Wer hat das längste Wort im Wahlprogramm? Mehr als 42 Buchstaben? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 1. September 2013 von Paul-Josef Raue.
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Findet jemand ein längeres Wort in den Wahlprogrammen? Die Grünen setzen ihren Lesern das „Bundes-Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ mit 42 Zeichen vor – ein schwer zu brechender Rekord in einem Rekord-Programm, das doppelt so dick wie bei den anderen Parteien, aber nicht mehr so gut geschrieben wie vor vier Jahren.

Dabei beschweren sich Politiker im Wahlkampf gern über die Medien: Ihr macht den Bürgern nicht klar, was wir wollen! Aber gelänge das besser mit Wortungetümen, die offenbar die Parteien schätzen?

Schauen wir in die Wahlprogramme der Parteien: Sind die Politiker verständlicher? Klarer? Nein, sagen die Verständlichkeits-Forscher der Universität Hohenheim, die sich durch Hunderte von Seiten gelesen haben.

Schauen wir auf die langen Wörter: Je kürzer ein Wort, desto einprägsamer und verständlicher ist es. Lange Wörter müssen, vor allem beim schnellen Lesen, mühsam auseinander genommen werden; oft resigniert ein Leser und verlässt den Text – zum Schaden der Politiker, die mit ihren Botschaften nicht an den Wähler kommen.
Die Grünen scheinen unschlagbar. Wie bemühen sich die anderen Parteien um den Buchstaben-Rekord?

>Die Linke kommt auf 26 Buchstaben:
Hochwasserrückhalteflächen

> Die SPD kommt auf 32 Zeichen, wobei man schon streiten kann, ob gekuppelte Wörter nicht einzeln zu zählen sind:
Patchwork- oder Regenbogenfamilien

>Die CDU hält ihren Rekord mit 34 Zeichen
Öffentlich-Private-Partnerschaften

>Die Piraten legen das am schwersten verständliche Programm vor und kommen beim Wort-Rekord auf 37 Zeichen:
EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie

>Die FDP ist zwar schmächtig im Wahlergebnis, aber rekordverdächtig mit einem 38-Buchstaben-Wort:
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

Der Wort-Rekord im aktuellen Duden liegt gerade mal bei 37 Zeichen: „Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung“ gefolgt von der „Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft“ mit 35 Zeichen. Da haben FDP und Grüne ja große Chancen, zumindest den Sprung in den Duden zu schaffen.

Thüringer Allgemeine 2. September 2013

Manfred Günther per Faceb ook:

Ein weiteres Beispiel: Für wen oder was werden eigentlich Wahlprogramme gemacht?
Für Wähler und als Entscheidungshilfen anscheinend nicht!
An dieser Stelle ein Rat von Ernst Ferstl – Jahrgang 1955, Lehrer, Dichter und Aphoristiker – an die Schreiberlinge solcher Programme: „Wer weiß, welche Rolle er im Leben anderer spielt, braucht ihnen nichts mehr vorzuspielen.“

Der erste Band der „Bibliothek des Journalismus“: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt

Geschrieben am 31. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Er ist ein Getriebener, ein Schwarz-Weiß-Seher, ein Himmelhochjauchzendundzutodebetrübter, atemlos mit dem geschriebenen wie dem gesprochenen Wort.

So schreibt Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig über Hans Hoffmeister, 22 Jahre Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung; er wurde, der am Freitag in den Ruhestand verabschiedet wurde (30. August 2013). Machnig war einer der 250 Gäste, die zum Abschied in den Weimarer „Elephant“ gekommen waren. Machnig, auch ein Politiker starker Worte. schreibt weiter:

Das feine Florett war nicht Hoffmeisters Waffe, eher die schwere Nagelkeule.

Machnigs Einschätzung ist zu lesen in einem Interview-Buch, das Paul-Josef Raue, Autor dieses Blogs, über Hans Hoffmeister verfasst hat; es ist der erste Band der neu gegründeten „Bibliothek des Journalismus“, die im Klartext-Verlag erscheint mit Raue als Herausgeber:

Paul-Josef Raue: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt. Klartext-Verlag, 163 Seiten, 13,95 Euro

„Wir haben nicht über die Wende berichtet. Wir haben sie gemacht“, sagt Hans Hoffmeister in dem fünfstündigem Interview, in dem der scheidende Chefredakteur ausführlich seinen Anfang in Thüringen direkt nach der Wende erzählt. Die Kapitel-Überschriften führen durch das Buch wie durch das Hoffmeistersche Leben. In der ersten Hälfte sind die Wende und die folgenden Jahre das Thema:

> „Eine Affekthandlung“ – Hoffmeisters Aufbruch in den Osten
> „So war der wilde Osten“ – Der Start der „Tagespost“ in Eisenach
> „Wie sollten sie denn plötzlich Demokraten sein?“ – Die ersten Tage in der Weimarer Redaktion
> „Nicht nur nicken, auch handeln“ – Die ersten Jahre der TLZ
> „Harmonie ist mir suspekt“ – Wie es dem Westdeutschen im Osten erging.

Im zweiten Teil erzählt Hans Hoffmeister aus seinem Leben und von seinen Anfängen als Journalist im Westen: „Es wurde unfassbar viel gesoffen“. Immer wieder räsonieren die beiden Chefredakteure auch über den Journalismus, seine Werte und Regeln.

Zwei Auffassungen von Journalismus prallen in dem Interview aufeinander:

> Hoffmeister bekennt sich zur Einmischung der Redaktion in die Politik, er nimmt Partei, ist gegen die Trennung von Nachricht und Meinung und begründet dies so: „Ich will nicht, dass dieses Land, mein Land, Schaden nimmt“.

> Paul-Josef Raue, Chefredakteur der konkurrierenden Thüringer Allgemeine (TA), plädiert dagegen für eine Distanz, die dem Leser die Freiheit lässt, selber ein Urteil zu bilden, und zitiert den TV-Moderator Friedrich: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“

Im Anhang antworten 21 Prominente auf die Frage „Hatten Sie Angst vor Hans Hoffmeister:

Erfurts MDR-Funkhaus-Chef Werner Dieste:

Viel spannender ist die Frage: Hat Hans Hoffmeister in den vielen Jahren in der Weimarer Marienstraße manchmal Angst gehabt – gar vor sich selbst?

TA-Redakteur Henryk Goldberg:

Ich habe ein wenig Angst vor einer Fähigkeit, die Hans Hoffmeister auszeichnet, und die mir seit 1990 abhandenkam: Sich so ganz, so rückhaltlos einer Sache hinzugeben.“
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht: „Wir sind stolz darauf, dass er Bürger unseres Landes ist.

Ex-Jenoptik-Chef Lothar Späth:

Parlaments- und Regierungsvertreter hatten bei ihm kaum eine Chance, ihre Sicht der Dinge vorzutragen. Am liebsten hätte er das Ganze selbst übernommen.

Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie über Hoffmeisters Samstagkommentar, das „Schlüsselloch“:

Im Schlüsselloch ließ Hans Hoffmeister nicht selten das Fallbeil auf Politiker nieder. Mich traf es auch, aber ich lebe noch.

Machtspiele oder: Wovon Spiegel-Redakteure träumen

Geschrieben am 27. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Spiegel muss zu alter Stärke zurückfinden, sind sich die Ressortleiter einig. Wir dürfen nicht mehr der Süddeutschen allein die tiefen und überraschenden Recherchen überlassen, wollen selber in Offshore-Leaks schauen, sagen sie dem neuen Chefredakteur, sogar einmütig, was sonst nur bei Aufständen gelingt. Wir wollen wieder das Gewissen der Nation werden, das Sonntags- und Montags-Gespräch der Deutschen. Wir wollen über Deutschland, Gott und die Finsternis der Welt reden statt nur über uns. Wir müssen die Kraft, Intelligenz und Phantasie der Redaktion nutzen, vor allem beim Finden des Titels, der über den Verkauf und damit über unser Gehalt entscheidet – statt einer kleinen Autisten-Runde zuzuschauen, die sich am Freitag einschließt und die Kollegen am Samstag überrascht, wenn der Bote die neue Ausgabe bringt. Wir wünschen uns „Hausmitteilungen“, die nicht die schwächsten Beiträge gleich zu Beginn des Heftes sind, und wir wünschen uns einen guten und starken Chefredakteur, der vieles macht, der zuerst zuhört und dann entscheidet, in dieser Reihenfolge; der sich gegen die Berufs-Bedenker in der Redaktion durchsetzt und sei es mit leichter Ironie. Wir wollen einen guten, einen besseren Spiegel – den nicht nur wir brauchen.

Es wäre nützlich, edel und gut gewesen, wenn sich die Spiegel-Ressortleiter am Montag so ihrem neuen Chefredakteur präsentiert hätten. Nach allem, was zu hören und zu lesen war, ging’s nicht um Recherchen und Themen, um Titel und Hausmitteilungen, sondern um das Spiel der Macht – das Redakteure nun einmal nicht beherrschen, ja sie finden nicht einmal zur Einsicht, dass sie vieles können, nur dies nicht.

Die versammelte Intelligenz der Spiegel-Ressortleiter ist die höchste in deutschen Redaktionen. Aber was spricht aus der Resolution der Ressortleiter? Ist es Phantasielosigkeit und intellektuelle Armut , die sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt: Wir sind dagegen?

Deutschland braucht keine Spiegel-Redaktion, die sich lähmt und verkämpft und am Ende nur verliert. Deutschland braucht eine Spiegel-Redaktion, die stark ist, für starke Geschichten kämpft und am Ende aufklärt, vielleicht nicht Gott, aber die Bürger und die Welt.

„Kundenanwalt“ verboten: Was wird aus dem Leseranwalt?

Geschrieben am 26. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Den Ombudmann in den Zeitungen, der die Interessen der Leser vertritt, nennen wir meist „Leseranwalt“ – so wie es Anton Sahlender tut, der stellvertretende Chefredakteur der Mainpost (Würzburg); er hat auch die deutsche „Vereinigung der Medien-Ombudsleute“ gegründet und ist ihr Sprecher.

Aber ist der Begriff „Leseranwalt“ korrekt? Schauen wir in ein Urteil des Düsseldorfer Landgerichts: Es hat einer Versicherungsgruppe untersagt, die Bezeichnung „Kundenanwalt“ zu nutzen. „Die Kunden gewinnen den falschen Eindruck, der ,Kundenanwalt‘ vertrete wie ein Rechtsanwalt allein ihre Interessen, obwohl er in die Hierarchie der Versicherung eingebunden ist“, sagte ein Sprecher der Berliner Rechtsanwaltskammer, die die Klage angestrengt hatte.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Versicherung geht in Berufung mit dem Argument, der Kundenanwalt vertrete im Unternehmen die Interessen der Kunden.

Der „Leseranwalt“ hätte, würde einer klagen, ähnliche Probleme: Auch er ist in die Hierarchie des Verlags, meist in der Chefredaktion, eingebunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand klagt, ist allerdings gering. Und der Leseranwalt ist eine hervorragende Institution, die Redaktionen verführt, den Leser und seine Interessen ernst zu nehmen (was immer noch nicht überall der Fall ist).

Quelle: dpa 1. August 2013 / Versicherung ist Ergo

Sprachbild + Habermas: Kein Tanz auf dem Vulkan

Geschrieben am 25. August 2013 von Paul-Josef Raue.
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Deutschland tanzt nicht, es döst auf dem Vulkan.

Jürgen Habermas im Spiegel vom 5. August

Die Unlogik der Sprache und die Untiefen der Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Ich bin ein Betriebswirt und kenne den Fachbegriff Unkosten nicht“, schreibt ein Leser verärgert, als er in seiner „Qualitätszeitung“ gelesen hatte: „In Unkosten stürzen sich Studenten für die eigentlich teure Technik.“

Nur weil umgangssprachlich dieser betriebswirtschaftlich unsinnige Begriff genutzt wird, muss der nicht in der Zeitung stehen. Was kommt als nächstes?

Ich schlag gern bei Goethe nach, wie er mit den Wörtern hantierte. Er schrieb in seinen frühen Tagebüchern:

Es fiel mir dabei die königliche Grille Ludwigs des Großen ein, der so viel Unkosten verschwendete, um eine Wüste zum Paradies umzuschaffen.

Offenbar sind die „Unkosten“ keine Liederlichkeit unserer Tage. Die Brüder Grimm listen in ihrem Wörterbuch die „Unkosten“ schon in Rechnungen aus dem 14. Jahrhundert auf und in einer Mainzer Chronik aus dem 15. Jahrhundert.

Unsere Sprache ist eben bisweilen unlogisch und – vor allem bei Verneinungen – komplett verrückt: Die Schwester der „Unkosten“ ist die „Untiefe“: Sie kann Gegensätzliches bezeichnen, eine besonders seichte wie eine besonders tiefe Stelle im Meer.

Fürst Pückler, der Gartenkünstler aus der Lausitz, schrieb vor knapp zweihundert Jahren in einem Brief:

Wer die Flut nutzt, erreicht den Hafen des Glücks, und wer sie vorüberlässt, dessen ganze Lebensreise geht durch Untiefen und Elend.

Eigentlich bedeutet die Vorsilbe „un“ eine Verneinung: Eine Untiefe ist das Gegenteil der Tiefe; die Unkosten das Gegenteil von Kosten; die Unmenge das Gegenteil der Menge.

Aber „un“ kann auch bekräftigen – wie bei den Unkosten: Sie bezeichnen nichts Kostenloses, sondern besonders hohe oder nicht geplante Kosten. Es ist also ein Kreuz mit der Verneinung und der Sprache – aber dies schon seit einigen Jahrhunderten.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 26. August 2013

Die meisten Journalisten sind nicht kritikfähig (Zitat der Woche)

Geschrieben am 23. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund:

Ich bin kritikfähig bis zum Umfallen. Das sind die meisten Journalisten nicht. Wenn ich mal sage, dass jemand keine Ahnung vom Fussball hat, ist er beleidigt. Ich hab‘ in meinem Leben mehr Kritik abbekommen, als man sich vorstellen kann. Das vergessen heute nur alle.

(Interview mit der Süddeutschen Zeitung „Guardiola und ich arbeiten komplett anders“, 23. August 2013)

Sprachbild der Woche (in demselben Interview); Klopp über seinen neuen Star „Pappa“ Sokratis, der unbedingt in der Borussen-Mannschaft spielen will:

Pappa ist darauf heiß wie Frittenfett.

Was Leser fragen: Apostrophen, Anwälte und der Viadukt

Geschrieben am 23. August 2013 von Paul-Josef Raue.

B. B. aus Weimar arbeitet auch als Korrektorin und ärgert sich über den falschen Apostrophen in unserer Zeitung. Worum geht’s: Wenn in einem Wort ein oder mehrere Buchstaben ausgelassen werden, setzen wir einen Beistrich –wie eben in „geht’s“:

„Ich weiß nicht, ob man hier der Technik die Schuld in die Schuhe schieben kann, denn in der Online-Version stellt sich der Apostroph völlig unauffällig dar.
In der Druckversion jedoch verkommt der Apostroph zu einem einfachen Ausführungszeichen: Er wird regelmäßig falsch herum gedruckt.“

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:

Sie haben Recht, wir werden es ändern: Der korrekte Apostroph ist ein Bogen der sich von rechts oben nach links unten neigt.

Bei Mails kommt in der Tat meist ein einfacher Strich zum Vorschein. Aber auf gedruckten Seiten, ob im Buch oder der Zeitung, sollten wir die Kultur der Schrift, die Typografie, in Ehren halten.

**

D. K. aus Friedrichroda fragt:
Wer bezahlt die Gelder für die Anwälte im Zschäpe-Prozess?

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:

Der Angeklagte bezahlt seine Verteidiger. Wird er freigesprochen, zahlt der Staat, weil er folgenlos angeklagt und den Prozess provoziert hatte. Fehlt den Angeklagten das Geld, wie wohl im Zschäpe-Prozess, zahlt auch der Staat, weil er allen Bürgern die gleichen Chancen in der Verteidigung bieten muss – unabhängig ob einer reich ist oder arm.

**

F.K. aus Eisenach kritisiert das Geschlecht des Viadukts: „Das historische Viadukt in Angelroda“ schrieben wir im Thüringenteil. „Laut Fremdwörterbuch ist ein Viadukt männlich und nicht sächlich.“

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:

Sie haben Recht, Herr Kalkbrennen. Der Viadukt ist die korrekte Form, aber – wie so oft – lässt der Duden auch das Viadukt gleichberechtigt zu.
Über Jahrhunderte war die hohe Brücke über ein Tal männlich, abgeleitet aus dem lateinischen Wort „aquaeductus“, das auch ein männliches Geschlecht hat. Aber ein Wort muss nur lange genug falsch gebraucht werden, dann lenkt der Duden ein.


Thüringer Allgemeine
, Samstagskolumne „Leser fragen“, 24. August 2013

Wahlkampf: Wenn Parteien ihre Mitglieder zu Leserbriefen animieren

Geschrieben am 22. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser, der ungenannt bleiben will, schickt mir einen Brief und erzählt: Ein Verwandter hörte in einer internen Partei-Versammlung, dass die Mitglieder die Leserseite der TA zu Wahlkampf-Zwecken nutzen sollten. Auch die Themen gab man vor:

Altersarmut, Kinderarmut, korrupte Politiker, „Ossigkeit“ in allen Formen wie Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit.

Offenbar hat diese Partei ihr Ziel erreicht, ihre Anordnung geht voll auf, schreibt unser Leser. Genau die von der Partei befohlenen Themen füllen die Leser-Seite; er nennt zwei Beispiele:
+ Da berichtet ein fast 90-jähriger und schließt mit den Worten „armes Deutschland“. Wann in seinem Leben war es denn besser?

+ Da schreibt eine Mittfünfzigerin über ihre Arbeits- und Perspektivlosigkeit: „Ich wohne in einem 100-Seelendorf mit schlechter Verkehrsanbindung und habe keine Fahrerlaubnis und bekomme keine Arbeit.“ Tausende sind dahin gezogen, wo es Arbeit gibt; Tausende haben die Fahrerlaubnis gemacht und pendeln täglich mehrere Stunden…

Wie kommt es, fragt unser Leser, dass die Mehrheit der Thüringer für die Regierung votiert, aber auf der Leser-Seite sich zu 95 Prozent die Unzufriedenen einer Partei finden?

Schreiben die anderen nicht?, merkt unser Leser noch an. „Das sind aber die Leistungsträger, die mit Pendlerzeit 12 Stunden am Tag tätig sind und keine Zeit zum Schreiben haben.“

Wahl-Tagebuch in der Thüringer Allgemeine, 23. August 2013

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