Der erste Satz: Flop und Top
Zunächst ein paar unnütze Statistiken.
Süddeutsche, Sport in der Region (Aufmacher), 8.11.2012
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Kiffst du?
Deniz Aykanat in Süddeutsche, München-Lokalteil(Aufmacher Seite R 7), 8.11.2012
Vorsicht: Ironie!
Leser schreiben auch vortreffliche Satiren – beispielsweise Karl-Ernst Schwartz aus Sondershausen in der Thüringer Allgemeine, als er während der Schulessen-Affäre auf die Frage reagierte: Warum waren nur ostdeutsche Länder von der Lieferung vergifteter Erdbeeren betroffen?
Das ist nur die Spitze des Eisberges. Um das dahinterliegende System zu verstehen, müssen wir in die Vergangenheit schauen:
Zuerst hat man uns Ostdeutschen unsere zwei Eriche genommen, von denen der eine uns besonders geliebt und dies auch öffentlich zum Ausdruck gebracht hat. Dann wurde der Hauptteil unserer Ersparnisse in harter DDR-Mark auf Wunsch des westdeutschen Großkapitals 2:1 abgewertet.
Anschließend verschleuderte die Treuhand unser Eigentum an modernsten Betrieben und Einrichtungen, wie wir fast jeden Tag in dieser Zeitung lesen können. Unsere Rentner kümmern mit ihren jämmerlichen, nicht angepassten Ostrenten dahin und verhungern reihenweise, auch hier fast täglich nachzulesen.
Nicht genug damit, unsere ostdeutsche Jugend, insbesondere die jungen, gut ausgebildeten Frauen, werden mit Versprechungen höherer Löhne und Gehälter in die Betriebe westdeutscher Ausbeuter gelockt, wer weiß, was dort mit ihnen geschieht.
Zu guter Letzt werden auch noch unsere ostdeutschen Kinder, von denen es sowieso nicht viele gibt, und möglicherweise unsere intellektuelle Elite, die Pädagogen, mit verseuchtem Schulessen, zum Hohn auch noch mit roten chinesischen Erdbeeren, vergiftet.
Das ist Völkermord! Wann schreitet endlich die UNO ein?
Die TA druckte die Satire, aber unter der Überschrift: Vorsicht Ironie!
(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)
Phrasen: Vier Strategien für den Journalismus der Zukunft
Zeitungen und Zeitschriften müssen ihre Nutzer emotional binden, auch wenn ihnen das schwerer fällt als den elektronischen Medien, sagt Roland-Berger-Mitarbeiter Mogg in einer Studie laut Meedia. Er empfiehlt folgenden Strategie:
- „Der Community-Leuchtturm“: Die Interessen der Leser verstehen, um ihnen spannende Nischeninformationen anzubieten, lokal oder fachlich.
- „Wegweiser“: Gut recherchierte und exklusive Beiträge, einordnende Kommentare, verständliche Infografiken.
- „Hybrid Publishing“: Bessere Vernetzung von Online, Zeitung und Mobile.
- „Wachstum in neue Geschäftsfelder“ etwa „e-Commerce“.
Meedia nennt die Studie „eine bemerkenswerte ärgerliche Veröffentlichung“. Stefan Winterbauer: „Man kann sich nicht erinnern, wann jemals so viele Plattitüden zu einem Bündel verschnürt und als selig machende Weisheiten in die Welt hinausposaunt wurden. Jedem Medienpraktiker müssen sich bei der Lektüre dieser Berater-Fibel vor Grausen die Nackenhaare aufstellen.“
(zu: Handbuch-Kapitel Welche Zukunft hat der Journalismus)
Wie provinziell ist der Lokaljournalismus? (Golombek-Interview 3)
Im dritten Teil des Interviews sprach Paul-Josef Raue mit Dieter Golombek über die Zukunft des Lokaljournalismus im Internet-Zeitalter:
Ist der Lokaljournalismus nicht in Gefahr, mit seinen Nachrichten aus der Nachbarschaft provinziell zu sein?
Golombek: Er ist in der Gefahr und er muss ihr begegnen, die ganze Zeitung muss es tun. Die Chefredakteure müssen ihre Redaktionen neu aufstellen, um auf die Herausforderungen und Chancen richtig zu reagieren, die diese Medienwelt hergibt. Sie muss sich auf ihre Kernkompetenz besinnen und den Brückenschlag schaffen zwischen den Interessen ihrer Leser und der Fülle möglicher Informationen, den Brückenschlag zwischen den lokalen Welten und der einen Welt.
Eine gewaltige Aufgabe . . .
Aber sie ist nun mal da, und es ist die Marktlücke für die Tageszeitung. Viele Themen spielen ins Lokale hinein, aus Brüssel, aus Berlin, aus Erfurt, aus der ganzen Welt. Der Leser will begreifen, will nachvollziehen, was das Ganze für ihn, in seinem Dorf, in seiner Stadt bedeutet: Ozonloch, Eurokrise, terroristische Bedrohung, demografischer Wandel, die neue Schulvergleichsstudie.
Alle diese Informationen finde ich doch auch im Netz?
Aber sie verwirren mehr als sie orientieren. Eine schier unendliche Fülle von höchst widersprüchlichen Informationen überfällt mich, die Bezüge zu meiner Region fehlen.
Und hier kommt die Zeitung ins Spiel. Bei ihr arbeiten Redakteure, die diese unendlich komplizierte und vielschichtige Wirklichkeit sichten und in nachvollziehbare Nachrichten umsetzen und so die Welt verstehbar machen können. Nachrichten aus Politik und Wirtschaft, überregionale Themen brechen sie auf das Lokale herunter. So wird Welt verstehbar, so macht sich Zeitung unverzichtbar – wenn sie gut ist.
Ein hoher Anspruch . . .
Zeitungen wollen überleben, und sie sollen überleben – im Interesse der Demokratie, im Interesse des wohlinformierten Bürgers, den diese Demokratie braucht. Zeitungen überleben, wenn sie das Lokale als Auftrag ernst nehmen, nicht kleinkariert und provinziell, sondern mit dem Anspruch, die großen Themen der Zeit für die Region und in der Region zu übersetzen. Tageszeitungen und Journalisten, die diesem Auftrag gerecht werden, verdienen hohen Respekt.
Sie organisieren seit über drei Jahrzehnten den Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben Tausende von Konzepten, Serien, Aktionen und Reportagen gelesen. Was hat sich verändert?
Die Qualität im Lokalen ist deutlich gestiegen, sie ist höher als vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Anteil der guten und sehr guten Einsendungen zum Preis ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Immer mehr Redaktionen befreien sich von Routinen, geben nicht nur Pressemitteilungen wieder oder drucken ab, was ihnen Politiker oder Funktionsträger diktieren. Sie erkunden die Bedürfnisse ihrer Leser, sie erforschen, was sie lesen wollen. Sie binden ihre Leser ein, öffnen die Zeitung für die Debatten, die dieses Land, diese Demokratie braucht.
Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 55 Die Internet-Revolution)
„Die Lokalzeitung ist Anwalt der Leser, nicht Richter“ (Golombek-Interview 2)
Wer legt fest, was die Menschen diskutieren? Es sind die Lokaljournalisten,sagt Dieter Golombek. Im zweiten Teil des Interviews beleuchtet er das Verhältnis von Politikern und Journalisten; Teil 1: „Was reizt Sie so am Lokaljournalismus“.
Darf die Lokalzeitung selber Themen anstoßen? Muss sie nicht warten, bis Politiker oder Initiativen Themen anbieten?
Golombek: Wer, bitte sehr, soll festlegen dürfen, was in der Gesellschaft wann diskutiert wird? Die Politiker, die Verwaltungen, die vielen Initiativen? Journalisten müssen im Auftrag und im Interesse ihrer Leser selber Debatten anstoßen können. Sie müssen dabei gut aufpassen, dass sie sich nicht vor einen Karren spannen lassen.
Genau das versuchen aber doch viele Politiker?
Golomek: Ja, und machen es mit Raffinesse. Sie verfolgen eben ihre Interessen. Der Auftrag für die Zeitung ist aber anders, sie darf sich nicht einbinden lassen, in politische Geschäfte auch nicht durch Vertraulichkeit – etwa nach dem Motto: „Ich erzähle Dir jetzt, wie es wirklich läuft, Du sollst ja Bescheid wissen, aber schreiben darfst Du darüber natürlich nicht.“
Die politisch Handelnden wollen Entscheidungen in ihrem Sinne durchsetzten, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen.
In Städten und Kreisen kommen sich Politiker und Journalisten sehr nahe. Sind Konflikte da nicht vorprogrammiert?
Golombek: Das ist richtig und darin lauert auch eine große Gefahr. Wenn mein Sohn mit dem Bürgermeistersohn dieselbe Klasse besucht, die Frauen sich gut verstehen, er kein unrechter Typ ist, wenn man sich freundlich begegnet, dann kann es schon sehr schwer fallen, für den Bürgermeister unangenehme Nachrichten ins Blatt zu bringen.
Nachrichten trotz Nachbarschaft zu liefern, ist das schwere Brot für Lokaljournalisten.
Es erfordert Mut, Missstände und Versäumnisse öffentlich zu machen, es erfordert Mut und Augenmaß, das Wächteramt auszufüllen. Die lokale Tageszeitung ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort, Anwalt, aber nicht Richter.
Interview in der Thüringer Allgemeine, 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus)
Was reizt Sie so am Lokaljournalismus? Golombek-Interview
Neuigkeiten zu verbreiten, reicht heute für eine Lokalzeitung nicht mehr aus, sagt Dieter Golombek. Vielmehr muss sie Debatten anstoßen und Voraussetzungen für gute Debatten schaffen. Die Journalisten dürfen sich jedoch vor niemandes Karren spannen lassen – und sich schon gar nicht zum Anwalt von Stammtischparolen machen.
Dieter Golombek ist der Gründer des Lokaljournalistenprogramms (in der Bundeszentrale für politische Bildung). Der große Förderer und Forderer des Lokaljournalismus ist Sprecher der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises. Am Rande der diesjährigen Preisverleihung sprach Paul-Josef Raue in Bonn mit Golombek.
Sie mögen die Stadt und das Dorf, die kleine Politik und die großen Fragen. Sie gelten als Pionier der Lokalzeitungen. Was reizt Sie so am Lokaljournalismus?
Dieter Golombek: Nirgendwo ist der Journalist den Menschen so nahe. Und in der Pflicht, die Bürger dazu einzuladen, „sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen“, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler formuliert hat.
Hört sich nach einem Bildungsauftrag an?
Golombek: Das ist auch so. Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, den Leser mit Neuigkeiten zu versorgen. Das schafft das Internet schneller. Informationen müssen immer wieder so komponiert werden, dass Orientierung entsteht.
Bei Themen, die die Menschen bewegen, wollen sie Bescheid wissen: Welche Folgen hat der demografische Wandel für meine Region, wie steht es um die Qualität von Pflegeheimen, wie kommen die Stadtwerke mit der Energiekrise zurecht und welche Folgen hat dies für meinen Geldbeutel? Solche Themen dürfen nicht im Klein-Klein der routinierten Lokalberichterstattung versanden. Sie brauchen Raum, um verständlich rüberzukommen.
Dann wollen die Leser doch mitreden?
Golombek: Ja. Und dafür hat die Zeitung die Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ihr vornehmster Auftrag in einer Demokratie: Debatten anzustoßen und Voraussetzungen für gute Debatten zu schaffen mithilfe des guten alten Mediums Tageszeitung und mit Unterstützung der neuen medialen Möglichkeiten, dem Online-Auftritt ebenso wie Facebook und Twitter.
Zeitung soll Bündnisse eingehen mit der Konkurrenz?
Golombek: So ist es. Für Zeitungen eröffnen sich umso mehr Möglichkeiten, je weiter das Netz um sich greift. Online-Journalismus ist eine große Chance für die lokalen Tageszeitungen, mit den neuen medialen Möglichkeiten Leser und Nutzer zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen.
Viele Leser verlangen von ihrer Zeitung, sie solle sich radikal auf ihre Seite stellen, ihr Anwalt sein im Kampf gegen Staat und Politiker.
Die Redakteure können es sich leicht machen, Politiker beschimpfen, Politik verächtlich machen und sich als Anwalt der Unzufriedenen in Szene setzen.Das kommt bei vielen bestimmt gut an. Journalisten sind aber gehalten, genau zu recherchieren, Problemen auf den Grund zu gehen, auch zu zeigen, wie schwierig sich Entscheidungen oft gestalten, weil es nicht möglich ist, allen Anforderungen, Wünschen und Interessen gerecht zu werden. Journalisten dürfen sich auf keinen Fall zum Anwalt von Stammtischparolen machen.
Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 53 Was die Leser wollen + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)
Wie wird eine Zeitung erfolgreich? Die sieben Buffett-Regeln
In Städten und Orten mit einem starken Gemeinschaftsgefühl gibt es keine wichtigere Einrichtung als die Lokalzeitung. Sie hat eine gute Zukunft, wenn sie weiter Informationen liefert, die man nirgends sonst findet.
So spricht der Finanzmanager und Milliardär Warren Buffett. Er kaufte im Sommer mehrere Dutzend von Lokalzeitungen in den USA, mit denen er auch Gewinn machen will. In seinem Engagement steckt der Hinweis, wie Zeitungen erfolgreich werden können:
1. Sei lokal! Berichte von den Nachbarn der Menschen, die eine Zeitung abonnieren.
2. Sei ein Teil der Gemeinschaft! Nimm das Gemeinschaftsgefühl wahr, entdecke es bis in Details, berichte darüber ohne Überheblichkeit.
3. Stärke das Gemeinschaftsgefühl! Ist es schwach ausgeprägt, haben Journalisten den Auftrag, es zu stärken: Zeige Beispiele und Vorbilder.
4. Sei exklusiv mit lokalen Nachrichten!
5. Sei aktuell mit lokalen Nachrichten!
6. Habe keine Angst vor der Provinz! Jeder Mensch, der Nachbarn schätzt, lebt in einer Provinz. Lasse Dir nicht einreden, keine Frau von Welt oder kein Mann von Welt mehr zu sein, wenn Du mehr in die Nachbarschaft schaust als in die Paläste.
7. Nimm Warren Buffett als Beispiel, der ein Mann von Welt ist, ein reicher dazu, weil er die Provinz mit ihren Menschen liebt!
(zu: Handbuch-Kapitel 53-57 Die Zukunft der Zeitung)
Lass ich mein Interview autorisieren? Ja, es wird besser
Wir lassen keine Zitate mehr autorisieren!, verkündet Jill Abramson, die Chefredakteurin der New York Times. Ist das klug? Gar ein Vorbild für deutsche Zeitungen?
Nein, und es ist in der Regel eine Frage des Respekts und eine Frage der Qualität. Wenn ich meinem Gast anbiete, er könne Interview oder Zitat gegenlesen, dann sind die Chancen größer als das Risiko. Ich schenke meinem Gast Vertrauen und hoffe auf sein Vertrauen. Er erzählt mehr als einer, der um jeden Satz fürchten muss; er vergisst in vielen Fällen das Diktiergerät und ignoriert meinen Block.
Wenn ich jemanden aufs Glatteis führen will, dann muss er schon reichlich dumm oder verwegen sein – oder er wird übervorsichtig. Die Chance, so jemanden zu überlisten, liegt unter einem Prozent.
Die Qualität eines Interviews liegt nicht in der Enthüllung und dem Jubelschrei: Ich habe ihn überführt! Die Qualität eines Interviews liegt in der schönen Formulierung, in der feinen Entwicklung eines roten Fadens, in der Erklärung einer komplizierten Sache, in der Zeichnung einer Persönlichkeit, im zugespitzten Disput (wobei ein cleverer Gast scharfe, aber respektvolle Fragen schätzt, weil sie ihm die Chance zu einer klaren, aber auch scharfen Replik öffnet).
Das Lesen eines guten Interviews macht Spaß und bringt Gewinn. Nach einem guten Interview versteht der Leser entweder eine Sache oder einen Menschen besser.
Das geht aber meist nur, wenn ich selber nach einem guten, oft auch langen Gespräch zum Nutzen meiner Leser manipulieren darf; wenn ich das Wichtigste oder Unterhaltsamste an den Anfang stelle, obwohl es erst am Ende des Gesprächs gefallen ist; wenn ich alles kürze, oft das meiste, weil es wenig interessant ist; wenn ich zuspitzen und meine Fragen neu formulieren will.
Ich mache meinen Gast stark, und ich mache mich stark. So ist es nur fair, wenn ich meine Manipulationen dem Gast zur Kontrolle gebe mit dem Recht auf Änderung. Ich kämpfe um jeden Satz, wenn mir seine Änderungen nicht gefallen, weil sie den Charakter des Gesprächs fälschen. Am Ende des Kampfs – und ein Interview ist ein Kampf – entscheide ich, ob ich die Änderungen akzeptiere oder nicht.
Das Handelsblatt hatte nach einem Interview mit einem Banker den Kampf aufgegeben, aber nicht komplett: Es veröffentlichte nur die Fragen. Das war aber mehr journalistischer Hochmut als Aufklärung. Der Banker musste ja nicht antworten, und wahrscheinlich war er sich schon der Brisanz seiner Antworten bewusst und hatte Furcht vor den Folgen.
Bei einem Politiker wäre die Verweigerung ehrlicher Antworten allerdings von Bedeutung: Er hat dem Volk, das er vertritt, Rechenschaft zu geben, er hat zu erklären, und zwar verständlich und ohne Ausweich-Manöver. Ihn entlarvte die Liste der Fragen – ohne Antworten.
Ein weiterer Grund, ein Interview oder Zitat autorisieren zu lassen: Ich stelle sicher, dass es stimmt – gerade nach Gesprächen mit Wissenschaftlern oder Spezialisten, die Kompliziertes zu erklären haben. Der Redakteur liegt schnell daneben, wenn er verständlich sein will, wenn er Schweres einfach macht. Sicher werden Gespräche mit Wissenschaftlern oder Chefärzten nicht leicht, wenn sie ihre Fachausdrücke retten wollen und ihren guten Ruf bei den Kollegen; aber auch da gilt: Kämpfen für den Leser, der ein Recht hat, alles zu verstehen.
In den meisten Regionalzeitungen, erst recht in Lokalredaktionen sind die Fragen nach der Autorisierung eh recht theoretisch: Es gibt nur wenige Interviews und darunter noch zu viele banale – weil die Redakteure den Aufwand scheuen, ihnen die Routine fehlt und ein Training. Wenn sie im Lokalen ein Interview führen, dann oft ein kurzes zur Sache: Wie sind die neuen Öffnungszeiten im Zoo? Wann öffnet das Bürgerbüro auch am Abend? Wie werden die Anliegerbeiträge berechnet?
Meist sind die Antworten so hölzern, dass ein Bericht spannender zu lesen wäre als ein Interview. Zudem entstehen zu viele Interviews am Telefon oder sogar per Email. Beim schriftlichen Interview lade ich den Gast förmlich zum PR-Jargon ein; in der Tat werden viele Antworten in den Presseabteilungen geschrieben und vom Minister oder Bürgermeister noch nicht einmal vor dem Abschicken geprüft.
Es ist immer von Vorteil, wenn ich meinem Gast in die Augen schauen kann, sehe, wie sein Körper spricht – aber er auch mich beobachten kann.
Henning Noske, der Braunschweiger Lokalchef der Braunschweiger Zeitung, hat aus der Not des Lokalredakteurs eine Tugend gemacht: Das 5-Minuten-Gespräch, das auch im Blatt so genannt wird. Er sucht sich einen Gast aus, der etwas zu sagen hat oder prominent genug ist, er überlegt sich genau seine Fragen, hakt auch nach, sagt zuvor dem Gast, dass es keine Autorisierung geben wird, glättet nur die Ähs und Öhs und offensichtlichen Versprecher – und bekommt ein schnelles und in der Regel gut lesbares Interview.
(zu: Handbuch-Kapitel Das Interview)
Was ist guter Lokaljournalismus? Themen setzen, die die Menschen bewegen
Alle Redaktions-Projekte, ausgezeichnet mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben nichts mit Terminkalender-Journalismus zu tun, sind nicht Ergebnis irgendeiner Pressekonferenz.
Alle Redaktionen brillieren, weil sie Themen setzen.
So Jury-Sprecher Dieter Golombek in seinen Schlussgedanken beim Gespräch mit den Preisträgern im Bonner Post-Tower; dies Gespräch findet traditionell am Vorabend der Preisverleihung statt und wird von Preisträgern als der heimliche Höhepunkt gepriesen. Die Redakteure, die sich den Preis erarbeitet haben, erzählen von der Lust, aber auch von den Schwierigkeiten bei ihrem Projekt. Auf einer DVD fände man es unter: The Making Of.
In all den Jahren fällt auf: Da die meisten Konzepte und Aktionen neu sind, als Idee noch unvollkommen, zudem so nirgends verwirklicht, kommen die meisten Widerstände aus den Redaktionen selbst. Wer die gewohnten Wege verlässt, muss in vielen Redaktionen offenbar mit Unverständnis rechnen. Davon ist bei der Preisverleihung aus guten Gründen selten etwas zu hören; da überwiegt, auch aus guten Gründen, die Freude über ein großes Projekt.
Was zeichnet konkret die Preisträger in diesem Jahr aus? Dieter Golombek:
Alle Preisträger waren viel unterwegs, die Freiburger Badische Zeitung über tausend Kilometer bei ihren Touren durch die Stadtteile, die Thüringer Allgemeine dreihundert Kilometer bei ihren Wanderungen die alte innerdeutsche Grenze entlang, die Augsburger Allgemeine bei ihren Ausflügen in über zweitausend Jahre Zeitgeschichte, der Bremer Weser Kurierbei seinem Versuch, ein Schwein ein Schweineleben lang zu begleiten. Und nicht zuletzt die Reporter aus Hameln (Deister-und-Weserzeitung) und der Stuttgarter Zeitung, die sich zu Reisen in die Zeit aufgemacht haben.
Sie tun es nicht, weil sie unbedingt Lust auf das Thema haben, sie tun es im Interesse ihrer Leser. Sie greifen die Themen auf, die die Menschen bewegen, den regionalen Verkehrskollaps ebenso wie die Energiepolitik der Stadtwerke, die Alltagsprobleme von Familien ebenso wie das E-Auto, das die Wirtschaftskraft einer Region bedroht.
Die Redakteure nehmen also nicht die Themen, die ihnen, ihren Bekannten und Freunden gefallen, sondern sie hören zu, worüber die meisten Menschen in ihrer Stadt und ihren Dörfern reden oder reden wollen. Sie bewältigen die größte Schwierigkeit der Lokalredakteure: Sie müssen sich außerhalb ihrer Gemeinschaft umhören, dort wo sich nicht die hoch gebildeten Eliten versammeln, den Meinungsträger, die Bestimmer.
Mehr zu den Konzepten der Preisträger auf www.drehscheibe.de
Die Preisträger, ausgesucht unter 588 Einsendungen (so viele wie nie zuvor):
1. Preis: Bonner General-Anzeiger für das Konzept einer Familienzeitung.
Die Zeitung macht Familien, deren Alltagsprobleme und Herausforderungen, deren Wünsche und Träume zur Richtschnur für ihre redaktionelle Arbeit. Die Redaktion liefert in einer gigantischen Serie, die über Jahre läuft, Familien Gesprächsstoff und Lebenshilfe und macht sie zu Mitgestaltern der Zeitung.
2. Preis, geteilt: Die Mittelbayerische Zeitung für das Konzept der Themenwochen
Die Westfälische Rundschau für ihr Konzept der Themenpräsentation.
Kategorien-Preisträger:
Augsburger Allgemeine für die Serie „Augsburgs starke Geschichte“ (Kategorie Geschichte),
Badische Zeitung für das Projekt „BZ-Stadtteilcheck“ (Kategorie Service),
Deister- und Weserzeitung für die Serie „Zeitgeschichten“ (Kategorie Alltag),
Rhein-Zeitung für die Reportage „Lobo, der Wolf vom Zentralplatz“ (Kategorie Reportage),
Süderländer Tageblatt für die Serie „Höchst elektrisierend – die neue Mobilität“ (Kategorie Wirtschaft),
Saarbrücker Zeitung für die Serie „Nix verstehen?!“ (Kategorie Integration),
Stuttgarter Zeitung für die Serie zur Zeit (Kategorie Alltag),
Thüringer Allgemeine für die Serie „Auf dem Kolonnenweg“ (Kategorie Zeitgeschichte),
Weser Kurier für das Projekt „Ein Schweineleben“ (Kategorie Verbraucher).
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + Service C Erste Adressen: Journalistenpreise, Seite 381)
Tyrocks Dankrede: Was ist Qualität im Journalismus?
Qualität heißt: Sauberes Handwerk, saubere Recherche, relevante Themen, interessante Aufbereitung: informativ, spannend, abwechslungsreich, unterhaltend – und, immer wieder: nahe bei den Menschen, für die wir da sind.
So dankte Andreas Tyrock, Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers, nach der Verleihung des Deutschen Lokaljournalistenpreises im alten Plenarsaal des Bundestags – vor über tausend Besuchern, darunter viele Kinder und Jugendliche. Der GA bekam den Preis für das Konzept der Familienzeitung.
Tyrock weiter zur Qualität:
Qualität kostet auch Geld. Verlage sind wichtiger Bestandteil der Demokratie und sehr wichtig für das Leben vieler Menschen, sie sind aber keine sozialen Einrichtungen mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern. Verlage sind Wirtschaftsunternehmen. Sie müssen Geld verdienen, um weiterhin Qualität bieten zu können.
Das sollte sich jeder hin und wieder bewusst machen, wenn er eine Zeitung liest, wenn er im Internet surft. Die Arbeit besteht mehr denn je darin, Schneisen in das Dickicht der unzähligen Informationen zu schlagen, die täglich auf uns einprasseln. Und dies mit Kompetenz und Engagement.
Weitere Auszüge aus Tyrocks Dankrede:
Richtig ist, dass die Herausforderungen für die Zeitungsverlage im Umfeld von elektronischen Medien, vor allem aber vor dem Hintergrund der Internet-Entwicklung, stetig steigen.
Richtig ist aber vor allem, dass Zeitungen in Deutschland noch immer eine immense Bedeutung haben. Täglich lesen rund 47 Millionen Menschen über 14 Jahren eine gedruckte Zeitung.
Davon werden 37 Millionen Regionalzeitungen gelesen – mit ihren Online-Ausgaben erreichen die Verlage übrigens 27 Millionen User. Ebenfalls eine beeindruckende Zahl.
Eine Studie möchte ich noch erwähnen: nämlich zur Glaubwürdigkeit der Zeitungen bei jungen Menschen. Wenn in verschiedenen Medien über ein Thema unterschiedlich berichtet wird, dann glauben 40 Prozent der 12- bis 19-Jährigen der Tageszeitung, auf Platz 2 folgt das Fernsehen mit 29 Prozent. Das sind meiner Meinung nach sehr gute Ergebnisse für die Verlage in Deutschland.
Der Tag der Preisverleihung ist stets ein Beleg für die Leistungsfähigkeit deutscher Lokal- und Regionalzeitungen.
Sie sind das Herzstück deutscher Medien, denn sie sind am nächsten dran an den Menschen.Sie berichten aus dem Alltag der Menschen in diesem Land, sie informieren, kommentieren, sie unterhalten, sie tragen zur Meinungsbildung bei, erfüllen damit die originären Aufgaben des Journalismus und sind deshalb auch wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie.
Die Erfüllung dieser Aufgaben sichert im Übrigen auch die Zukunft deutscher Lokal- und Regionalzeitungen:
- Worüber reden unsere Leser?
- Was beschäftigt sie?
- Wie leben sie?
- Wo arbeiten sie?
- Wo kaufen sie ein?
- Wo und wie verbringen sie ihre Freizeit? In den Vereinen, bei der Freiwilligen Feuerwehr, in der Kommunalpolitik.
- Wo gehen die Kinder zur Schule?
- Wo machen die Jugendlichen ihre Ausbildung? Wo studieren sie?
Wir Journalisten müssen dabei sein, müssen informieren, müssen helfen, müssen auch kritisieren, müssen stets der Anwalt unserer Leser sein. Und natürlich auch der Anwalt unserer User.
Denn Verlage definieren sich längst nicht mehr nur über Zeitungen, auch wenn diese weiterhin das Fundament bilden. Die Verlage, die Redaktionen, die Journalisten arbeiten crossmedial, sie bieten ihre Arbeit über verschiedene Kanäle an, über die Zeitung, über das Internet, über E-paper oder über Apps
Entscheidend ist: Jedem muss klar sein, dass das Bezahlen von Qualitätsjournalismus in Print oder digital ein Beitrag zur Aufrechterhaltung dieser Qualität ist. Und damit ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der Demokratie in diesem Land. Oder, ein bisschen weniger staatstragend:
Qualitätsjournalismus sollte weiterhin ein Bestandteil des Lebens sein, weil er das Leben bereichert. Wir alle können einen Beitrag leisten. Jeder für sich.
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 57 Wie können Zeitungen überleben + 53 Was die Leser wollen)
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