„Wagen es die Kollegen, Ponkie zu redigieren?“
Was für eine Frage! Und Wagnis? Selbstverständlich wird auch Ponkie redigiert, wollen wir antworten. Selbst Goethe würde durch Redigieren, vor allem Kürzen, besser. Ponkie ist die dienstälteste Fernsehkritikerin Deutschland. Sie wurde am Samstag (16. April 2016) neunzig und schreibt von Anfang an und immer noch in der Münchner AZ.
Und was antwortete Ponkie der Süddeutschen auf die Frage, ob die Kollegen auch Ponkie redigieren?
Redigieren gibt’s nicht. Punkt. Das ist ein Privileg, das ich in der alten Abendzeitung sehr bald hatte und auf das ich heute noch viel Wert lege. Mein Name steht schließlich unter dem Text, und damit trage ich auch die Verantwortung dafür, dass das inhaltlich in Ordnung ist… Ich liefere immer auf Zeile.
Und Ponkie sagt auch: „Kritiker zu sein, ist eine Lebensform.“ Eine unredigierbare Lebensform.
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Quelle: SZ 16. April 2016
Jan Böhmermann kann austeilen, nicht einstecken. Empfindlich eben wie die meisten Journalisten
Sind Journalisten empfindsam? Oder empfindlich? Jan Böhmermann zum Beispiel: Der ZDF-Moderator beleidigte den türkischen Staatschef, nannte das Satire und wollte – bestenfalls – mal testen, wie weit Satire gehen darf bei einem demokratisch gewählten Staatschef, der auf seinem Weg zu einem autoritären Führer schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt hat.
Als die Kanzlerin sich für ihn in der Türkei entschuldigte, als Thomas Bellut, der ZDF-Intendant, erst die Satire aus dem Netz entfernen ließ und sich dann beim türkischen Botschafter entschuldigte, da verließen Böhmermann die Nerven. Er sagte seine Teilnahme beim Grimme-Preis ab, wollte den Preis aber behalten: „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe. Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl feiern können“, schrieb er.
Dabei hätte ihn das empfindsame Publikum in Marl auf den Händen getragen. Selbst die, die sein Schmähgedicht gruselig finden, hätten ihm applaudiert, um die Freiheit – irgendwie – zu verteidigen. Aber er kam nicht.
Die meisten Journalisten sind empfindliche Menschen: Sie können austeilen, aber nicht einstecken.
Der Schah-Paragraf: Staatsoberhäupter darf keiner beleidigen – auch nicht Jan Böhmermann. Oder?
Der Spiegel erschien 1949 zwei Wochen lang nicht, er war verboten – weil er das Königshaus in Holland beleidigt haben soll. Davon erzählt Heribert Prantl, der Jurist in der SZ-Chefredaktion, auf der SZ-Titelseite von Freitag (8. März 2016) – im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann, der ein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten vorgetragen hatte.
Das Verbot 1949 erließen laut Prantl die britischen Besatzer; das Gesetz, das heute angewandt wird, wurde erst 1953 bundesdeutsches Recht. Vorläufer war ein Gesetz aus dem Kaiserreich, das allerdings nur die Beleidigung von Monarchen unter Strafe stellte.
Ende der sechziger Jahre verlangte der Schah von Persien eine Bestrafung der Studenten, die ein Plakat „Persien – ein KZ“ gezeigt hatten. Heribert Prantl: „Als Ermittler meinten, man müsse sich in diesem Rahmen auch mit den Zuständen in Persien beschäftigen, wurde das dem Bundesinnenminister Paul Lücke zu heikel. Er reiste eigens nach Teheran und bewegte den Schah zu einem Verzicht auf die Strafverfolgung.“
Gleichwohl heißt der Paragraf 103 bisher in der juristischen Umgangssprache „Schah-Paragraf“. Endet bei ihm die Presse- und Kunstfreiheit?
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Der kategorische Imperativ der Mediengesellschaft: „Was ist, wenn es rauskommt?“
Ein guter Reporter recherchiert nicht, um einen Mächtigen zum Rücktritt zu zwingen oder ins Gefängnis zu bringen. Auch wenn eine Portion Jagdfieber dabei sein sollte: Ein guter Reporter kontrolliert die Macht und schaut genau hin, wo und wie sich die Mächtigen um jeden Preis – oder fast jeden Preis – die Macht sichern.
Ein Gerichtsverfahren oder gar einen Rücktritt können die Leitartikler fordern. Nicht von ungefähr ist im angelsächsischen Journalismus klar unterschieden: Recherche ist die Sache der Reporter, der Kommentar und die Linie des Blattes ist Sache der Editoren, die in den klimatisierten Etagen der Zentrale sitzen.
Der Rücktritt eines Regierungschefs ist Sache des Parlaments oder des Präsidenten oder – wie in Island in Folge der Panama-Papers – Sache des Volks, das auf die Straße geht. Ein solcher Rücktritt ist sozusagen der Kollateralschaden einer Recherche.
Ziel einer Recherche ist durchaus, die Mächtigen zu warnen und gar in Furcht vor dem Herrn zu halten, dem Volk also und seinen recherchierenden Treuhändern, den Journalisten. Im Handbuch des Journalismus* loben wir den Willen zur Wahrhaftigkeit bei Journalisten wie Politikern und zitieren Bodo Hombach, der Politiker war, dann Verleger der WAZ und heute zweifacher Honorarprofessor: Er deutete Kants kategorischen Imperativ „Was ist, wenn es alle tun?“ um in den kategorischen Imperativ der Mediengesellschaft: „Was ist, wenn es rauskommt?“
An diesen kategorischen Imperativ haben die Panama-Papers die Mächtigen wieder erinnert – übrigens nicht nur die in westlichen Ländern, sondern auch die Diktatoren und Kriegsherren dieser Welt.
Zudem sind die Panama-Papers eine Antwort auf die „Lügenpresse“-Prediger und –Anhänger.
*Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus, Seite 293 (Rowohlt 2016)
Journalisten erfinden neue Wörter: Heribert Prantl und die „Dresdner Republik“ (Friedhof der Wörter)
Wörter fallen nicht vom Himmel. Selbst fromme Bürger, die eh einer aussterbenden Spezies angehören, glauben nicht mehr, dass Gott oder ein anderes höheres Wesen in unsere Sprache hineinfährt wie ein Blitz.
Wörter werden gemacht, zum Beispiel von Journalisten, zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, unserer bedeutendsten nationalen Zeitung. Im Leitartikel der Samstag-Ausgabe erfindet Heribert Prantl gleich zwei neue Wörter und bietet dem staunenden Leser drei Spezialbegriffe an, die dort am besten aufgehoben sind, wo sie hingehören: In die Fachsprachen oder dem Reservat der Bildungshuberei.
Wissen Sie, was „Aberratio“ bedeutet? Oder „ „incidenter“, ohne in einem Lexikon nachzuschlagen? Die Fragen dürften in einem TV-Quiz zu den Millionen-Preisfragen zählen. Also –
Aberratio können zumindest humanistisch Gebildete enträtseln: Das lateinische Wort kreist um den Irrtum. Vor allem Menschen, die gerne ihre Bildung vorzeigen, nutzen die alten Vokabeln und zeigen ihre Überlegenheit, indem sie das Wort für die Ungebildeten gleich übersetzen: ein großer Bohei, ein großer Irrtum.
Heribert Prantl nutzt gleich drei Wörter für einen Irrtum in einem einzigen Satz seines Leitartikels!
- Bohei aus der Umgangssprache – ein Wort, das der Duden erst vor zwölf Jahren auflistete;
- Irrtum aus der Alltagssprache und
- Aberratio, das der Duden den Fachsprachen zuordnet.
Incidenter stammt auch aus dem Lateinischen, zählt zum Bestand der Bildungshuberei, hört sich bedeutend an, bedeutet aber nur „beiläufig“ – also etwas, was man am Rande erwähnt.
Rezivilisierende Wirkung ist eine klassische Neuschöpfung, die allerdings nur schwer zu enträtseln ist. „Zivilisieren“ ist eine Art Integration: Wie bringe ich Fremden unsere westliche Kultur bei? Das „Re“, das Zurück, wäre also die Umkehr der Zivilisation, die Rückkehr in den alten Zustand der Barbarei.
Wer will das? Was soll es bedeuten in dem Satz:
Ein NPD-Verbot schon im Jahr 2003 hätte vielleicht eine gewisse rezivilisierende Wirkung (auf die rechtsradikale Szene) gehabt.
Aber wahrscheinlich ist nur die Wortschöpfung missglückt: Streichen wir das Wort, damit es nicht eines Tages im Duden auftaucht.
Dresdner Republik ist eine neue, eine polemische Schöpfung: So würde die Bundesrepublik sein, wenn Pegida herrschte oder die AfD. Es ist ein fieses Wort: Es suggeriert, dass die Mehrheit der Dresdner und der Ostdeutschen so denken wie eine Pegida-Anführerin, die auf einer Kundgebung zur Gewalt rief:
Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, würden sie diese volksverratenen Eliten aus den Parlamenten, den Gerichten, den Kirchen und den Pressehäusern prügeln.
„Dresdner Republik“ erinnert an „Weimarer Republik“, die zu schwach war und Hitler an die Macht brachte. Wir sollten die „Dresdner Republik“ schnell wieder vergessen.
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Thüringer Allgemeine, erweiterte Fassung der Kolumne „Friedhof der Wörter“ vom 7. März 2016 (geplant)
Quellen:
- SZ vom 27. Februar „Der braune Kern“
- (Festerling) dpa Meldung vom 12. Januar 2016 Siehe: http://www.sz-online.de/sachsen/festerling-provoziert-strafanzeige-3296346.html
Leser-Debatte in der Flüchtlingskrise: „Die Glocke“ schaltet ab
„Die Glocke“ ist eine Regionalzeitung in Ostwestfalen mit einer Auflage von 54.000 inklusive 4.000 E-Paper (nach Verlagsangaben). Sie schließt ihr Meinungsforum im Internet, so dass Leser keine Möglichkeit mehr besitzen, Artikel zu kommentieren. Die Redaktion sieht „aus rechtlicher Verpflichtung“ keine andere Möglichkeit und schreibt:
Dieser Schritt ist unumgänglich, da das Meinungsforum in den vergangenen Wochen vor allem vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdiskussion leider auch zu einem Medium für extreme Hetzer geworden ist.Unter dem Deckmantel der Anonymität (auf eine Klarnamenpflicht und Registrierung hatte die Redaktion bislang verzichtet) verfassten Nutzer zunehmend menschenverachtende Beiträge, die in den vergangenen Tagen sogar Mordaufrufe gegen Asylbewerber enthielten.
Regional- und Lokalzeitungen leiden seit Monaten unter den Wut- und Hassmails. Wie können Sie darauf reagieren?
- Sie moderieren, also geben eine Lesermail erst frei, wenn sie ein Redakteur gelesen hat. Das ist aufwändig, selbst wenn man die Kommentarfunktion nachts abschaltet (wie es einige überregionale Medien tun). Die zwei, drei Redakteure fehlen als Reporter und Rechercheure.
- Sie verpflichten Kommenatoren, sich registrieren zu lassen und ihren Klarnamen zu nennen. Das vermindert, aber verhindert keine Hassmails.
- Sie lassen die Netzgemeinde entscheiden und richten einen Warn-Knopf ein: Jeder Leser kann ihn drücken und auf Prüfung und Entfernung bestehen. Dann steht der Hass-Post aber minuten- oder stundenlang erst einmal im Netz.
- Sie schalten die Kommentare komplett ab und bestrafen damit die ehrlichen Leser.
- Sie lassen alles durch und riskieren, dass die Leser an der Seriosität der Zeitung zweifeln – und der Staatsanwalt anklopft.
Rabauken-Affäre in Mecklenburg: Auch Landgericht bestätigt Geldstrafe gegen Redakteur
Ein Jäger hängt ein totes Reh an die Anhänger-Kupplung, fährt damit über die Bundesstraße 100, wird zum Thema in den sozialen Netzwerken und schließlich vom Nordkurier-Redakteur Thomas Krause als „Rabauken-Jäger“ tituliert. Das Amtsgericht verurteilt den Redakteur zu 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung, das Landgericht bestätigt heute das Urteil (Freitag, 5. Februar 2016)

Ja. Weil es am Ende jeden betrifft. Wenn sich unsere Leserinnen und Leser auf Facebook über einen Politiker aufregen und ihn dann vielleicht sogar „Schwachkopf“ nennen. Oder wenn uns jemand in einem Leserbrief schreibt, das Amt XY sei in seinen Augen „geistig minderbemittelt“. Die bekommen dann künftig alle Post vom Staatsanwalt, wenn dieses Urteil Bestand hätte.
> Wie das?
Naja, das sind alles Meinungsäußerungen. Vielleicht nicht so nette, aber eben doch Meinungen. Und die freie Meinungsäußerung wird von unserer Verfassung geschützt.
> Heißt das im Umkehrschluss, man darf alles sagen? Und insbesondere Journalisten? Stehen sie über dem Gesetz?
Nein, um Gottes Willen. Die Frage ist nur, wo hört eine Meinung auf und wird zur reinen Beleidigung.
> Und wann ist das so?
Das ist schwer zu sagen – am Ende oft eine Auslegungssache. Unser Verfassungsgericht urteilt aber seit Jahrzehnten, dass die Grenzen weit gesteckt sind. Das ist auch gut so, denn niemand sollte in Deutschland Angst haben, seine Meinung zu sagen.
> Kann ich also ungehindert Menschen in der Öffentlichkeit als Mörder, Kinderschänder oder Geisteskranke bezeichnen?
Nein! Die Grenze ist immer da erreicht, wo die Äußerung überhaupt nichts mehr mit der Sache zu tun hat, sondern nur noch die Person treffen möchte. Außerdem darf ich nicht unter dem Deckmantel einer Meinungsäußerung falsche Tatsachen verbreiten. Einen Mörder darf ich nur jemanden nennen, der auch als solcher verurteilt wurde.
Lügenpresse (9) Meine Chronik des Jahres: Wie Regionalzeitungen reagieren

So schickte eine Leserin der Ruhr-Nachrichten eine Seite zurück, auf denen Fakten zu Flüchtlingen aufgelistet wurden
„Psychokrieg mit Todesanzeigen gegen Journalisten, die über Neonazis berichten“, so begann der erste von meinen neun Blogs zur Lügenpresse.
Peter Bandermann ist für mich der Journalist des Jahres: Der Reporter der Ruhr-Nachrichten musste im Internet seine eigene Todesanzeige lesen, von Neonazis ins Netz gestellt; der Spruch am Kopf der Anzeige endet mit der Zeile „Endlich einer weniger. Danke Oh Herr“. So will Pegida, so wollen die Neonazis mit dem „Herrn“ das Abendland retten. Peter Bandermanns Haus wurde mit Farbbeuteln beworfen, er macht trotzdem weiter.
Lügenpresse 2 – Chef der Wügida gibt der Main-Post kein Interview
Pegida ist kein ostdeutsches Phänomen, selbst im christlichen Würzburg rüsten die Neonazis auf gegen die Zeitung.
Lügenpresse 3 – Des Lesers Lust an der Verschwörung
Ein Leser schreibt: „Die Presse lügt nicht, sie schreibt nur nicht die Wahrheit“ und belegt dies mit einer Verschwörungs-Theorie. Die Redaktion in Erfurt widerlegt sie – in der Zeitung
Lügenpresse 4 – Ein Chefredakteur zeigt Haltung
Der Chefredakteur ist Wolfram Kiwit von den Ruhr-Nachrichten, der eine komplette Seite mit Fakten zur Flüchtlings-Devbatte druckt. Eine Leserin schickte die Seite an die Chefredaktion zurück und schreibt quer drüber „Lügenpresse“. Kiwit reagiert in seinem Blog und erläutert die Haltung der Redaktion: „Versachlichen, gründlich recherchieren, Fakten sprechen lassen und nicht auf den Zug eines meist parteilichen Empörungs-Journalismus springen. Wir machen einfach weiter.“
Lügenpresse 5 – Wie sich Spiegel-Reporter von einem Diktator nicht korrumpieren ließen
So arbeitet also die deutsche „Lügenpresse“: Vom Diktator der Ex-Sowjet-Republik Kasachstan lässt sie sich nicht manipulieren, und von prominenten deutschen Ex-Politikern lässt sie sich auch nicht zur Beugung der Wahrheit verführen.
Lügenpresse 6 – Können wir Zeitung machen gegen die Vorurteile der Leser?
Was folgt aus den Vorwürfen der Leser für die Redaktion? Populismus? Nein, aber in Analysen, Kommentaren und Hintergrund-Geschichten soll sie die Erfahrungs-Welt der Leser aufnehmen und einordnen. Dazu gehört vor allem, die Meinungen der Leser ins Blatt zu heben, die Zeitung zum Forum zu machen, auch wenn es bisweilen wehtut.
Lügenpresse 7 – CSU-Friedrich als parlamentarische Pegida, eine rechte APO ahnend
Einfach nur ein Zitat aus Bayern: „Die veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinungen sind 180 Grad auseinander.“ Ein Politiker-Zitat.
Lügenpresse 8 – Wenn Leser lügen
Rund acht Prozent der Leser lobten vor zehn Jahren ein Heft des NZZ-Magazin „Folio“ zum Thema Katastrophen – das es nie gegeben hat.
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Am 30. September reagierte
Thomas Bärsch reagierte mit fünf Punkten in der Zeitung:
1. Unser oberster Anspruch heißt Wahrhaftigkeit
Wer jemanden der Lüge bezichtigt, der beschuldigt ihn, vorsätzlich wahrheitswidrig zu reden oder zu schreiben. Er nimmt zugleich für sich in Anspruch zu wissen, was die Wahrheit ist.Wir Journalisten erheben diesen Anspruch für uns nicht – vor allem aus der Erkenntnis heraus, dass es die eine objektive und unveränderliche Wahrheit oft nicht gibt. Stattdessen haben wir uns die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht.Wahrhaftigkeit heißt, nach der Wahrheit zu streben. Es heißt nicht, in ihrem vollständigen Besitz zu sein oder dies von sich zu behaupten. Wenn wir berichten, dann im Ergebnis von Recherchen, von Informationen aus verschiedenen Quellen und oft auch auf der Grundlage unserer Beobachtungen – zum Beispiel bei Demonstrationen.
2. Wir reklamieren für uns keine Vollständigkeit
Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass wir unsere Leser erkennen lassen, was recherchierte Fakten, was Aussagen Dritter und was unsere eigenen Beobachtungen sind. Dabei vermeiden wir es, den Eindruck zu erwecken, der von uns gelieferte Bericht, das von uns gezeichnete Bild spiegele die Wirklichkeit bis ins letzte Detail wider. Vielmehr wählen wir oft aus einer Vielzahl von Fakten und Aussagen aus, die es den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst ausgewogenes und umfassendes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu entwickeln.Wichtig ist dabei für uns vor allem, dass wir keine Fakten weglassen, die entscheidend für das Verständnis eines Sachverhalts sind oder diesen sogar konterkarieren.
3. Weglassen ist keine Fälschung und keine Lüge
Immer wieder sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden die Wirklichkeit verfälschen, indem wir Fakten oder auch einzelne Meinungsäußerungen nicht veröffentlichen. Dann ist das Wort „Lügenpresse“ schnell gesagt.Tatsache ist, dass wir Fakten und Aussagen nach ihrer Relevanz für die Beurteilung eines Sachverhalts wichten. Darüber, ob unsere jeweilige Entscheidung richtig ist, wird vor allem in der aktuellen Flüchtlingsdebatte oft gestritten – übrigens auch während der Entscheidungsfindung innerhalb der Redaktion.Entscheidend ist für uns, ob Informationen nachprüfbar oder glaubhaft sind. Wenn es etwa einen Polizeieinsatz in Flüchtlingsheimen gibt, berichten wir darüber.
4. Facebook & Co. sind nicht die Wirklichkeit
Wir berichten nicht über alles, was wir hören oder lesen. Das gilt vor allem dann, wenn es auf Gerüchten beruht, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiten. Für uns gilt: dass eine Behauptung oft wiederholt wird, macht sie nicht wahr.Leider beobachten wir eine gewisse Neigung mancher Menschen, Gerüchten und Mutmaßungen zu glauben, dagegen aber von Journalisten recherchierte oder hinterfragte Informationen als Lüge abzustempeln. Stammen diese Informationen gar aus offiziellen Quellen – also zum Beispiel von Behörden –, lässt der Vorwurf der Staatsnähe meist nicht lange auf sich warten.
5. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwei Dinge
Gern wird jetzt von diesen beiden Freiheiten gesprochen. Die erste ist ein Grundrecht, das den Bürgern garantiert, ihre Meinung frei und offen zu äußern – auch gegen den Staat. Der AfD-Fraktionschef Björn Höcke nutzt dieses Recht, wenn er etwa auf Demonstrationen spricht.Die Pressefreiheit dagegen ist das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit – ohne staatliche Zensur oder jedwede andere Form der Einmischung von außen. Zu dieser Freiheit gehört für uns, dass wir selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir von der Aktuellen Stunde und der Demonstration am Mittwoch berichten. Schon jetzt können wir versprechen, dass wir dies ausführlich tun werden. Nicht versprechen können wir dagegen, dass unsere Berichterstattung allen passen wird.
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Zum guten Schluss für alle Chefredakteure, die 2015 wenig zu lachen hatten. Thomas Bärsch ist amtierender Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, der das Schmunzeln nicht verlernt hat; er schrieb am 13. Dezember diesen Tweet
Ist das laute Abspielen von Heino eigentlich noch Ruhestörung oder schon Landfriedensbruch?
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Im Dezember ist dieser Blog zum Tausender geworden: Über tausend Blog sind seit der Gründung 2012 von 160.000 Besuchern gelesen worden. Es ist ein kleiner Blog geblieben, bewusst auf eine kleine feine Leserschaft von Journalisten konzentriert und auf Leser, die Journalismus als Garanten der Demokratie verstehen.
Ich wünsche allen Lesern, Kommentatoren und Kritikern meines Blogs ein gutes Jahr 2016, in dem sie das Lachen und Lächeln nicht verlernen sollten.
Gewerkschafts-PR wird zum Weihnachts-Aufmacher der Süddeutschen
Der Aufmacher der Süddeutschen Zeitung in der Weihnachts-Ausgabe ist ein Angstmacher: „Flüchtlingskrise und Terrorgefahr überfordern Deutschlands Polizei“, so der Beginn der Unterzeile. Ob ein Angstmacher die Leser unterm Tannenbaum abholt, dürften die meisten Blattmacher deutlich verneinen: Sie empfehlen den Mittelweg zwischen dem Elend der Welt und der Rührseligkeit der stillen Nacht. Den geht in der SZ Heribert Prantl, der Moralist für besondere Aufgaben (gern auch christlich), auf der vierten, der Meinungsseite: Auch er denkt nach über Angst und Eingreiftruppen, aber er meint nicht die irdischen, in der Polizeigewerkschaft organisierten, sondern die himmlischen, die Engel.
Der Prantl wäre der bessere Aufmacher gewesen: „Engel ist jeder, der Kraft hat, aus dem Ring der Unversöhnlichkeit zu springen.“ Aber ein Kommentar als Aufmacher? Der Angstmacher, den die SZ wählte, ist auch einer, wenn man ihn freundlich beurteilt. Eigentlich ist er ein PR-Beitrag der Gewerkschaft, der wie eine Nachricht präsentiert wird.
Recherche fand nicht statt. Es gibt eine einzige Quelle: Zwei Funktionäre der Gewerkschaft der Polizei, der Chef in NRW und Vizechef im Bund; dazu kommt ein Polizist aus Recklinghausen, der einen „Brandbrief“ geschrieben hat. In die Funktionärs-Erregung stimmt der Redakteur ein: „Die Überlastung hinterlässt Spuren“, wobei der Redakteur durchaus seine eigene Recherche-Überlastung gemeint haben könnte.
Da kommt kein Ministerium, weder Bayern noch Bund, zu Wort, kein anderes Bundesland als NRW rückt in den Blick, keine der privaten Sicherheitsfirmen, die auch ins Visier geraten, wird befragt. Selbst die Grafik zum Text, die den Stellenabbau illustriert, ist schludrig: Gemischt werden Angaben von Gewerkschaft und Statistischem Bundesamt; die Zeitabstände auf einer linearen Zeitachse sind höchst unterschiedlich, mal zwei Jahre, dann drei Jahre, dann neun (!) Jahre, abschließend ein Jahr. Zudem stimmen die Zahlen im Artikel-Text und in der Grafik nicht überein: Während der Text von einem Abbau „bis zu 17.000 Stellen“ spricht, zeigt die Grafik einen Abbau von 22.000.
Die Vergleiche hinken: Was hat die Schließung von Dorfwachen mit Großeinsätzen wie G-7-Gipfel und Bundesliga-Spielen zu tun? Was eine Rufbereitschaft mit „Heiligabend in Uniform“ (so die irritierende Überschrift)? Wahrscheinlich haben die Funktionäre die schiefen Vergleiche geprägt – aber ist es Aufgabe eines Journalisten, sie so zu übernehmen?
Wahrscheinlich haben wir zu wenige Polizisten und zu viele Überstunden – doch darum geht es nicht: Es geht um professionelle Standards des Journalismus, um die rechten Themen zur rechten Zeit, um ausführliche Recherche, um Nachrichten, nach denen man sich richten kann, um klare Analysen, die dem Leser ein eigenes Urteil ermöglichen, um eine klare Sprache – und Kommentare, die als Kommentare zu erkennen sind.
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Quelle: „Heiligabend in Uniform“, SZ 24. Dezember 2015
Kolumnisten: Die Unantastbaren im Meinungskorridor der Redaktion
Mit Kolumnisten, noch dazu außerordentlichen, legt man sich nicht ohne Grund an.
So schreibt Hermann Unterstöger, selbst ein außerordentlicher Kolumnist, in seiner SZ-Kolumne „Sprachlabor“. Willkommen beim Wochenende der Kolumnisten auf dem Glatteis: Auch Bülend Ürük in Kress-Online hadert mit einer Kolumnistin bei der SZ, diesmal der SZ aus Stuttgart. Da hat ein Muslime-Nazi-Vergleich der Kolumnistin offenbar Leser so verärgert, dass eine Sprecherin der Zeitung (!) auch meint, herausheben zu müssen, dass man sich mit Kolumnisten nicht anlegen will:
Generell gilt in der Stuttgarter Zeitung die redaktionelle Linie, dass wir den Kolumnisten – zu denen auch Frau Krause-Burger gehört – einen weiten bis sehr weiten Meinungskorridor einräumen.
Der Kolumnisten-Kritiker Unterstöger aus München bleibt in seiner Kolumne charmant und nennt weder die Kolumne noch den Namen der Kolumnistin, er pflegt also einen inner-redaktionellen Datenschutz . Zudem wartete er fast einen Monat, ehe er die Kolumnistin tadelte – weil sie recht umgangssprachlich „mit was“ und „zu was“ formulierte statt die Adverbien „womit“ und „wozu“ zu nutzen. Da mag der Unterstöger wieder gedacht haben: Besser gut gemeint als gut geschrieben, das reicht den Kolumnisten, die unentwegt die Welt retten.
Unterstöger rettet nur die deutsche Sprache.
Sibylle Krause-Burger will mehr retten und richtet über den „Fremdenfrust“ der Ostdeutschen. Bülend Ürük und einigen Lesern der Stuttgarter Zeitung stieß dieser Satz der Kolumnistin auf, der offenbar nicht nur sprachlich mißlungen ist:
Und so begeistert, wie die Väter und Großväter einst den Mordaufrufen der Nazis folgten und für ihren Vernichtungswillen die gerade mal 500 000 völlig integrierten deutschen Juden ins Feld führten, so begeistert gehört es sich 70 Jahre später, Hunderttausenden von geflüchteten Muslimen ein freundliches Gesicht zu zeigen.
Sibylle Krause-Burger greift zu einem Nazi-Vergleich, und kress-online zitiert mich dazu:
Paul-Josef Raue warnt Journalisten davor, Nazi-Vergleiche zu ziehen: „Sie werden eigentlich meist falsch verstanden“, so der erfahrene Journalist. „Wer Nazi-Vergleiche bemüht, nutzt die schärfste moralische Waffe, die wir in Deutschland haben; wer solche Nazi-Hiebe austeilt, will Debatten verhindern, will Recht behalten, will als guter Mensch strahlen und verehrt werden“.
Noch ärgerlicher ist allerdings die Respektlosigkeit der Kolumnistin gegenüber den Ostdeutschen, den Deutschen „drüben“, übrigens ein Begriff aus dem Kalten Krieg: „Hier Willkommenslust, drüben Fremdenfrust“. Diese Respektlosigkeit verärgert die Menschen im Osten, diese Respektlosigkeit ist einer der Gründe, warum Pegida nicht implodiert.
Offenbar wächst mit dem Abstand zur ehemaligen innerdeutschen Grenze die Bereitschaft, den Osten zu stigmatisieren und ihn nicht verstehen zu wollen (oder nur nach eigenen Massstäben). Da baut man lieber wieder eine Mauer auf, nennt die Landsleute im Westen die „lieben Landsleute“ und die im Osten „Landsleute aus der ehemaligen Zone“. Sybille Krause-Burger versteht die Menschen im Osten nicht, dabei stehen mittlerweile, so fand sie heraus, „in ihren Wohnungen Trockner, Wasch- und Spülmaschinen“.
Gab es in der DDR keine Waschmaschine? Haben die Frauen in Dresden und Erfurt vor der Revolution noch am Waschbrett gestanden, geschrubbt und dabei Arbeiter-Lieder gesungen? Wahr ist: Die Waschmaschinen in der DDR waren nicht so gut wie die im Westen, weil die guten ostdeutschen Waschmaschinen in den Westen verkauft wurden.
Wer die Menschen im Osten verstehen will und respektieren, der sollte auf Küchenpsychologie verzichten nach dem Muster: Schwere Kindheit, Schattenseite des Lebens und nun auch noch Arbeitslosigkeit. Zu den Fakten: Die Arbeitslosigkeit in Thüringen und Sachsen ist mittlerweile niedriger als in Nordrhein-Westfalen oder Bremen. Und die Revolution war eine der Ostdeutschen, nicht der „lieben Landsleute im Westen“ auf der Sonnenseite.
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