Alle Artikel mit dem Schlagwort " Sprache"

Wahlprogramme im Osten: Bürgerfern. Der Experte: „Wer nicht verstanden wird, kann nicht überzeugen“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 6. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Was sind „revolvierende Fonds“? Wer sind „LSBTTIQ-Menschen“? Und was bedeuten „Trittsteinbiotope“, „Kaskadenmodelle“ und „Außenwirtschaftsgutscheine“? Genug! Genug! 

Alle Jahre wieder schauen sich Wissenschaftler aus Hohenheim die Wahl-Programme an.
Und alle Jahre wieder, so auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen,  lautet ihr Fazit: Unverständliche Wörter, Fachbegriffe und Anglizismen  und viel zu lange Sätze und Schachtelsätze. Kurzum: Die meisten Programme sind unverständlich, bürgerfern und nähren die Verdrossenheit der Wähler.

Offenbar können sich die Experten in den Parteien austoben und Sätze schreiben, die nur sie verstehen. Oder haben die Parteien den Wähler schon abgeschrieben? Denken sie:  Programme liest doch keiner, allenfalls die Mitglieder?

Die Wissenschaftler um Professor Frank Brettschneider fanden in Thüringer Programmen Wörter wie
„Contractings“ (Linke), „Public-Private-Partnership-Verträge (PPP)“ (Piraten), Clustermanagement, Green-Tech, Spin-Offs oder Racial Profiling (alle SPD). Trotzdem kommt die SPD zusammen mit den Grünen auf dem zweiten Platz der Verständlichkeits-Parade.

Sieger im Verständlichkeits-Wettstreit ist die CDU, die von 20 möglichen Punkten immerhin 11 holte. Auf den letzten Platz mit knapp 4 Punkten kommt die Linke. „Ihre Wahlprogramme in Sachsen und in Thüringen sind noch unverständlicher als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten“, sagt Professor Brettschneider.

„Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, fasst der Hohenheimer Professor zusammen. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind einige Inhalte  schwer verständlich. An den Bedürfnissen der Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben Parteien damit vorbei.“

Warum hat die ständige Kritik an den Programmen kaum eine Resonanz? Schon ein Deutsch-Leistungskurs wäre in der Lage, etwa einen 54 Wörter-Satz im Linken-Programm lesbarer und somit verständlicher zu machen; ein Doppelpunkt und die Auflösung des Endlos-Nebensatzes reichte:
 

Wir machen uns dafür stark, dass die Koordination von Kriegen der Bundeswehr in anderen Staaten so schwer wie möglich gemacht wird, offizielle Vertreterinnen und Vertreter des Landes sich der militärischen Traditionspflege und bei Gelöbnissen enthalten, internationale Friedensinitiativen auch von Thüringen aus gestartet werden und die Bundeswehr nicht in Schulen für ihre Rekrutierung werben darf.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter 8. September 2014

Militärische Weichspül-Sprache: Von der Leyens nicht-letale Waffen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 17. August 2014 von Paul-Josef Raue.

Der finale Rettungsschuss hört sich harmlos an, ist aber in der Regel tödlich. Der Kollateralschaden hört sich harmlos an, ist aber auch in der Regel tödlich. 

Wenn Offiziere, ob beim Militär oder der  Polizei, tödliche Waffen einsetzen, erfinden sie gerne Wörter, die eher an ein Fußballspiel in der Verlängerung denken lassen oder an zerbrechende Kaffeetassen – als an Menschen, die sterben, ob schuldig oder unschuldig. 

In die Wörter-Sammlung der Verharmloser bittet in dieser Woche die „nichtletale Waffe“ um Aufnahme. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will Nicht-Letales ins Kurdengebiet liefern, also Waffen, die nicht töten sollen – aber töten können. 

Nicht-letal ist beispielsweise Narkose-Gas, das in einen Raum gesprüht wird, um Menschen zu betäuben. Als Soldaten 2002 bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater eine zu hohe Dosis versprühten, starben 170 Menschen.

„Non-Lethal“ ist ein englisches Wort, das  mit „nicht-tödlich“ zu übersetzen ist. Aber Minister und Soldaten sprechen nicht gerne vom Tod. 
 
Das Fraunhofer Institut, eine angesehene Wissenschafts-Organisation, forscht nicht nur an neuen Waffen, sondern auch an der Sprache und schreibt auf seiner Internetseite: „Das Fraunhofer ICT sieht die aktuelle Aufgabe darin, die existierenden NLWs weiterzuentwickeln, zu verbessern und auszubauen.“

NLW sind nicht-letale Wirkstoffe, nur ein bisschen tödlich.

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 18. August 2014

Wie blöd ist Public Viewing? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. Juni 2014 von Paul-Josef Raue.

Über „Pablik Wjuing“ sprechen wir immer, wenn sich die besten Fußballer treffen und die Deutschen vom Titel träumen. „Public Viewing“ ist ein Thema für den „Friedhof der Wörter“, wenn die Groß-Leinwand hochgezogen wird, sich Anwohner über nächtlichen Lärm beschweren und Bürgermeister überlegen, ob sie sich mit der Mehrheit der Zuschauer anlegen oder der Minderheit der Nachbarn.

„Public Viewing“ gibt es in England selten, weil es wahrscheinlich auf Insel zu kalt und meist regnerisch ist oder weil die Engländer nicht mitspielen dürfen oder früh auf die Insel zurückreisen müssen. „Public Viewing“ in Amerika bedeutet meist eine öffentliche Leichenschau, wie sie vor wenigen Generationen auch noch in Thüringen üblich war:

Verwandte und Freunde verabschieden sich von einem guten Menschen,  den die Familie in der guten Stube aufgebahrt hat. 

Wie schnell aus dem „Public Viewing“ eine Trauerfeier werden kann, mussten die Spanier übrigens am Sonnabend erleben, als die Holländer den Weltmeister demontierten. 

„Public Viewing“ ist also ein kurioses Wort: Es kommt daher wie ein Anglizismus, doch die Amerikaner kennen es nicht in der Bedeutung, die wir ihm gegeben haben. So gab es Wettbewerbe, um das lange und schwer zu lesende Wort ins Deutsche zu übertragen. „Rudelgucken“ war der Favorit bei jungen Hörern des WDR; das Wort schaffte es sogar in den Duden. „Meutekino“ oder „Schau-Arena“ oder „Freiluft-TV“ sind andere Vorschläge.

Im Online-Tagebuch „Bestatter-Weblog“ –  ja, den gibt es wirklich – geißelt der trauer-erfahrene Autor die Medien, die „auf den Zug aufgesprungen sind, ,public viewing‘ als falsch darzustellen. Mit hochgezogenen Augenbrauen entblödete sich ja nahezu jeder und stellte die Deutschen als blöd hin, weil sie diesen Begriff verwenden“.

Wie wäre es denn, jenseits aller Blödheit, mit „Pablik Wjuing“? Das Wort, so geschrieben,  gibt es allerdings schon: Es ist der Name einer Unternehmensberatung in Deutschland.

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 16. Juni 2014

Die Bombe im Kino: Warum „Blockbuster“ ein hässliches Wort ist und ein gefährliches obendrein (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 9. Juni 2014 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 9. Juni 2014 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

Was hat Walt Disneys Film „Die Eiskönigin“, nach einem Märchen von Hans-Christian Anderson, gemein mit Bomben im Zweiten Weltkrieg, die Hunderttausenden in Deutschland den Tod  brachten?

Beide heißen „Blockbuster“.

Der Anglizismus „Blockbuster“, frei übersetzt: Wohnblock-Knacker,  ist auch in Deutschland ein gängiger Begriff für Filme, die – wie „Die Eiskönigin – viele Besucher anlocken und oft eine Milliarde Dollar oder mehr einspielen. Das Wort taucht in TV-Zeitschriften auf, im Privatsender „Pro7“ läuft es als Serientitel wie etwa am Pfingstsonntag mit dem glänzenden Politkrimi „Die Iden des März“ oder mit der vierten Folge des Klimawandel-Zeichentricks „Ice Age“ am Pfingstmontag.

(Übrigens: Traut der deutsche Verleih dem Kinogänger nicht zu, dass er weiß, was die Iden des März sind? Und bringt neben dem englischen Titel „The Ides of March“, den wohl nur wenige verstehen, den deutschen „Tage des Verrats“?)

Wir haben schöne  deutsche Wörter für den Blockbuster wie „Kassenschlager“ oder „Kinohit“. Als das Fernsehen noch jung war und nahezu ganz Deutschland – bei fast 90 Prozent Einschaltquote – die „Halstuch“-Krimis schaute, sprachen die Leute vom „Straßenfeger“.

Blockbuster – der Begriff „ist eine Instinktlosigkeit gegenüber den Opfern des Luftkriegs im Zweiten Weltkrieg. Wenn ihn die Nachfahren englischer und amerikanischer Bomberpiloten verwenden, muss man das hinnehmen, von Deutschen jedoch nicht“,

schreibt Gerhard H. Junker, der Herausgeber des „Anglizismen-Index“, der vor einem halben Jahr in hohem Alter gestorben ist.

Als um die Jahrtausendwende in Hamburg zwei „Blockbuster“ gefunden und entschärft wurden, tauchte das Wort auch in seiner ursprünglichen Bedeutung in unseren Zeitungen auf: Solange Bomben im Untergrund unserer Städte schlummern, werden wir diese Blockbuster nicht aus unserer Sprache vertreiben können.

Junge Leuten allerdings denken beim „Blockbuster“ nicht mehr an den Krieg, den selbst ihre Eltern nicht erlebt und erlitten haben. Reicht aber das Unwissen über die Bombennächte aus, um den „Blockbuster“ zu verzeihen oder gar zu dulden?

Wann befreit sich ein Wort  von seiner historischen Last? Aber unabhängig von dieser Frage: „Blockbuster“ ist ein häßliches und unnötiges Wort, das auf den Friedhof der Wörter gehört – aber immer wieder aufstehen wird, da es auch der Duden aufgenommen hat ohne jeden Hinweis auf seinen zweifelhaften Ruf.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 2. Juni 2014 (hier erweitert)

 

Europawahl-Parteiprogramme: AfD am unverständlichsten, SPD mit 87-Wörter-Bandwort-Satz (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 22. Mai 2014 von Paul-Josef Raue.

Warum gehen wahrscheinlich nur relativ wenige Bürger zur Europawahl? Weil sie nicht verstehen können, was die Parteien in Brüssel verändern wollen. Die Programme der Parteien sind jedenfalls, wenn es um die Verständlichkeit geht, eine Zumutung – auch wenn im Vergleich von drei Jahrzehnten die aktuellen Programme noch zu den verständlichsten gehören. Zu diesem Urteil kommen die Sprachforscher der Universität Hohenheim um Professor Frank Brettschneider.

Offenbar gehen die Wahlstrategen der Parteien davon aus, dass ihre Programme kaum gelesen werden; oder sie interessieren sich hochmütig nicht dafür, dass sie ihre Wähler in die Verzweiflung treiben mit solchen Begriffen:

> Drug Checking (Linke),
> Transition-Town-Bewegung (Grüne),
> Umsatzsteuerkarusellbetrug (CDU),
> konfiskatorische Staatseingriffe (AfD)
> Subsidiaritäts-Instrumentarium (FDP)
> one man, one vote (CSU)

Das unverständlichste Programm liefert die AfD, die angetreten war, alles besser zu machen als die etablierten Parteien. Alle liefern neben unverständlichen Wörtern auch Sätze mit ungezählten Bandwortsätzen bis zu 50 Wörtern und mehr.

Und wer holte die Europa-Bandwort-Krone? Den längsten Satz finden wir im Wahlprogramm der SPD:

Das Europa derjenigen, die sich mit Energie und Kraft für Frieden und Menschenrechte einsetzen, die ohne Wenn und Aber für gesundes und sauberes Wachstum, gute Arbeit und starke soziale Rechte sind, die sich mit Empörung gegen die Dominanz der Finanzmärkte aussprechen, die sich an Entscheidungen in Europa beteiligen wollen und ihre Stimme zur Geltung bringen wollen, die bei den schrecklichen Fernsehbildern von verzweifelten Flüchtlingen an Europas Grenzen nicht die Augen verschließen, und diejenigen, die in der Europäischen Zusammenarbeit die einzige realistische Chance sehen, all dies zu verwirklichen.

Ein Ungetüm mit 87 Wörtern verstößt gegen die einfache Regel der Verständlichkeit: 20 Wörter reichen!

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Eine redigierte Version in der Thüringer Allgemeine 26. Mai 2014 (Kolumne: Friedhof der Wörter)

Journalisten und die deutsche Sprache: Gute Nacht! (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 18. Mai 2014 von Paul-Josef Raue.

Der Bundespresseball ist das, was wir in Deutschland einen gesellschaftlichen Höhepunkt nennen: Prominenz ohne Ende, Fotografen ohne Ende, Eintrittspreise ohne Ende (selbst wenn man nur flanieren möchte und auf einen Sitzplatz verzichtet). Er trägt allerdings, und das ist zu loben, einen schönen deutschen Namen: Presseball.

Thüringen ist zwar bodenständiger als die Hauptstadt,  aber wollte auf so viel Glanz nicht verzichten: Der Landespresseball wurde wenige Jahre nach der Revolution gegründet mit weniger Prominenz, weniger Fotografen, weniger Tombola-Gewinnen und weniger Kosten für den Ball-Liebhaber. Für den Preis der teuersten Karte in Erfurt, mit Sitzplatz, bekommt man in Berlin gerade mal einen Parkplatz, naja.

Aber in diesem Jahr wollen es die Thüringer den Hauptstädtern mal zeigen – und geben dem Presseball einen neuen Namen. Und wenn der Thüringer so richtig aus der Haut fährt, wird’s fremdländisch: „Media Night“.

Ein „Facelift“ sei nötig gewesen, heißt es zur Begründung. Einem „Facelift“, also einer Entfernung der Falten im Gesicht, unterziehen sich gut betuchte amerikanische Damen, die ihr Alter verstecken wollen auf der Jagd nach faltenlosen Jünglingen.

Aber lassen wir unserer Sprache doch die Falten, sie stehen ihr gut und machen sie klug und weise. Wenn schon Journalisten der deutschen Sprache nicht mehr trauen und in modischer Verzückung zu Anglizismen flüchten, dann wird es langsam düster.

Da haben wir Journalisten die Bahn in unseren Kommentaren so lange verprügelt, bis sie reuig Besserung gelobte für den „Service Point“, den „Touch Point“ und die  „City night line“. Und nun, da die Bahn wieder deutsch spricht, liften wir das Face und tanzen in die Media Night. Gute Nacht, kann ich da nur wünschen.

Was macht Johann Sebastian Bach mit unserem Herzen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 14. April 2014 von Paul-Josef Raue.

„Du hast das Herz genommen“, sagt ein finster blickender Mann in einem Horrorfilm – also in einem der Filme,  vor denen TV-Sender warnen müssen „Für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“ (was dazu führt, dass die meisten Zuschauer unter 16 sind).

„Du hast das Herz genommen“, sagt  der Arzt zu seinem Kollegen, wenn die Organ-Entnahme gelungen ist, das Herz verpackt und zu einem Patienten geflogen wird, der irgendwo in Deutschland auf die Verlängerung seines Lebens wartet.

„Du hast uns das Herz genommen“, singt der Chor in der Kantate von Johann Sebastian Bach, die er für den Sonntag vor Ostern, den Palmsonntag, geschrieben hatte – seine erste überhaupt als Konzertmeister am Weimarer Hof.

Vom Nehmen des Herzens ist in jedem der drei Beispiele die Rede. Aber das „Herz“ wandert in seiner Bedeutung durch die Jahrhunderte und ändert seine Farbe:

>  Düster ist es, wenn ein Diener  schwarzer Messen das Herz herausschneidet;
> rot ist es, wenn es als Lebens-Spender in einen anderen Menschen verpflanzt wird – aber in einem anderen Rot wie in romantischen Herz- und Schmerz-Schlagern wie „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“;
> kirchlich violett wird es bei Johann Sebastian Bach, für den das Herz ein mystischer Ort ist.

Bachs „Herz“ verstehen wir nicht mehr: Wir freuen uns an der Musik, klatschen begeistert Beifall, wenn wir die Kantate im Konzertsaal hören, aber der Text bleibt uns fremd. Was will uns der Weimarer Dichter Salomon Franck sagen, der für Bach die Vorlage geliefert hat?

Erst hat Gott, der Himmelskönig, „uns das Herz genommen“, wenige Minuten später legen wir es dem Heiland nieder; am Ende der Kantate sind Folter und Hinrichtung, also die Passion, „meines Herzens Weide“.

Das „Herz“, wie es Bach und seine Zeit verstand, hat nur noch die Schreibweise mit unserem Herzen gemeinsam: Was er sagen will, verstehen wir nicht mehr; auch des Pfarrers Mühe in der Predigt ist vergeblich.

Wörter haben ihre Geschichte, sie verwandeln sich, und sie verführen uns, wenn wir nicht achtsam sind, zum Missverständnis – bei aller Herzensfreud.

* Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 14. April 2014

Wenn Studenten keine Zeitung mehr lesen, verdummt die Gesellschaft (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 31. März 2014 von Paul-Josef Raue.

Beerdigen wir kurz und würdelos diese Wörter und Wendungen:

  •   Vorraussetzung
  •   Beispiel hier führ
  •   Vermeidlich (statt: vermeintlich)
  •   Wiederrum
  •   Wiederstand

Diese Wörter fand die Politikwissenschaftlerin Hannah Bethke aus Greifswald in Hausarbeiten ihrer Studenten. Es sind, so versichert sie, nur Beispiele.
Sie ist erschüttert über die Unkenntnis der deutschen Rechtschreibung bei den meisten Studenten. „Es werden Fehler gemacht, mit denen man nicht einmal einen Hauptschulabschluss kriegen dürfte“, schreibt sie in einem Artikel für die FAZ.

Diese Mängel stellt sie fest:

  1. Der Konjunktiv: grundsätzlich falsch oder gar nicht angewendet.
  2. Die Regeln der Kommasetzung: weder verstanden noch umgesetzt.
  3. Die Groß- und Kleinschreibung: Ein großes Rätsel des Universums.
  4. Satzbau: Unlogisch, oft unvollständige Sätze.
  5. Grammatik: Tiefgreifende Unkenntnis.

Die Ursachen sieht die Dozentin in der Weigerung der Studenten, noch Bücher zu lesen, in der Weigerung von Lehrern und Professoren, Fehler zu kontrollieren und schlechte Noten zu geben, und im Versagen des Bildungssystems. Fügen wir noch hinzu: Auch in der Lustlosigkeit der jungen Leute, Zeitung zu lesen.

Die Zukunft sieht Hannah Bethke düster: Eine nachhaltige Verdummung der Gesellschaft.

Hat sie Recht? Oder übertreibt sie?

Kolumne „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine, 31. März 2014

Ein guter Satz, eine tolle Reportage: Guardiola-Porträt in der SZ

Geschrieben am 30. März 2014 von Paul-Josef Raue.

Ist dieser Zeitungs-Satz ein guter Satz:

Hermann Gerland, dem große Worte ansonsten so suspekt sind, wie Pep Guardiola rote Meistermützen suspekt sind, Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.

Variante 1 – Nach der reinen Stillehre hätte der Satz geteilt werden müssen:

Hermann Gerland sind große Worte ansonsten so suspekt wie Pep Guardiola rote Meistermützen. Hermann (oder: Dieser) Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.

Variante 2 – Eleganter wäre diese Teilung in zwei Hauptsätze:

Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“. Ansonsten sind Hermann Gerland große Worte so suspekt wie Pep Guardiola rote Meistermützen.

Trotzdem ist der Satz, wie er in der SZ-Reportage von Christoph Kneer steht, ein guter Satz. Dafür gibt es drei Gründe:

  • Wer nur Hauptsätze aneinander reiht, langweilt den Leser – erst recht in einer Reportage, die eben keine Nachricht ist, kein Bericht.
  • Eine Trennung der beiden Sätze durch ein Semikolon oder einen Gedankenstrich funktioniert nicht, weil beide Sätze eine starke, eine eigenständige Aussage enthalten. Allenfalls in der zweiten Variante wäre eine Semiokolon-Lösung denkbar.
  • Wenn ich aus zwei starken Aussagen, die dasselbe Subjekt haben (Hermann Gerland), einen Satz bilden will: Dann darf der eingeschobene Nebensatz maximal fünf bis sieben kurze Wörter enthalten (Drei-Sekunden-Regel). Umfasst er vierzehn Wörter wie in diesem Fall, dann muss ich das Subjekt noch einmal aufnehmen: „Hermann Gerland also…“
    Zum Glück verzichtet Christoph Kneer bei der zweiten Gerland-Nennung auf ein Synonym wie „Der Co-Trainer“; die Wiederholung des Namens erleichtert dem Leser die Einordnung („wer genau ist gemeint?“).

Der Zeitungsleser ist ein schneller Leser im Gegensatz zum Buchleser. Also steht die schnelle Verständlichkeit – also das Verstehen beim ersten Lesen – an erster Stelle. Deshalb ist der Trick der Wiederholung des Subjekts in diesem Fall nicht nur schön, sondern auch notwendig; und er ist sinnvoll, wenn ich den Co-Trainer Gerland besonders herausheben will.

Dagegen ist ein Komma überflüssig (vor: „wie Pep Guardiola“) ebenso wie die „suspekt sind“ am Endes des Nebensatzes:

Hermann Gerland, dem große Worte ansonsten so suspekt sind, wie Pep Guardiola rote Meistermützen suspekt sind, Hermann Gerland also sagt, Pep Guardiola sei „ein Genie“.

Christof Kneers Porträt des Bayern-Trainers ist ein lesenswertes Porträt, ja ein vorbildliches, geeignet für die Volontärs-Ausbildung:

> Der Autor nimmt zum Einstieg eine eher beiläufige, aber aktuelle Episode – wie das Auf- und Absetzen der roten Meistermütze – und beschreibt, wie typisch sie für den Porträtierten ist.
> Er lässt dann weitere Prominente auftauchen – van Gaal und Heynkes, Klopp und Neururer – und bindet so schon das Interesse des Lesers.
> Er vergleicht Guardiola mit anderen, hier den Vor-Vorgänger Louis van Gaal, und beschreibt die Unterschiede; er nimmt übrigens nicht den direkten Vorgänger Heynkes, weil der kaum Ecken hatte und für einen Vergleich nicht taugt.
> Er erzählt Episoden, die er selber erlebt hat oder aus zuverlässiger Quelle gehört hat (und die, wenn er sie erzählt, keine Gegendarstellung provozieren). Diese Episoden, wie die erste Begegnung mit Hoeneß, machen klar, wie Guardiola als Mensch und Trainer wirklich ist.
> Er erzählt auch von den dunklen Seiten des Menschen, aber beiläufig: „Natürlich kennen sie in München auch die anderen Geschichten…“. In sieben, nur sieben Zeilen geht es um Doping, Katar-Lobbyist, Bespitzeln. Daraus hätte andere eine ganze Reportage gebastelt.
> Er nutzt noch einen Vergleich: Trainer in Spanien und Deutschland (Klopp und Neururer), Barcelona und München. Vergleiche sind besser als jede Beschreibung.
> Er beginnt die Reportage mit einem aktuellen Ereignis – dem Meisterspiel in Berlin – und endet mit der Vorschau auf das letzte Spiel. Eine tolle Szene mit vielen Anspielungen, die nur versteht, wer die Reportage gelesen hat, ein gelungener letzter Satz:

Am letzten Spieltag, wenn die Meisterschale überreicht wird, werden die Spieler ihren Mister mit Bier überschütten, und Kathleen Krüger, die Frau fürs Drumherum, muss ihm einen neuen Anzug bringen.

Quelle: Süddeutsche 29. März 2014, Seite 3 „Kunstrasen“

Dialekt und Grammatik: Wie Frau in Wien einen Mann anmacht (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. März 2014 von Paul-Josef Raue.

Was ist eine „Schlampenschleuder“? Brät  darin eine Frau ihren Schwarm an?

Nein, wir sind nicht in der Friedhofs-Abteilung „weibliche Unwörter“, sondern beim österreichischen „Tatort“. In der vergangenen Folge, die Anfang März lief, haben  hochdeutsch Geschulte viele Wörter einfach nicht verstanden. 

Wer schon an den Ohrenarzt dachte und beginnende Schwerhörigkeit, der sei getröstet: Er hört noch gut, aber versteht eben schlecht – den österreichischen Dialekt, der  wie eine durchgehende Nuschelei in den Ohren zerrt. 

„Außer koid is der Melanie gar nix mehr“, sagt die Mutter über ihre Tochter, die jahrelang eingesperrt war und der sie gerade eine Wärmflasche gebracht hat. „Koid“ heißt kalt; weiter ist der Satz zumindest grammatisch weit von dem entfernt, was der Duden empfiehlt. Aber so sind Dialekte, und wer sie erhalten will,  muss es ertragen oder darf sich sogar daran erfreuen.
 
Den Hinweis auf die „Untertitel“ im TV-Tatort haben die meisten nicht ernst genommen; aber in der Tat übersetzte die Fernseh-Redaktion das Genuschel ins Hochdeutsche. Ob sie auch die „Schlampenschleuder“ übersetzt hat?

Das Wort war allerdings klar zu vernehmen – und ein Auto war im Bild zu sehen. Die Schlampenschleuder ist ein altes Auto, dem man gut zureden muss, damit es wenigstens eine kurze Strecke fährt. Ob das Wort als  weibliches Unwort beerdigt werden muss, können nur die Österreicher entscheiden.

Die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“, die nahe der österreichischen Grenze erscheint, nannte das Wort ein schönes Wort. Dass in Österreich eine Frau ihren Typ  nicht anmacht, sondern „anbrät“, fanden die Redakteure in München auch schön.

Aufgefallen war den Münchnern auch der fehlende Genitiv, der in vielen Dialekten, nicht nur im österreichischen,  ein Schattendasein führt. „Ich war schon auf beiden Seiten von der Tür“, sagt die Kommissarin und meinte: Sie hat schon Männer aus ihrer Wohnung rausgeworfen; und Männer hätten sie rausgeworfen. 

Wem das passiert, für den ist der falsche Genitiv das geringere Problem.

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