Alle Artikel der Rubrik "Lexikon unbrauchbarer Wörter"

Nüchtern und kreativ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Menschen werden älter, die Jungen werden weniger, das ist die Gesellschaft von morgen. Damit wir nicht allzu sehr erschrecken, verstecken wir uns hinter einem wissenschaftlichen Begriff: „Demografischer Wandel“.

Der Wandel macht allen zu schaffen, auch den Kirchen. Was machen sie mit einem Wandel? Sie diskutieren ihn. Und wie? „Nüchtern – mutig – kreativ“, so steht es in einer Einladung der beiden großen Kirchen in Erfurt.

Dass die frommen Männer nebst Bauminister Carius dem Alkohol entsagen beim Diskutieren und Reden, hatte ihnen schon Luther, die Bibel übersetzend, empfohlen:

„Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe.“

Nüchtern reicht nicht aus, auch kreativ soll es sein. Wie schrieb Luther? „Und Gott war kreativ.“

Nein, Luther übersetzte: „Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut.“

Wer kreativ ist, der schafft etwas – die ganze Welt, ein Gedicht oder ein Blumenbeet. Jeder Mensch, der etwas schafft, ist kreativ.

„Kreativ“ ist ein leeres Wort, ein Modewort geworden, vor allem in der Werbung. Es hat keinen Inhalt mehr. Es gehört, ganz nüchtern, auf den Friedhof der Wörter.

(Thüringer Allgemeine 14. Mai 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Grass und das „Wörterbuch des Unmenschen“

Geschrieben am 7. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Günter Grass ist nicht der erste, der den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff der „Gleichschaltung“ nutzt, wenn er von der Presse in einem demokratischen Staat spricht. Vor fünf Jahren sprach Eva Herman schon von der „gleichgeschalteten Presse“. Stefan Niggemeier kommentierte nach Hermanns Auftritt und Rauswurf bei „Kerner“ in seinem Blog:

„Das eigentlich Erschreckende ist, wie dumm jemand sein kann, wie ahnungslos, wie dilettantisch und laienhaft in einer Medienwelt, in der sie sich seit vielen Jahren professionell bewegt.“

Dumm ist Grass sicher nicht, aber auch er hat sich in seiner Opferrolle eingekuschelt (wie es Niggemeier 2007 über Eva Hermann geschrieben hatte).

Nobelpreisträger für  Literatur haben bisweilen groben politischen Unsinn verbreitet, mit der Sprache sollten sie schon schonend umgehen können. Wenn Grass von „Gleichschaltung“ spricht, nutzt er einen Begriff der Nationalsozialisten; Gleichschaltung der Presse war das Diktat des Führers und des Propaganda-Ministers, damit alle derselben Ideologie folgen bis in die Wahl der Wörter hinein.

In einem Interview mit Heribert Prantl, heute in der “ Süddeutschen“ veröffentlicht (7. April 2012), sagt Grass:

„Ich rede nicht von der Gleichschaltung wie in einem totalitären Staat. Wenn in einer Demokratie der Eindruck von Gleichschaltung entsteht, ist das ja noch schlimmer.“

 Dolf Sternberger schrieb mit anderen nach dem Krieg das „Wörterbuch des Unmenschen“,  in das er die Phrasen der Unmenschlichkeit notierte. Auch wenn „Gleichschaltung“ nicht in Sternbergers Sammlung steht, so gehört das Wort zu denen, die typisch sind für die Ideologie der Nazis.

Was treibt den Nobelpreisträger an, die freie Presse in unserem demokratischen Staat mit der Presse im Nationalsozialismus nicht nur gleichzustellen, sondern als „noch schlimmer“ zu verhöhnen?

„Der Verderb der Sprache ist der Verderb der Menschen.“ (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen)

„Nachvollziehen“ auf dem Friedhof der Wörter

Geschrieben am 5. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie muss man sich die „nachvollziehbare Möglichkeit eines Beischlafs“ vorstellen? So stand es in einem Zeitungsbericht über eine Gerichtsverhandlung; der TA-Leser Heinz-Ulrich Görwitz aus Berka hat es ihn entdeckt.Er schreibt: „Kommt man da nicht auf den Gedanken, dass die Herren Rechtsgelehrten diesen besagten Beischlaf genüsslich virtuell nachvollzogen haben?“

„Nachvollziehen“ ist für den 89-jährigen Leser ein Unwort, zu begraben auf dem „Friedhof der Wörter“. Dort gehört es hin, in der Tat. Doch wir kommen an dem Wort in seiner eigentlichen Bedeutung nicht vorbei.

Gerade Richter müssten es wissen: Sie kennen den Vollzug als Kurzform für den Strafvollzug; der Vollzugsbeamte erscheint regelmäßig in den Gerichtssälen; sie erwarten eine Vollzugsmeldung, um zu erfahren, dass etwas, was sie angeordnet haben, auch wirklich „vollzogen“ wurde.

„Vollziehen“ bedeutet schlicht: machen. Der große sechsbändige Duden übersetzt es: „etwas verwirklichen, in die Tat umsetzen, ausführen“. So führt beispielsweise der Gerichtsvollzieher aus, was ein Richter angeordnet hat.

Nachvollziehen ist eine unsinnige Erweiterung von „vollziehen“ und kann nichts anderes bedeuten als: nachmachen, etwas kopieren. Das Modewort „nachvollziehen“ hat die Bedeutung ins Undeutliche verschoben und meint: nachempfinden, nachfühlen, einsehen, verstehen, kapieren, sich klar machen.“

„Ich kann das Attentat nicht nachvollziehen“, sagt ein Politiker. Wir hätten es ihm auch nicht zugetraut.

(Diese Kolumne erscheint, leicht verändert, in der Thüringer Allgemeinen vom 5. März 2012)

(Zu: Handbuch-Kapitel 16  „Lexikon unbrauchbarer Wörter“.)

 

„Schweinejournalismus“

Geschrieben am 28. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

So nannte Jürgen Trittin den Vorwurf der „taz“ über Joachim Gauck, er habe den Holocaust verharmlost – zu sehen in Maybrit Illners Talkshow am 23. Februar. Das Wort prägte wohl Oskar Lafontaine. 1995 schrieb Hans-Werner Kilz, einst Chefredakteur von  „§piegel“ und „Süddeutscher Zeitung, im immer noch empfehlenswerten „Spiegel Spezial“ über Journalisten:

„Lafontaine und andere Mitglieder der saarländischen Landesregierung gerieten in Verdacht, sich zu eng mit Saarbrücker Kiez-Größen eingelassen zu haben. Diesem Umstand verdankt die Öffentlichkeit eine Lafontaine-Wortschöpfung, die das Berufsfeld der Medienschaffenden um eine neue Gattung bereichert – den „Schweinejournalismus“. Falsches stand nicht in den Blättern, nur Unangenehmes.

Doch seitdem denkt der Sozialdemokrat darüber nach, was er als Politiker gegen verwilderte Sitten im Journalismus tun kann, jedenfalls dort, wo er bestimmen kann. Und natürlich ist ihm etwas eingefallen: Das Saarland hat seit einigen Monaten ein neues, schärferes Pressegesetz, von dem der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, sagt, daß damit „an der Freiheit der Presse genagt“ werden soll.

Nun muß nicht alles, was dazu gedacht ist, böse Journalisten zu zügeln, gleich als Attentat auf die Pressefreiheit empfunden werden. Auch Journalisten sündigen. Doch wenn Oskar Lafontaine überlegt, „wie der investigative Journalismus in seine ethischen Schranken zurückverwiesen werden kann“, ist Vorsicht geboten. Da fühlen sich Rechercheure und Autoren bei anderen besser aufgehoben.

Geht es nach dem Saarländer, werden Zeitungen künftig nach politischen Enthüllungen maßlos lange Gegendarstellungen drucken müssen, die sowieso schon ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt abgefaßt werden können. Ein erläuternder Zusatz der Redaktion ist an gleicher Stelle nicht erlaubt.“

Dies  saarländische Pressegesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Von der Westbank gibt’s kein Geld – Friedhof der Wörter

Geschrieben am 27. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Mexico City.
„Gebrauchsanweisung für Mexiko-City“ titelte eine überregionale Zeitung. Warum „Mexikon-City“? Eine spanischsprachige Stadt können wir spanisch oder deutsch benennen – aber warum englisch? Spanisch,amtlich: Ciudad de México. Deutsch: Mexiko-Stadt, die Stadt Mexiko, oder einfach: Mexiko, denn nur selten bleibt unklar, ob man Stadt oder Land meint.

Mittlerer Osten
ist ein Anglizismus für „Naher Osten“. Für Engländer ist „Near East“ der Balkan und die Türkei; also müssen sie denjenigen Osten, der für uns noch nah ist, bereits als „Middle East“ bezeichnen.

Skandinavien.
„Das Erfolgsgeheimnis der skandinavischen Staaten“, überschrieb „Focus“ einen Artikel im vergangenen Jahr, „Was Schweden, Norwegen und Finnland richtig machen.“ Verwirrender geht es nicht. Denn Skandinavien heißt:
1. geographisch: Norwegen und Schweden,
2. bei den «Scandinavian Airlines»: dazu Dänemark (Sitz der SAS ist Kopenhagen),
3. für die Schweden (aus historischen Gründen): auch Finnland,
4. für Dänen und Norweger (aus historischen Gründen): auch Island.
Man muss also entweder die Länder, die man meint, aufzählen oder von den „nordischen Staaten“ sprechen, wenn man alle meint.

Westbank ist einer der schamlosesten Anglizismen. Sie ist weder ein Kreditinstitut noch eine Sitzgelegenheit, sondern die Nicht-Übersetzung von Westufer, zumal des Jordans, daher «Westbänk» gesprochen. Es gibt nicht nur im Westjordanland ein westliches Ufer, sondern auch am Nil und jedem anderen Fluss, also Westbanks ohne Ende.

(zu: Handbuch, Kapitel 16 “ „Lexikon der unbrauchbaren Wörter“)

 

Früh? Oder zeitig? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Zum dritten Mal begraben wir die wirklichen Unwörter, also unbrauchbare, missglückte, abgenutzte und aufgeblähte, die wir dennoch immer wieder hören und lesen:

Eigeninitiative
„Kleine und mittlere Unternehmen schätzen Eigeninitiative bei ihren Mitarbeitern“, schreibt eine Zeitung in ihrem „Karriere“-Teil. Wer, wenn nicht der Mitarbeiter selber, sollte mit der Arbeit beginnen, für die er bezahlt wird?
Initiative ist dem lateinischen Wort „Initium“ entsprungen, und das bedeutet: Anfang. „Eigeninitiative“ ist also eine törichte Verdoppelung: Initiative heißt ja, dass einer den Anfang macht.

Frontlinie
Noch eine Verdoppelung! „Fotografen an der Frontlinie“ schrieb eine Zeitung im September über eine Ausstellungs-Rezension. Im Französischen, das uns die „Front“ auslieh, bedeutet es: „Die erste Reihe“. Die Front ist also eine Linie.

Frühzeitig
Und noch eine geschwätzige Verdoppelung! „Kapitän verließ frühzeitig das sinkende Schiff“, titelte eine Boulevardzeitung, als sie über Francesco Schettino schrieb nach der Kollision der „Costa Concordia“ mit einem Felsen.
Wann hatte nun der Kapitän das Schiff verlassen? Früh? Oder zeitig? Beides zusammen ist Unsinn. Was wollte der Redakteur sagen? Zu früh hat der Kapitän das Schiff verlassen – eben bevor alle Passagiere in den Rettungsbooten saßen. (Thüringer Allgemeine, 20. Februar 2012, Kolumne „Friedhof der Wörter“)

(zu: Handbuch Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Örtliche Aufheiterungen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Zum zweiten Mal begraben wir die wirklichen Unwörter, also unbrauchbare, missglückte, abgenutzte und aufgeblähte, die wir dennoch immer wieder hören und lesen:

Abgesehen davon, dass

„Abgesehen davon, dass Griechenland, Irland und Spanien inzwischen bis an die Schmerzgrenze sparen: Die Märkte testen die Widerstandsfähigkeit der Europäer mit brutaler Konsequenz.“

Eine junge Chinesin, des Deutschen kundig, versteht diesen Satz nicht, den sie in einer Zeitung gelesen hat. Dabei ist der Satz leicht zu verstehen, wenn sich der Autor ein wenig Mühe gegeben hätte: Er streicht das „Abgesehen davon, dass“ und formuliert einfach zwei Hauptsätze und setzt zwischen ihnen einen Punkt oder, noch besser, ein Semikolon.
„Abgesehen davon, dass“ ist stets entweder eine Anmaßung („Von örtlichen Aufheiterungen abgesehen…“, sagt der Wetterbericht. Woher weiß er aber, dass ich gerade vom einzig Erfreulichen am Wetter abzusehen wünsche?) – oder eine Antinachricht: Alles, wovon der Leser absehen soll, sollte man schlüssigerweise weglassen.

Bereich

„Feuerwehr: Brandherd wohl im Bereich der Kinderzimmer“, lesen wir in der Zeitung nach dem Feuer in einem Aachener Haus, bei dem im Januar drei Kinder starben. Sprechen wir so? Nein, wir rufen zu: Der Brand ist in den Kinderzimmern ausgebrochen! Der „Bereich“ ist überflüssig, wird oft gebraucht, ist aber stets nutzlos.
„Der Wagen verunglückte im Kurvenbereich?“ Nein, in einer Kurve.

„Im innerschulischen Bereich nimmt die Gewalt zu.“ Nein, in der Schule nimmt die Gewalt zu. „Bereich“ ist ein Blähwort: Acht Silben für den abstrakten „innerschulischen Bereich“, vier für das bildhafte „in der Schule“. (Thüringer Allgemeine, 13. Februar 2012, Kolumne „Friedhof der Wörter“)

(zu: Handbuch Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Geschwätzige Verdoppelung (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 6. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Im Februar begraben wir die wirklichen Unwörter, also unbrauchbare, missglückte, abgenutzte und aufgeblähte, die wir dennoch immer wieder hören und lesen.

Missglücktes Attentat
„Missglücktes Attentat am Times Square: Autobomber handelte offenbar allein“ lautete die Schlagzeile einer Zeitung im Mai 2010. Für wen wäre es ein Glück gewesen, wenn das Attentat gelungen wäre? Nicht für über 99 Prozent der Zeitungsleser.
Ein Attentat kann misslingen, scheitern, verhindert werden; „missglücken“ kann nur etwas, bei dem das Glücken vom normalen Leser als Glück empfunden worden wäre.

Attentatsversuch
„Landeskriminalamt weiß doch von Attentatsversuch“, war im November in den Radionachrichten zu hören über einen Sprengsatz in Stadtroda, der 1997 misslungen war.
Das „Attentat“, seit 500 Jahren auch ein deutsches Wort, bedeutet: Der Versuch. „Adtemptatio“, lateinisch, war der Versuch, das Recht zu brechen. Seit dem 19. Jahrhundert haben wir im Deutschen die Bedeutung eingeschränkt: Das Attentat ist der Versuch, einen politischen Gegner zu töten.
Attentatsversuch ist also eine geschwätzige Verdoppelung von „Attentat“. Ein Mordanschlag kann scheitern; ein Attentat bleibt er doch.

_____ (Thüringer Allgemeine, 6. Februar 2012, Kolumne „Friedhof der Wörter“)

(zu: Handbuch Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

Deutscher Rekord: 85-Buchstaben-Wort (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 30. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die englische Sprache hat ihre Vorzüge. Ihre Wörter sind in der Regel kürzer als die deutschen. So haben sich lange vor Erfindung der Anglizismen schöne Einsilber in die deutsche Sprache eingenistet: Die „Bar“ zum Beispiel, das „Steak“ und der „Toast“.

Bei Bar und Steak fällt niemandem, selbst dem eingefleischten Englisch-Hasser, ein deutsches Wort ein, das sich mit dem englischen messen könnte. „Toast“ oder „Röstbrot“? Freunde der deutschen Sprache, die den „Anglizismen-Index“ herausgeben, können sich das „Röstbrot“ durchaus vorstellen; und den „Toaster“ als „Brotröster“.

Auch das „Röstbrot“ ist ein kurzes, sogar bildhaftes Wort. Doch es taugt nicht für den Alltag. Wer im Restaurant einen Salat bestellt mit Röstbrot, der wird den verdutzten Blick der Kellnerin aushalten müssen. „Ach so, Sie meinen einen Toast!“

Den Ehrgeiz der Deutschen, sehr lange Wörter zu bilden, teilen Engländer und Amerikaner nicht. Ein Wort mit 85 Buchstaben ist im Englischen unmöglich. 85 Buchstaben – das ist deutscher Rekord, vor zehn Jahren entdeckt von der Duden-Redaktion in der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Das längste Wort, das mindestens vier Mal belegt ist, hat 67 Buchstaben. Mit diesen Bandwurm-Wörtern endet diese Kolumne. Mehr Qual soll nicht sein:

85: Schauspielerbetreuungsflugbuchungsstatisterieleitungsgastspielorganisationsspezialist

67: Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung

Schlecker-Pleite: „For you vor Ort“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 23. Januar 2012 von Paul-Josef Raue.

Tragen vier einsilbige Wörter einen Teil der Schuld, warum der Drogerie-Supermarkt „Schlecker“ Pleite geht? Diese vier Wörter sind das neue Unternehmensmotto, vor einem Jahr getestet und für gut bewertet: „For you vor Ort“.

Ist dieser englisch-deutsche Zwitter ein törichtes Motto? Ein Anglizismus, der noch mehr zu verachten ist, weil er Deutsches und Englisches mischt?

Immerhin hat eine große Werbeagentur das Motto vielen vorgeführt; es hätte durchfallen können – und ist es nicht. „For you vor Ort“ nutzt zwei englische Wörter, die jeder versteht, ohne die englische Sprache zu sprechen.

Dies „For you“ ist ein Gruß, den nicht nur junge Leute gerne nutzen, wenn sie zu einem Menschen besonders freundlich sind: „Für Dich“ ist Liebe, „for you“ ist liebevoll, also ein Grad kühler im Ton. Liebevoll wollte sich „Schlecker“ zeigen, da sich der Konzern einen schlechten Ruf eingefangen hatte wegen des Umgang m it seinen Mitarbeitern.

„Vor Ort“ , die beiden deutschen Wörter, sind die schwächeren. Im Lexikon unbrauchbarer Wörter, im „Neuen Handbuch des Journalismus“, Kapitel 16  zu finden, steht:

„Vor Ort – Fachwort der Bergmannsprache, zum regierenden Modewort geworden statt:
1. ,an Ort und Stelle‘,
2. ,da‘ (Meyer war auch da),
3. gar nichts (,Der Minister war an der Unglücksstelle vor Ort‘).

Der halbe Anglizismus brachte einige deutsche Sprachpfleger in Rage, noch mehr aber eine Rechtfertigung des Schlecker-Pressesprechers: Wir wollen mit dem Motto Menschen auf „niedrigeren bis mittleren Bildungsniveau“ anziehen und nicht die fünf Prozent Akademiker, die über die Sprache nachdenken.

Es war wie beim Bundespräsidenten: Die Reaktion war schlimmer als die Aktion. (Thüringer Allgemeine, 23. Januar 2012;  Kultur-Kolumne „Friedhof der Wörter“)

 

(Zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter)

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