Warum so viel Schumacher? Oder: Wann ist eine Nachricht wichtig?
Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke reagiert auf die Beschwerden und das Unverständnis, warum die seriöse Nachrichtensendung Michael Schumacher tagelang als Top-Thema gebracht hat und tagelang als Aufmacher. Er nennt im Tageschau-Blog die Nachrichten-Faktoren, die für die Redaktion entscheidend waren – und seinen „journalistischen Kompass“:
1. Popularität:
Es war mehr als einer von vielen hundert Skiunfällen: „Wenn zwei Menschen das gleiche tun, ist es nicht das gleiche – dieser Satz gilt auch bei Nachrichten. Millionen von Menschen nehmen Anteil an seinem Schicksal und möchten wissen, wie es ihm geht… Er gehört in eine Kategorie populärer Persönlichkeiten, die eine umfangreiche Berichterstattung rechtfertigt, ohne dass wir damit Tagesschau-Grundsätze aufgeben“
2. Nachrichtenarme Zeit:
„In diesen eher nachrichtenschwachen Tagen würden wir unsere Sendungen krampfhaft mit sogenannten B-Themen füllen.“
3. Keine Mutmaßungen, keine Gerüchte:
„Zu einer gewissenhaften und verantwortungsbewussten Berichterstattung gehört auch die Präsenz vor Ort… Dabei haben wir peinlich genau darauf geachtet, dass wir uns aus Mutmaßungen, Spekulationen, vor allem aber aus Gerüchten und Dramatisierungen heraushalten.“
4. Nur Neuigkeiten, keine Themen-Kampagne
„Wenn wenn die Tagesschau keine Meldung macht, ahnen die Leute wohl, dass es nichts Neues gibt. Wir greifen das Thema also wieder auf, wenn es eine neue Information gibt.“
KOMMENTARE auf Facebook (5. Januar 2014)
Martin K. Burghartz
Wann ist eine Nachricht wichtig? Wenn es genug PR-Agenturen mit Millionenetats gelungen ist, die wenigen Nachrichtenagenturen derart gleichmäßig mit Informationen zu impfen, dass (deutsche) Journalisten das für die Wahrheit halten und darüber berichten und das Geschehen kommentieren. Beispiele sind die Berichterstattung über USA, Syrien, Iran, Israel,… Staatsräson? Dummheit? Zeitnot? Diese Diskussion vermisse ich im „Handbuch“, die Berichterstattung der Tagesschau über Schumacher ist da eher eine Randnotiz…
Paul-Josef Raue
Das ist mir zu viel Weltverschwörung. Welche PR-Agentur hat Snowden engagiert? Warum sterben Reporter in Syrien und Afghanistan? Warum kann jeder Journalist ungehindert nach Israel reisen und auch ins Westjordanland, nach Ramallah?
In der Tat sind PR-Agenturen ein großes Problem, davon handelt im „Handbuch“ auch das Kapitel 20 „Waschzettel und Verlautbarungen“, das in der nächsten Auflage noch schärfer formuliert werden muss – weil gerade im Netz, in den Blogs und Internet-Zeitungen die Trennung von PR und Redaktion noch weniger beachtet wird, ja die Nichtachtung bisweilen die geschäftliche Grundlage ist.
Zudem gibt es im „Handbuch“ ein eigenes PR-Kapitel mit einem Zitat von Klaus Kocks: „Wir sind der Parasit einer freien Presse, wir haben kein Interesse daran, dass das Wirtstier derart schwächelt.“
Und wie beginnt das „Handbuch“? Mit Kapiteln über den guten Journalisten, der Rückgrat haben soll, um den „vielfältigen Versuchungen und Pressionen zu widerstehen, die auf ihn eindringen“ usw.
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Der unverständlichste Germanisten-Satz des Jahres – und ein Toast auf Hermann Unterstöger und sein Sprachlabor
Das Schönste am Samstagmorgen ist die Lektüre des „Sprachlabors“ von Hermann Unterstöger in der Süddeutschen. Über die Feiertage haben offenbar auch seine Leser keine Lust, Fehler in der Zeitung zu suchen, zu kritisieren und überhaupt so zu kritteln, dass sich ein Preuße graust (vielleicht gab es auch keine Fehler, weil der Genuss von Zimtsternen und Neujahrs-Champagner die journalistischen Sprachsinne schärft).
So bedient sich Unterstöger im ersten Labor des Jahres eines Leser-Klassikers der Sprachkritik: Die Stundenkilometer. Die standen „kürzlich“ in der SZ – übrigens auch ein Klassiker: „Kürzlich“ mögen vor allem Lokalredakteure, wenn sie einen Termin verpennt haben oder der Praktikant erst nach zwei Wochen zum Schreiben der Konzertkritik kommt – und die Nachrichten-Regel, stets das „Wann“ präzise anzugeben, als peinlich empfunden wird.
Also – die Stundenkilometer. Die Sprache sei, so Unterstöger treffend, nicht immer logisch; sie müsse „allem Prägnanten, Treffenden und Knappen gegenüber offen sein“ – so zitiert er die „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Da er offenbar unentwegt in einem der vielen Sprachbücher liest (was nur selten ein Vergnügen ist), fand er in Eichingers „Deutsche Wortbildung“ einen schönen Beleg für „die Vielzahl von Relationen zwischen den Bestandteilen“ eines Worts: Tagwerk ist ja auch nicht Tag mal Werk, sondern: Das im Lauf eines Tages zu leistende Werk.
Herrn Unterstöger empfohlen seien zum Thema „Das Vergnügen, Bücher von Sprachwissenschaftlern zu lesen“ drei Sätze von Professor Peter Eisenberg aus dem Buch „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bilden die Anglizismen so etwas wie einen Worthaufen mit wenig Struktur. Strukturiertheit liegt insofern vor, als die Stärke der Wortarten bei den entlehnten Wörtern der Entlehnbarkeitshierarchie entspricht und als das Deutsche unmittelbar seine Kompositionsfreudigkeit auf die entlehnten Einheiten überträgt. Schließlich auch insofern, als bei den morphologisch einfachen Wörtern einige phonologisch und graphematisch wirksame Integrationsmechanismen greifen, die sich flexionsmorphologisch auswirken.
Ist das eine korrekte Überschrift: „Türke trainiert Hannover“?
Eine Leserin ruft an und beschwert sich über die Wortwahl in der Überschrift auf der Sport-Seite: „Türke trainiert Hannover“.
In seiner Samstag-Kolumne antwortet der TA-Chefredakteur:
Warum stört uns das Wort „Türke“? Stünde da „Österreicher“ oder „Schweizer“ protestierte keiner. Aber – der „Türke“ sorgt bei vielen für ein mulmiges Gefühl.
Dabei ist die Überschrift sachlich in Ordnung: Seit über dreißig Jahren ist es das erste Mal, dass ein türkischer Trainer eine Bundesliga-Mannschaft übernimmt. Das ist eine Überschrift wert.
Doch bei Wörtern schwingt bisweilen eine Bedeutung mit, die mit dem ursprünglichen Wort nichts gemein hat. Diesen Unterton meinen Sie, wenn sie „Türke“ lesen ohne jeden Zusatz wie etwa „türkischer Trainer“. Sie vermuten, dass Vorurteile bedient werden – wie sie beispielsweise Neonazis schüren und Fremdenfeinde und Verächter des Islam.
Ist das der Fall, sollten wir in der Wortwahl bedächtiger sein, aber gleichwohl die Frage stellen: Dürfen die Feinde der Demokratie unschuldige Wörter aus unserer Sprache vertreiben?
Thüringer Allgemeine, 4. Januar 2014
Der neue Paparazzi-Trick an Schumachers Krankenbett: Die letzte Ölung
Die Jagd nach Fotos und Informationen aus verbotenen Zonen ist ebenso wenig neu wie der Abscheu, der stets geäußert wird, wenn es herauskommt. Der neueste Fall: Die letzte Ölung als Paparazzi-Trick. Ein Journalist hat sich als Priester verkleidet, um den todkranken Michael Schumacher zu sehen – allerdings ohne Erfolg.
Sabine Kehm, Schumachers Managerin, sagte: „In meinen Augen ist das abscheulich.“
Was der falsche Priester da nur wollte? Sprechen kann Schumacher nicht; auf der Intensivstation sehen alle Patienten gleich aus, so dass ein Foto wenig bringt. Allerdings gäbe es einige auf dem Boulevard, die nach dem Ski-Unfall trotzdem viel Geld für ein Schumacher-Foto zahlten.
Beim Boulevard erzählt man gerne mit Bewunderung die Erfolge eines Reporters, der zwar nicht schreiben konnte, aber an jede Information aus den Krankenhäusern herankam: Er schmeichelte den Krankenschwestern und gab bisweilen alles. Auf die Idee mit dem Priester war er nicht gekommen.
Das schönste Weihnachtslied – ohne Synonyme, ohne Wechsel im Ausdruck (Friedhof der Wörter)
Wenn der Redakteur in seinem Aufmacher zum zweiten Mal „Zoo“ schreiben muss, sucht er den Wechsel im Ausdruck, wie er’s in der Schule gelernt hat: „Tiergärtnerischer Bereich“. Nutzt er den „Tiergärtnerischer Bereich“ sogar in der Überschrift, vertreibt er viele Leser – die einen Aufmacher über den Zoo lesen würden, aber kein Interesse an einem „tiergärtnerischen Bereich“ haben.
Aber der Zoodirektor hat es genau so im Interview gesagt, wirft die Redakteurin ein. Dann sollten wir den Zoodirektor davon überzeugen, dass der „Bereich“ im Zoodirektoren-Bereich üblich sei, aber Leser verärgere.
Besteht er darauf, packen wir diese Interview-Passage ans Ende und nehmen sie auf keinen Fall in die Überscrhift.
Dass die Wortwiederholung jedem Synonym überlegen, zeigt das schönste Adventslied: „Maria durch ein Dornwald ging“:
Was trug Maria unter ihrem Herzen?
Kyrie eleison.
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen,
das trug Maria unter ihrem Herzen.
Jesus und Maria.Da haben die Dornen Rosen getragen,
Kyrie eleison.
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben die Dornen Rosen getragen.
Jesus und Maria.
Also: Zweimal „Herzen“, zweimal „Dornen“, zweimal „Rosen“, zweimal „Kindlein“, zweimal „Jesus“, dreimal „Maria“, viermal „trug“ oder „getragen“. Und das Lied ist schön, nicht sentimental – und von einer Kraft der Bilder, die selbst in Weihnachtsliedern ungewöhnlich ist..
Wenn der Mensch Gott spielt – Der Weihnachts-Leitartikel über Maria, Mark Zuckerberg und den Himmel
Heute brauchen wir keinen Engel mehr, der mit einem Gruß von Gott kommt und Maria vorhersagt: „Du wirst schwanger werden!“ Heute schickte Mark Zuckerberg eine Mail:
Hallo Maria, Glückwunsch von unseren Computern! Sie haben herausgefunden: Du bist schwanger und bekommst einen gesunden Jungen. Wir empfehlen Dir für die nächsten Monate das vielfach erprobte ,Engel-Vitamin‘ mit all den Komponenten, die Dich und Dein Kind glücklich machen. Die Probepackung gibt es zum Sonderpreis…
Wer ist dieser moderne Engel, dieser Mark Zuckerberg? Er hat Facebook gegründet, in dem gut eine Milliarde Menschen unentwegt von sich erzählen – von der neuen Frisur, vom netten Seitensprung oder der Krankheit des Großvaters. All das weiß auch Mark Zuckerberg.
Die besten seiner fünftausend Mitarbeiter sind gerade dabei, ein modernes Orakel zu programmieren – etwa zur Vorhersage einer Schwangerschaft. Wenn sich eine Frau plötzlich Zink-Tabletten kauft und Cremes ohne Parfüm, dann ist sie wahrscheinlich schwanger – auch wenn sie es selber noch nicht weiß.
Woher weiß es Mark Zuckerberg? Wir schreiben es ihm. All die harmlosen Nachrichten auf Facebook ergeben am Ende ein genaues Bild: Wie wir leben, wie wir denken, wie wir planen. Schließt sich Mark Zuckerberg zusammen mit den anderen, die unsere Daten sammeln, dann kennt er die Seelen der Welt: Was kaufen wir ein? Was suchen wir in den Internet-Lexika? Was steht auf unserer Gesundheits-Karte? In unserer Steuererklärung?
Es ist Weihnachten, der Tag, an dem wir uns erinnern: Gott macht sich zum Menschen. Sprechen wir also von Gott.
Er ist tot, sagte Nietzsche. Wir brauchen ihn nicht, sagte Stalin. Ich bin Gott, könnte Mark Zuckerberg sagen. Denn alles, was je über Gott gesagt wurde, trifft auf ihn und seine Großrechner zu: Allwissend, unendlich – also die Welt umfassend -, ewig, da sein Wissen gespeichert wird bis ans Ende der Tage und darüber hinaus.
Der Mensch spielt Gott. Ist das eine frohe Botschaft? Singen die Drohnen, mit denen Zuckerberg über unseren Seelen schwebt, vom Frieden auf Erden? Entdecken seine Algorithmen die Erlösung? Stillen seine Orakel die Sehnsucht nach Glück?
Zu Weihnachten öffnet sich der Himmel – nicht nur für die Gläubigen, die kein Monopol auf den Himmel haben, sondern vor allem für die Zweifler, die Wahrheits-Sucher, Nörgler und Ewig-Unzufriedenen. Da die Kirche ihr Monopol auf die Deutung der Welt abgeben musste und kein Nachfolger in Sicht ist, schaut jeder in einen anderen Himmel und fragt sich – so er noch fragt: Wo sind meine Grenzen? Wo sind unsere Grenzen? Was ist jenseits davon?
Wer nicht mehr nach oben schaut und nur noch auf seinen Computer-Schirm, der sieht dort die virtuellen Sterne, die ihn einladen, „Gefällt mir“ zu klicken – in einer falschen Welt.
* Ungekürzte Fassung des Weihnachtseditorials der Thüringer Allgemeine, 24. Dezember 2013
Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause
Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro
In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:
In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?
Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.
Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?
Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?
Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?
Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.
Und hat es geholfen?
Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.
Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?
Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.
„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?
Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.
„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?
Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.
Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?
Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.
Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?
Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.
Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?
Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.
Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?
Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.
Also doch nicht alles Fiktion?
Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.
Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?
Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.
Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.
Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)
Schwarzer Humor zu Weihnachten (Friedhof der Wörter)
Die meisten Leser mögen keine Anglizismen, also weder das Highlight noch das Venture Capital noch den Service Point. Auch Engländer, nur selten des Deutschen kundig, können sich zu Tode erschrecken, wenn sie über ein deutsches Wort stolpern – wie beispielsweise über „Dienstag“.
Das königliche Krankenhaus in der englischen Stadt Sheffield hat offenbar eine sparsame Geschäftsführung: Sie kaufte für die Patientenzimmer Digitaluhren aus Deutschland. Der Dienstag wird darauf DIE abgekürzt – was im Englischen für „to die“ steht, also: sterben.
Ein Patient schaute an einem Dienstag auf die Uhr, erschrak buchstäblich zu Tode, fühlte seine letzte Stunde gekommen und rief gottlob nicht sofort nach einem Priester, sondern zuerst nach seinen Ärzten. Dabei hatte der Kranke nur Rheuma, das zwar schmerzhaft ist, aber nicht zum Tode führt.
Dem Patienten konnten seine Ärzte sofort helfen. Sie stellten einfach die Anzeige der Uhr auf die englische Sprache ein.
In der Weihnachtsausgabe des britischen Ärzte-Journals erzählt die Redaktion die kuriosesten Ärzte-Geschichten des Jahres – mit der „Zunge in der Backe“. Diese englische Redensart ist eine treffende Umschreibung für schwarzen Humor – und für Ironie, die neun von zehn Deutsche nicht verstehen; deshalb sollten Journalisten die Ironie meiden wie der Teufel den Beichtstuhl, vor allem an Weihnachten, wenn selbst ironie-begabte Menschen vor lauter Besinnlichkeit keinen Spaß mehr verstehen, auch nicht in dieser Friedhofs-Kolumne.
Thüringer Allgemeine, 23. Dezember 2013, Kolumne „Friedhof der Wörter“
Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?
„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.
Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.
Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.
Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?
Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.
Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.
Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.
Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch
Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?
Meistgeklickt: Nordkorea, Bildzeitung und Besinnlichkeit (2. Dezemberwoche)
Der Blog über die wundersame SZ-Reportage zu Marcel Reifs Reise nach Nordkorea steht an der Spitze: Überall wird gescannt und durchleuchtet – bis auf einen, einen allerletzten Ort: Nordkorea. Marcel Reif war dort.
Platz 2 ist die Erklärung der Bildzeitung, in der Großen Koalition zur APO zu werden. Der Begriff APO weckt Erinnerungen an Springer und die Achtundsechziger.
Gleich zweimal war das nahende Weihnachten gefragt: Wolf Schneiders „Weihnachtsprosa: Wortschleim und Besinnlichkeit“ und das Weihnachts-Editorial vom vergangenen Jahr: „Das verlorene Herz oder: Die schönste Liebesgeschichte der Welt“.
Gut geklickt wurde auch die Antwort auf den empörten Leser, dessen Brief über das Versagen der Politik die Redaktion gekürzt hatte.
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