Alle Artikel der Rubrik "PR & Pressestellen"

Eine Satire: Shitstorm für 200.000 Euro kaufen

Geschrieben am 5. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wir sind auf eine fiktive Shitstorm-Agentur hereingefallen, wir entschuldigen uns – so die SZ in ihrem Feuilleton vom 6. April über ein Interview, das sie am 5. April veröffentlicht hatte und das Grundlage dieses Blog-Eintrags war:

Oliver Bienkowski heuert Obdachlose an, nennt sie „Partner“, setzt sie vor einen Computer und lässt sie Mails oder Tweets schreiben – für Menschen oder Organisationen, die einen Shitstorm brauchen und dafür zahlen. Die kleine, die S-Version, kostet 4999 €, die größte, die XL-Version, 199.000 €. Die Süddeutsche führt in der Ausgabe vom 5. April ein Interview mit Bienkowski, der Geschäftsführer von „Caveman Guerilla Marketing Agentur“ ist.

Kunden sind mittelständische Unternehmen und Privatleute. Die Agentur passt auch auf, dass der Sturm nicht in die falsche Richtung bläst.

Läuft die Diskussion einmal in eine Richtung, sorgen unsere Partner dafür, dass sie auch dort bleibt. Sie kippen ja immer wieder neues Öl ins Feuer. Aber es ist ja auch ganz einfach: Wenn auf einem Marktplatz zehn Leute mit dem Finger auf den Himmel zeigen, dann gucken alle nach oben. Das ist das deutsche Lemming-Prinzip. Einer läuft über die Klippe, dann laufen alle anderen hinterher.

Auch die Parteien und seriösen Medien bekommen von Bienkowski ihr Fett ab. Vor der Wahl sammelten die Parteien Follower und Likes, aber kommunizieren nicht wirklich mit ihnen – und nach der Wahl lassen sie Social Media wieder einstauben.

Und der Dialog der klassischen Medien mit ihren Lesern?

Gucken Sie sich nur die sogenannten Diskussionsforen an, in denen sich Menschen anonym beschimpfen oder auch viele Nutzerkommentare unter Artikeln von klassischen Medien. Das sind doch keine Dialoge. Da toben sich nur Trolle aus.

Ist es nicht zynisch, was Sie anbieten?, fragt Bernd Graff von der SZ zum Schluss:

Guerilla-Marketing arbeitet immer in einer Grauzone. Und solange nicht höchstrichterlich entschieden ist, dass das verboten ist, solange machen wir das.

Keine Pressekarten mehr nach schlechten Kritiken!

Geschrieben am 18. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Musikkritiker des Corriere della Sera bekommt keine Pressekarten mehr, weil er die Institution Scala schlecht gemacht habe, sagte ein Sprecher des Opernhauses in Mailand. „Wenn Paolo Isotta die Scala besuchen möchte, soll er sich Karten und ein Programmheft kaufen.“

Was wäre, wenn es überhaupt keine Pressekarten mehr gäbe? Und keine Journalistenrabatte?

(Quelle: SZ 11. März 2013)

Wann beginnt journalistisches Kesseltreiben gegen Politiker?

Geschrieben am 10. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Manchmal irritiert mich die Selbstgerechtigkeit unserer Zunft: Zu viele klopfen sich auf die Schultern, ja rühmen sich, die Ministerin Schavan fertig gemacht zu haben. Ist es Aufgabe von Journalisten, Politik zu machen, Minister zu stürzen?

Sicher haben Journalisten Macht, vor allem die Macht und die Pflicht, zu recherchieren und den Mächtigen auf die Finger zu schauen und zu klopfen. Wir schreiben im Handbuch dazu im Kapitel „Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“:

Über Verfehlungen von Politikern lässt sich sagen: Die Presse hat so viele aufgedeckt, dass vermutlich kein hohes Risiko besteht, Verstöße gegen das Recht oder den politischen Ehrenkodex könnten lange unter der Decke bleiben. Zuweilen scheint eher die umgekehrte Sorge berechtigt: dass ihre Macht einige einflussreiche Journalisten dazu verführt, gegen einen Politiker auch wegen einer Lappalie ein Kesseltreiben zu veranstalten.

Ein Kesseltreiben beginnt, wenn

– die Verfehlung nicht ausreichend recherchiert ist (etwa im Fall Schavan: Warum lässt die Uni Düsseldorf keinen externen Gutachten zu? Warum hat die Universität vor Jahrzehnten nicht ausreichend bei der Promotion geprüft?)

– die Verfehlung lange zurückliegt.

Dazu mein Leitartikel zum Schavan-Rücktritt, geplant für die Thüringer Allgemeine 11. Februar 2013 mit dem Titel „Die Gnade des Vergessens“:

Wissen Sie noch, welche Dummheiten Sie mit 25 gemacht haben?

Joschka Fischer zum Beispiel gehörte der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ an, die Gewalt als Mittel der Politik gutheißt; er marschierte bei Demonstrationen mit, die in Straßenschlachten endeten.

Joschka Fischer wurde Außenminister der Bundesrepublik Deutschland.

Annette Schavan war eine fromme junge Frau, die auch Theologie studierte, mit 25 Jahren promoviert wurde mit einem Thema über die Bildung des Gewissens; danach wählte sie katholische Bischöfe zu ihren Arbeitgebern.

Annette Schavan wurde auch Ministerin der Bundesrepublik; sie trat am Sonntag zurück, weil sie mit 25 nicht gewissenhaft gearbeitet haben soll.

Das sind zwei Politiker-Schicksale in Deutschland zu einer Frage, die nicht nur in der Politik gestellt wird: Wie lange dürfen uns unsere Fehler vorgeworfen werden? Wann soll, ja muss das Vergessen beginnen?

Das Bürgerliche-Gesetzbuch nennt als Frist für Verjährung drei Jahre; es gibt einige Ausnahmen. Diese Frist ist vor einem Jahrzehnt radikal verkürzt worden – um aus einer rachsüchtigen Gesellschaft eine tolerante zu machen.

Im Strafrecht darf ein Totschläger nach zwanzig Jahren mit Verjährung rechnen; nur wer mordet, ist von der Gnade des Vergessens ausgeschlossen.

So weit sind unsere Gesetze. Wie weit sind wir, die Bürger eines freien Landes? Müssen wir die Kunst des Vergessens noch lernen?

(zu: Handbuch-Kapitel 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht + 48-49 Presserecht und Ethik)

„Sagen“ und der Wechsel im Ausdruck

Geschrieben am 25. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Leser sind genervt, wenn sie unentwegt „sagen“ lesen, Redakteure finden in ihrer Not für „sagen“ meist unsaubere Synonyme. So kommentiert auch Alexander Marinos, Vize-Chefredakteur des Bonner Generalanzeiger, auf Facebook den „Friedhof“ gegen den Krampf, Wortwiederholungen zu vermeiden:

Dem ließe sich noch die Unsitte hinzufügen, nach dem ersten „er/sie sagte“ krampfhaft nach anderen redeeinleitenden Verben zu suchen, die nicht passen, die mehr, weniger oder etwas anderes bedeuten als „sagen“ (betonen, meinen etc.).

Meine Antwort:

Danke! Es ist eine Unsitte, zumal die meisten Synonyme für „sagen“ in der Tat wertend sind und in PR-Texte von Pressesprechern gehörten wie  „unterstreichen“ und „behaupten“.

Allerdings nervt es, wenn in einer Nachricht mehrfach „sagen“ zu lesen ist. Nach Wolf Schneider gibt es nur fünf saubere Synonyme für „sagen“, die nicht wertend sind: mitteilen, ankündigen, fortfahren, ausführen, hinzufügen; dazu kommen fünf Verben, die ein Objekt oder eine „dass“-Fortsetzung verlangen: bezeichnen als, bemängeln dass, widersprechen, kritisieren, warnen vor.

Schneiders Vorschlag: Wer fünfmal „sagen“ nutzen will, nehme zuerst „sagen“, dann „mitteilen“, dann wieder „sagen“, dann „fortfahren“ und schließlich noch einmal „sagen“.

„Lächeln“ oder „schmunzeln“ sind für Schneider ungeeignet als Synonyme, da sie stumme Vorgänge sind. Doch kann ein Mensch sprechen und lächeln, so dass die Verschmelzung von „sagen“ und „lächeln“ möglich ist – im Gegensatz zu „grinsen“, dass herablassend ist.

Alexander Marinos:

Wie wäre es mit Formen der Redewiedergabe, die kein redeeinleitendes Verb benötigen: die berichtete Rede mit Redeeinleitung in Fernstellung zum Beispiel oder Zitate, die mit „x zufolge“ oder „wie x sagte“ eingeleitet werden. Bei letzteren erspart man dem Leser zudem den lästigen Konjunktiv. Ich behaupte, man kommt in einem langen Zitatenbericht mit einem, maximal zwei Formen von „sagen“ aus, wenn man die Redewiedergabeformen variiert.

Perfekt! Erweitern wir also die Schneidersche Regel: Nur einmal „sagen“, einmal „mitteilen“ oder „fortfahren“, zweimal „laut X“ oder „wie X sagte“ oder „X zufolge“. Dabei sollten wir so wenig Konjunktive gebrauchen wie möglich (und in der Tat meiden wir ihn bei den Vorschlägen von Marino).

Der Konjunktiv der indirekten Rede hat den Nachteil, dass er wie eine Distanzierung wirkt: Er hat es so ähnlich gesagt, aber ob es stimmt… So wird der Konjunktiv unbeabsichtigt zu einer Kommentierung.

Öffentlich-rechtliches „Schmierentheater“

Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

So scharf geht selbst die FAZ selten mit ARD und ZDF ins Gericht. Als „Schmierentheater“ und „einzigartiges Schauspiel“ und „einfach lächerlich“ kommentiert Michael Hanfeld die Reaktion des Senders auf den Anruf des CSU-Pressesprechers im ZDF-Nachrichtenraum, um Einfluss aufs Programm zu nehmen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist von den politischen Parteien abhängig bis ins Mark. Er hat so wenig Luft zum Atmen, dass der größte Sender Europas sich ein wenig Freiraum verschaffen muss, indem er die Anrufe eines bedauernswerten Pressesprechers zum Angriff auf die Pressefreiheit stilisiert… Die ,Staatsferne‘, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszeichnen soll, ist eine Chimäre.“

Jede Redaktion müsse solchem Ansinnen lässig begegnen können. „Anrufe von Pressesprechern und anderen, freundliche oder unfreundliche, berechtigte Kritik, Beschwichtigungen oder Drohungen sind für Journalisten Tagesgeschäft. Wollte man derlei an die große Glocke hängen, käme man zu nichts anderem mehr.“

FAZ, 3. November 2012 „Geld gegen Proporz“

(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik + 51- 52 Pressesprecher und PR)

Wie Politiker in Thüringen auf Journalisten Einfluss nehmen – oder: Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch

Geschrieben am 28. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Mächtigen in Thüringen waren auch nicht besser als die Bayerns, schreibt Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), in seinen Erinnerungen, die er am Sonnabend in seiner Zeitung veröffentlicht hat (27.10.2012): „Je absoluter die Mehrheit, desto rüder der Versuch politischer Einflussnahme“. Er schreibt:

Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen. Es war nie ein Spiel, es war immer ein Machtkampf.“

Einzigartig dürfte sein: Hans Hoffmeister hat über die Einflussnahmen nicht nur an journalistischen Stammtischen erzählt, sondern immer auch in seiner Zeitung – „weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.“

Er weist darauf hin, dass solche Einflussnahmen nach der friedlichen Revolution in Thüringen umso schwerer wogen: „Die Pressefreiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen.“

Hoffmeister zählt das Arsenal der Beeinflussung detailliert auf:

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los.

In seinem Essay nennt Hoffmeister ein knappes Dutzend Namen quer durch alle Parteien, er berichtet von Pressesprechern bei Ministerpräsident Vogel, „durchtrieben“ und „ungeniert“; vom Versuch, seine Entlassung zu betreiben. Er berichtet vom stellvertretenden Ministerpräsidenten und seiner „brutalen Einflussnahme“; von einem Ex-Wirtschaftsminister, der mit einer Abbestellungswelle drohte, wenn nicht positive Artikel kurz vor der Wahl erschienen.

Positiv sieht Hoffmeister den aktuellen Regierungssprecher Zimmermann: „Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten.“

Der komplette Hoffmeister-Essay aus der TLZ (unredigiert):

Weimar. So etwas wie in Bayern gab’s in Thüringen auch. Nicht anders als in manchem anderen Bundesland. Je absoluter die Mehrheit, desto rüder versuchen Regierende politisch Einfluss auf journalistische Inhalte und damit auf Redaktionsspitzen zu nehmen. Mit mir haben sie in mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten als Chefredakteur in Thüringen (fast) alles versucht, um von Fall zu Fall ihr Ziel zu erreichen.

Wir haben im Laufe der Jahre im Blatt immer mal recht offen darüber berichtet – in Rückblicken -, weil wir das auch für eine gute Prävention hielten.

Organisieren von Nähe, bei Nichterfolg Abstrafen, diskriminierende Platzierung bei Tisch – nämlich am Rande -, verweigertes Handgeben, Nichtzuteilung des Wortes in Konferenzen, Ausspielen gegen andere Kollegen, Herbeizitieren und künstliches Aufregen über missliebige Kommentare, Wettbewerbstitel bevorzugt behandeln, Schmorenlassen in Missachtung, dann plötzlich Aufheben des Bannes mit unvermittelt freundlichen Briefen und geneigter Zuwendung – und das Spiel ging von vorne los. Nur dass es leider kein Spiel war. Es war ein Machtkampf.

Das war früher. Und man dachte, das ist vorbei. Dass der Sprecher des CSU-Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten – wie jetzt in Bayern – eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ungeniert, offen und öffentlich sogar per SMS, also doch vermutlich nachweisbar, auffordert, über einen SPD-Landesparteitag am Abend der Veranstaltung möglichst überhaupt nicht zu berichten, das hatte man noch nicht erlebt.

Obwohl: Der Thüringer Regierungssprecher Hans Kaiser hat unter Bernhard Vogel immer besonders gern beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, aber auch beim Privatfunk, natürlich auch bei den Zeitungen, seine Spielchen derart durchtrieben versucht, dass er schließlich fast nur noch nach eigenem Gusto handelte und sich selbst gefangen nahm, wie jetzt der Typ in Bayern.

Schließlich kegelte Vogels Nachfolger Dieter Althaus nach der Wahl den mittlerweile zum Staatssekretär Beförderten einfach raus aus dem Team. Sogar Vogel baute ihm in seiner Adenauer-Stiftung kein Rettungsboot an seiner Seite, sondern Kaiser musste zusehen, wie er weit weg versetzt wurde – nach Taschkent. Mittlerweile leckt er seit Jahren in Budapest seine Wunden.

Brutale Versuche

sind nicht an eine

Partei gebunden

Nachfolger Hermann Binkert, Althaus Grundsatzreferent, später auch Staatssekretär, machte das dann genauso bei seinem Chef. Er indoktrinierte ihn selbst sehr erfolgreich und verpasste ihm eine Art Gehirnwäsche. Die folgenden politischen Dramen etwa um einen Thüringer Kulturkahlschlag, die vermeintliche Familienoffensive mit gekürzten Horten und vieles mehr waren die Folgen. Binkert versuchte ungeniert, auch auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen, wenn dies probat erschien – aber nicht so ungeniert wie Kaiser das tat. Die TLZ kann ein Lied davon singen.

Es endete im TLZ-Fall, von Binkert vermeintlich clever eingefädelt, mit einer Nähe zur Verlegerin eines großen (anderen) Zeitungshauses und der Idee, über diese Brücke dessen ehemaligen Geschäftsführer, mittlerweile höchster Chef unserer WAZ-Mediengruppe, somit auch der TLZ, zu nötigen, mich abzulösen. Der so von Althaus direkt Angesprochene lächelte nur und verwies den Ministerpräsident auf sich selbst zurück. Wie auch anders?

Was Binkert nicht hindern sollte, im Tollen Thüringen, einer millionenfach verbreiteten, undurchsichtig finanzierten Wahlkampf-Illustrierten, für Dieter Althaus brutal direkt und öffentlich über meine Gesundheit Gerüchte zu verbreiten. So etwas ist in Deutschland strafbar. Ich habe keine Anzeige erstattet. Doch ein Sturm im Blätterwald folgte: Von der Mitteldeutschen bis zur Badischen Zeitung reichte die solidarische Entrüstung, auch im Presseecho der WAZ-Gruppe reportiert. Binkert und Althaus waren gescheitert. Ihr politisches Ende folgte alsbald.

Aber das gibt’s nicht nur bei der CDU. Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie (SPD) hat brutale Einflussnahme, einfach so, weil er in Not war, bei der TLZ auch versucht – im Zuge der Seemann-Affäre. Und das liegt noch nicht lange zurück.

Auch von der Nachwende-FDP haben wir solche Versuche erlebt. Der einstige Wirtschaftsminister Jürgen Bohn drohte zwei Tage vor der Wahl TLZ-Vize Hartmut Kaczmarek, wenn er nicht sofort dieses und jenes schreibe, werde er für 30 Ab­bestellungen sorgen. Während aus der Erfurter CDU der Wink Richtung TLZ kam: Der Chefredakteur schädigt mit seiner Weimarerei den Wirtschaftsstandort Erfurt. Man wollte die Berichterstattung und Kommentierung über die geplante Zwangsfusion zwischen DNT und der neuen Oper unterbinden.

Missliebige

Kommentare

abgeheftet

Es gab auch schwere Verstöße anderer Art: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Andreas Kniepert, glaubte in den Anfängen, mit dem ersten Privatsender Antenne Thüringen ein quasi leibeigenes Medium zu haben. Sein Kollege von der CDU, Jörg Schwäb­lein, versuchte sogar, bei einem kleinen CDU-Parteitag am Rande der Vereinigungsfeiern in Hamburg eine öffentliche-rechtliche Zeitung zu beschließen. Etwas später machte Bernhard Vogel diesen Überlegungen den Garaus.

Vize-Ministerpräsident Gerd Schuchardt (SPD) sammelte kritische TLZ-Kommentare, um diese, geheftet mit einer Büroklammer, an den WAZ-Gruppengeschäftsführer zu schicken. Daran hinderte ihn der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Werner Rechmann. Der WAZ-Gruppengeschäftsführer riet in solchen Lagen dem TLZ-Chefredakteur, egal wie der Fall lag: „Behaupten Sie sich!“ Ein ähnlicher Versuch der Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) scheiterte analog.

Auch andernorts gab’s so etwas. Und manchmal kam es raus – im Nachhinein. Ein namhafter Thüringer Fernsehchef etwa wurde von Oskar Lafontaine (SPD) zu dessen MP-Zeiten in Saarbrücken direkt genötigt. Sinngemäß: Ich hab es dir doch gesagt, dass du das so und nicht anders drucken sollst; und jetzt hast du’s wieder nicht gemacht! –

Das konnte der Journalist auch als Drohung empfinden. Es hat den Mann fast „umgebracht“ – so sehr hat ihm das zu schaffen gemacht. Der Journalist hat’s später mal beim Bier erzählt.

Mittlerweile – so dachte man – gibt’s so was jedenfalls in Thüringen nicht mehr. Bernhard Vogel ist lange weg und führt nur noch Anerkennungskämpfchen vor für sich selbst. Dabei hat die Geschichte längst geurteilt. Nicht mal Ehrenbürger von Erfurt darf er werden. Diese äußerste Anerkennung wird ihm in seiner Sammlung von Ehrungen schmerzlich fehlen. Das ist nicht peinlich, das ist gerecht. Peinlich ist nur sein ewiges Nachdrehen mit rückwirkender Geschichtsklitterung.

Die großen Essen mit Chefredakteuren samt Gängelei und Balzerei im Gästehaus der Landesregierung hat – auf TLZ-Betreiben – schon Althaus abgeschafft. Und solche Gästehäuser gibt es auch nicht mehr.

Sprecher sind

jetzt vor allem

Dienstleister

Solche Regierungssprecher wie Hans Kaiser gibt es schon gar nicht mehr. Regierungssprecher empfinden sich heute als professionelle Serviceeinheit für Journalisten. Nur in Bayern hat sich das noch nicht rumgesprochen. Man erschrickt über solche späte Auswüchse.

Horst Seehofer, der offenbar wegen der Affäre nicht am derzeitigen MP-Treffen in Thüringen teilnimmt, trat am Donnerstagabend sehr nervös, verlegen, mit rotem Kopf vor die Kameras und stammelte. Hatte er doch soeben noch zum Thema Medien Offenheit verkündet und den Spruch abgelassen, dass wir heute nicht mehr in Herrschaftszeiten leben…

Seehofer suchte nach Ausreden. Und er fand sie nicht. Statt klar zu sagen: Ich entschuldige mich beim ZDF und vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit für diese Fehlleistung meines Sprechers. – So löst man solche Krisen. Seehofer war gerade in seinen Umfragen endlich mal auf einen Baum geklettert, und es herrschte eine gewisse Entspannung in der Koalition in Berlin aus CDU/CSU und FDP. Jetzt ist er wieder runtergefallen. Aus eigener Schuld.

Dabei ist er selbst ein Profi aus der alten Garde – nicht anders als Vogel und – wie man sieht – nicht anders in der Rolle gefärbt. Jetzt kriegt er die Zähne nicht auseinander zu drei einfachen deutschen Hauptsätzen: „Das war Mist. Es tut mir leid. Es wird nie wieder vorkommen.“

Die Presse ist frei – Punkt. So steht’s im Gesetz. Ihre Freiheit war essenzielle Forderung der friedlichen Revolution hier zu Lande. Wer davor keinen Respekt hat, muss Konsequenzen ziehen. Das weiß man eigentlich in der Bundesrepublik seit der Spiegel-Affäre mit Franz-Josef Strauß. Sie liegt gerade 50 Jahre zurück, wie die TLZ berichtete.

Das beruhigende an solchen Affären ist, dass die schlimmsten herauskommen. So auch hier. Das belegt: Die Demokratie ist – doch – intakt.

Die Brandeins-Affäre: Fatale Folgen für den Presserat?

Geschrieben am 22. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 22. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Was ist nur mit dem Presserat los? Er schweigt nun schon in der dritten Woche zu seiner Rüge gegen das Wirtschaftsmagazin Brand Eins, veröffentlicht nicht die Begründung für die Rüge, deren kryptische Kurzfassung in einer Presseerklärung von Brand Eins beanstandet und vom Gericht in einer Verfügung einstweilig verboten wurde.

Haben  die Journalisten im Presserat ihre Rüge nicht ausreichend bedacht und sicher begründet? Haben nun die Juristen den Fall übernommen und basteln an einer Fassung, die vor Gericht Bestand haben kann?

So verständlich die Anrufung des Gerichts durch Brand Eins ist, so fatal könnte die Wirkung für den Presserat sein – der eben kein Gericht ist, sondern eine moralische Instanz, die jenseits von juristischen Händeln die Freiheit der Presse wahrt und Journalisten helfen soll, „ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen“ wahrzunehmen (Präambel Pressekodex).

Deshalb: Gebt den Juristen nicht die Führung im Presserat! Gebt den Gerügten und Beschuldigten die Chance, sich zu wehren – wie es in einem Rechtsstaat üblich ist und notwendig!

  • Wenn der Presserat keine Beschwerden möglich macht gegen Rügen und Missbilligungen,
  • wenn der Presserat nicht transparenter in seinem Verfahren und seinen Entscheidungen wird,dann werden Juristen und Gerichte immer öfter eingreifen und den Presserat zum zahnlosen Tiger machen, der er nicht ist.

Gerade der Eifer, mit dem Brand Eins um seinen Ruf kämpft, zeigt deutlich, dass der Presserat unter Journalisten ernst genommen wird und die erste moralische Instanz ist. In den Kommentaren zu meinem Blogeintrag wird der Presserat als „zahnloser Tiger“ bezeichnet (mikerolli), als eine lahme Instanz (Tom Stein), die nicht ernst genommen werden kann und dessen Rügen keine Wirkung zeigen (Aphager).

Dabei hadern die Kommentatoren weniger mit Brand Eins als mit Bild: Wenn der Presserat das Boulevard-Blatt nicht zähmen konnte, dann kann er nur wirkungslos sein. Dabei erzielt der Presserat gerade bei Bild eine erstaunliche Wirkung, zumindest beschäftigt sich die Bild-Redaktion immer wieder ausführlich mit den Entscheidungen des Presserat:

  • Sie jubelt über die Ablehnung von Beschwerden („Bild darf weiter über Skandal-Minister berichten“ oder „Nordkorea scheitert mit Beschwerde gegen Bild“),
  • sie wehrt sich im Blatt gegen Entscheidungen („Diesen Entführer soll Bild nicht mehr zeigen dürfen“);
  • sie fordert den Presserat auf, mutig zu sein („Schlafe ruhig, Deutscher Presserat!“)

Bild bringt den Presserat in seine Schlagzeilen, veröffentlicht Rügen: Das passt nicht zum zahnlosen Tiger. Reue zeigt Bild zwar selten, streut sich keine Asche aufs Haupt, aber Bild bringt die Entscheidungen des Presserats in die Diskussion – wenn auch mit den Mitteln des Boulevards -, provoziert ein Nachdenken der Bild-Leser über Journalismus, seine Grenzen und seine Gefährdungen.

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + 51 Wie man in der PR arbeitet)

Die Brandeins-Rüge und erste Folgen

Geschrieben am 21. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 21. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Die Brand-Eins-Affäre macht Journalisten wuschig: Wie viel PR ist denn in unseren Zeitungen und Magazinen drin, ohne dass es die Leser merken?

Im Überschwang der Kritik wird auch kritisiert, was selbst der Presserat in all seiner Verzweiflung nicht rügen würde: Ein Werbe-Beilage in der Süddeutschen Zeitung.

Hanna Sammüller schreibt dazu einen Tweet, retweetet von Daniel Bouhs:

Sonderbeilage der @SZ über „Ausgezeichnete Arbeitgeber“. Dass die aufgeführten Unternehmen alle eine Anzeige drin haben, ist sicher Zufall.

Wenig später macht sie Tobias Brunner auf einen Irrtum aufmerksam, und sie schreibt:

Ja, bei genauem Hinsehen ist es auch eine „Sonderveröffentlichung IN der SZ“ und nicht der „SZ“. Trotzdem ein bisschen lustig

Das schmale Magazin „Ausgezeichnete Arbeitgeber“, das am Samstag (20.10.2012) der Süddeutschen beiliegt, ist in der Tat sauber:

1. Das Layout hebt sich deutlich von dem der Süddeutschen ab.
2. Das Impressum weist als Verlag und Redaktion „DS Media Team“ aus Norderstedt aus. Die Süddeutsche Zeitung taucht allerdings als „Objektleitung“ auf: Was und wer ist das?
3. Auf dem Titel steht deutlich: „Eine Sonderveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung„, wobei Süddeutsche Zeitung nicht im Markendesign geschrieben ist.
4. Offenbar ist keiner der Autoren ein Redakteur der SZ. Es gibt überhaupt nur drei namentlich gekennzeichnete Artikel und ein Editorial von dem Autor des Buchs „Mach dein Ding!“ Die übrigen Texte sind ersichtlich in den PR-Abteilungen der Unternehmen entstanden – als Zugabe für eine Anzeige nach der Rechnung „Halbe oder ganze Seite Anzeige + halbe oder ganze Seite Text“; allerdings haben zwei Unternehmen eine ganze Seite Anzeige gebucht und nur eine halbe Seite Text bekommen.

In diesem Stil „Anzeigen + PR dazu“ werden viele Beilagen in Zeitungen – und unter Regie der Anzeigenabteilung – erstellt.

Mehr zur Brand Eins-Affäre morgen in diesem Blog.

(zu: Handbuch-Kapitel 51-52 Pressesprecher und PR)

Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre

Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
19 Kommentare / Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.

Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.

Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.

Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:

1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?

2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.

Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).

Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.

Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.

3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?

Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?

Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?

Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.

Die Chronik der Brand-Eins-Affäre

Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.

27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind

BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“

28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“

„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat

Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:

„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.

Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.

brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.

 

2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:

Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.

Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:

Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“

 

Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)

LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php

Lass ich mein Interview autorisieren? Ja, es wird besser

Geschrieben am 11. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.

Wir lassen keine Zitate mehr autorisieren!, verkündet Jill Abramson, die Chefredakteurin der New York Times. Ist das klug? Gar ein Vorbild für deutsche Zeitungen?

Nein, und es ist in der Regel eine Frage des Respekts und eine Frage der Qualität. Wenn ich meinem Gast anbiete, er könne Interview oder Zitat gegenlesen, dann sind die Chancen größer als das Risiko. Ich schenke meinem Gast Vertrauen und hoffe auf sein Vertrauen. Er erzählt mehr als einer, der um jeden Satz fürchten muss; er vergisst in vielen Fällen das Diktiergerät und ignoriert meinen Block.

Wenn ich jemanden aufs Glatteis führen will, dann muss er schon reichlich dumm oder verwegen sein – oder er wird übervorsichtig. Die Chance, so jemanden zu überlisten, liegt unter einem Prozent.

Die Qualität eines Interviews liegt nicht in der Enthüllung und dem Jubelschrei: Ich habe ihn überführt! Die Qualität eines Interviews liegt in der schönen Formulierung, in der feinen Entwicklung eines roten Fadens, in der Erklärung einer komplizierten Sache, in der Zeichnung einer Persönlichkeit, im zugespitzten Disput (wobei ein cleverer Gast scharfe, aber respektvolle Fragen schätzt, weil sie ihm die Chance zu einer klaren, aber auch scharfen Replik öffnet).

Das Lesen eines guten Interviews macht Spaß und bringt Gewinn. Nach einem guten Interview versteht der Leser entweder eine Sache oder einen Menschen besser.

Das geht aber meist nur, wenn ich selber nach einem guten, oft auch langen Gespräch zum Nutzen meiner Leser manipulieren darf; wenn ich das Wichtigste oder Unterhaltsamste an den Anfang stelle, obwohl es erst am Ende des Gesprächs gefallen ist; wenn ich alles kürze, oft das meiste, weil es wenig interessant ist; wenn ich zuspitzen und meine Fragen neu formulieren will.

Ich mache meinen Gast stark, und ich mache mich stark. So ist es nur fair, wenn ich meine Manipulationen dem Gast zur Kontrolle gebe mit dem Recht auf Änderung. Ich kämpfe um jeden Satz, wenn mir seine Änderungen nicht gefallen, weil sie den Charakter des Gesprächs fälschen. Am Ende des Kampfs – und ein Interview ist ein Kampf – entscheide ich, ob ich die Änderungen akzeptiere oder nicht.

Das Handelsblatt hatte nach einem Interview mit einem Banker den Kampf aufgegeben, aber nicht komplett: Es veröffentlichte nur die Fragen. Das war aber mehr journalistischer Hochmut als Aufklärung. Der Banker musste ja nicht antworten, und wahrscheinlich war er sich schon der Brisanz seiner Antworten bewusst und hatte Furcht vor den Folgen.

Bei einem Politiker wäre die Verweigerung ehrlicher Antworten allerdings von Bedeutung: Er hat dem Volk, das er vertritt, Rechenschaft zu geben, er hat zu erklären, und zwar verständlich und ohne Ausweich-Manöver. Ihn entlarvte die Liste der Fragen – ohne Antworten.

Ein weiterer Grund, ein Interview oder Zitat autorisieren zu lassen: Ich stelle sicher, dass es stimmt – gerade nach Gesprächen mit Wissenschaftlern oder Spezialisten, die Kompliziertes zu erklären haben. Der Redakteur liegt schnell daneben, wenn er verständlich sein will, wenn er Schweres einfach macht. Sicher werden Gespräche mit Wissenschaftlern oder Chefärzten nicht leicht, wenn sie ihre Fachausdrücke retten wollen und ihren guten Ruf bei den Kollegen; aber auch da gilt: Kämpfen für den Leser, der ein Recht hat, alles zu verstehen.

In den meisten Regionalzeitungen, erst recht in Lokalredaktionen sind die Fragen nach der Autorisierung eh recht theoretisch: Es gibt nur wenige Interviews und darunter noch zu viele banale – weil die Redakteure den Aufwand scheuen, ihnen die Routine fehlt und ein Training. Wenn sie im Lokalen ein Interview führen, dann oft ein kurzes zur Sache: Wie sind die neuen Öffnungszeiten im Zoo? Wann öffnet das Bürgerbüro auch am Abend? Wie werden die Anliegerbeiträge berechnet?

Meist sind die Antworten so hölzern, dass ein Bericht spannender zu lesen wäre als ein Interview. Zudem entstehen zu viele Interviews am Telefon oder sogar per Email. Beim schriftlichen Interview lade ich den Gast förmlich zum PR-Jargon ein; in der Tat werden viele Antworten in den Presseabteilungen geschrieben und vom Minister oder Bürgermeister noch nicht einmal vor dem Abschicken geprüft.

Es ist immer von Vorteil, wenn ich meinem Gast in die Augen schauen kann, sehe, wie sein Körper spricht – aber er auch mich beobachten kann.

Henning Noske, der Braunschweiger Lokalchef der Braunschweiger Zeitung, hat aus der Not des Lokalredakteurs eine Tugend gemacht: Das 5-Minuten-Gespräch, das auch im Blatt so genannt wird. Er sucht sich einen Gast aus, der etwas zu sagen hat oder prominent genug ist, er überlegt sich genau seine Fragen, hakt auch nach, sagt zuvor dem Gast, dass es keine Autorisierung geben wird, glättet nur die Ähs und Öhs und offensichtlichen Versprecher – und bekommt ein schnelles und in der Regel gut lesbares Interview.

(zu: Handbuch-Kapitel Das Interview)

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