk Koch hat in „Murt“, seinem fulminanten Erzähl-Buch aus Irland, lautmalend zwei Verben erfunden:
- „ticktacken“ hat gerade mal 1600 Fundstellen, kommt wohl im Plattdeutschen vor;
- „mähmähen“ hat gerade mal eine Handvoll Google-Einträge, die zu entlegenen Stellen führen.
Die rauhen langen Nächte (Friedhof der Wörter)
Als sich der Kalender noch nach dem Mond richtete, waren die Tage nach Weihnachten eine ruhige Zeit: Die Frauen wuschen keine Wäsche, die Männer taten nur das Notwendigste, und die Kinder durften nach Sonnenuntergang nicht mehr das Haus verlassen.
Die Familie saß zusammen, oft mit den Nachbarn. Doch die reine Idylle war dies nicht. Irgendeiner begann, wenn es draußen dunkelte, von Werwölfen zu erzählen, von Vampiren und von Jungfrauen, die nicht nur den Bräutigam, sondern auch den Tod sahen.
Ein anderer hatte die Tiere sprechen gehört. Wieder ein anderer erzählte, er wisse von einem, der die Tiere verstand – und prompt verstorben sei. „Rauhnächte“ nannten unsere Altvorderen die Zeit zwischen Winteranfang, also dem kürzesten Tag des Jahres, und dem Fest der drei Könige, wenn die Tage wieder länger werden.
Was „rauh“ sei in diesen Nächten, haben Sprachhistoriker nicht geklärt. Es könnte von der „Reue“ stammen. Die Tage zwischen den Jahren sind eine gute Zeit der Erinnerung: Man kann das Böse bereuen und das Gute in die Zukunft verlängern.
So sollten wir die Rauhnächte auferstehen lassen, bevor wir gute Vorsätze in der Neujahrsnacht fassen und das Gute tun – oder lassen, bevor die Drei Könige wieder Licht ins Dunkel bringen.
Thüringer Allgemeine, Silvesterausgabe 2012, Friedhof der Wörter
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