Vorbildlicher Journalismus: Judith Luigs Reportage über eine Schwangere, die ihr Kind verliert

Geschrieben am 17. November 2013 von Paul-Josef Raue.

„Mein Kind lebt nur in mir“ ist eine der bewegendsten Reportagen, die ich seit langem gelesen habe. Die Welt-Redakteurin Judith Luig erzählt von einer Mutter, die nach vier Monaten Schwangerschaft ihr Kind verliert; es ist wegen einer schweren Krankheit, Trisomie 18, nicht lebensfähig.

Das Thema verträgt keinen spektakulären ersten Satz, kein Erdbeben. Der Einstieg darf, ja muss kühl sein, sachlich:

Wir sitzen auf der Bank im Gang. Die Ärztin hält in der einen Hand die Tablette, in der anderen ein Glas Wasser. Sie hat gleich Feierabend.

Wir wissen nicht genau, wer das „wir“ ist; es dürfte die Reporterin sein, die zum „Ich“ greift, einem selbst in Reportagen seltenen Wort; Journalisten mögen das „Ich“ nicht, wenigstens nicht in Zeitungen und Magazinen.

Das Grauen schleicht sich nur langsam in die Reportage ein. Die Autorin bleibt noch in der Distanz, sie wechselt erst einmal zu einer Nebenfigur, der Ärztin:

Es war kein leichter Dienst. Aber doch Alltag. Sie hat einer Frau erklären müssen, wie das Kind, das sie erwartet, durch die Tablette, die sie schlucken soll, sterben wird. Am Tag darauf müsse die Frau wiederkommen. Dann werden durch Medikamente die Wehen ausgelöst.

Über das Sterben zu schreiben ist fast unmöglich, über das Sterben eines Kindes zu schreiben hält selbst ein Reporter kaum aus, der viel gesehen hat. Wie hält man seine eigenen Gefühle im Zaum? Die Autorin bleibt auf Distanz, lässt die Ärztin erzählen und beobachtet aus den Augenwinkeln die schwangere Frau – die blass wird, „zweimal sackte sie fast weg“.

Gut dreißig Zeilen lang beschreibt die Autorin das Gespräch zwischen der Ärztin und der Mutter. Der Leser kann noch, wenn auch mühsam, in der emotionalen Distanz bleiben. Es geht um die Abtreibung:

Dann hat die Ärztin ihr geraten, sich ihr Kind anzuschauen, wenn es auf der Welt sei. Damit sie ein bisschen besser verstehen könne, was geschehen ist. Damit sie abschließen könne mit dieser Geschichte. Die Frau nickt. Aber sie versteht nicht. Die Frau bin ich.

Mit diesen vier Worten „Die Frau bin ich“ kippt die Reportage; sie bewegt sich aus der Distanz in die Nähe und nimmt den Leser mit. Wer jetzt noch abseits bleibt, ist verloren; wer jetzt seine Gefühle noch unter Kontrolle hat, der hat keine. Der Autorin gelingt, was selten eine Reportage schafft: Der Leser liefert sich der Reporterin aus.

Eine gute Reportage gelingt allerdings nur, wenn die Sprache stimmt und wenn eine Spannung den Leser in den Bann zieht: Judith Luig, die Ich-Reporterin, hält die Spannung, indem sie ihre Geschichte im Präsens erzählt und weitgehend auf Adjektive verzichtet. Die Hauptwörter tragen die Reportage, geben ihr die emotionale Wucht.

„Kein leichter Dienst“, diese Wendung enthält eine der wenigen Adjektive des Textes. Und nur einmal verliert sich die Reporterin, nennt sie die Redensart „ein bisschen schwanger gibt es nicht“ eine „alte, blöde, deutsche Weisheit“. Man könnte einwenden: Auf diese drei Adjektive hätte sie verzichten können – nur hilft dieser Ausbruch auch dem Leser, Luft zu holen. Der Text geht eben an die Nieren.

Judith Luig beschreibt die Krankheit ihres ungeborenen Kindes, berichtet von den Diagnosen, rettet sich in Zahlen, um das Ungeheuerliche zu bannen: 2,8 Millimeter Nackenfalte, 6,5 Millimeter –

Kinder mit dem letzten Wert sterben zu 95 Prozent in den ersten Monaten der Schwangerschaft. Mein Kind hat eine Nackenfalte von 8,6 Millimetern.

Es gibt nichts Kühleres als Zahlen, deshalb sollten sie in einem Text nur sparsam verwendet werden; hier markieren die Zahlen die Grenze zwischen Leben und Tod – und zwischen den Zahlen steht: „mein Kind“.

Es folgt der Kontrast, die andere Welt, die einfache Beschreibung eines anderen Alltags:

Die Ärztin will nach Hause. Sie hat drei Töchter, die warten, dass ihre Mutter sie von der Schule abholt. Morgen ist Sonnabend. Da machen sie einen Ausflug mit der ganzen Familie. Ich weiß nicht, warum ich die Ärztin gefragt habe, was sie am Wochenende mache und ob sie selber Kinder habe. Ich wollte vielleicht nur über etwas anderes als über das reden, was sie mir sagen musste.

Auch der Leser mag die kleine Abwechslung, auch er will etwas anderes lesen, zur Ruhe kommen. Es ist bewundernswert, wie die Ich-Reporterin die Kontrolle über ihren Text behält und die Wirkung auf den Leser bedenkt. Judith Luig bleibt auf der Sachebene, berichtet vom Down-Syndrom, von Frauen, die im immer höheren Alter schwanger werden – um ein Mal, ein einziges Mal in den Zynismus zu fallen, der das schwierige Leben manchmal leichter macht. Wie denkt man über Frauen, die ihr krankes Kind abtreiben lassen?

In den Texten liest es sich so, als würden Frauen wie ich ihre Schwangerschaft einfach in der Mittagspause an der Kasse stornieren lassen, um dann wieder zu ihrer unglaublich tollen Karriere und ihrem selbstsüchtigen Leben zurückzugehen. Männer kommen in diesen Texten höchst selten vor. Höchstens mal pflichtschuldigst als Nebenbemerkung.

Es folgt die Moral, die Frage der Schuld – und die Aufforderung an den Leser: Und wie denkst Du? Sprichst Du mich auch schon schuldig?

Wir haben es geschafft, dass sich Frauen wie ich, die ein Kind verlieren, bevor es ein Kind ist, auch noch schuldig dafür fühlen. Ich bin nicht gut genug. Ich habe versagt. Wenn man mit den Frauen redet, deren Kind die Schwangerschaft nicht überlebt hat oder das zu früh geboren wurde, um zu leben, dann hört man diese Sätze immer wieder. Doch man hört sie nur dann, wenn es einem selbst geschehen ist. Denn mit nicht Betroffenen sprechen die wenigsten Frauen darüber. Manche, weil sie sich schämen. Andere, weil sie keine Worte für ihren Verlust haben. Aber viele auch deswegen, weil sie sich nicht verteidigen wollen für ihre Geschichte und für ihr Kind.

Eine gute Reportage hat einen Rhythmus und einen roten Faden. Judith Luigs Text wechselt ständig von der Erzählung in den inneren Monolog: Krankenhaus, Beerdigungsinstitut, Besuch der Freundin. Die Autorin macht es dem Leser und sich selber leicht, in dem sie der Reihe nach erzählt. Nur einmal bricht sie aus der Chronologie aus, wechselt ins Imperfekt. „Ich kann heute nicht mehr sagen, wann ich mich ergeben habe“, mit diesem Satz leitet die Autorin den langen Rückblick ein: Die Untersuchungen bei der Pränataldiagnostikerin.

Mitten in diesem Rückblick wechselt sie scheinbar ohne Grund vom Imperfekt wieder ins Präsens, eigentlich ein Fehler – aber er fiel mir erst beim zweiten, beim analytischen Lesen auf:

Ich will nichts tun, was die Schwangerschaft gefährdet, sagte ich.

Diese Schwangerschaft gefährden Sie nicht mehr, sagte die Genetikerin.

Ich glaube, da war mir immer noch nicht klar, was sie meinte… Meine größte Sorge war, dass das Kind leiden könnte. Noch zwei Wochen, so sagt die Forschung, und es würde Schmerzen empfinden.

Ich gehe raus, an die Luft, rufe den Vater des Kindes an. Ich schreie und weine, er weiß nicht, was er sagen soll. Was kann man schon sagen.

Auch bei der Fruchtwasseruntersuchung ein paar Tage später bleibt die Begriffsstutzigkeit an mir haften…

Den Ausstieg aus der Vergangenheits-Form wählt die Autorin nicht im Strom der Erzählung, sondern bei einer Unterbrechung, beim Wechsel vom inneren Monolog in die Erinnerung. Der Trick: Die Erinnerung wird ebenso chronologisch erzählt, der Leser läuft also wieder mit, hat vergessen, dass die Autorin zurückblickt; er ist im Präsens, der Gegenwart der Erinnerung.

Und wie kehrt Judith Luig von der Erinnerung in die Gegenwart zurück? Sie berichtet von einer Kollegin, die auch ihr Kind verloren hat, verwebt so Gegenwart und Vergangenheit:

Mit anderen Menschen zu reden, die Ähnliches erlebt haben, tröstet. Eine Kollegin hat ihr Kind noch zu DDR-Zeiten verloren. Damals nahmen einen die Schwestern im Krankenhaus noch nicht so ernst wie heute. Auch heute noch, 25 Jahre später, denkt diese Kollegin an das Kind. Für niemanden sonst hat es dieses Kind gegeben, sagt sie, aber für mich schon.

Ich finde nicht zurück ins Leben. Ich will auch gar nicht. Wochenlang bleibe ich zu Hause. Überfordert selbst von den kleinsten Aufgaben. Kaffeekochen. Milch einkaufen. Rechtzeitig schlafen gehen…

Mit „Ich finde nicht zurück ins Leben“ beginnt der Schlussteil der Reportage, die in den beiden letzten Sätzen mit dem Zurückfinden ins Leben schließt. So kühl die Reportage im ersten Satz begann, so euphorisch endet sie:

Ich habe ein Kind erwartet, das nicht leben konnte. Aber dass es dieses Kind, wenn auch nur diese kurze Zeit, gegeben hat, das war ein großes Glück.

zur Reporterin (nach Reporterforum.de):
Judith Luig begann ihre Karriere als Reporterin über Schützenkönige, Karnevalsprinzessinnen und Goldene Hochzeiten 1998 bei der Bonner Rundschau. Von 2001 bis 2009 war sie Redakteurin im Magazin der taz, später Ressortleiterin von tazzwei und berichtete dort vor allem über Frauen, Männer und Paralleluniversen. Seit November 2009 ist sie Redakteurin bei der Welt/Welt am Sonntag/ Berliner Morgenpost im Ressort Magazin/Reportage/Vermischtes.

Zur Reportage:
Erschienen in Die Welt vom 16.11.13: „Mein Kind lebt nur in mir“

Die dpa, der Tod und die Auferstehung (Zitat der Woche)

Geschrieben am 14. November 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 14. November 2013 von Paul-Josef Raue in E. Wie Journalisten recherchieren.

Wenn jemand bei uns gestorben ist, wird es schwer, ihn wieder auferstehen zu lassen.“

dpa-Innenpolitik-Chef Roland Freund auf die Frage, warum die Agentur Gerüchte über einen prominenten Toten nicht unverzüglich meldet, sondern erst gründlich recherchiert.

Ohne Bilder läuft wenig im Internet (dpa-Kundenkonferenz 2)

Geschrieben am 13. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Offenbar sind Bilder, starr und bewegt, Grafiken und Illustrationen im Netz noch wichtiger als in der gedruckten Zeitung: Wer Informationen anbietet, hat wenig Chancen, gelesen zu werden, wenn er nicht ein Bild dazu stellt. Da es zu aktuellen Nachrichten oft noch keine Bilder gibt, überlegt die dpa, den Online-Redaktionen Symbol-Bilder und Illustrationen anzubieten – also das Blaulicht auf dem Polizeiwagen-Dach, im Winter auch mit Schnee-Haube, oder die Waage zu einem Gerichtsbericht. Fünf Foto-Kategorien entstehen: Das aktuelle Bild, das Symbol-Bild, die Illustration, das Archiv-Bild und das geplante Bild.

Zudem war auf der dpa-Ost-Kundenkonferenz in Berlin zu erfahren, dass die Agentur „Video-Schnippsel“ plant, also kurze Nachrichtenfilme, die zur schnellen Information auf dem Smartphone taugen. Das werde kein Fernsehen sein, sagte Roland Freund aus der dpa-Chefredaktion, sondern ein Format, das genau aufs Handy zugeschnitten ist, ein Anreger eben.

Unter den Schnipseln wird auch nur selten eine Politiker Pressekonferenz zu finden sein. Solche Filme haben nur geringe Klick-Quoten. Was dagegen auf dem Smartphone läuft: Blaulicht, Tiere und Promis – eben ein Hauch von Boulevard, seriös präsentiert.

Was die „dpa“ plant: Die Zukunft ist online und interaktiv (Kundenkonferenz 1)

Geschrieben am 13. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Roland Freund, Inlands-Chef der dpa, von den Plänen der Agentur spricht, dann fallen Stichworte wie diese: Social-Media-Radar, interaktiver und multimedialer Live-Ticker oder Video-Schnipsel. Wie kann die Nachrichtenagentur den Redaktionen helfen, online mit den Lesern zu verkehren? Die Antwort auf diese Frage stand im Zentrum der Kundenkonferenz des Landesbüros Ost.

Ein typisches Beispiel ist „Scribble Live“, ein Live-Blog, angeboten von einer kanadischen Firma, die mit dem Slogan wirbt: „Real Stories. Real Time“. Die dpa liefert einen Live-Ticker, beispielsweise an einem Wahlabend, und die Zeitung kann ihre eigenen Beiträge einschieben, Texte, Bilder und kleine Filme – und sie kann ihre Leser zu Kommentaren und eigenen Text- und Fotobeiträgen auffordern, die ebenfalls in dem Blog erscheinen. Erfreulich für die Clickzähler in den Verlagen ist: Jeder Teil dieser Seite, jeder Frame, zählt.

Offenbar nimmt dpa auch selber den Dialog ernst – mit ihren Kunden. Schon im Versuchs-Stadium ist die „dpa-community“, eine Plattform zum Austausch von Geschichten und Bildern. Entweder nutzen Redaktionen die Datenbank in einer geschlossenen Gruppe, beispielsweise in einer Redaktions-Gemeinschaft, oder gründen eine Art Genossenschaft, um Artikel und Fotos anderen anzubieten und von anderen zu nutzen.

Mit dem „Social-Media-Radar“ will die Agentur Redakteuren helfen, im Irrgarten von Twitter, Facebook und anderen die entscheidenden Wege und den wichtigen Inhalt zu finden – für die Recherche, die Planung des Inhalts und den Kontakt zu den Lesern. Wo finde ich was? – ist eine der entscheidenden Fragen für Redakteure, die soziale Medien nutzen wollen.

Auf den Nägeln brennen den Redakteuren aber weniger Live-Ticker und Social-Media-Werkzeugkasten als die Mühen der Redaktions-Ebene: Bekomme ich ausreichend Meldungen für meine Regionalseite? Kann die Agentur nicht möglichst viele Termine besetzen? Sollte die Agentur nicht alle Quellen in der Region sichten und auswerten? Diese Themen bestimmten die Diskussion bei der Kundenkonferenz, zu der Jutta Steinhoff, die Landesbüroleiterin Ost, nach Berlin eingeladen hatte.

Die Probleme sind überall ähnlich: Weniger Redakteure – in den Zeitungsredaktionen, aber auch in der Agentur. Gleichwohl verlangen die Leser eine hohe, sogar eine immer höhere Qualität. Und die Leser, wenn sie als Redakteure Agenturkunden sind, verhalten sich ähnlich: Bringt mehr! Und bringt es besser!

Haben Sie sich heute schon vernetzt? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Früher hatten junge Menschen ein Rendezvous, sie küssten und verliebten sich, kauften sich schließlich zwei Ringe und freuten sich über ihr erstes Kind. Heute vernetzen sie sich, erst zu zweit, später zu dritt.

Wer Karriere machen, viel Geld verdienen und zu Ruhm und Ehren kommen will, dem reichen nicht zwei und drei, der will sich mit allen vernetzen. Vernetzen ist das neue Modewort. Wer im Zeitgeist aufgehen und verschwinden will, der plappert so und denkt sich nichts mehr dabei. Alles ist Netz – und wir fallen durch die Löcher.

Als sich vor einigen Tagen Erfurter trafen, um ihre Stadt attraktiver zu machen, nannten sie ihre Konferenz: Vernetzungskonferenz. Aber ist nicht Zweck jeder Konferenz, sich zu treffen und miteinander zu sprechen – also sich zu vernetzen? Man hätte die Konferenz auch Konferenz-Konferenz nennen können.

Wir treffen uns nicht mehr, wir knüpfen keine Kontakte mehr, koppeln und verkuppeln uns nicht mehr: Wir vernetzen uns – als wären wir zum Leben erwachte Computer. Die verbinden sich in der Tat zu einem weltweiten Netz, zum „Internet“: Das Bild ist ebenso verständlich wie treffend.

Erfunden wurde das Netz von der Spinne: Sie zieht die Fäden und fängt im Netz ihre Beute. Wissenschaftler der Systemtheorie, die entdecken wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, haben das Bild geborgt. Doch fanden sie nicht nur Systeme, die so gut funktionieren wie das Netz der Spinne, sondern auch das Chaos und seine Theorie, weil Ordnung und Chaos offenbar Geschwister sind.

Für Wissenschaftler und ihre Systeme und für Millionen von Computern ist das Netz ein treffliches Bild. Für Menschen, diese geselligen Wesen, taugt es nicht – mit einer Ausnahme: Machiavelli hätte es nutzen können. Er vermutete, dass Menschen mit Macht darauf aus sind, andere zu gebrauchen, gar zu vernichten, mit Worten und mit Taten. Das tut die Spinne mit ihrem Netz: Sie vertilgt ihre Beute.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 11. November 2013

Meistgeklickt: Die schönsten Fußballer-Sprüche und Bezahlschranke in Israel (Reformationswoche 2013)

Geschrieben am 5. November 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 5. November 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.

„Links ist ähnlich wie rechts, nur auf der anderen Seite“ – ist der Fußballspruch des Jahres und zusammen mit den Finalisten im Spruch-Wettkampf der meistgeklickte Blog in der Woche rund um Reformation und Allerheiligen.

Zwei Blogs, geschrieben auf meiner Israel-Reise folgen auf den weiteren Plätzen:

> Erfolgreiche Bezahlschranke, aber weniger tiefe Recherchen
> Der 3. Mann, Blogger in Israel und Recherchen auf Facebook

Ein älterer Blog vom 1. Oktober über die Zeit-Journalistin, die Oberbürgermeisterin wurde, und die zynischen Mechanismen öffentlicher Empörung wurde wieder oft geklickt – als sie zurückgetreten war.

Und noch einmal schwache Wörter: Stuckrad-Barres „Lexikon des Grauens“ über die Sprache von Politikern und Politikjournalisten

„Lexikon des Grauens“: Stuckrad-Barre entdeckt die Sondersprache von Politiker und Politikjournalisten

Geschrieben am 4. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Was Benjamin von Stuckrad-Barre die „furchterregende politische Sondersprache“ nennt, ist meist nur schlechtes Deutsch. Einige Beispiele aus seinem Lexikon, das die Welt-am-Sonntag online anbietet und in Auszügen in der Zeitung (3. November 2013) stand:

> angriffslustig hinterm Rednerpult tänzeln

> Aus welchem Topf das bezahlt werden soll, ist noch offen

> Balsam für die geschundene Parteiseele

> Das Urteil der Karlsruher Richter kommt einer Ohrfeige gleich

> frisches Geld / Geld in die Hand nehmen / Geld in die Kassen spülen

> Front machen

> Geburtsfehler des Euro

> Geschlossenheit demonstrieren

> Gesprächsbedarf

> handfeste Gründe

> ergebnisoffen

> nachhaken / nachbessern

> quecksilbriger Politikstil der Kanzlerin

> rumeiern

> schrillende Alarmglocke

> umgarnen

> zielführend

Und alles mit „im“ und „in“:

> im Alleingang / im Aufwind befindlich / im Bundesrat durchwinken / im Hintergrund die Fäden ziehen / im kleinen Kreis / im politischen Berlin ein Beben auslösen / im Portemonnaie spüren / im Rest der Republik / im Vorfeld klare Zielvorgaben abstecken /
im Zustimmungstief verharren / in aller Deutlichkeit / in aller Ruhe prüfen / in den Senkel stellen / in der Sache keinen Millimeter von der Position abrücken / in die Schranken weisen / in puncto Strompreisbremse / in Sachen Klimapolitik

Und alles mit „mit“:
> mit aller Entschiedenheit zurückweisen / mit Augenmaß / mit Blick auf die kommende Landtagswahl/den EU-Gipfel in Brüssel/die jüngsten Umfragewerte / mit einer Ansicht nicht/ziemlich allein dastehen / mit heißer Nadel gestrickt / mit im Boot sein / mit leeren Händen dastehen / mit Murren/grummelnd zur Kenntnis nehmen / mit Nachdruck / mit stolzgeschwellter Brust

„Zuhören mag da niemand mehr, deshalb gilt ab sofort ein Verbot für die Begriffe und Formeln“, bestimmt Stuckrad-Barre. Da müssen wohl die meisten Pressemitteilungen und Artikel ungeschrieben bleiben. Und die Zeitungen werden dünner.

Fußballer sind auf den Mund gefallen: Die besten Sprüche 2013 (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 3. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Links ist ähnlich wie rechts, nur auf der anderen Seite.

Der 23-jährige Patrick Funk verteidigt beim VfB Stuttgart und muss schon aufpassen, ob er rechts richtig steht oder links. Die erste große Auszeichnung seiner Laufbahn gab’s bei einer Gala in der Nürnberger Tafelhalle: Der Fußballspruch des Jahres 2013 – verliehen von der Deutschen Akademie für Fussball-Kultur.

Das Sportmagazin Kicker hat sich die 150 besten Sprüche des Jahres von den Lesern schicken lassen, die elf besten von einer „sprachkundigen Jury“ aussuchen und schließlich den Sieger wählen lassen durch die Besucher der Gala. Im Halbfinale (!) siegte neben Patrick Funk der Freiburger Trainer Christian Streich, den die Zeit bezeichnete als „Trainer mit den dünnen Beinen“ und als ehemaligen „Spieler, der nicht rennen konnte“. Sein schönster Spruch:

Der Eine holt Kraft aus dem Gebet, der Andere aus der Badewanne.

Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler unterlag im Halbfinale mit:

Es macht Spaß, unserer Mannschaft zuzuschauen, auch wenn es wehtut.

Und der Trainer Norbert Meier mit:

Man macht auch nicht in drei Tagen aus einer Würstchenbude eine Großraumdiskothek

Noch einige Kostproben von den Plätzen 5 bis 11:

> Man verändert sich immer, weil man ja Stoffwechsel hat. Man ist ja nicht tot. (Christian Streich)

> Wenn er Postbote wäre, würde er meinen Hund beißen, oder gleich aufessen. (Mehmet Scholl über Ex- Bayern-Trainer Luis van Gaal)

> Sieg oder Sarg! (Oliver Fink vor dem „Endspiel“ der Düsseldorfer Fortuna bei Hannover 96)

> Der Trainer hat gesagt, wir sollen weiter Tore schießen. (Timm Klose, Nürnberg, über die Pausenansprache von Trainer Michael Wiesinger, als die Mannschaft durch ein Eigentor 0:1 hinten lag)

> Manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. (Jérôme Valcke, Fifa-Generalsekretär; der Kicker kommentiert „gewissermaßen schon ‚in Vorfreude‘ auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland“)

Quelle: Kicker Extra vom 28. Oktober 2013

Was bereitet Ihnen beim Schreiben die größten Probleme? Das Internet

Geschrieben am 30. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 30. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Schreibblockaden kennt fast jeder Schreiber. Die gab es schon immer. Aber mit Ipad, Iphone, Twitter und Facebook klopfen die Ablenker ständig an die Tür unserer Aufmerksamkeit – und halten uns vom Schreiben ab. Wer da nicht Disziplin übt!

Zoe Jenny, die Bestseller-Autorin aus der Schweiz, antwortet in einem Welt-Interview auf die Frage, was ihr beim Schreiben die größten Probleme bereitet:

Das Internet ist der große Ablenker. Man kann sich damit andauernd belästigen. Ich muss heute viel disziplinierter sein als früher, als ich noch auf einer elektrischen Schreibmaschine arbeitete. Das waren noch geradezu ruhige Zeiten.

Quelle: Die Welt 30.10.2013

Von Überschriften und vom Verschweigen (Zitate des Journalismus 8)

Geschrieben am 30. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Es sprach der Zeitungsredakteur: Eine Schlagzeile muß her!
Ich glaube fast das isse: Hornist erschlägt Hornisse

Erhard Horst Bellermann, Bauingenieur, Dichter und Aphoristiker (Lodz, 1937)

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Schlimm ist nicht, was die Journalisten schreiben.
Schlimm ist, was sie verschweigen

Gerhard Kocher, Schweizer Publizist (Bern, 1939)

Quelle: Jahresprogramm der ABZV

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