Alle Artikel der Rubrik "Aktuelles"

Leser fordert: Nutzt die automatische Rechtschreibprüfung und die Zeitung wird besser! (Leser fragen)

Geschrieben am 17. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Einem Leser aus Erfurt sind selbst Fehler im Promille-Bereich zu viele Fehler: „Das entschuldigt im Zeitalter der automatischen Rechtschreibeprüfung kaum die vielen Schreibfehler in unseren Zeitungen und Zeitschriften. Oder nutzen so viele Autoren noch die gute alte mechanische Schreibmaschine?“ Er geht so auf eine Kolumne des Chefredakteurs ein, der sich gegen den Vorwurf verteidigt hatte: In der Zeitung gibt es zu viele Fehler.

Auf den Vorschlag der „automatischen Rechtschreibeprüfung“ reagiert der Chefredakteur in seiner samstäglichen Kolumne „Leser fragen“:

Unsere Redakteure nutzen keine Schreibmaschinen mehr, aber sie nutzen auch keine automatischen Rechtschreibe-Programme. Automatische Prüfung bedeutet: Eine Software vergleicht alle Wörter mit denen in einem Wörterbuch. Findet sie das Wort nicht, geht sie von einem Fehler aus und ersetzt es ein durch ein Wort, das ähnlich geschrieben wird.

Eine Zeitung aus Sachsen hatte sich einmal auf einen Automaten verlassen: Der kannte nicht den Ministerpräsidenten Georg Milbradt und verbesserte ihn in: „Georg Milzbrand“.

Der Text wurde so gedruckt, die Zeitung bat um Entschuldigung, der Regierungschef nahm’s gelassen.

Leser einer niedersächsischen Zeitung lasen von „Pennern“ als Bewohner einer Stadt: Der Automat hatte aus den Bürgern von Peine „Penner“ gemacht.

Aus unserer Landeswellen-Moderatorin Nadine Haubold wollte der Automat eine Nadine Raufbold machen. Wir haben es verhindert.

Unsere Sprache lebt, verändert sich, bekommt neue Wörter – und taugt somit nicht für einen Automaten. Wir nehmen gerne zur Kenntnis, wenn die Rechtschreib-Prüfung ein Wort nicht kennt; wir lassen es aber nicht automatisch „korrigieren“.

 

FACEBOOK von Wolfgang Molitor (Stuttgarter Nachrichten) Das Programm bietet an: Eiterpickel für Leitartikel

Lokaljournalismus in der DDR: „Wer am Tisch der Mächtigen sitzen durfte“ (Interview mit Ullrich Erzigkeit)

Geschrieben am 15. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.
Erzigkeit in Lobenstein

Ullrich Erzigkeit in Lobenstein: Wo heute Gäste des Hotels „Schwarzer Adler“ speisen, war zu DDR-Zeiten die Lokalredaktion der Volkswacht.

 

 

 

 

„Die meisten waren Siebzigprozentige, einige noch weniger. Die mit dem System unzufrieden waren, blieben ganz unscheinbar“, erinnert sich Ullrich Erzigkeit an die Redakteure, die mit ihm in der DDR gearbeitet hatten. Er war – nach der Revolution – der längst dienende Chefredakteur im Osten, fast ein Vierteljahrhundert: 1990 wurde er in turbulenter Sitzung von den Redakteuren gewählt, 2014 feierlich in den Ruhestand verabschiedet.

Ullrich Erzigkeit führte die Zeitung unter drei Titeln: Einen Tag noch als SED-Bezirkszeitung „Volkswacht“, dann ab 18. Januar 1990 als unabhängige „Ostthüringer Nachrichten“ und schließlich ab 1. Juli 1991, nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Treuhand, als „Ostthüringer Zeitung“.

Erzigkeit kennt die Grenze: Geboren wurde er 1949 unweit der bayerischen Grenze im kleinen Schieferbergbau-Dorf Unterloquitz-Arnsbach, das heute zu Probstzella gehört; in Saalfeld, idyllisch in der Mitte des Saalebogens gelegen, machte er das Abitur und gleichzeitig in der benachbarten Maxhütte seinen Facharbeiter-Abschluss als Stahlwerker.

Wir wanderten mit Ullrich Erzigkeit die alte innerdeutsche Grenze entlang und kehrten zum Abendessen in den „Schwarzen Adler“ in Bad Lobenstein ein. „Hier habe ich im Herbst 1968 mein Volontariat begonnen“, erzählte er, „im heutigen Gastraum standen früher die Schreibtische der Volkswacht-Lokalredaktion.“ Wir sprachen mit ihm über den Lokaljournalismus an der Grenze:
Gab es in der DDR einen unabhängigen Journalismus, wie wir ihn heute kennen und pflegen?

Nein, wir waren eine Parteizeitung, abhängig von den Weisungen der SED, die dirigistisch eingriff, eben ein Teil der umfassenden Propaganda, mit der die Partei die DDR überzog. Als sich die Volkswacht zur unabhängigen Tageszeitung wandelte, verabschiedeten wir ein Redaktionsstatut: Von dem Tag an waren wir Anwalt der Bürger und nicht mehr Anwalt einer Partei und ihrer Funktionäre.

Wie berichteten Sie in einer Grenz-Redaktion wie Lobenstein über die Grenze?

Wir durften über die Grenze nichts berichten, die war komplett Tabu. Nur an Silvester war das anders: Da gingen die hohen SED-Funktionäre zu den Soldaten und dankte ihnen für den „vorbildlichen Dienst“ mit den üblichen Floskeln; darüber berichteten wir mit Foto und vorgeschriebenem Text.

Waren auch verhinderte Fluchten kein Thema? Immerhin gab es für die Soldaten Lob und Auszeichnung

Nein, wir erfuhren auch offiziell nichts davon. Wenn wir abends mit den Grenzern ein Bier tranken, erfuhren wir schon, was an der Grenze los war. Aber das war inoffiziell, das durften wir eigentlich gar nicht wissen, erst recht durften wir davon nichts schreiben. Fluchtversuche passten so gar nicht in das Bild vom sozialistischen Paradies der Arbeiter und Bauern.

Hatten die Grenzer keine Angst, dass sie plötzlich doch in der Zeitung standen?

Nein, die wussten genau: Das bleibt eine vertrauliche Verschlusssache. Hätte ich etwas über eine Flucht geschrieben, wäre das in der mehrfachen Zensur sicher rausgeflogen – und ich gleich hinterher; keinen Tag länger wäre ich Redakteur geblieben. Wir mussten die vorgestanzten Texte von oben mitnehmen, das war unsere Aufgabe, das sicherte uns auch die Ruhe.

Prahlten die Grenzoffiziere nicht damit, wenn sie eine Flucht verhindert hatten?

Einige schon, aber manche fragten sich schon: Ist es das wert? Müssen wir wirklich ein Menschenleben zerstören, nur weil einer fliehen will?

Durften Sie als Redakteur überhaupt ins Grenzgebiet fahren?

Nur die Redakteure, die im Grenzgebiet wohnten und einen Stempel im Ausweis hatten, durften das. Ich hatte noch kein Auto. Wenn ich zu einem Termin fahren musste, holte mich ein Chauffeur im Redaktions-Wagen ab: Ins Grenzgebiet wäre der nie gefahren. Die Kontrolle der Redakteure war umfassend.

Worüber schrieben Sie denn, wenn die spannendsten Berichte, die von der Grenze, Tabu waren?

Meistens über die Bonzen, die immer irgendetwas eröffneten, verkündeten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften. Oder über die Helden der Arbeit, aber die kannten uns und die kannten die Regeln: Sie sprachen schon so, wie wir schreiben mussten. Das war ein geschlossenes System, aus dem keiner ungestraft ausbrechen konnte.

Und was machten Sie dann den lieben langen Tag?

Das frage ich mich im Nachhinein auch. Wir waren zu fünft und produzierten eine Lokalseite, die jeden Werktag außer montags erschien; am Montag gab es einen erweiterten Sportteil. Wir begannen morgens um sieben und hörten mittags um zwei auf; um zwei ging einer zum Bahnhof, wo ein Zug die Texte und Fotos nach Gera mitnahm. Für die Ausgabe vom übernächsten Tag. Aktualität war für den damaligen Lokaljournalismus ein unbekanntes Wort.

Wie muss man sich eine Redaktion in der DDR vorstellen: Viele Hundertprozentige und einige Tausendprozentige?

Die meisten waren Siebzigprozentige, einige noch weniger. Die mit dem System unzufrieden waren, blieben ganz unscheinbar. Ich hatte einen Chef, der sich immer wieder konspirativ mit einem Freund aus Österreich traf. Er ließ sich gar nichts anmerken, war nicht übereifrig, aber immer korrekt im Sinne der Partei. So waren die meisten. Was erklärt, dass trotz kluger und weltoffener Leute in der Redaktion eine so grausige Zeitung gemacht wurde.

Gab es denn gar keine Hundertprozentigen in der Redaktion?

Ein paar in der Redaktion waren schon ideologisch verbohrt. Ihr Anteil bezifferte sich auf etwa ein Drittel. Der Chefredakteur gehörte dazu und die meisten Ressortchefs auch. Sie mussten die politische Linie der Partei durchsetzen, kompromisslos, eins zu eins, ohne die kleinste Abweichung. Karriere machten nur die strammen Genossen.
Wer am Tisch der Mächtigen sitzen durfte, musste nicht nur mit der Meute heulen, sondern auch denken und fühlen wie sie. Ein nachdenklicher oder gar zweifelnder Mensch wäre schnell zerschellt an der Sturheit, Borniertheit und gefährlichen Dummheit der Bonzen. Manche in der Redaktion, auch in der Chefredaktion, hielten ihren inneren Konflikten nur dadurch stand, indem sie sie mit Schnaps betäubten.
Aber in den Redaktionen saßen doch auch Parteileute, die nie im Roten Kloster waren, also der Leipziger Journalisten-Ausbildung.

Das waren Schein-Journalisten, wie ich sie nenne, die über Institutionen der SED und der Parteihochschule in die Redaktionen kamen. Die wussten nichts vom normalen Leben um sich herum, trugen aber den Marschallstab im Tornister. Sie stiegen gleich als Ressortleiter oder stellvertretende Chefredakteure ein.
Das permanente Misstrauen der SED-Führung gegenüber universitär ausgebildeten Journalisten verstärkte sich in den achtziger Jahren noch. Hätte die DDR noch ein paar Jahre fortbestanden, dann wären die Redaktionen durchweg von lupenreinen Parteikadern dominiert und geführt worden. Dann hätte der ohnehin todkranke Journalismus in den DDR-Medien seinen endgültig letzten Hauch getan.

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Das Interview erscheint in der Sommer-Serie der Thüringer Allgemeine (16. Juli 2015): Die Grenze (Eine politische Wanderung entlang der 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze)

Im Zweifel gegen die Pressefreiheit: Auch Generalbundesanwalt ermittelt gegen Journalisten

Geschrieben am 15. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.
 Staatsanwälte in Deutschland gehen  gezielt gegen Journalisten vor, um sie einzuschüchtern und kritische Berichterstattung zu verhindern: Man mag die Ermittlungen gegen den Nordkurier in der Rabauken-Affäre als Petitesse abtun (was sie nicht ist), aber die Ermittlungen gegen netzpolitik.org   sollen signalisieren: Redakteure lasst die Finger von geheimen oder auch nur geheim eingestuften Dokumenten des Staates! Und was „geheim“ ist, bestimmen wir, die Diener des Staates.

Vor allem sollen Informanten abgeschreckt werden, Kontakt zu Redaktionen zu suchen. So ermittelt der Generalbundesanwalt gegen die Redaktion von netzpolitik.org, die über Pläne für  eine neue Rasterfahndung des Geheimdienstes berichtet hatte:Im geheimen Haushalt des Verfassungsschutzes sollen knapp drei Millionen Euro eingestellt werden, um Internet-Inhalt, auch bei Facebook, auszuwerten.

Die Diener des Staates erweisen sich so als Gegner der Verfassung. Constanze Kurz zitiert aus einem Urteil des Verfassungsgerichts:

Constanze Kurz schreibt regelmäßig  „Aus dem Maschinenraum“ in der FAZ, der stärksten Internet-Kolumne der deutschen Tageszeitungen. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts kommentiert sie in netzpolitik.org:

Nur weil es sich mehr und mehr einbürgert, dass es als normal angesehen wird, dass das Handeln der Geheimdienste undurchschaubar ist und viel zu viele Aspekte von deren Arbeit „geheim“ gestempelt wird, heißt das für die Arbeit von Journalisten mit Informanten noch lange kein devotes Duckmäusertum, jedenfalls nicht bei uns. Dass wir Informationen oder uns möglicherweise anvertraute Dokumente über das Bundesamt für Verfassungsschutz oder andere intransparente Behörden auf netzpolitik.org bringen, wird auch in Zukunft so bleiben.

Wir lassen uns natürlich nicht einschüchtern.

 

 

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Lutz Schumacher per FacebooK:

Offenbar verführt der „General“ im Ttel. Habe da ja gerade erst entsprechende Erfahrungen machen dürfen… #Rabauke

Wolfgang Bok am 15. Juli um 13:57 auf Facebook:

Dieser „Enthüllungsjournalismus“ besteht bsp. darin, brav die gezielt platzierten Empörungsnews von Snowden & Co. abzudrucken, ohne diese zu überprüfen. Erfüllungsgehilfen wäre der treffendere Ausdruck. Lesenswert dazu: Spionageexperte Sandro Gaycken in der FAZ vom 10.7.15, Seite 10: „Wer steckt hinter den NSA-Enthüllungen?“ Aber so weit geht der deutsche „Enthüllungsjournalismus“ natürlich nicht. Dann würde ja das Feindbild nicht mehr stimmen…

Wie aus dem traumatischen „Tor für Deutschland“ ein Sprichwort wird (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Wenn in Brasilien der Mutter das Milchkännchen auf den Boden fällt, flucht sie: „Gol da Alemanha!“ Wenn der Vater im Zeugnis des Sohnes wieder eine schlechte Note in Mathematik sieht, schüttelt er resignierend den Kopf: „Gol da Alemanha!“

Was in Deutschland kollektiven Jubel auslöste, war in Brasilien ein Schock, der „Schock von Mineirão”, den Namen des Stadions in Belo Horizonte aufnehmend: Dort hatte Deutschland vor einem Jahr 7:1 gegen Brasilien gewonnen – und das auch noch während der Weltmeisterschaft.

Nicht nur Menschen leiden unter schlechten Erfahrungen, die zum Trauma werden wie ein Albtraum, der immer wiederkehrt. Auch Völker können kollektiv leiden – und werden den Albtraum nicht mehr los.

Nach der Halbfinal-Niederlage im eigenen Land wollte die Staatspräsidenten gleich das Trauma bannen und tröstete: „Brasilien wird sich von dem extremen Schmerz erholen!“ Aber einer der Direktoren des Fußballverbands bemühte gar einen Vergleich zum 11. September in New York, der die Tiefe des Schmerzes bezeugt: „Du siehst, wie der erste Turm zerstört wird, dann der zweite…“

„Tor für Deutschland“ ist zum Sprichwort in Brasilien geworden und wird es wohl noch in hundert Jahren sein, wenn kaum einer mehr den historischen Hintergrund erinnert.

Sprichwörter entstehen bisweilen nach verlorenen Schlachten, ob im Fußball oder in wirklichen Kriegen. Wer weiß noch bei uns, woher der Spruch stammt: „Das ist eine Tataren-Nachricht“?

Während des Krimkriegs belagerten Türken, Franzosen und Briten die russische Hafenstadt Sewastopol. 1854 meldete ein Tatare im Dienste der Türken den Fall Sewastopols. Das war eine Lüge, die von den Zeitungen verbreitet wurde: Die Politiker glaubten ihr, die Börse reagierte heftig.

Seit diesem Tag nennen wir eine Lüge eine Tatarennachricht, wenn sie alle glauben und wenn sie große Wirkung erzielt. Eine Tatarennachricht heute ist eine Schreckensmeldung, die alle tief beeindruckt, die wir düster und unbestimmt „die Märkte“ nennen.

Man könnte auch das Internet ein Tataren-Netz nennen.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 13. Juli 2015 (geplant)

 

 

Rabauken-Affäre: Staatsanwaltschaft gibt Ruhe und ermittelt nicht mehr

Geschrieben am 10. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Unser Land wird gelegentlich von Kriminellen, aber bestimmt nicht von Zeitungskommentatoren bedroht.

So reagiert Lutz Schumacher, Chefredakteur des Nordkurier in Neubrandenburg, auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stralsund, die Ermittlungen gegen ihn einzustellen. Zwei Staatsanwälte hatten gegen ihn wegen angeblicher Beleidigung in einem Kommentar Strafantrag gestellt.

Heftig kritisiert Schumacher Mecklenburg-Vorpommerns  Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU): Peinlich und inakzeptabel sei ihr Verhalten, weil sie es versäumt habe, „mäßigend auf die Staatsanwaltschaft einzuwirken und sich in juristischen Haarspaltereien verlor (hat), anstatt die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger zu schützen“.

Das Berufungsverfahren gegen Thomas Krause, der 1000 Euro Strafe wegen des Rabauken-Berichts zahlen muss, läuft noch (siehe Bericht in diesem Blog). Schumacher hofft, dass auch die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert.

 

Ein „dicker Fehler“ in der Zeitung oder: Müssen Journalisten die deutsche Sprache beherrschen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 10. Juli 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Wie nachlässig arbeiten Ihre Redakteure eigentlich?“ fragt eine Familie – ja, gleich eine komplette Familie. „Es ist für uns Leser eine Zumutung, was uns seit Jahren in der Zeitung sprachlich geboten wird.  Gilt für Journalisten nicht, dass man diesen Beruf nur ergreifen sollte, wenn man die deutsche Sprache sehr gut beherrscht?“

Der Grund für die Generalkritik ist eine Überschrift im  Lokalteil: „Da ist Ihren Redakteuren wieder so ein ,dicker‘ Fehler passiert, dass wir uns diesmal wirklich über die Arbeitsweise beschweren wollen. Es geht um das Foto mit der Information „Email-Symposium…“. Gemeint ist aber offensichtlich ein Emaille-Symposium! Wir fragen uns, wie solche mehr als Sinn entstellenden Fehler passieren können.“

Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:

Sie haben Recht: Es sind immer wieder Fehler in unserer Zeitung. Und es stimmt: Jeder Fehler ist ein Fehler zu viel. Gleichwohl arbeiten Redakteure, die Artikel gegenlesen, wie auch unsere Korrektoren daran, eine möglichst fehlerfreie Zeitung anzubieten.

Täglich stehen rund 35.000 Wörter auf unseren Seiten. Selbst wenn wir 35 Wörter falsch schrieben (was selten vorkommen dürfte), sind wir gerade bei einem Promille!

Kommen wir zum „dicken Fehler“: Laut Duden ist er keiner. Email, der Schmelzüberzug auf Metall, schlingert in der Geschichte unserer Sprache zwischen Email und Emaille hin und her. Im 18. Jahrhundert dominiert das sächliche Email; im 19. Jahrhundert dringt das Französische mit Gewalt in unsere Sprache, so wie heute das Englische drängt: Die weibliche Emaille setzt sich durch.

Heute finden wir „Email“ im Duden fett als Haupteintrag und „Emaille“ als mageren Nebeneintrag; in der Alltagssprache wiegt die „Emaille“ schwerer – wobei viele sich schwer tun mit der korrekten Schreibweise wie bei den meisten französischen Lehnwörter. Oder schreiben Sie auf Anhieb das französische Geldtäschchen richtig: Portemonnaie?

Allerdings bekommt das Email gerade einen starken englischen, zudem weiblichen Konkurrenten: Die E-Mail, der digitale Brief, der zwar korrekt mit Bindestrich geschrieben wird, aber ab und an schon geschrieben wird wie der Schmelzüberzug. Da kollidieren zwei Wörter – und wie stets in einer lebendigen Sprache weiß keiner, wie der Kampf ausgehen wird.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 13. Juli 2015 (geplant)

Wie die SZ aus der Metropole die Rabauken-Affäre einschätzt: Seltsame Provinz

Geschrieben am 5. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

In der Provinz streitet man sich nicht über die Pressefreiheit, da gibt man nach, wenn der Staatsanwalt Ordnung schafft. Darf man so zwei Sätze in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über die Rabauken-Affäre beim Nordkurier  in Neubrandenburg verstehen?

„Die Flammen schlagen zu hoch in diesem seltsamen Fall aus der Provinz“, schreibt Thomas Hahn in der SZ (3. Juli 2015). Wenn ein Redakteur aus München „Provinz“ schreibt, dann meint er auch Provinz, eben weit entfernt von seiner Metropole – und dazu noch im Osten. Wie geht es da zu: eben „seltsam“.

„Irgendjemand hätte irgendwann mal nachgeben müssen“, schreibt er weiter. „Irgendjemand“, also auch der Redakteur, der einen Jäger einen Rabauken nannte, weil der ein totes Reh mit seinem Auto über die Bundesstraße geschleift hatte. Nachgeben – also die 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung zahlen (und mit der Richterin eine Tasse Kaffee trinken, wie man das halt so macht in der Provinz)?

„Irgendjemand“ könnte auch der Chefredakteur sein, der in einem Kommentar der Richterin und den Staatsanwälten die Leviten las: Sollte er nachgeben und sich entschuldigen?

Seltsam.

 

Grexit, Grimbo, Alexit – neue Wörter dank der Griechenland-Tragödie. Ein deutsches Kofferwort passte auch: Jein

Geschrieben am 4. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Wir lesen in diesen griechischen Tagen, die voller Tragödien sind, eine Reihe neuer Wörter – wie Grexit oder Grexident. Es sind Kofferwörter, also zwei verwandte Wörter, die in einen neuen Koffer gesteckt werden.

So werden immer wieder Wörter erfunden. Als die Deutschen überzeugt waren: Mit der Einführung des Euro wird alles teurer, packten sie „teuer“ und „Euro“ in einen Koffer und nannten ihn „Teuro“.

Der amerikanische Volkswirt Ebrahim Rahbari erfand vor drei Jahren den „Grexit“ aus Greece, dem englischen Wort für Griechenland, und dem Exit, dem Ausgang aus einem Haus oder einer U-Bahn-Station. Er hat – ungewöhnlich für einen Ökonomen – Lust am Wort-Erfinden gewonnen und ersann vor einigen Wochen für den aktuellen Schwebezustand den „Grimbo“.

Greece, also Griechenland, und Limbo, ein Tanz aus Trinidad, sind die Lieferanten für das neue Kofferwort. Der Limbo erfordert eine enorme Akrobatik: Bei karibischen Klängen schlängelt sich der Tänzer unter einer niedrigen Stange durch und erntet beim faszinierten Publikum reichlich Beifall.

Dass der Tanz in Trinidad eine Woche nach einem Begräbnis getanzt wird, gibt dem neuen Wort eine pikante Note – dürfte aber bei der Schöpfung keine Rolle gespielt haben.

Der „Grexident“ ist auch ein englisches Kunstwort, zusammengesetzt aus Greece und Accident, dem Wort für einen Unfall. So sah es auch lange aus: Europa stolpert in den Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone, der weniger politischem Kalkül folgt, sondern wie ein Unfall einfach so passiert.

Tsipras, der griechische Regierungschef, wird im Internet gern beim Vornamen genommen: Alexis. Beim neuesten Kofferwort musste nur der letzte Buchstabe seines Vornamens geändert werden: „Alexit“ – ein Kofferwort aus Alexis und „Exit“. Alexit steht für das Ende Tsipras, für den Rücktritt nach dem Ende aller Illusionen.

Das schönste und bekannteste deutsche Kofferwort ist viel älter als alle griechischen Tragödien, es hat nur eine Silbe und vier Buchstaben: „Jein“. Es würde auch auf Griechenland passen, auf Tsipras und seine Kofferträger.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 6. Juli 2015

 

Sind viele Journalisten behäbig? Nein, sagt Julia Jäkel, nur ein bisschen routiniert

Geschrieben am 30. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Recht hat sie, absurd ist es wirklich:

Keine Branche macht sich gerade mit so viel Untergangslust selbst schlecht wie die Presse, das ist absurd.

sagt Gruner + Jahr-Chefin Julia Jäkel in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung (Quelle: 30. Juni 2015 „Mit Schnappatmung geht man heute unter“).

Sie beklagt, mühsam umschrieben, dass viele Journalisten wie Beamten arbeiten (wie es Funke-Presechef Korenke auch schon tat und heftig attackiert wurde). Was Bülent Ürük wohl zu diesen Jäkel-Zitaten schreibt:

John Jahr hat den schönen Satz gesagt: Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, Hauptsache, es ist richtig. Ich glaube, dass wir heute wieder an diesem Gründergeist dran sind. In meiner Wahrnehmung war in den letzten Jahren die Liebe zu unserem Handwerk etwas routiniert geworden…
(SZ-Frage:) Sie wollen sagen, viele Journalisten sind behäbig geworden?
Nein, wir alle liefen ein bisschen routiniert! Und das zu ändern, daran haben wir massiv gearbeitet

Rabauken-Affäre (5): Ein Generalstaatsanwalt, Verfolgung Unschuldiger und die Pressefreiheit

Geschrieben am 30. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Mir liegen im Wortlaut die Auskünfte des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft vor, man habe ein Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet, wegen des Kommentars…Mein Anwalt hat sich vor zwei Wochen bei der  Staatsanwaltschaft Stralsund um Übermittlung des Aktenzeichens gebeten. Heute teilte ihm der zuständige Staatsanwalt mit, man könne „die Anfrage keinem Vorgang zuordnen“. Das ist dieselbe Staatsanwaltschaft, die auf aktuelle Presseanfragen z.B. von Bild und FAZ antwortet, das Ermittlungsverfahren gegen den Nordkurier-Chefredakteur werden vier bis sechs Wochen dauern. Realsatire.

Schumacher beklagt, dass Anfragen zu ganz anderen Themen von Landesbehörden „seit Beginn der Affäre nur noch nach schriftlicher Aufforderung, ebenfalls schriftlich und mit tagelanger Verspätung beantwortet“ werden und die Pressestellen erklären,  das gelte nur für den  Nordkurier.

 

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