„Das Führen einer Redaktion ist keine basisdemokratische Veranstaltung“ (Peter Gehrigs Interview zu seinem Abschied)
„Ich hätte mir einen erfreulicheren Schluss meines Berufslebens gewünscht“, sagt Peter Gehrig nach über vierzig Jahren bei der deutschen AP, davon zwei Jahrzehnte als Chefredakteur. Sang- und klanglos ließ ihn seine Agentur, die dapd, in den Ruhestand ziehen.
Erst war in Berlin ein großer Abschied im November geplant, dann ein kleiner, am Ende fehlte sogar das Kleingeld für ein stilvolles Abendessen. Dabei war Peter Gehrig einer der besten Chefredakteure Deutschlands, wahrscheinlich der beste, wenn es ums Handwerk ging, um Professionalität.
Aus seiner Agentur AP in Frankfurt kamen Texte, die so gut redigiert waren wie keine anderen Agenturtexte – ohne die Aktualität aus den Augen zu verlieren. In seinem Zimmer in der Moselstraße stand ein Stehpult, an dem er jede Stunde die Texte las, die über den Draht gegangen waren: Er holte das Team kurz zusammen und verteilte die Noten.
Regelmäßig gab er für seine Redakteure eine Übersicht heraus mit misslungenen und manchmal auch gelungenen Textpassagen. Die waren gefürchtet, er war respektiert, ja geschätzt. Keiner in unserer selbstverliebten Branche hat von seinem Ausscheiden Kenntnis genommen, keine Medienseite hat ihn geehrt.
Die Volontäre der Thüringer Allgemeine, die er regelmäßig ausbildet, führten ein Interview mit ihm, das sie zwar überarbeiten mussten, das aber am 5. Januar ganzseitig in der Samstagausgabe erschien.
Fünf Sätze hebe ich heraus:
1. Wie führe ich eine Redaktion? „Das Führen ist keine basisdemokratische Veranstaltung. Am Ende muss einer sagen, wo es langgeht – und die Verantwortung dafür übernehmen.“
2. Was ist notwendig in den Redaktionen der Zukunft? „Mehr Spezialisierung und auch mehr wirtschaftliches Denken. Jeder Journalist muss heute daran denken, dass die Zeitung ein Produkt ist, dass dieses Produkt verkauft werden muss. Der Journalist ist also zugleich Marketingmanager seiner Zeitung.“
3. Welche journalistischen Elemente werden wichtig bleiben? „Die Einordnung und die Erzählung werden bedeutender, die Nachrichten verlieren an Gewicht.“
4. Was ist das A & O des Journalismus auch in der Zukunft? „Recherche – nur wer gut recherchiert, kann auch gute Geschichten schreiben. Wer glaubt, alles schon zu kennen oder vorher zu wissen, ist kein Journalist.“
5. Was muss ein Journalist unbedingt lernen? Man muss etwas selber herausfinden! Als Peter Gehrig in seinem ersten Artikel einen Fehler gemacht hatte, ließ sein Chef ihn lange zappeln. Als der ihm doch seinen Fehler offenlegte, fragte ihn Gehrig: „Hättest du mir das nicht gleich sagen können? Er hat geantwortet: Nein, wenn du das alleine herausgefunden hättest, wäre das besser gewesen.“ – Das ist eine alte Methode, die sokratische.
Das ist das komplette Interview in der TA, überschrieben „Der Nachrichten-Mann“:
Wie sind Sie 1972 ins olympische Dorf von München gekommen? Es war doch alles gesperrt, nachdem Palästinenser die Israelis als Geiseln genommen hatten?
Peter Gehrig: Ich bin morgens um sechs mit einer Gruppe von amerikanischen Schwimmern einfach durchgeflutscht. Die kamen vom Training aus einer Halle, die außerhalb des Dorfes lag. Ich kam mit den Athleten ins Gespräch und irgendwie muss mein Presseausweis für die Kontrollen wie eine Eingangsberechtigung ausgesehen haben. Und dann war ich einfach drin im olympischen Dorf.
Für einen jungen Reporter eine Situation, wie man sie sich wünscht. Möglichst nah am Geschehen . . .
Im Laufe des Tages hieß es ja, alle Geiseln hätten überlebt. Ich verfasste meine Berichte tagsüber und gab sie alle drei, vier Stunden an unsere Zentrale durch. Per Telefon, was damals nicht so einfach war, denn ich musste eine Telefonzelle nutzen und mir war das Kleingeld ausgegangen. Ellen Titel, eine damals sehr bekannte Mittelstreckenläuferin der Bundesrepublik, half mir mit Kleingeld und gab mir eine Mark fürs Telefon. Wir arbeiteten den ganzen Tag unter Hochspannung und hatten uns gegen Mitternacht gerade etwas entspannt, als ein amerikanischer Kollege kam und sagte: They are all dead. Sie sind alle tot. Ich musste weinen; es hat mich so berührt wie wenig anderes in meinem Berufsleben.
Hart, gerecht, korrekt, fachlich exzellent. Das sagen Weggefährten über den Journalisten Peter Gehrig – Was haben sie vergessen?
Die Milde des Alters ist noch hinzugekommen. Aber im Ernst: Das Führen einer Nachrichtenagentur oder einer Redaktion überhaupt ist keine basisdemokratische Veranstaltung. Das habe ich meinen Leuten immer gesagt, denn am Ende muss einer sagen, wo es langgeht und die Verantwortung dafür übernehmen. Das schließt Teamarbeit ausdrücklich ein, aber nur bis zu bestimmten Grenzen.
Seit einem Monat sind Sie nun im Ruhestand. Gibt es einen Masterplan für den Rentner Gehrig?
Sobald man auf die Pensionierung zugeht, wird man von allen Leuten gefragt: »Was machst du denn danach?« Wenn ich dann sage, »das weiß ich nicht« »Das musst du doch wissen, du kannst doch nicht einfach nichts tun!« Natürlich kann ich nichts tun, ich kann auch irgendetwas tun. Es wird sich schon etwas finden. Aber ich habe keinen Entwurf für die nächsten 40 Jahre meines Lebens.
Haben Sie Angst vor Stillstand in Ihrem Leben nach dem stressigen Agenturleben?
Angst ist übertrieben; es könnte schon sein, dass ich in ein Loch falle. Aber ich habe eine liebe Frau und genug Bücher, um mich aus diesem Loch herauszuholen. Außerdem habe ich zwei Enkel, die mir viel Freude machen. Und ich werde bestimmt auch weiter schreiben.
Was denn?
Einen Roman möchte ich gerne schreiben. Es gibt verschiedene Dinge der letzten drei, vier Jahre, die ich mir von der Seele schreiben muss. Und da ich keinen Therapeuten in Anspruch nehmen möchte, werde ich das auf die einzig mir zur Verfügung stehende Art und Weise tun.
Welche Dinge sind das?
Mit einem Freund werde ich ein e-book, also eine digital abrufbare Buchversion, über Nachrichtenagenturen und Medien schreiben. Und danach möchte ich über das Ende der AP in Deutschland und die Übernahme durch die Herrschaften von dapd schreiben. Und über die Entwicklung nach der Übernahme.
dapd ist 2010 groß ins Agenturgeschäft eingestiegen und hat »Ihre« AP übernommen und mit der Agentur ddp verschmolzen. Vor drei Monaten ist alles geplatzt. dapd hat Insolvenz angemeldet. Für Sie persönlich muss diese Insolvenz doch besonders tragisch sein am Ende eines bewegenden und erfolgreichen Berufslebens?
Die Insolvenz macht mich sehr traurig. Die zwei Investoren aus Bayern, die Herren Löw und Vorderwülbecke, haben einfach den Geldhahn zugedreht. Das ist vor allem sehr, sehr traurig und beschämend für viele Weggefährten, die nicht wie ich das Rentenalter erreicht haben. Aber auch ich hätte mir einen erfreulicheren Schluss meines Berufslebens gewünscht.
Zurück zu den Momenten, die Ihnen sonst in Erinnerung geblieben sind. Sie haben da mal eine ziemlich hohe Telefonrechnung eingereicht …
Als im Jahre 1977 der von deutschen Terroristen ermordete Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nahe dem französischen Mülhausen gefunden wurde, bin ich hingefahren. Da gab es bekanntermaßen noch keine Handys; also bin ich, um meinen Text an die Zentrale durchzutelefonieren, in die nächstliegende Kneipe gegangen. Die hieß »Le crocodile vert«, also »Das grüne Krokodil«. Nun, es war mehr ein Bordell, denn eine Kneipe. Ich bat den Wirt, ob ich kurz telefonieren könnte. Er sagte, er habe keinen Zähler, aber ich könnte pauschal mit einer Lokalrunde bezahlen. Gesagt, getan. Ich brauchte einige Überredungskünste hinterher in meiner Firma, um die 700 Francs, also etwa 120 Euro, erstattet zu bekommen für das kurze Telefonat.
Als jahrelanger Chefredakteur einer Agentur gehörten die Zeitungen immer zu wichtigen Kunden. Wo sehen Sie die Tageszeitung in zehn Jahren?
Die Tageszeitung wird sich weiter am Internet entlanghangeln müssen. Lokaljournalismus ist meist etwas für ältere Menschen. Der demografische Faktor spielt eine große Rolle dabei. Es gibt aber noch kein gut gemachtes lokales Angebot im Internet. Und solange es gut gemachte lokale Angebote im Print gibt, werden diese sich behaupten können.
Also kann eine Zeitung nur im Lokalen überleben?
Im Großen und Ganzen ja. Das Informationsangebot für internationale, nationale und überregionale Themen gibt es im Internet. Außerdem wird es weniger Menschen geben, die sich für das interessieren, was in Brüssel passiert. Die, die die Debatte des Bundeshaushalts als ein Muss-Seite-1-Thema sehen, werden stetig weniger.
Aber warum? Die Leute sind doch nicht dümmer geworden?
Nein, aber die haben andere Informationsquellen. Die gehen ins Internet oder schauen die Tagesschau. Solange der Lokaljournalismus nicht im Internet mit der gleichen Qualität stattfindet, kann man nur auf einer lokalen Ebene überleben.
Würden Sie sich angesichts dieser Entwicklung noch mal für den Beruf des Journalisten entscheiden?
Auf jeden Fall. Die Arbeit als Journalist hat mir ein Leben lang Spaß gemacht. Ich habe 44 Jahre und vier Monate weitgehend mit Freude gearbeitet in einem Spaßberuf und habe noch Geld dafür gekriegt. Viel mehr kann man vom Berufsleben nicht verlangen.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Beitrag?
Und wie! Ich habe in der Auslandsredaktion der AP gearbeitet. Mein erster Beitrag war ein Bericht über eine Explosion irgendwo in Frankreich mit 14 Toten. Den Bericht hat mir mein Vorgesetzter vier Mal mit der Bemerkung »falsch« wieder auf den Tisch gefeuert. Ich war verzweifelt, weil die Nachricht von der Konkurrenz schon im Rundfunk war und habe den Bericht wieder und wieder neu geschrieben. Ich wusste einfach nicht, wie ich da noch anders schreiben sollte. Dann habe ich die Geduld verloren und gesagt: »Was ist denn falsch daran?« Da hat er gesagt: » Als verbindet zwei zeitgleiche, voneinander unabhängige Ereignisse. Die Menschen sind nicht gestorben, als die Gasleitung explodiert ist, sondern weil die Gasleitung explodiert ist.« Da habe ich gefragt: »Hättest du mir das nicht gleich sagen können? Er hat geantwortet: Nein, wenn du das von alleine herausgefunden hättest, wäre das besser gewesen.«
Müssen Journalisten heute andere Dinge können als vor 30 Jahren?
Heute wird mehr Spezialisierung und auch mehr wirtschaftliches Denken gefordert. Jeder Journalist muss heute daran denken, dass die Zeitung ein Produkt ist, dass dieses Produkt verkauft werden muss. Der Journalist ist also auch zugleich Marketingmanager seiner Zeitung. Auch das Handwerk hat sich verändert. Lange Texte sind in der Zeitung kaum noch gefragt. Außer in Blättern wie der »Zeit« oder dem »Spiegel«. Bei Tageszeitungen ist eine Meldung kaum über 150, 200 Wörter lang. Das wird sich aber wieder ändern. Und zwar je eher die Zeitung ein eigenständiges, hoffentlich gegen Bezahlung funktio-nierendes, Internetmodell auf die Beine stellt.
Es wird immer Journalisten geben?
Der Mensch an sich ist neugierig. Er will wissen, was passiert. Nicht nur auf der hohen politischen Ebene, sondern der will auch unterhalten werden. Die Leute wollen von ihrer Umgebung genauso wissen wie von fernen Ländern. Die wollen nicht unbedingt wissen, ob der Herr Laurent Dagbo an der Elfenbeinküste irgendetwas macht, sondern die wollen wissen: Wie ist es an der Elfenbeinküste? Also Lesestoff wird das sein, was die Zukunft bestimmt. Den Beruf des Aufschreibers wird es immer geben. Irgendjemand muss es ja tun, damit es andere lesen können.
Mehr erzählen, weniger nüchtern berichten?
Nachrichten werden weiter an Gewicht verlieren, die Einordnung und die Erzählung werden noch bedeutender.
Was raten Sie jungen Journalisten?
Nehmt viel auf! Wer viel aufnimmt und viel weiß, kann auch viel wiedergeben. Wir alle sollten neugierig und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Recherche bleibt das A und O. Nur wer gut recherchiert, kann auch gute Geschichten schreiben. Wer glaubt, alles schon zu kennen oder vorher zu wissen, ist kein Journalist.
(Das Gespräch führten die TA-Volontäre Lavinia Meier-Ewert, Julius Jasper Topp, Christian Gehrke, Mira Mertin, Friedemann Knoblich und Chefreporter Dirk Lübke)
(zu: Handbuch-Kapitel 46 Wer hat die Macht? + 57 Wie können Zeitungen überleben + 19 Die Nachrichtenagenturen + 2-4 Die Journalisten)
Springer-Manager Jan Bayer nervt der Abgesang auf Print
Die Springer-Manager verdienen für ihre Aktionäre so viel Geld wie nie zuvor und sind optimistisch wie keine anderen in der papiernen Medien-Welt. Jan Bayer – wählen wir ihn also zum: Top-Manager des Jahres – antwortet in Horizont auf die Frage nach dem nervigsten Thema:
Der an vielen Stellen einseitige und ideenlose Abgesang auf Print bringt die Branche sicher nicht weiter.
Auf die Frage nach der größten Sorge 2013 scheint er den Kopf zu schütteln, was dieser Unsinn denn solle, und antwortet:
Es ist ein Trugschluss, dass der Qualitätsjournalismus in Gefahr ist. Ich würde mir deshalb mehr Vertrauen und Optimismus wünschen.
Auch Julia Jäckel, G+J-Vorstand, tanzt aus der Reihe der Befragten, die dem Journalismus wenig zutrauen:
Vielleicht zu Ihrer Überraschung: Print wird deutlich zulegen.
Quelle: Horizont 1-2/2013
(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“)
Schon Gregor Gysi war vor 18 Jahren gegen den „Ehrensold“ (Friedhof der Wörter)
„Ehrensold“ wählten die Leser der Thüringer Allgemeine zum Unwort des Jahres. Aber wie bei den meisten Wörtern, die zum Unwort werden, meinen die Leute die Sache – oder einen Menschen, den sie verachten – und weniger das Wort.
- Was spricht gegen den „Ehrensold“ für rund fünfhundert Künstler in Not, denen unser Staat jährlich rund drei Millionen Euro schenkt?
- Wer gönnt ehrenamtlichen bayrischen Bürgermeistern nicht die siebenhundert Euro, die sie nach ihrem Ausscheiden als „Ehrensold“ erhalten?
- Wer schüttelt den Kopf über Mozart, der als „kuk-Kammerkompositeur“ einen „Ehrensold“ bekam?
Christian Wulff dagegen wollen viele ehrbare Bürger den Ehrensold verweigern, weil er als Bundespräsident weder vorbildlich war noch vertrauenswürdig. Zwar gab es auch andere, die in der Kritik „etwas Hämisches, geradezu Rachsüchtiges“ entdeckten, doch sie blieben eine Minderheit.
Erstmals kam der „Ehrensold“ vor achtzehn Jahren in Verruf durch Gregor Gysi und Bundestagsabgeordnete der PDS. Auch sie meinten einen Menschen, dem sie den „Ehrensold“ wegnehmen wollten: Der Dichter Ernst Jünger diente, so ihre Begründung, schon vor der Nazi-Diktatur einer „faschistischen Ideologie“ und habe 2000 D-Mark im Jahr nicht verdient.
Der Ehrensold für Christian Wulff erledigte sich übrigens nicht mit seinem Ableben. Seiner Witwe, so es eine gäbe, stünden bis zu ihrem Lebensende rund 120.000 Euro zu.
Ob das Bettina Wulff weiß?
„Wir erwarten das Goldene Zeitalter des Journalismus“ (Neujahrsansprachen 1: Mathias Döpfner, Springer-Chef)
Mathias Döpfner, Vorstandschef der Springer AG, sagte bei seiner Neujahrsansprache in Berlin: „Wir sind bei Springer eingefleischte Zweckpessimisten.“ Nachdem er lange über die Unglückszahl 13 räsoniert hatte und die eine und andere Geschichte erzählt, zitierte er den Zukunftsforscher Ross Dawson aus Australien: „2017 erscheint die letzte gedruckte Zeitung.“
Döpfner, Deutschlands größter Medienmanager, fuhr fort:
Zweckpessimisten sind sicher: „Die gedruckte Zeitung geht unter.“
Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Zeitung überlebt viel länger, als wir denken. Zwar ist mit Zeitungen auf Papier kaum noch Wachstum zu erzielen, aber Geld verdienen wird man mit ihnen noch viele Jahre. Die goldenen Zeiten des Print-Geschäftes mögen vorbei sein. Aber die silbernen können auch noch sehr schön sein.
Zweckpessimisten sind sicher: „Die Leute zahlen nicht für Journalismus im Netz.“
Aber Zweckpessimisten werden sehen: Die Menschen zahlen, wenn das Bezahlen einfach genug ist und die Geschichten interessant und verlässlich sind. Je mehr Informationen für jedermann jederzeit überall verfügbar sind, desto größer wird die Sehnsucht nach Auswahl, Orientierung und einem Absender, der für die Richtigkeit einer Information auch Verantwortung übernimmt.Und genau das macht guten Journalismus aus, genau das ist das Prinzip Zeitung, genau deshalb glaube ich an die Zukunft der digitalen Zeitung, die ihren Lesern etwas wert ist.
Zweckpessimisten sind sicher: Der Journalismus im Internet wird immer oberflächlicher und schlechter.
Aber Zweckpessimisten werden sehen: Er wird immer besser. Im Netz nämlich zählt nur noch die Qualität einer Geschichte, nicht mehr die Qualität des Papiers, die Qualität der Druckerei oder die Quantität der Kioske, an denen eine Zeitung verkauft wird.
Allein der Inhalt macht den Unterschied. Und der profitiert von maximaler Geschwindigkeit und dem kürzest möglichen Weg zum Leser, von unbegrenztem Platz auch noch für die längste aller denkbaren Hintergrundgeschichten, von der Möglichkeit, alle Mediengattungen, Ton, Bewegtbild sowie geschriebene Geschichten zu kombinieren, und schließlich von der Interaktivität, also der Möglichkeit, auch die Intelligenz und das Wissen der Leser in das journalistische Angebot einzubeziehen.
Das sind gute Nachrichten für gute Autoren und gute Reporter. Im Jahr 2013 beginnt die wirkliche Emanzipation der Zeitung vom Trägermedium Papier. Das Digitalzeitalter hat alle Chancen, zum Goldenen Zeitalter des Journalismus zu werden.
Quelle: Die Welt 12. Januar 2013
(zu: Handbuch-Kapitel 5 Die Internet-Revolution + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht + 57 Wie können Zeitungen überleben + Welche Zukunft hat der Journalismus)
FAZ-Leser wählen Unwort des Jahres: Migrationshintergrund (Friedhof der Wörter)
Am 15. Januar erfahren wir, welches Wort die Jury zum „Unwort des Jahres“ gewählt hat. Rund fünftausend Leser der „Frankfurter Allgemeine“ haben schon abgestimmt, ein Drittel hat „Migrationshintergrund“ abgewählt: Diskriminierend, fast beleidigend, zutiefst rassistisch – so lauteten einige der Begründungen.
Das Wort war schon im Dezember 2007 in dieser Friedhofs-Kolumne beerdigt worden, damals noch in der Braunschweiger Zeitung. Es ist vor allem eins: überflüssig und unscharf.
Was sind das für Menschen, die Menschen mit Migrationshintergrund? Ist es der Flüchtling aus Syrien? Der Auswanderer von der Wolga? Die Gastarbeiterin aus dem Baskenland? Die Asylantin aus Bangladesh? Die Vertriebene aus dem Memelland? Der Wanderarbeiter aus Kleinpolen? Die Einwanderin aus Anatolien mit türkischem Namen und deutschem Pass?
Jedes dieser Wörter verweist auf eine eindeutige Eigenschaft wie Flüchtling oder Gastarbeiter; jedes dieser Wörter ist jedermann verständlich. Allenfalls Soziologen mögen einen Oberbegriff nützlich finden für Menschen auf Wanderschaft.
Doch selbst der Tübinger Professor Karl-Heinz Meier-Braun von der „Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen“ schrieb schon 2004: „Der Begriff Migration ist schillernd.“
In einem „Positionspapier“ – auch ein Kandidat für den „Friedhof“ – schreibt das „Forum Menschenrechte“: Die „zirkuläre Migration“ ist ein Begriff „der für sich genommen noch nicht viel aussagt und der sich wohl auch deswegen politisch einer gewissen Beliebtheit erfreut“; so kann er auch von Politikern als „Schlagwort“ verwendet werden.
Also lassen wir ihn schillern, überlassen die „Migration“ den Soziologen und nutzen klare Begriffe – ohne jeden Hintergrund.
Thüringer Allgemeine, geplant für 7. Januar 2013
Sollen Journalisten in Facebook Politiker loben?
Der Regierungssprecher bittet Journalisten, die Facebook-Seite der Ministerpräsidentin mit „Gefällt mir“ zu loben. Nach vier Tagen hat ein Journalist Gefallen gefunden.
(zu: Handbuch-Kapitel 2-4 Die Journalisten)
Joachim Braun kommentiert auf Facebook:
„Als Informationsquelle mag die MP-Seite wertvoll sein, ein „Like“ ist trotz der Begrifflichkeit keine Sympathiebekundung, also warum nicht. Einen politischen Standort manifestiert ein Journalist damit nicht, zumal er ja auch die Opposition liken kann. Bleibt die Frage: Was steht auf der Facebook-Seite? Lohnt sich das?“
Manfred Günther kommentiert auf Facebook:
Manfred hat geschrieben: „Eine interessante und hochspannende Frage angesichts der rasanten Entwicklung und den sich bietenden Möglichkeiten im Web 2.0 samt Social Media. Ich meine: Journalisten sollten nicht vergessen, dass sie auch die Rolle des Ombudsmannes inne haben!“
Interview-Antworten und ihre öffentlich-rechtliche Absicherung
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was soll das? Diese ebenso überflüssige wie unsinnige Anmerkung steht am Ende von Interviews auf der Internet-Seite von Deutschlandradio Kultur. Es ist journalistischer Standard, dass Aussagen von Interviewten deren Meinung wiedergeben ebenso wie Gastkommentare die Meinung des Gastes und Leserbriefe die Meinung des Lesers.
Offenbar muss man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Selbstverständlichkeiten für die Politiker im Rundfunkrat immer und immer wieder schreiben.
(zu: Handbuch-Kapitel 26 Das Interview)
Mehr Synonyme: Hopfenkaltschale und Beziehungsüberhang
Synonyme sind nicht nur Verzweiflungs-Wörter für Journalisten, die nicht zweimal dasselbe Wort nutzen wollen. Sie sind auch Spaß-Wörter, ironische Wendungen – wie die „Hopfenkaltschale“, am Sonntag im Münchner Tatort zu hören (30.12.2012),
Das Wort steht für „ein schönes kühles Glas Bier“, schreibt das Spaßwörter-Lexikon „Sprachnudel.de“, eine der nervigsten Pop-Up-Seiten, „die wo einem beim Lesen das Messer in der Hose aufgeht“ (Selbstbeschreibung). Die Hopfenkaltschale scheint nicht so scharf zu sein: Nur Platz 666 der Topliste.
Mehr Verzweiflung als Spaß ist „Beziehungsüberhang“, ein Wort, geprägt von Olaf Glaeseckers Anwalt Guido Frings. Gemeint ist schlicht „Freundschaft“, eine besonders private Freundschaft, also kein Netzwerk als „Geben-und-Nehmen“-Kontrakt mit nachfolgender Abhängigkeit.
Glaesecker war Wulffs Pressesprecher, erst in Hannover, dann im Berliner Schloss Bellevue.
(Quelle: SZ 29.12.2012)
Journalismus als „Rohentwurf der Geschichtsschreibung“
Heute, Silvester 2012, erscheint die letzte gedruckte Ausgabe des Nachrichtenmagazins Newsweek, Jahrzehnte Konkurrent von Time; künftig kommt das Magazin nur als Internet-Ausgabe heraus.
Siegfried Buschschlüter, ehemals US-Korrespondent, würdigte im Mediengespräch des Deutschlandradio Kultur das Magazin und hob die Doppelausgabe nach dem 11. September 2001 hervor:
Eine detaillierte, gut recherchierte und hervorragend geschriebene Chronik. Dies sei auch Aufgabe des Journalismus, einen „Rohentwurf der Geschichtsschreibung“ zu liefern.
(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 Recherche + 5 Die Internet-Revolution)
Wortschöpfer: Löffelfertig, ticktacken und mähmähen
Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung, hörte ein neues Wort und twitterte:
Wie heißt das Pendant zu „Schlüsselfertig“ bei Hotel-Projekten? „Löffelfertig„. (In Gespräch mit Makler gelernt)
Das Wort hatte ich auch noch nicht gehört, scheint bei Hauskäufern- und verkäufern geläufig zu sein: 27.000 Einträge bei Google.
Dirk Koch hat in „Murt“, seinem fulminanten Erzähl-Buch aus Irland, lautmalend zwei Verben erfunden:
- „ticktacken“ hat gerade mal 1600 Fundstellen, kommt wohl im Plattdeutschen vor;
- „mähmähen“ hat gerade mal eine Handvoll Google-Einträge, die zu entlegenen Stellen führen.
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