Alle Artikel der Rubrik "Lexikon unbrauchbarer Wörter"

„Sagen“ und der Wechsel im Ausdruck

Geschrieben am 25. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Leser sind genervt, wenn sie unentwegt „sagen“ lesen, Redakteure finden in ihrer Not für „sagen“ meist unsaubere Synonyme. So kommentiert auch Alexander Marinos, Vize-Chefredakteur des Bonner Generalanzeiger, auf Facebook den „Friedhof“ gegen den Krampf, Wortwiederholungen zu vermeiden:

Dem ließe sich noch die Unsitte hinzufügen, nach dem ersten „er/sie sagte“ krampfhaft nach anderen redeeinleitenden Verben zu suchen, die nicht passen, die mehr, weniger oder etwas anderes bedeuten als „sagen“ (betonen, meinen etc.).

Meine Antwort:

Danke! Es ist eine Unsitte, zumal die meisten Synonyme für „sagen“ in der Tat wertend sind und in PR-Texte von Pressesprechern gehörten wie  „unterstreichen“ und „behaupten“.

Allerdings nervt es, wenn in einer Nachricht mehrfach „sagen“ zu lesen ist. Nach Wolf Schneider gibt es nur fünf saubere Synonyme für „sagen“, die nicht wertend sind: mitteilen, ankündigen, fortfahren, ausführen, hinzufügen; dazu kommen fünf Verben, die ein Objekt oder eine „dass“-Fortsetzung verlangen: bezeichnen als, bemängeln dass, widersprechen, kritisieren, warnen vor.

Schneiders Vorschlag: Wer fünfmal „sagen“ nutzen will, nehme zuerst „sagen“, dann „mitteilen“, dann wieder „sagen“, dann „fortfahren“ und schließlich noch einmal „sagen“.

„Lächeln“ oder „schmunzeln“ sind für Schneider ungeeignet als Synonyme, da sie stumme Vorgänge sind. Doch kann ein Mensch sprechen und lächeln, so dass die Verschmelzung von „sagen“ und „lächeln“ möglich ist – im Gegensatz zu „grinsen“, dass herablassend ist.

Alexander Marinos:

Wie wäre es mit Formen der Redewiedergabe, die kein redeeinleitendes Verb benötigen: die berichtete Rede mit Redeeinleitung in Fernstellung zum Beispiel oder Zitate, die mit „x zufolge“ oder „wie x sagte“ eingeleitet werden. Bei letzteren erspart man dem Leser zudem den lästigen Konjunktiv. Ich behaupte, man kommt in einem langen Zitatenbericht mit einem, maximal zwei Formen von „sagen“ aus, wenn man die Redewiedergabeformen variiert.

Perfekt! Erweitern wir also die Schneidersche Regel: Nur einmal „sagen“, einmal „mitteilen“ oder „fortfahren“, zweimal „laut X“ oder „wie X sagte“ oder „X zufolge“. Dabei sollten wir so wenig Konjunktive gebrauchen wie möglich (und in der Tat meiden wir ihn bei den Vorschlägen von Marino).

Der Konjunktiv der indirekten Rede hat den Nachteil, dass er wie eine Distanzierung wirkt: Er hat es so ähnlich gesagt, aber ob es stimmt… So wird der Konjunktiv unbeabsichtigt zu einer Kommentierung.

Luther, das rote „W“ und der Wechsel im Ausdruck (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Martin Luther ist ein Vorbild für alle, die die deutsche Sprache schätzen. So luden denn die evangelischen Kirchen in Thüringen zum Adventsempfang in die „unbeheizte“ Augustinerkirche mit einem Vers von Luther, mit dem er gegen gewaltsame Missionierung predigte.

Wer die Menschen von Gott überzeugen will, vertraue nur dem Wort:

Predigen will ich’s,
sagen beabsichtige ich’s,
schreiben befördere ich’s.

Das ist korrektes Deutsch, so wie es Journalisten mögen und Germanisten, Lehrer und Pressesprecher. Korrekt ist es, denn den „Wechsel im Ausdruck“ fordern sie und empfehlen den Kauf eines Synonym-Wörterbuchs.

Luther hatte das Vermögen, korrekt schreiben zu können – aber auch das Glück, keinen neben sich zu haben, der bei jeder Wortwiederholung ein rotes „W“ an den Rand schrieb. Luther durfte sich wiederholen, er tat’s und pries so das Wort:

Predigen will ich’s,
sagen will ich’s,
schreiben will ich’s.

Zwei rote „W“ hätte die Deutschlehrerin Luther an den Rand geschrieben, vielleicht sogar vier, wenn sie auch das dreifache „Ich“ unerträglich fände. So nähme sie zwar den Schwung aus dem Reim, die Kraft aus den Worten und erschwerte das Verstehen, aber vermiede jede Wiederholung.

Nur – wenn ich dasselbe meine, dann sage ich dasselbe: Ein Sturm ist ein Sturm und bei der zweiten Erwähnung ist er immer noch ein Sturm und kein mächtiger Wind.

Für unsere stärksten Wörter finden wir keine Synonyme: Liebe und Hass, Sonne und Mond – es sei denn wir griffen zu gequältem Ersatz und sprächen von „jenem starken Gefühl“ und vom „glühenden Zentralgestirn“.

Nur wenn wir schwache Wörter schreiben, sollten wir Wiederholungen verbieten: Nicht zweimal „aber“ oder „kreativ“ oder „tun“. Auch bei „sollen“ oder „wollen“ reicht ein Mal – es sei denn jemand ist ein Meister wie Martin Luther: Sagen will ich’s, schreiben will ich’s!

Thüringer Allgemeine, 10. Dezember 2012

Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt! (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 26. November 2012 von Paul-Josef Raue.

Frauen sind die Benachteiligung leid, lehnen sich dagegen auf und erregen sich über die Sprache, die überwiegend männlich geprägt ist. Warum nur sind der Gott und der Mensch männlich?

Da haben in Jahrtausenden die Patriarchen  Gott an ihre Seite gestellt und sich selbst über den Rest der Menschheit. Das ist Geschichte.

Die Klugen  wissen, dass unser Fortschritt, unser Wohlstand und der Frieden in unserer Gesellschaft weiblich sind –  und männlich zugleich. Das ist Gegenwart, wenn auch noch ein wenig Überzeugung für die Gestrigen zu leisten ist.

Aber, Ihr Kluginnen und Klugen, müssen wir uns dabei unsere Sprache verbiegen lassen? Kurz sei sie, verständlich und schön: Können wir uns darauf einigen?

„Ein Parallelität zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht (Genus und Sexus) besteht nicht“, steht im Impressum des „Infoblatt der Erfurter Landtagsabgeordneten der Linken“.  Das klingt ein wenig gestelzt, soll aber bedeuten: „Der“-Wörter schließen Frauen mit ein – „der“ Mensch ist auch weiblich, immer und überall.

Doch die Linken halten sich in keinem Artikel ihres Infoblatts daran. Allein fünf Mal erscheinen in einem Artikel die „Lehrerinnen und Lehrer“, einmal dazu „Sozialarbeiterinnen und -arbeiter“ und „Kolleginnen und Kollegen“; in den anderen Artikeln stehen Politikerinnen und Politiker, Kleinkünstlerinnen und Kleinkünstler, Seniorinnen und Senioren.

Wie wäre es im nächsten Infobrief mit einer Meldung wie dieser:  „Gleichstellungspolitiker und Gleichstellungspolitikerinnen und die beauftragen Vertreterinnen und Vertreter laden die Abwesenheitsvertreterinnen und Abwesenheitsvertreter ein, die von Bad Langensalzerinnen und Bad Langensalzaer gewählt worden sind.

Ach, zudem ist unsere Sprache ungerecht auch zu den Männern: Warum ist die Brüderlichkeit  weiblich und der Hampelmann männlich? Die Liebe weiblich und der Hass männlich? Der Verbrecher männlich und der Sündenbock und der Taschendieb – oder haben Sie schon einmal gelesen: Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt?

Der Boulevard im Feuilleton: Ist Wulff grauer geworden?

Geschrieben am 24. November 2012 von Paul-Josef Raue.
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Christian Wulff spricht wieder, öffentlich. Die großen Zeitungen sind dabei, die Zeitungen, die sich Qualitätsmedien nennen. Was er in der Alten Aula der Heidelberger Uni sagt, wird nur am Rande erwähnt.

Das Feuilleton wird zum Boulevard. Der Ex-Präsident hat, beobachtet Jan Wiele in der FAZ, eine neue Brille, randlos „wie in der Zeit vor der Katastrophe“, er ist sichtlich schmaler geworden – und er ist ein bisschen grauer (Anzug und Haare).

In der Welt hat Ulrich Exner den anderen Blick, den Anti-Blick: Wulff wirkt nicht ausgezehrt, nicht so verhärmt; und er bekennt sich zu seiner Scham – für die Mordserie des NSU.

Auch Exner sucht das Graue an Wulff: Dunkelgraue Hose, graues Jackett und graue Krawatte. Und die Haare? Da spielt Exner mit seiner Reporter-Rolle:

Sind da vielleicht ein paar mehr graue Haare? Man kann sich auch lächerlich machen als Beobachter. Christian Wulff sieht ziemlich genau so aus, wie Christian Wulff immer ausgesehen hat.

Ein Lob für die Reporter, der sich selbst mit leiser Ironie beobachten kann!

Ironisch wird auch Jan Wiele in der FAZ: Er nennt Wulffs Rede „postinformativ“; und er legt seine Bibel-Kenntnisse offen und schreibt „wahrlich“ in einer kommentierenden Anmerkung zu Wulffs Honorar, das dieser nicht bekommen hat.

Oder meint er es wahrlich ernst, weil es im Feuilleton steht, dem postinformativen Feuilleton?

(FAZ 23.11.2012 „Der Anfang nach dem ende ist schnell gemacht“ + Welt 23.11.2012 „Der neue alte Wulff“)

(zu: Handbuch-Kapitel 32-33 Die Reportage + 16 Lexikon unbrauchbarer Wörter)

Her mit den Synonymen! Totholzmedium

Geschrieben am 9. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 9. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lexikon unbrauchbarer Wörter.

Das Totholzmedium Print ist nach wie vor ziemlich lebendig.

Stefan Winterbauer auf Meedia am 19.6.2012, als er fünf erfolgreiche Zeitschriften vorstellt. Den Autor treibt die unbändige Journalisten-Lust, Gegensätzliches in poetische Worte zu fassen, also Tod und Leben, was wichtiger klingt als: Vorhersage und Wirklichkeit.

Was wollte der Journalist sagen? Zeitschriften sind nach wie vor lebendig. Ist das zu schlicht?

(zu: Handbuch-Kapitel 13 Der heilige Synonymus + 57 Wie können Zeitungen überleben)

Reisejournalismus, PR und Leitlinien

Geschrieben am 27. August 2012 von Paul-Josef Raue.

Auch Mitarbeiter des Springer-Verlags nehmen Einladungen von Veranstaltern an und schreiben über die Reise. Doch sie teilen es vorbildlich ihren Lesern mit:

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Studiosus Reisen. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axel-springer.de/unabhaengigkeit

Ähnlich ist der Hinweis auf den Auto-Seiten, etwa „Die Reise zur Präsentation des B-Max wurde unterstützt von Ford“ oder „Die Reise nach Pebble Beach wurde unterstützt von Mercedes und Bugatti“.

Statt des unsäglichen Worts „Standards“ heißt es  auf der Webseite: „Leitlinien“.

Quelle: Welt vom 25. August 2012 „Noch einmal Albanien“ / „Freiheit für Hinterbänkler“ / „Oldtimer als Wertanlage“

 

(zu: Handbuch-Kapitel  51-52 Pressesprecher und PR + 48-49 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodices)

Gänsefüßchen in der Sprache der Nazis (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. August 2012 von Paul-Josef Raue.

Wer ein Wort ironisch gedeutet haben will, setzt es in „Gänsefüßchen“; so will er Distanz oder Ironie ausdrücken. Die Nationalsozialisten haben sie oft genutzt, vielleicht sogar erfunden.

Victor Klemperer, Romanistik-Professor in Dresden, schrieb in seinem Wörterbuch des Dritten Reichs:

Chamberlain und Churchill und Roosevelt sind immer nur „Staatsmänner“ in ironischen Anführungszeichen, Einstein ist ein „Forscher“, Rathenau ein „Deutscher“ und Heine ein „deutscher Dichter.“

Die Nazis entzogen Klemperer den Lehrstuhl, da er Jude war; sein „Wörterbuch“ schrieb er abends, wenn er von der Zwangsarbeit zurückkehrte. Seinem Wörterbuch gab er den lateinischen Namen „LTI (Lingua Tertii Imperii), also: die Sprache des Dritten Reichs; so wollte er die Gestapo bei einer Hausdurchsuchung auf eine falsche Fährte locken.

Die Nazis, stellte Klemperer fest, haben keine neuen Wörter erfunden, sie verdrehten einfach den Sinn.

Nach dem Krieg listete der Journalist Dolf Sternberger gut zwei Dutzend dieser Wörter auf: Das „Wörterbuch des Unmenschen“.

Ein Beispiel: „Behandlung“. Das Wort taucht in Hunderten von SS-Dokumenten auf bis hin zur Wendung: Gefangene einer Sonderbehandlung zuführen – „das war ein Euphemismus für den Massenmord“.

„Behandlung“, immer noch ein alltägliches Wort, war für Sternberger ein Begriff der Selbstüberhebung:

„Wer Menschen behandeln will, Menschen schlechthin, wer sich in der Menschenbehandlung üben will, der setzt sich selber über die Menschen. Hier wird ein Über- oder Obermensch postuliert, der sich Untermenschen untertänig macht.“

Neue Bilder braucht der Redakteur!

Geschrieben am 14. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

„Thomas Hollande bemerkt gerade, wie schwierig es ist, ein Feuer auszutreten, wenn man zuvor mit den Schuhen durch eine Benzinlache gelaufen ist.“ Das ist ein neues Bild, ein überraschendes, das sich Sascha Lehnartz hat einfallen lassen (Die Welt, 13. Juli 2012 „Fehlstark für Hollande“).

Ein gutes Sprachbild produziert in unserem Kopf einen Kurzfilm; ein schlechtes verwirrt und führt zum Filmriss, so dass der Leser aufhört, den Artikel weiter zu lesen; ein abgenutztes Bild langweilt, der Film wackelt, wird unscharf.

Abgenutzte und schlechte findet der Leser auch in der Freitag-Ausgabe der Welt in vielen ersten Sätzen:

  • „Das neue Meldegesetz hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst“ (als ob man Stürme „auslösen“ kann, sie brechen über einen herein und verwüsten); 
  • „Hamid traute seinen Augen kaum“; 
  • „Gemessen an der Aufregung, die es verursacht hat, ist das Papier erstaunlich dünn“ (dabei schreibt  die Autorin nicht von feinem Bibelpapier, sondern einer Broschüre, die nur acht Seiten umfasst);
  • „Die Löcherstopfer sind unterwegs“ (illustriert wird der Satz mit Fischen, die Steuereinnahmen auffressen).

Ein abgenutztes Bild nennen wir gern: ein Klischee. Aber auch dies ist ein abgenutztes Bild. Fragen Sie mal einen Volontär, ob er noch ein wirkliches Klischee kennt?

Wer hat ein neues Sprachbild entdeckt? Oder mehrere, die die Sinne erfreuen?

(zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“ + Register „Metapher“)

Sprache und Politik: Myanmar oder Birma? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

Opposition in der Militärdiktatur, 15 Jahre Hausarrest, Friedensnobelpreis und am Ende Freilassung und Einzug ins Parlament: Das ist, in Kürze, das Leben von Aung San Suu Kyi – aus Birma? Oder Myanmar?

Die zierliche Frau mit dem starken Willen nennt ihr Land: Birma (oder „Burma“ in der englischen Version). Die Diktatoren haben jedoch das Land 1989 umbenannt: Myanmar – ein neuer Staatsname als Signal für eine neue Zeit. Auch die aktuelle Regierung will den neuen Namen halten und rügt die Oppositionelle: Vergiss Birma!

Und wie halten wir’s in Deutschland? Lassen wir uns von Diktatoren mit Blut an den Händen diktieren, wie wir unsere Sprache benutzen?

Die „Tagesschau“, „Heute“ und immer mehr Zeitungen folgen den Machthabern und tauschen Birma gegen „Myanmar“ ein.

Als vor knapp dreißig Jahren in Teheran eine weltliche durch eine religiöse Diktatur abgelöst wurde, trennten wir uns von dem schönen „Persien“ und nannten das Land, ohne Not, „Iran“ – ein schmuckloses Wort, das sich kaum vom „Irak“ unterscheidet: Man muss schon genau hinhören. Zum Glück gibt‘s noch die Perser-Teppiche.

Andere Völker sind nicht so devot. Die Franzosen nennen uns immer noch Alemannen nach einem kleinen Volksstamm im Südwesten; die Engländer bleiben bei den Germanen und denken gar nicht daran, uns „Deutsche“ zu nennen.

Unsere Sprache gehört nur uns! So selbstbewusst geben sich die großen Sprachen dieser Welt. Wir dagegen laufen jedem Diktator hinterher, biedern uns an – und müssen uns von einer selbstbewussten Friedensnobelpreisträgerin belehren lassen.
 
 

Endlich! Die Süddeutsche „in dezent anderem Gewand“

Geschrieben am 7. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.

Ohne Pauken, ohne Trompeten kündigt die Süddeutsche an, am Montag das Blatt aufzuräumen: Neue Schrift, weniger Staub, leichtere Orientierung. Die Bilder sollen nicht größer werden, die Texte nicht kürzer, wenn sie nur gut sind.

So schreibt Kurt Kister, der Chefredakteur, am heutigen Samstag auf der Titelseite: „Schrift-Wechsel. Von Montag an erscheint die SZ in dezent anderem Gewand“. Nichts Konkretes ist zu lesen, dennoch sind die 75 Zeilen Relaunch-Ankündigung ein Muster für alle, die ihren Lesern (und Redakteuren) die Furcht vor der Veränderung nehmen wollen:

1. Nichts andern! Denn – „Zeitung ist auch Gewöhnung und Ordnung“. Und, nächste Warnstufe: „Eine Veränderung des Erscheinungsbildes ist riskant, denn für viele Leser gibt es nichts Schlimmeres als das Gefühl, die Zeitung sei nicht mehr das, was sie früher war.“

2. Doch ein bisschen ändern! Ein bisschen modern! Denn „manchmal muss man Altbewährtes auch behutsam verändern, es den Zeitläuften anpassen und hie und da modernisieren.“ Man lese genau: Um aufs Moderne hinzuweisen, wird die Sprache ganz alt: „Altbewährtes“ (als wenn es Neubewährtes gibt), „Zeitläufte“ (damit ja keiner dem „Zeitgeist“ verfällt), „hie und da“.

3. Aha! Wir müssen ändern, damit uns die Leser nicht weglaufen! Denn – „eine Tageszeitung, die sich nicht verändert, bleibt stehen.“ Und übrigens haben wir uns „ohnehin immer wieder in kleinen Schritten verändert“. Nur – wie bei allen Zeitungen – machen solche planlosen Veränderungen die Ordnung selten besser, aber den Leser verwirrter und das Chaos chaotischer. Ein paar Zeilen weiter ist der Chefredakteur auch ehrlicher: Wir müssen aufräumen.

4. Wir treiben es aber nicht so wild wie andere Zeitungen! Denn – „manche Kollegen in anderen Zeitungen haben mit gewaltigen Relaunches ihre Leser mehr verschreckt als animiert.“ Ein Schelm, wer an die Frankfurter Rundschau denkt, die – wohl im Kontrast zur SZ – kein „ordentliches Blatt“ ist.

Wen nur meint Kurt Kister, wenn er schreibt: „Es gibt einen bestimmten neuen Typ eher kleinformatiger, etwas bunter Blätter mit nicht ganz so langen Texten, die bei Zeitungsdesignern beliebt sind, von vielen Lesern allerdings weniger geschätzt werden“?

Und wer legt bei der SZ die Designerhand an?

5. Wir haben den Designer-Jargon auch drauf, selbst wenn wir ein ordentliches Blatt sind! Die neue Schrift („evolutionär“!) ist „moderner, vielfältiger verwendbar und gefälliger“. Das sagt wenig, klingt aber gut.

„Mehr am Montag“, so schließt der Chefredakteur. Mehr am Montag.

(zu: Handbuch-Kapitel 40 „Das Layout“)

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