Zentralisierung von Redaktionen oder: Wie ein Rennwagen zum Trabbi wird (Zitat der Woche)
All Business is local, habe ich nicht nur gelernt, sondern auch verinnerlicht. Bei Zentralisierungsprozessen kann deshalb u. a. die kreative Vielfalt vor Ort auf der Strecke bleiben und statt eines Rennwagens könnte am Ende ein Trabbi dabei rauskommen, wenn nicht mit Umsicht agiert wird. Eigentümer und Mitarbeiter sind in diesem Fall die gelackmeierten. Die Heuschrecken wüten derweil bereits an einem anderen Ort.
Thomas Bertz in pro-TZ (5. Dezember 2014, 19:47) zur Debatte über die Zukunft der Regionalzeitungen.
Cordt Schnibben: Die meisten Journalisten sind zu satt und zu zufrieden (Zitat der Woche)
Ich bin tief beunruhigt. Wir stecken in einer schweren Strukturkrise. Mich sorgt, dass die meisten meiner Kollegen noch zu satt und zu zufrieden sind. Und ich weiß, dass der entscheidende Punkt für alle ist – werden wir es schaffen, unsere tollen Inhalte so ins mobile Netz zu kriegen, dass wir dafür Geld bekommen. Wenn das nicht gelingt, wird es in zehn Jahren diese Form von Qualitätsjournalismus nicht mehr geben.
Cordt Schnibben, Spiegel-Reporter und Juror des Deutschen Reporterpreises – nach der Verleihung am Montag in einem Interview mit Christian Meier (meedia.de, 2. Dezember 2014)
Die erfolgreiche Titelseite: Lokal-Schau oder Tagesschau?
Wie sieht die ideale Titelseite aus? Tagesschau-Nachdreher? Regional und lokal? Ein Mix, also: Lokales Foto und Berliner Aufmacher? Marianne Schwarzer ist Redakteurin der Lippischen Landes-Zeitung in Detmold und gehört zu einer Arbeitsgruppe, die ein Konzept für die Lokalzeitung im Kreis Lippe diskutiert. Sie fragt nach den Erfahrungen der Thüringer Allgemeine, die seit drei Jahren eine strikt regionale Titelseite anbietet.
Das sind die Thüringer Erfahrungen:
Die Leser wollen eine regionale Titelseite, aber sie wollen eine regionale Titelseite mit Qualität: Die Themen müssen wichtig sein, gut recherchiert und gut geschrieben – und sie sollten, so oft wie möglich, die Leser auch überraschen.
Wir haben dies in einigen Leserbefragungen erkundet:
> Die Leser wollen auf der Titelseite keine Stoffe, die sie aus der Tagesschau, den Hörfunk-Nachrichten und dem Internet längst kennen. Wenn wir diese Themen doch bringen, dann müssen sie aus der Perspektive der Leser gesehen werden: Flüchtlinge aus Syrien – ja, aber gibt es noch Platz in unserer Region? Was sagen die Landräte usw. / Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada – ja, aber was sagen die IHK, die Unternehmer? Kostet es oder bringt es Arbeitsplätze in der Region usw.
> An den meisten Tagen bringen wir eigene Geschichten als Aufmacher, sehr viel aus der Wirtschaft und der regionalen Politik, aber auch Gesundheits- und Schul-Themen; eine Besonderheit im Osten sind historische Themen, die sich um die DDR drehen. Was in einer Region für die Leser interessant ist, bekommt eine Redaktion mit, wenn sie oft mit den Lesern spricht und dies am besten institutionalisiert.
> Qualität bekommt eine Redaktion allerdings nur, wenn sie gute Reporter hat, die ein aktuelles Thema auch schnell runterbrechen können (und nicht erst am Folgetag oder noch später). Wir nennen diesen Reporter „Ad-hoc-Reporter“, es gibt jeden Tag einen (und wenn er nichts zu recherchieren hat, dann arbeitet er an einer größeren Eigen-Recherche für die kommenden Tage).
> Einfach die erste Lokalseite auf die Titelseite bringen, dürfte schief gehen – nicht nur an einem Montag im Sommer, wenn die Hüpfburgen beschrieben werden. Die Leser müssen schon das Gefühl bekommen, dass sie für ihr gutes Geld Qualität bekommen und keine Ramsch-Ware.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob es in ländlichen Regionen doch gelingen könnte. Das kann man testen: Eine Null-Nummer produzieren und zu Leserkonferenzen einladen (aber nicht nur Oberstudienräte, die uns einen Bildungsauftrag aufschwatzen wollen).
> Wenn man ein komplettes Bundesland mit seinen Themen für die Seite 1 hat, ist es wahrscheinlich einfacher, als wenn man ein eher kleines Gebiet mit Nachrichten versorgt. Bei uns wollten die Leser Thüringen auf der Titelseite. Die Reaktionen geben uns recht: Seit mehr als zwei Jahren steigt der Einzelverkauf deutlich (gegen den bundesweiten Trend), und beim „Lesewert“ – eine Art Einschaltquote für die Zeitung – bekommt die Titelseite exzellente Werte, am meisten übrigens der Leitartikel auf der ersten Seite, der strikt regional ist und sich meist auf den Aufmacher oder Aufsetzer der Titelseite bezieht. Besonders gut läuft der Einzelverkauf, wenn der Teaser – ein sechsspaltiges Foto oben auf der Seite – emotional ist, einfach ein Hingucker ist, und wenn der Aufmacher eine leicht verständliche Überschrift hat und zum Gespräch anregt.
Erich Honeckers Engel und Johann Sebastian Bachs Advents-Kantate (Friedhof der Wörter)
Gab es die „Jahresendflügelfigur“ wirklich? Diese sozialistische korrekte Bezeichnung für den Engel, der durch die Weihnachts-Zeit rauscht?
Der eindeutige Beweis steht aus. Sicher ist nur: Zuzutrauen war die Flügelfigur einer Bürokratie, die deutsch war im schlechtesten Sinne; einer Ideologie, die mit der abendländischen Kultur wenig anzufangen wusste; und Mächtigen, die Furcht hatten, ihren Untertanen Weihnachten einfach wegzunehmen.
So lange es kein amtliches Dokument gibt, halten wir die „Jahresendflügelfigur“ für eine Erfindung der Satiriker, eine gelungene auf jeden Fall. Das Magazin „Eulenspiegel“, in dem die Seiltänzer der Ironie balancierten, hatte den sozialistischen Ersatz-Engel schon auf seinen Seiten, als Honecker noch regierte.
Die Verwandlung von Religion in Welt und umgekehrt hat auch eine kluge Tradition. Johann Sebastian Bach bekam 1726 vom Fürsten den Auftrag, eine Kantate zum Geburtstag seiner Gattin zu schreiben, der – welch ein Titel! – Fürstin Charlotte Friederike Wilhelmine zu Anhalt-Köthen: „Steigt freudig in die Luft“.
Als Bach fünf Jahre später in Leipzig eine Kantate zum ersten Advent schreiben musste und offenbar in Zeitnot geriet, erinnerte er sich an die Fürstin im Anhaltinischen – und führte in der Thomaskirche auf: „Schwingt freudig euch empor“. Eingangschor und Arien hatte er seinem weltlichen Werk entnommen – und so verfeinert, dass die Adventskantate zu seinen schönsten zählt.
Auf die Engel zu verzichten, wäre Bach allerdings nie in den Sinn gekommen. Welche Melodie hätte auch zur Weihnachts-Kantate gepasst, wenn der Chor – etwa in der Eisenacher Georgenkirche – hätte singen müssen: „Des freuet sich der Jahresendflügel Schar“
**
Thüringer Allgemeine, 1. Dezember 2014
Wenn Redakteure religiöse Gefühle verletzen: Absicht oder Ahnungslosigkeit? (Leser fragen)
Die Mohamed-Karikaturen brachten die muslimische Welt in Aufruhr und unsere westliche in Verwirrung: Wie kann in aufgeklärten Gesellschaften die Religion und das Spiel mit ihr die Gefühle noch so stark verletzen? Sind Muslime, die den dänischen Karikaturisten mit dem Tod bedrohen, einfach Jahrhunderte hinter der Aufklärung zurück – und somit unfähig, Ironie, Satire und Spott über Gott und seine Vertreter auf Erden zu verstehen und zu ertragen?
Doch auch Christen tun sich schwer mit dem leisen Spott, wenn er ihre Gefühle trifft – erst recht im weitgehend entchristlichten Osten, wo Kirchenferne und Kirchenfeinde, Agnostiker und Atheisten die überwältigende Mehrheit stellen. In Thüringen, einem Land mit gerade mal 150.000 Katholiken (bei 2,2 Millionen Einwohnern), ärgern sich Leser über die Berichterstattung der Thüringer Allgemeine zur Einführung des neuen Bischofs. Einer fragt: „Insgesamt ist Ihr Ton herablassend, abschätzig und teilweise beleidigend. War das vielleicht sogar Absicht oder ,nur‘ Ahnungslosigkeit?“
Im Zentrum der Kritik steht der Vergleich der Mitra, der Kopfbedeckung des Bischofs, mit einer Kochmütze. „Sie ergehen sich vorwiegend in Nebensächlichkeiten, machen sich Gedanken über das Treiben auf dem Domplatz, über Wurstprodukte aus dem Eichsfeld und natürlich über das Wetter, aber über das Eigentliche, über die hohe Bedeutung und den Sinn dieser Festlichkeit, wissen Sie nichts zu berichten. Sie nennen es ,Spektakel.“
In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:
Wir wollen keine religiösen Gefühle verletzen – das erklären wir ohne Umschweife. Sollten wir dies, gegen unsere Absicht, getan haben, bitten wir um Entschuldigung. Der Pressekodex, in dem Journalisten ihre Berufsehre erklären, bestimmt:
Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.
Daran halten wir uns.
Was ist eine Schmähung? Da werden Gottlose anders urteilen als Menschen, die an Gott glauben – gleich ob sie ihn Christus, Jahwe oder Allah nennen. Zwei Beispiele:
- Die in Berlin erscheinende „Tageszeitung (taz)“ liebt die Satire auch in nachrichtlichen Texten und überschrieb nach der Papstwahl den Aufmacher: „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“. Der deutsche Papst war in der Tat ein Hitlerjunge gewesen, der neue Papst aus Südamerika wird von einigen verdächtigt, einen Pakt mit Diktatoren geschlossen zu haben. „Das sei nicht belegt“, urteilte der Presserat und rügte die Überschrift als Schmähung religiöser Gefühle.
- Ohne Rüge blieben allerdings die Formulierungen: „Alter Sack I. folgt Alter Sack II.“ und „esoterischer Klimbim“ für die katholischen Dogmen. Die fehlende Rüge rügte dafür das Zentralkomitee der Katholiken: „Gerade auch in einer säkularen und offenen Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt lebe, müsse man Respekt gegenüber den Religionsgemeinschaften pflegen.“
Ist also die Kochmütze eine Schmähung? Respektlos könnte sie sein, wenn man bedenkt: Auch demokratische Institutionen verordnen ihre hohen Repräsentanten ungewöhnliche Kopfbedeckungen – wie beispielsweise den Verfassungsrichtern in Karlsruhe.
Angemerkt sei abschließend: Die respektlosesten Witze über Gott und Würdenträger werden im Vatikan erzählt. Aber, eben mit Respekt sei eingeschränkt: Eine Nachricht ist kein Witz.
**
Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 29. November 2014
Die „Zeit“ versucht sich am Lokalen und lernt Demut vor dem Leser
Was passiert, wenn eine Zeit-Redakteurin plötzlich eine Lokalausgabe macht? Sie ist verwirrt, verwundert und stellt fest:
Man merkt erst einmal, wie stark man wirklich gelesen wird. Einmal haben wir zum Beispiel über den überhitzten Immobilienmarkt geschrieben. Und auf einmal hing der Artikel in Eimsbüttel an den Laternenmasten. Selbst beim geschliffensten politischen Kommentar zur internationalen Großwetterlage passiert das nicht.
So staunt Zeit-Hamburg-Chefin Charlotte Parnack in einem Interview mit Alexander Becker bei meedia.de (vom 19. November 2014). Der Zeit-Redakteurin fällt auf, was Lokalredakteure längst wissen: „Im Lokalen ist vieles extremer. Die Reaktionen im Positiven, aber auch im Negativen sind stärker. Bei den Lesern geht es immer gleich um alles. Das lehrt einen als Journalisten Demut. Es gibt keine Kleinigkeiten mehr. Das verändert alles.“
So ganz ist der typische Hochmut einer Zeit-Redakteurin aber noch nicht verflogen: „Wir glauben: Der Leser will erst einmal über den Krieg in Syrien lesen, nicht über die Busbeschleunigung vor seiner Haustür.“
Der Blick von außen auf das Lokale lässt auch Defizite erkennen. Beckers Frage „Fehlt grundsätzlich der Spieltrieb im Lokaljournalismus?“ bejaht Parnack zu Recht: Leser wollen Neues, das so sein soll wie das Alte. Die typische Zeit-Lokalgeschichte muss, so Parnack, eine Lagerfeuergeschichte sein, über das Kleine im Großen. „Also eine Geschichte, über die ich abends am Abendbrottisch immer noch sprechen will.“
PS. Die Konkurrenz vom Hamburger Abendblatt hat schon zweimal den Deutschen Lokaljournalistenpreis gewonnen und ähnlich wichtige Preise. So schlecht steht es um Hamburgs Lokales also nicht.
**
Mail vom Journalisten und Juristen Daniel Grosse
Wenn lokale Geschichten bei Spiegel, stern und Co. explodieren
Es sind lokale Geschichten, die dann irgendwann explodieren. Überregional in einem der Medien wie Spiegel, stern oder Süddeutsche Zeitung. Dort sind die Explosionen zu hören. Mit den Augen. Es sind diese Geschichten hinter den Geschichten aus der Provinz, dem Lokalen. Einst immer wieder aufgegriffen von Reportern vor Ort, begleiten diese Geschichten ihre Leser. Und dann, wenn die Nachrichtenkriterien endlich übererfüllt sind, ziehen die Überregionalen nach. Genauso könnte es auch der Geschichte um den seit rund 20 Jahre währenden Verfall des Ortsmittelpunktes Marbach ergehen. Misswirtschaft, Familienschicksale und dann der Brand haben dort aus einer einst denkmalgeschützten Fachwerk-Villa mit imposantem Gelände einen öden Ort gemacht.
Ein verkohltes Dachstuhl-Gerippe überragt die vom stundenlangen Feuer geschundene Fassade, zerborstene Fensterscheiben erinnern an ein nächtliches Inferno, verkohlte Vorhangreste flattern hinter rußgeschwärzten Fensterrahmen. Beirut, Libanon, sind Worte, die Passanten sagen, wenn sie heute an der Bauruine in der Brunnenstraße vorbeigehen. Tatsächlich wie im Krieg. So sieht es dort aus. In dem ansonsten sehr ansehnlichen, gemütlichen Ortsteil Marbach am Rande der Uni-Stadt Marburg.
Gebrannt hat es am 15. August 2014. In der Nacht. Behörden, Feuerwehr, Polizeiermittler, Gerichte, Zwangsverwalter, Sachverständige und die Staatsanwaltschaft suchen seitdem nach Schuldigen, nach Hintergründen, sortieren Interessenlagen, sichern den Brandort und die Umgebung, planen weitere Schritte. Pikantes Detail: Gebrannt hat es in den vergangenen Jahren bereits in verschiedenen anderen Gebäuden des Eigentümers. Marbacher Bürger rätseln, verdächtigen und spekulieren. Suchen Zusammenhänge. Oberhessische PresseGr und Lokalreporter berichten. Weiträumige installierte Absperrgitter schützen Kinder, Blinde und andere Passanten vor maroden Gebäudeteilen, die herabstürzen könnten.
Eine Geschichte, die ganz sicher noch überregional in den Medien explodieren wird. Vielleicht spätestens dann, wenn zum Beispiel auf dem historischen Grund in bester Lage eventuell eine neue Immobilie wächst.
Quelle: Blog von Daniel Grosse
http://irondan.de/?p=119
………………………………………………
—–
freier Journalist – Jurist
Am Engelsberg 22, D-35041 Marburg
Tel/Fax: +49-(0)6421-33494
E-Mail: info@dgrosse.de
Internet: www.dgrosse.de
Mitglied des digitalen Kollektivs torial www.torial.com/daniel.grosse
Mitglied des Autorenpools www.wortwexxel.de
Eiskalte Frauen und tolle Männer: Über Klischees in Verlag und Redaktion (Zitat der Woche)
Es gibt nach wie vor viele Klischees, die regelmäßig bedient werden und ehrlich gesagt immer wieder nerven: Treffen Männer schwierige und manchmal auch harte Entscheidungen, sind sie durchsetzungs- und führungsstark und tolle Manager. Treffen Frauen solche Entscheidungen heißen die Attribute kaltherzig, eiskalt und hinterhältig – das ärgert mich.
Julia Jäkel, Gruner+Jahr-Chefin im Hamburger Presseclub (meedia.de 19.11.2014)
Jammert nicht über die Kostenlos-Kultur im Internet! Stellt den Leser in den Mittelpunkt!
„Kostenlosmentalität ist ein Ausdruck der Resignation, eine Entschuldigung für den Widerstand gegen das Neue“, schreibt Cosmin Ende, Gründer und Geschäftsführer von „LaterPay“, in Lousypennies.de Verleger und Redakteure sollten sich eingestehen: „Im Internet ist selbst ein Großverlag ein Startup.“ Statt Zeitung und Zeitschrift einfach ins Netz zu stellen, sollte man schauen, was die Leser im Internet wirklich brauchen: „Wie bediene ich den User mit meinem Inhalt so, dass er sie als Dienstleistung empfindet, einen klaren Nutzen erkennt und bereit ist dafür Geld zu bezahlen?“
Spiele-Anbieter im Internet haben das erkannt, beispielsweise „Mobile Games“. Das Erfolgs-Prinzip: „Seconds to learn, years to master – Ich brauche wenige Sekunden, um in das Spiel einzusteigen, zu spielen und das Spiel zu verstehen – aber ich brauche Jahre, um richtig gut zu werden.“
So sollte auch Redaktionen verfahren, vor allem für ungeübte Zeitungs-Leser:
Auch redaktionelle Inhalte fordern heraus. Als Nicht-Verlagsmensch blicke ich als Konsument und nicht als Profi auf die Inhalte. Ich kaufe ein Brandeins-Heft, weil ich überrascht, herausgefordert werden will. Ob polarisierend, erklärend oder zum Nachdenken anregend – eine Herausforderung ist immer da. Und dafür bezahle ich, unabhängig vom Medium oder der Darreichungsform. Egal ob am Kiosk oder im Internet (wenn es denn ginge).
News sind etwas schwieriger. Wenn News in Mehrwert verpackt werden, entsteht ein Produkt. Wenn jemand um Nachrichten herum weiterführende Informationen anbietet, entsteht ein Produkt mit Mehrwert. Die Themen wiederholen sich und die Archive sind voll. Dort gilt es, Zusammenhänge zu finden, Erklärungen zu liefern und Komplexität zu reduzieren. Premiuminhalte wie Dossiers, Videos, Studienauszüge, Expertenmeinungen – all das macht den User schlauer und geht über die reine Nachricht hinaus.
Das sind Endes Rezepte:
> Nachricht plus gesprochene Variante sind ein Mehrwert.
> Nachricht plus Zusammenfassung in zwei Sätzen sind ein Mehrwert.
> Nachricht plus Erklärvideo aus dem Archiv sind ein Mehrwert.
> Komplexität zu reduzieren ist ein Mehrwert
Das Jugendwort 2014, endgültig: „Läuft bei Dir“ (Friedhof der Wörter)
Regen Sie sich gerne auf, wenn sich junge Leute „cool“ geben? Was man „kuhl“ ausspricht. Immer diese englischen Wörter! – regt sich auf, wer ein Liebhaber der deutschen Sprache ist.
Doch damit ist, zumindest in diesem Jahr, Schluss. Das Jugendwort des Jahres ist kein Anglizismus wie „Swag“ oder „Yolo“, die vor zwei und drei Jahren vorn lagen, auch kein türkisches Wort wie „Babo“, das im vergangenen Jahr gewann, sondern ein deutscher Satz: „Läuft bei Dir“.
Wer seine Jugend nur noch von vergilbten Fotos kennt, wird trotzdem den Kopf schütteln: „Die Jugend von heute!“ Der Satz ächzt unter der Last der Grammatik, aber so sind die jungen Leute: Sie erfinden neue Wörter und Wendungen, schräge und unkonventionelle – mit denen sich die Jungen gut verständigen. „Läuft bei Dir“ ist einfach die Jugend-Übersetzung von „cool“
Jugendsprache soll eben von der Sprachwelt der Erwachsenen abgrenzen, soll für die Alten unverständlich sein. Und wenn sie sich aufregen: Umso besser! Wer wollte es ihnen verbieten?
Jugendsprache ist oft auch böse, verletzend und politisch unkorrekt. Aber da passen schon die Erwachsenen auf, dass solch ein Wort nicht zum Jugendwort des Jahres gekürt wird. Der Langenscheidt-Verlag, der die Wahl organisiert, lässt erst Jugendliche im Internet abstimmen, ehe eine Jury aus Journalisten, Wissenschaftlern und ein paar Jugendlichen das letzte Wort hat.
Wie schon in diesem Blog berichtet: Nur 12 Prozent der Jugendlichen stimmte für „Läuft bei Dir“, aber 46 Prozent für „fappieren“ – ein Anglizismus: to fap bedeutet im Englischen onanieren. Da haben die Erwachsenen gut aufgepasst.
**
Thüringer Allgemeine, 24. November 2014
Nachrichten-Quelle für das Jugendwort des Jahres: Focus-Online 23.11.2014
Bitte tauschen Sie Ihr Kind um! (Friedhof der Wörter)
Nach dem „Krisenfrühstück“ kommt mit der „Kindertauschbörse“ das nächste zusammengesetzte Hauptwort auf den Seziertisch. Armin Burghardt, Lokalredakteur der Thüringer Allgemeine in Sömmerda, war es aufgefallen, als die Gemeinde Ostramondra zu solch einem Basar einlud.
In der „Guten Morgen“-Kolumne, der Lokalspitze, dachte er über die Tücken der deutschen Sprache nach: „Schon klar dass da keine Kinder getauscht werden sollen, können, dürfen. Dass es auf einem Kuchenbasar Backwerk gibt, versteht sich von selbst. Dass auf einem Babybasar dagegen kein Handel mit Neugeborenen betrieben wird, ist auch jedem klar. Nur der Begriff unterstellt anderes.“
Ach ja, wenn unsere Sprache immer logisch wäre! Gerade die Möglichkeit, Hauptwörter endlos zusammensetzen zu können, unterscheidet die deutsche Sprache von den meisten anderen und führt zu sinnvollen wie „Elterngeld“, umstrittenen wie „Unrechtsstaat“, widersprüchlichen wie „Jägerschnitzel“ und „Kalbsschnitzel“, praktischen wie „Hausschlüssel“, langen wie „Heuschreckenkapitalismus“, scherzhaften wie „Liebestöter“, schönen wie „Liebstöckel“ und zärtlichen wie „Lächelmund“, den Goethe erfunden hat.
Eindeutig ist keine Zusammensetzung, weder die „Kindertauschbörse“ noch das „Kindbett“, denn in dem liegt nicht das Kind, sondern die Mutter. Als jüngst in Dresden die witzigste Karikatur des Jahres gesucht wurde, zeigte eine den Arzt, der ein Haus abhorcht. Eine Frau fragt ihn: „Was machen Sie denn da?“ Er antwortet: „Ich bin der Hausarzt.“
**
Thüringer Allgemeine Geplant für den 1. Dezember 2014, Kolumne „Friedhof der Wörter“ / nur in überarbeiteter Fassung Ende März 2015 erschienen
Rubriken
- Aktuelles
- Ausbildung
- B. Die Journalisten
- C 10 Was Journalisten von Bloggern lernen
- C 5 Internet-Revolution
- C Der Online-Journalismus
- D. Schreiben und Redigieren
- F. Wie Journalisten informiert werden
- Friedhof der Wörter
- G. Wie Journalisten informieren
- H. Unterhaltende Information
- I. Die Meinung
- Journalistische Fachausdrücke
- K. Wie man Leser gewinnt
- L. Die Redaktion
- Lexikon unbrauchbarer Wörter
- Lokaljournalismus
- M. Presserecht und Ethik
- O. Zukunft der Zeitung
- Online-Journalismus
- P. Ausbildung und Berufsbilder
- PR & Pressestellen
- Presserecht & Ethik
- R. Welche Zukunft hat der Journalismus
- Recherche
- Service & Links
- Vorbildlich (Best Practice)
Schlagworte
Anglizismen BILD Braunschweiger Zeitung Bundesverfassungsgericht chefredakteur DDR Demokratie Deutscher-Lokaljournalistenpreis Die-Zeit dpa Duden Facebook FAZ Feuilleton Goethe Google Internet Interview Kontrolle der Mächtigen Leser Leserbriefe Luther (Martin) Lügenpresse Merkel (Angela) New-York-Times Organisation-der-Redaktion Persönlichkeitsrecht Politik Politiker-und-Journalisten Pressefreiheit Presserat Qualität Schneider (Wolf) Soziale-Netzwerke Spiegel Sport Sprachbild Sprache Süddeutsche-Zeitung Thüringer-Allgemeine Twitter Wahlkampf Welt Wulff Zitat-der-Woche
Letzte Kommentare
- Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
- Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
- Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
- Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
- Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...
Meistgelesen (Monat)
Sorry. No data so far.
Meistgelesen (Gesamt)
- Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre
- Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ
- Wie viel Pfeffer ist im Pfifferling? (Friedhof der Wörter)
- Die Leiden des Chefredakteurs in seiner Redaktion (Zitat der Woche)
- Wer entdeckt das längste Wort des Jahres? 31 Buchstaben – oder mehr?