Alle Artikel der Rubrik "Lexikon unbrauchbarer Wörter"

Ein Wirtschaftsminister liebt die Anglizismen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Sind Sie fit für die Zukunft? Sind Sie innovativ? Dann wissen Sie sofort, was diese Wörter bedeuten:

  • Green Tech
  • Life Science
  • Meetingcenter
  • Highlights
  • Mentoring-Advisory-Funktion
  • E-Government

Diese Wörter lesen wir im „Zukunfts- und Innovationsprogramm Thüringen 2020“ von Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), das gerade erschienen ist. Diese Wörter sollen zeigen, so ahnen wir: Dieser Minister und seine besten Beamten leben in einer modernen Welt, sind international, plagen sich nicht mehr mit unserer alten deutschen Sprache – kurz: Ein neues Thüringen braucht eine neue Sprache!

Dabei ist alles nur Wortgeklingel. Diese Anglizismen sind unnötig, denn sie verdrängen deutsche Wörter, die jeder versteht, die klar sind – aber meist alt:

  • Green Tech ist: Grüne Technik
  • Life Science: Lebens- oder Biowissenschaft
  • Meetingscenter: Konferenz- oder Beratungs-Zentrum
  • Highlights: Höhepunkt
  • Mentoring-Advisory: Förderer-Beirat
  • E-Government: Digitale Verwaltung oder Netz-Verwaltung.

So ganz möchte das Ministerium aber nicht auf deutsche Wörter verzichten: „Thüringen goes middle-classes“ steht so eben nicht an der zentralen Stelle des Zukunft-Programms, sondern „Thüringen goes Mittelstand“.

Was würde der Engländer dazu sagen: „Anything goes“ – alles ist erlaubt.

geplant für 29. April in der Thüringer Allgemeine

Politiker nach Boston-Anschlag: Worthülsen und Betroffenheit (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 21. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Schreckliches in der Welt passiert, ziehen die Redenschreiber der Mächtigen die Schublade „Mitgefühl und Entsetzen“ auf. Diese Schublade ist im Computer-Zeitalter eine Datei mit Textbausteinen, sofort nutzbar wie nach dem Anschlag in Boston.

„Unser Mitgefühl gilt den Familien und Freunden der Opfer“, teilt unser Außenminister mit, bevor er das „fröhliche Sportereignis“ in den sprachlosen Kontrast zur „Tragödie“ setzt. Nach dem gleichen Schema reagiert die Kanzlerin: Erst „Entsetzen“, bevor auch sie „den Angriff“ in den Kontrast zur „friedlichen Sportveranstaltung“ setzt.

Stets gleich sind die Adjektive: „Heimtückisch“ nennt die Kanzlerin den Anschlag, „hinterhältig“ der Innenminister, der noch „feige“ hinzufügt, „sinnlos“ fällt einem Ministerpräsidenten ein (wie übrigens auch auch dem Papst).

Die höchsten Vertreter des deutschen Volks ringen nicht um Worte, sie sammeln die Hülsen auf. Sie sind nicht nur „betroffen“, der Innenminister ist sogar „zutiefst betroffen“. Und da er ahnt, wie leer dies Allerweltswort ist, setzt er noch eins hinzu: „menschlich zutiefst betroffen“.

Wir einfachen Leute, wenn wir den Tod beklagen, greifen auch zu Trauerkarten mit vorgestanzten Beileids-Sätzen. Es ist ein Dilemma.

„Zum Tod fall dir nichts ein“, schrieb die Dichterin Ingeborg Bachmann und schloss mit dem Vers:

Und nur nicht dies: ein Bild

im Staubgespinst, leeres Geroll

von Silben, Sterbenswörter.

Kein Sterbenswort,

Ihr Worte!

Wäre Schweigen nicht tröstender, wenn uns tröstende Worte fehlen? Nur – ist das überhaupt noch möglich in unserer geschwätzigen Welt?

Peter Handke: Die scheußlichsten Wörter kommen von Journalisten

Geschrieben am 8. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Sie das Wort einknicken noch mal verwenden, stelle ich Sie hinaus in den Regen. Einknicken, sich hinauslehnen, verschnarcht: Die scheußlichsten Wörter der Bundesrepublik kommen von Journalisten.

Peter Handke in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung (19.10.2012)

Vertriebene oder Umsiedler? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 17. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Vertriebene? Umsiedler? Zwangsmigranten? Wie bezeichnen wir die Menschen, die nach dem Krieg aus Schlesien nach Thüringen kamen?

Ein Ortschronist nannte sie in der Thüringer Allgemeine „Umsiedler“, als er darüber sprach, dass sich nach dem Krieg die Zahl der Einwohner verdoppelt hatte. Leser protestierten: Wir sind keine Umsiedler! Wir sind Vertriebene!

Wieder sprechen wir über Wörter, die Politik machen und über Wörter, die Menschen manipulieren sollen – sei es um einer Ideologie zu dienen, Interessen durchzusetzen und Macht zu bekommen oder zu festigen.

Sicher sind die Menschen in Schlesien und Ostpreußen vertrieben worden – gegen ihren Willen und mit Gewalt.
Doch die Regierung der DDR musste Rücksicht nehmen auf die Verbündeten im Osten. Diejenigen, die DDR-Bürger vertrieben hatten, waren politische Freunde geworden.

So erließ die Volkskammer ein „Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik“ und verschwieg damit nicht nur die Vertreibung, sondern sprach den Vertriebenen auch das Recht ab, darüber zu sprechen: Aus Vertriebenen wurden Umsiedler, aus Umsiedlern wurden Ehemalige.

Auch im Westen war das Wort „Vertreibung“ umstritten – nicht nur bei denen, die argwöhnten: wer von „Vertreibung“ spricht, will die Schuld der Deutschen am Weltkrieg leugnen. 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker, zum 40. Jahrestag des Weltkriegs-Ende – von der „erzwungenen Wanderschaft“.

„Umsiedlung“ nannte die DDR 1952 und 1961 auch die Vertreibung der Menschen, die im Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze lebten, als politisch unsicher bewertet wurden und ins Innere der DDR gefahren wurden: Aktion Kornblume und Aktion Ungeziefer waren die Namen für die Vertreibung.

Der thüringische Innenminister Willy Gebhardt, verantwortlich für die „Aktion Ungeziefer“ in Thüringen, schrieb mit der Hand an den SED-Landessekretär Otto Funke: „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“

Worte zeichnen ein Bild vom Menschen – und auch von der Verachtung des Menschen.

geplant für Thüringer Allgemeine 2. April 2013

Gauck als Meister der Floskeln und taumelnden Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Die Macht des  Bundespräsidenten ist seine Sprache. Da er sonst wenig zu entscheiden hat, soll er wenigstens gut reden – am besten den Politikern ins Gewissen, manchmal auch dem Volk.

In dieser Woche hat unser Bundespräsident seine erste große Rede gehalten. Er sei nervös gewesen, schreiben Kommentatoren, und sie meinen es positiv: Besser ein nervöser Politiker als ein überheblicher. Und er schreibe seine Reden selbst, und auch das meinen sie positiv.

Die Rede war nett, sie tat keinem weh, vor allem den Briten nicht, die gerade erdulden müssen, dass die deutsche Wirtschaft besser läuft als ihre. Da tröstet es, wenn ein Bundespräsident sagt: Auch Engländer gehören zu Europa, sogar die Schotten, die Waliser, Nordiren und „britische Neubürger“.

Nur – war die lange Rede des Präsidenten mehr als eine Reihung von Floskeln, hübsch, aber leer? Ein Beispiel:

 Einst waren europäische Staaten Großmächte und Global Player. In der globalisierten Welt von heute kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten.
Da taumeln die Wörter:
  • Global Player sind Unternehmen, die weltweit handeln, und nicht Staaten.  Staaten leiden unter „Global Playern“ und ihrer Finanzmacht, mit der sie Politiker unter Druck setzen können.
  •  Globalisierte Welt ist wie ein weißer Schimmel. Pleonasmus nennen es die Wissenschaftler, abgeleitet vom griechischen Wort für Überfluss:  Zwei Wörter, deren Sinn ähnlich ist.
Globalisierung bedeutet laut Duden „weltweite Verflechtung“; globalisiert leitet sich von „global“ ab, das „weltweit“ bedeutet.

Wer von „globalisierter Welt“ spricht, meint keine weltweite Welt, sondern eine schnelle Welt, in der Informationen und Transporte in einem Tempo um die Welt rasen wie nie zuvor – dank Internet, Flugzeugen und Containerschiffen. Für viele folgt diese schnelle Welt nicht mehr dem menschlichen Maß. Aber das ist ein neues Thema.

Thüringer Allgemeine 25. Februar 2013

Astrid Lindgrens „Neger“ und Walter Ulbrichts „Klopse“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

„Königsberger Klopse“ standen auf dem Speiseplan von Chefkoch Günther Griebel, als 1969 Walter Ulbricht in Oberhof Silvester feierte. Der 78jährige Staatsratsvorsitzende fuhr nicht nur Ski, sondern bereitete sich im Thüringer Wald auf seine TV-Rede zum neuen Jahr vor.

Im MDR-Fernsehen dieser Woche erzählte der Chefkoch von „Ulbrichts Nobelherberge in Oberhof“: Ulbrichts Frau Lotte kam, zeigte auf den handgeschriebenen Speisezettel und krittelte an den Königsberger Klopsen herum; erst dachte der Koch, sie wolle einen anderen Hauptgang, dann merkte er: Lotte mag das Wort nicht – „Königsberg“.

Im April 1945 hatte die Rote Armee die ostpreußische Hauptstadt nach einer erbarmungslosen Schlacht eingenommen, ein Jahr später in Kaliningrad umbenannt. „Königsberg“ gab es nicht mehr.

Um alle Erinnerungen an die deutsche Zeit, vor allem die Nazi-Zeit, zu löschen, kamen sogar die Klopse in Verruf. Wörter sind eben oft auch politische Wörter.

In diesen Tagen ist ein ähnlicher Streit wieder laut geworden: Dürfen wir literarische Texte verändern und Wörter wie „Neger“ und „Zigeuner“ löschen?

Vor vier Jahren verschwand der Neger aus „Pippi Langstrumpf“, geschrieben von Astrid Lindgren, immerhin Trägerin des alternativen Nobelpreises und des Friedenspreises der Deutschen Buchhandels; ein weiterer Liebling der Kinder, Otfried Preußlers „Kleine Hexe“, soll in der Neuauflage negerfrei werden.

Die eine Hälfte der Deutschen findet das nach einer Emnid-Umfrage richtig, die andere Hälfte spricht dagegen; doch je höher die Bildung, desto geringer die Zustimmung zur Löschung.

In der Tat ist der „Neger“ rassistisch, doch ist ein Gespräch mit Kindern über das Wort sinnvoller als seine Beerdigung. Wir können Geschichte verstehen, aber nicht löschen.

Thüringer Allgemeine 28. Januar 2013 (geplant)

Wenn Aachener Printen gedruckt werden

Geschrieben am 26. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

„Printen wir die Zeitung? Oder drucken wir noch?“ war ein „Friedhof der Wörter“ in diesem Blog überschrieben. Am Freitag suchte ein Leser bei Google „printen – aachen – pralinen“ und landete bei – „Printen wir die Zeitung“.

Eiszeit der Bilder: Sibirische Polarpeitsche und russische Kältepeitsche

Geschrieben am 26. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn es eisig wird in Deutschland, blühen die Sprachbilder, die an den Kalten Krieg erinnern. Die Süddeutsche zählt im Streiflicht die „rhetorischen Schneekanonen“ auf: „Russische Kältepeitsche“ und „Sibirische Polarpeitsche“, ergänzt durch das amerikanische „Snowmageddon“ oder „Snowpocalypse“ oder „Snowzilla“.

Der sprachlichen Gewaltspirale müssten Grenzen gesetzt werden (was für ein Bild!):

Die Herstellung, Lagerung und Verwendung martialischer Wintermetaphern muss international geächtet werden. Denn Tauwetter ist nicht in Sicht.

SZ, 25. Januar 2013

Die „Süddeutsche“ verarscht

Geschrieben am 1. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

Wieviel Umgangssprache verträgt die Zeitung? Die Süddeutsche wird großzügiger. Nico Fried schreibt im Silvester-Leitartikel:

Gleichwohl fühlen sich auch hierzulande viele Bürger schnell und oft von der Politik verarscht.

Damit die Leser merken, dass „verarschen“ kein Ausrutscher war, schreibt Fried wenige Zeiten weiter über das Vertrauen in Politiker:

Oder auch beim Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zumindest bis herauskam, dass der die Leute schon verarscht hatte, bevor er ein richtiger Politiker geworden war.

Fordern die Leser einer seriösen Zeitung die Umgangssprache, ja Gossensprache? Wer sich in Leserkonferenzen setzt, hört das Gegenteil: Die Sprache ist für viele ein Maßstab für Seriosität; Umgangssprache gilt als Beleg für den Boulevard.

Es kommen schon Leserproteste, wenn ein Redakteur „klaut“ in die Überschrift schreibt statt „stiehlt“ – weil es besser passt. Es ist nutzlose Anbiederung, wenn wir schreiben, wie die Leute sprechen (aber nicht schreiben!).

Wir müssen den Leuten aufs Maul schauen, um zu erfahren, über was sie sprechen und sprechen wollen. Aber wir müssen nicht so derb reden, wie die Leute gerne reden – weil Vertrauen nichts mit „verarschen“ gemein hat.

(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen)

Facebook-Reaktion von Alexander Marinos (Generalanzeiger, Bonn) am 1. Januar 2013:

Naja, es ist gewissermaßen ein indirektes Zitat. Er benutzt die Sprache Peter Strucks. Da die Anführungszeichen wegfallen, fehlt allerdings das unmittelbare Distanzierungssignal. Das ist grenzwertig.

Paul-Josef Raue: Ich kenne die indirekte Rede. Aber ein indirektes Zitat? Mir ist jedenfalls nicht klar geworden, dass der Kommentator zitiert. Und warum zitiert er ausgerechnet „verarschen“?

Alexander Marinos

Er zitiert zu Beginn des Kommentars Struck wörtlich und greift das hier in direkter Rede zitierte böse Wort später wieder auf. Ich verstehe das so, dass er sich einen zunächst fremden Duktus später zu eigen macht, weil ihm die unverblümte Art Strucks zu reden offenbar gefällt. Ihnen gefällt das nicht, mir auch nicht – da sind wir einer Meinung.

Printen wir die Zeitung? Oder drucken wir noch?

Geschrieben am 31. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Die letzte Printausgabe von Newsweek erscheint, sagt die Moderatorin in Deutschlandradio Kultur. Printausgabe? Werden Zeitungen nicht gedruckt?

Print ist einer der überflüssigen Anglizismen. „Druckausgabe“ hat nicht einen Buchstaben und nicht eine Silbe mehr. Noch schöner, auch wenn dreisilbig, ist: gedruckte Ausgabe.

(zu: Handbuch-Kapitel 16 Lexikon unbrauchbarer Wörter + Service H Lexikon journalistischer Fachausdrücke)

Seiten:«12345678»

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