Ministerpräsidentin lobt Anzeigenblätter

Geschrieben am 12. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

„Anzeigenblätter sind schlichtweg besser als ihr Ruf“, sagt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und reagiert auf Dieter Golombek, dem Jury-Chef des „Deutschen Lokaljournalistenpreises“. Dieser antwortete in einem Interview auf die Frage „Gibt es einen Trend im aktuellen Lokaljournalismus?“:

Die Guten werden immer besser. Die weniger Guten geraten immer mehr in die Gefahr, sich auf das Niveau von Anzeigenblättern hinzubewegen.

Zu lesen war das Interview in der Thüringer Allgemeine und in diesem Blog.

Ministerpräsidentin Lieberknecht spricht auf der BVDA-Tagung in Erfurt über die Bedeutung der Anzeigenblätter und lobt im Textintern-Interview:

Zwischen viel bunter Werbung finden sich viele lesenswerte und interessante Beiträge. Anzeigenblätter nehmen zudem in ganz besonderer Weise Ereignisse aus der Heimat in den Blick. Zudem haben Anzeigenblätter eine wichtige soziale Komponente. Denn viele Bürgerinnen und Bürger müssen bei ihren täglichen Einkäufen auf jeden Euro achten.

Lieberknecht geht in dem Interview auch auf die „Dominanz der Funke Gruppe in Thüringen“ ein und antwortet auf die Frage, ob es Probleme für die Pressevielfalt gebe:

Anbietervielfalt ist keine Garantie für Inhalte- und Meinungsvielfalt. Es ist Sache der Verlage, wie sie sich redaktionell aufstellen. Durch die Entwicklung des Online-Bereichs ist dem herkömmlichen Zeitungswesen eine Konkurrenz entstanden, die zu Umbrüchen in der Zeitungslandschaft geführt hat und noch weiter führen wird.

** FACEBOOK-Debatte

Anton Sahlender

… sie wird wissen, wo ihre Pressemitteilungen 1:1 abgedruckt werden…

Hardy ProthmannV: Seine Facebook-Kommentare entfernt nach Intervention („unerlaubt“)

Paul-Josef Raue

Verehrter Herr Prothmann, das ist mir ein wenig zu wirr. Die „kritische Einordnung“ ist mir recht oberlehrerhaft: Die Leser meines Blogs können einordnen, ich muss ihnen das nicht einordnen.

Ich wollte festhalten, dass sich eine Ministerpräsidentin von einem Interview distanziert, in dem davor gewarnt wird, dass Lokalteile aufs Niveau von Anzeigenblättern sinken. Die Ministerpräsidentin kam nicht zum Festakt zur Verleihung des Deutschen Lokaljournalistenpreises, obwohl er in Thüringen auf der Wartburg stattfand; aber sie geht zum Treffen der Anzeigenblätter und lobt sie. Da kann man sich schon einen Reim drauf machen. –

Und „Hauptsache Print“, der Kampf gegen das Papier ist mir zu einfältig: Gegen wen oder was kämpfen Sie da eigentlich unentwegt? Und wann haben Sie den Kampf gewonnen? Aber: Sie loben einige Anzeigenblätter, die deutlich besser sind als die Tagespresse. Aber die werden doch auch auf Papier gedruckt – oder?

Und zuletzt: Genau darum geht es in dem Interview, auf das die Ministerpräsidentin reagiert: Es gibt zu viele Lokalteile, die sich dem Niveau von Anzeigenblättern nähern. Da haben Sie dann Ihre kritische Einordnung.

Stefan Hans Kläsener

mein kleines nachtgebet: möge der herr hirn regnen lassen, damit politiker von format endlich erkennen, dass ihr eigenes geschäft am ende auch leidet, wenn sie keinen niveauvollen counterpart mehr haben. wo immer es den noch gibt, funktioniert auch die politik deutlich besser, und die strippenzieher haben es schwerer.

Paul-Josef Raue

Ich schließe in mein Nachtgebet auch die Journalisten von Format ein.

Wie PR die Nachrichten erobert: Die Huffington Post nun auch deutsch

Geschrieben am 11. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein PR-Berater kommt zur Huffington Post, um die Pressemitteilungen loszuwerden, die seriöse Tageszeitungen nicht drucken, schreibt die FAZ nach der Pressekonferenz zum Start der deutschen Huffington Post. Weiter lesen wir: „Dass viele von den Bloggern Geld von Firmen bekommen, deren Werbebotschaften sie verbreiten, ist leicht zu erahnen.

In dem Internet-Anzeigenblatt Huffington Post, in der 15 Redakteure bezahlt arbeiten, kann jeder schreiben unter der Bedingung, dass er kein Honorar bekommt. Ziel der Burda-Tochter, die in Deutschland drei Millionen investieren will, ist es, die Huffington Post zu den drei bis fünf größten Nachrichten-Portalen aufsteigen zu lassen. Wie gesagt: Nachrichten-Portal, nicht PR-Portal. Frau von der Leyen schreibt auch.

Quelle: FAZ 11.10.2013

Der Papst über Chefredakteure: Häufig sind sie Narzissten

Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 10. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, G 26 Interview, L 46 Wer hat die Macht?.

Narzissmus ist nicht gut und kann nur groben Schaden anrichten. Das schädigt nicht nur die Seele, sondern auch die Beziehungen zu den Mitmenschen, die Gesellschaft, in der wir leben. Das wirklich Schlimme ist, dass vom Narzissmus, der in Wahrheit eine mentale Störung ist, am meisten Personen mit viel Macht betroffen sind. Häufig sind die Chefs Narzissten.

Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischen Journalisten und Agnostiker Eugenio Scalfari. Also sind nicht nur Chefredakteure gemeint, sondern alle Mächtigen, auch alle Journalisten, die sich dem einfachen Volk überlegen fühlen und dem Rest der Journalisten sowieso.

Der Papst nennt auch seine Vorgänger:

Die Kirchenführer sind häufig Narzissten gewesen. Sie waren geschmeichelt und in schlechter Weise freudig erregt über ihre Höflinge. Der Hof ist die Lepra des Pontifikats.

Es gibt viele Höfe, überall.

Quelle des Zitats: Welt 5.10.2013

Bedingungen fürs Interview: Fotos löschen bei Missgefallen

Geschrieben am 9. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Alle Fotos sind vorzulegen; bei Missgefallen dürfen die Porträts nicht gedruckt werden. Das ist Bedingung 1 fürs Interview. Unanständig? Ja, und der Spiegel würde sie nicht akzeptieren, wenn Angela Merkel oder Udo Lindenberg zum Interview erschiene. Aber ein Diktator, über den die ganze Welt spricht?

Bei Assad akzeptierte der Spiegel – und so hätte wohl jeder Journalist entschieden. Dieter Bednarz und Klaus Brinkbäumer, die das Interview führten, akzeptierten auch Bedingung 2: Keine Fotos von Giftgasopfern auf der Interview-Strecke im Blatt.

Vorbildlich erzählen die Reporter ihren Lesern, unter welchen Bedingungen das Interview zustande kam: Drei Stunden dauerten die Verhandlungen am Tag vor dem Interview.

Die Reporter stellten alle Fragen, auch alle harte Fragen, die zu Assad einfallen: „Wären Sie ein aufrichtiger Patriot, dann würden Sie zurücktreten…“ und „Die Legitimität Ihrer Präsidentschaft bestreiten nicht nur wir…“ und „Zurück zu den Chemiewaffen… Chemiewaffen sind kein Grund zum Lachen…“

Assad autorisierte das Interview ohne Änderungen. Ein starkes Interview!

Quelle: Spiegel 41/21ß

Wenn Journalisten in die Politik gehen und Fehler machen (Zitat der Woche)

Geschrieben am 8. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 8. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, B. Die Journalisten.

Fehler zu machen, lässt einen fast nie stürzen – nur der Umgang mit Ihnen.

Die oberste Spielregel der Schlachtrösser – so zitiert die FAZ die mächtigen Männer in der SPD Schleswig-Holsteins, die die Ex-Zeit-Redakteurin und Genossin und Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke erst stürzen wollten und nun doch nicht. Mehr dazu in einem Blog vom 1. Oktober „Die zynischen Mechanismen öffentlicher Empörung“.

Die FAZ bemerkt zu diesem Spiel der Macht: „Es zeigt sich auf beeindruckende Weise, dass es ein großer Unterschied ist, Politik wahrzunehmen oder Politik zu machen.“ Ein unglaublicher Gedanke!

Quelle: FAZ 8.10.2013

Die Einheitsfrage mutet die „Zeit“ nur ihren Ost-Lesern zu

Geschrieben am 3. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

„Ist der Westen noch der Maßstab?“, fragt die Zeit 18 Deutsche, davon die Mehrheit im Westen geboren. Sie nennt die Frage die „Einheitsfrage“ und stellt fest: Das Verhältnis zwischen Ost und West hat sich grundlegend geändert.

Das mag sein – aber nicht für die Zeit. Denn die Antworten auf die Frage stehen nur in der Ost-Ausgabe, also nahezu unter Ausschluss der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Den Lesern im Westen mutet man weder Frage noch Antworten zu. Kann eine Redaktion deutlicher machen, was sie von den Menschen im Osten hält?

Die klügste Antwort gibt die Schauspielerin Claudia Michelsen, die bald ihre Premiere feiern darf als Kommissarin im Magdeburger „Tatort“. Sie stellt eine Gegenfrage:

Die Frage, inwieweit der Westen noch Maßstab ist, klingt für mich fast wie eine Drohung. War der Westen jemals Maßstab?

Die Ost-Leser bekommen die „Zeit im Osten“ als vier zusätzliche Seiten am Ende des ersten Buchs. Da geht das schönste Stück Übersichtlichkeit für die Ost-Zeitler verloren: Die komplette Inhalts-Übersicht auf der letzten Seite des ersten Buchs ist ein exzellenter Service. Der Inhalt, auf eine viertel Seite geschrumpft, steht im Osten auf der drittletzten Seite. Welch ein Verlust!

Beerdigen wir die „neuen Länder“: Sie bleiben nicht ewig jung (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 3. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 3. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Sind Thüringen und Sachsen wirklich neue Länder? Die Sachsen waren ein munteres und aufsässiges Völkchen schon im dritten und vierten Jahrhundert, so dass die Sachsen ihre Jugend schon lange hinter sich haben.

Da sind die Thüringer ein wenig älter, aber mit einer anderthalb Jahrtausende währenden Geschichte auch nicht mehr wirklich jung. Im vierten oder fünften Jahrhundert taucht der Name auf, danach geht es – wie bei den Sachsen – turbulent zu: Die Grenzen verschieben sich, mal wird’s größer, mal wird’s kleiner. Erst als sich die feudalen Familien aus der Geschichte verabschieden, vereinigen sich sieben Freistaaten, aber lassen Erfurt noch draußen vor der Landestür.

Doch genug von der Geschichte des schönsten deutschen Landes, über die man Wälzer geschrieben hat. Über Baden-Württemberg kann man keine Wälzer schreiben. Dies Retortenland gibt es erst seit 1952.

Dicker werden auch nicht die Geschichtsbücher von Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Licht der Geschichte traten.

Welches sind also die neuen Länder? Nicht die, die wir gerne als die „neuen Länder“ bezeichnen – als habe die deutsche Geschichte erst mit der Vereinigung 1990 begonnen. Selbst wenn wir den 3. Oktober 1990 als Beginn einer Zeitrechnung nehmen, dürften wir 23 Jahre danach das „neu“ streichen. So lange dauert „neu“ nicht.

Wer seine Liebe wechselt, den Freunden seine „neue“ Frau vorstellt, der wird sie nach 23 Jahren nicht mehr als „neu“ präsentieren. Es wäre peinlich. Nach 23 Jahren gehört sie dazu, in guten wie in schlechten Zeiten.

So sollten wir es auch mit Thüringen und Sachsen und Brandenburg und den beiden Doppel-Ländern im Osten halten: Ihre Jugend im vereinten Deutschland ist vorbei. Man bleibt nicht ewig jung.

Also beerdigen wir die „neuen Länder“ auf dem Friedhof der Wörter, die „jungen Länder“ gleich mit und nehmen wir die Himmelsrichtung: Die Länder im Osten.

THÜRINGER ALLGEMEINE, geplant für den 7. Oktober 2013

Die zynischen Mechanismen öffentlicher Empörung: Eine Redakteurin wird Oberbürgermeisterin und verzweifelt

Geschrieben am 1. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Man wird unglücklich, wenn man erst einmal in der Mühle drin steckt. Man wacht um vier Uhr nachts auf, voller Angst, weil um halb fünf die Zeitung mit der nächsten üblen Geschichte vor der Tür liegt.

So spricht heute Susanne Gaschke (SPD), Oberbürgermeisterin in Kiel, zuvor Redakteurin bei der Zeit.

Die Süddeutsche widmet Susanne Gaschke die Seite Drei (30. September) wegen ihrer Verstrickungen in einem Skandal, in dem sie schmerzhaft spürt – diesmal auf der anderen Seite – „wie hartnäckig eine empörte Menge aus Journalisten, Opposition, Netzgemeinde sich an die Fehlersuche machen kann, wie viel Häme und Unterstellungen damit eingehen, wie zynisch die Mechanismen öffentlicher Erregung sein können.

Eine aufschlussreiches Porträt liefet Charlotte Parnack in „Von der Rolle“: So schwer ist der Rollenwechsel von der Redaktion ins Rathaus, in die Politik. Die Journalistin kannte und recherchierte Skandale – „aber sie kannte sie nur aus dem warmen Kokon der Redaktion heraus“.

„Es gibt kein Problem, die Leser zu erreichen.“ Interview mit Lars Haider, Chefredakteur Hamburger Abendblatt

Geschrieben am 30. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Lokaljournalismus sei lange Zeit in seiner Bedeutung unterschätzt worden, glaubt Lars Haider. In einer Zeit, in der Informationen aus allen Teilen der Welt ununterbrochen auf einen einprasselten, sei die regionale Berichterstattung für viele Leser heute jedoch um so wichtiger. „Der Deutsche Lokaljournalistenpreis ist für die Motivation und das Renommee dieser Zeitung deshalb besonders wichtig, weil einerseits das Konzept und gleichzeitig die Arbeit der gesamten Redaktion auszeichnet werden“, so der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts im Interview mit „Kas.de“, der Online-Redaktion der Konrad-Adenauer-Stiftung; dort auch ein Podcast des Interviews.

Herr Haider, herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Lokaljournalistenpreis, den Sie sich mit der Thüringer Allgemeinen teilen. Ihre Zeitung, das Hamburger Abendblatt, demonstriert mit seinem crossmedialen Stadt-Konzept modernen Lokaljournalismus in all seinen Facetten. In der Jurybegründung heißt es dazu: „Die Redaktion begegnet dem Leser auf Augenhöhe, bietet ihre guten Dienste an und agiert souverän crossmedial.“ Erklären Sie doch mal, welcher Ansatz Ihrer Arbeit zugrunde liegt.

Lars Haider: Unsere Idee ist, dass eigentlich jeder in der Redaktion, ganz egal, ob er jetzt im Kultur-, Wirtschafts- oder Sportressort arbeitet, gleichzeitig auch noch Lokaljournalist ist und mit offenen Augen durch die Stadt geht. Daher hat fast jeder Redakteur – weil wir mehr Redakteure als Stadtteile haben – die Patenschaft für einen Stadtteil übernommen, diesen Stadtteil vorgestellt, die Straßen darin begangen und gestestet und soll eigentlich auch so etwas sein wie ein Ansprechpartner, wenn in diesem Stadtteil etwas passiert.

Der Deutsche Lokaljournalistenpreis gilt als einer der renommiertesten Preise seiner Branche. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat einmal gesagt, der Preis sei einer der bedeutendsten Auszeichnungen für Regionalzeitungen im deutschsprachigen Raum. Man erhält den Preis nicht einfach so, sondern man muss sich bewerben und vor einer fachkundigen Jury um Dieter Golombek bestehen. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Der Preis ist für Regionalzeitungen mit Sicherheit nicht nur einer der wichtigsten, sondern DER wichtigste Preis. Ich würde ihn zu den vier wichtigsten Preisen in Deutschland zählen und zwar auf Augenhöhe mit dem Henri-Nannen-Preis, dem Wächterpreis und dem Theodor Wolff Preis. Das Besondere an diesem Preis ist, dass er ein Konzept auszeichnet. Es gibt viele gute Reporter und Journalisten, denen richtig gute Texte gelingen und dann bekommt einer einen Preis und darüber freuen wir uns auch.

Aber mit diesem Preis wird einerseits das Konzept ausgezeichnet und andererseits die gesamte Redaktion. Das ist für die Motivation und das Renomee dieser Zeitung etwas ganz anderes. Deshalb ist mir der Deutsche Lokaljournalistenpreis mit Abstand der wichtigste Preis. Er ist ja auch einer der Preise, für den sich am meisten Zeitungen bewerben. In diesem Jahr waren es mehr als 700. Da zu gewinnen, ist einfach großartig.

Sie haben bereits 2005 mit den Elmshorner Nachrichten und 2009 mit dem Weserkurier den Lokaljournalistenpreis erhalten. Man könnte also sagen, dass Ihnen der Lokaljournalismus offenbar eine Herzensangelegenheit ist. Was treibt Sie an?

Was mich antreibt, ist etwas, das seinerzeit auch der Gründung des Deutschen Lokaljournalistenpreises zugrunde lag, nämlich das Problem, dass Lokaljournalismus lange Zeit belächelt wurde. Politik- und Wirtschafts- und Kulturredakteure waren die tollen Journalisten und bei den Lokaljournalisten hieß es immer, das sind die, die zum Kaninchenzüchterberein gehen. In meiner zwanzigjährigen Zeit als Journalist habe ich noch nie eine Geschichte über Kaninchenzüchtervereine geschrieben und auch noch nie eine Geschichte darüber gelesen in einer Regionalzeitung, für die ich gearbeitet habe.

Mein Ziel ist es, den Lokaljournalismus auf die gleiche Stufe zu stellen und seine Qualität ständig zu verbessern. Das treibt mich an und es ist vielleicht auch die schönste Aufgabe im ganzen Journalismus.

In Zeiten von Globalisierung und weltweiter Mobilität erlebt Heimatverbundenheit eine Art Renaissance. Die Lokalzeitungen stellen sich mit unterschiedlichem Erfolg auf das Bedürfnis nach noch mehr Berichterstattung über lokale Ereignisse ein. Ist diese Entwicklung eine Gegenreaktion auf die Vielfalt und damit verbundene Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt?

Sie sagen es. Es wird immer schwieriger, die Welt zu verstehen, weil man immer mehr Informationen aus Teilen der Welt bekommt, von deren Existenz man vor fünf Jahren noch gar nichts wusste. Man kann alles erfahren und das wird sehr unübersichtlicht. Auch habe ich manchmal das Gefühl, man weiß mehr über Dinge, die in Amerika passieren, als über Vorkommnisse bei mir in der Nachbarschaft.

Ich glaube, dass die Leute sich heute einerseits für die großen, globalen Zusammenhänge interessieren – viel stärker als früher und natürlich auch viel mehr Quellen haben, weil man alle Informationen heute überall und kostenlos bekommt – andererseits gibt es aber ein zunehmendes Interesse daran, was im direkten Umfeld passiert.

Das Problem für Regionalzeitungen ist die Ebene dazwischen. Nehmen wir das Beispiel Hamburg. Ich wohne in einem Stadtteil, der Alsterdorf heißt. Der ist gar nicht so weit vom Stadtteil Winterhude entfernt, aber ganz ehrlich interessieren sich die Leser aus Alsterdorf in erster Linie dafür, was in Altsterdorf passiert, auch wenn Winterhude nur drei Kilometer entfernt liegt. Es zu schaffen, den Menschen einer Großstadt wie Hamburg, immer möglichst viele Informationen aus ihrem direkten Umfeld zu bieten, ist die große Herausforderung.


Immer wieder wird den Zeitungen vorgeworfen, nicht genügend neue Ideen für kreative Geschäftsmodelle zu haben. In dieser Diskussion kommt auch immer wieder das Thema Leistungsschutzrecht der Presseverlage zur Sprache. Was sind Ihrer Meinung nach geeignete Rezepte in einer Zeit, in der die Auflagen massiv einbrechen und Internet, Smartphones und Tablet-PCs zunehmend die klassische Zeitungslektüre ablösen?

Die Auflagen der Zeitungen gehen zurück und wir erreichen auf Papier deutlich weniger Leser als früher. Dafür hatten wir andererseits aber früher null Leser auf anderen Kanälen. Wir haben beim Hamburger Abendblatt im Monat heute mehr als zwei Millionen Menschen, die eines unserer Mobilangebote nutzen, zwischen 60.000 und 100.000 Leser allein auf Smartphones. Es gibt also kein Problem, die Leser zu erreichen.

Es stellt sich aber die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Redaktion und des Journalismus allgemein. Jedoch darf es aus meiner Sicht nicht Aufgabe von Journalisten sein, kreative Ideen zu entwickeln, um Geld zu verdienen.

Unsere Aufgabe muss es sein, hochseriösen, unterhaltsamen und gut verständlichen Journalismus zu machen. Wie sich der dann vermarkten lässt, kann per se nicht unsere Aufgabe sein, denn dann würden wir in die eine oder andere Form Dinge tun, die mit dem Journalismus, wie ich ihn möchte, nichts zu tun haben. Wir würden dann zum Beispiel über bestimmte Anzeigenkunden besonders positiv schreiben. Oder wir würden uns Umfelder überlegen, die sich besonders gut vermarkten lassen. Das darf nicht passieren. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir tun und lernen, auch darauf stolz zu sein. Journalismus ist keine Ware, sondern am Ende die Voraussetzung für Demokratie und Freiheit.

Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass sich die Axel Springer AG von einigen Zeitungen, darunter auch dem Hamburger Abendblatt, trennen wird. Manchem Kommentatoren galt dieser Schritt von einem der größten Medienhäuser Europas als Zeichen des Abgesangs auf die klassische Zeitung. Welche Auswirkungen wird der Wechsel in die Funke Mediengruppe ab 2014 für Ihre Arbeit haben?

Ich sehe im Moment und mittelfristig überhaupt keine Veränderung, denn letztendlich wechselt nur der Eigentümer. In der Berichterstattung sind auch einige Dinge komplett durcheinander gebracht worden. Man kann sich diesen Deal aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Man kann sagen, Axel Springer hat das Abendblatt und andere Zeitungen verkauft. Man kann aber auch sagen, die Funke Mediengruppe hat das Abendblatt gekauft. Wir beim Abendblatt haben lächelnd zur Kenntnis genommen, dass das Hamburger Abendblatt mehr wert ist als die Washington Post. Das ist für Regionalzeitungen in Deutschland kein schlechtes Signal.

Blicken wir zum Abschluss kurz gemeinsam auf den großen Tag. Am 30. September erhalten Sie in einem Festakt die Urkunde für den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Wissen Sie schon, wo diese Urkunde einen festen Platz bekommen wird?

Gute Frage. Wir sind Hanseaten und der Hanseat neigt dazu, solche Dinge einfach in einen Schrank zu stellen. Da liegen auch schon relativ viele Preise, die das Abendblatt in den vergangenen fünf bis zehn Jahren gewonnen hat. Ich glaube, wir müssen eine geeignete Fläche dafür in unserem Newsroom schaffen. Da gibt es eine schöne Wand, wo man diese ganzen schönen Preise vielleicht in ein gläsernes Regal stellt könnte. Denn bei aller hanseatischen Zurückhaltung ist es eigentlich eine Schande, dass alles in einem kleinen Safe bei mir liegt. Es muss ja auch irgendwie zu sehen sein.

Meistgeklickt: Golombek-Interview und die Brand-Gegenrede einer Retterin

Geschrieben am 30. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 30. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Die guten Lokalteile werden immer besser, die schwächeren bewegen sich auf das Niveau von Anzeigenblättern zu – das ist die zentrale Aussage im großen Interview mit Dieter Golombek, dem Nestor des deutschen Lokaljournalismus, zur Verleihung des Deutschen Lokaljournalismus auf der Wartburg.

Das sind die fünf meistgeklickten Blogs in der letzten Septemberwoche:

1. „Manche Lokalteile bewegen sich auf das Niveau von Anzeigenblättern zu (Dieter Golombek im Interview)“

2. “Ihr habt nur den großen Mund!” – Wie eine Retterin auf eine Facebook-Diskussion reagiert“

Eine Familie stirbt bei einem gräßlichen Unfall, nur ein Kind überlebt und ringt mit dem Tod. Eine Retterin reagiert entsetzt auf die Reaktionen im Internet – und setzt zu einer beeindruckenden Gegenrede an.

3. “Wo eine gute Lokalredaktion ist, verändert sich die Politik einer Stadt” – Interview, Deutscher Lokaljournalistenpreis“

Die Thüringer Allgemeine gewinnt, zusammen mit dem Hamburger Abendblatt, den Deutschen Lokaljournalistenpreis. Die Online-Redaktion der Konrad-Adenauer-Stiftung führt das Interview zum Preis mit dem TA-Chefredakteur

4. „Ist man zum Lokalreporter geboren?“ (Dieter-Golombek-Interview, Teil 2)

5. „Was die Leser immer wieder stört: Das Elend der Fremdwörter“

Selbst Feuilleton-Leser schütteln den Kopf, wenn Redakteure ihre Texte so schreiben, dass sie nur mit Hilfe eines Fremdwörterbuchs zu verstehen sind.

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