Alle Artikel der Rubrik "D. Schreiben und Redigieren"

Wer war Luther? Ein Urviech? Ein wortgieriger Mann? Mit Luther Wörter erfinden (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Natürlich war der Mann ein Naturereignis, ein Sprachfex.

So beginnt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ihren Essay über Martin Luthers Wortgewalt – und scheitert gleich im ersten Satz. „Sprachfex“? Was bedeutet das Wort?

Der „Sprachfex“ schlummert am äußersten Rand unserer Sprache, er taucht nur selten auf. Selbst bei Goethe, der gern mit den Wörtern spielte, entdeckt man nur einmal einen Fexen – im „Faust“. Der Teufel spricht von „Hexenfexen“ und vergleicht sie mit „Gespenstgespinsten“ und „kielkröpfigen Zwergen“.

Schlauer ist man nicht: Ist der Sprachfex also ein Hexenmeister der Sprache? Einigen wir uns darauf: Ein Hexenmeister.

Nur – passt der zu Martin Luther, dessen 498. Reformations-Gedenken am kommenden Sonnabend ansteht? Kaum. Doch wer über Luther und die Sprache schreibt, will ihm folgen und kräftige Wörter erfinden.

Aber Vorsicht! Nicht jeder, auch nicht jeder, der schreiben kann, hat Luthers Format. Sibylle Lewitscharoff erfindet ein Synonym nach dem anderen für Luther:

Erst das Naturereignis, dann der Sprachfex, gefolgt vom großen Reformator, dem entlaufenen Mönch, dem sprachlichen Urviech, dem Judenhasser, dem außerordentlich begabten Mann, dem wortgierigen Mann, dem Unruhestifter, dem Prophet des Weltendes. So viele Wörter für einen Mann – wer will sie alle verstehen?

Und was hat Luther mit unserer Sprache getan?

Er hat mit seinen kräftigen Händen darin herumgerührt, sie mit einer nicht scheuen Zunge unter die Leute gebracht, ein enormes Sprachgewitter erzeugt, ein dunkeldrohendes Saftdeutsch mit hellen Aufflügen geschrieben und die Wörter am Zügel der Knappheit laufen lassen.

Genug der Bilder! Genug der Sprachgewalt! Es ist noch viel Platz auf dem Friedhof der Wörter.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 26. Oktober 2015

Sibylle Lewitscharoffs Essay „Von der Wortgewalt“ eröffnet den Sammelband „Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung“ (Matthes & Seitz-Verlag, 336 Seiten, 24.90 Euro)-

 

„Es war einmal ein Buckliger“ – Wie schreiben wir von Behinderten? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Wer an die ostpreußische Ostsee-Küste fährt, kann mit ein wenig Glück nach einem Sturm Bernsteine finden. In den schönsten Steinen sind Insekten eingeschlossen, die nicht rechtzeitig mehr den Abflug gefunden haben. „Inklusion“ nennen Wissenschaftler diese Laune der Natur und fanden dafür ein lateinisches Wort: Inkludieren, das ist „einschließen“.

Das „Inkludieren“ war lange Experten vorbehalten in der Mineralogie, Mathematik oder Medizin, bevor es Reiseveranstalter populär machten: „All inclusive“ in Mallorca führt zu hemmungslosem Essen und Trinken.

In den vergangenen Jahren wanderte die „Inklusion“ vom Bernstein, der Mengenlehre und den Inklusiv-Gelagen der Touristen – in unsere Schulen. „Inklusion“ meint den gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nicht-Behinderten. Wie sinnvoll eine solche Wörter-Wanderung ist, wäre eine Debatte wert; aber der Begriff ist bei Eltern und Schulpolitikern eingeführt.

Wahrscheinlich mögen wir das lateinische Wort, weil wir in unserer Sprache unentwegt über „Behinderte“ stolpern. Wir wollen politisch korrekt sein und niemals diskriminierend vom „Spasti“ sprechen, wie üblich in der Jugendsprache der neunziger Jahre. Aber was ist korrekt?

Dürfen wir einen Menschen etwa einen „Buckligen“ nennen? Günter Grass tut es in seiner „Blechtrommel“: „Es war einmal ein Buckliger, der hieß Matzerath und ergoß in der Irrenanstalt auf jungfräuliches Papier sein dreißigjähriges Leben.“ Immerhin bekam Grass den Literatur-Nobelpreis.

Auch Journalisten tun sich schwer, verirren sich in gutgemeinte Klischees wie „Die Frau meistert tapfer ihr Schicksal“ oder „Der Mann ist an den Rollstuhl gefesselt“. Barrieren in der Sprache – so lautet das Thema einer Arbeitsgruppe, wenn sich Lokaljournalisten zu einer Redaktionskonferenz treffen: Sprechen wir von „behindert“ oder „gehandicapt“ oder „eingeschränkt“? Wie reagieren Behinderte selber auf die sprachliche Verunsicherung?

Die Journalisten wollen einen Leitfaden für treffende Begriffe aufstellen. Wir sind gespannt.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 19. Oktober 2015,

Zur Info:

Die Redaktionskonferenz wird veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung: „Ganz normal – oder was?“ vom 23. bis 25. November in Warendorf.  In der Ankündigung wird von „absurden Fällen“ berichtet: Ein 13-jähriger Gymnasiast muss die Mädchentoilette benutzen, weil es kein Jungs-Klo an der Schule gibt, das breit genug für seinen Rollstuhl wäre; bei einer Innenstadtsanierung baute man die neuen Straßenlampen, eine hinter der anderen, auf dem Blinden-Leitsystem…

 

 

Überlebt das „fahrvergnügen“ den VW-Skandal in den USA? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 30. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Volkswagen exportiert nicht nur Autos, sondern auch deutsche Wörter. Vor 25 Jahren, pünktlich zur deutschen Einheit, sahen die amerikanischen TV-Zuschauer einen Werbespot:

There’s a word for this driving experience (Es gibt ein Wort für dies Fahr-Erlebnis): Fahrvergnügen, Fahrvergnügen.

Dies deutsche Wort ist in die amerikanische Sprache eingewandert – und zum Synonym für deutsche Autos schlechthin geworden. Für unsere Ohren hört es sich vergnüglich an, wenn ein Amerikaner durch die weite Landschaft fährt und knödelt: „What a fahrvergnugen!“

Dan Hamilton ist Professor der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, der ältesten in den USA. Er wundert sich über Liebhaber der amerikanischen Sprache, die das Vordringen des Spanischen beklagen: Offenbar reagieren alle Sprach-Gemeinschaften allergisch auf Zuwanderer, ob es Anglizismen sind oder spanische Wörter.

Hamilton stellt fest, deutsche Wörter drängten immer stärker in die amerikanische Sprache: „Deutsch ist zum Alltags-Englisch geworden! Es ist eine Lego-Sprache: Man nehme einfach zwei Wörter wie zwei Legosteine und füge sie zusammen wie Welt und Schmerz – und der Weltschmerz ist entstanden.“

„Fahrvergnügen“ ist solch ein Lego-Wort wie gut zwei Dutzend deutscher Wörter, die Hamilton auflistet:

  • bratwurst,
  • gesamtkonzept,
  • heiligenschein,
  • hinterland,
  • leitmotiv,
  • luftballon,
  • realpolitik,
  • rucksack
  • schadenfreude,
  • wanderlust,
  • weltmeister,
  • wunderkind,
  • zeitgeist
  • und kurze Wörter wie angst, kaputt, kitsch oder mensch.

Zu den beliebten Wörtern zählt auch eines, das selbst bei uns kaum gebräuchlich ist: „sprachvergnügen“. Das Magazin „Time“ hat es aus dem „fahrvergnügen“ abgeleitet, die deutsche Botschaft hat im Internet das „Netzwerk Sprachvergnügen“ gegründet.

So hieß „Time“ die deutsche Sprache wieder unter den Weltsprachen willkommen, kommentiert Sprachpapst Wolf Schneider – „nach fast einem halben Jahrhundert des Misstrauens“.

Ob das „fahrvergnügen“ den VW-Skandal um gefälschte Diesel-Werte überlebt? Wahrscheinlich ist das Wort stärker – und der Amerikaner Lust an der deutschen Sprache.

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Quellen: VW Werbung 1990ß auf Youtube

Die komplette Hamilton-Liste in: Wolf Schneider: Speak German, Seite 25ff

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 5. Oktober 2015 (hier im Blog erweiterte Fassung)

Formidabel! Wie wir in unserer Sprache Wörter verwandeln (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Wer über die Einwanderung von amerikanischen Wörtern stöhnt, sucht gerne Trost bei unseren Klassikern. Goethe kam zwar nur bis Italien, aber er schwärmte von der neuen Welt:

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern,
Zu lebendiger Zeit,
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.

Benutzt die Gegenwart mit Glück!
Und wenn nun eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.

Doch war die Sprache in Goethes Zeit nicht geprägt von Anglizismen, sondern von französischen Wörtern. Goethe kommt selten ohne ein französisches Wort daher. Am 14. November 1776 lästert er über das „Flick- und Lappenwerk“ eines Autors, möchte diesem einen Streich spielen und schreibt an Schiller:

Wenn der Spaß Ihren Beifall hat, so führe ich ihn aus; er ist, wie mich dünkt, sans replique.

Wie leicht hätte Goethe einen deutschen Begriff finden können: Ohne Widerrede! In Goethes Brief taucht auch das französische Wort „formidabel“ auf, mit dem sich ein Leser in Erfurt beschäftigt. Er las in seiner Zeitung vom Lutherjahr 2017 als „formidablem Jubiläum“ und fragt:

Hat der Autor den aus „dem Lateinischen entlehnten Begriff, der ,schrecklich‘ bedeutet, vielleicht im falschen Sinnzusammenhang oder als Beispiel ,klassischer Wortwahl‘ verwendet“?

Wörter verwandeln sich gerne, wenn sie nur weit genug von der Quelle entfernt sind. Dem Lateinischen, der Priester- und Fürstensprache des Mittelalters, verdanken wir viele Wörter, einige kamen aber erst über die französische in die deutsche Sprache.

„Formidare“ nutzte Caesar, der Feldherr, wenn er von besonders großem Schrecken berichtete. Die lateinische Bedeutung hielten die Franzosen und nutzen „formidable“ für alles, was grausig und schrecklich ist. Wir übernehmen in die deutsche Sprache fremde Wörter in ihrem ursprünglichen Sinn – um sie dann gerne  zu verwandeln.Erst im späten 17. Jahrhundert wanderte „formidabel“ in unsere Sprache ein. In der „Herrschaft der Männer“, einem Buch von 1705, lesen wir:

In den Moluccischen Inseln haben sich die Weiber so formidabel gemacht, dass sie das recht absolut im Hause zu befehlen haben.

Moluccische Inseln sind offenbar die Falkland-Inseln vor Argentinien.

In Carl Lucaes „Europäischen Helicon“ von 1711 ist von einem Lehrer zu lesen:

Ehemals docierte ein solcher Schmeisser in einer Schule von mönströser Gestalt und war den Knaben höchst formidabel.

„Formidabel“ gebrauchte der preußische Generalfeldmarschall Blücher 1813 noch im alten lateinischen Sinne: „Die Armee war sehr formidabel“, als Goethe schon den Sinn in „beeindruckend“ verwandelt hatte. Der Autor eines Buchs will sich „seinem eigenem Helden formidabel machen“, schreibt er Schiller im Weimarer Herbst 1776.

Preußens berühmtester Gärtner war der Weltreisende Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau; er schrieb 1834 in seiner „Landschaftsgärtnerei“:

Man baut in formidablem Bogen über das bescheidene Wässerchen eine Riesenbrücke.

Da hatte sich formidabel als „beeindruckend“ durchgesetzt. Im Goetheschen Sinn nutzen wir „formidabel“ noch heute; wer es im alten lateinischen Sinne verwendete, würde missverstanden.. Der Schrecken ist längst verschwunden.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 28. September 2015 (hier in erweiterter Fassung)

Für wen schreiben wir? Für uns selber oder für die Leser?

Geschrieben am 26. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Journalisten sollten nicht darüber rätseln, was die Leserinnen und Leser wollen, sie sollen ehrlich sagen, was ihnen selber wichtig ist. Für mich ist es das Schreiben und Lesen. Ich mag keine schlecht geschriebenen Artikel, und wenn ich lese, will ich keine Videos dazu sehen.

Jean-Martin Büttner im Newsletter der MAZ, der Schweizer Journalistenschule: Er ist laut Newsletter mehrfach ausgezeichneter Journalist und Redaktor beim Tages-Anzeiger. Er antwortet auf die Frage „Immer mehr konvergent arbeitende Redaktionen mit Journalisten, die mehrere Kanäle bedienen sollen: Verliert das Schreiben als klassisches Handwerk an Bedeutung?“

 

Von „Negern“ und anderen Tabus: Wer bestimmt, was wir sagen dürfen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Es gibt Wörter, die sind offenbar ein Tabu: „Neger“ zum Beispiel. Als der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Sänger Roberto  Blanco einen „wunderbaren Neger“ nannte, empörten sich viele: Er hat ein Tabu verletzt! Nur – wer verurteilt ein Wort zum Tabu?

Roberto Blanco fühlt sich nicht beleidigt: Das Wort war nicht böse gemeint. Trotzdem entschuldigte sich der Minister.

Die Linken-Abgeordnete Katharina König sprach in der Debatte um den 8. Mai als Feiertag: „Die CDU leidet offenbar an politischem Autismus“. Die CDU fühlte sich nicht beleidigt, aber Autisten empörten sich. Die Abgeordnete entschuldigte sich: „Ein unsäglicher Fehler“.

Wer verurteilt zum Tabu? Einen offiziellen Tabu-Beauftragten gibt es nicht. Meist sind es Kommentatoren in Zeitungen und im Fernsehen, die sich empören. „Rassistisch“ nannte die „Zeit“ des Innenministers „Neger“-Äußerung und Hunderte schlossen sich in Internet-Kommentaren an.

Mitunter sind auch Gruppen, wie die Autisten verletzt, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen – auch wenn nicht sie, sondern eine politische Partei diskriminiert werden sollte. Der Tabu-Bruch der Abgeordneten fand kaum Beachtung, weil keine Zeitung darüber berichtete: Die Pressemitteilung löschte der Pressesprecher im Internet, das war’s. Herrmanns „Neger“  dagegen wuchs zur Affäre aus, weil alle Zeitungen berichteten und den Tabu-Bruch beklagten.

Die Schar der Kritiker wächst, die zwar nicht in der Regierung, aber in den „Medien“ einen Tabu-Beauftragten vermuten, der bestimmt, welche Wörter gesagt werden dürfen. Auffällig ist: Die Erregung über eine vermutete „Meinungsdiktatur“ oder „Sprach- und Gedankenpolizei“ wächst in einer Zeit, in der jeder im Internet schreiben kann, was er will.

Der Artikel 5 des Grundgesetzes kennt keine Tabus, sondern garantiert die Freiheit der Meinung. Noch nie konnten so viele öffentlich ihre Meinung äußern und über Tabus diskutieren.

Nur – ist ein Tabu noch ein Tabu, wenn jeder darüber spricht?

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 21. September 2015

Der Drops ist geluscht – oder noch nicht (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Politiker freuen sich, wenn sie in der „Tagesschau“ zu sehen sind. Doch wenn sie am nächsten Tag mit Freunden oder Bekannten zu Hause sprechen, hören sie nicht: „Toll, wie Du gestern das Problem benannt hast!“

Nein, der einen fiel die neue Krawatte auf, dem anderen der freche Haarschnitt – und einem dritten das Wortspiel: „Das mit dem Drops, das muss ich mir merken“.  Und worum ging’s? „Irgendwas mit Flüchtlingen? Oder war es der Haushalt?“

Es ging um den Haushalt, als der Erfurter SPD-Bundestags-Abgeordnete Carsten Schneider in der „Tagesschau“ für einige Sekunden zu sehen und zu hören war: „Der Drops ist noch nicht gelutscht!“

Der Drops ist ein neues Sprachbild, er ist – bildlich gesprochen –  erst seit einigen Jahren in aller Munde; der „Redensarten-Index“ im Internet listete den Drops erstmals vor zehn Jahren auf. Wer so spricht, will sagen: Wenn Du den Drops gelutscht hast, ist die Sache erledigt – und wenn nicht, dann eben nicht.

Jeder könnte sagen: Die Sache ist erledigt – und jeder würde uns verstehen. Aber wir mögen die Verzierung der Sprache, wir mögen den Klang besonderer Wörter wie den  „Drops“, der aus dem Alltag fast verschwunden und vom „Bonbon“ verdrängt worden ist.

Doch der „Drops“ überlebt – im Sprachbild, weil es ein schönes, kurzes, sinnliches Wort ist: Einen Drops zu lutschen, ist ein kleines Vergnügen, wenn wir aus dem Alltag herausfallen wollen. In Dialekten finden wir ähnlich nahrhafte Bilder: Wer in Bayern Urlaub macht, hört „Der Kas ist bissen“, der Käse ist gegessen; im Schwarzwald „Der Käs isch gefressen“. Die Sprachvölker im Süden schätzen in der Sprache das Herzhafte, nicht das Süße.

In allen  Fällen, ob süß oder käsig, müssen wir das Sprachbild übersetzen: Der Spaß ist eigentlich vorbei, wenn sich der Drops mit unserer Hilfe aufgelöst hat. Das Sprachbild handelt also vom Ende der Lust, wir meinen allerdings das Gelingen einer Sache.

Aber so ist das bisweilen mit den Sprachbildern: Wir mögen mehr den Klang mehr als ihren Sinn. Der Drops ist gelutscht!

 

„Dunkeldeutschland“ ist ein Unwort (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 29. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Hell und dunkel, weiß und schwarz, Himmel und Hölle – diese Wörter haben die Menschen schon immer fasziniert und ihr Denken bestimmt. In der deutschen Sprache springen die Gefühle, die diese Wörter auslösen, in die Vokale hinein: Das helle fröhliche „e“ in hell, das tiefe unheimliche „u“ in dunkel.

Der Gegensatz von hell und dunkel drängt sich selbst kritischen Geistern auf, wenn sie die Menschen verwirrt und sie sich nach einfachen Erklärungen sehnen – wie unser Bundespräsident. Angesicht der brennenden Flüchtlingsheime und der Bürger, die sich vor Fremden fürchten, sortierte er: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt, gegenüber dem Dunkeldeutschland.“

Diese schlichte Ordnung der Welt in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, hat nicht unser Bundespräsident erdacht, sie ist so alt wie unser Denken überhaupt. Immer wenn Gesellschaften wanken, haben solche Philosophien Konjunktur, wie sie der Perser Mani im dritten Jahrhundert begründet hat: Die Welt gehört zum Reich der Finsternis, aber die Guten, die Kinder des Lichts, erlösen sie.

Diese Philosophie, die jedem zugänglich ist, mögen die Religionen und Ideologien, das Christentum ebenso wie der Kommunismus, Augustinus wie Karl Marx. Nur in friedlichen Zeiten finden auch Philosophen Gehör, die skeptisch sind, die den Menschen sehen, wie er ist: Manchmal gut, manchmal böse, meist widersprüchlich. Der Mensch ist weder hell noch dunkel, er ist grau.

So sind auch die Gesellschaften. Es gibt kein Helldeutschland, selbst das Wort braucht keiner: Wer im Internet danach sucht, wird nicht fündig. Es gibt auch kein „Dunkeldeutschland“, zumal dieses Wort belastet ist: Westdeutsche nutzten es, wenn sie durch die DDR reisten und sich über die wenigen Straßenlaternen wunderten.

Nach der Revolution demütigten Westdeutsche so die Ostdeutschen, so dass 1994 „Dunkeldeutschland“ sogar in die Auswahl zum Unwort des Jahres kam. Wörter haben auch ihre Geschichte: Der Bundespräsident, der aus dem Osten kommt, wird dies wissen.

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Quelle:

Der Bundespräsident sagte am 26. August beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf in Berlin  laut Tagesschau: (Er lobte) die „vielen Freiwilligen, die zeigen wollen, es gibt ein helles Deutschland, das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören“. Gauck bezeichnete Rechtsextremisten und Ausländerfeinde als Hetzer, die das weltoffene Bild Deutschlands beschädigten.

Thüringer Allgemeine, 31. August 2015, Friedhof der Wörter

Die Auflösung der Rechtschreib-Fragen: E-Mail ist richtig, und Email etwas Glänzendes auf Metall

Geschrieben am 24. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Die Auflösung der Testfragen; diese Schreibweise  ist richtig;

  1. b) „E-Mail“ ist richtig.
    Einzelbuchstaben werden laut Duden generell mit Bindestrich angekoppelt – wie auch bei T-Shirt und U-Bahn.
  2. c) „Du“, grobgeschrieben oder „du“ bei der Anrede? Beides geht.
    Die Großschreibung gilt aber als höflicher.
  3.  a) Wie bedankt man sich: „im Voraus“ ist richtig.
    Voraus ist zwar ein Adverb und wird deshalb kleingeschrieben. Bei „im Voraus“ ist es aber substantiviert, folgt einem Artikel „in dem – im“ und wird deshalb großgeschrieben. Korrekte Schreibweise ist mit einem „r“.
  4. a) Eine Ehe wird „annulliert“:
    Die Bezeichnung geht auf das spätlateinische Verb annullare zurück und wird deshalb mit zwei „n“ und zwei „l“ geschrieben.
  5. c) Die Geldbörse wäre eine Alternative, wenn nach der Rechtschreibreform neben Portemonnaie auch Portmonee erlaubt ist.

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Thüringer Allgemeine 22. August 2015

Die missglückte Rechtschreibreform: Geht auch Portmonee? Ein Test

Geschrieben am 24. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Gibt es eine Reform, die seit zehn Jahren in Kraft ist und kaum mehr Befürworter findet, geschweige denn Freunde? Ja, die Rechtschreibreform. Es gibt nur einen Gewinner: Den Duden. Es gibt viele Verlierer: Die Liebhaber der deutschen Sprache, zudem Deutschlehrer, Schüler und Eltern.

Die Thüringer Allgemeine hat die Einführung vor zehn Jahren zu einem Test genutzt. „Kennen Sie die neuen Regeln?“ fragt sie ihre Leser:

  1. Statt eines Briefes verschicken viele heute elektronische Post. Wie aber wie sie geschrieben?
    a) Email
    b) E-Mail
    c) EMail
  2. Wird jemand gesiezt, schreibt man „Sie“ statt „sie“. Wie ist die Regelung beim Duzen?
    a) Auch das wird großgeschrieben: „Du“.
    b) Das wird klein geschrieben: „du“.
    c) Es geht beides.
  3. Wenn man sich bei jemandem für etwas bedankt, das er noch gar nicht getan hat, geschieht das…
    a) im Voraus.
    b) im Vorraus.
    c) im voraus.
  4. Wenn man eine Ehe rückgängig machen möchte, dann will man sie…
    a) annullieren.
    b) anullieren.
    c) anulllieren.
  5. Eine Geldbörse ist ein..
    a) Portemonnaie.
    b) Portmonee.
    c)Es geht beides.Die Lösungen gibt es einen Blogeintrag weiter.

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Thüringer Allgemeine 22. August 2015

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