Alle Artikel der Rubrik "Aktuelles"

Darf ein Gericht anordnen, das Foto einer Zeugin zu pixeln?

Geschrieben am 28. November 2013 von Paul-Josef Raue.

NSU-Prozess am Mittwoch: Die Mutter der Angeklagten Zschäpe ist als Zeugin geladen. Das Gericht ordnet an: Fotos von der Mutter müssen gepixelt werden.

Die Deutsche-Presse-Agentur (dpa) pixelt mit der Begründung „Das Gericht hat Hausrecht bei Prozessen. Davon machte es Gebrauch, und wir müssen uns an die Vorgabe halten.“

Meine Zeitung, die Thüringer Allgemeine, hat einen eigenen Fotografen im Gericht, der die Mutter vor dem Gerichtssaal fotografiert hatte. Der TA-Desk folgte seinem Hinweis, pixelte und schrieb in die Bildzeile: „Auf Anweisung des Gerichts muss Annerose Zschäpe auf Fotos gepixelt werden.“

Die Bildzeitung pixelte nicht und zeigte die Frau, die ihr Gesicht mit einer Sonnenbrille nahezu unkenntlich gemacht hatte; dazu kommen ein hoch geschlossener Mantelkragen und eine dunkle Wollmütze, tief in die Stirn gezogen.

Darf das Gericht solch eine Anordnung treffen? Nein, sagt der deutsche Presserechtler Johannes Weberling aus Berlin:

Natürlich kann das Gericht nur Auflagen zu Aufnahmen im Gerichtssaal machen. Aber selbst die binden nach der Rechtsprechung u.a. des BGH nicht die Presse bei ihrer eigenverantwortlichen Entscheidung und Abwägung, ob und inwieweit ein Bild veröffentlicht wird.

Weberling verweist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in der es unter anderem heißt:

Aus dem begrenzten Zweck der Sitzungspolizei erwächst dem Vorsitzenden nicht die Befugnis, die Zulässigkeit der Bildveröffentlichung zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten zu regeln…

In der Verpflichtung zur Anonymisierung liegt eine gewichtige Beschränkung der Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, die eine Rechtfertigung aus den Umständen des Einzelfalls voraussetzt… Es ist nicht ersichtlich, dass das Anonymisierungsgebot zu diesem Zeitpunkt noch zur Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens erforderlich war…

Datum des Prozesstages: Mittwoch, 27. November 2013

Eine kurze Debatte über das „Ich“ in der Reportage

Geschrieben am 22. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Ist das „Ich“ in einer Reportage erlaubt? Eine Debatte entwickelte sich über Facebook, nachdem ich in meinem Blog das „Ich“ gelobt hatte in der vorbildlichen Reportage von Judith Luig über den Verlust ihres ungeborenen Kindes.

Anton Sahlender:

Ich verkürze – hoffentlich zutreffend: Herr Blum hat sehr grundsätzlich die Ich-Form im Journalismus angeprangert. Und ich habe diese Grundsätzlichkeit in Frage gestellt. Da kam mir dieses Ich-Beispiel gerade recht, um meine Meinung im Nachhinein zu unterlegen.

Joachim Blum antwortet:

Das ist eine Version, wo das Ich sogar elementar ist. Qualität und Wirkung dieses Textes sind treffende Argumente dafür, dass das Ich eine absolute Ausnahme sein sollte.

Meine Antwort:

Ich teile Blums Aversion gegen das „Ich“. Das spricht dafür, es nur dann zu gebrauchen, wenn es notwendig ist – wie in dieser Reportage.

Joachim Blum:

Genau das wollte ich ausdrücken. Da aber jeder Redakteur meint, es sei bei ihm notwendig, würde ich das Ich beim Chefredakteur genehmigen lassen.
Herr Sahlender ist halt liberaler.

Alexander von Halem schreibt:

Und ich finde das fehlende ICH und die fehlenden Beziehungen zu den Lesern sind mit die größten Probleme des derzeitigen Journalismus. die vermeintliche Objektivität will kein MENSCH.

Joachim Blum:

Unsere Debatte hat nichts, aber auch gar nicht mit Objektivität oder Subjektivität zu tun.

Alexander von Halem:

dann besteht ja noch Hoffnung…

Dieter Hildebrandt, Journalisten und schmusende Politiker

Geschrieben am 21. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Die Politiker schmusen uns zu.

Mit einem Ohr habe ich dies Zitat von Dieter Hildebrandt gehört in einem der vielen Rundfunksender, die heute dem verstorbenen Kabarettisten nachrufen. Der Spötter aus München hatte sich, als sein Spott nicht mehr zu überhören war, der Umarmung der Politiker erwehren müssen; bei der SPD ist er ihr nicht selten erlegen. Heute loben ihn alle, vor allem die, die seinen Spott zu Lebzeiten kaum oder gar nicht ertragen konnten.

Journalisten geht es im Umgang mit Politikern ähnlich: Umarmung ist die perfekte Form der Bestechung. Es fällt einem Redakteur schwer, einem Oberbürgermeister beim Hummercocktal den Wunsch abzuschlagen, noch nicht über ein Großprojekt zu berichten. Gerade im Lokalen ist die Balance zwischen Distanz und Nähe schwer zu halten.

Meistgeklickt: Eine vorbildliche Reportage + 3 x dpa

Geschrieben am 19. November 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 19. November 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

So oft wurde in den vergangenen Monaten kein Blog mehr geklickt als die Analyse einer vorbildlichen Ich-Reportage: Judith Luigs Geschichte einer Schwangeren, die ihr Kind verlor.

Drei Blogs über die Ost-Kundenkonferenz der dpa folgen: Was die dpa plant: Die Zukunft ist online + ein Zitat über die Tücken eines verfrühten Nachrufs + „Ohne Bilder läuft wenig im Internet„.

Schiefe Sprachbilder: Marken knacken und Infrastruktur aufpäppeln

Geschrieben am 19. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Woche für Woche füllt Benjamin von Stuckrad-Barre sein „Lexikon des Grauens“ und entdeckt bei Politikern und Journalisten Klischees und schiefe Bilder:

> Ausbauziele eindampfen

> Details durchstechen

> Die EZB verschießt ihr letztes Pulver

> die psychologisch wichtige Marke knacken

> Maschinerie von Erzählungen, die durch nichts belegt sind

> mit einem Vorstoß vorpreschen

> Trommelfeuer der Medien

> um eine gemeinsame Linie ringen

> verblockte Altersteilzeit

> Verkehrsinfrastruktur aufpäppeln

Quelle: Welt am Sonntag und im Netz:
www.welt.de/lexikon-des-grauens

Vorbildlicher Journalismus: Judith Luigs Reportage über eine Schwangere, die ihr Kind verliert

Geschrieben am 17. November 2013 von Paul-Josef Raue.

„Mein Kind lebt nur in mir“ ist eine der bewegendsten Reportagen, die ich seit langem gelesen habe. Die Welt-Redakteurin Judith Luig erzählt von einer Mutter, die nach vier Monaten Schwangerschaft ihr Kind verliert; es ist wegen einer schweren Krankheit, Trisomie 18, nicht lebensfähig.

Das Thema verträgt keinen spektakulären ersten Satz, kein Erdbeben. Der Einstieg darf, ja muss kühl sein, sachlich:

Wir sitzen auf der Bank im Gang. Die Ärztin hält in der einen Hand die Tablette, in der anderen ein Glas Wasser. Sie hat gleich Feierabend.

Wir wissen nicht genau, wer das „wir“ ist; es dürfte die Reporterin sein, die zum „Ich“ greift, einem selbst in Reportagen seltenen Wort; Journalisten mögen das „Ich“ nicht, wenigstens nicht in Zeitungen und Magazinen.

Das Grauen schleicht sich nur langsam in die Reportage ein. Die Autorin bleibt noch in der Distanz, sie wechselt erst einmal zu einer Nebenfigur, der Ärztin:

Es war kein leichter Dienst. Aber doch Alltag. Sie hat einer Frau erklären müssen, wie das Kind, das sie erwartet, durch die Tablette, die sie schlucken soll, sterben wird. Am Tag darauf müsse die Frau wiederkommen. Dann werden durch Medikamente die Wehen ausgelöst.

Über das Sterben zu schreiben ist fast unmöglich, über das Sterben eines Kindes zu schreiben hält selbst ein Reporter kaum aus, der viel gesehen hat. Wie hält man seine eigenen Gefühle im Zaum? Die Autorin bleibt auf Distanz, lässt die Ärztin erzählen und beobachtet aus den Augenwinkeln die schwangere Frau – die blass wird, „zweimal sackte sie fast weg“.

Gut dreißig Zeilen lang beschreibt die Autorin das Gespräch zwischen der Ärztin und der Mutter. Der Leser kann noch, wenn auch mühsam, in der emotionalen Distanz bleiben. Es geht um die Abtreibung:

Dann hat die Ärztin ihr geraten, sich ihr Kind anzuschauen, wenn es auf der Welt sei. Damit sie ein bisschen besser verstehen könne, was geschehen ist. Damit sie abschließen könne mit dieser Geschichte. Die Frau nickt. Aber sie versteht nicht. Die Frau bin ich.

Mit diesen vier Worten „Die Frau bin ich“ kippt die Reportage; sie bewegt sich aus der Distanz in die Nähe und nimmt den Leser mit. Wer jetzt noch abseits bleibt, ist verloren; wer jetzt seine Gefühle noch unter Kontrolle hat, der hat keine. Der Autorin gelingt, was selten eine Reportage schafft: Der Leser liefert sich der Reporterin aus.

Eine gute Reportage gelingt allerdings nur, wenn die Sprache stimmt und wenn eine Spannung den Leser in den Bann zieht: Judith Luig, die Ich-Reporterin, hält die Spannung, indem sie ihre Geschichte im Präsens erzählt und weitgehend auf Adjektive verzichtet. Die Hauptwörter tragen die Reportage, geben ihr die emotionale Wucht.

„Kein leichter Dienst“, diese Wendung enthält eine der wenigen Adjektive des Textes. Und nur einmal verliert sich die Reporterin, nennt sie die Redensart „ein bisschen schwanger gibt es nicht“ eine „alte, blöde, deutsche Weisheit“. Man könnte einwenden: Auf diese drei Adjektive hätte sie verzichten können – nur hilft dieser Ausbruch auch dem Leser, Luft zu holen. Der Text geht eben an die Nieren.

Judith Luig beschreibt die Krankheit ihres ungeborenen Kindes, berichtet von den Diagnosen, rettet sich in Zahlen, um das Ungeheuerliche zu bannen: 2,8 Millimeter Nackenfalte, 6,5 Millimeter –

Kinder mit dem letzten Wert sterben zu 95 Prozent in den ersten Monaten der Schwangerschaft. Mein Kind hat eine Nackenfalte von 8,6 Millimetern.

Es gibt nichts Kühleres als Zahlen, deshalb sollten sie in einem Text nur sparsam verwendet werden; hier markieren die Zahlen die Grenze zwischen Leben und Tod – und zwischen den Zahlen steht: „mein Kind“.

Es folgt der Kontrast, die andere Welt, die einfache Beschreibung eines anderen Alltags:

Die Ärztin will nach Hause. Sie hat drei Töchter, die warten, dass ihre Mutter sie von der Schule abholt. Morgen ist Sonnabend. Da machen sie einen Ausflug mit der ganzen Familie. Ich weiß nicht, warum ich die Ärztin gefragt habe, was sie am Wochenende mache und ob sie selber Kinder habe. Ich wollte vielleicht nur über etwas anderes als über das reden, was sie mir sagen musste.

Auch der Leser mag die kleine Abwechslung, auch er will etwas anderes lesen, zur Ruhe kommen. Es ist bewundernswert, wie die Ich-Reporterin die Kontrolle über ihren Text behält und die Wirkung auf den Leser bedenkt. Judith Luig bleibt auf der Sachebene, berichtet vom Down-Syndrom, von Frauen, die im immer höheren Alter schwanger werden – um ein Mal, ein einziges Mal in den Zynismus zu fallen, der das schwierige Leben manchmal leichter macht. Wie denkt man über Frauen, die ihr krankes Kind abtreiben lassen?

In den Texten liest es sich so, als würden Frauen wie ich ihre Schwangerschaft einfach in der Mittagspause an der Kasse stornieren lassen, um dann wieder zu ihrer unglaublich tollen Karriere und ihrem selbstsüchtigen Leben zurückzugehen. Männer kommen in diesen Texten höchst selten vor. Höchstens mal pflichtschuldigst als Nebenbemerkung.

Es folgt die Moral, die Frage der Schuld – und die Aufforderung an den Leser: Und wie denkst Du? Sprichst Du mich auch schon schuldig?

Wir haben es geschafft, dass sich Frauen wie ich, die ein Kind verlieren, bevor es ein Kind ist, auch noch schuldig dafür fühlen. Ich bin nicht gut genug. Ich habe versagt. Wenn man mit den Frauen redet, deren Kind die Schwangerschaft nicht überlebt hat oder das zu früh geboren wurde, um zu leben, dann hört man diese Sätze immer wieder. Doch man hört sie nur dann, wenn es einem selbst geschehen ist. Denn mit nicht Betroffenen sprechen die wenigsten Frauen darüber. Manche, weil sie sich schämen. Andere, weil sie keine Worte für ihren Verlust haben. Aber viele auch deswegen, weil sie sich nicht verteidigen wollen für ihre Geschichte und für ihr Kind.

Eine gute Reportage hat einen Rhythmus und einen roten Faden. Judith Luigs Text wechselt ständig von der Erzählung in den inneren Monolog: Krankenhaus, Beerdigungsinstitut, Besuch der Freundin. Die Autorin macht es dem Leser und sich selber leicht, in dem sie der Reihe nach erzählt. Nur einmal bricht sie aus der Chronologie aus, wechselt ins Imperfekt. „Ich kann heute nicht mehr sagen, wann ich mich ergeben habe“, mit diesem Satz leitet die Autorin den langen Rückblick ein: Die Untersuchungen bei der Pränataldiagnostikerin.

Mitten in diesem Rückblick wechselt sie scheinbar ohne Grund vom Imperfekt wieder ins Präsens, eigentlich ein Fehler – aber er fiel mir erst beim zweiten, beim analytischen Lesen auf:

Ich will nichts tun, was die Schwangerschaft gefährdet, sagte ich.

Diese Schwangerschaft gefährden Sie nicht mehr, sagte die Genetikerin.

Ich glaube, da war mir immer noch nicht klar, was sie meinte… Meine größte Sorge war, dass das Kind leiden könnte. Noch zwei Wochen, so sagt die Forschung, und es würde Schmerzen empfinden.

Ich gehe raus, an die Luft, rufe den Vater des Kindes an. Ich schreie und weine, er weiß nicht, was er sagen soll. Was kann man schon sagen.

Auch bei der Fruchtwasseruntersuchung ein paar Tage später bleibt die Begriffsstutzigkeit an mir haften…

Den Ausstieg aus der Vergangenheits-Form wählt die Autorin nicht im Strom der Erzählung, sondern bei einer Unterbrechung, beim Wechsel vom inneren Monolog in die Erinnerung. Der Trick: Die Erinnerung wird ebenso chronologisch erzählt, der Leser läuft also wieder mit, hat vergessen, dass die Autorin zurückblickt; er ist im Präsens, der Gegenwart der Erinnerung.

Und wie kehrt Judith Luig von der Erinnerung in die Gegenwart zurück? Sie berichtet von einer Kollegin, die auch ihr Kind verloren hat, verwebt so Gegenwart und Vergangenheit:

Mit anderen Menschen zu reden, die Ähnliches erlebt haben, tröstet. Eine Kollegin hat ihr Kind noch zu DDR-Zeiten verloren. Damals nahmen einen die Schwestern im Krankenhaus noch nicht so ernst wie heute. Auch heute noch, 25 Jahre später, denkt diese Kollegin an das Kind. Für niemanden sonst hat es dieses Kind gegeben, sagt sie, aber für mich schon.

Ich finde nicht zurück ins Leben. Ich will auch gar nicht. Wochenlang bleibe ich zu Hause. Überfordert selbst von den kleinsten Aufgaben. Kaffeekochen. Milch einkaufen. Rechtzeitig schlafen gehen…

Mit „Ich finde nicht zurück ins Leben“ beginnt der Schlussteil der Reportage, die in den beiden letzten Sätzen mit dem Zurückfinden ins Leben schließt. So kühl die Reportage im ersten Satz begann, so euphorisch endet sie:

Ich habe ein Kind erwartet, das nicht leben konnte. Aber dass es dieses Kind, wenn auch nur diese kurze Zeit, gegeben hat, das war ein großes Glück.

zur Reporterin (nach Reporterforum.de):
Judith Luig begann ihre Karriere als Reporterin über Schützenkönige, Karnevalsprinzessinnen und Goldene Hochzeiten 1998 bei der Bonner Rundschau. Von 2001 bis 2009 war sie Redakteurin im Magazin der taz, später Ressortleiterin von tazzwei und berichtete dort vor allem über Frauen, Männer und Paralleluniversen. Seit November 2009 ist sie Redakteurin bei der Welt/Welt am Sonntag/ Berliner Morgenpost im Ressort Magazin/Reportage/Vermischtes.

Zur Reportage:
Erschienen in Die Welt vom 16.11.13: „Mein Kind lebt nur in mir“

Was die „dpa“ plant: Die Zukunft ist online und interaktiv (Kundenkonferenz 1)

Geschrieben am 13. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Roland Freund, Inlands-Chef der dpa, von den Plänen der Agentur spricht, dann fallen Stichworte wie diese: Social-Media-Radar, interaktiver und multimedialer Live-Ticker oder Video-Schnipsel. Wie kann die Nachrichtenagentur den Redaktionen helfen, online mit den Lesern zu verkehren? Die Antwort auf diese Frage stand im Zentrum der Kundenkonferenz des Landesbüros Ost.

Ein typisches Beispiel ist „Scribble Live“, ein Live-Blog, angeboten von einer kanadischen Firma, die mit dem Slogan wirbt: „Real Stories. Real Time“. Die dpa liefert einen Live-Ticker, beispielsweise an einem Wahlabend, und die Zeitung kann ihre eigenen Beiträge einschieben, Texte, Bilder und kleine Filme – und sie kann ihre Leser zu Kommentaren und eigenen Text- und Fotobeiträgen auffordern, die ebenfalls in dem Blog erscheinen. Erfreulich für die Clickzähler in den Verlagen ist: Jeder Teil dieser Seite, jeder Frame, zählt.

Offenbar nimmt dpa auch selber den Dialog ernst – mit ihren Kunden. Schon im Versuchs-Stadium ist die „dpa-community“, eine Plattform zum Austausch von Geschichten und Bildern. Entweder nutzen Redaktionen die Datenbank in einer geschlossenen Gruppe, beispielsweise in einer Redaktions-Gemeinschaft, oder gründen eine Art Genossenschaft, um Artikel und Fotos anderen anzubieten und von anderen zu nutzen.

Mit dem „Social-Media-Radar“ will die Agentur Redakteuren helfen, im Irrgarten von Twitter, Facebook und anderen die entscheidenden Wege und den wichtigen Inhalt zu finden – für die Recherche, die Planung des Inhalts und den Kontakt zu den Lesern. Wo finde ich was? – ist eine der entscheidenden Fragen für Redakteure, die soziale Medien nutzen wollen.

Auf den Nägeln brennen den Redakteuren aber weniger Live-Ticker und Social-Media-Werkzeugkasten als die Mühen der Redaktions-Ebene: Bekomme ich ausreichend Meldungen für meine Regionalseite? Kann die Agentur nicht möglichst viele Termine besetzen? Sollte die Agentur nicht alle Quellen in der Region sichten und auswerten? Diese Themen bestimmten die Diskussion bei der Kundenkonferenz, zu der Jutta Steinhoff, die Landesbüroleiterin Ost, nach Berlin eingeladen hatte.

Die Probleme sind überall ähnlich: Weniger Redakteure – in den Zeitungsredaktionen, aber auch in der Agentur. Gleichwohl verlangen die Leser eine hohe, sogar eine immer höhere Qualität. Und die Leser, wenn sie als Redakteure Agenturkunden sind, verhalten sich ähnlich: Bringt mehr! Und bringt es besser!

Haben Sie sich heute schon vernetzt? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Früher hatten junge Menschen ein Rendezvous, sie küssten und verliebten sich, kauften sich schließlich zwei Ringe und freuten sich über ihr erstes Kind. Heute vernetzen sie sich, erst zu zweit, später zu dritt.

Wer Karriere machen, viel Geld verdienen und zu Ruhm und Ehren kommen will, dem reichen nicht zwei und drei, der will sich mit allen vernetzen. Vernetzen ist das neue Modewort. Wer im Zeitgeist aufgehen und verschwinden will, der plappert so und denkt sich nichts mehr dabei. Alles ist Netz – und wir fallen durch die Löcher.

Als sich vor einigen Tagen Erfurter trafen, um ihre Stadt attraktiver zu machen, nannten sie ihre Konferenz: Vernetzungskonferenz. Aber ist nicht Zweck jeder Konferenz, sich zu treffen und miteinander zu sprechen – also sich zu vernetzen? Man hätte die Konferenz auch Konferenz-Konferenz nennen können.

Wir treffen uns nicht mehr, wir knüpfen keine Kontakte mehr, koppeln und verkuppeln uns nicht mehr: Wir vernetzen uns – als wären wir zum Leben erwachte Computer. Die verbinden sich in der Tat zu einem weltweiten Netz, zum „Internet“: Das Bild ist ebenso verständlich wie treffend.

Erfunden wurde das Netz von der Spinne: Sie zieht die Fäden und fängt im Netz ihre Beute. Wissenschaftler der Systemtheorie, die entdecken wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, haben das Bild geborgt. Doch fanden sie nicht nur Systeme, die so gut funktionieren wie das Netz der Spinne, sondern auch das Chaos und seine Theorie, weil Ordnung und Chaos offenbar Geschwister sind.

Für Wissenschaftler und ihre Systeme und für Millionen von Computern ist das Netz ein treffliches Bild. Für Menschen, diese geselligen Wesen, taugt es nicht – mit einer Ausnahme: Machiavelli hätte es nutzen können. Er vermutete, dass Menschen mit Macht darauf aus sind, andere zu gebrauchen, gar zu vernichten, mit Worten und mit Taten. Das tut die Spinne mit ihrem Netz: Sie vertilgt ihre Beute.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 11. November 2013

Meistgeklickt: Die schönsten Fußballer-Sprüche und Bezahlschranke in Israel (Reformationswoche 2013)

Geschrieben am 5. November 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 5. November 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

„Links ist ähnlich wie rechts, nur auf der anderen Seite“ – ist der Fußballspruch des Jahres und zusammen mit den Finalisten im Spruch-Wettkampf der meistgeklickte Blog in der Woche rund um Reformation und Allerheiligen.

Zwei Blogs, geschrieben auf meiner Israel-Reise folgen auf den weiteren Plätzen:

> Erfolgreiche Bezahlschranke, aber weniger tiefe Recherchen
> Der 3. Mann, Blogger in Israel und Recherchen auf Facebook

Ein älterer Blog vom 1. Oktober über die Zeit-Journalistin, die Oberbürgermeisterin wurde, und die zynischen Mechanismen öffentlicher Empörung wurde wieder oft geklickt – als sie zurückgetreten war.

Und noch einmal schwache Wörter: Stuckrad-Barres „Lexikon des Grauens“ über die Sprache von Politikern und Politikjournalisten

„Lexikon des Grauens“: Stuckrad-Barre entdeckt die Sondersprache von Politiker und Politikjournalisten

Geschrieben am 4. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Was Benjamin von Stuckrad-Barre die „furchterregende politische Sondersprache“ nennt, ist meist nur schlechtes Deutsch. Einige Beispiele aus seinem Lexikon, das die Welt-am-Sonntag online anbietet und in Auszügen in der Zeitung (3. November 2013) stand:

> angriffslustig hinterm Rednerpult tänzeln

> Aus welchem Topf das bezahlt werden soll, ist noch offen

> Balsam für die geschundene Parteiseele

> Das Urteil der Karlsruher Richter kommt einer Ohrfeige gleich

> frisches Geld / Geld in die Hand nehmen / Geld in die Kassen spülen

> Front machen

> Geburtsfehler des Euro

> Geschlossenheit demonstrieren

> Gesprächsbedarf

> handfeste Gründe

> ergebnisoffen

> nachhaken / nachbessern

> quecksilbriger Politikstil der Kanzlerin

> rumeiern

> schrillende Alarmglocke

> umgarnen

> zielführend

Und alles mit „im“ und „in“:

> im Alleingang / im Aufwind befindlich / im Bundesrat durchwinken / im Hintergrund die Fäden ziehen / im kleinen Kreis / im politischen Berlin ein Beben auslösen / im Portemonnaie spüren / im Rest der Republik / im Vorfeld klare Zielvorgaben abstecken /
im Zustimmungstief verharren / in aller Deutlichkeit / in aller Ruhe prüfen / in den Senkel stellen / in der Sache keinen Millimeter von der Position abrücken / in die Schranken weisen / in puncto Strompreisbremse / in Sachen Klimapolitik

Und alles mit „mit“:
> mit aller Entschiedenheit zurückweisen / mit Augenmaß / mit Blick auf die kommende Landtagswahl/den EU-Gipfel in Brüssel/die jüngsten Umfragewerte / mit einer Ansicht nicht/ziemlich allein dastehen / mit heißer Nadel gestrickt / mit im Boot sein / mit leeren Händen dastehen / mit Murren/grummelnd zur Kenntnis nehmen / mit Nachdruck / mit stolzgeschwellter Brust

„Zuhören mag da niemand mehr, deshalb gilt ab sofort ein Verbot für die Begriffe und Formeln“, bestimmt Stuckrad-Barre. Da müssen wohl die meisten Pressemitteilungen und Artikel ungeschrieben bleiben. Und die Zeitungen werden dünner.

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