Alle Artikel mit dem Schlagwort " Internet"

Franz Josef Wagner findet das Internet furchtbar und sehnt sich zurück an die gute alte Zeit der Leserbriefe

Geschrieben am 22. März 2013 von Paul-Josef Raue.
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Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner fand Shitstorms gut, bis er die Beleidigungen gegen die Schauspielerin Katja Riemann las und die Aufforderung an Schalkes Torwart Hildebrand, sich zu erschießen. „Der Shitstorm ist zu einem digitalen Pöbelmob verkommen“, schreibt er in einem Brief an den „lieben Shitstorm“.

Es reicht, und er stellt sich vor, das Netz wäre seine Straße, in der er wohnt:

Das Internet ist furchtbar. Ich stelle mir vor, das Internet wäre meine Straße, in der ich lebe. Man spuckt mich an, man beschimpft mich, man spuckt vor mir aus. In so einer Straße will ich nicht leben. Alles Feinde ohne Namen.
Alle Anonyme. Scheißtypen, die einen beleidigen. Keiner zeigt sein Gesicht. Bösewichte hinter Vorhängen. Böse, die auf der Tastatur Böses tippen.

Wagner sehnt sich zurück in die gute alte Zeit, als Leute noch Leserbriefe schrieben und ihren Namen nannten:

Es war einmal eine Zeit, wo wir nicht wussten, was Shitstorm ist. Es war die Zeit der Leserbriefe. Es war die Zeit, wo jeder seine Meinung mit seinem Namen versah.

Anonyme Briefe wurden nicht veröffentlicht.

Es war eine bessere Zeit.

Die gute alte Lokalzeitung bekommt immer noch Leserbriefe, viele sogar, lieber Herr Wagner. Und sie druckt sie ab, mit Namen.

Bild 21. März 2013

31 Millionen Euro gegen die Vertwitterung des Journalismus

Geschrieben am 9. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Schlechte Nachrichten für alle, die den Untergang der Zeitungen und die Vertwitterung des Journalismus in naher Zukunft erwarten. Am Donnerstag weihte die Braunschweiger Zeitung eine neue Zeitungsdruckerei ein, in die die Funke-Mediengruppe 31 Millionen Euro investiert hat.

Der Braunschweiger Geschäftsführer Harald Wahls stellte die modernste Zeitungsdruckerei denn auch mit leichter Ironie vor: „Wir schauen optimistischer in die Zukunft, als die allgemeine Nachrichtenlage über Zeitungen suggeriert.“ Zur Eröffnung waren denn auch alle gekommen, die wichtig sind in Braunschweig, Wolfsburg und Niedersachsen – ob Oberbürgermeister, Chef der VW-Autostadt, Verleger, Politiker und Unternehmer.

Stephan Weil, der neue Ministerpräsident, kam nach Braunschweig, wenige Tage nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Er sprach kurz, frei, und er lobte die Regionalzeitung als das am meisten vertrauenswürdige Medium. Von seiner Erziehung durch die Zeitung erzählte er: Das Lesen hat er im Sportteil der Zeitung gelernt, so wie auch seine Kinder das Lesen gelernt haben. „Ich wünsche mir, dass auch ein Enkelkind mit Hilfe des Sportteils einer Zeitung das Lesen lernen wird.“

Es waren gestandene Männer aus dem analogen Zeitalter, die das Lob der Zeitung sangen, also Menschen, die sich einen Morgen ohne das Knittern von Papier nicht vorstellen können – für die eine Zeitung mehr als die Aufnahme von Information zwecks Speicherung im Hippocampus unseres Gehirns. „Die gedruckte Zeitung ist etwas Emotionales im Vergleich zum Laptop, auf dem wir das E-Paper lesen“, sagte der Braunschweiger Oberbürgermeister Gert Hoffmann, der in der digitalen Welt auch den Verfall von Sprachkultur beklagt.

Für Christian Nienhaus, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, ist Zeitung Entschleunigung. Angenommen, so sein Gedankenexperiment, statt Gutenbergs Erfindung wären wir vom Papyrus gleich zum Computer übergegangen: Wären Papier und Zeitung dann nicht eine moderne Innovation? Zudem seien nicht nur Banken systemrelevant, sondern auch Zeitungen – relevant für unser System Demokratie.

In einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung hatte Nienhaus hingewiesen, dass die Herstellung der Zeitung in der neuen Druckerei ein vollständig digitaler Prozess sei, an dessen Ende ein anologes Produkt stehe.

Gauck als Meister der Floskeln und taumelnden Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Die Macht des  Bundespräsidenten ist seine Sprache. Da er sonst wenig zu entscheiden hat, soll er wenigstens gut reden – am besten den Politikern ins Gewissen, manchmal auch dem Volk.

In dieser Woche hat unser Bundespräsident seine erste große Rede gehalten. Er sei nervös gewesen, schreiben Kommentatoren, und sie meinen es positiv: Besser ein nervöser Politiker als ein überheblicher. Und er schreibe seine Reden selbst, und auch das meinen sie positiv.

Die Rede war nett, sie tat keinem weh, vor allem den Briten nicht, die gerade erdulden müssen, dass die deutsche Wirtschaft besser läuft als ihre. Da tröstet es, wenn ein Bundespräsident sagt: Auch Engländer gehören zu Europa, sogar die Schotten, die Waliser, Nordiren und „britische Neubürger“.

Nur – war die lange Rede des Präsidenten mehr als eine Reihung von Floskeln, hübsch, aber leer? Ein Beispiel:

 Einst waren europäische Staaten Großmächte und Global Player. In der globalisierten Welt von heute kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten.
Da taumeln die Wörter:
  • Global Player sind Unternehmen, die weltweit handeln, und nicht Staaten.  Staaten leiden unter „Global Playern“ und ihrer Finanzmacht, mit der sie Politiker unter Druck setzen können.
  •  Globalisierte Welt ist wie ein weißer Schimmel. Pleonasmus nennen es die Wissenschaftler, abgeleitet vom griechischen Wort für Überfluss:  Zwei Wörter, deren Sinn ähnlich ist.
Globalisierung bedeutet laut Duden „weltweite Verflechtung“; globalisiert leitet sich von „global“ ab, das „weltweit“ bedeutet.

Wer von „globalisierter Welt“ spricht, meint keine weltweite Welt, sondern eine schnelle Welt, in der Informationen und Transporte in einem Tempo um die Welt rasen wie nie zuvor – dank Internet, Flugzeugen und Containerschiffen. Für viele folgt diese schnelle Welt nicht mehr dem menschlichen Maß. Aber das ist ein neues Thema.

Thüringer Allgemeine 25. Februar 2013

Der „Stern“ schafft die meisten Ressorts ab

Geschrieben am 24. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.
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Die Stern-Redaktion zieht die Zugbrücken hoch, beendet die Kleinstaaterei, schließt ihre Ressorts bis auf vier (Deutschland + Welt + Leben + Wissen), erschwert offenbar das Spezialistentum und lässt die Reporter für alle Themen zuständig sein, verbindet Zeitschrift und Internet, sucht neue Chefs. Betrieben hat es der neue Chefredakteur Dominik Wichmann.

Nun herrscht Aufruhr in der Redaktion? Ist Aufstand geplant? Nein, im Gegenteil. „Leichte Aufbruchstimmung“ stellt die Süddeutsche fest (24.Januar 2013), ohne die Quelle zu verraten.

Der Grund sei der Auflagenschwund. Mit dem Rücken zur Wand fällt es halt leichter, selbst eine selbstbewusste Redaktion umzukrempeln.

„Kein anderes Medium hat ein besseres Image als die Tageszeitung“

Geschrieben am 16. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.
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Die journalistische Stärke der Zeitung hebt Inga Scholz heraus, die neue Geschäftsführerin der Zeitungsgruppe Thüringen (zu der die TA, die OTZ und die TLZ gehören). Ein Auszug aus ihrer Rede beim Neujahrsempfang der Zeitungsgruppe:

80 Prozent der Deutschen lesen Zeitung – als gedruckte Version oder im Netz. Die Zeitung ist auch im Netz die Nachrichtenquelle Nummer 1. Und damit ist Zeitung auch weiterhin das erfolgreichste Informationsmedium, schneller und lebendiger als je zuvor.

In dieser Diskussion um die Zukunft gilt es zu unterscheiden zwischen einer Debatte um Verbreitungskanäle und Kommunikationsinhalte.

Die Diskussion beinhaltet etwas ganz anderes: Es geht um den Wert von Verlässlichkeit, um die Glaubwürdigkeit von Information. Mit der ständig wachsenden Informationsflut wird die Verlässlichkeit der Informationsquelle immer bedeutender. Das ist gut für uns Zeitungen, denn damit steigt auch die Bedeutung von seriösen journalistischen Inhalten.

Zeitung ist vertrauenswürdig. Zeitung ist seriös: Sie kennen die Absender und wissen, wer beschreibt, einordnet, bewertet. Unsere Zeitungen geben den Thüringern Verlässlichkeit, Heimat, Zugehörigkeit und Orientierung. Wir sind mit den Menschen im Freistaat untrennbar verbunden, weil wir die gleiche Geschichte haben, wir leben hier, wir sind hier zu Hause, so wie Sie: Wir können Ereignisse aus thüringischer Sicht einordnen, wir sind Verbündeter und auch Spiegelbild des Lebens – ob im Netz oder als gedruckte Version.

27 Millionen Deutsche lesen Zeitungen online im Netz. Damit haben die deutschen Tageszeitungen mehr Nutzer als T-online oder „ebay“…Kein anderes Medium hat ein besseres Image als die Tageszeitung – und unsere Werbekunden profitieren davon: Konsumenten vertrauen Zeitungswerbung von allen Werbegattungen am meisten. Sie vertrauen der Marke Zeitung – das hat mit Papier nichts zu tun, sondern mit dem Absender der Botschaft.

(zu: Handbuch-Kapitel 5 Die Internet-Revolution + 57 Wie können Zeitungen überleben)

„Das Führen einer Redaktion ist keine basisdemokratische Veranstaltung“ (Peter Gehrigs Interview zu seinem Abschied)

Geschrieben am 15. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.
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„Ich hätte mir einen erfreulicheren Schluss meines Berufslebens gewünscht“, sagt Peter Gehrig nach über vierzig Jahren bei der deutschen AP, davon zwei Jahrzehnte als Chefredakteur. Sang- und klanglos ließ ihn seine Agentur, die dapd, in den Ruhestand ziehen.

Erst war in Berlin ein großer Abschied im November geplant, dann ein kleiner, am Ende fehlte sogar das Kleingeld für ein stilvolles Abendessen. Dabei war Peter Gehrig einer der besten Chefredakteure Deutschlands, wahrscheinlich der beste, wenn es ums Handwerk ging, um Professionalität.

Aus seiner Agentur AP in Frankfurt kamen Texte, die so gut redigiert waren wie keine anderen Agenturtexte – ohne die Aktualität aus den Augen zu verlieren. In seinem Zimmer in der Moselstraße stand ein Stehpult, an dem er jede Stunde die Texte las, die über den Draht gegangen waren: Er holte das Team kurz zusammen und verteilte die Noten.

Regelmäßig gab er für seine Redakteure eine Übersicht heraus mit misslungenen und manchmal auch gelungenen Textpassagen. Die waren gefürchtet, er war respektiert, ja geschätzt. Keiner in unserer selbstverliebten Branche hat von seinem Ausscheiden Kenntnis genommen, keine Medienseite hat ihn geehrt.

Die Volontäre der Thüringer Allgemeine, die er regelmäßig ausbildet, führten ein Interview mit ihm, das sie zwar überarbeiten mussten, das aber am 5. Januar ganzseitig in der Samstagausgabe erschien.

Fünf Sätze hebe ich heraus:

1. Wie führe ich eine Redaktion? „Das Führen ist keine basisdemokratische Veranstaltung. Am Ende muss einer sagen, wo es langgeht – und die Verantwortung dafür übernehmen.“

2. Was ist notwendig in den Redaktionen der Zukunft? „Mehr Spezialisierung und auch mehr wirtschaftliches Denken. Jeder Journalist muss heute daran denken, dass die Zeitung ein Produkt ist, dass dieses Produkt verkauft werden muss. Der Journalist ist also zugleich Marketingmanager seiner Zeitung.“

3. Welche journalistischen Elemente werden wichtig bleiben? „Die Einordnung und die Erzählung werden bedeutender, die Nachrichten verlieren an Gewicht.“

4. Was ist das A & O des Journalismus auch in der Zukunft? „Recherche – nur wer gut recherchiert, kann auch gute Geschichten schreiben. Wer glaubt, alles schon zu kennen oder vorher zu wissen, ist kein Journalist.“

5. Was muss ein Journalist unbedingt lernen? Man muss etwas selber herausfinden! Als Peter Gehrig in seinem ersten Artikel einen Fehler gemacht hatte, ließ sein Chef ihn lange zappeln. Als der ihm doch seinen Fehler offenlegte, fragte ihn Gehrig: „Hättest du mir das nicht gleich sagen können? Er hat geantwortet: Nein, wenn du das alleine herausgefunden hättest, wäre das besser gewesen.“ – Das ist eine alte Methode, die sokratische.

Das ist das komplette Interview in der TA, überschrieben „Der Nachrichten-Mann“:

Wie sind Sie 1972 ins olympische Dorf von München gekommen? Es war doch alles gesperrt, nachdem Palästinenser die Israelis als Geiseln genommen hatten?

Peter Gehrig: Ich bin morgens um sechs mit einer Gruppe von amerikanischen Schwimmern einfach durchgeflutscht. Die kamen vom Training aus einer Halle, die außerhalb des Dorfes lag. Ich kam mit den Athleten ins Gespräch und irgendwie muss mein Presseausweis für die Kontrollen wie eine Eingangsberechtigung ausgesehen haben. Und dann war ich einfach drin im olympischen Dorf.

Für einen jungen Reporter eine Situation, wie man sie sich wünscht. Möglichst nah am Geschehen . . .

Im Laufe des Tages hieß es ja, alle Geiseln hätten überlebt. Ich verfasste meine Berichte tagsüber und gab sie alle drei, vier Stunden an unsere Zentrale durch. Per Telefon, was damals nicht so einfach war, denn ich musste eine Telefonzelle nutzen und mir war das Kleingeld ausgegangen. Ellen Titel, eine damals sehr bekannte Mittelstreckenläuferin der Bundesrepublik, half mir mit Kleingeld und gab mir eine Mark fürs Telefon. Wir arbeiteten den ganzen Tag unter Hochspannung und hatten uns gegen Mitternacht gerade etwas entspannt, als ein amerikanischer Kollege kam und sagte: They are all dead. Sie sind alle tot. Ich musste weinen; es hat mich so berührt wie wenig anderes in meinem Berufsleben.

Hart, gerecht, korrekt, fachlich exzellent. Das sagen Weggefährten über den Journalisten Peter Gehrig – Was haben sie vergessen?

Die Milde des Alters ist noch hinzugekommen. Aber im Ernst: Das Führen einer Nachrichtenagentur oder einer Redaktion überhaupt ist keine basisdemokratische Veranstaltung. Das habe ich meinen Leuten immer gesagt, denn am Ende muss einer sagen, wo es langgeht und die Verantwortung dafür übernehmen. Das schließt Teamarbeit ausdrücklich ein, aber nur bis zu bestimmten Grenzen.

Seit einem Monat sind Sie nun im Ruhestand. Gibt es einen Masterplan für den Rentner Gehrig?

Sobald man auf die Pensionierung zugeht, wird man von allen Leuten gefragt: »Was machst du denn danach?« Wenn ich dann sage, »das weiß ich nicht« »Das musst du doch wissen, du kannst doch nicht einfach nichts tun!« Natürlich kann ich nichts tun, ich kann auch irgendetwas tun. Es wird sich schon etwas finden. Aber ich habe keinen Entwurf für die nächsten 40 Jahre meines Lebens.

Haben Sie Angst vor Stillstand in Ihrem Leben nach dem stressigen Agenturleben?

Angst ist übertrieben; es könnte schon sein, dass ich in ein Loch falle. Aber ich habe eine liebe Frau und genug Bücher, um mich aus diesem Loch herauszuholen. Außerdem habe ich zwei Enkel, die mir viel Freude machen. Und ich werde bestimmt auch weiter schreiben.

Was denn?

Einen Roman möchte ich gerne schreiben. Es gibt verschiedene Dinge der letzten drei, vier Jahre, die ich mir von der Seele schreiben muss. Und da ich keinen Therapeuten in Anspruch nehmen möchte, werde ich das auf die einzig mir zur Verfügung stehende Art und Weise tun.

Welche Dinge sind das?

Mit einem Freund werde ich ein e-book, also eine digital abrufbare Buchversion, über Nachrichtenagenturen und Medien schreiben. Und danach möchte ich über das Ende der AP in Deutschland und die Übernahme durch die Herrschaften von dapd schreiben. Und über die Entwicklung nach der Übernahme.

dapd ist 2010 groß ins Agenturgeschäft eingestiegen und hat »Ihre« AP übernommen und mit der Agentur ddp verschmolzen. Vor drei Monaten ist alles geplatzt. dapd hat Insolvenz angemeldet. Für Sie persönlich muss diese Insolvenz doch besonders tragisch sein am Ende eines bewegenden und erfolgreichen Berufslebens?

Die Insolvenz macht mich sehr traurig. Die zwei Investoren aus Bayern, die Herren Löw und Vorderwülbecke, haben einfach den Geldhahn zugedreht. Das ist vor allem sehr, sehr traurig und beschämend für viele Weggefährten, die nicht wie ich das Rentenalter erreicht haben. Aber auch ich hätte mir einen erfreulicheren Schluss meines Berufslebens gewünscht.

Zurück zu den Momenten, die Ihnen sonst in Erinnerung geblieben sind. Sie haben da mal eine ziemlich hohe Telefonrechnung eingereicht …

Als im Jahre 1977 der von deutschen Terroristen ermordete Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nahe dem französischen Mülhausen gefunden wurde, bin ich hingefahren. Da gab es bekanntermaßen noch keine Handys; also bin ich, um meinen Text an die Zentrale durchzutelefonieren, in die nächstliegende Kneipe gegangen. Die hieß »Le crocodile vert«, also »Das grüne Krokodil«. Nun, es war mehr ein Bordell, denn eine Kneipe. Ich bat den Wirt, ob ich kurz telefonieren könnte. Er sagte, er habe keinen Zähler, aber ich könnte pauschal mit einer Lokalrunde bezahlen. Gesagt, getan. Ich brauchte einige Überredungskünste hinterher in meiner Firma, um die 700 Francs, also etwa 120 Euro, erstattet zu bekommen für das kurze Telefonat.

Als jahrelanger Chefredakteur einer Agentur gehörten die Zeitungen immer zu wichtigen Kunden. Wo sehen Sie die Tageszeitung in zehn Jahren?

Die Tageszeitung wird sich weiter am Internet entlanghangeln müssen. Lokaljournalismus ist meist etwas für ältere Menschen. Der demografische Faktor spielt eine große Rolle dabei. Es gibt aber noch kein gut gemachtes lokales Angebot im Internet. Und solange es gut gemachte lokale Angebote im Print gibt, werden diese sich behaupten können.

Also kann eine Zeitung nur im Lokalen überleben?

Im Großen und Ganzen ja. Das Informationsangebot für internationale, nationale und überregionale Themen gibt es im Internet. Außerdem wird es weniger Menschen geben, die sich für das interessieren, was in Brüssel passiert. Die, die die Debatte des Bundeshaushalts als ein Muss-Seite-1-Thema sehen, werden stetig weniger.

Aber warum? Die Leute sind doch nicht dümmer geworden?

Nein, aber die haben andere Informationsquellen. Die gehen ins Internet oder schauen die Tagesschau. Solange der Lokaljournalismus nicht im Internet mit der gleichen Qualität stattfindet, kann man nur auf einer lokalen Ebene überleben.

Würden Sie sich angesichts dieser Entwicklung noch mal für den Beruf des Journalisten entscheiden?

Auf jeden Fall. Die Arbeit als Journalist hat mir ein Leben lang Spaß gemacht. Ich habe 44 Jahre und vier Monate weitgehend mit Freude gearbeitet in einem Spaßberuf und habe noch Geld dafür gekriegt. Viel mehr kann man vom Berufsleben nicht verlangen.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Beitrag?

Und wie! Ich habe in der Auslandsredaktion der AP gearbeitet. Mein erster Beitrag war ein Bericht über eine Explosion irgendwo in Frankreich mit 14 Toten. Den Bericht hat mir mein Vorgesetzter vier Mal mit der Bemerkung »falsch« wieder auf den Tisch gefeuert. Ich war verzweifelt, weil die Nachricht von der Konkurrenz schon im Rundfunk war und habe den Bericht wieder und wieder neu geschrieben. Ich wusste einfach nicht, wie ich da noch anders schreiben sollte. Dann habe ich die Geduld verloren und gesagt: »Was ist denn falsch daran?« Da hat er gesagt: » Als verbindet zwei zeitgleiche, voneinander unabhängige Ereignisse. Die Menschen sind nicht gestorben, als die Gasleitung explodiert ist, sondern weil die Gasleitung explodiert ist.« Da habe ich gefragt: »Hättest du mir das nicht gleich sagen können? Er hat geantwortet: Nein, wenn du das von alleine herausgefunden hättest, wäre das besser gewesen.«

Müssen Journalisten heute andere Dinge können als vor 30 Jahren?

Heute wird mehr Spezialisierung und auch mehr wirtschaftliches Denken gefordert. Jeder Journalist muss heute daran denken, dass die Zeitung ein Produkt ist, dass dieses Produkt verkauft werden muss. Der Journalist ist also auch zugleich Marketingmanager seiner Zeitung. Auch das Handwerk hat sich verändert. Lange Texte sind in der Zeitung kaum noch gefragt. Außer in Blättern wie der »Zeit« oder dem »Spiegel«. Bei Tageszeitungen ist eine Meldung kaum über 150, 200 Wörter lang. Das wird sich aber wieder ändern. Und zwar je eher die Zeitung ein eigenständiges, hoffentlich gegen Bezahlung funktio-nierendes, Internetmodell auf die Beine stellt.

Es wird immer Journalisten geben?

Der Mensch an sich ist neugierig. Er will wissen, was passiert. Nicht nur auf der hohen politischen Ebene, sondern der will auch unterhalten werden. Die Leute wollen von ihrer Umgebung genauso wissen wie von fernen Ländern. Die wollen nicht unbedingt wissen, ob der Herr Laurent Dagbo an der Elfenbeinküste irgendetwas macht, sondern die wollen wissen: Wie ist es an der Elfenbeinküste? Also Lesestoff wird das sein, was die Zukunft bestimmt. Den Beruf des Aufschreibers wird es immer geben. Irgendjemand muss es ja tun, damit es andere lesen können.

Mehr erzählen, weniger nüchtern berichten?

Nachrichten werden weiter an Gewicht verlieren, die Einordnung und die Erzählung werden noch bedeutender.

Was raten Sie jungen Journalisten?

Nehmt viel auf! Wer viel aufnimmt und viel weiß, kann auch viel wiedergeben. Wir alle sollten neugierig und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Recherche bleibt das A und O. Nur wer gut recherchiert, kann auch gute Geschichten schreiben. Wer glaubt, alles schon zu kennen oder vorher zu wissen, ist kein Journalist.

(Das Gespräch führten die TA-Volontäre Lavinia Meier-Ewert, Julius Jasper Topp, Christian Gehrke, Mira Mertin, Friedemann Knoblich und Chefreporter Dirk Lübke)

(zu: Handbuch-Kapitel 46 Wer hat die Macht? + 57 Wie können Zeitungen überleben + 19 Die Nachrichtenagenturen + 2-4 Die Journalisten)

„Wir erwarten das Goldene Zeitalter des Journalismus“ (Neujahrsansprachen 1: Mathias Döpfner, Springer-Chef)

Geschrieben am 12. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.
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Mathias Döpfner, Vorstandschef der Springer AG, sagte bei seiner Neujahrsansprache in Berlin: „Wir sind bei Springer eingefleischte  Zweckpessimisten.“ Nachdem er lange über die Unglückszahl 13 räsoniert  hatte und die eine und andere Geschichte erzählt,  zitierte er den Zukunftsforscher Ross Dawson aus Australien: „2017 erscheint die letzte gedruckte Zeitung.“

Döpfner, Deutschlands größter Medienmanager, fuhr fort:

Zweckpessimisten  sind sicher: „Die gedruckte Zeitung geht unter.“

Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Zeitung überlebt viel länger, als wir denken. Zwar ist mit Zeitungen auf Papier kaum noch Wachstum zu erzielen, aber Geld verdienen wird man mit ihnen noch viele Jahre. Die goldenen Zeiten des Print-Geschäftes mögen vorbei sein. Aber die silbernen können auch noch sehr schön sein.

Zweckpessimisten sind sicher: „Die Leute zahlen nicht für Journalismus im Netz.“

Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Menschen zahlen, wenn das Bezahlen einfach genug ist und die Geschichten interessant und verlässlich sind. Je mehr Informationen für jedermann jederzeit überall verfügbar sind, desto größer wird die Sehnsucht nach Auswahl, Orientierung und einem Absender, der für die Richtigkeit einer Information auch Verantwortung übernimmt.

Und genau das macht guten Journalismus aus, genau das ist das Prinzip Zeitung, genau deshalb glaube ich an die Zukunft der digitalen Zeitung, die ihren Lesern etwas wert ist.

Zweckpessimisten sind sicher: Der Journalismus im Internet wird immer oberflächlicher und schlechter.

Aber Zweckpessimisten werden sehen: Er wird immer besser. Im Netz nämlich zählt nur noch die Qualität einer Geschichte, nicht mehr die Qualität des Papiers, die Qualität der Druckerei oder die Quantität der Kioske, an denen eine Zeitung verkauft wird.

Allein der Inhalt macht den Unterschied. Und der profitiert von maximaler Geschwindigkeit und dem kürzest möglichen Weg zum Leser, von unbegrenztem Platz auch noch für die längste aller denkbaren Hintergrundgeschichten, von der Möglichkeit, alle Mediengattungen, Ton, Bewegtbild sowie geschriebene Geschichten zu kombinieren, und schließlich von der Interaktivität, also der Möglichkeit, auch die Intelligenz und das Wissen der Leser in das journalistische Angebot einzubeziehen.

Das sind gute Nachrichten für gute Autoren und gute Reporter. Im Jahr 2013 beginnt die wirkliche Emanzipation der Zeitung vom Trägermedium Papier. Das Digitalzeitalter hat alle Chancen, zum Goldenen Zeitalter des Journalismus zu werden.

Quelle: Die Welt 12. Januar 2013

(zu: Handbuch-Kapitel 5 Die Internet-Revolution + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht + 57 Wie können Zeitungen überleben + Welche Zukunft hat der Journalismus)

Was interessierte die Deutschen 2012 mehr: Dirk Bach oder die Finanzkrise?

Geschrieben am 29. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.
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Was und wer interessierte die Deutschen am meisten? Genauer als jede teure Meinungsumfrage zeigt es der „Google-Zeitgeist“, die Rangliste der am meisten gesuchten Stichworte in diesem Jahr.

Diese Rangliste ist Grundlage für mein Editorial, geplant für die Silvesterausgabe der Thüringer Allgemeine:

 

Den Revolutionen geht die Freiheit aus

Die Welt in Unruhe – doch die Deutschen interessierten diese Themen 2012 am meisten: Fußball und Olympia, Bettina Wulff, ein Fallschirmsprung vom Rand der Welt und das neue I-Pad

Es geht uns gut in Deutschland, ja: Es geht uns gut. Sicher wird bei einigen Zeitgenossen die Zornes-Ader schwellen, wenn sie dies lesen. Sie werden zu Recht auf die Schwächen hinweisen, auf Skandalöses in einem wohlhabenden Land wie die Armut, die zu viele Kinder trifft, oder das Versagen der Geheimdienste, die rechte Terroristen jahrelang morden ließen.

Wie können wir messen, ob es einer Gesellschaft gut geht? Der beste Maßstab ist der Vergleich: In einer unruhigen Welt ist Deutschland ein Ruheraum.

Bei uns herrscht nicht einmal eine Wechselstimmung: Bei aller Unzufriedenheit mit Politikern und Parteien, trotz Präsidentenwechsel im Jahrestakt, Finanzkrise und Unmut über große Banken neigen die meisten Deutschen zum Gleichmut.

Während die einen seit Jahren großes Unheil vorhersagen, gar den Zusammenbruch in Europa menetekeln, bleibt die Mehrheit ruhig und widmet sich anderen Themen. Was interessierte die Deutschen in diesem Jahr?

Die Rangliste der Themen, die 2012 millionenfach im Internet gesucht wurden, darf als gigantische Meinungsumfrage gelten, als der Trend schlechthin. Auf den ersten vier Plätzen stehen:

• Zwei große Sportereignisse: voran die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, bei der die Deutschen wieder den Titel verpassten; auf dem dritten Rang die Olympischen Spiele in London, in der sonst kühle Engländer ein Sommermärchen inszenierten und Deutschland nicht nur 44 Medaillen holte, sondern eine Sportart feierte, die zuvor kaum jemand kannte: Beach-Volleyball, das überaus spannende Spiel im Sand.

• Dazwischen schiebt sich der Tod eines Komikers: Dirk Bach, gerade mal 51 Jahre alt, starb einsam in einem Berliner Hotel; das Herz, das plötzlich versagt hatte, bewegt die Menschen mehr als alle anderen nationalen Ereignisse.

•  Ein nahezu unbekannter Österreicher und sein Sprung vom Rand der Welt nimmt den vierten Rang ein: Felix Baumgartner ließ sich 39.045 Meter hoch fliegen, wo  es keine Luft mehr zum Atmen gibt, und sprang – buchstäblich atemberaubend – auf die Erde zurück.

Politik auf den ersten zehn Rängen? Nichts, einmal abgesehen von Bettina Wulff, bis zum Februar Deutschland Erste Dame, bei der die meisten Anfragen aber nicht ihrem Wirken galt, sondern einem Gerücht – das millionenfach online verbreitet wurde, sich dadurch wie eine Wahrheit las und das doppelte Gesicht der Internets offen legte.

Wirtschaft auf  den ersten zehn Rängen? Keine Finanzkrise, kein Banken-Skandal, keine Ratingagentur – sondern zwei Produkte, das Samsung-Smartphone und das neue I-Pad von Apple.

Um uns herum die Welt ist meist unruhig. Einige Jahr lang feierten wir den Triumph von Freiheit und Demokratie und das Ende der Diktatoren. Wir gaben diesen Revolution einen schönen Namen: Der arabische Frühling – und wir dachten an eine Idylle, wie wir sie von unseren Reisen in die Sonne kennen.

Doch in der Welt ist kein Frühling ausgebrochen, sondern der Herbst der Revolutionen:

• In Syrien tobt der Bürgerkrieg, und so recht traut kaum jemand den Aufständischen zu, dass sie Freiheit und Gleichheit etablieren werden.

• Im Jemen gilt die Scharia, die Gesetze-Sammlung nach islamischem Recht wie etwa das Verschleierungs-Gebot für Frauen; in Ägypten soll sie etabliert werden.

• In Tunesien gilt offiziell nicht die Scharia, aber die herrschenden Islamisten dulden Verfolgung im Namen der Scharia.

• Palästina ist gespalten, wobei sich keines der befeindeten Lager als Vorhut der Freiheit versteht.

• Der Iran hatte den persischen Diktator verjagt, aber nach der islamischen Revolution einen neuen Unterdrückungs-Staat aufgebaut mit Geheimpolizei und Steinigungen; heute droht das Land mit Atombomben, die nicht nur Israel vernichten, sondern auch  Ziele in Westeuropa treffen könnten.

• Der Irak ist nicht befreit, die Emirate wehren jede Revolution ebenso ab wie Saudi-Arabien.

In diesen und vielen anderen Ländern spielt die Religion eine große Rolle, auch bei Menschen, die gegen die Unterdrückung kämpfen. Wir können uns im aufgeklärten Deutschland, vor allem im weitgehend religionsfreien Osten, nicht mehr vorstellen, wie sich Gott und seine Vertreter auf  Erden in die Ordnung der Gesellschaft einmischen – und dies von der Mehrheit der Menschen bejaht wird.

Wir verstehen diese Welt nicht mehr, obwohl wir Weltmeister im Verreisen sind – und die Welt versteht uns oft nicht mehr.

Dabei heißt „verstehen“ nicht: gut heißen oder gar akzeptieren. Aber wer nicht verstehen will, verliert zu schnell den Respekt vor dem anderen, dem Fremden.

Auch auf anderen Kontinenten herrscht mehr Unterdrückung als Freiheit, auch im wirtschaftlich aufstrebenden China, das jährlich Tausende von Aufständen unterdrückt.

Russland hat die Revolution von 1990 längst verraten: Das Land ist von einem Rechts- und Freiheitstaat so weit entfernt wie Pussy Riot von Putin. Undsoweiter

Selbst in Westeuropa, in einer der besten Demokratien der Welt, zerfleddern die ersten Freiheits-Fahnen der Revolution: Ungarn nähert sich ungeniert einer Ein-Parteien-Herrschaft, der Balkan kommt erst gar nicht zu Ruhe.

Und ist es ein Zufall, dass Spanien und Griechenland Europa ins Wanken bringen – zwei Länder, in denen die Menschen noch nach dem Zweiten Weltkrieg Diktatoren erleiden mussten?

Es scheint ein Gesetz der Geschichte zu sein, dass auf Revolutionen die Konterrevolutionen folgen. In der Tat ist es wohl leichter, die Freiheit zu zerstören, als sie mühsam aufzubauen. Die nachrevolutionären Wirren der Welt zeigen nicht mehr Bilder von Frauen, die unverschleiert Rosen in Gewehrläufe stecken, sondern zerfetzte Leiber von Kindern und Flüchtlingslager. Revolutionen sind keine Jahreszeiten: Es gibt keinen Frühling und keinen Winter, es gibt nur Freiheit, die Menschen erkämpfen – immer wieder.

Vielleicht lohnt ein Gedanke, ein dankbarer Gedanke, dass Deutschland seine friedliche Revolution nicht verraten hat – bei aller Ungleichheit, die noch herrscht, bei allen Missverständnissen und Vorurteilen, die östlich wie westlich wabern.

Deutschland ist ein friedliches Land, ein ruhiges Land, in dem der Tod eines Komikers mehr erregt als ein Bürgerkrieg, gerade mal vier Flugstunden von uns entfernt.

(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen + 5 Die Internet-Revolution)

Joachim Braun: Ein junger Wilder wird Chefredakteur des Jahres

Geschrieben am 27. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Joachim Braun ist ein ungewöhnlicher Chefredakteur: Kein Manager, dem Zahlen wichtiger sind als Recherchen; kein Presseclub-Dauergast, der die Welt erklärt; kein Liebling der Mächtigen in der Provinz, auch wenn sie ihn umarmen wollen. Joachim Braun ist Chefredakteur des Nordbayrischen Kurier in Bayreuth, ist Regional-Chefredakteur des Jahres – und feiert heute Geburtstag (27. Dezember).

Braun plädiert für eine strikt journalistische Haltung

Das alte Sowohl-als-auch, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, zählt nicht mehr. Journalisten müssen sich bekennen, müssen Orientierung geben, Hintergründe aufarbeiten, darstellen und vor allem: Sie müssen Klartext schreiben. Nur so bekommen sie Relevanz und erreichen ihre Leser auch emotional.

So steht es in seinem Blog „An(ge)kommen in Bayreuth“, eine ebenfalls ungewöhnliche Chronik eines Chefredakteurs, der vom ersten Tag an notierte und öffentlich machte, was ihm in der Redaktion und in der Stadt auffällt und missfällt.

So machte er sich nicht überall beliebt – auch nicht bei allen in seiner Redaktion, vor allem nicht bei jenen, die – so steht es in seinem Blog – „immer noch glauben, sie hätten in den vergangenen 25 Jahren alles richtig gemacht,

  • weil ihnen die Abonnenten nicht davon gelaufen sind,
  • die soziale Netzwerke standhaft ablehnen, weil sie glauben, sie verrieten dort ihre Ideale,
  • die eine Schulverbandsversammlung 60 Zeilen lang ins Blatt hieven, obwohl sie der Text nicht interessiert,
  • denn: Das haben wir schon immer so gemacht.

Dazu passt eines der Lieblings-Zitate von Braun, das er in einem Interview mit Jürgen Klopp, dem Meistertrainer von Borussia Dortmund, gelesen hat:

Sollten wir einen finden, den ich nicht mehr motivieren kann – der wäre hier auch nicht mehr so glücklich.

Der regionale Chefredakteur des Jahres, den eine Jury des Medium Magazin  wählt, kommt am Ende einer langen Liste von Journalisten, die unsere eitle Zunft als die wahren Journalisten preist: Dreimal FAZ, einmal Spiegel, Welt und dpa, je einmal WDR und ZDF.  Mit der Provinz will man sich nur am Rand ein wenig schmücken, wenn man sich feiert „unterstützt von der Metro group und otto group“.

Die Jury- Begründung für Joachim Braun ist jedoch vorzeigbar:

Er steht für einen unerschrockenen Journalismus, wie man sich ihn nur wünschen kann in einer Region: Gradlinig und kantig scheut er keine Konfrontation mit der Obrigkeit (was u.a. 2012 dazu führte, dass der Bayreuther Oberbürgermeister nicht wiedergewählt wurde). Ebenso wenig scheut er sich davor, alte redaktionelle Zöpfe abzuschneiden (z.B.Vereins- und Honoratioren-Berichterstattung). Er selbst geht mit gutem Beispiel voran und gibt mit seinem kritischen Blog „An(ge)kommen in Bayreuth“ täglich die journalistische Haltung vor, die er auch von seiner Redaktion erwartet.

Da ist allerdings noch ein Rest von Verachtung der Provinz zu lesen: Vereinsberichterstattung als alter Zopf, der abzuschneiden ist – als ob der Bürger, der sich engagiert und selbst organisiert, unserer Gesellschaft schadet. Da wird Lokalberichterstattung gerühmt, nur wenn sie Skandale entdeckt und Bürgermeister absägt – als Provinz-Spiegel sozusagen.

Diese Kopf-ab-Mentalität ist nicht Brauns Sache. Er mag seine Leser, er mag den  Stolz der Menschen auf ihre Heimat, er mag die Provinz, aber nicht das Provinzielle. In seinem Blog ist zu lesen:

Um’s klar zu stellen: Der Nordbayerische Kurier ist weder CSU noch SPD, weder rechts noch links, weder für noch gegen Festspielhaus. Er ist ausschließlich der Wahrhaftigkeit verpflichtet und damit seinen Lesern.

Bei allem Übermut, der Joachim Braun bisweilen überfällt, ist das die rechte Haltung. Glückwunsch,  lieber Joachim Braun!

(zu: Handbuch-Kapitel 2-4 Die Journalisten + 55 Der neue Lokaljournalismus)

 

Kein Grund für linksintellektuelle Schwermut: Das Zeitungssterben fällt aus

Geschrieben am 24. November 2012 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 24. November 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

„Die allermeisten Verlage stehen grundsolide da“, schreibt Chefredakteur Armin Maus im Samstags-Essay der Braunschweiger Zeitung über die Insolvenz der Frankfurter Rundschau und das Ende der Financial Times Deutschland. Wie stark Zeitungen seien, werde verschwiegen, weil es schlecht ins Untergangsszenario passe. Stattdessen könne man viel Unfug vom „Zeitungssterben“ lesen.

Selbst eine gut gemeinte Titelgeschichte in der Zeit, in der viel Kluges über Qualität und Verantwortung zu lesen ist, war überschrieben: „Wie guter Journalismus überleben kann“. Diese Schlagzeile transportiert ein Bild, das in seiner pathetischen Schwarzfärbung vom Hang des linksliberalen Intellektuellen zur Schwermut zeugt.

Maus kritisiert Medienwissenschaftler, Experten und Politiker und bescheinigt ihnen ein Niveau zwischen Nostradamus und Radio Eriwan, wenn sie aus unterschiedlichen Geschichten die eine vom Zeitungssterben bastelten:

  • Medienwissenschaftler, hochgebildete Intellektuelle, sprechen über eine Realität, die sie mangels praktischer Erfahrung nur aus zweiter Hand kennen.
  • Experten, deren Geschäftsmodell auf der These beruht, die Verlage machen ohne sie alles falsch, rezensieren vom Turme herab.
  • Politiker, die die These vertreten, Tageszeitungen seien „ja nicht mehr so wichtig“.

Armin Maus stellt die Erfolge der Tageszeitungen heraus, die zu den wichtigen Faktoren des öffentlichen Lebens gehöre:

  • Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine vergleichbare Vielfalt. Deutschland spiegelt sich in seinen Regional-Zeitungen.
  • 47 Millionen Menschen lesen in Deutschland täglich Zeitung.
  •  Leser schätzen die Unabhängigkeit der Redaktionen. Die Staatsferne, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk für sich reklamiert, ist bei den Zeitungen Realität.
  • Die Tageszeitung genießt bei den Bundesbürgern höchstes Vertrauen, liegt weit vor der „Tagesschau“.
  • Das Vertrauen gilt auch für junge Leute, die sich in beachtlicher Zahl weigern, „keine Zeitung mehr zu lesen“, obwohl es allenthalben von ihnen behauptet wird.
  • Die Zahl der Leser, die ein Abonnement bezahlt, ist leicht rückläufig. Nimmt man allerdings die Reichweiten der Internetangebote der Verlage dazu, sieht das Bild schon anders aus. Denn auch Leser, die keine Papierzeitung wünschen, schätzen die Informationen, die ihnen eine unabhängige Redaktion anbietet.
  • Als Werbeträger haben die Zeitungen unbestreitbar an Boden verloren. Aber es gibt zum ersten Mal eine intensive Zusammenarbeit der wichtigsten Verlage, die die Schaltung bundesweiter Kampagnen erleichtert.
  • Zeitungshäuser – Springer allen voran – sind auf dem Weg zum Multimedia-Anbieter.

(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“ + 53-57  Die Zukunft der Zeitung)

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