Alle Artikel der Rubrik "K 41 Das Foto"

Darf eine Zeitung das Bild eines rasenden Politikers drucken? Ramelows Blitzerfoto und Quietsche-Enten

Geschrieben am 15. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser der Thüringer Allgemeine fragt zum „Blitzerstreit des B.R.“, gemeint ist Bodo Ramelow, der erster Ministerpräsident der Linken in Deutschland werden will: „Der Abdruck des Blitzerfotos ist gesetzwidrig, er verletzt das hohe Gut des Persönlichkeitsrechtes – warum dazu kein Hinweis?“ Der Leser bezieht sich auf Berichte und Fotos, zuerst der Bildzeitung, über Bodo Ramelow, der zu schnell gefahren sein soll, wie ein Blitzerfoto beweise (was von ihm bestritten wird: Erst akzeptierte er den Bußgeldbescheid nicht, aber zahlte dann laut eigener Angabe doch, nachdem der Fall ans Amtsgericht weitergeleitet und öffentlich diskutiert worden war).

Auch die Thüringer Allgemeine und der FAZ berichteten ausführlich, FAZ und Bild sogar mit Angabe des Kennzeichens von Ramelows Wagen.

Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“ auf der Leserseite:

Es gibt in der Tat ein Recht am eigenen Bild. Doch gibt es auch eine Reihe von Ausnahmen – vor allem für Bürger, die gewählt sind als Vertreter des Volks, für Bürger, die berühmt sind und die sich in der Öffentlichkeit stolz präsentieren.

Blitzerfotos waren sogar Gegenstand einer Klage beim Bundesverfassungsgerichts, das entschied: Sie sind erlaubt, denn sie werden auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet und sind jedermann wahrnehmbar – und schließlich gehe es um die Sicherheit im Straßenverkehr, die eine Einschränkung der „grundrechtlichen Freiheiten“ erlaubt.

Vor allem Politiker, die von den Bürgern als Vorbild gesehen werden, müssen akzeptieren, dass sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Bodo Ramelow nennt dies in einer Facebook-Nachricht sinngemäß: Die Presse spiele mit Quietsche-Enten. Selbst eine Politikerin wie Heidi Simonis, die abgewählt war, musste ertragen, dass sie beim Einkaufen fotografiert wurde. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Bürger dürfen erfahren, wie sich ein Politiker verhalte – gerade in spektakulären Situationen. Er könne sich “nicht ohne Weiteres der Berichterstattung unter Berufung auf seine Privatheit entziehen“.

Und dass sich Bodo Ramelow in einer spektakulären Situation befindet, dürfte selbst bei ihm unstrittig sein, wie sein persönliches Engagement in den sozialen Netzwerken beweist.

Zudem: Wen sollte ein Reporter nach der Zustimmung zur Veröffentlichung des Blitzerfotos fragen, wenn unklar ist, wer überhaupt auf dem Foto abgebildet ist?

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“ 15. November 2014 (hier erweitert)

Quellen: Bild 6.11. „Wird hier Thüringens neuer Landeschef geblitzt?“ und FAZ 7.11. von Claus Peter Müller „Zur Akteneinsicht gebracht“

Die SZ lobt „das Kriegsfahrzeug des kleinen Mannes“, gemeint sind IS-Terroristen und der Toyota Hilux

Geschrieben am 24. August 2014 von Paul-Josef Raue.
AP Foto in der SZ vom 23. August 2014

AP Foto in der SZ vom 23. August 2014

Das Foto sticht ins Auge: Wenige Tage nach der Ermordung des Journalisten James Foley zeigt die Süddeutsche Zeitung am Samstag das AP-Bild eines IS-Terroristen mit schwarzer Fahne und Kalaschnikow, der an einer Sanddüne auf einen Toyota Hilux schaut. Die Bildzeile, offenbar ernst gemeint:

IS-Kämpfer und Taliban, somalische Piraten und libysche Milizionäre – alle fahren Toyota Hilux. Warum Aufständische in aller Welt besonders gerne den japanischen Geländewagen nutzen.

Die Autorin Luisa Seeling kommt ins Schwärmen, man spürt ihre Emphase, am liebsten ins nächste Flugzeug gen Irak oder Syrien zu fliegen – und zu staunen über das „Symbol der asymetrischen Kriegsführung“:

Ob Tundra oder Wüstensand – mit dem Toyota Hilux lässt sich widriges Gelände sogar mit schweren Lasten bezwingen, behauptet zumindest der Hersteller. Diese Qualitäten wissen auch die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Syrien und Irak zu schätzen: Auf Fotos und Videos, die ihren Vormarsch dokumentieren, ist der Hilux oft zu sehen. Und nicht nur dort.

Afghanische Taliban, somalische Piraten, libysche Milizionäre – sie alle schätzen das Fahrzeug, das der US-Sicherheitsexperte Andrew Exum im US-Magazin Newsweek das „fahrende Pendant zum AK-47“ nannte. Die Zeitschrift hatte einmal die Länder aufgelistet, in denen schon Toyota-Pick-ups in bewaffneten Konflikten eingesetzt wurden: Libyen, Sudan, Pakistan, Ruanda, Liberia, Irak und Somalia waren etwa dabei. Pick-ups sind das Kriegsfahrzeug des kleinen Mannes und vor allem der Hilux ist zu einem Symbol der asymmetrischen Kriegsführung geworden.

Es ist keine Satire, es ist ernsthafter Journalismus in Deutschlands führender Zeitung. Also – nichts wie hin zum nächsten Toyota-Händler!

In derselben Ausgabe der SZ ist ein exzellenter Essay von Tomas Avenarius zu lesen – über den Kriegsreporter. Ob der auch den Toyota Hilux fährt?

Mehr über den Kriegsreporter bald in diesem Blog.

Quelle: SZ 23. August 2014

Bilder, die sich ins Gedächtnis der Menschheit einprägen: Was wäre die Welt ohne Reporter wie Anja Niedringhaus?

Geschrieben am 6. April 2014 von Paul-Josef Raue.

Die Ermordung der Fotografin Anja Niedringhaus kommentieren die meisten Zeitungen als einen Beleg, wie schlimm es um Afghanistan bestellt ist und wie wenig Chancen dieses Land hat – trotz der Wahlen; einige, wie die FAZ, kommentieren, es gebe Fortschritte – trotz der Ermordung der deutschen Fotografin.

Wir sollten uns aber zuerst  vor der Fotografin verbeugen, vor ihrem Mut, für die Freiheit der Menschen und die Freiheit der Presse ihr Leben zu riskieren. Mancher mag denken: Was bringt es denn, sein Leben zu opfern in Ländern, die uns wenig angehen und denen sowieso nicht zu helfen ist? 

Es bringt viel! Fotos aus Vietnam, auch unter Lebensgefahr auf den Film gebracht, leiteten das Ende dieses  Krieges ein. Das Foto des nackten Mädchens, das vor der Napalm-Wolke flieht, hat sich in das Gedächtnis der Menschheit eingeprägt.

Die Welt wäre anders, wenn Fotografinnen wie Anja Niedringhaus nicht mehr ihr Leben riskierten – um der Welt, den Politikern und den Menschen guten Willens zu zeigen, welcher Wahnsinn immer noch um uns herum tobt. Die Kriegsreporter und alle, die um der Wahrheit willen recherchieren, sind eine Art Weltgewissen, vielleicht sogar eine heimliche Weltregierung. Wenn sie fehlen oder immer weniger werden, wird diese Welt eine andere sein – und sicher keine bessere.

Verneigen wir uns vor Anja Niedringhaus und all den anderen. Ihr Tod ist eine Tragödie für die Welt und ein Verlust für uns Journalisten. Ellen Dietrich, die Bildchefin der Zeit, berichtet: „Wir haben hier in der Redaktion gesessen und geweint.“ Am Ende bleiben nur die Tränen.

Jochen Reiss‘ Porträt der Fotografin Anja Niedringhaus, erschossen in Afghanistan

Geschrieben am 6. April 2014 von Paul-Josef Raue.

Braune Outdoor-Jacke mit aufgesetzten Taschen, da geht was rein. Den braunen Rucksack mit der Kamera hat sie auf dem Rücken. Anja Niedringhaus kommt mit dem Rad, sie kettet es vor dem Genfer Hauptbahnhof an. Gespräch in der Bahnhofspizzeria beim Cappuccino. Zwischendrin muss sie telefonieren. „I’ll be there just in time.“ Sie will sich Zeit nehmen, aber sie ist unter Druck. Spätestens um 16.45 Uhr muss sie los. Um 17 Uhr schließt das Konsulat Afghanistans und sie hat ihr Visum noch nicht. Morgen will sie wieder nach Kabul. Alle zehn Minuten zündet sie ihre Elektro-Zigarette an. Sechs Jahre lang war sie weg vom Rauchen. Im Krieg in Libyen hat sie wieder angefangen.

Anja Niedringhaus ist Kriegsfotografin. Der Gaza-Streifen, Afghanistan, Pakistan, Libyen, Kuwait, der Irak – die Stempel in ihrem Pass lesen sich wie die Landkarte der Krisengebiete. Mit dem Balkan-Krieg hat alles angefangen. Sie hat aber auch andere Themen: Wimbledon, Fußball-Weltmeisterschaften oder -Europameisterschaften, internationale Leichathletik-Turniere, auch mal der Papst auf Reisen.

So beginnt Jochen Reiss sein Porträt von Anja Niedringhaus, das 2013 in seinem Buch „Menschen machen Medien“ erschienen ist (mehr dazu im Anhang dieses Blogs). Am Freitag, 4. April 2014, ist die Fotografin in Afghanistan von einem Polizisten erschossen worden, als sie über den Wahlkampf berichtete.

Eines ihrer Fotos zeigt einen US-Marineinfanteristen mit entschlossenem Blick in schwerer Montur. Er führt einen jungen Mann in schwarzen Kleidern ab, barfuß, die Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern gefesselt. Die rechte Hand des Soldaten drückt den Nacken des Festgenommenen tief nach unten. In der linken hält er sein Gewehr. Das Foto ist eines der Bilder, für das Anja Niedringhaus als erste deutsche Fotografin den Pulitzerpreis bekommen hat.

„Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt“, sagt Anja Niedringhaus. Das Foto macht sie während der zweiten Schlacht um die irakische Rebellen-Hochburg Falludscha im November 2004. Phantom Fury wird die Operation genannt, gespenstische Wut. 1.200 Aufständische und 64 Soldaten werden getötet. Es ist der schwerste Häuserkampf des US-Militärs seit der Schlacht um Hué in Vietnam im Jahr 1968.

Das Foto ist eines der wenigen Hochformate, die sie macht. Sonst fotografiert sie quer. „Man sieht ja auch nicht hochkant.“ Sie hat es so schwerer, dass eines ihrer Motive es auf das Cover von Newsweek oder des Time Magazine schafft. Das nimmt sie in Kauf.

Manchmal ist Anja Niedringhaus in der Frontlinie, wo die Kugeln pfeifen. Meistens zeigen ihre Bilder die anderen Opfer eines Krieges, die toten und verletzten Zivilisten, die Hinterbliebenen, die Traumatisierten, das Ringen um Würde und Normalität in der Ausnahmesituation. „Ich bin ja nicht auf der Suche nach dem Bang-Bang. Ich glaube, dass andere Fotos viel mehr zeigen können. Was passiert nach dem Bang-Bang? Welche tiefen Spuren hinterlässt der Krieg? Wie geht es den Menschen, die leiden und sich im Krieg zurechtfinden müssen? Das ist es, was ich erzählen möchte.“

Ein Foto zeigt den Schmerz eines jungen Libyers. Pfleger trösten ihn, im Krankenhaus von Bengasi hat er gerade seinen getöteten Bruder identifiziert. Auf einem anderen ist ein US-Soldat mit nacktem Oberkörper in Afghanistan zu sehen. Er hat einen Bauchschuss, im Lazaretthubschrauber greift er nach seinem Rosenkranz. Einmal kommt Anja Niedringhaus an einem Auto vorbei, eine Granate hat es gerade getroffen. „Da klebte eine ganze Familie an den Resten der Autoscheiben. Es waren zwei Kinder dabei.“

Widerwillig nähert sie sich, die letzten Meter geht sie nur noch mit der Kamera vor den Augen, um die Strecke zu schaffen. „Wenn ich ein schreibender Journalist wäre und würde diese ganzen Dinge sehen, hätte ich ein größeres Problem. Ich bin meiner Kamera dankbar, sie ist immer auch ein Schutz. Die Konzentration schirmt mich ab gegen die Eindrücke.“ Als Anja Niedringhaus damals am Abend die Bilder editiert, muss sie sich mehrfach übergeben.

Früher hat sie mal geglaubt, wenn man ihre oder die Fotos der Kollegen druckt, dann muss ein Krieg doch aufhören. Sie weiß heute, dass sie Kriege nicht stoppen wird. „Aber ich kann trotzdem etwas tun. Ich habe die Aufgabe, darüber zu berichten, und hoffe, dass sich etwas ändert. Vielleicht werden Hilfsgüter mobilisiert. Vielleicht werden Politiker sensibler. Und gerade, wenn die Menschen zuhause müde, abgestumpft sind, weil es einen Krieg seit zehn Jahren gibt, wenn es kaum noch Interesse daran gibt – gerade deshalb muss man immer wieder hin und dokumentieren: Der ist aber noch da, dieser Krieg.“

Dafür riskiert sie seit mehr als 20 Jahren ihr Leben. Auch wenn sie vorsichtig ist. „Angst muss man sich behalten. Angst ist ja auch eine gute Warnung, ich bin ja kein Rambo. Angst ist lebenserhaltend.“

Wenn Anja Niedringhaus an die Front geht, wenn sie embedded ist, eingebettet in eine militärische Einheit, ist sie gerne mit Soldaten unterwegs, die sie schon kennt. Auch das hilft gegen die Angst. „Es hilft, sich zurechtzufinden. Es ist gut zu wissen, wo man sich sicher schlafen legen kann. Die Soldaten vertrauen mir und ich vertraue ihnen. Es ist ganz oft eine große Kameradschaft. Wenn es wirklich um Leben und Tod geht, trifft man die ehrlichsten Menschen. Wir lachen aber auch viel. Sonst hält das keiner aus.“

Die Fotografie, meint sie, sei „die ehrlichste Sparte im Journalismus. Weil ich das Geschehen mit eigenen Augen gesehen haben muss.“ Sie kennt nur wenige schreibende Kollegen, die unmittelbar von der Frontlinie berichten. Der Spar-Zwang in vielen Medienunternehmen mache es den Textern auch immer schwerer, überhaupt rauszukommen. Sie als Fotografin sei da im Vorteil. „Immer öfter heißt es doch: Können Sie das nicht reintelefonieren? Gott sei Dank kann ich kein Foto reintelefonieren. Journalismus findet auf der Straße statt. Nicht im Büro.“

Anja Niedringhaus weiß, dass sie einen mächtigen Schutzengel haben muss. Er passt auch am 11. September 2010 auf sie auf. Sie begleitet eine Fußpatrouille des Royal Canadian Regiments in Afghanistan, seit vier Uhr morgens sind sie unterwegs. Sie erreichen das Dorf Salavat in der Kandahar-Region im gefährlichen Süden Afghanistans. Anja Niedringhaus gelingt noch das Foto eines Soldaten, der mit dem rechten Fuß ein Huhn aufscheucht. Er trägt ein Maschinengewehr und zusätzlich eine Pistole in einem Halfter am Bein. Die Sonne steht noch tief, es ist ein Foto mit viel Schatten, fast wie ein Scherenschnitt. Es ist eines der schönsten Bilder der Fotografin.

Sie lehnt an einer Lehmwand, als sie die Szene fotografiert – da fliegen Handgranaten über die Mauer, detonieren. Anja Niedringhaus merkt stechende Schmerzen im Gesäß bis zur Hüfte, denkt aber: Sind das Dornen? Sie geht in Deckung, fotografiert weiter, klettert mit den anderen über eine Mauer, als einer ruft: „Anja blutet!“

Ein Hubschrauber bringt sie und einen verletzten Soldaten zum Militärhospital nach Kandahar. Dutzende sechs Millimeter große Metallsplitter stecken in ihrem Körper, einer ganz dicht am Ischias-Nerv. Ärzte operieren sie heraus. An vier kommen sie nicht heran. Anja Niedringhaus spürt sie heute manchmal noch. Lebensnotwendige Organe haben die Splitter nicht verletzt. Die kugelsichere Weste hat sie aufgehalten.

Die lebensrettenden Kevlar-Platten in der Weste lässt sie ersetzen. Zwei solcher Panzerungen hat Anja Niedringhaus. Eine der Westen ist in Kabul deponiert, die andere liegt in einem idyllisch gelegenen Forsthaus bei Kassel. Dorthin, zu ihrer Schwester, dem Schwager, deren drei Kindern und den Pferden taucht sie gelegentlich für ein paar Tage ab. Abstand bekommen! Das Lachen der Kinder! Auftanken! Eigene Kinder sind mit der Berufsleidenschaft von Anja Niedringhaus nicht zu vereinbaren. Was hätte sie fotografieren sollen? Lokaltermine? Regionalsport? „Ich hätte mich gefürchtet davor, die Kinder einmal dafür verantwortlich zu machen, dass mein Leben einen anderen Weg gegangen ist.“

In Göttingen studiert Anja Niedringhaus Germanistik, Philosophie und Publizistik, Schwerpunkt Fotografie. Nach dem ersten Semester geht sie für vier Monate nach Südindien, hilft dort in einem Heim für Polio-Kinder. „Ich wollte immer viele Länder bereisen. Aber dort gar nichts tun, das kann ich nicht.“ Schon beim Großvater sitzt sie als Kind vor dessen Globus, kann aber Höxter nicht finden. Daraus schließt sie, dass die Welt groß sein muss. Wie groß, das will sie entdecken. Vom Großvater bekommt sie auch ihre erste Kamera, eine Contax. Anja Niedringhaus fotografiert, seit sie zwölf Jahre alt ist. Mit 13 hat sie ein Nikon Einsteigermodell.

Beim Göttinger Tageblatt macht sie ein Praktikum, bekommt einen Job als Pauschalistin, schreibt und fotografiert. Sechs Jahre arbeitet sie als Freie fürs Tageblatt, danach erhält sie eine Stelle als Fotografin der European Pressphoto Agency (EPA) in Frankfurt am Main. Sport- und Gesellschaftsfotografie. Dann bricht 1991 der Balkan-Krieg aus. Anja Niedringhaus ist nachts auf der Rückfahrt von einem Termin in Baden-Baden, als sie im Radio die Nachricht hört von den ersten Kämpfen in Slowenien. „Das war für mich ganz klar: Wenn ich mich für diesen Beruf entschieden habe, dann gibt’s auch hier kein Wenn und Aber. Dann gehören die Kriege dazu.“

Sie meint, anfangs sei sie ganz schön naiv gewesen. „Wie das ist, wenn eine Rakete abgefeuert wird, die Menschen töten kann, das kannte ich ja bisher nur aus Filmen. Dies dann zu sehen in der Realität, ist eine Prüfung an sich selbst. Das war das Wichtigste für mich, dass ich gemerkt habe, ich halte das durch, ich kann das.“

Gleich in den ersten Kriegsjahren wird sie von Heckenschützen unter Feuer genommen, sie trägt auch damals schon eine kugelsichere Weste. Bei einer Demonstration in Belgrad fährt ein Polizeiauto ihr über den Fuß und bricht ihn in Stücke. Drei aufwändige Operationen sind nötig, um ihn zu rekonstruieren. Mit Kollegen ist Anja Niedringhaus an der Grenze zwischen Albanien und dem Kosovo unterwegs, als Nato-Flugzeuge die Journalisten beschießen. Sie können sich retten in Autos und Unterstände. 20 Minuten dauert der Angriff, bis die Nato ihren Irrtum bemerkt. Die International Women’s Media Foundation zeichnet Anja Niedringhaus später für mutigen Journalismus aus.

Sie lebt damals auch in Sarajewo, wird Chef-Fotografin der EPA, koordiniert die Fotografen-Einsätze. Dann der Anruf der Associated Press (AP). Man hat die Position eines reisenden Fotografen mit Standort in Genf zu vergeben. Anja Niedringhaus sagt noch am Telefon zu. „Ich kenne ja nichts anderes in meinem Leben, als zu reisen.“ Es geht gleich los. Israel, der Gaza-Streifen. Dann Kuwait, die US-Army sammelt dort ihre Truppen für den Einmarsch in den Irak. AP versichert Anja Niedringhaus. 400 Fotografen hat die Agentur weltweit, nur zwei Frauen berichten von den Kriegen. Die Kollegin von Anja Niedringhaus riskiert in Afrika Kopf und Kragen.

Es gibt eine Vereinbarung mit den Amerikanern. Fotos von Toten dürfen erst nach zwei Tagen und nur mit Genehmigung veröffentlicht werden. Die Gefahr ist zu groß, dass Angehörige die Bilder sehen, bevor man sie verständigen konnte. Verletzte dürfen nur gezeigt werden, wenn sie schriftlich zugestimmt haben. Ohnehin zeigt Anja Niedringhaus nicht alles. „Vielleicht mache ich das Foto, aber eine ganz andere Überlegung ist: Sende ich das auch? Jeder hat sein Menschenrecht. Es ist in 99 Prozent der Fälle nicht wichtig, etwa Verstümmelungen zu zeigen. Ich möchte ja vielleicht auch nicht so gesehen werden im Sterben. Man kann eine Geschichte auch anders erzählen als mit martialischen Fotos.“ In Sarajewo legt sie die Kamera einmal ganz weg. Sie fährt Verletzte ins Krankenhaus. Ein Foto hat sie abends nicht.

Südafghanistan, die Provinz Helmand. Der junge Marineinfanterist Corporal Burness Britt führt eine Patrouille durch ein Weizenfeld. Er ist erst 22 Jahre alt, dieser Einsatz ist sein erster in dieser Region. Plötzlich explodiert ein versteckter Sprengsatz nur wenige Meter entfernt. Ein großer Metallsplitter schneidet durch Burness Britts Nacken, zerfetzt eine Arterie, bleibt stecken. Die Druckwelle schleudert ihn durch die Luft.

Der Rettungshubschrauber vom Team für Medical Evacuation ist schnell vor Ort. Anja Niedringhaus ist an Bord, sie ist mal wieder embedded. Fünf Männer sind schwer verletzt, Burness Britt hat es am schlimmsten erwischt. Das Blut spritzt auch noch, als er im Helikopter liegt. In der rechten Hand hält Anja Niedringhaus die Kamera, sie macht ihre Fotos. Mit der anderen drückt sie eine Hand des Soldaten. Er erwidert die Geste, klammert sich fest, bis er bewusstlos wird. Er ringt mit dem Tod.

Britts Uniformhemd ist zerfetzt, blutgetränkt. Anja Niedringhaus entdeckt darauf eine Weizen-Ähre, steckt sie in die Tasche ihrer kugelsicheren Weste. „Ich habe viele verletzte Zivilisten und Soldaten gesehen, aber niemand hat mich mehr beeindruckt als Britt. Ich kannte ihn erst seit ein paar Minuten in diesem Hubschrauber. Aber ich hoffte, ihn eines Tages wiederzusehen. Und ihm dann dieses kleine Stück Weizen geben zu können.“ Der Helikopter fliegt den Corporal zum Außenposten Camp Edi, von dort wird er nach Deutschland ins US-Militärkrankenhaus in Landstuhl gebracht, später in die USA.

Anja Niedringhaus reist zurück in die Schweiz. Die Weizen-Ähre bewahrt sie in einem Schmuckkästchen auf. Sie geht ihrer Arbeit in Europa nach und sucht gleichzeitig nach dem jungen Soldaten. Was mag aus ihm geworden sein? Sie telefoniert die Hospitäler in den USA ab, in denen die schwerverletzten Kriegsveteranen versorgt werden. Aber niemand dort kennt Britt. Sie bittet ihre AP-Kollegen um Hilfe. Eines Abends versucht sie im Internet, mit den Buchstaben seines Namens zu spielen. Sein Vorname sei Burmess, haben sie ihr im Helikopter gesagt. Tatsächlich heißt er Burness. Sie findet einen Artikel über ihn in der Lokalzeitung in seiner Heimatstadt Georgetown, South Carolina. Burness Britt ist auch bei Facebook, er akzeptiert ihre Freundschaftsanfrage, aber er antwortet nicht. Vielleicht will er einfach nur vergessen?

Anja Niedringhaus findet heraus, dass Burness Britt in einem Krankenhaus in Richmond im Staat Virginia gepflegt wird. Sie ruft an, bekommt eine Krankenschwester ans Telefon. Sie hört diese sagen: „Britt, da ist ein Anruf für dich von einer Fotografin aus der Schweiz. Sie war in Afghanistan dabei.“ Stille, dann Burness Britts sanfte Stimme. Am Ende sagt er: „Yes, ma’am, I would like to see you. Come.“

Es ist kurz vor Weihnachten, Anja Niedringhaus fliegt nach Richmond. Im Flur des Hunter Holmes McGuire Medical Center trifft sie Burness Britt. Es fällt ihm schwer, zu gehen, den rechten Arm und das Bein zu kontrollieren. Er trägt einen Helm. Nach vier Wochen im künstlichen Koma hat er einen Schlaganfall erlitten, die Ärzte mussten die halbe Schädeldecke entfernen, um den Druck zu nehmen. Er lächelt. Immer wieder sagt er: „Oh man, it is so good to see you.“

In seinem Zimmer sitzen sie auf seinem Bett. „Haben Sie Fotos dabei?“, fragt Burness Britt. Er will die Bilder aus dem Hubschrauber sehen. Jedes schaut er sich lange an, in seinen Augen sind Tränen. Anja Niedringhaus deutet auf das Foto mit der Weizen-Ähre auf dem blutigen Hemd. „Die habe ich dabei.“ Er sagt, das wird sein neuer Talismann. „Sie geben mir einen Teil meines Lebens zurück.“

Jochen Reiss: Menschen machen Medien. Daedalus-Verlag, 246 Seiten, 19.95 Euro 

Kurzbesprechung:

Gute Journalisten schreiben am liebsten über Menschen statt über Sachen. Erstaunlich selten schreiben Journalisten über Journalisten, es sei denn in hämischer Absicht.

Der Münchner Journalist Jochen Reiss hat 32 meist wenig bekannte Journalisten beobachtet und mit ihnen gesprochen:  Porträts einer aufregenden und bewegenden Zunft, die sich ihrer Macht bewusst ist – zum Beispiel

> Die Lokalreporterin, die  Neonazis jagt und der ein Polizist rät, sich nicht zu verstecken: „Öffentlichkeit schützt!“
> Die West-Korrespondentin in der DDR, die eine  500 Seiten starke Stasi-Akte hat und heute Medienwächterin in Sachsen ist.

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Ausschnitte aus Reiss‘ Porträt erscheinen in der Thüringer Allgemeine 7. April 2014

Die SZ fragt: Darf ein Chefredakteur Kapuzenpullis tragen? Und dazu noch selbstbewusst auftreten?

Geschrieben am 21. März 2014 von Paul-Josef Raue.

Die Süddeutsche streitet offenbar darüber, ob der Chef der Online-Redaktion in die Chefredaktion aufsteigen darf. Alina Fichter listet in der Zeit sechs Schwächen auf, die gegen Online-Chef Stefan Plöchinger als Chefredakteur sprechen:

1. Fehlendes schreiberisches Profil;
2. fehlende begnadete Schreibe;
3. kein Intellektueller;
4. zu wenig Demut;
5 extrem selbstbewusstes Auftreten;
6. Kapuzenpulli-Träger.

Für ihn spricht laut Zeit nur: Er ist ein sehr guter Redaktions-Manager.

Muss jetzt auch Heribert Prantl in der SZ-Chefredaktion um seine Position bangen? Er trägt zwar Anzüge, aber ist nicht bekannt als demütiger und zurückhaltender Journalist.

Was in dem Zeit-Artikel auffällt:

> Plöchinger sehen wir auf dem Foto nicht mit Kapuzenpulli, sondern mit weißem Hemd und dunklem Jackett: Er kann also auch seriös.

> Für die Demütigung Plöchingers, also die Sechser-Liste, gibt es keine Zeugen: Alle bleiben anonym. Warum ist der Medien-Journalismus so oft eine recherchefreie Zone? Gerüchte werden feil geboten wie im Ein-Euro-Laden.

> In der SZ-Chefredaktion, so die Zeit, werden Kommentare umgeschrieben. Muss man sich die Chefredaktion als Fälscher-Werkstatt vorstellen: Aus einem schwarzen Kommentar wird ein roter? Aus einem Ja ein Nein? Aus einer Vermutung eine Tatsache? Oder ist schlicht „Redigieren“ gemeint?

> Ein wohlfeiler Rat für alternde Chefredakteure ist auch enthalten: Wer als Freund des Internets in Erscheinung treten will, der zeige „seinen iPad“ in der Konferenz. Kurt Kister soll ihn schon zeigen. Aber der Mann ist wirklich ein begnadeter, demütiger Schreiber ohne übertriebenes Selbstbewusstsein. Dafür stehe ich mit meinem Namen ein.

Quelle: Die Zeit 20. März 2014


FACEBOOK-Kommentar von Harald Klipp
(21.3.2014)

Wir wissen doch alle, dass es auf die inneren Werte ankommt. Das wesentliche Kriterium sollte sein, dass er seine Mitarbeiter akzeptiert, mitnimmt und führt und dabei auch der Zeitung eine Perspektive gibt. Selbstbewusstsein ist gut, wenn er es auch für die gesamte Redaktion gegenüber der wirtschaftlichen Unternehmensführung ausstrahlt. Das wären meine frommen Wünsche…

Wie ein Leser morgens seine Zeitung liest: Da steigt mein Blutdruck an

Geschrieben am 15. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

In der Samstag-Kolumne „Leser fragen“ gab ich einem Leser Recht, der sich über verpixelte Porträts, etwa von Angeklagten, beschwerte, wenn sonst nichts anderes auf dem Bild zu sehen sei. Er bedankte sich für die Antwort und erzählte von seiner Morgen-Lektüre:

Meine erste „Amtshandlung“  ist das Hereinholen der TA (Thüringer Allgemeine). Sie ist bei uns bereits gegen fünf Uhr im Briefkasten.

Meist 5 Minuten später steigt mein Blutdruck an. Das hat nur indirekt mit der TA zu tun. Die Ursache ist mancher Artikel über irgendwelche „Begebenheiten“, die es eigentlich täglich gibt, aber man kann sich eben nicht daran gewöhnen.

Ist man dann schon recht auf Touren, dann kommt so ein „grauer Fleck“, der als Foto angeboten wird. Bei solchen Fotos geben sie mir ja Recht, dass sie gar nicht erst veröffentlicht werden sollten.

In so einen Moment muss ich etwas „loswerden“. Dann schreibe ich mir den Frust von der Seele, und der Blutdruck ist wieder normal. Ich akzeptiere Ihre Antwort hundertprozentig.

Mein Stil wird sich wohl kaum ändern. Ich bin 73 Jahre alt und wohl kaum noch „formbar“. Vielleicht – wenn ich zwischen Lesen und Schreiben einen zweiten Kaffee trinken, dann relativiert sich manches Problem.

In meiner Antwort dankte ich dem Leser, aber fügte an, dass die Reaktionen auf die Kolumne unterschiedlich seien:

Einige Leser, deren Brief ich öffentlich beantworte, fühlen sich bevormundet oder falsch verstanden.

Kurz vor Weihnachten schrieb mir ein Leser aus Erfurt: „Eine derartige Kommentierung durch einen Chefredakteur finde ich unangebracht.“ Ein anderer  findet alle negativen Klischees über Journalisten bestätigt.

Hermann Unterstöger schreibt in seiner Kolumne der „Süddeutschen Zeitung“ über Leser-Kritik an Fehler und Sprache der Journalisten die Namen der Leser nicht aus. Sie, Herr Wölfel, wären Herr W. Ist das der bessere Weg?

Allerdings gibt es auch positive Reaktionen. Auf dieselbe Kolumne, die ein Leser unangebracht fand, schickte mir  Frau H. aus Erfurt einen „Segen“, den sie in einer Kirche gesprochen hat: „Wir segnen die Medien, dass sie wahrheitsgetreu und fair berichten, was für das Land wichtig ist.“

Offenbar besitzen wir Journalisten Weisheit und Kraft zur Demut, so dass darum kein Gebet gen Himmel gesandt werden muss – im Gegensatz zur Ministerpräsidentin und zu allen Ministern, Abgeordneten und Amtsinhabern – „damit sie ihre Macht nicht ausnutzen zum eigenen Vorteil“.

Wann muss ein Gesicht verpixelt werden?

Geschrieben am 6. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

„Ein verpixeltes Gesicht ist ein Witz“ schreibt ein Leser:

Ich komme mir etwas „veräppelt“ vor. Was soll das? Füllt man so billig die Seiten? Wann erscheint der erste Artikel, der geschwärzt ist? Ich bin der Meinung, in Fällen, wo Personen aus irgendwelchen Gründen nicht erkannt werden sollen: Foto einfach weglassen!

In der TA-Rubrik „Leser fragen“ habe ich geantwortet (hier ausführlichere Antwort):

Deutsche Gerichte schützen auch Angeklagte und sichern ihnen Anonymität zu. Das Verfassungsgericht entschied vor fünf Jahren im „Holzklotz-Fall“: Gerade wenn eine Tat besonders grausam und verwerflich ist, hat ein Angeklagter das Recht, dass sein Bild nicht in der Zeitung erscheint – weil er sich auch nach einem Freispruch vom Makel des Tatvorwurfs nur schwer befreien könne.

Das Recht auf Anonymität und die Unschuld-Vermutung verhindern also, dass Verdächtige und Angeklagte mit ihrem Porträt in der Zeitung gezeigt werden können. Ist allerdings das öffentliche Interesse sehr groß, darf auch eine Angeklagte wie etwa Beate Zschäpe im NSU-Prozess gezeigt werden. Die Bürger wollen wissen: Welcher Mensch steht hinter einer solchen Tat? Dies, aber nicht Sensations-Lust, rechtfertigt ein unverpixeltes Gesicht.

Aber auch wenn ein Gesicht verpixelt werden muss, kann ein Foto sinnvoll sein: Wie versteckt sich ein Angeklagter? Wie ist seine Körpersprache? Sind seine Hände gefesselt? Wie hat er sich gekleidet? Wie sieht seine Umgebung aus: Verteidiger, Polizisten, der Saal? Was liegt vor ihm auf dem Tisch?

Sie haben allerdings Recht: Wenn nur ein verpixelte Gesicht zu sehen ist und sonst nichts, dann ist es sinnvoller, das Foto einfach wegzulassen.

INFO – Was ist der Holzklotz-Fall?

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 2008:

Die Antragstellerin betreibt einen privaten Rundfunksender. Sie beabsichtigt, die im Zuge ihrer Berichterstattung über das am Landgericht Oldenburg (Oldb) anhängige Strafverfahren gegen N.H. (Geschäfts-Nr. 5 Ks 8/08) gefertigten Fernsehaufnahmen von dem Angeklagten in nicht anonymisierter Form zu veröffentlichen. Gegenstand des Strafprozesses ist der sogenannte „Holzklotz-Fall“.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, am 23. März 2008 von einer in Oldenburg gelegenen Autobahnbrücke einen von ihm mitgebrachten Holzklotz auf die Fahrbahn der BAB 29 geworfen zu haben. Der Holzklotz soll die Windschutzscheibe eines sich nähernden Pkw durchschlagen und die Beifahrerin getroffen haben, die an ihren Verletzungen verstarb. Der Fall hat bundesweites Aufsehen erregt und eine umfangreiche Medienberichterstattung ausgelöst, auch weil die Verstorbene Mutter zweier Kinder ist und ihre Familie sich zur Tatzeit mit ihr im Auto befunden hat.

Der Täter wurde rechtskräftig wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“ 4. Januar 2014

Der neue Paparazzi-Trick an Schumachers Krankenbett: Die letzte Ölung

Geschrieben am 1. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Die Jagd nach Fotos und Informationen aus verbotenen Zonen ist ebenso wenig neu wie der Abscheu, der stets geäußert wird, wenn es herauskommt. Der neueste Fall: Die letzte Ölung als Paparazzi-Trick. Ein Journalist hat sich als Priester verkleidet, um den todkranken Michael Schumacher zu sehen – allerdings ohne Erfolg.

Sabine Kehm, Schumachers Managerin, sagte: „In meinen Augen ist das abscheulich.“

Was der falsche Priester da nur wollte? Sprechen kann Schumacher nicht; auf der Intensivstation sehen alle Patienten gleich aus, so dass ein Foto wenig bringt. Allerdings gäbe es einige auf dem Boulevard, die nach dem Ski-Unfall trotzdem viel Geld für ein Schumacher-Foto zahlten.

Beim Boulevard erzählt man gerne mit Bewunderung die Erfolge eines Reporters, der zwar nicht schreiben konnte, aber an jede Information aus den Krankenhäusern herankam: Er schmeichelte den Krankenschwestern und gab bisweilen alles. Auf die Idee mit dem Priester war er nicht gekommen.

Journalisten manipulieren und inszenieren: Die Femen-Aktion zu Weihnachten im Kölner Dom

Geschrieben am 30. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

„Viele Ereignisse werden eigens inszeniert, damit über sie berichtet werden kann“, steht im Handbuch-Kapitel „Die meisten Journalisten sind unkritisch“. Hans Leyendecker deckt in der Süddeutschen Zeitung auf, dass der Tanz einer halbnackten Philosophie-Studentin inszeniert war – während der Weihnachtsmesse auf dem Altar im Kölner Dom, vor den Augen des Kardinals Meissner.

1. Femen bekommen ein spezielles Training für ihre Nackt-Provokationen.

2. Die Paparazzo-Agentur „Hans Paul Media“ aus Sydney will eine Nachricht aus dem Umfeld der Frau bekommen haben, wollte exklusiv berichten und stellte einen Kameramann in den Dom. Hans Paul zu Leyendecker: „Leider kam unserem Paparazzo in Köln der Express in die Quere und nahm uns die Exklusivität.“ Dadurch sei ein Schaden von hunderttausend Eurp entstanden, auch wenn die Fotos an die englische Sun, in die USA und nach Südamerika verkauft werden konnten.

3. Der Kölner Express fotografierte die Studentin vor ihrer Aktion, als sie mit Kopftuch und Kleidung in der ersten Reihe saß. Der Fotograf jagte auch hinter der Frau her, als beim ersten Lied nach vorne stürmte und sich die Kleider vom Leib riß, auf dem „I am God“ geschrieben war.

4. Die Chefredaktion des Express berief sich laut Leyendecker auf Informantenschutz und verurteilt solche Aktionen prinzipiell – nachdem die Zeitung die Bilder gedruckt hatte: „So missbrauchen Aktivisten unseren Dom“.

5. Leyendecker rechnet mit einer Bewährungsstrafe für die Feministin und gegen den Fotografen möglicherweise mit einem Verfahren wegen Beihilfe.

Quelle: Süddeutsche, „Halbnackte Wahrheit“ vom 30. Dezember 2013

Darf ein Gericht anordnen, das Foto einer Zeugin zu pixeln?

Geschrieben am 28. November 2013 von Paul-Josef Raue.

NSU-Prozess am Mittwoch: Die Mutter der Angeklagten Zschäpe ist als Zeugin geladen. Das Gericht ordnet an: Fotos von der Mutter müssen gepixelt werden.

Die Deutsche-Presse-Agentur (dpa) pixelt mit der Begründung „Das Gericht hat Hausrecht bei Prozessen. Davon machte es Gebrauch, und wir müssen uns an die Vorgabe halten.“

Meine Zeitung, die Thüringer Allgemeine, hat einen eigenen Fotografen im Gericht, der die Mutter vor dem Gerichtssaal fotografiert hatte. Der TA-Desk folgte seinem Hinweis, pixelte und schrieb in die Bildzeile: „Auf Anweisung des Gerichts muss Annerose Zschäpe auf Fotos gepixelt werden.“

Die Bildzeitung pixelte nicht und zeigte die Frau, die ihr Gesicht mit einer Sonnenbrille nahezu unkenntlich gemacht hatte; dazu kommen ein hoch geschlossener Mantelkragen und eine dunkle Wollmütze, tief in die Stirn gezogen.

Darf das Gericht solch eine Anordnung treffen? Nein, sagt der deutsche Presserechtler Johannes Weberling aus Berlin:

Natürlich kann das Gericht nur Auflagen zu Aufnahmen im Gerichtssaal machen. Aber selbst die binden nach der Rechtsprechung u.a. des BGH nicht die Presse bei ihrer eigenverantwortlichen Entscheidung und Abwägung, ob und inwieweit ein Bild veröffentlicht wird.

Weberling verweist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in der es unter anderem heißt:

Aus dem begrenzten Zweck der Sitzungspolizei erwächst dem Vorsitzenden nicht die Befugnis, die Zulässigkeit der Bildveröffentlichung zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten zu regeln…

In der Verpflichtung zur Anonymisierung liegt eine gewichtige Beschränkung der Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, die eine Rechtfertigung aus den Umständen des Einzelfalls voraussetzt… Es ist nicht ersichtlich, dass das Anonymisierungsgebot zu diesem Zeitpunkt noch zur Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens erforderlich war…

Datum des Prozesstages: Mittwoch, 27. November 2013

Seiten:«1234»

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