Alle Artikel der Rubrik "I. Die Meinung"

Wer ist ein Rabauke? (Ein „Friedhof der Wörter“ zur Freiheit von Meinung und Presse)

Geschrieben am 1. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Was Franz Beckenbauer in Deutschland ist, war der Trainer Luis Aragones in Spanien: Eine Fußball-Legende, vier Mal Meister, vier Mal Pokalsieger – und mit der Nationalelf Europameister durch einen Final-Sieg gegen Deutschland.

Als er vor gut einem Jahr starb, schrieb die Deutsche-Presseagentur: „Für die einen galt er als Rabauke, für die anderen als Kauz – geliebt haben sie ihn fast alle in Spanien“.

Als der Gewerkschafts-Führer Weselsky vor Pfingsten zum neunten Streik aufrief, nannte ihn die Börsen-Zeitung einen Rabauken. Eine Beleidigung?

Die Lexika sehen in einem Rabauken einen Rüpel, die Wörterbücher verweisen auf den Ursprung: „Rabau“, der Schurke, im Niederdeutschen; „Ribaud“, der Lotterbube, im Französischen und „Ribaldus“, der Landstreicher, im Lateinischen. Rabauke – eine Beleidigung?

Nein, ein Wort aus der Umgangssprache, nicht gerade zärtlich gemeint, aber weit entfernt von einer Beleidigung. Der CDU-Fraktions-Chef in Mecklenburg sieht das ähnlich: Kein Begriff mit beleidigendem Inhalt.

Die Politiker in Mecklenburg haben einen Grund, sich über Rabauken Gedanken zu machen: Sie schütteln, durch alle Fraktionen, den Kopf über eine Amtsrichterin in Pasewalk, die einen Reporter des Nordkurier zu 1000 Euro Geldstrafe verurteilt hat – weil er einen Jäger einen Rabauken nannte.

Der Jäger hatte ein totes Reh an die Anhänger-Kupplung seines Wagens gehängt und über die Bundesstraße gezogen. Als das Foto im Internet auftauchte, empörten sich viele.

Der Jäger empörte sich, als Rabauke tituliert zu werden, erstattete Anzeige und bekam Recht: Ein Kind könne man noch als Rabauke betiteln, urteilte die Richterin, ein Erwachsener müsse sich eine solche pfeffrige und scharfe Formulierung nicht gefallen lassen. Das ließ sich der Chefredakteur des Nordkurier nicht gefallen:

Die Meinungs- und Pressefreiheit „schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch“.

Jetzt empörte sich der Staatsanwalt – und erstattete Anzeige. Wer ist nun der Rabauke?

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 1. Juni 2015

 

 

Ein rechter Leserbrief und seine Folgen: Wie viel Meinung verträgt das Volk?

Geschrieben am 23. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Dieser Brief einer Leserin stand in der TA (Thüringer Allgemeine):

Auch meine Großeltern kamen mit meinen Eltern aus dem damaligen Züllichau als Flüchtlinge nach Deutschland. Man sollte aber hier nicht unerwähnt lassen, dass diese Menschen alles zurück lassen mussten (die Betonung liegt auf mussten), weil der Krieg vor der Tür stand. Die heutigen Asylanten kommen zu 90 Prozent in ein angebliches Schlaraffenland.

Hier ist unsere Regierung gefordert, endlich mal konkrete Gesetze zu schaffen und ein bisschen genauer zu schauen, wer hier bleiben darf. Und auch wenn es vielleicht rassistisch rüberkommt, damals kamen Deutsche zu Deutschen und das Volk wurde nicht mit fremden Kulturen vermischt, welche noch dazu nicht bereit sind, sich unserem Leben anzupassen.

Unsere Eltern waren froh und dankbar für ein Dach über dem Kopf, ein Stück Brot und Wasser zum Trinken. Und heute? Asylanten ziehen vor die Behörden und demonstrieren, beschweren sich über dies und jenes, führen Prozesse, ob Kopftuch oder nicht. Dies in einem Land, wo sie eigentlich vorerst nur Gast sind. Wenn diese Menschen sich mehr einordnen würden, wären sie sicher auch hier willkommen.

> Darauf reagierte ein Leser:

Sehr geehrte Redakteure, da ist ihnen wohl wieder einmal etwas durchgerutscht? Könnte man, wenn man so etwas veröffentlicht, nicht wenigstens ein paar erläuternde Sätze der Redaktion hinzufügen? Die Presse wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.

> Das ist die Antwort des Chefredakteurs in einem Brief an den Leser:

Ich schicke voraus: Die Meinung der Leserin ist nicht meine Meinung, und sie bewegt sich am Rand dessen, was man als diskussionswürdig erachten kann. Aber sie beleidigt nicht, verletzt keine Gesetze.

Warum drucken wir ab und an auch solche Briefe? Die Meinungen von Menschen verschwinden nicht dadurch, dass man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Am Ende kommt sonst Pegida oder Ähnliches heraus, und alle sind überrascht, irritiert und fordern, man sollte unbedingt mit den Menschen reden, die so denken. Wir halten es für zweckmäßiger, immer mit den Menschen zu reden, sie so zu nehmen, wie sie sind, und nicht auszugrenzen. Wir folgen Kant: Der Mensch aus so krummen Holz geschnitzt, dass nicht gerade wachsen kann.

Deshalb sind wir überzeugte Demokraten: Wir machen uns den Menschen nicht besser, als er ist. In einer Demokratie leben auch keine besseren Menschen, aber wir passen auf, dass sich das Böse und der Böse nicht unkontrolliert austoben kann,

Warum fügen wir nicht ein paar erläuternde Sätze hinzu? Die Meinung der Redaktion zu Flüchtlingen ist hinlänglich bekannt durch Leitartikel, Kommentare, Aktionen, Diskussionen usw. Es dürfte nicht möglich sein, unsere liberale Sicht auf die Flüchtlings-Debatte zu ignorieren. Wir erläutern also unentwegt – und sind bisweilen erstaunt, welche Meinungen Leser haben, die seit Jahren unsere Zeitung lesen (wobei wir auch die Briefe lesen müssen, die nicht gedruckt werden können).

Die Leser-Seite ist nun – aus gutem Grund – die Seite der Leser, in der eben nicht alles von der Redaktion kommentiert wird. Bisweilen entstehen jedoch Debatten unter Lesern auf dieser Seite: Davon hätten wir gerne mehr.

Kurzum: Unsere Leser-Seite ist vergleichbar der Hyde-Park-Corner in London, im Mutterland der Demokratie. Da stehen auch die guten Menschen nicht in der Nähe und kommentieren alle und jeden. Die einzige Ausnahme in der TA ist das „Leser fragen“ am Sonnabend, in dem der Chefredakteur auf Fragen und auf Kritik von Lesern antwortet. Fast jedes Mal bekomme ich Briefe und Mails, in denen mir oberlehrerhaftes Verhalten vorgeworfen wird. Die meisten Erwachsenen mögen das nicht, was sie als „Belehrung“ empfinden.

In der Hoffnung, dass Sie sich nicht dazu zählen, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Post vom Anwalt mit Unterlassungs-Forderung: Wie ein Chefredakteur damit offensiv umgehen kann

Geschrieben am 10. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Bundesliga-Manager und Trainer müssen sich einiges gefallen lassen, wenn die Stürmer keine Tore mehr schießen. So erging es auch Hertha-Manager Michael Preets mit dem Tagesspiegel. Dort bekam er die Schuld für die Misere zugeschoben:

„Hoffen, bangen, hoffen. Trotz des Siegs vom Samstag gegen Augsburg könnte Hertha das fragwürdige Kunststück schaffen, in sechs Jahren dreimal abzusteigen. Manche glauben, den Grund für die Misere zu kennen: Manager Michael Preetz und seine Halbherzigkeit.“

Offenbar bemühte Michael Preetz einen Anwalt und forderte, der Tagesspiegel solle nicht mehr schreiben, er liege nachts wach vor Kummer. Lorenz Maroldt, Tagesspiegel-Chefredakteur, überlässt den Fall nicht allein seiner Rechtsabteilung, sondern berichtet darüber in einem Newsletter „Checkpoint“ mit leisem Spott:

Schon wieder Post vom Anwalt von Michael Preetz. Jetzt will er nicht mehr nur, dass nicht mehr geschrieben wird, dass er 2012 nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte, nein – jetzt er will er auch noch, dass geschrieben wird, dass er nicht nachts wach lag und über Schuld und Schicksal grübelte. Also, wenn das stimmt, dann wäre das reichlich verantwortungslos: Dem Verein ging es doch damals echt dreckig – und da genießt der Manager den Schlaf der Selbstgerechten? Arme Hertha.

Darf man in einem Nachruf nachtreten?

Geschrieben am 1. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Die Neue Zürcher Zeitung tritt nach: In der Nachricht über den Tod des Journalisten und Schrifdtstelles Fritz J. Raddatz erinnert sie gleich im zweiten Satz: 

Der langjährige Feuilletonchef der Zeit war einst über ein nicht ausgewiesenes Zitat aus der NZZ gestolpert.

Dann druckt sie noch einmal in der Original-Fassung die Kulturnotiz über die Ablösung von Raddatz bei der Zeit:

Raddatz hatte ein angebliches Goethe-Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung übernommen, ohne zu merken, dass es sich um eine parodistische Erfindung handelte. Dies brachte ihm nicht nur Hohn und Kritik in anderen Medien ein, sondern auch einen Rüffel der Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, die ihm in der eigenen Zeitung „Schludrigkeit“ vorwarf.

Wolf Lotter, herausragender Brand-Eins-Autor, nennt dies in einem Tweet „ganz schlechten Stil“. 

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Facebook von Alexander Will am 1. März um 13:10

Kann man auch anders sehen: Das ohnehin im Deutschen fast immer falsch verstandene „de mortuis nil nisi bene“ dient doch viel zu oft zu heuchlerischer Verfälschung der Vergangenheit…

Sollen Redakteure ihre Leser belehren? Gibt es einen Bildungsauftrag? (Leser fragen?)

Geschrieben am 14. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Hallo, Ihr lieben Redakteure, Euer Chef ist unermüdlich dabei, uns Lesern beizubringen, in was für einem diktatorischen Unrechtsstaat mit blutrünstigen Grenzern und linken Diktatoren wir gelebt haben. War das nicht sogar die Steilvorlage für die historische Wahl einer rot-rot-grünen Landesregierung?

So fragt ein Leser der Thüringer Allgemeine. Der Chefredakteur antwortet ihm in seiner Samstags-Kolumne:

Es ist nicht Aufgabe von Zeitungen, den Lesern etwas beizubringen. Ein Vierteljahrhundert Demokratie hat unsere Redaktion ermutigt, von der hohen Warte herabzusteigen und unsere Leser zur Debatte und, wenn es muss, auch zum Streit auf Augenhöhe zu animieren: Leidenschaftlich haben unsere Leser über den Unrechtsstaat gestritten, wobei einige durchaus gelitten haben.

Sie sind offenbar ein Liebhaber des Offensiv-Fußballs und wissen: Die schönste Steilvorlage bringt nichts, wenn es keinen Vollstrecker gibt. „Das Runde muss ins Eckige“ sagte Sepp Herberger, der Bundestrainer der Fünfziger-Weltmeister-Jahre. Die Debatte war der Steilpass, der Torschütze war Bodo Ramelow: Er, der Kandidat der Linken, sprach am Ende vom Unrechtsstaat. Und nicht wir haben die Steilvorlage geliefert, sondern unsere Leser.

Auf der Grenzwanderung mit unseren Lesern haben wir vor einiger Zeit einen Menschen getroffen, der im Todesstreifen ein Bein verloren hat. Ob er über den Spott „blutrünstiger Grenzer“ lachen kann?

Unser Leser Karl-Hugo H. beschwert sich über einen Leser, der in einem Brief geschrieben hatte: „Man drängt die Pegida-Bewegung – wie das schon immer in der BRD mit allen ,unliebsamen Bürgern‘ praktiziert wurde – in die Faschismus-Ecke“.

Das ist für Karl-Hugo H. „offensichtliche Lüge und Verdrehung“, und er kommentiert: „Eine Nazi-Keule hat es nur in der DDR gegeben“ und rät der Redaktion: „Sie müssen doch nicht jede kommunistische Lüge drucken.“

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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 15. Februar 2015

OTZ-Chefredakteur wehrt sich in seiner Zeitung gegen den Vorwurf „Lügenpresse“

Geschrieben am 27. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

„Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft“, schreibt Chefredakteur Jörg Riebartsch in einem langen Seite-Drei-Beitrag der OTZ, der in Gera erscheinenden Ostthüringer Zeitung: „Gegendarstellung – Ungewöhnlich: Eine Zeitung wartet mit einer Gegendarstellung an ihre Leser auf. Aber nur an die, die die Redaktion derzeit mit Unterstellungen, Verschwörungstheorien und Kolportagen überziehen“.

Er geht auf den Vorwurf der Lügenpresse ein und nimmt sich detailliert die Kritik der Leser vor:

> Wenn wir Leserbriefe ablehnen, hat das gute Gründe: Beleidigungen zum Beispiel oder unbewiesene Behauptungen.

> Gelenkte Medien gibt es heute nicht; die gab es beispielsweise in der DDR.

> Fehler machen auch Zeitungen. Weiß die Redaktion davon, wird sie diese korrigieren.

> Redaktionen lassen sich nicht einschüchtern – auch nicht von Anwälten, die statt Gegendarstellungen immer öfter Unterlassungserklärungen verlangen.

> Geschäftsführer und Verleger dürfen in die Arbeit der Redaktion nicht eingreifen und auf Willfährigkeit bestehen.

Dies ist der komplette Beitrag von Jörg Riebartsch; die in seinem Text erwähnte Volkswacht ist die SED-Zeitung, die in der DDR erschien.

Wer als Journalist schon mehrere Berufsjahre auf dem Buckel hat, der weiß, mancher Leser ist mit Kritik schnell zur Hand. Wer an der Dienstleistung „Zeitungmachen“ teilnimmt, sollte da zuweilen nicht zart besaitet sein. Ein dickes Fell hilft. Manche Hinweise aus der Leserschaft haben ihre Berechtigung, anderes beruht auf Nichtwissen. Oft macht auch der Ton die Musik. Da sind die Reaktionen gegenüber der Zeitung auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der der Umgangston zunehmend rauer und aggressiver wird.

Seit einigen Monaten aber nimmt die Zahl der Unterstellungen, Mutmaßungen und kruden Verschwörungstheorien, die die Redaktion erreichen, bedenklich zu. Auch als „Lügenpresse“ musste sich die Ostthüringer Zeitung vereinzelt schon beschimpfen lassen. Nachstehend gehen wir auf die häufigsten Behauptungen ein und stellen diese damit gern zur Diskussion.

Zensur, Meinungs- und Pressefreiheit

Diese Begriffe werden oft in einem Atemzug genannt und falsch verwendet. Die OTZ zensiert Leserbriefe heißt es dort. Das ist falsch. Zensur beschreibt den Umstand, wenn staatliche Stellen den Informationsfluss lenken. Der Staat übt dann Zensur aus. Die OTZ kann keine Zensur ausüben.

Verwendet wird dieser Vorwurf meist von Leserbriefschreibern, deren Leserbrief wir ablehnen mussten. Der Ärger ist verständlich. Man setzt sich hin, gibt sich Mühe, schreibt einen Brief – und die Zeitung lehnt es auch noch ab, diesen zu veröffentlichen. Diese Ablehnung ist keine Zensur. Wir nehmen an dieser Stelle unsere Freiheit als Presseorgan wahr. Die OTZ veröffentlicht gern Leserbriefe. Schließlich wollen wir die Meinungsvielfalt befördern. Da liegt es in unserem eigenem Interesse möglichst viele Zuschriften zu publizieren.

Wenn wir Leserbriefe ablehnen hat das gute Gründe. Der Inhalt des Briefes kann strafrechtlich relevant sein oder er enthält Beleidigungen, bösartige Unterstellung oder unbewiesene Tatsachenbehauptungen. Könnte der Zeitung doch egal sein, mag mancher Leser einwenden. Ist es aber nicht. Der Gesetzgeber hat uns nämlich dazu verpflichtet, alles was die Redaktion veröffentlicht auch presserechtlich zu verantworten. Obwohl unter den Leserbriefen der Name des Autoren steht, trägt trotzdem die Redaktion die presserechtliche Verantwortung für das Veröffentlichte – auch wenn wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Leserbrief nicht die Meinung der Redaktion wieder gibt.

Weitere Gründe zur Ablehnung von Leserbriefen können Wiederholungen sein oder wenn sich Diskussionen um ein Thema im Kreis drehen und nach zahlreichen bereits publizierten Leserbriefen keine neuen Argumente mehr auftauchen.

Hin und wieder fordern uns wiederum Leser auf die Leserbriefe zu zensieren, weil ein bestimmter Autor nur „dummes Zeug schreibt“ oder eine „falsche Meinung“ hat. Kürzlich hat ein Abonnent sogar die OTZ abbestellt, weil er die Leserbriefe eines anderen Lesers nicht mehr ertrage.

Wir werden dennoch auch in Zukunft keine Zensur bei Leserbriefen ausüben.

Verwechselt oder missverstanden werden die Begriffe von Meinungs- und Pressefreiheit. Einzelne Leser meinen, wir verstießen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn wir ihren Brief nicht veröffentlichen. Die Meinungsfreiheit kann die OTZ gar nicht beschränken, weil jeder Mensch das Recht hat sich auf den öffentlichen Marktplatz zu stellen und unbehelligt seine Meinung zu sagen. Das ist Meinungsfreiheit.

Pressefreiheit meint etwas anderes, im Grunde genau das Gegenteil was der eben erwähnte Leser glaubt. Die Pressefreiheit liegt bei der Presse. Die Presse ist frei darin zu entscheiden, was sie veröffentlicht und was nicht. Damit soll gerade verhindert werden, dass Leser, Politiker, Verbände, Gewerkschaften, Vereinsvertreter oder andere Interessengruppen nach eigenem Gutdünken Einfluss darauf nehmen, was in einer Zeitung steht.

Vorwürfe in diesem Zusammenhang, die Zeitung sei parteiisch, beziehen sich in der Regel auf Kommentare, die optisch bewusst anders gekennzeichnet sind als normale Berichte in der Zeitung. Kommentare stellen ein Meinungsangebot dar, dem man folgen kann oder auch nicht. Die Zeitungsmacher der OTZ sehen sich nicht als Missionare und wollen niemanden bekehren. Aber zur Meinungsvielfalt, die der Ostthüringer Zeitung sehr wichtig ist, gehört es zunächst einmal, dass Meinungen geäußert werden. Ohne Meinung kann es keine Meinungsvielfalt geben. Wer anderer Meinung ist, schreibt dazu gern einen Leserbrief. Und natürlich kann man auch schreiben, wenn man der gleichen Meinung ist.

Gelenkte Systemmedien

Die pauschale Behauptung, die Medien – wer immer „die Medien“ auch sein sollen – seien gelenkt vom System, ist falsch, wird aber immer wieder gern wiederholt. Was sind Systemmedien? Die Vorgängerzeitung der Ostthüringer Zeitung, davor kurz Ostthüringer Nachrichten, die „Volkswacht“ , war eine vom System des DDR-Regimes gelenkte Zeitung. Sie diente dazu im Sinne der Partei, der SED, den Lesern das Bild vorzugaukeln, was die Staatsführung gern von ihrem Staat vermitteln wollte.

Was nicht sein durfte, wurde ausgeblendet. Kritik fand nicht statt. Wenn es Engpässe beim Fleisch gab, wurde der Volkswacht vorgegeben nur noch Rezepte für Gemüsegerichte zu veröffentlichen. Regelmäßig wurde die Redaktionsleitung der Volkswacht nach Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, vorgeladen. Dort teilte das System der Redaktion dann mit, wie man in der nächsten Zeit zu berichten habe.

So was gibt es heute nicht mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar wissen, dass es eine Ostthüringer Zeitung gibt, sie wird aber selbst in ihren kühnsten Albträumen nicht daran denken, der OTZ irgendwelche Weisungen zu geben. Sie liest noch nicht mal die Kommentare, die sich mit Ihrer Politik befassen.

Die Wahrnehmungsschwelle für Zeitungen wie der OTZ sind gestiegen. Und deshalb versuchen allenfalls Parteienvertreter auf Landesebene, Druck auf Zeitungen auszuüben, und zwar alle Parteien. Das muss die Redaktion, insbesondere der Chefredakteur, aushalten, darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn Kommentierungen oder Berichte kritisiert werden.

Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft. Und tatsächlich erscheinen in der Zeitung, auch in der OTZ, Fehler. Beispielsweise weil der Redakteur einen schlechten Tag hatte und eine Zahl falsch verstanden hat, weil die Redaktion von einem Veranstalter mit falschen Daten versorgt wurde, weil die Quelle selbst schon falsch informiert war. Dann gibt es die Möglichkeit eine Richtigstellung oder eine Berichtigung zu verlangen. Die OTZ wird Fehler, soweit bekannt, immer berichtigen.

Wenn sich die Zeitung stur stellt, eine Berichtigung nicht bringen will, hält Deutschland eine Fülle von Möglichkeiten bereit, sich gegen die Berichterstattung in der Zeitung zu wehren. Beispielsweise mit einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Oder mit der guten, alten Gegendarstellung, die in jedem Landespressegesetz steht, aber eher aus der Mode gekommen ist. Mit einer Gegendarstellung kann man falsche Tatsachenbehauptungen gerade rücken.

Abgelöst wurde die Gegen­darstellung mehr und mehr von der strafbewehrten Unterlassungserklärung, häufig von Prominenten oder Unternehmen als Instrument eingesetzt, wenn man durch die Berichterstattung in der Zeitung sein Image beschädigt sieht oder vorgibt, Schadensersatzansprüche zu haben. Um Druck auf den Chefredakteur auszuüben und in dem Gedanken, ihn einzuschüchtern, kommen Unterlassungserklärungen häufig am Freitagnachmittag mit Fristsetzung bis Montag früh und werden von Kanzleien verschickt, bei denen schätzungsweise 20 Anwälte rechts auf dem Briefbogen stehen. Da aber Chefredakteure meistens zu den eher erfahrenen Journalisten gehören, klappt das mit dem Einschüchtern nicht recht. Zudem hat die Funke Mediengruppe, zu der auch die OTZ gehört, natürlich eine versierte Rechtsabteilung, die meist deutlich machen kann, wie rechtlich zweifelhaft das Begehren der gegnerischen Partei ist. Die Berufserfahrung zeigt, dass nicht alle, aber die meisten Fehlervorwürfe, unberechtigt sind.

Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing

Wenn schon die Politik der Zeitung nicht sagen kann, wo es lang geht, dann doch bestimmt der Besitzer, mutmaßen manche Leser und schreiben deshalb zur Einleitung einer Kritik an der Zeitung vorwurfsvoll: Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing.

Auch hierzu ist zunächst eine Besonderheit des deutschen Pressewesens zu erklären. Wenn in einer Fabrik Erbsen eingedost werden, dann ist der Geschäftsführer der Erbsendosenfabrik verantwortlich dafür, was in der Dose drin ist. Bei Zeitungen ist das bewusst nicht so. Nicht die Geschäftsführung trägt die presserechtliche und publizistische Verantwortung für die Inhalte der Zeitung, sondern der Chefredakteur. Man wollte auf diesem Weg nach den historischen Erfahrungen mit den Diktaturen in Deutschland die Unabhängigkeit von Redaktionen in Zeitungen stärken.

Inhaltliche Eingriffe von Geschäftsführern in das redaktionelle Programm bei der OTZ gibt es nicht. Die in diesem Zusammenhang zuweilen geäußerte Mutmaßung, die Geschäftsführer oder Herausgeber wählten die Journalisten nach inhaltlichen Kriterien der Willfährigkeit aus, sind ebenfalls falsch. Die Kaufleute von Unternehmen bestimmen natürlich das Budget der Zeitung und damit wie viel Redakteure bei einer Zeitung wie der OTZ beschäftigt sein können. Welche das sind, obliegt in der Auswahl aber dem Chefredakteur.

Um Redaktionen vor der Einflussnahme andererseits auch von Gewerkschaften, also Arbeitnehmervertretern inhaltlich ebenso zu schützen, sind Zeitungen sogenannte Tendenzschutzbetriebe. Das heißt, es sind sogar bestimmte Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes außer Kraft gesetzt.

Putin ist der Gute, nur die gelenkten Medien begreifen es nicht.

Hier wird die Verschwörungstheorie der Systemmedien auch noch in einen globalen Zusammenhang gestellt. Wer Kritik an Putin äußert, ist von den imperialistischen US-Amerikanern gelenkt und es wäre nicht verwunderlich man äußere auch noch die These, der US-Präsident Barack Obama bestimme selbst, was zu Russland in der OTZ steht und was nicht. Dies wird in einzelnen Fällen noch von der Behauptung gestützt, es gäbe eine Anweisung, in der OTZ dürfe nichts mehr Gutes über Russland stehen und selbst über Naturkatastrophen dort werde nicht mehr berichtet. Eine solche Anweisung gibt es nicht. Das Meinungsbild der OTZ zum Konflikt in der Ukraine ist differenziert und bleibt es auch.

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OTZ 24. Januar 2015, Seite 3

Lügenpresse und absolute Wahrheit gegen eine unabhängige Redaktion: Wie Leser online kommentieren

Geschrieben am 24. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Man kann natürlich alles bezweifeln. Auch dass unsere Lügenpresse gar nicht lügt, sondern da die „Sucher der Wahrheit“ sind. Aber ganz ehrlich: Die Journalisten machen alle die ganze Zeit Fehler, sie sind einfach vielleicht ein bisschen, rein menschlich, dumm. Kann das sein?

So fragt „Alexander“ online im Internet der Thüringer Allgemeine und bezieht sich auf die Berichterstattung zu „25 Jahre TA„. In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Verehrter „Alexander“,

Ihre Frage dürfte eine rhetorische sein. Sie geben in Ihrem Kommentar auch die Antwort:

„Es gibt etwas, was den Glauben (an Journalisten, die die Wahrheit suchen) daran enorm erschwert: Wenn sie alle zusammen auf einmal schlafen gehen, dann alle zusammen in einer Zeit aufwachen, alle zusammen aufs Klo marschieren, „eins-zwei, eins-zwei links links.. links. Dafür kann nicht nur bloße Dummheit schuld sein.“

Hunderte von Kommentaren versammeln sich zu dem Thema im Internet. Hier sind einige Einträge. Ich kommentiere sie nicht, denn sie kommentieren sich selbst:

> Angestellte Journalisten sind nur so frei und unabhängig wie trainierte Schlittenhunde. Und bei einem schlechten Musher dürfen sogar hinterhältige Beißer und exzessive Urinierer mitlaufen. Hauptsache, die Richtung stimmt.

>Dieses scheinheilige Getue ist doch Leserverhöhnung par exellence! Zum Kotzen!

> (Antwort auf einen Leser-Kommentar) Mit dem verstehenden Lesen haben Sie es wohl nicht so. Daher ist ja dieses Wurstblatt für sie auch Quell und Hüter der Demokratie, das Manna des sich nach Pluralismus sehnenden Demokraten, nicht wahr?!

> Wenn ich mir überlege, dass eines Tages meine Todesanzeige wohl in dieser Zeitung zu lesen sein wird…. Nein Freunde, ich möchte unsterblich sein nur aus dem Grunde, dass nie mein Name in diesem Schmierenblatt zu lesen ist.

> Was ist nun wieder die absolute Wahrheit? Die absolute Wahrheit gibt es nicht; nirgendwo. Wozu diese umfassende Begriffsklauberei?

> Und so einen Schwachsinn, wie einige hier von sich geben, soll eine ,unabhängige‘ Presse also schreiben? Da kann sich die TA auch wieder umbenennen in „Das Volk“. Ich erwarte von keiner Zeitung die absolute Wahrheit, ich informiere mich umfassend in vielen Medien und bilde mir dann meine persönliche (!) Meinung, wissentlich das auch diese nicht der absoluten Wahrheit entspricht.

> Liebe TA, lasst euch nicht beirren und geht euren Weg weiter! Jedem Menschen Recht getan ist…

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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 24. Januar 2105

Was darf Satire? Fast alles

Geschrieben am 23. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 23. Januar 2015 von Paul-Josef Raue in I 38 Satire.

Satire darf alles. Aber es ist eine Kunst von Leuten, die darauf trainiert sind, für Leute, die darauf trainiert sind.

Harald Schmidt gestern in einem Gymnasium bei Köln, zitiert von Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr Nachrichten, in seinem täglichen Newsletter (23. Januar 2015)

Pegida versucht, einen Chefredakteur zu erpressen. Armin Maus erzählt das seinen Lesern

Geschrieben am 21. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Pegida will in Braunschweig demonstrieren. Die Braunschweiger Zeitung druckt erst die Forderungen ab und will dann mit den Organisatoren sprechen. Die lehnen zunächst ab und stellen dann Forderungen, unübliche und für eine unabhängige Redaktion unerfüllbare Forderungen. Chefredakteur Armin Maus lehnt ab und informiert seine Leser auf der Titelseite:

Pegida wird heute zum ersten Mal in Braunschweig körperlich sichtbar werden. Gerne hätten wir unseren Lesern vorab die Möglichkeit gegeben, die Pegida-Organisatoren im Originalton zu lesen, um sich ein Bild von ihren Positionen und Zielen, ihrer Art zu formulieren und ihrem Hintergrund zu machen. Unsere Interviewanfragen wurden zunächst abgelehnt, dann mit der Forderung verbunden, das Pegida-Positionspapier zu veröffentlichen.

Das hatten wir bereits getan: Am 16. Dezember berichteten wir ausführlich und detailreich auf dem Großteil einer Zeitungsseite über die dort formulierten Positionen und die interne und externe Diskussion. Der Anmelder der Pegida-Kundgebung verlangte nun eine Veröffentlichung des nackten kompletten Textes des Positionspapiers. Nur dann sei man zum Gespräch bereit.

Wir haben dieses Ansinnen im Interesse unserer Leserinnen und Leser abgelehnt. Unsere Redaktion ist unseren Leserinnen und Lesern verpflichtet, die von uns erwarten, unsere Arbeit frei und unbedrängt zu machen. Wir achten den Pressekodex – und sind nicht erpressbar.

Bundeskanzler, Minister, Verbandschefs, Unternehmer, Kirchen-Obere, Vereinsvorsitzende und viele ganz normale Bürger sprechen mit den Journalisten. Sie alle akzeptieren als Demokraten die Rechte der freien Presse. Dazu gehört ganz wesentlich, dass wir uns keinerlei Vorleistungen aufoktroyieren lassen können und dürfen. So wird es bleiben, Pegida hin, Pegida her.

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Quelle: Braunschweiger Zeitung, Montag, 19. Januar 2015

Charlie und „Satire im Kreuzfeuer“: Erfurter Kabarettist Ulf Annel über Tucholskys Aufsatz

Geschrieben am 10. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

„Satire darf alles. Gewissermaßen ist es der Luxemburg-Satz von der Freiheit, die immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist. Aber denken muss man schon.“ In einem Gastbeitrag der Thüringer Allgemeine schreibt der Erfurter Kabarettist Ulf Annel über Kurt Tucholskys Aufsatz und Menschen mit Haltung:

Kurt Tucholskys Geburtstag jährte sich gestern zum 125. Mal. Das allgemeine (Des)Interesse am Pazifisten und Antifaschisten Tucholsky und die aktuellen Ereignisse in Frankreich ließen den Ehrentag medial klein, machten aber ein Zitat riesengroß: „Was darf die Satire? Alles.“ Ein Fragesatz, eine Antwort, Punkt.

Aber dieses Zitat ist nur das Ende eines längeren Artikels, den Tucholsky im Januar 1919 für das „Berliner Tageblatt“ schrieb. Ein großer Krieg war vorbei, nicht jedoch der Kampf um die Deutungshoheit, was dieser Krieg für Deutschland war und was man für die Zukunft daraus lernen könne.

Wirklich neu war allerdings, dass die Zensur aufgehoben war und man nun gegen diesen Krieg, seine Verursacher und Profiteure anschreiben konnte. Man lese den ganzen Artikel. Es geht darin nicht nur um den Krieg allein, es geht vor allem um die Befreiung des Denkens, um Aufklärung, um das Recht, alles, aber auch wirklich alles sagen zu dürfen. Aber dieses Recht schließt ein, dass man ein Mensch – gibt es ein genaueres Wort, als das so oft missbrauchte? – mit einem Standpunkt sein muss. „Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier“, schrieb Tucholsky, „nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.“

Satire darf alles. Gewissermaßen ist es der Luxemburg-Satz von der Freiheit, die immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist. Aber denken muss man schon. Insofern bedeutet „Alles“ eben nicht alles. Der Satz ist gleichsam wahrhaftig, aber auch satirisch überspitzt. Oder will man allen Ernstes behaupten, Satire dürfe und würde ernsthaft zu Mord, Totschlag, zu Intoleranz und Rassismus, zu Lug und Betrug aufrufen?

Aber nichts und niemand darf für sich in Anspruch nehmen, Satire dürfe sich nicht mit ihm und seinem Tun und Denken beschäftigen. In diesem Sinne gibt es kein Tabu. Keines!

Wenn auch das die Satire beschreibende Wortmaterial nicht ohne Waffen auskommt – wie oft wurde das feine Florett beschworen, mit dem Dieter Hildebrandt umgegangen sein soll -, so ist es doch nur ein Wortbild. Nie sah ich Hildebrandt mit umgeschnallter Hieb- oder Stichwaffe. Aber seine Hiebe und Stiche saßen. Der Grund ist ganz einfach: Er hatte eine Haltung. In seinem Kopf gab es immer diesen Widerspruch zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, zwischen Ideal und Realität. Er nahm die Fakten und kommentierte kabarettistisch. Hildebrandt wusste genau, dass dabei immer der Zeigefinger des lehrhaften Aufklärers nach oben zuckte. Nie war es ihm genug, was die Medien an Fakten und Zusammenhängen brachten, vor allem vermisste er immer wieder die Fragen: Warum? Und: Wem nützt es? Bei der Beantwortung dieser Fragen nahm er kein Blatt vor den Mund. Alles wurde gesagt. Erinnert man sich heute noch daran, dass seine Sendung einmal von Bayern ausgeschaltet wurde? Ausgeschaltet. Was für ein Wort, gibt man es Mördern in den Mund. Satiriker sind keine Mörder. Satiriker sterben, wenn Mörder sie mundtot machen wollen.

Und nun? Noch ein Zitat. Bertolt Brecht: „Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse“. Diesen Satz hat er der Hauptfigur seines Theater-Stückes „Leben des Galilei“ in den Mund gelegt. In der Realität wurde Galileo Galilei von Religionsvertretern mit dem Tode bedroht.

Thüringer Allgemeine 10. Januar 2015

***

Was darf Satire?

Auszüge aus dem Artikel Kurt Tucholskys für das Berliner Tageblatt vom 27. Januar 1919

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den. (…)

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend. (…)

Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

Alles.

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