Kulturbanausen beim Krisenfrühstück (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 19. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Was ist ein Krisenfrühstück? Wenn das Ei am Sonnabend statt der gewünschten drei Minuten steinhart gekocht  ist; wenn der Prosecco am Sonntagmorgen aus der Dose eingeschenkt wird statt  aus der Flasche-.

Und was ist ein Krisenfrühstück, wenn sich Putin und Merkel treffen? Ist dann der Espresso zu kalt? Oder sind die Brötchen zu labbrig? Nein, dann ist nicht das Frühstück die Krise, sondern die Krise das Thema beim Frühstück. 

Zusammengesetzte Hauptwörter sind eine Spezialität der deutschen Sprache: Wir können nach Herzenslust neue Wörter bilden – und tun es unentwegt. Doch Regeln unterliegt die Zusammensetzung nicht, wie gesagt: Sie geschieht nach Herzenslust.

Der Holunderbeersaft ist aus Holunderbeeren, aber der Hustensaft nicht aus Husten.  Die Feuerwehr bekämpft das  Feuer – und die Bundeswehr?

Ein Wortgeselle des Krisenfrühstücks ist das Arbeitsessen (drei zusammengesetzte Hauptwörter!): Ist das Essen die Arbeit? Oder arbeitet man beim Essen? Was wir auch immer darunter verstehen: Es ist ein Kulturbruch!

Jahrtausendelang hat der Mensch gegessen, um zu arbeiten. Als es ihm besser ging und er Kultur erschuf, hat er auch gegessen, um sich des Lebens zu erfreuen und mit netten Menschen zu plaudern. Platon  sprach beim „Symposion“, dem Gastmahl, mit Freunden über die Götter und die Welt. Christus feierte seinen Abschied mit seinen Freunden beim Abendmahl.   

Und wir Kulturbanausen erfinden das Krisenfrühstück und das steuerlich begünstigte Arbeitsessen. 

Pressefreiheit in Deutschland: Feuilletonisten und Sportler klagen

Geschrieben am 18. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Chefredakteure und Ressortleiter sind sich einig: Die Pressefreiheit in Deutschland ist gut oder sogar sehr gut verwirklicht, aber knapp die Hälfte beklagt, dass Behinderungen in den letzten Jahren zugenommen haben.

Die Allensbacher Demoskopen fragten im Frühjahr 2014 über vierhundert Chefs in 230 Zeitungen. Knapp zwei Drittel haben auch schon Behinderungen von Recherchen erlebt. Politikern, Unternehmer und PR-Managern drohen, Anzeigen zu entziehen, oder umarmen die Redakteure, um eine wohlwollende Berichte zu bekommen.

Überraschend ist, auf welche Ressorts am meisten Druck ausgeübt wird: Kultur und Sport. Fotografen müssen mit großen Einschränkungen fertig werden und die Reporter mit massiven Veränderungen bei der Autorisierung von Interviews.

Zwei Drittel der Lokalredakteure klagen über Politiker, die häufig Einfluss nehmen wollen, oder über Kaufleute und Unternehmer, die Berichte steuern wollen.

Warum zeigen wir nicht die grauenhaften Fotos der IS-Folterungen? Ein Tabubruch, ja. Aber – auch ein Weckruf?

Geschrieben am 16. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Der Mörder setzt das Messer an die Kehle, das Gesicht ist mit Blut überströmt, ein Gesicht von Angst zerrissen – der Fotograf wie der Mörder delektieren sich daran, einen Mensch sterben zu sehen, als wäre er ein Tier. Ich kann mir das Bild nur kurz ansehen, es ist Ekel, purer Ekel, dem man sich nicht ergeben kann. Mehr Bilder will ich nicht sehen.

Es sind Bilder, die Terroristen des IS, des „Islamischen Staat“, ins Netz gestellt haben, wo sie relativ leicht zu finden sind. Keine deutsche Zeitung, kein deutsches Magazin, keine wichtige deutsche Online-Nachrichtenseite zeigen die Bilder. Ein Freund, der in der politischen Bildung arbeitet, schickt mir eine Zeitung, die das Bild online zeigt, und fragt mich:

Warum zeigen Medien in Deutschland nicht diese grausame Realität eines aus den Fugen geratenen Islam(extremismus)? Das Bild – aufgenommen vor wenigen Tagen – zeigt das tägliche Grauen, das sich derzeit vor der Haustür Europas abspielt. Es wurde der polnischen Seite Polska24 entnommen, auf der einige (grauenvolle) Bilder des aktuell vor sich gehenden Genozids an irakischen Christen durch sunnitische ISIS-Gotteskrieger zu sehen sind. Unsere Medien veröffentlichen solche Bilder nicht. Warum nicht? Wir wurden doch früher auch nicht von grauenhaften Fotos, z. B. aus dem Vietnamkrieg, verschont…

In unserem Mailwechsel sagt er schließlich, nachdem er für die Veröffentlichung der Bilder plädiert hatte:

Die Wirkung von solchen Bildern verändert uns…

Von Dir lernte ich, des Journalisten Pflicht sei es, in Wort, Bild und Schrift zu berichten, was ist, streng getrennt vom Kommentar. Das habe ich mir zu eigen gemacht.

Meine schlichte Frage lautet:
Warum wird das, was ist, also die Wirklichkeit, wie diese entsetzlich grausamen Fotos sie beschreiben, bei uns nicht veröffentlicht? Was erzählen uns diese Bilder? Die Leichenberge aus deutschen KZ gingen doch auch um in Deutschland, haben viele wach gerüttelt, die es nicht wahr haben wollten – und das war auch gut so.

Eine farbige Doppelseite wäre mal ein Tabubruch im Sinne eines Weckrufes, finde ich. Der Blätterwald würde rauschen. Wegsehen hat doch noch nie ein Problem gelöst.

Stattdessen fragt man bei uns: Darf man solche Bilder veröffentlichen? Und so kommt man zu dem in allen Medien einheitlichen Ergebnis: Zeigen wir nicht. Cui bono?

Das verstehe ich nicht.

Was sagt unsere Ethik, der Pressekodex?

1. „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ – Also: Verletzten wir nicht die Würde des Opfers, wenn wir ein Terror-Mordopfer öffentlich machen?

2. „Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.“ – Da ist die Hintertür: Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, der Weckruf. Aber reicht dies Interesse, Menschen zu erniedrigen, Opfer sterbend zu zeigen?

3. „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid.“

Ich füge an:

4. Journalisten dürfen sich nicht vor den Propaganda-Karren spannen lassen, erst recht nicht von Terroristen.

Fassen wir noch einmal die Fragen des Freundes zusammen, die mit dem Pressekodex nicht abschließend beantwortet sind:

> Wäre die Veröffentlichung der Fotos des Grauens, also der bestialischen Ermordung von Menschen, nicht ein Weckruf, eine Mobilisierung des öffentlichen Gewissens?
> Warum zeigten wir Bilder von Opfern des Vietnams-Kriegs (etwa: Der Mann, der vom Polizeichef Saigons erschossen wurde; die nackte neunjährige Kim Phuc, die vor dem Napalm flieht), aber nicht die des IS-Terrors?
> Warum zeigen wir Holocaust-Opfer sogar öffentlich in Museen, etwa in Yad Vashem, Jerusalem?

Von welchem Journalismus träumen Sie? Wie sieht der Journalist der Zukunft aus? (Antworten zum DJV-Verbandstag)

Geschrieben am 14. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Der Bundesverbandstag des Deutsche Journalisten-VerbandS (DJV) steigt mit etwa 350 Delegierten am 3. und 4. November 2014 in Weimar. In einem Magazin geben neben anderem die Thüringer Chefredakteure Antworten auf drei vorgegebene Fragen. Hier sind meine:

Von welcher Art Journalismus träumen Sie?

Ich muss nicht träumen, diesen Journalismus gibt es seit der Erfindung unabhängiger Zeitungen: Er kontrolliert die Mächtigen; er hilft den Bürgern durch verständliche und tiefgründige Artikel, die richtigen Entscheidungen in einer Demokratie zu treffen bei Wahlen, bei eigenem Engagement in Initiativen oder im Ehrenamt; er scheidet das Unwichtige vom Wichtigen. Und er erzählt, wann immer es möglich ist, von Menschen und ihren Plänen, Schicksalen und Hoffnungen, von ihrem Glück und ihrem Elend  – damit Leser Lust aufs Lesen bekommen und Stoff für ihre Unterhaltungen, wo auch immer.

Welche Anforderungen stellen Sie an Journalistinnen/Journalisten?

Sie beherrschen ihr Handwerk, so wie es seit langem geachtet ist (siehe Antwort auf Frage 1), aber verbinden es souverän mit den neuen digitalen Möglichkeiten in Recherche und Darstellung. Vor allem haben sie hohen Respekt vor den Lesern, den älteren wie auch den jungen, deren Bedürfnisse sie erkennen und befriedigen müssen. Das ist nicht neu, war aber in den seligen Zeiten des Beamtenjournalismus belächelt: Sie kümmern sich um die Leserforschung, die ihnen auch unbekannte Wünsche der Leser verrät, und sie  entwickeln Ideen, wie unabhängiger Journalismus auch in Zeiten schwindender Werbe-Umsätze zu finanzieren ist – und die Demokratie ihr stabiles Fundament behält. Dazu brauchen sie, wie seit altersher, Selbstvertrauen ohne Hochmut, Zivilcourage, Nervenkraft und die Fähigkeit der Unterscheidung.

Wie sieht die Thüringer Medienlandschaft in 10 Jahren aus?

Propheten haben im Journalismus nicht zu suchen, sie sollten in Beratungsfirmen gehen, die an dem Thema gut verdienen. Gehen wir von Sicherheiten aus: Die Bürger werden immer unabhängigen Journalismus brauchen und achten, Journalismus der sie respektiert, also verständlich und attraktiv ist, und der sie dort abholt, wo sie leben und träumen. Und da es immer noch Filme und Bücher gibt – weit über ihr prophezeites Todesdatum hinaus -, wird es auch immer gedruckte Zeitungen geben. Wahrscheinlich erleben wir eine Renaissance der Tageszeitung schneller, als wir denken. Aber bei allem Pessimismus, in dem  sich Redakteure gerne suhlen: Es kommt allein auf guten Journalismus an, gleich wie er dargeboten wird. 

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Antworten auf Fragen des DJV Thüringen, der zum Verbandstag in Weimar den Delegierten in einem Magazin Thüringen vorstellt.

Feuilletonisten wollen gar nicht verstanden und redigiert werden – wegen der Tiefe ihrer Gedanken

Geschrieben am 12. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Es gibt einen Typus von Kulturschaffenden, der will gar nicht verstanden werden, schreibt der unbekannte Autor des Streiflichts am zweiten Tag nach der Bekanntgabe: Patrick Modiano bekommt den Literatur-Nobelpreis. Der Franzose bekommt den Nobelpreis, weil er verständlich schreibt.

Das ist für manche Kulturschaffende schon eine Zumutung:

Sie wollen gar nicht verstanden werden. Der Nichtverstehende soll gar nicht erst auf die Idee kommen, er könnte die Tiefe ihrer Gedanken jemals ermessen… Ewig Unverstandene sind eine Elite.

Der Streiflicht-Autor vermeidet es, zu den Kulturschaffenden auch die Feuilletonisten zu zählen. Sie mögen gerne Unverständliches in Theater, Buch und Film, schreiben gern unverständlich – und sind ein Schrecken für jeden, der sie redigieren muss. Für Feuilletonisten ist jeder, der redigiert, ein Barbar: Sie schreiben schließlich für die Feuilletonisten der anderen Zeitungen und Magazine, für die Kulturradios, die nur die Elite einschaltet, und für die Opern- und Theater-Intendanten – je schwieriger desto besser -, Künstler, Verleger, Filmregisseure und für alle, die nicht so reden wie jeder redet.

Der Streiflicht-Autor legt sich mit ihnen nicht an, er will schließlich noch viele Streiflichter schreiben und sich lustig machen über die „Wiederbesetzung diskursiver Räume“ und das Schwinden „legitimatorischer Ressourcen sozialer Demokratie“. Was? Das versteht doch kein Leser? Man sollte ihnen das Abo entziehen.

Zur Vermeidung unnötiger Mails und Kommentare: Es gibt auch gute, verständlich schreibende Feuilletonisten. Sie dürfen auf den Nobelpreis hoffen, die anderen auf den Himmel, in dem sie keiner versteht.

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Quelle: SZ, 11. Oktober 2014

In der Welt der neuen Wörter – Pinkifizierung: Es glitzert und stinkt (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.
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Die Welt ist nicht mehr rosarot, sie ist pink, zumindest die Glitzer-Welt der Mädchen: Die Schleife im Haar, die Barbie-Puppe und Prinzessin Lillifee, alle sind pink.

Das ist die Pinkifizierung! Ein neues Wort! Der aktuelle Duden hat fünftausend neue Wörter aufgenommen, vom Liebesschloss über die Energiewende bis zum Gentrifizieren. Im nächsten Duden wird  die „Pinkifizierung“ stehen, irgendwo zwischen „pinkeln“ und „PIN-Kode“.

Doch an der Pinkifizierung scheiden sich die Geister:

  • Die einen, die Pink-Verrückten und Pink-Verkäufer, möchten am liebsten die ganze Welt pink bemalen.
  • Andere, die mit dem genauen Blick in die große Welt, weisen darauf hin: Viele Mädchen, vor allem in Asien, Afrika und Lateinameika, werden unterdrückt, versklavt, misshandelt. Das Kinderhilfswerk „Plan“ lässt am UN-Welt-Mädchentag im Oktober  große Gebäude pink anstrahlen, wie in diesem Jahr den Funkturm in Berlin – „um ein Zeichen zu setzen und die Farbe Pink neu besetzen“.
  • Wieder anderen ist auch dieser Protest suspekt, sie protestieren vehement gegen das pinkfarbene Frauenbild und fragen wie Carolin Wiedemann in der FAZ: „Wie sollen all die kleinen Mädchen, die ihre Zeit und ihr erstes Taschengeld in rosa Glitzer investieren oder unter Essstörungen leiden, je die Jobs in den Vorstandsetagen übernehmen, für die ihre Mütter gerade kämpfen?“

Stevie Schmiedel ist „Gender-Forscherin“ (auch ein Neuwort-Kandidat): Sie gründete „Pinkstink“, also: Pink stinkt. Das ist eine Kampagne gegen Rosa, um  Mädchen in ihrer Rolle nicht auf niedlich und süss zu reduzieren – im Kontrast zu den aktiven Jungen.

In einem Interview mit dem Magazin „The European“ erinnert Stevie Schmiedel daran, dass Rosa gerne in Gefängnissen auf die Wände gemalt wird –  um die Insassen zu beruhigen.

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Quellen:
FAZ 26.11.2012 (Wiedemann): Rosa Rollback  / The European, Mai 2013 (Schmiedel): Hinter Barbie steckt ein unglaublicher Markt

 

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 13. Oktober 2014

Noch einmal der Deppenapostroph: „Andrea’s Haarstübchen“ ist doch richtig

Geschrieben am 11. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

„Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mir Ihre Ansichten in Sachen Sprache nicht weiter Quell des Ärgers sein zu lassen“, schreibt mir ein Leser des „Friedhofs der Wörter“ und ärgert sich über „Freud und der Deppenapostroph“. Die „Tatsachenbehauptungen, die einfach falsch sind“ lassen ihn nicht ruhen:

• „Andrea’s Haarstübchen“ ist keineswegs die einzig korrekte Form. Es gibt auch kein Standardwerk (sei es die Amtliche Regelung, der Duden, oder, sagen wir, der Wahrig), das diese Ihre Behauptungen deckt.

• Vielleicht können Sie mir noch insoweit auf die Sprünge helfen, indem Sie mir nur die leiseste Begründung dafür lieferten, warum es in den beiden Fällen „Ableitungen mit sch und Genitiv von Eigennamen“ überhaupt einer solch apostrophalen Reform bedurft hätte.

Nun ist das Regelwerk unserer Sprache ein Labyrinth. Wer kennt schon alle Irrungen und Wirrungen? Und wer kennt sich aus beim Apostroph, dem – salopp ausgedrückt – nach oben gerutschtem Komma?

Der Apostroph ist das Auslassungszeichen. Wir schreiben: „Geht es gut“, aber sagen „Geht’s gut?“. Das verschluckte „e“ im „es“ markieren wir mit dem Auslassungszeichen.

Der Apostroph, nach der Rechtschreibreform, ist aber nicht nur das Auslassungszeichen, sondern auch ein Trennungszeichen, um den Sinn eines Begriffs zu verdeutlichen. So war es schon üblich vor hundert Jahren. Wir lesen heute in Regel 16 des „Duden“:

„In Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens wird der Apostroph gelegentlich gebraucht: Vor der Adjektivendung -sch. Beispiel: die Grimm’schen Märchen (neben: die grimmschen Märchen).“

Als weiteres Beispiel für den Apostroph vor dem Genetiv-s gibt der Duden an: „Andrea’s Blumenecke (zur Unterscheidung vom männlichen Vornamen Andreas).“

Der „Wahrig“, ein geachteter Konkurrent des „Duden“, tauft Andrea um in Christina und schreibt in seiner Ausgabe von 2013: „Der Apostroph wird gesetzt „zur Verdeutlichung von Eigennamen: Christina’s Blumenshop“.“

Mein Kritiker schreibt noch: „Schillersche Verse waren von Schiller, dagegen schillersche wie von Schiller. Mag sein, dass diesen Unterschied nicht jeder deuten konnte. Aber jene, die es konnten, waren es wert, ihn zu machen.“

Diese Unterscheidung kann ich nirgends entdecken. Doch zur Schreibweise:

Der „Wahrig“ von 1975 kennt noch die „Schillerschen Dramen“, also ohne Apostroph, aber er beugte sich der Rechtschreibreform und verlangte ihn 2013 auch. Der „Wahrig“ tauscht 2013 Schiller gegen den Komponisten Schubert und legt – wie der Duden – diese Schreibweisen verbindlich fest – als Regel für Ableitungen von Namen, die mit -sch gebildet werden: „Schubert’sche Lieder“ und gleichrangig „schubertsche Lieder“.

Deutschlehrer müssen sich danach richten. Alle anderen, auch Journalisten, dürfen sich wundern.

**

Überarbeitete Fassung von „Leser fragen“ in der Thüringer Allgemeine 11. Oktober 2014

Der „Spiegel“ zitiert Kohl aus nicht-autorisierten Gesprächen: Unmoralisch? Verstoß gegen Pressekodex?

Geschrieben am 7. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

„Schwan begeht einen Vertrauensbruch, das ist keine Frage“, schreibt Rene Pfister in der Spiegel-Geschichte über das Schwan-Buch nach Gesprächen mit Helmut Kohl, aufgezeichnet und auf Tonband aufgenommen vor 12 Jahren. Dürfen Journalisten Vertrauen brechen? Verstossen sie so nicht gegen jede Moral?

Die folgende Passage zur Recherche hat  im „Handbuch des Journalismus“ reichlich Irritation und Widerspruch ausgelöst:

Manchmal spielen eher unmoralische Motive die Hauptrolle, damit der Moral zum Siege verholfen wird. Hätte nicht der Spiegel einem Informanten eine horrende Summe bezahlt, so wüssten wir immer noch nicht, auf welche Weise sich die Chefs der „Neuen Heimat“ bereichert haben.

Also – Recherchen sind weder moralisch noch unmoralisch, entscheidend ist allein, was am Ende herauskommt: Eine Wahrheit, die die Bürger unbedingt wissen müssen. Oder nicht.

Ähnlich schwankend ist die Argumentation des „Pressekodex“. Erst lesen wir „Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren.“ Meist wenn der Kodex  „grundsätzlich“ schreibt, meint er das Gegenteil: es gibt reichlich Ausnahmen, zum Beispiel:

Vertraulichkeit muss nicht  gewahrt werden, wenn bei sorgfältiger Güter- und Interessenabwägung gewichtige staatspolitische Gründe überwiegen… Über als geheim bezeichnete Vorgänge und Vorhaben darf berichtet werden, wenn nach sorgfältiger Abwägung festgestellt wird, dass das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit höher rangiert als die für die Geheimhaltung angeführten Gründe.

Da stehen alle Türen weit offen, um einmal zugesichertes Vertrauen brechen zu dürfen. Rene Pfister nennt mehrere Gründe für Schwans Vertrauensbruch:

1. Kohl hat die Gespräche geführt, damit sie veröffentlicht werden. Streit ist nicht, ob sie veröffentlicht werden, sondern wann. Pfister vermutet, Kohl – oder seine neue Frau – wolle bestimmen, „welchen Platz er einmal in den Geschichtsbüchern einnehmen würde“.
2.  Kohls Erinnerungen sind ein „historischer Schatz“ der jungen deutschen Geschichte, ein „historisches Vermächtnis“, wie das Landgericht Köln vor einem Jahr feststellte. Für Historiker sind sie eine einzigartige Quelle. So etwas nennt man ein hohes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit.
3. Wir Zeitgenossen erfahren Neues über die Geschichte und die Mächtigen im Land – erzählt von einem, der fast zwei Jahrzehnte der Mächtigste war.
4. Wir erfahren Neues über die Deutsche Einheit, dem wichtigsten Ereignis der Nachkriegszeit.
5. Die Interviews mit Schwan sind offenbar die einzigen, in denen  sich Kohl relativ unverstellt einem Journalisten offenbart hat.
6. Kohl selber hielt wenig von Vertraulichkeit: In seinen Memoiren veröffentlichte er mehrere vertrauliche Briefe Weizsäckers.
7. Kohl ist so krank, dass er keine ausführlichen Interviews mehr geben kann.

Erinnern wir uns auch noch: Während jeder Deutsche, jeder weniger berühmte, ertragen musste, dass aus seinen Stasi-Akten zitiert wurde, schaffte es Helmut Kohl, dass seine Stasi-Akte gesperrt blieb. Der Kanzler wollte sein Bild für die Geschichte selber zeichnen. Das kann kein Journalist dulden, wenn er gründlich recherchiert.

Haben Schwan und der Spiegel also Kohl hintergangen? Ja, aber die Wahrheit und das Informationsbedürfnis der Bürger haben einen höheren Rang, einen Verfassungsrang. Die deutsche Geschichte, wie sie wirklich war und wie sie die sehen, die vom Volk gewählt sind,diese deutsche Geschichte gehört dem Volk und nicht dem höchsten Volksvertreter, dem Kanzler a.D. Helmut Kohl.

Sicher hat Moral einen festen Platz im Journalismus. Den höchsten Grad der Moral nenne ich die Verfassungs-Moral. Sie ist unser erstes Gebot.

**

Beitrag für Bülend Ürük, Chefredakteur von Newsroom.de, der diese Fragen zum Spiegel-Aufmacher stellte; alle Antworten unter newsroom.de:

  • Darf man als Journalist Recherchen verwenden, auch wenn ein Gesprächspartner, dem man dies auch vorher zugesichert hat, dies ablehnt, dies nicht möchte?
  • Wie würden Sie reagieren in einem Fall wie jetzt bei Herrn Schwan und Herrn Kohl? Würden Sie trotzdem auf Gespräche zurückgreifen und daraus ein Buch machen?
  • Gebe es Skrupel, wenn es nicht die Person Helmut Kohl wäre, über die Herr Schwan schreibt? Was wäre, wenn es ein weniger berühmter Mensch der Zeitgeschichte wäre?
  • „Hintergeht“ man seinen Gesprächspartner nicht, wenn man trotz seines Vetos auf diese Gespräche zurückgreift? Ist das ethisch sauber?
  • Wie wirkt sich das auf den Journalismus aus, wenn wir Zusagen an Gesprächspartner nicht mehr halten? Können Gesprächspartner dann noch sicher sein, dass wir eine Info, die sie uns im Vertrauen oder unter Bedingungen gegeben haben, nicht doch später ganz nach unserem Sinn verwenden?
  • Und wie ist das eigentlich, wenn man „nur“ über ein Buch berichtet, wie jetzt im aktuellen Fall der „Spiegel“ – hätten Sie moralische Bedenken, über ein Werk zu berichten, das so viel Streit zwischen den Beteiligten hervorgebracht hat?
  • Hat so etwas wie „Moral“ überhaupt Platz im Journalismus oder ist es nicht viel wichtiger, aufzudecken, Themen zu setzen und andere Geschehnisse zu ignorieren?

NACHTRAG
Das Landgericht Köln hat Anfang Oktober einen Antrag Kohls, die Buchauslieferung zu stoppen, abgelehnt mit der Begründung: Es geht nicht um Urheber-, sondern um Persönlichnkeitsrechte. Nun muss das Oberlandesgericht entscheiden, bei dem Kohls Anwälte Beschwerde eingelegt haben.

Wie umgehen mit der Forderung eines Gesprächspartners: Den Artikel muss ich vorher komplett lesen?

Geschrieben am 6. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Misstrauen begleitet die meisten Recherchen, Misstrauen von Leuten, die wir fragen – aber die nie wissen, was der Reporter aus dem Gespräch mitnimmt und in der Zeitung oder Zeitschrift druckt. Brand Eins gibt ein Heft über „Vertrauen“ heraus. Chefredakteurin Gabriele Fischer schreibt im Newsletter über eine besonders kribbelige Recherche von Andreas Molitor, der mit Vertrauensleuten sprach, jenen nicht zu beneidenden Menschen, die zwischen Gewerkschaft, Betriebsrat und Kollegen sitzen:

Er bekam das Misstrauen zu spüren, das in solch ungeklärten Situationen gedeiht. Am liebsten hätte der oberste Vertrauensmann vor einer Veröffentlichung den kompletten Text gelesen und auch gleich noch die Fotoauswahl bestimmt. Weil beides bei brand eins nicht möglich ist, wäre die Geschichte um ein Haar nicht erschienen.

Wie hat die Chefredakteurin den Beitrag gerettet? Sie knickte nicht ein, sondern machte klar, wie das Magazin mit Vertrauen umgeht:

Am Ende aber einigte man sich nach einer Sondersitzung des Vertrauensleute-Gremiums auf das bei brand eins einzig mögliche Verfahren: Wörtliche Zitate können auf Wunsch abgestimmt werden – mehr nicht („Zwischen den Stühlen“; Oktoberheft, Seite 80).

Volontariat der Zukunft (3) / Schümchen: Ausbildung muss schnell auf Veränderungen in der Branche reagieren

Geschrieben am 5. Oktober 2014 von Paul-Josef Raue.

Auch wenn die Digital Natives nichts Gedrucktes mehr lesen – für das Machen von Printmedien
können sie sich regelrecht begeistern. Sobald die Chance besteht, dass ein Artikel tatsächlich
gedruckt wird, steigen die Leistungen automatisch. Bei Online-Beiträgen kann ich das nicht
feststellen. Print hat offenbar doch noch einen Reiz…

Die Medienausbildung muss heute schnell auf die Veränderungen in der Branche reagieren können,
ja im Idealfall bei neuen Entwicklungen gleich mit dabei sein. Wir haben recht früh Themen wie
Crowdfunding, Webdocumentaries oder Mobile Reporting in experimentellen Projekten thematisiert
und ausprobiert. Das setzt an einer Hochschule allerdings voraus, dass es keine starren Curricula
gibt, die für Jahre im Voraus feststehen. Das Aufgreifen aktueller Trends muss zum
Ausbildungsprogramm gehören.

Quelle: W&V Online 25.9.14 Interview mit Professor Andreas Schümchen, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg; Schwerpunkt Printmedien und Redaktionsmanagement.

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