Ein Journalist recherchiert – mit Gefühl und Distanz
Was ist ein guter Journalist? Die Definition der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev für ihren Beruf ist auf Journalisten übertragbar:
Einerseits mit jeder Regung des eigenen Inneren mit den Ereignissen verbunden zu sein und andererseits sie mit Abstand zu betrachten.
In ihrer Dankrede zum Welt-Literaturpreis erzählt sie von ihrer Zeit in der israelischen Armee, als sie Soldaten bei ihren Problemen helfen sollte. Oft brach sie vor Kummer und Mitleid in Tränen aus, so dass die Soldaten sie beruhigen mussten.
Ich gab mir das Versprechen ab, ab jetzt nur noch literarische Figuren zu behandeln, keine Menschen aus Fleisch und Blut. Auch das war natürlich nicht leicht, aber die Verantwortung war weniger groß.
(Quelle: Die Welt 10.11.2012)
Politiker werden gewählt, um in Talkshows aufzutreten (Zitat der Woche)
Staatsrechtler sind der Ansicht, dass in unserer Demokratie die Abgeordneten ausschließlich gewählt worden seien, um Reden zu halten, in Talkshows aufzutreten und Lobbyarbeit zu leisten. Wenn sie nebenher noch im Bundestag auftreten wollten, dürfe das auf keinen Fall zu Lasten ihrer Haupttätigkeit gehen. Das würde den Verrat aller demokratischen Ideale bedeuten.
(Zippert in der Welt vom 30. Oktober 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)
Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre
Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.
Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.
Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.
Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:
1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?
2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“
Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.
Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).
Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.
Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.
3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?
Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?
Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?
Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.
Die Chronik der Brand-Eins-Affäre
Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.
27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind
BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.
Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“
28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“
„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat
Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:
„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.
Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.
Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.
brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.
2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:
Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.
Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.
Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.
4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:
Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“
Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.
(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)
LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php
Shitstorm statt Ärger an der Theke (Zitat der Woche)
Wenn jemand auf dem Egotrip ist, gerät er schneller in einen Shitstorm. Früher hätte er nur Ärger an der Kneipentheke bekommen.
(Thomas Zorbach von der Agentur vm-people in Welt Kompakt vom 1. Oktober 2012)
Wie viel Meinung verträgt eine Schlagzeile?
Regierung redet sich die EZB-Politik schön
Eine Schlagzeile wie ein Hammerschlag: Die Welt vom Samstag (8.9.2012)
Nach der reinen Lehre gehört in die Aufmacher-Überschrift eine Nachricht, aber keine Meinung (die gehört in die Überschrift des Kommentars). Wir dulden allenfalls noch schöne, feuilletonistische Überschriften, die wenig sagen, aber auch keinem weh tun; die meisten Leser mögen sie nicht: sie wollen wissen, worum es in einem Artikel geht.
Ist eine analytische Überschrift möglich? Ja, sie ist bei komplizierten Themen sogar lobenswert. Ob die Welt-Schlagzeile noch als Analyse durchgehen kann? Wohl kaum.
„Regierung lobt sich für ihre EZB-Politik“, wäre fast so schön, aber von der Nachricht gedeckt und nur mit ein wenig Analyse garniert.
(zu: Handbuch-Kapitel 44 Die Überschrift + 37 Der Kommentar)
„iDarwinismus“
Schießerei auf der Straße. Reaktion der Passanten 1992: Deckung suchen. 2012: Handy zücken und filmen. Man nennt es auch iDarwinismus.
Tweet des Tages in Welt Kompakt (9.8.2012), geschrieben von „Privatsprache“
(zu: Handbuch-Kapitel 5 Der Online-Journalismus + 56 und Aktionen + Anhang-Service H Lexikon journalistischer Fachausdrücke)
Reisejournalismus, PR und Leitlinien
Auch Mitarbeiter des Springer-Verlags nehmen Einladungen von Veranstaltern an und schreiben über die Reise. Doch sie teilen es vorbildlich ihren Lesern mit:
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Studiosus Reisen. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axel-springer.de/unabhaengigkeit
Ähnlich ist der Hinweis auf den Auto-Seiten, etwa „Die Reise zur Präsentation des B-Max wurde unterstützt von Ford“ oder „Die Reise nach Pebble Beach wurde unterstützt von Mercedes und Bugatti“.
Statt des unsäglichen Worts „Standards“ heißt es auf der Webseite: „Leitlinien“.
Quelle: Welt vom 25. August 2012 „Noch einmal Albanien“ / „Freiheit für Hinterbänkler“ / „Oldtimer als Wertanlage“
(zu: Handbuch-Kapitel 51-52 Pressesprecher und PR + 48-49 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodices)
Beischlaf auf einem einzelnen Bett (Zitat der Woche)
Ist der Urlaub weniger wert, wenn statt eines Doppelbetts zwei Einzelbetten im Hotelzimmer stehen? Funktioniert dann die Liebe nicht mehr auf Menorca?
Diese Klage hat ein Richter in Mönchengladbach verworfen mit einem sprachlichen Kunstwerk, auch wenn ein Satz aus 27 Wörtern besteht, gerade mal zwei Verben anbietet (bekannt sein / ausüben), die einem romantischen Absturz gleichkommen. Der Welt sei dank, dass dieser Satz der deutschen Rechtspflege nicht verborgen bleibt, zumal der Richter vehement dem Verdacht entgegentritt, das in deutschen Gerichten Gefühle und eigene Erfahrungen keine Rolle spielen:
Dem Gericht sind mehrere allgemein bekannte, übliche Variationen der Ausübung des Beischlafs bekannt, die auf einem einzelnen Bett ausgeübt werden können, und zwar zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
(Welt, 25. August 2012, Reise)
Der schmale Grat zwischen PR und Journalismus
„Dieses Gerät verändert die Kultur des Kaffeetrinkens“ und „das köstlich duftende Pulver“ und die Überschrift „Perfekte Kaffee“ – PR oder journalistische Information?
Auf der Wissenschaftsseite (!) der Welt von Samstag (11. August 2012) ist die Kaffeemaschine zu sehen inklusive eines Lobpreises – im redaktionellen Teil, Rubrik „Was gibt’s Neues“.
Dank an Thomas Mrazek und seinen Kommentar:
Vielleicht ist es für die Leser hilfreich, den entsprechenden „Artikel“ auf der Website der „Welt“ zu sehen; als Service gibt es dort noch einen Link auf die Seite des Kaffee-Startups aus Berlin: http://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article108573726/Besonderer-Genuss.html
Ich kommentiere das nicht weiter, es spricht m. E. für sich.
(zu: Handbuch-Kapitel 20 Waschzettel und Verlautbarungen + Service B Pressekodex, Richtlinie 7.2 „Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten.“)
Neun Finger im Feuer
Neue Bilder braucht der Redakteur. Aber auch Funktionäre haben Phantasie. Auf die Klischee-Frage, ob er für die Sauberkeit der deutschen Olympioniken die Hand ins Feuer lege, antwortete Ex-NOK -Chef Walther Tröger:
Ich lege neun Finger ins Feuer.
Ursula März über eine Frau, die in einer Internet-Börse einen Mann kennengelernt hatte:
Seine reale Erscheinung hatte mit seiner Selbstbeschreibung im Internet so viel zu tun wie der begrünte Mittelstreifen einer Autobahn mit den Gartenanlagen von Schloss Sanssouci.
(Quellen: Welt 28. Juli 2012 / Die Zeit 31/2012)
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