Alle Artikel der Rubrik "B. Die Journalisten"
Franz Sommerfeld war Chefredakteur bei der „Mitteldeutschen“ in Halle und beim „Kölner Stadtanzeiger“ und anschließend Zeitungsvorstand von Dumont. Foto: Kress
Die Zeit kann in der aktuellen Ausgabe über sich schmunzeln: Dimitrij Kapitelman beschreibt in seinem Wespen-Artikel die „Zeit-Redaktion als einen Haufen ins ökologische Gleichgewicht vernarrter Faktenfuzzis“.
Ist das eine Reaktion auf Ex-Dumont-Zeitungsvorstand Franz Sommerfeld? Der schrieb im European über die „gesunde Form der Selbstironie“ als einer Gabe, „mit der Mitarbeiter der ,Zeit‘ nicht im Übermaß gesegnet sind“. Sommerfeld ging dabei auf die Liberalität der „Zeit“ ein:
„Theoretisch kann jeder über alles schreiben, die Zeit versteht sich schließlich als liberales Blatt. In der Praxis hat diese Freiheit allerdings Grenzen, und zwar genau dort, wo der Bereich beginnt, den (Vize-Chefredakteur) Ulrich für sich beansprucht: also große Texte über die Kanzlerin und die langen Linien der Politik. Flüchtlingspolitik ist Chefsache, Ideologiekritik erst recht.“
In Sommerfelds Artikel ging es um Mariam Lau, die im Auftrag der Redaktion einen Contra-Beitrag über Seenot-Rettung im Mittelmeer geschrieben hatte. Nach Protesten der Leser distanzierte sich die Chefredaktion von der Redakteurin. „Fürsorgepflicht schwerwiegend verletzt“, kommentierte Sommerfeld.
Gabor Steingart 2018 – Foto: Wikipedia
Jedes Thema ist recht, bei dem es nicht um Flüchtlinge und Seehofer geht. Die „FAZ“ lobt heute auf Seite eins das vermeintliche „Gespür der CDU-Generalsekretärin“, die hier „ein gesellschaftliches Großthema identifiziert“ habe. Dieser Kommentar ist dem journalistischen Opportunismus geschuldet. In Berlin gilt: 3 Schmeicheleinheiten = 1 Interview. Bei Dauerton lockt – ähnlich dem Prämienprogramm der Lufthansa – sogar ein Business-Class-Sitz im Regierungsflieger der Kanzlerin. Die „ZEIT“-Chefredaktion weiß, wie das funktioniert.
Gabor Steingart, Morning Briefing 6.8.18, über Kramp-Karrenbachers Vorschlag, die Wehrpflicht und den Zivildienst wieder einzuführen
Helmut Markwort, Ex-Chefredakteur von Focus, geht in die Politik und kandidiert für die FDP in Bayern. Foto (2005): Wikipedia
fragt die Abendzeitung (AZ) in München. Helmut Markwort antwortet:
Nein. Ich hoffe nur, dass wir uns verständlicher ausdrücken können. Ich lese jetzt manchmal Gesetzentwürfe. Die sind in einem Kanzleikauderwelsch verfasst – da können Sie jetzt schon erkennen, dass irgendwann einmal zehn Juristen darüber streiten werden. Sowas kann man doch in verständlicher Sprache schreiben. Es gibt ja Politiker, die vorher Journalisten waren, wie Willy Brandt oder Theodor Heuß …
… oder Markus Söder …
Ja, der hat jahrelang beim Bayerischen Rundfunk das Intrigieren gelernt.
Alexander Kützfeldts „Acht Häftlinge“ ist als E-Buch bei Rowohlt erschienen (2,99 Euro)
Oliver Jungen bespricht in der empfehlenswerten FAZ-Rubrik „e-LEKTÜREN“ das E-Buch von Alexander Krützfeldt: „Acht Häftlinge – Leben in einer Parallelwelt“, er lobt die „spannenden, crowdfinanzierten Reportagen“, aber kritisiert als „leicht störend… gelegentliche literarisierende Ausgriffe (die Droge Crystal Meth als eifersüchtige Geliebte), zu denen sich das Genre seit dem New Journalism berufen fühlt“.
Nun ist der deutsche „New Journalism“ eine Feuilleton-Erfindung, doch weist Jungen auf eine wohl deutsche Reportage-Eigenart hin: Der Reporter wäre gerne ein Schriftsteller, einer aus der gehobenen Klasse der Literaten, so wie der Politik-Reporter heimlich gerne Politiker wäre.
Der „New Journalism“ kommt aus den USA, wo sich Journalisten und Literaten schon immer nahe standen und von einem ins andere Lager hüpften. Ist man in Deutschland schon ein Literat, wenn man als guter Reporter ein E-Buch schreibt?
Krützfeldts Buch lobt Jungen zu Recht:
„Das Gefängnis ist nicht einfach ein Abbild der Gesellschaft, sondern eine Verzerrung in Richtung Naturzustand, eine atavistisch nach Kampfstärke strukturierte Gemeinschaft.“
Rowohlt Rotation, E-Book 2,99 €
Johannes Willms schrieb auch eine Balzac-Biografie, die im Diogenes-Verlag erschienen ist. Foto: © Evelyn Schels/ Diogenes
Es zeugt von Stil, dem Kollegen aus dem Konkurrenzblatt zum 70. Geburtstag zu gratulieren: Claudius Seidl würdigt in der FAZ heute (25. Mai 2018) Johannes Willms, den ehemaligen Feuilleton-Chef der „Süddeutschen Zeitung“. Solche Gratulationen sind ein netter Anlass, Anekdoten aus dem Leben zu erzählen – die oft mehr über den Jubilar verraten als manch umstrittene Entscheidung.
„Man lebt im Feuilleton ja oft über seine geistigen Verhältnisse; dass man zum Ausgleich auch mal über seine finanziellen Verhältnisse leben sollte, zum Beispiel in anständigen Restaurants“, schreibt Seidl, der einst auch für die SZ gearbeitet hatte, und erzählt: „Einmal führte er einen sehr schmächtigen Korrespondenten aus, und auf die Spesenquittung schrieb er als Bewirtungsgrund: „Vorbereitung eines Angriffskriegs“.“
Seidl nennt dies einen „profunden Unernst“.
Der Leser ahnt, welche Kämpfe in den Feuilletons tobten in den achtziger Jahren: Willms, so Steidl, setzte „das sogenannte politische Feuilleton durch; auch wenn die (durchaus mächtigen) Stammleser sich mehr Musikkritiken wünschten und die Kollegen aus dem politischen Ressort manchmal vom „Zeugs“ sprachen, das im Feuilleton stehe“. „Zeugs“, das merken wir uns.
Willms blieb ruhig, so Seidl, und reizte seine Gegner, wohlgemerkt in der Redaktion, mit „seiner geistigen Nonchalance“.
Bernhard Pörksen schrieb zum Thema: „Die große Gereiztheit“, erschienen im Hanser-Verlag. Foto: Hanser / Peter-Andreas-Hassiepen
Manche nennen es Bevormundung, andere unerwünschte Belehrung, wieder andere Manipulation. Medien-Professor Bernhard Pörksen nennt es den „sanften Paternalismus der Zeitung“. Davon spricht er im Interview mit dem Wiener „Falter“ auf die Frage: Bei Facebook gebe es „ein Problem, das wir mit den klassischen Medien nicht hatten: Keiner weiß mehr genau, ob das, was ich sehe, auch das ist, was der andere sieht. Ich kann nicht davon ausgehen, dass wir den selben Informationsstand in irgendetwas haben“.
Dieselben Informationen für viele, aber auch Journalisten als Gatekeeper – das sind die zwei Seiten der Printmedien. Pörksen sagt über die Journalisten in Zeitungen und Magazinen:
Das Motto: Egal, ob es dich interessiert, wir zeigen dir trotzdem, dass wir dieses Theaterstück im Kulturbereich für relevant halten. Selbst wenn man den Wirtschaftsteil wegwirft, aus den Augenwinkeln wird man ja doch noch darüber informiert, dass es da etwas anderes gibt. Das ist das verborgene Pathos der gebündelten Form. Man wird irritiert mit Informationen, die man nicht gesucht hat. Bei digitalen Medien haben wir eine Informationswelt, die der Bestätigungssehnsucht des Menschen, dem Bedürfnis danach, Bestätigung zu finden, die eigenen Urteile und Vorurteile einfach belegt zu finden, sehr, sehr weit entgegenkommt.
Die Aktion des Verlegerverbands, Redakteure auszutauschen, hat sogar ein eigenes Logo.
Ein bisschen Häme ist schon dabei, oder nennen wir es einfach Ironie, wenn „turi“ in seinem Newsletter Lokaljournalismus auf „Karnickel fotografieren“ reduziert. Es geht um die Idee, Lokalredakteure vom 14. bis 20. Mai im Austausch in einen anderen Verlag zu schicken. Die Aktion sollte gelobt werden, denn erfahrungsgemäß sind gerade viele Lokalredakteure recht sesshaft und stehen Veränderungen reserviert gegenüber. Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff vom Zeitungsverleger-Verband, der die Aktion organisiert, drückt es netter aus: „Ohne die Experten, die sich vor Ort bestens auskennen und vernetzt sind, geht Qualitätsjournalismus nicht“, um dann das Ruder schnell herumzureißen: „Der Blick von außen aber kann neue Perspektiven eröffnen. Davon profitieren nicht nur die Journalisten, sondern vor allem auch die Leserinnen und Leser.“
Wolff verweist auf sechs Chefredakteure, die Stefan Kläsener vor zwei Jahren auf die Insel Föhr eingeladen hatte. Dort entstand die Austausch-Idee, die allerdings zwei der sechs Chefs nicht gut bekommen ist: sie sind mittlerweile entlassen.
Quelle / Die Turi-Meldung vom 9. Mai 2018:
Mal andere Karnickel fotografieren: Der BDZV, quasi der Elternbeirat der deutschen Lokalredakteure, veranstaltet für 50 seiner Schützlinge ein Austauschprogramm. Für die komplette nächste Woche geht es aber nur in eine neue Lokalredaktion – statt wie einst als Neuntklässler nach Neuseeland.
Der Spaziergänger nach Syrakus: Johann Gottfried Seume. Foto: Wikipedia
Johann Gottfried Seume, der Spaziergänger nach Syrakus, könnte ein Vorbild sein für Journalisten:
„Er ging bewusst zu Fuß, statt die Kutsche zu benutzen, weil er nicht auf die Leute herabblicken, sondern die Länder auf Augenhöhe mit den einfachen Menschen erleben wollte.“
(Dirk Sangmeister, Herausgeber der Werke Seumes (1763-1810), in der Braunschweiger Zeitung, 8.2.2018)
Julian Reichelt ist der oberste Chefredakteur der roten „Bild“-Gruppe. Foto: bild.de
Offenbar hat „Commander“ Reichelt den Machtkampf an der Spitze der Bild entschieden: Doppelspitzen funktionieren einfach nicht. Trotzdem: Warum kamen Tanit Koch, die Bild als Chefredakteurin verlässt, und Julian Reichelt, der Chef der Bild-Gruppe, nicht klar miteinander?
In einem Tweet wird Reichelt der Bild-Sonnenkönig genannt, so von Bulo Böhling:
„extrem humorlos, vom Ehrgeiz zerfressen und gefährlich selbstüberschätzend“.
Gibt es dafür Hinweise? Belege? Kress-Pro-Chefredakteur Markus Wiegand hatte im November einen Disput mit Reichelt, an den erinnert sei. Wiegand meinte: Reichelt gehe als Boulevard-Chefredakteur in der Berichterstattung über andere gerne an die Grenzen, in eigener Sache dagegen reagiere er ausgesprochen empfindlich.
Was war passiert? Kress hatte über die Gehälter von Führungskräften in der Medienszene berichtet. Julian Reichelt war der einzige Chefredakteur, der Wiegand bat, auf eine Schätzung des Gehalts zu verzichten. Er argumentierte: Dies erhöhe das Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen seine Familie. Wiegand konnte dem Argument nicht folgen und berichtete über das geschätzte Gehalt Reichelts in exakt 13 Zeilen.
Am Rande der Münchner Medientage sprachen Wiegand und Reichelt über den Bericht.
„Wirklich erstaunlich an dem kurzen Gespräch in München war, dass Reichelt in seiner Argumentation offenbar keinen Widerspruch zur eigenen Berichterstattung in Bild sieht“,
schrieb Wiegand anschließend; und weiter:
So schreibt das Boulevardblatt gerade im Sport gerne über die Gehälter von Fußballprofis. Eines von vielen Beispielen: Ende Mai berichtete man über das „Hammergehalt“ des HSV-Stürmers Bobby Wood (3 Millionen Euro jährlich). Im September hieß es bei bild.de: „Hammergehalt! – Lesen Sie mal, was ein ARD-Boss verdient“ und thematisierte das Einkommen von WDR-Intendant Tom Buhrow (399.000 Euro jährlich). Im August schrieb Bild online ausführlich über die Reichstenliste des Wirtschaftsmagazins Bilanz, das ebenfalls im Springer-Verlag erscheint. Titel: „Die Super-Reichen-Liste: Das sind 86 der 1.000 reichsten Deutschen“.
Wiegands Fazit: Journalisten sind widersprüchliche Wesen. Vieles, was sie über andere berichten, akzeptieren sie in eigener Sache nicht. Julian Reichelt bringt es in dieser Widersprüchlichkeit zu einer gewissen Formvollendung.