Alle Artikel der Rubrik "Vorbildlich (Best Practice)"

Wolf Biermann, die Liebe und der wohl schönste Interview-Einstieg des Jahres

Geschrieben am 5. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein überraschender Einstieg in ein Biermann Interview, ein überraschend schöner, den unsere Volontärin gewählt hat:

Guten Tag, mein Name ist Lavinia Meier-Ewert…

… Lavinia – den Namen habe ich ja noch nie gehört.

Kommt aus der römischen Mythologie. Da gibt es Aeneas und Lavinia, auch ein berühmtes Liebespaar.

Das passt prima zu Pamela und mir. „Pan…“ – griechisch – ist das Ganze. Und „melos“ das Lied: das ganze Lied. Die griechischen Götter Aphrodite und Zeus sind also unsere Trauzeugen!

Quelle: Thüringer Allgemeine 15. November 2013

Vorbildlicher Journalismus: Judith Luigs Reportage über eine Schwangere, die ihr Kind verliert

Geschrieben am 17. November 2013 von Paul-Josef Raue.

„Mein Kind lebt nur in mir“ ist eine der bewegendsten Reportagen, die ich seit langem gelesen habe. Die Welt-Redakteurin Judith Luig erzählt von einer Mutter, die nach vier Monaten Schwangerschaft ihr Kind verliert; es ist wegen einer schweren Krankheit, Trisomie 18, nicht lebensfähig.

Das Thema verträgt keinen spektakulären ersten Satz, kein Erdbeben. Der Einstieg darf, ja muss kühl sein, sachlich:

Wir sitzen auf der Bank im Gang. Die Ärztin hält in der einen Hand die Tablette, in der anderen ein Glas Wasser. Sie hat gleich Feierabend.

Wir wissen nicht genau, wer das „wir“ ist; es dürfte die Reporterin sein, die zum „Ich“ greift, einem selbst in Reportagen seltenen Wort; Journalisten mögen das „Ich“ nicht, wenigstens nicht in Zeitungen und Magazinen.

Das Grauen schleicht sich nur langsam in die Reportage ein. Die Autorin bleibt noch in der Distanz, sie wechselt erst einmal zu einer Nebenfigur, der Ärztin:

Es war kein leichter Dienst. Aber doch Alltag. Sie hat einer Frau erklären müssen, wie das Kind, das sie erwartet, durch die Tablette, die sie schlucken soll, sterben wird. Am Tag darauf müsse die Frau wiederkommen. Dann werden durch Medikamente die Wehen ausgelöst.

Über das Sterben zu schreiben ist fast unmöglich, über das Sterben eines Kindes zu schreiben hält selbst ein Reporter kaum aus, der viel gesehen hat. Wie hält man seine eigenen Gefühle im Zaum? Die Autorin bleibt auf Distanz, lässt die Ärztin erzählen und beobachtet aus den Augenwinkeln die schwangere Frau – die blass wird, „zweimal sackte sie fast weg“.

Gut dreißig Zeilen lang beschreibt die Autorin das Gespräch zwischen der Ärztin und der Mutter. Der Leser kann noch, wenn auch mühsam, in der emotionalen Distanz bleiben. Es geht um die Abtreibung:

Dann hat die Ärztin ihr geraten, sich ihr Kind anzuschauen, wenn es auf der Welt sei. Damit sie ein bisschen besser verstehen könne, was geschehen ist. Damit sie abschließen könne mit dieser Geschichte. Die Frau nickt. Aber sie versteht nicht. Die Frau bin ich.

Mit diesen vier Worten „Die Frau bin ich“ kippt die Reportage; sie bewegt sich aus der Distanz in die Nähe und nimmt den Leser mit. Wer jetzt noch abseits bleibt, ist verloren; wer jetzt seine Gefühle noch unter Kontrolle hat, der hat keine. Der Autorin gelingt, was selten eine Reportage schafft: Der Leser liefert sich der Reporterin aus.

Eine gute Reportage gelingt allerdings nur, wenn die Sprache stimmt und wenn eine Spannung den Leser in den Bann zieht: Judith Luig, die Ich-Reporterin, hält die Spannung, indem sie ihre Geschichte im Präsens erzählt und weitgehend auf Adjektive verzichtet. Die Hauptwörter tragen die Reportage, geben ihr die emotionale Wucht.

„Kein leichter Dienst“, diese Wendung enthält eine der wenigen Adjektive des Textes. Und nur einmal verliert sich die Reporterin, nennt sie die Redensart „ein bisschen schwanger gibt es nicht“ eine „alte, blöde, deutsche Weisheit“. Man könnte einwenden: Auf diese drei Adjektive hätte sie verzichten können – nur hilft dieser Ausbruch auch dem Leser, Luft zu holen. Der Text geht eben an die Nieren.

Judith Luig beschreibt die Krankheit ihres ungeborenen Kindes, berichtet von den Diagnosen, rettet sich in Zahlen, um das Ungeheuerliche zu bannen: 2,8 Millimeter Nackenfalte, 6,5 Millimeter –

Kinder mit dem letzten Wert sterben zu 95 Prozent in den ersten Monaten der Schwangerschaft. Mein Kind hat eine Nackenfalte von 8,6 Millimetern.

Es gibt nichts Kühleres als Zahlen, deshalb sollten sie in einem Text nur sparsam verwendet werden; hier markieren die Zahlen die Grenze zwischen Leben und Tod – und zwischen den Zahlen steht: „mein Kind“.

Es folgt der Kontrast, die andere Welt, die einfache Beschreibung eines anderen Alltags:

Die Ärztin will nach Hause. Sie hat drei Töchter, die warten, dass ihre Mutter sie von der Schule abholt. Morgen ist Sonnabend. Da machen sie einen Ausflug mit der ganzen Familie. Ich weiß nicht, warum ich die Ärztin gefragt habe, was sie am Wochenende mache und ob sie selber Kinder habe. Ich wollte vielleicht nur über etwas anderes als über das reden, was sie mir sagen musste.

Auch der Leser mag die kleine Abwechslung, auch er will etwas anderes lesen, zur Ruhe kommen. Es ist bewundernswert, wie die Ich-Reporterin die Kontrolle über ihren Text behält und die Wirkung auf den Leser bedenkt. Judith Luig bleibt auf der Sachebene, berichtet vom Down-Syndrom, von Frauen, die im immer höheren Alter schwanger werden – um ein Mal, ein einziges Mal in den Zynismus zu fallen, der das schwierige Leben manchmal leichter macht. Wie denkt man über Frauen, die ihr krankes Kind abtreiben lassen?

In den Texten liest es sich so, als würden Frauen wie ich ihre Schwangerschaft einfach in der Mittagspause an der Kasse stornieren lassen, um dann wieder zu ihrer unglaublich tollen Karriere und ihrem selbstsüchtigen Leben zurückzugehen. Männer kommen in diesen Texten höchst selten vor. Höchstens mal pflichtschuldigst als Nebenbemerkung.

Es folgt die Moral, die Frage der Schuld – und die Aufforderung an den Leser: Und wie denkst Du? Sprichst Du mich auch schon schuldig?

Wir haben es geschafft, dass sich Frauen wie ich, die ein Kind verlieren, bevor es ein Kind ist, auch noch schuldig dafür fühlen. Ich bin nicht gut genug. Ich habe versagt. Wenn man mit den Frauen redet, deren Kind die Schwangerschaft nicht überlebt hat oder das zu früh geboren wurde, um zu leben, dann hört man diese Sätze immer wieder. Doch man hört sie nur dann, wenn es einem selbst geschehen ist. Denn mit nicht Betroffenen sprechen die wenigsten Frauen darüber. Manche, weil sie sich schämen. Andere, weil sie keine Worte für ihren Verlust haben. Aber viele auch deswegen, weil sie sich nicht verteidigen wollen für ihre Geschichte und für ihr Kind.

Eine gute Reportage hat einen Rhythmus und einen roten Faden. Judith Luigs Text wechselt ständig von der Erzählung in den inneren Monolog: Krankenhaus, Beerdigungsinstitut, Besuch der Freundin. Die Autorin macht es dem Leser und sich selber leicht, in dem sie der Reihe nach erzählt. Nur einmal bricht sie aus der Chronologie aus, wechselt ins Imperfekt. „Ich kann heute nicht mehr sagen, wann ich mich ergeben habe“, mit diesem Satz leitet die Autorin den langen Rückblick ein: Die Untersuchungen bei der Pränataldiagnostikerin.

Mitten in diesem Rückblick wechselt sie scheinbar ohne Grund vom Imperfekt wieder ins Präsens, eigentlich ein Fehler – aber er fiel mir erst beim zweiten, beim analytischen Lesen auf:

Ich will nichts tun, was die Schwangerschaft gefährdet, sagte ich.

Diese Schwangerschaft gefährden Sie nicht mehr, sagte die Genetikerin.

Ich glaube, da war mir immer noch nicht klar, was sie meinte… Meine größte Sorge war, dass das Kind leiden könnte. Noch zwei Wochen, so sagt die Forschung, und es würde Schmerzen empfinden.

Ich gehe raus, an die Luft, rufe den Vater des Kindes an. Ich schreie und weine, er weiß nicht, was er sagen soll. Was kann man schon sagen.

Auch bei der Fruchtwasseruntersuchung ein paar Tage später bleibt die Begriffsstutzigkeit an mir haften…

Den Ausstieg aus der Vergangenheits-Form wählt die Autorin nicht im Strom der Erzählung, sondern bei einer Unterbrechung, beim Wechsel vom inneren Monolog in die Erinnerung. Der Trick: Die Erinnerung wird ebenso chronologisch erzählt, der Leser läuft also wieder mit, hat vergessen, dass die Autorin zurückblickt; er ist im Präsens, der Gegenwart der Erinnerung.

Und wie kehrt Judith Luig von der Erinnerung in die Gegenwart zurück? Sie berichtet von einer Kollegin, die auch ihr Kind verloren hat, verwebt so Gegenwart und Vergangenheit:

Mit anderen Menschen zu reden, die Ähnliches erlebt haben, tröstet. Eine Kollegin hat ihr Kind noch zu DDR-Zeiten verloren. Damals nahmen einen die Schwestern im Krankenhaus noch nicht so ernst wie heute. Auch heute noch, 25 Jahre später, denkt diese Kollegin an das Kind. Für niemanden sonst hat es dieses Kind gegeben, sagt sie, aber für mich schon.

Ich finde nicht zurück ins Leben. Ich will auch gar nicht. Wochenlang bleibe ich zu Hause. Überfordert selbst von den kleinsten Aufgaben. Kaffeekochen. Milch einkaufen. Rechtzeitig schlafen gehen…

Mit „Ich finde nicht zurück ins Leben“ beginnt der Schlussteil der Reportage, die in den beiden letzten Sätzen mit dem Zurückfinden ins Leben schließt. So kühl die Reportage im ersten Satz begann, so euphorisch endet sie:

Ich habe ein Kind erwartet, das nicht leben konnte. Aber dass es dieses Kind, wenn auch nur diese kurze Zeit, gegeben hat, das war ein großes Glück.

zur Reporterin (nach Reporterforum.de):
Judith Luig begann ihre Karriere als Reporterin über Schützenkönige, Karnevalsprinzessinnen und Goldene Hochzeiten 1998 bei der Bonner Rundschau. Von 2001 bis 2009 war sie Redakteurin im Magazin der taz, später Ressortleiterin von tazzwei und berichtete dort vor allem über Frauen, Männer und Paralleluniversen. Seit November 2009 ist sie Redakteurin bei der Welt/Welt am Sonntag/ Berliner Morgenpost im Ressort Magazin/Reportage/Vermischtes.

Zur Reportage:
Erschienen in Die Welt vom 16.11.13: „Mein Kind lebt nur in mir“

„Wo eine gute Lokalredaktion ist, verändert sich die Politik einer Stadt“ – Interview, Deutscher Lokaljournalistenpreis

Geschrieben am 29. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Für die Serie „Die Treuhand“, einer Geschichte über die friedliche Revolution auf dem Arbeitsmarkt, wird die Thüringer Allgemeine neben dem Hamburger Abendblatt in diesem Jahr mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet.

Vor der Preisverleihung am 30. September auf der Wartburg hat der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Paul-Josef Raue, im Interview mit der Online-Redaktion der KAS das Konzept hinter der Serie vorgestellt und sich über die wachsende Bedeutung des Lokalen geäußert.(Podcast auf kas.de)

Herr Raue, herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Lokaljournalistenpreis, den Sie sich mit dem Hamburger Abendblatt teilen. Sie erhalten den Preis für die Serie „Treuhand in Thüringen“, die vorbildlich zeigt, wie ein brisantes politisches Thema lokal und regional umgesetzt und damit eine lebendige Debatte entfacht wird. In einem Leserbrief an die Thüringer Allgemeine heißt es: „Die Serie ‚Treuhand in Thüringen’ ist sehr interessant, bringt sie doch zum Ausdruck, was in der Zeit des Umbruches so gelaufen ist oder auch nicht’.“ Bitte schildern Sie uns, welches Konzept hinter der Serie steckt.

Raue: „Die Treuhand“ ist im Grunde die Geschichte der friedlichen Revolution auf dem Arbeitsmarkt. Da die DDR-Wirtschaft völlig zusammengebrochen ist, waren mit einem Schlag Millionen von Menschen arbeitslos. Man musste also zusehen, dass man die Unternehmen aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft bekommt, den Menschen möglichst viele Arbeitsplätze anbietet und viele Firmen in die neue Zeit hinein retten kann.

Wenn man allein das schon sieht, ahnt man, wie viele Millionen menschliche Schicksale sich dahinter verbergen. Es gab kein historisches Vorbild. Es gab eine friedliche Revolution, dann ist ein System zusammengebrochen und es musste ein neues Wirtschaftssystem etabliert werden – das hat vorher keiner geschafft und es war vorher auch noch keiner in dieser Lage.

Diese Zeit hat sehr viel Elend über die Menschen gebracht, aber auf der anderen Seite ist eine Wirtschaft entstanden, die sich mittlerweile mit den meisten Volkswirtschaften in Europa messen kann. Thüringen ist das wirtschaftlich stärkste der fünf neuen Bundesländer.

Aber die drei, vier Jahre nach der Wende sind seltsamerweise aus dem Bewusstsein der Menschen ausgeklammert. Man kann sogar sagen, es ist ein Tabu geworden. Die am lautesten ihre Kritik äußern, sagen, alles was schlecht an der Wiedervereinigung war, ist Treuhand. Auf politischer Ebene wird dies von den Linken als Beweis dafür genommen, dass der Westen den Osten bis heute nicht ernst nehmen würde.

Zwischen diesen beiden Positionen schwanken die Meinungen. Die Menschen sehen diese Zeit rückblickend als nicht besonders positiv. Wir wollten das Thema aus der Tabu-Zone holen und haben nachgeforscht – was bisher keiner getan hat – wir wollten wissen, was wirklich in der Zeit passiert ist.

Welche Abläufe gab es? Stimmen die Vorurteile? Müssen wir die Vorurteile revidieren? Wer hat was getan? Wir haben gemerkt, dass wir dazu mit den Menschen reden und in die Archive gehen müssen. Und schlussendlich auch aufschreiben müssen. Das hat uns etwa anderthalb Jahre gekostet.

Daraus ist eine 60-teilige Serie entstanden, die weitergeführt wird und ein Buch, dass sich auch im Westen sehr gut verkauft. Hinzu kommt noch der Preis, über den wir uns sehr gefreut haben.

Der Deutsche Lokaljournalistenpreis gilt als einer der renommiertesten Preise seiner Branche. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat einmal gesagt, der Preis sei einer der bedeutendsten Auszeichnung für Regionalzeitungen im deutschsprachigen Raum. Den Preis erhält man nicht einfach so, sondern man muss sich bewerben und vor einer fachkundigen Jury um Dieter Golombek bestehen. Was war für Sie initiativ, um sich für den Preis zu bewerben?

Es ist das dritte Jahr, in dem wir uns mit einer historischen Serie beworben haben. „Treuhand“ ist Teil einer Trilogie. Wir wollten die Zeit der Revolution und der davor aufarbeiten und für die Menschen lebendig machen. Wichtig ist dabei, sie nicht Historikern zu überlassen, sondern Menschen zu Wort kommen zu lassen.

Der erste Teil hieß „Meine Wende“ und hatte auch einen Spezialpreis beim Lokaljournalistenpreis vor zwei Jahren erhalten. Darin haben Menschen geschildert, wie sie seelisch die Wende – wobei ich das Wort nicht mag – diesen Umschwung mitbekommen haben. Es war nicht die Frage, wann ich in Eschwege das erste Mal einkaufen war, sondern was ist mit mir seelisch passiert. Ein höchst bewegendes und auch widersprüchliches Buch.

Der zweite Teil der Trilogie war die Grenzwanderung. Wir sind den größten Teil der alten Grenze von Thüringen abgewandert. Meter für Meter sind wir wochenlang gelaufen und haben geschildert, wie es den Menschen heute und zur Zeit der Wende ging und natürlich auch das geschildert, was vorher passiert ist. Wir haben die Geschichte der Grenze beschrieben, worüber kurioserweise zuvor keiner geschrieben hatte.

Der dritte Teil behandelt das Tabuthema Wirtschaft. In der Serie wird die friedliche Revolution noch einmal in der Erfahrung der Menschen gespiegelt, die ihre Arbeit verloren oder wiedergewonnen haben. Was man in dem Zusammenhang nicht vergessen darf, ist, dass sehr viele sich selbständig gemacht haben. Thüringen ist ein Musterbeispiel für mittelständische Industrie und sogar Weltmarktführer in einigen Nischenprodukten.

In der Serie haben wir die Frage gestellt: Wie ist das entstanden und was hat es mit den Menschen gemacht? Weil wir die Trilogie damit abgeschlossen haben, haben wir uns damit beworben und auf einen der kleineren Preise gehofft. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir den ersten Platz beim Deutschen Lokaljournalistenpreis erhalten.

Was bedeutet Ihnen persönlich diese Auszeichnung und was bedeutet Ihrer Redaktion dieser Preis?

Ich habe nicht zum ersten Mal diesen Preis gewonnen, aber es war der, über den ich mich am meisten gefreut habe. Es war auch der, der am schwersten erarbeitet worden ist. Als ich nach Erfurt kam, folgte ich einem Chefredakteur, der fast 20 Jahre die Redaktion geleitet hat. Hinzu kam, dass ich der erste Westdeutsche in leitender Position war. Da hat die Redaktion auch mit sich und dem Chefredakteur gerungen und es gab Auseinandersetzungen, die zum Teil auch öffentlich waren.

Ich will es so sagen: Es hat der Redaktion gut getan, denn sie hat gemerkt, dass diese Kämpfe nicht nur innere oder Abwehrkämpfe waren, sondern die Redaktion hat auch gezeigt, welche Kraft in ihr steckt – was sie an Recherche schafft, an journalistischer Potenz und Professionalität besitzt. Dieser Preis ist für die Redaktion enorm wichtig.

Wir merken gerade jetzt, dass wir im Vergleich zu anderen Lokalzeitungen die intensivste und durchdachteste Berichterstattung vom NSU-Prozess haben. Wir sind jeden Tag mit mindestens einem Redakteur im Gerichtssaal dabei und sehr stark online. Dieser Preis unterstreicht die Professionalität der Redaktion und er hat Kräfte freigesetzt, die die Thüringer Allgemeine zu einer der großen Zeitungen machen wird.

In Zeiten von Globalisierung und weltweiter Mobilität erlebt Heimatverbundenheit eine Renaissance. Die Lokalzeitungen stellen sich mit unterschiedlichem Erfolg auf das Bedürfnis nach noch mehr Berichterstattung über lokale Ereignisse ein. Ist diese Entwicklung eine Gegenreaktion auf die Vielfalt und Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt?

So wird es immer dargestellt. Man muss sich mal die Geschichte dieses Preises anschauen. Vor gut 30 Jahren hat man angefangen dem Lokaljournalismus die Bedeutung in Deutschland zu geben, die er verdient. Damals wusste man noch gar nicht, dass irgendwann das Internet kommt. Lokaljournalismus ist für eine Demokratie extrem wichtig, weil so die Menschen verstehen, wie ein Gemeinwesen tickt, wie es funktioniert – und dass man sich engagieren kann. Dafür braucht es aber einen funktionierenden Journalismus und eine Zeitungslandschaft.

Damals war es der Sprecher der Jury, Dieter Golombek, der das Lokaljournalistenprogramm aufgesetzt hat. Ich glaube, in den vier Jahrzehnten hat sich der Lokaljournalismus von einer Honoratioren-Berichterstattung hin zu einer wirklich ernstzunehmenden Professionalität entwickelt.

Wenn Sie sich die Entwicklung des Preises anschauen, sehen Sie das ziemlich gut. Ich denke, dass die Entwicklung unserer Demokratie sehr viel damit zu tun hat, und der Lokaljournalismus sehr viel stärker geworden ist. Er ist kritischer in den Städten geworden.

Ich bin davon überzeugt, wo eine gute Lokalredaktion ist, verändert sich auch eine Politik in einer Stadt. Wenn ich einiges nicht mehr in meinem Hinterstübchen machen kann und damit rechnen muss, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, mache ich eine andere Politik. Erstmal hat das mit dem Internet relativ wenig zutun.

Aber es hat damit zutun, dass Menschen sich für ihre Nachbarschaft und ihre unmittelbare Umgebung interessieren, denn da können sie etwas bewirken.

In Brüssel oder in New York bei der Uno etwas zu bewirken – da muss man schon sehr euphorisch sein. Aber in seiner eigenen Stadt oder Dorf etwas zu bewegen, dafür muss man nicht euphorisch sein, das kann man lernen und dazu braucht es die Lokalzeitungen, um seine Chancen zu erkennen.

Dieter Golombek sagte einmal in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen: „Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, die Leser mit Neuigkeiten zu versorgen.“ Wie sieht für Sie die Zukunft des Lokaljournalismus’ aus?

Das ist richtig. Aktualität spielt allerdings auch noch im Lokalen eine Rolle. Man sollte das nicht unterschätzen. Die Zeitungen haben das Privileg des aktuellsten Mediums endgültig an das Internet und Fernsehen abgegeben. In der Stadt ist es noch ein bisschen anders. Zumal es auch Zeitungen sind, die das Neue erst herausbekommen und recherchieren müssen. Sie glauben gar nicht, was hinter alten Rathausmauern alles passiert und was alles keiner mitbekommen soll. Das ist das eine.

Das zweite ist, den Menschen zu erklären, was dort passiert. Nehmen Sie die Serie „Treuhand“. Es muss jemand Zeit, Geduld und das Können besitzen, um in 30.000 Dokumenten zu suchen und zu schauen, was damals passiert ist. Einen Großteil dieser Dokumente sollten wir eigentlich gar nicht erhalten. Die liegen noch irgendwo verschlossen. Darum geht es: Du musst den Menschen das Fundament des Gemeinwesens zeigen, in dem wir leben und das unsere Heimat ist.

Dies ist die Hauptaufgabe von Lokalzeitungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Ob dies auf Papier oder im Internet geschieht, wird sich zeigen. Ich denke aber, dass das Papier im Lokalen noch sehr wichtig sein wird. Weil, wenn man länger und intensiver lesen möchte, ist das Papier das bessere Trägermedium.

Immer wieder wird den Zeitungen insgesamt vorgeworfen, nicht genügend neue Ideen für kreative Geschäftsmodelle zu haben. Stimmt das? Wenn ja: Was sind die Gründe? Gibt es Geschäftsmodelle mit denen der Lokaljournalismus überleben kann? Zum Beispiel aktuell das Leistungsschutzrecht für Presseverlage?

Ich denke, das Leistungsschutzrecht zeigt den Weg an, in den das Ganze gehen muss. Das wir unsere Inhalte verschenken, ist unsinnig, denn jemand muss unseren Journalismus bezahlen. Guter Journalismus ist sehr teuer. Das funktioniert im Augenblick noch, indem quer subventionieren. Aber die Diskussion scheint mir beendet zu sein. Wir wissen, dass wir unsere Inhalte im Print- und Onlinebereich verkaufen müssen.

Die entscheidende Frage, die nun kommen wird, ist: Sind es dieselben Formate, mit denen wir Zeitungsleser und Onlineleser gewinnen können? Dazu kann ich ein Beispiel aus der vergangenen Woche geben. In Erfurt gibt es ein großes Festival namens „Domstufenfestspiele“. Wir haben zum ersten Mal einen Liveticker von einer Opernpremiere gemacht. Das war eine Mischung aus Erlebnisschilderungen, Bildern und Videos. Die Menschen vor Ort haben sich dazu eingeschaltet, und es gab einen Dialog mit den Lesern. Das sind Formate, mit denen wir experimentieren müssen.

Was sich dann schlussendlich in Geld verwandeln lässt, wird sich zeigen. Der Lokaljournalismus war in den vergangenen Jahren sehr innovativ, und wir werden auch in der Onlinewelt viel Neues entdecken. Die Treuhand-Serie ist mittlerweile ein großes Archiv, in dem viele Firmen zu finden sind. Die Serie werden wir sicherlich irgendwann bezahlbar machen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Wir haben den Preis zusammen mit dem Hamburger Abendblatt gewonnen. Die Kollegen haben den Preis für die Vermessung Hamburgs bekommen. Auch wir haben zurzeit eine Serie laufen, die heißt „Thüringen vermessen“, aber sie unterscheidet sich ein wenig von den Hamburgern.

Sie werden sämtliche Orte Thüringens dort wiederfinden. Das wird natürlich ein Angebot für jemanden, der nach Thüringen zieht oder geschäftliche Beziehungen knüpfen will, sein. Er kann es dann nutzen und bezahlt dafür.

Am 30. September erhalten Sie in einem Festakt die Urkunde für den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Wissen Sie schon, wo die Urkunde einen festen Platz bekommen wird?

Die Redaktion ist in einem Loft mit Blick auf den Thüringer Wald untergebracht, dort haben wir eine große Wand. An dieser wird sie dann als dritte Auszeichnung der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgehängt. Doch der diesjährige Preis ist uns der liebste, weil er der erste Preis ist. Darauf sind wir sehr stolz.

Eine vorbildliche Recherche: Offshore-Leaks der SZ

Geschrieben am 5. April 2013 von Paul-Josef Raue.

„Offshore-Leaks“, die Serie der Süddeutschen, ist, abgesehen vom Serientitel, ein Vorbild für alle Reporter:

  1. Die Quellen sind genannt: Eine anonyme Festplatte, die per Post gekommen ist; darauf sind Dokumente, die auf den Servern zweier Firmen gesammelt wurden: Portcullis („Fallgitter“), ein Finanzdienstleister auf den Cook-Inseln, und CTL, Commonwealth Trust Limited, auf den Britischen Jungferninseln.
  2. Die Überprüfung der anonymen Quellen übernehmen seriöse Zeitungen – und in Deutschland auch der NDR – wie die Washington Post, der Guardian, Le Monde.
  3. Die meisten Personen werden zu Vorwürfen befragt, wie der Nachlassverwalter von Gunter Sachs, oder die Sprecher von Banken, wie der Deutschen Bank; die meist abwiegelnden Erklärungen werden veröffentlicht ebenso wie das Schweigen.So fällt auch das Fehlen der Quellen auf, meist bei Vorwürfen gegen internationale Prominenz wie die Tochter des philippinischen Diktators Marcos; da behilft sich die Redaktion mit einer unbeantworteten Frage („Stammt das Geld aus dem unrechtmäßigen Vermögen des Vaters?“) und dem Hinweis, die Behörden auf den Philippinen wollen prüfen.
  4. Die Geschichte ist verständlich, meist sehr gut geschrieben. Die Autoren verschanzen sich nicht hinter dem Argument „komplexe Materie“, sondern entwirren nach dem ehernen Journalisten-Grundsatz: Quälen muss sich der Redakteur, nicht der Leser.
  5. Grafiken helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Aber das ist der einzige Nachteil der SZ-Serie: Die Grafiken sind meist wirr, nur schwer zu enträtseln – und haben keine Bildzeile, also keine Lesehilfe („Wie muss ich die Grafik lesen?“).

Zur Kommentierung wird dann der Poet der Redaktion geladen, der in einem großen moralischen Eintopf „Offshore“ mit der Armut in Deutschland verknüpft, mit Hartz IV und dem Grundgesetz. Wie überwältigt Heribert Prantl von der Fleißarbeit seiner Kollegen war, zeigen allein schon die Sprachbilder und Substantive im ersten Absatz seines Leitartikels: Schöpfungen Gottes, Palmen, weiße Strände, Idylle, Sehnsucht, Verklärung, Badetuch, Tresore, Paradies, Geldmagnet, Gier. Wie gesagt – so viel Phantasie in einem einzigen Absatz!

Wie bei fast allen Skandalen, die von Journalisten recherchiert werden, stellt sich die Frage nach der Moral: Dürfen wir Material nutzen, das illegal oder sogar mit krimineller Energie beschafft wurde, oder von moralisch zwielichtigen Typen kommt?

Ja, weil das Material nur den Anlass zur Recherche gibt. Nur was der Redakteur auch belegen kann durch eigene Recherche, das kommt an die Öffentlichkeit – die ein Recht darauf hat, in die Kulissen der Macht zu schauen.

Im „Handbuch des Journalismus“ ist im Kapitel 17 „Die eigene Recherche“ zu lesen:

Hartnäckigkeit und Fleiß bringen nicht immer den Lohn, manchmal spielen eher unmoralische Motive die Hauptrolle, damit der Moral zum Siege verholfen wird. Hätte nicht der Spiegel einem Informanten eine horrende Summe bezahlt, so wüssten wir immer noch nicht, auf welche Weise sich die Chefs der ,Neuen Heimat‘ bereichert haben.

Kein Reporter hatte sich geplagt, sondern ein gekränkter Angestellter der ,Neuen Heimat‘ sein Wissen zu Geld gemacht. Weniger Gekränktheit beim Angestellten oder weniger Geld beim Spiegel, und die Öffentlichkeit hätte die Wahrheit vermutlich nie erfahren.“

Vorsicht: Ironie!

Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue.

Leser schreiben auch vortreffliche Satiren – beispielsweise Karl-Ernst Schwartz aus Sondershausen in der Thüringer Allgemeine, als er während der Schulessen-Affäre auf die Frage reagierte: Warum waren nur ostdeutsche Länder von der Lieferung vergifteter Erdbeeren betroffen?

Das ist nur die Spitze des Eisberges. Um das dahinterliegende System zu verstehen, müssen wir in die Vergangenheit schauen:

Zuerst hat man uns Ostdeutschen unsere zwei Eriche genommen, von denen der eine uns besonders geliebt und dies auch öffentlich zum Ausdruck gebracht hat. Dann wurde der Hauptteil unserer Ersparnisse in harter DDR-Mark auf Wunsch des westdeutschen Großkapitals 2:1 abgewertet.

Anschließend verschleuderte die Treuhand unser Eigentum an modernsten Betrieben und Einrichtungen, wie wir fast jeden Tag in dieser Zeitung lesen können. Unsere Rentner kümmern mit ihren jämmerlichen, nicht angepassten Ostrenten dahin und verhungern reihenweise, auch hier fast täglich nachzulesen.

Nicht genug damit, unsere ostdeutsche Jugend, insbesondere die jungen, gut ausgebildeten Frauen, werden mit Versprechungen höherer Löhne und Gehälter in die Betriebe westdeutscher Ausbeuter gelockt, wer weiß, was dort mit ihnen geschieht.

Zu guter Letzt werden auch noch unsere ostdeutschen Kinder, von denen es sowieso nicht viele gibt, und möglicherweise unsere intellektuelle Elite, die Pädagogen, mit verseuchtem Schulessen, zum Hohn auch noch mit roten chinesischen Erdbeeren, vergiftet.

Das ist Völkermord! Wann schreitet endlich die UNO ein?

Die TA druckte die Satire, aber unter der Überschrift: Vorsicht Ironie!

(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)

Wie Politiker in Thüringen auf Journalisten Einfluss nehmen – oder: Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch

Geschrieben am 28. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Mächtigen in Thüringen waren auch nicht besser als die Bayerns, schreibt Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), in seinen Erinnerungen, die er am Sonnabend in seiner Zeitung veröffentlicht hat (27.10.2012): „Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch politischer Einflussnahme“. Er schreibt:

Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen. Es war nie ein Spiel, es war immer ein Machtkampf.“

Einzigartig dürfte sein: Hans Hoffmeister hat über die Einflussnahmen nicht nur an journalistischen Stammtischen erzählt, sondern immer auch in seiner Zeitung – „weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.“

Er weist darauf hin, dass solche Einflussnahmen nach der friedlichen Revolution in Thüringen umso schwerer wogen: „Die Pressefreiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen.“

Hoffmeister zählt das Arsenal der Beeinflussung detailliert auf:

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los.

In seinem Essay nennt Hoffmeister ein knappes Dutzend Namen quer durch alle Parteien, er berichtet von Pressesprechern bei Ministerpräsident Vogel, „durchtrieben“ und „ungeniert“; vom Versuch, seine Entlassung zu betreiben. Er berichtet vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und seiner „brutalen Einflussnahme“; von einem Ex-Wirtschaftsminister, der mit einer Abbestellungswelle drohte, wenn nicht positive Artikel kurz vor der Wahl erschienen.

Positiv sieht Hoffmeister den aktuellen Regierungssprecher Zimmermann: „Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten.“

Der komplette Hoffmeister-Essay aus der TLZ (unredigiert):

Weimar. So etwas wie in Bayern gab’s in Thüringen auch. Nicht anders als in manchem anderen Bundesland. Je absoluter die Mehrheit, desto rüder versuchen Regierende politisch Einfluss auf journalistische Inhalte und damit auf Redaktionsspitzen zu nehmen. Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen.

Wir haben im Laufe der Jahre im Blatt immer mal recht offen darüber berichtet – in Rückblicken -, weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los. Nur dass es leider kein Spiel war. Es war ein Machtkampf.

Das war früher. Und man dachte, das ist vorbei. Dass der Sprecher des CSU-Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten – wie jetzt in Bayern – eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ungeniert, offen und öffentlich sogar per SMS, also doch vermutlich nachweisbar, auffordert, über einen SPD-Landesparteitag am Abend der Veranstaltung möglichst überhaupt nicht zu berichten, das hatte man noch nicht erlebt.

Obwohl: Der Thüringer Regierungssprecher Hans Kaiser hat unter Bernhard Vogel immer besonders gern beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, aber auch beim Privatfunk, natürlich auch bei den Zeitungen, seine Spielchen derart durchtrieben versucht, dass er schließlich fast nur noch nach eigenem Gusto handelte und sich selbst gefangen nahm, wie jetzt der Typ in Bayern.

Schließlich kegelte Vogels Nachfolger Dieter Althaus nach der Wahl den mittlerweile zum Staatssekretär Beförderten einfach raus aus dem Team. Sogar Vogel baute ihm in seiner Adenauer-Stiftung kein Rettungsboot an seiner Seite, sondern Kaiser musste zusehen, wie er weit weg versetzt wurde – nach Taschkent. Mittlerweile leckt er seit Jahren in Budapest seine Wunden.

Brutale Versuche

sind nicht an eine

Partei gebunden

Nachfolger Hermann Binkert, Althaus Grundsatzreferent, später auch Staatssekretär, machte das dann genauso bei seinem Chef. Er indoktrinierte ihn selbst sehr erfolgreich und verpasste ihm eine Art Gehirnwäsche. Die folgenden politischen Dramen etwa um einen Thüringer Kulturkahlschlag, die vermeintliche Familienoffensive mit gekürzten Horten und vieles mehr waren die Folgen. Binkert versuchte ungeniert, auch auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen, wenn dies probat erschien – aber nicht so ungeniert wie Kaiser das tat. Die TLZ kann ein Lied davon singen.

Es endete im TLZ-Fall, von Binkert vermeintlich clever eingefädelt, mit einer Nähe zur Verlegerin eines großen (anderen) Zeitungshauses und der Idee, über diese Brücke dessen ehemaligen Geschäftsführer, mittlerweile höchster Chef unserer WAZ-Mediengruppe, somit auch der TLZ, zu nötigen, mich abzulösen. Der so von Althaus direkt Angesprochene lächelte nur und verwies den Ministerpräsident auf sich selbst zurück. Wie auch anders?

Was Binkert nicht hindern sollte, im Tollen Thüringen, einer millionenfach verbreiteten, undurchsichtig finanzierten Wahlkampf-Illustrierten, für Dieter Althaus brutal direkt und öffentlich über meine Gesundheit Gerüchte zu verbreiten. So etwas ist in Deutschland strafbar. Ich habe keine Anzeige erstattet. Doch ein Sturm im Blätterwald folgte: Von der Mitteldeutschen bis zur Badischen Zeitung reichte die solidarische Entrüstung, auch im Presseecho der WAZ-Gruppe reportiert. Binkert und Althaus waren gescheitert. Ihr politisches Ende folgte alsbald.

Aber das gibt’s nicht nur bei der CDU. Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie (SPD) hat brutale Einflussnahme, einfach so, weil er in Not war, bei der TLZ auch versucht – im Zuge der Seemann-Affäre. Und das liegt noch nicht lange zurück.

Auch von der Nachwende-FDP haben wir solche Versuche erlebt. Der einstige Wirtschaftsminister Jürgen Bohn drohte zwei Tage vor der Wahl TLZ-Vize Hartmut Kaczmarek, wenn er nicht sofort dieses und jenes schreibe, werde er für 30 Ab­bestellungen sorgen. Während aus der Erfurter CDU der Wink Richtung TLZ kam: Der Chefredakteur schädigt mit seiner Weimarerei den Wirtschaftsstandort Erfurt. Man wollte die Berichterstattung und Kommentierung über die geplante Zwangsfusion zwischen DNT und der neuen Oper unterbinden.

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abgeheftet

Es gab auch schwere Verstöße anderer Art: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Andreas Kniepert, glaubte in den Anfängen, mit dem ersten Privatsender Antenne Thüringen ein quasi leibeigenes Medium zu haben. Sein Kollege von der CDU, Jörg Schwäb­lein, versuchte sogar, bei einem kleinen CDU-Parteitag am Rande der Vereinigungsfeiern in Hamburg eine öffentliche-rechtliche Zeitung zu beschließen. Etwas später machte Bernhard Vogel diesen Überlegungen den Garaus.

Vize-Ministerpräsident Gerd Schuchardt (SPD) sammelte kritische TLZ-Kommentare, um diese, geheftet mit einer Büroklammer, an den WAZ-Gruppengeschäftsführer zu schicken. Daran hinderte ihn der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Werner Rechmann. Der WAZ-Gruppengeschäftsführer riet in solchen Lagen dem TLZ-Chefredakteur, egal wie der Fall lag: „Behaupten Sie sich!“ Ein ähnlicher Versuch der Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) scheiterte analog.

Auch andernorts gab’s so etwas. Und manchmal kam es raus – im Nachhinein. Ein namhafter Thüringer Fernsehchef etwa wurde von Oskar Lafontaine (SPD) zu dessen MP-Zeiten in Saarbrücken direkt genötigt. Sinngemäß: Ich hab es dir doch gesagt, dass du das so und nicht anders drucken sollst; und jetzt hast du’s wieder nicht gemacht! –

Das konnte der Journalist auch als Drohung empfinden. Es hat den Mann fast „umgebracht“ – so sehr hat ihm das zu schaffen gemacht. Der Journalist hat’s später mal beim Bier erzählt.

Mittlerweile – so dachte man – gibt’s so was jedenfalls in Thüringen nicht mehr. Bernhard Vogel ist lange weg und führt nur noch Anerkennungskämpfchen vor für sich selbst. Dabei hat die Geschichte längst geurteilt. Nicht mal Ehrenbürger von Erfurt darf er werden. Diese äußerste Anerkennung wird ihm in seiner Sammlung von Ehrungen schmerzlich fehlen. Das ist nicht peinlich, das ist gerecht. Peinlich ist nur sein ewiges Nachdrehen mit rückwirkender Geschichtsklitterung.

Die großen Essen mit Chefredakteuren samt Gängelei und Balzerei im Gästehaus der Landesregierung hat – auf TLZ-Betreiben – schon Althaus abgeschafft. Und solche Gästehäuser gibt es auch nicht mehr.

Sprecher sind

jetzt vor allem

Dienstleister

Solche Regierungssprecher wie Hans Kaiser gibt es schon gar nicht mehr. Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten. Nur in Bayern hat sich das noch nicht rumgesprochen. Man erschrickt über solche späte Auswüchse.

Horst Seehofer, der offenbar wegen der Affäre nicht am derzeitigen MP-Treffen in Thüringen teilnimmt, trat am Donnerstagabend sehr nervös, verlegen, mit rotem Kopf vor die Kameras und stammelte. Hatte er doch soeben noch zum Thema Medien Offenheit verkündet und den Spruch abgelassen, dass wir heute nicht mehr in Herrschaftszeiten leben…

Seehofer suchte nach Ausreden. Und er fand sie nicht. Statt klar zu sagen: Ich entschuldige mich beim ZDF und vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit für diese Fehlleistung meines Sprechers. – So löst man solche Krisen. Seehofer war gerade in seinen Umfragen endlich mal auf einen Baum geklettert, und es herrschte eine gewisse Entspannung in der Koalition in Berlin aus CDU/CSU und FDP. Jetzt ist er wieder runtergefallen. Aus eigener Schuld.

Dabei ist er selbst ein Profi aus der alten Garde – nicht anders als Vogel und – wie man sieht – nicht anders in der Rolle gefärbt. Jetzt kriegt er die Zähne nicht auseinander zu drei einfachen deutschen Hauptsätzen: „Das war Mist. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen.“

Die Presse ist frei – Punkt. So steht’s im Gesetz. Ihre Freiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen. Das weiß man eigentlich in der Bundesrepublik seit der Spiegel-Affäre mit Franz-Josef Strauß. Sie liegt gerade 50 Jahre zurück, wie die TLZ berichtete.

Das beruhigende an solchen Affären ist, dass die schlimmsten herauskommen. So auch hier. Das belegt: Die Demokratie ist – doch – intakt.

120 Wörter in einem Satz: Caroline Emckes Vorbild-Reportage

Geschrieben am 26. September 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 26. September 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Vorbildlich (Best Practice).

Es gibt Geschichten, die haben keinen Anfang, weil niemand weiß, wieso sie geschehen. Sie lassen sich erzählen, aber sie lassen sich nicht begreifen. Sie werfen nur Fragen auf und bieten keine Antworten. Die Geschichte von Grace ist so eine Geschichte.

So beginnt Caroline Emckes Reportage im Zeit-Magazin ( 2011) über Grace, einem vierjährigen Mädchen in Kenia, vergewaltigt und schwer verletzt von einem Nachbarn, einem mächtigen Mann. Das Dorf hört zu, wie das Mädchen weint und schreit.

Eine Tante geht mit dem Mädchen in die Stadt, erstattet Anzeige, gibt das Kind in die Obhut eines Heims für misshandelte Mädchen.

Für ihre Reportage „Der lange Weg zur Gerechtigkeit“ bekommt Caroline Emcke den Ulrich-Wickert-Preis für Kinderrechte. Die Reportage ist eine der besten Reportagen der vergangenen Jahre, eine vorbildliche, nicht nur wegen ihres Themas. Wer solch Unmenschlichkeit beschreibt, braucht keine Worte des Abscheus, keinen moralischen Aufschrei – er muss nur unaufgeregt berichten, der Reihe nach. Die Fakten reichen.

Markus Lanz lobte in der Jury-Sitzung: „Carolin Emcke nimmt den Menschen nicht die Würde. Sie kommt nicht in Gutsherrenart und sagt, wie es zu sein hat.“ Carolin Emcke ist eine Reporterin; sie schreibt auf, wie es ist.

Nur einmal in ihrer Reportage schleicht sich ein Wort  wie „Ungeheuerlichkeit“ ein:

 Grace‘ Leben beginnt nicht mit ihrem Geburtstag, der ist nicht verzeichnet, sondern mit jenem 3. März 2010, dem Tag, an dem sie, halb bewusstlos, von ihrer Tante Joyce auf dem Arm ins Krankenhaus getragen wurde. »Blut und Flüssigkeit auf der Unterhose«, steht mit blauem Kugelschreiber auf dem schmucklosen Zettel, der in der Akte abgeheftet ist und auf dem ein Arzt im Methodist Hospital von Maua die Ungeheuerlichkeit notiert hat: 13 Kilo Gewicht, Körpertemperatur 37 Grad, eine eingehende Vaginaluntersuchung sei nicht möglich gewesen, weil die Patientin große Schmerzen gehabt habe, der Arzt schließt mit der Diagnose »Vergewaltigtes Kind mit genitalen Verletzungen«.

Wolf Schneider wird es für unmöglich halten, jeder Stilist „Stop“ rufen, wenn in einer Reportage ein Satz auftaucht, der 120 Wörter lang ist (darin: 37 englische Wörter und 9 Wörter Bibelzitat und 6 Mal wiederholt „klapp“). Carolin Emckes sechster Satz, der erste erzählende, er erzeugt mit einfachen Mitteln Atemlosigkeit, ist lang, aber verständlich. Grace singt:

»If you’re happy and you know it, clap your hands« , sie klatscht in die Hände, klapp, klapp, Grace singt und klatscht vergnügt wie alle anderen Kinder, »If you’re happy and you know it, clap your hands« , klapp, klapp, es ist acht Uhr morgens, die erste Stunde des christlichen Kindergartens in Meru,  Kenia,  hat begonnen, erst mit einem Bibelvers, »Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«, und nun mit diesem Lied der Freude, die man sehen und hören muss, »If you’re happy and you know it, then you really got to show it, clap your hands« , klapp, klapp, Grace trägt wie die anderen achtzehn Kinder ihre Schuluniform, einen blauen Jeansrock und ein rotes Polohemd unter einem blauen Wollpullover.

Ulrich Wickert hat den Preis gestiftet unter dem Dach der Stiftung „Hilfe mit Plan“; er wird am 11. Oktober 2012, dem UN-Mädchentag, in Berlin verliehen. Neben Carolin Emcke wird er auch an Autoren aus Simbabwe sowie vier Ländern Westafrikas vergeben.

Paul-Josef Raue gehörte der Jury an neben Karl Günther Barth (Hamburger Abendblatt), Marko Brockmann (Radijojo), Karen Heumann (kempertrautmann), Brigitte Huber (Brigitte), Christoph Lanz (Deutsche Welle), Markus Lanz (ZDF), Werner Bauch (Plan Deutschland) und Stifter Ulrich Wickert.

(zu: Handbuch-Kapitel 32 Die Reportage)

Überschriften-Bestenliste: Essen auf Rädern

Geschrieben am 22. August 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 22. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Vorbildlich (Best Practice).

Die Aufmacher-Überschrift der taz am 21. August 2012 zum E10-Benzin, das aus Getreide gewonnen wird:

Essen auf Rädern

(zu: Handbuch-Kapitel 44 Die Überschrift)

Warum ist Viagra blau? Wie Reportagen entstehen

Geschrieben am 7. August 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie lange recherchiert ein Journalist für seine Reportagen? Gab es Schwierigkeiten bei den Recherchen? Wie kam er überhaupt auf das Thema? Was dachte er vor einem Gespräch von dem Menschen, den er porträtiert?

Leser interessiert nicht nur die Reportage, sondern – wenn sie gut ist – auch das Drumherum. Auf DVD von Filmen gibt es meist einen Bonus: „Making of“. Über das Making-of, das Entstehen einer Reportage erzählt der Spiegel schon auf der ersten redaktionellen Seite im Heft. Wer mit Redakteuren in Hamburg spricht, kommt oft und schnell zur „Hausmitteilung“; so dürfte der Redakteur, der die „Hausmitteilung“ schreibt, auch der am meisten kritisierte sein, also ein Höllenjob.

Vorbildlich macht das Making-of das SZ-Magazin: Am Ende einer Reportage sieht der Leser nicht nur das gezeichnete Porträt der Reporterin oder des Reporters, sondern liest auch das Making-of, beispielsweise in der aktuellen Ausgabe zur Titelgeschichte „Wege der Hoffnung / Wann muss das Jugendamt Kinder von ihren Eltern trennen?“ (31 – 3. August 2012):

Auf dem Weg zu dieser Geschichte fragte der Berliner Reporter ANDREAS WENDEROTH bei Dutzenden Jugendämtern in Deutschland an. Meist wurde er vertröstet, man werde nach geeigneten Fällen suchen, ja, wir rufen zurück. Zuweilen gab es begründete Absagen, etwa wenn die Familien nicht mitspielen wollten. Und hin und wieder erfuhr man, man habe keine Lust auf Presse, zu viele schlechte Erfahrungen. Umso erstaunter war Wenderoth, als sich nach Monaten erfolgloser Vorarbeit in Regensburg die Türen weit öffneten.

In derselben Ausgabe erzählt die Reporterin von ihrem Friseur und was er mit dem Gespräch zu tun hat, das sie mit Ulrike Meyfahrt geführt hatte:

GABRIELE HERPELL war 1972 voll vom Ulrike-Meyfahrt-Virus erfasst – wie ihre halbe Klasse übrigens. Sie sprangen im Sportunterricht nur noch den Flop und baten den Friseur um den Haarschnitt von Ulrike Meyfahrt. Das war nicht bei allen so eine tolle Idee.

In diesem Fall dürfte sich mancher Leser gewünscht haben, dass sich der Zeichner (oder der Friseur) ein wenig mehr Mühe gegeben hätte mit dem Bild der Reporterin.

Bisweilen ist das Making-of auch kein Making-of, sondern nur eine Anekdote aus der Recherche, die der Reporter nicht in seinem Text unterbringen konnte – wie über einen 92-jährigen Verleger im Gesundheits-Heft vom 29. Juni:

Am Anfang seiner Recherche hörte ROLAND SCHULZ das Gerücht, die Mitarbeiter der Apotheken Umschau trinken bevorzugt Champagner. Stimmt, zumindest am 5. Juni: Gewöhnlich schenkt Verleger Rolf Becker jedem Mitarbeiter an seinem Geburtstag eine Flasche Veuve Clicquot.

In demselben Heft erzählt eine SZ-Reporterin, wie sie auf die Idee kam zum Interview über die Farbe von Tabletten: („Weiß sind am billigsten.Warum ist Viagra blau?“):

MEIKE MAI kam die Idee zu diesem Interview, als sie in einer Damien-Hirst-Ausstellung vor einer Vitrine voller bunter Pillen stand. Sie fragte sich, wer kreativer war: Hirst oder die Designer der Pillen für das Werk Lullaby Spring.

(zu: Handbuch-Kapitel 32-33 Die Reportage + 39 ff „Wie man Leser gewinnt“ + der Idee, nicht nur „Zeitschriften-Vorspänne“ zu zitieren, sondern auch „Zeitschriften-Nachspänne“ im Kapitel 36 „Der Zeitschriftenjournalismus“).

Neue Bilder braucht der Redakteur!

Geschrieben am 14. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

„Thomas Hollande bemerkt gerade, wie schwierig es ist, ein Feuer auszutreten, wenn man zuvor mit den Schuhen durch eine Benzinlache gelaufen ist.“ Das ist ein neues Bild, ein überraschendes, das sich Sascha Lehnartz hat einfallen lassen (Die Welt, 13. Juli 2012 „Fehlstark für Hollande“).

Ein gutes Sprachbild produziert in unserem Kopf einen Kurzfilm; ein schlechtes verwirrt und führt zum Filmriss, so dass der Leser aufhört, den Artikel weiter zu lesen; ein abgenutztes Bild langweilt, der Film wackelt, wird unscharf.

Abgenutzte und schlechte findet der Leser auch in der Freitag-Ausgabe der Welt in vielen ersten Sätzen:

  • „Das neue Meldegesetz hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst“ (als ob man Stürme „auslösen“ kann, sie brechen über einen herein und verwüsten); 
  • „Hamid traute seinen Augen kaum“; 
  • „Gemessen an der Aufregung, die es verursacht hat, ist das Papier erstaunlich dünn“ (dabei schreibt  die Autorin nicht von feinem Bibelpapier, sondern einer Broschüre, die nur acht Seiten umfasst);
  • „Die Löcherstopfer sind unterwegs“ (illustriert wird der Satz mit Fischen, die Steuereinnahmen auffressen).

Ein abgenutztes Bild nennen wir gern: ein Klischee. Aber auch dies ist ein abgenutztes Bild. Fragen Sie mal einen Volontär, ob er noch ein wirkliches Klischee kennt?

Wer hat ein neues Sprachbild entdeckt? Oder mehrere, die die Sinne erfreuen?

(zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“ + Register „Metapher“)

Seiten:«12345»

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