Lügenpresse (2): Chef der Wügida gibt der Main-Post kein Interview
Elias nennt sich der Student im Internet. Er kommt aus Thüringen und ist ein ehemaliger freier Mitarbeiter der Main-Post in Würzberg, die er heute auf Kundgebungen eines Pegida-Ablegers als Lügenpresse beschimpft. Mit den Redakteuren spricht er nicht, verweigert selbst ein schriftliches Interview.
Michael Czygan porträtiert ihn in der Main-Post:
Der blonde Student ist das Gesicht von Wügida, des Würzburger Ablegers der Anti-Islam-Bewegung Pegida. Der Mann, der sich weigert, seinen Namen zu nennen, organisiert die Demonstrationen, hält Kontakt zu den Behörden – und ist der Hauptredner bei den Kundgebungen. Wenn er zu seinen Gesinnungsgenossen spricht, markiert der Student den Kämpfer für Meinungsfreiheit und Demokratie. Doch es kostet ihn sichtbar Mühe, diese Fassade durchgehend aufrecht zu halten. Immer wieder bricht plumpe Hetze in seinen Reden durch, gegen die „Lügenpresse“, gegen Politiker, die er gern mal „Verbrecher“ nennt und gegen Asylbewerber, die pauschal zu „Gewalttätern“ werden. Aber nein, er habe nichts gegen Flüchtlinge und andere Ausländer, sagt er dann, wenn er sich wieder bieder und staatstragend gibt.
So lautstark Kaupert vor seinen Gesinnungsfreunden auftritt, so kleinlaut wird er, wenn er von Journalisten angesprochen wird. Er, der sich in seinen Reden zu den „Mutigen und Ehrlichen“ zählt, weist Gesprächsanfragen der Redaktion zurück. Allenfalls könne er sich vorstellen, auf schriftliche Fragen zu antworten, lässt er einen Mittelsmann ausrichten. Ungewöhnlich für jemanden, der im Schutze seiner Anhänger regelmäßig ruft: „Wir haben die Antworten, wir haben den Weg, wir haben die Wahrheit.“
Statt seiner reagiert eine „Wügida-Mediengruppe“ und gibt sich basisdemokratisch: Erst lese man die Fragen, dann berate man – und dann schweigen sie. Persönliches zu Elias gebe man sicher nicht preis: „Er ist ein eher ruhiger Typ, keinesfalls pressegeil“.
Ruhiger Typ? Michael Czygan recherchierte in den sozialen Netzwerken:
Auf Facebook wettert er gegen „wertelose Homo-Partnerschaften“, verunglimpft Muslime als „Musel“, Gegendemonstranten als „Terroristen“ und „Antifapestilenz“. In einem anderen Post brüstet er sich damit, schon mal „Farbbeutel und Eier“ gegen ein Haus geworfen zu haben, in dem „autonome Linksfaschisten“ wohnen.
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Quelle: Main-Post 5. Februar 2015
Lügenpresse (1): Psychokrieg mit Todesanzeigen gegen Journalisten, die über Neonazis berichten
Sebastian Weiermann ist Journalist im Ruhrgebiet und gewohnt, seinen Namen gedruckt zu sehen. Im Internet las er jetzt seinen Namen in fetten Buchstaben – in einer Todesanzeige: „In Liebe und Dankbarkeit nehmen wir fröhlich bald Abschied. Nationaler Widerstand jetzt!“ Solche Todesnachrichten zu Lebzeiten stellen Neonazis vermehrt ins Netz, berichtet der Blog Ruhrbarone.
Gestaltet sind die Anzeigen wie in einer Tageszeitung. Oben steht ein Spruch, meist schlecht gereimt, der einem Bibelspruch ähnelt – wie bei Sebastian Weiermann:
Und am Ende meiner Reise
hält der Ewige die Hände
Und er winkt und lächelt leise
Endlich einer weniger. Danke Oh Herr
Vor allem Lokalredakteure werden bedroht, und es bleibt nicht bei dem Psychokrieg mit den Todesanzeigen. Peter Bandermann schreibt für die Ruhr-Nachrichten in Dortmund über die Neonazis, die in Dortmund besonders stark und militant sind. Bandermanns Haus haben die Neonazis laut Ruhrbarone mit Farbbeuteln beworfen.
Ein TV-Interview – als abschreckendes Beispiel für Volontäre: Ramelow und die Eier
Herzlich Willkommen in der Serie „Thüringens Minister“ und heute heißt es Thüringer Ministerpräsident. Herzlich Willkommen Bodo Ramelow!
Heute früh musste ich intensiv an Sie denken, als ich ein Rührei gemacht habe. Ich schlug die Eierpackung auf und da war ein großes Ei drin. Das war fast doppelt so groß wie die anderen, und da habe ich mich ganz arg erschrocken und habe gedacht: Das kann ich jetzt nicht essen. Dann habe ich gedacht: Warum eigentlich nicht? Warum müssen wir denn genormt sein? Da habe ich es mutig aufgeschlagen, und da war die Doppelpower drin, nämlich zwei Eidotter. Da dachte ich, es ist ein bisschen wie Bodo Ramelow.
So beginnt ein Interview im Weimarer Lokalsender Salve TV: Geschäftsführerin Judith Noll hat Ministerpräsident Ramelow zu Gast. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender der deutschen Medienanstalten, empfiehlt die Interviews des Senders in die Journalistenausbildung zu integrieren – als abschreckendes Beispiel für Hofberichterstattung statt Staatsferne.
Bei Salve TV kommt etwa in der zweiwöchentlichen Sendung „Ramelow & Co“ der Ministerpräsident ausführlich zu Wort. Brautmeier: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Politik und der Parteien darf nicht vermischt werden mit der journalistischen Arbeit der unabhängigen Medien.“ So erweise man auch der Politik eher einen Bärendienst. Und bei den Zuschauern werde der Eindruck erweckt, Journalisten und Politiker würden miteinander kungeln. „Dabei haben Journalisten als vierte Gewalt die wichtige Aufgabe, Politik zu kontrollieren.“
Das Rühr-Ei-Interview nahm der Moderator Oliver Welke auch auszugsweise in seine Heute Show beim ZDF und kommentierte: „Ich habe schon viele verstörende Interview-Anfänge gesehen, aber das schlägt alles.“
„Sie wollen aber nicht sagen, dass Sie mich aufschlagen wollen?“ reagiert Bodo Ramelow auf den Rührei-Beginn der Journalistin. So geht das Interview weiter:
Noll: Ich will Sie auch nicht essen, und ich finde sie auch nicht Ihh, aber ich weiß, dass Sie sich mit Hühnern auskennen.
Ramelow: Ich bin gelernter Lebensmittelkaufmann und könnte jetzt anmerken, dass das, was sie in der Packung gefunden haben. nicht den Handelsklassen entsprochen hat, weil es kann immer nur in einer Handelsklassenpackung immer die gleiche Größe nur drin sein. Wenn müsste man eine Doppelhandelsklasse extra ausweisen, oder Sie haben bei einem Bauer gekauft, das wäre ja sehr lobenswert, auf dem Markt – und dann haben Sie von Freilandhühnern die Eier gekauft und dann hoffe ich, dass es auch besonders gut geschmeckt hat.
Noll: Auf jeden Fall habe ich jetzt die doppelte Portion Ei.
Ramelow erzählt von seiner Ausbildung bei Karstadt und scherzt mit der Moderatorin: „Sie erinnern sich gut an Dinge, die ich irgendwann mal erzählt habe aus meinem Leben – das war fahrlässig. Ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen.“ Daraufhin entgegnet die Moderatorin:
„Ich weiß auch, dass irgendwo eine Narbe an Ihrer Hand ist. Aber jetzt müssen wir aufpassen, sonst heißt es: Frau Noll kennt Herrn Ramelow… Aber wie das kommt, dass es inzwischen verwerflich ist, Sie zu kennen – ich darf mich auch noch erinnern an die Zeit, als Sie hier saßen und sagten: Ich will Ministerpräsident werden. Jetzt sind Sie Ministerpräsident, und für viele wird es immer schärfer.“
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Quelle: Thüringer Allgemeine 4 Februar 2015, Salve TV Mediathek, Heute Show, ZDF-Mediathek
Facebook Kommentare
von Joachim Widmann (4. Februar um 10:29)
Die offene Unterwürfigkeit und Kumpelei ist einerseits unerträglich, andererseits aber auch so etwas wie ein Transparenzhinweis. Die Interviewerin versucht ja nicht einmal, es Journalismus ähnlich sehen zu lassen. Dass gerade Regionalmedien sich in Interviews mit Spitzenpolitikern aus oder in ihrer Region als Stichwortgeber für Verlautbarungen verstehen oder sich mangels Recherche gewissermaßen versehentlich als solche verhalten, ist ja leider insgesamt keine Seltenheit.
Alexander Will, 4. Februar um 10:54
Ich bin fassungslos. Kein Wunder, dass die Leute Journalisten immer stärker als Speichellecker und Dummköpfe wahrnehmen. Man kann’s ihnen manchmal wirklich nicht verübeln…
Joachim Widmann 4. Februar um 10:57
Nein, Herr Will: Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Diese Frau repräsentiert nicht „die Journalisten“. Nicht einmal ohne „die“. Sie steht erst eimal nur für sich selbst und die eigene Unterwürfigkeit.
Alexander Will 4. Februar um 10:58
Leider eben in der Öffentlichkeit nicht. Das wird anders wahrgenommen. Es wird uns allen angekreidet, da kann man sich noch so sehr wehren…
Textbausteine, Satzbaukasten, Klischees: Wenn einer schreibt wie Tausende vor ihm
Als die Zeitung noch im Bleisatz hergestellt wurde, stellten Techniker aus Papier-Fotos Druckplatten her, die Klischees; ein Klischee konnte, auch im Buchdruck, tausendfach genutzt werden. Wer vor dreißig Jahren das Wort „Klischee“ nutzte, hatte also ein reales Bild im Kopf. Wer von den Jüngeren „Klischee“ gebraucht, kennt meist nur noch den übertragenen Sinn: Abgegriffene Wörter oder Wendungen, in der Regel im abwertenden Sinn.
Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegel, nutzt in seinem formidablen Newsletter „Checkpoint“ den Begriff „Satzbaukasten“, auch ein Bild aus der alten Druckersprache des Bleisatzes. Als Beispiel nennt er den BZ-Kolumnisten Ulrich Nußbaum mit seiner Kolumne, aus der er zitiert:
> „Mächtig auf den Senkel“,
> es „tickt die Uhr“,
> der „Kapitän muss auf die Brücke“,
> da zittert die Politik (fragt sich nur, vor was, wirft Maroldt ein).
Und als Klimax: „Wer Schultoiletten zur Chefsache macht, der kann bei Olympia nicht kneifen“. Maroldt kommentiert: „Zum Start (der Olympia-Kolumne) ein Griff ins Klo.“
Klischee, Satzbaukasten – und noch ein dritter Begriff für abgegriffene und damit nichtssagende Wendungen: Textbaustein – der moderne Begriff aus der Word-Familie. Man legt in einen Speicher Wörter und Sätze ab, die man beliebig oft nutzen kann, ohne Aufwand und meist ohne Verstand.
Das längste deutsche Wort: Zwei Beispiele aus dem Westen und der DDR
Noch zwei Wortschlangen! Ein 86-jähriger Leser aus Erfurt-Melchendorf schickte zu dem Artikel „Andrea Nahles auf Rekordjagd“ zwei weitere Beispiele:
> Jahreslohnsteuerausgleichsantragsformular (40 Buchstaben) aus dem früheren bundesdeutschen Steuerrecht
> Kartoffelvollerntemaschinenersatzteilhersteller (45 Buchstaben) aus dem Vokabular der Wirtschaftsstatistik der DDR
Angela Nahles schaffte 58 Buchstaben.
Richard von Weizsäcker, eine Sprachmacht: Parteien machen sich den Staat zur Beute (Friedhof der Wörter Extra)
Bisweilen ist es ein Wort, das alles verändert, ein einziges Wort. Vierzig Jahre lang hatten die meisten Bürger im Westen Deutschlands den 8. Mai, am dem der Weltkrieg zu Ende ging, als Tag der Niederlage gesehen.
Am 8. Mai 1985 sprach Richard von Weizsäcker als Bundespräsident nicht mehr von der Niederlage, sondern von einem „Tag der Befreiung“. Es war dies eine Wort „Befreiung“, und es zog – zumindest für den Westen Deutschlands – einen Schlussstrich unter das brutalste Kapitel der deutschen Geschichte.
Die „Befreiung“ war eine doppelte: Ein neues Wort für ein neues Denken von höchster Stelle; und der Abschied von dem lähmenden oder gar aggressiven Trauma der Niederlage, gar von Schmach oder . Die als historisch geltende Rede des Bundespräsidenten beschreibt auch Glück und Leiden der kollektiven Erinnerung: Wer ehrlich zurückblickt, wird freier, sich den Folgen verantwortlich zu stellen.
Erinnerung kann für die einen Verbitterung bedeuten, wenn Illusionen zerrissen sind, und für den anderen Dankbarkeit, wenn er einen neuen Anfang sieht. Wie in der persönlichen Erinnerung so ist es auch in der Erinnerung eines Volks nach dem Ende einer Diktatur: Der eine ist verbittert, der andere beglückt.
Richard von Weizsäcker starb am Sonnabend. Er war der Bundespräsident der Einheit: In seiner Rede zum 8. Mai 1985 sprach er auch von der Einheit, die viele im Westen schon aufgegeben hatten: „Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben.“
Er war der Bundespräsident, der wie kein anderer verständlich und gewaltig sprach, sich keinem anbiederte und so unter den Politikern wenig Freunde fand – auch wenn die Nachrufe anderes vermuten lassen. Er sprach von den Parteien, die sich den Staat zu Beute machen. Das ist selbst Pegida nicht eingefallen.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 2. Februar 2015
Ramelow, Staatsfernsehen und die Kontrolle der Macht: Bestialisch (Leser fragen)
Der neue Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat im Weimarer Privat-Sender Salve TV eine Sendung, in der er seine Politik ohne lästige Fragen von Journalisten preisen kann. Die Sendung „Ramelow & Co“ wird gerade von Medienrechtlern scharf kritisiert als „Staatsfernsehen“. Leser der Thüringer Allgemeine sehen das anders, so schreibt ein Leser aus Apolda:
Mit mir fragen auch viele Leser, was die Hetzkampagne gegen Salve-TV und gegen den neuen Ministerpräsidenten Ramelow bezwecken soll. Soll eine wahrheitsgetreue hautnahe Darstellung der Tagesarbeit des Neuen an der Spitze Thüringens, die durchaus interessant ist, verhindert und er in seiner freien Meinungsäußerung beschnitten werden?
Und eine Leserin aus Erfurt stellt fest: „Das ist doch dann endlich mal nachvollziehbare Demokratie.“
Der TA-Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“
Sie gehen beide davon aus, dass Politiker prinzipiell die Wahrheit sagen, uneigennützig sind und nicht ihre eigene Macht im Sinne haben, sondern stets das Wohl des Volkes. Man muss ihnen nur zuhören und schon kennen wir die Wahrheit und können Demokratie nachvollziehen.
Das wäre schön, aber die Erfahrung zeigt: Politiker mögen zwar über ein reines Herz verfügen, das allein die Wahrheit liebt, aber dennoch ist eine gute Kontrolle sinnvoll im Namen der Bürger und zum Nutzen der Demokratie.
Diese Kontrolle üben Medien aus – und nicht Politiker selber. So sieht es auch unsere Verfassung.
Jürgen Brautmeier ist ein unverdächtiger Zeuge. Er leitet die Direktorenkonferenz der Medienanstalten, also der Anstalten, die Rundfunk und Fernsehen in privater Hand zu kontrollieren haben. Er sagt: „Es gehört zu den Grundlagen unserer Verfassung, dass sich der Staat aus dem Rundfunk herauszuhalten hat. Deshalb wäre ich Ministerpräsident Ramelow dankbar, wenn er von sich aus seine Sendungsabsichten aufgibt. Alles andere wäre ein Tabubruch.“
Wenn ein Ministerpräsident kontrolliert wird, ist das weder eine Hetze noch eine Beschneidung seiner freien Meinungsäußerung. Er verfügt über eine eigene Abteilung, die seine Meinungen – oder auch Wahrheiten – der Welt mitteilt und den Presse-Stellen in den Ministerien Sprachregelungen verfügt wie etwa zu Salve-TV: „Der Vorwurf der staatlichen Einflussnahme ist nicht zutreffend.“
Wir alle sollten wachsam bleiben. Wer wachsam ist, sollte auch nicht der Hetze verdächtigt werden – auch nicht als „bestialisch“ eingeordnet, wie Salve-TV die Berichterstattung unserer Zeitung nannte. Wächter können irren, aber Bestien sind wir nicht.
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Thüringer Allgemeine 31. Januar 2015
OTZ-Chefredakteur wehrt sich in seiner Zeitung gegen den Vorwurf „Lügenpresse“
„Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft“, schreibt Chefredakteur Jörg Riebartsch in einem langen Seite-Drei-Beitrag der OTZ, der in Gera erscheinenden Ostthüringer Zeitung: „Gegendarstellung – Ungewöhnlich: Eine Zeitung wartet mit einer Gegendarstellung an ihre Leser auf. Aber nur an die, die die Redaktion derzeit mit Unterstellungen, Verschwörungstheorien und Kolportagen überziehen“.
Er geht auf den Vorwurf der Lügenpresse ein und nimmt sich detailliert die Kritik der Leser vor:
> Wenn wir Leserbriefe ablehnen, hat das gute Gründe: Beleidigungen zum Beispiel oder unbewiesene Behauptungen.
> Gelenkte Medien gibt es heute nicht; die gab es beispielsweise in der DDR.
> Fehler machen auch Zeitungen. Weiß die Redaktion davon, wird sie diese korrigieren.
> Redaktionen lassen sich nicht einschüchtern – auch nicht von Anwälten, die statt Gegendarstellungen immer öfter Unterlassungserklärungen verlangen.
> Geschäftsführer und Verleger dürfen in die Arbeit der Redaktion nicht eingreifen und auf Willfährigkeit bestehen.
Dies ist der komplette Beitrag von Jörg Riebartsch; die in seinem Text erwähnte Volkswacht ist die SED-Zeitung, die in der DDR erschien.
Wer als Journalist schon mehrere Berufsjahre auf dem Buckel hat, der weiß, mancher Leser ist mit Kritik schnell zur Hand. Wer an der Dienstleistung „Zeitungmachen“ teilnimmt, sollte da zuweilen nicht zart besaitet sein. Ein dickes Fell hilft. Manche Hinweise aus der Leserschaft haben ihre Berechtigung, anderes beruht auf Nichtwissen. Oft macht auch der Ton die Musik. Da sind die Reaktionen gegenüber der Zeitung auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der der Umgangston zunehmend rauer und aggressiver wird.
Seit einigen Monaten aber nimmt die Zahl der Unterstellungen, Mutmaßungen und kruden Verschwörungstheorien, die die Redaktion erreichen, bedenklich zu. Auch als „Lügenpresse“ musste sich die Ostthüringer Zeitung vereinzelt schon beschimpfen lassen. Nachstehend gehen wir auf die häufigsten Behauptungen ein und stellen diese damit gern zur Diskussion.
Zensur, Meinungs- und Pressefreiheit
Diese Begriffe werden oft in einem Atemzug genannt und falsch verwendet. Die OTZ zensiert Leserbriefe heißt es dort. Das ist falsch. Zensur beschreibt den Umstand, wenn staatliche Stellen den Informationsfluss lenken. Der Staat übt dann Zensur aus. Die OTZ kann keine Zensur ausüben.Verwendet wird dieser Vorwurf meist von Leserbriefschreibern, deren Leserbrief wir ablehnen mussten. Der Ärger ist verständlich. Man setzt sich hin, gibt sich Mühe, schreibt einen Brief – und die Zeitung lehnt es auch noch ab, diesen zu veröffentlichen. Diese Ablehnung ist keine Zensur. Wir nehmen an dieser Stelle unsere Freiheit als Presseorgan wahr. Die OTZ veröffentlicht gern Leserbriefe. Schließlich wollen wir die Meinungsvielfalt befördern. Da liegt es in unserem eigenem Interesse möglichst viele Zuschriften zu publizieren.
Wenn wir Leserbriefe ablehnen hat das gute Gründe. Der Inhalt des Briefes kann strafrechtlich relevant sein oder er enthält Beleidigungen, bösartige Unterstellung oder unbewiesene Tatsachenbehauptungen. Könnte der Zeitung doch egal sein, mag mancher Leser einwenden. Ist es aber nicht. Der Gesetzgeber hat uns nämlich dazu verpflichtet, alles was die Redaktion veröffentlicht auch presserechtlich zu verantworten. Obwohl unter den Leserbriefen der Name des Autoren steht, trägt trotzdem die Redaktion die presserechtliche Verantwortung für das Veröffentlichte – auch wenn wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Leserbrief nicht die Meinung der Redaktion wieder gibt.
Weitere Gründe zur Ablehnung von Leserbriefen können Wiederholungen sein oder wenn sich Diskussionen um ein Thema im Kreis drehen und nach zahlreichen bereits publizierten Leserbriefen keine neuen Argumente mehr auftauchen.
Hin und wieder fordern uns wiederum Leser auf die Leserbriefe zu zensieren, weil ein bestimmter Autor nur „dummes Zeug schreibt“ oder eine „falsche Meinung“ hat. Kürzlich hat ein Abonnent sogar die OTZ abbestellt, weil er die Leserbriefe eines anderen Lesers nicht mehr ertrage.
Wir werden dennoch auch in Zukunft keine Zensur bei Leserbriefen ausüben.
Verwechselt oder missverstanden werden die Begriffe von Meinungs- und Pressefreiheit. Einzelne Leser meinen, wir verstießen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn wir ihren Brief nicht veröffentlichen. Die Meinungsfreiheit kann die OTZ gar nicht beschränken, weil jeder Mensch das Recht hat sich auf den öffentlichen Marktplatz zu stellen und unbehelligt seine Meinung zu sagen. Das ist Meinungsfreiheit.Pressefreiheit meint etwas anderes, im Grunde genau das Gegenteil was der eben erwähnte Leser glaubt. Die Pressefreiheit liegt bei der Presse. Die Presse ist frei darin zu entscheiden, was sie veröffentlicht und was nicht. Damit soll gerade verhindert werden, dass Leser, Politiker, Verbände, Gewerkschaften, Vereinsvertreter oder andere Interessengruppen nach eigenem Gutdünken Einfluss darauf nehmen, was in einer Zeitung steht.
Vorwürfe in diesem Zusammenhang, die Zeitung sei parteiisch, beziehen sich in der Regel auf Kommentare, die optisch bewusst anders gekennzeichnet sind als normale Berichte in der Zeitung. Kommentare stellen ein Meinungsangebot dar, dem man folgen kann oder auch nicht. Die Zeitungsmacher der OTZ sehen sich nicht als Missionare und wollen niemanden bekehren. Aber zur Meinungsvielfalt, die der Ostthüringer Zeitung sehr wichtig ist, gehört es zunächst einmal, dass Meinungen geäußert werden. Ohne Meinung kann es keine Meinungsvielfalt geben. Wer anderer Meinung ist, schreibt dazu gern einen Leserbrief. Und natürlich kann man auch schreiben, wenn man der gleichen Meinung ist.
Gelenkte Systemmedien
Die pauschale Behauptung, die Medien – wer immer „die Medien“ auch sein sollen – seien gelenkt vom System, ist falsch, wird aber immer wieder gern wiederholt. Was sind Systemmedien? Die Vorgängerzeitung der Ostthüringer Zeitung, davor kurz Ostthüringer Nachrichten, die „Volkswacht“ , war eine vom System des DDR-Regimes gelenkte Zeitung. Sie diente dazu im Sinne der Partei, der SED, den Lesern das Bild vorzugaukeln, was die Staatsführung gern von ihrem Staat vermitteln wollte.Was nicht sein durfte, wurde ausgeblendet. Kritik fand nicht statt. Wenn es Engpässe beim Fleisch gab, wurde der Volkswacht vorgegeben nur noch Rezepte für Gemüsegerichte zu veröffentlichen. Regelmäßig wurde die Redaktionsleitung der Volkswacht nach Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, vorgeladen. Dort teilte das System der Redaktion dann mit, wie man in der nächsten Zeit zu berichten habe.
So was gibt es heute nicht mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar wissen, dass es eine Ostthüringer Zeitung gibt, sie wird aber selbst in ihren kühnsten Albträumen nicht daran denken, der OTZ irgendwelche Weisungen zu geben. Sie liest noch nicht mal die Kommentare, die sich mit Ihrer Politik befassen.
Die Wahrnehmungsschwelle für Zeitungen wie der OTZ sind gestiegen. Und deshalb versuchen allenfalls Parteienvertreter auf Landesebene, Druck auf Zeitungen auszuüben, und zwar alle Parteien. Das muss die Redaktion, insbesondere der Chefredakteur, aushalten, darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn Kommentierungen oder Berichte kritisiert werden.
Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft. Und tatsächlich erscheinen in der Zeitung, auch in der OTZ, Fehler. Beispielsweise weil der Redakteur einen schlechten Tag hatte und eine Zahl falsch verstanden hat, weil die Redaktion von einem Veranstalter mit falschen Daten versorgt wurde, weil die Quelle selbst schon falsch informiert war. Dann gibt es die Möglichkeit eine Richtigstellung oder eine Berichtigung zu verlangen. Die OTZ wird Fehler, soweit bekannt, immer berichtigen.
Wenn sich die Zeitung stur stellt, eine Berichtigung nicht bringen will, hält Deutschland eine Fülle von Möglichkeiten bereit, sich gegen die Berichterstattung in der Zeitung zu wehren. Beispielsweise mit einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Oder mit der guten, alten Gegendarstellung, die in jedem Landespressegesetz steht, aber eher aus der Mode gekommen ist. Mit einer Gegendarstellung kann man falsche Tatsachenbehauptungen gerade rücken.
Abgelöst wurde die Gegendarstellung mehr und mehr von der strafbewehrten Unterlassungserklärung, häufig von Prominenten oder Unternehmen als Instrument eingesetzt, wenn man durch die Berichterstattung in der Zeitung sein Image beschädigt sieht oder vorgibt, Schadensersatzansprüche zu haben. Um Druck auf den Chefredakteur auszuüben und in dem Gedanken, ihn einzuschüchtern, kommen Unterlassungserklärungen häufig am Freitagnachmittag mit Fristsetzung bis Montag früh und werden von Kanzleien verschickt, bei denen schätzungsweise 20 Anwälte rechts auf dem Briefbogen stehen. Da aber Chefredakteure meistens zu den eher erfahrenen Journalisten gehören, klappt das mit dem Einschüchtern nicht recht. Zudem hat die Funke Mediengruppe, zu der auch die OTZ gehört, natürlich eine versierte Rechtsabteilung, die meist deutlich machen kann, wie rechtlich zweifelhaft das Begehren der gegnerischen Partei ist. Die Berufserfahrung zeigt, dass nicht alle, aber die meisten Fehlervorwürfe, unberechtigt sind.
Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing
Wenn schon die Politik der Zeitung nicht sagen kann, wo es lang geht, dann doch bestimmt der Besitzer, mutmaßen manche Leser und schreiben deshalb zur Einleitung einer Kritik an der Zeitung vorwurfsvoll: Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing.Auch hierzu ist zunächst eine Besonderheit des deutschen Pressewesens zu erklären. Wenn in einer Fabrik Erbsen eingedost werden, dann ist der Geschäftsführer der Erbsendosenfabrik verantwortlich dafür, was in der Dose drin ist. Bei Zeitungen ist das bewusst nicht so. Nicht die Geschäftsführung trägt die presserechtliche und publizistische Verantwortung für die Inhalte der Zeitung, sondern der Chefredakteur. Man wollte auf diesem Weg nach den historischen Erfahrungen mit den Diktaturen in Deutschland die Unabhängigkeit von Redaktionen in Zeitungen stärken.
Inhaltliche Eingriffe von Geschäftsführern in das redaktionelle Programm bei der OTZ gibt es nicht. Die in diesem Zusammenhang zuweilen geäußerte Mutmaßung, die Geschäftsführer oder Herausgeber wählten die Journalisten nach inhaltlichen Kriterien der Willfährigkeit aus, sind ebenfalls falsch. Die Kaufleute von Unternehmen bestimmen natürlich das Budget der Zeitung und damit wie viel Redakteure bei einer Zeitung wie der OTZ beschäftigt sein können. Welche das sind, obliegt in der Auswahl aber dem Chefredakteur.
Um Redaktionen vor der Einflussnahme andererseits auch von Gewerkschaften, also Arbeitnehmervertretern inhaltlich ebenso zu schützen, sind Zeitungen sogenannte Tendenzschutzbetriebe. Das heißt, es sind sogar bestimmte Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes außer Kraft gesetzt.
Putin ist der Gute, nur die gelenkten Medien begreifen es nicht.
Hier wird die Verschwörungstheorie der Systemmedien auch noch in einen globalen Zusammenhang gestellt. Wer Kritik an Putin äußert, ist von den imperialistischen US-Amerikanern gelenkt und es wäre nicht verwunderlich man äußere auch noch die These, der US-Präsident Barack Obama bestimme selbst, was zu Russland in der OTZ steht und was nicht. Dies wird in einzelnen Fällen noch von der Behauptung gestützt, es gäbe eine Anweisung, in der OTZ dürfe nichts mehr Gutes über Russland stehen und selbst über Naturkatastrophen dort werde nicht mehr berichtet. Eine solche Anweisung gibt es nicht. Das Meinungsbild der OTZ zum Konflikt in der Ukraine ist differenziert und bleibt es auch.
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OTZ 24. Januar 2015, Seite 3
„Wehe, wenn die Medien losgelassen“, klagt ein MAZ-Studienleiter
Die Zuger Sex-Affäre hat es über die Weihnachtstage wieder einmal gezeigt: Wehe, wenn die Medien losgelassen. Dann wird in intimsten Details gewühlt, kommen anonyme Augenzeugen zu Wort und die Betroffenen verlieren Ehre, Ruf und Ansehen – auch wenn noch gar nicht klar ist, was überhaupt vorgefallen ist.
Genau hier wollen Medienethik und Medienrecht Pflöcke einschlagen, die nicht nur die Menschen in ihrer Persönlichkeit schützen, sondern auch die Medien selbst in ihrem Ruf. Denn berichten Journalisten hechelnd über Verdächtigungen, die in sich zusammenfallen oder die man gar nicht überprüfen kann, verlieren die Medien ihr wichtigstes Gut: Die Glaubwürdigkeit. Jenes Gut, das sie von andern Informationsträgern wie Kommunikations- oder PR-Agenturen und Einzelstimmen im Internet unterscheidet. Darum sind Medienrecht und Medienethik wichtiger denn je. Damit jeder Medienschaffende nicht nur seine Rechte, sondern auch die Grenzen kennt.
Dominique Strebel, Co-Studienleiter Diplomausbildung der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern; MAZ-Newsletter im Januar 2015
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Die Zuger Sex-Affäre: Ein Kantonsrat und SVP-Politiker wurde verhaftet, nachdem eine Grünen-Politikerin nach einem durchzechten Abend kurz vor Weihnachten mit Unterleibsschmerzen, aber ohne Erinnerung aufgewacht war. Zuletzt war sie mit dem Kantonsrat gesehen worden.
Gauck gegen „Lügenpresse“: Medien berichten meistens korrekt und ausgewogen
Wer den Medien hierzulande unterstellt, sie verbreiteten systematisch Lügen, der sollte sich daran erinnern, wie es früher in Deutschland zuging. Eine gleichgeschaltete Presse im Nationalsozialismus hat ungeniert gelogen und manipuliert. Auch die Medien der DDR haben das SED-Regime stabilisiert, indem sie systematisch Unwahrheiten verbreiteten. Dagegen können die Medien in Deutschland heute frei arbeiten. Trotz mancher Irrtümer, die auch Journalisten manchmal unterlaufen, trotz gelegentlicher Unwahrheiten, die einige wenige von ihnen in die Welt setzen, wird doch meistens korrekt und ausgewogen berichtet.
Bundespräsident Joachim Gauck hat das von Pegida-Demonstranten benutzte Wort „Lügenpresse“ als „geschichtsvergessener Unsinn“ zurückgewiesen.
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Quelle: Zeit online 22.1.15
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