Das Wort des Jahres: GroKo, #Raute, Matt und Knochenbruch (Friedhof der Wörter)
Deutsche sind sparsame Menschen, die Werbung wie „Geiz ist geil“ nett finden. Deutsche sparen auch mit Worten, geizen um jede Silbe – findet die „Gesellschaft für deutsche Sprache“, die das „Wort des Jahres“ wählt.
In diesem Jahr ist das Wort kein Wort, sondern eine seltsam geschriebene Abkürzung: „GroKo“; das bedeutet: „Große Koalition“. Nun kenne ich viele sparsame, ja sogar geizige Menschen, aber ich kenne keinen, der „GroKo“ sagt; alle sagen: „Große Koalition“, wenn sie sich überhaupt für die Koalition interessieren.
Die meisten, die ich nach „GroKo“ fragte, vermuteten einen Papageien-Namen; einer tauchte sogar tief ab in die Geschichte und erinnerte sich an Hitler, den „Gröfaz“, den größten Feldherrn aller Zeiten.
Häufig geschrieben wird „GroKo“ allerdings in der Twitter-Welt: Wer eine solche Nachricht
im Internet sendet, muss sich kurz fassen – denn nach 140 Zeichen ist Schluss. Da geizt man mit jedem Buchstaben und nutzt gerne einen „Hashtag“, ein Schlagwort, vor das man eine Raute (#) setzt.
Wer „#GroKo“ eingibt, kann Tausende von Kurznachrichten lesen über die Große Koalition, wobei das seltsam große „K“ auch folgenlos klein geschrieben werden kann.
Groko wird, so sei orakelt, in spätestens fünf Jahren auf dem Friedhof der Wörter ruhen – wie „Glykol“, das in den achtziger Jahren ebenso „Wort des Jahres“ war wie die „Nulllösung“.
Die #-Raute bedeutet im Schach: Matt – und in der Medizin: Knochenbruch. Das passt doch zum „Wort des Jahres“.
„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion
Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.
Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.
Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.
Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.
Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.
Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.
Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:
Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“
Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!
Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:
Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.
Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro
Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.
Das schönste Weihnachtslied – ohne Synonyme, ohne Wechsel im Ausdruck (Friedhof der Wörter)
Wenn der Redakteur in seinem Aufmacher zum zweiten Mal „Zoo“ schreiben muss, sucht er den Wechsel im Ausdruck, wie er’s in der Schule gelernt hat: „Tiergärtnerischer Bereich“. Nutzt er den „Tiergärtnerischer Bereich“ sogar in der Überschrift, vertreibt er viele Leser – die einen Aufmacher über den Zoo lesen würden, aber kein Interesse an einem „tiergärtnerischen Bereich“ haben.
Aber der Zoodirektor hat es genau so im Interview gesagt, wirft die Redakteurin ein. Dann sollten wir den Zoodirektor davon überzeugen, dass der „Bereich“ im Zoodirektoren-Bereich üblich sei, aber Leser verärgere.
Besteht er darauf, packen wir diese Interview-Passage ans Ende und nehmen sie auf keinen Fall in die Überscrhift.
Dass die Wortwiederholung jedem Synonym überlegen, zeigt das schönste Adventslied: „Maria durch ein Dornwald ging“:
Was trug Maria unter ihrem Herzen?
Kyrie eleison.
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen,
das trug Maria unter ihrem Herzen.
Jesus und Maria.Da haben die Dornen Rosen getragen,
Kyrie eleison.
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben die Dornen Rosen getragen.
Jesus und Maria.
Also: Zweimal „Herzen“, zweimal „Dornen“, zweimal „Rosen“, zweimal „Kindlein“, zweimal „Jesus“, dreimal „Maria“, viermal „trug“ oder „getragen“. Und das Lied ist schön, nicht sentimental – und von einer Kraft der Bilder, die selbst in Weihnachtsliedern ungewöhnlich ist..
Wenn der Mensch Gott spielt – Der Weihnachts-Leitartikel über Maria, Mark Zuckerberg und den Himmel
Heute brauchen wir keinen Engel mehr, der mit einem Gruß von Gott kommt und Maria vorhersagt: „Du wirst schwanger werden!“ Heute schickte Mark Zuckerberg eine Mail:
Hallo Maria, Glückwunsch von unseren Computern! Sie haben herausgefunden: Du bist schwanger und bekommst einen gesunden Jungen. Wir empfehlen Dir für die nächsten Monate das vielfach erprobte ,Engel-Vitamin‘ mit all den Komponenten, die Dich und Dein Kind glücklich machen. Die Probepackung gibt es zum Sonderpreis…
Wer ist dieser moderne Engel, dieser Mark Zuckerberg? Er hat Facebook gegründet, in dem gut eine Milliarde Menschen unentwegt von sich erzählen – von der neuen Frisur, vom netten Seitensprung oder der Krankheit des Großvaters. All das weiß auch Mark Zuckerberg.
Die besten seiner fünftausend Mitarbeiter sind gerade dabei, ein modernes Orakel zu programmieren – etwa zur Vorhersage einer Schwangerschaft. Wenn sich eine Frau plötzlich Zink-Tabletten kauft und Cremes ohne Parfüm, dann ist sie wahrscheinlich schwanger – auch wenn sie es selber noch nicht weiß.
Woher weiß es Mark Zuckerberg? Wir schreiben es ihm. All die harmlosen Nachrichten auf Facebook ergeben am Ende ein genaues Bild: Wie wir leben, wie wir denken, wie wir planen. Schließt sich Mark Zuckerberg zusammen mit den anderen, die unsere Daten sammeln, dann kennt er die Seelen der Welt: Was kaufen wir ein? Was suchen wir in den Internet-Lexika? Was steht auf unserer Gesundheits-Karte? In unserer Steuererklärung?
Es ist Weihnachten, der Tag, an dem wir uns erinnern: Gott macht sich zum Menschen. Sprechen wir also von Gott.
Er ist tot, sagte Nietzsche. Wir brauchen ihn nicht, sagte Stalin. Ich bin Gott, könnte Mark Zuckerberg sagen. Denn alles, was je über Gott gesagt wurde, trifft auf ihn und seine Großrechner zu: Allwissend, unendlich – also die Welt umfassend -, ewig, da sein Wissen gespeichert wird bis ans Ende der Tage und darüber hinaus.
Der Mensch spielt Gott. Ist das eine frohe Botschaft? Singen die Drohnen, mit denen Zuckerberg über unseren Seelen schwebt, vom Frieden auf Erden? Entdecken seine Algorithmen die Erlösung? Stillen seine Orakel die Sehnsucht nach Glück?
Zu Weihnachten öffnet sich der Himmel – nicht nur für die Gläubigen, die kein Monopol auf den Himmel haben, sondern vor allem für die Zweifler, die Wahrheits-Sucher, Nörgler und Ewig-Unzufriedenen. Da die Kirche ihr Monopol auf die Deutung der Welt abgeben musste und kein Nachfolger in Sicht ist, schaut jeder in einen anderen Himmel und fragt sich – so er noch fragt: Wo sind meine Grenzen? Wo sind unsere Grenzen? Was ist jenseits davon?
Wer nicht mehr nach oben schaut und nur noch auf seinen Computer-Schirm, der sieht dort die virtuellen Sterne, die ihn einladen, „Gefällt mir“ zu klicken – in einer falschen Welt.
* Ungekürzte Fassung des Weihnachtseditorials der Thüringer Allgemeine, 24. Dezember 2013
Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause
Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro
In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:
In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?
Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.
Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?
Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?
Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?
Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.
Und hat es geholfen?
Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.
Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?
Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.
„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?
Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.
„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?
Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.
Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?
Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.
Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?
Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.
Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?
Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.
Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?
Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.
Also doch nicht alles Fiktion?
Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.
Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?
Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.
Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.
Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)
Schwarzer Humor zu Weihnachten (Friedhof der Wörter)
Die meisten Leser mögen keine Anglizismen, also weder das Highlight noch das Venture Capital noch den Service Point. Auch Engländer, nur selten des Deutschen kundig, können sich zu Tode erschrecken, wenn sie über ein deutsches Wort stolpern – wie beispielsweise über „Dienstag“.
Das königliche Krankenhaus in der englischen Stadt Sheffield hat offenbar eine sparsame Geschäftsführung: Sie kaufte für die Patientenzimmer Digitaluhren aus Deutschland. Der Dienstag wird darauf DIE abgekürzt – was im Englischen für „to die“ steht, also: sterben.
Ein Patient schaute an einem Dienstag auf die Uhr, erschrak buchstäblich zu Tode, fühlte seine letzte Stunde gekommen und rief gottlob nicht sofort nach einem Priester, sondern zuerst nach seinen Ärzten. Dabei hatte der Kranke nur Rheuma, das zwar schmerzhaft ist, aber nicht zum Tode führt.
Dem Patienten konnten seine Ärzte sofort helfen. Sie stellten einfach die Anzeige der Uhr auf die englische Sprache ein.
In der Weihnachtsausgabe des britischen Ärzte-Journals erzählt die Redaktion die kuriosesten Ärzte-Geschichten des Jahres – mit der „Zunge in der Backe“. Diese englische Redensart ist eine treffende Umschreibung für schwarzen Humor – und für Ironie, die neun von zehn Deutsche nicht verstehen; deshalb sollten Journalisten die Ironie meiden wie der Teufel den Beichtstuhl, vor allem an Weihnachten, wenn selbst ironie-begabte Menschen vor lauter Besinnlichkeit keinen Spaß mehr verstehen, auch nicht in dieser Friedhofs-Kolumne.
Thüringer Allgemeine, 23. Dezember 2013, Kolumne „Friedhof der Wörter“
Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?
„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.
Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.
Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.
Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?
Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.
Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.
Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.
Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch
Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?
„Es gibt kaum etwas Komplizierteres als die Organisation“ (Zitat der Woche)
Es gibt nichts Einfacheres als Organisation,
um die Welt überschaubar zu machen.
Aber es gibt kaum etwas Komplizierteres als
die Organisation, die dabei entsteht.
Mit diesem Bonmot von Dirk Baecker wünscht der Unternehmensberater Rainer Wagner geruhsame Feiertage.
Meistgeklickt: Nordkorea, Bildzeitung und Besinnlichkeit (2. Dezemberwoche)
Der Blog über die wundersame SZ-Reportage zu Marcel Reifs Reise nach Nordkorea steht an der Spitze: Überall wird gescannt und durchleuchtet – bis auf einen, einen allerletzten Ort: Nordkorea. Marcel Reif war dort.
Platz 2 ist die Erklärung der Bildzeitung, in der Großen Koalition zur APO zu werden. Der Begriff APO weckt Erinnerungen an Springer und die Achtundsechziger.
Gleich zweimal war das nahende Weihnachten gefragt: Wolf Schneiders „Weihnachtsprosa: Wortschleim und Besinnlichkeit“ und das Weihnachts-Editorial vom vergangenen Jahr: „Das verlorene Herz oder: Die schönste Liebesgeschichte der Welt“.
Gut geklickt wurde auch die Antwort auf den empörten Leser, dessen Brief über das Versagen der Politik die Redaktion gekürzt hatte.
BILD wird zur APO: Was Journalismus in einer Großen Koalition leisten muss
Man kann die Nase rümpfen, sich abwenden – weil die Bildzeitung es macht. Aber das Boulevard-Blatt zeigt heute auf der Titelseite, wer immer die wahre Opposition in der Republik ist – und erst recht in einer Großen Koalition, in der es praktisch keine Opposition im Parlament mehr gibt: Die Journalisten.
Eine Demokratie funktioniert durch eine Kontrolle, die den Namen verdient – denn Macht neigt dazu, sich selbst zu begnügen, immer mehr Macht zu sammeln und Kritiker abzuwehren. Diese Kontrolle üben Journalisten aus in unabhängigen Zeitungen und Magazinen.
Überhöhen wir uns nicht? Werden wir nicht übermütig mit Bild an der Spitze?
Nein! Erinnert sei an das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.
Richten wir uns darauf ein, zwischen den Stühlen zu stehen – ungemütlich, aber mächtiger als die Mini-Opposition im Bundestag!
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Ausführlicher Auszug aus dem Spiegel-Urteil von 1966 in der neuen Auflage des Neuen Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus im Kapitel 4 (Seite 21)
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