Alle Artikel mit dem Schlagwort " Demokratie"

Rabauken-Affäre: Staatsanwaltschaft gibt Ruhe und ermittelt nicht mehr

Geschrieben am 10. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Unser Land wird gelegentlich von Kriminellen, aber bestimmt nicht von Zeitungskommentatoren bedroht.

So reagiert Lutz Schumacher, Chefredakteur des Nordkurier in Neubrandenburg, auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stralsund, die Ermittlungen gegen ihn einzustellen. Zwei Staatsanwälte hatten gegen ihn wegen angeblicher Beleidigung in einem Kommentar Strafantrag gestellt.

Heftig kritisiert Schumacher Mecklenburg-Vorpommerns  Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU): Peinlich und inakzeptabel sei ihr Verhalten, weil sie es versäumt habe, „mäßigend auf die Staatsanwaltschaft einzuwirken und sich in juristischen Haarspaltereien verlor (hat), anstatt die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger zu schützen“.

Das Berufungsverfahren gegen Thomas Krause, der 1000 Euro Strafe wegen des Rabauken-Berichts zahlen muss, läuft noch (siehe Bericht in diesem Blog). Schumacher hofft, dass auch die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert.

 

Der Ombudsmann und sein Plädoyer für den Leserbrief: „Ein unverzichtbarer Teil der Demokratie“

Geschrieben am 9. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

„Kritiker sind die besten Medien-Kunden. Man muss sie einfach mögen. Sie sind für Redaktionen demokratisches Lebenselement.“ So endet das fulminante Plädoyer für den Leser und seine Briefe, geschrieben von Anton Sahlender,  Leseranwalt der Main-Post und Sprecher der Vereinigung der Medien-Ombusleute. In seinem Main-Post-Blog lesen wir unter anderem:

„Leserbriefe sollte man noch viel mehr schätzen lernen. Sie sind wertvoll. Nicht nur für Zeitungen. Folglich muss man Brief-Schreiber einfach mögen. Sie haben Bedeutung. Geben sie sich doch (noch) Mühe, ihre Gedanken zu aktuellem Geschehen beizutragen. Das heißt, sie denken erst nach, bevor sie ihre Meinung an die Zeitung schreiben. Ja, das gibt es noch. Sie greifen schließlich unter ihrem Namen öffentlich in eine Diskussion ein.

Und die ist sogar ein unverzichtbarer Teil der Demokratie. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon vor langer Zeit festgestellt. Es hat dabei eine freie Presse, zu der Leserbriefe gehören, als schlechthin konstituierend für ein freiheitlich demokratisches Staatswesen bezeichnet. Dessen Lebenselement sehen die Richter nämlich weiterhin in der ständigen geistigen Auseinandersetzung, die den Kampf der Meinungen ermöglicht. In diesem Sinne: Mitkämpfen ist erwünscht.

Fakten für den Stammtisch

Je früher man das Debattieren lernt, um kompetent an Auseinandersetzungen teilzunehmen, desto besser. Für eine richtige Debatte, die die Teilnehmer weiterbringt, gibt es Grundregeln. Erfolgreiche Debattierer halten sich daran, weil sie beispielsweise gut zuhören können. Verfassungsrichter sind in der Formulierung ihrer Urteilsbegründungen zu Diskussionen meist noch etwas anspruchsvoller. Dennoch muss sich niemand scheuen, die Niederungen gepflegter Stammtisch-Runden in den demokratischen Diskurs einzubeziehen, sofern aus Fakten geschöpft wird.

Wein- und bierselige Runden sind dann besser als ihr Ruf. Denn es geht nicht nur um politische Streitfragen, sondern um alles, was zum menschlichen Leben gehört. Da lässt sich doch der eine oder andere Ausrutscher verzeihen. Unterhaltung ist bekanntlich sogar Teil der Pressefreiheit.

D i e Medien gibt es nicht

Ich riskiere es, das heftig diskutierte Wullf-Beispiel an dieser Stelle einzusetzen: Ein Bundespräsident musste zurücktreten, weil er den Maßstäben, die man an den Lebenswandel des höchsten Repräsentanten eines Staates stellen muss, nicht gerecht wurde. Vorwiegend Medien haben das verdeutlicht, und zwar in seltener Einigkeit. Sie wurden ihrer Wächterrolle gerecht. Aber im Gespräch halten Kritiker an den journalistischen Fehlgriffen fest, die es während der Affäre zweifellos gegeben hat und machen daran generelle Zweifel am Journalismus fest.
Es gibt eigentlich fast immer den Faktor, dass Betroffene, die ihr Tun bloßgestellt sehen, meist dem Journalismus die Schuld in die Schuhe schieben. Sie halten Ursache und Wirkung nicht auseinander.

Wissen macht Demokraten
Durchaus zulässig ist es  zu sagen, dass vorwiegend Menschen, die Tageszeitung lesen, die die Demokratie stärken. Unter ihnen findet man konstruktive Kritiker. Die müssen dazu nicht unbedingt Briefe an die Redaktion schreiben. Ihre Bedeutung lässt sich auch ohne solche Aktivitäten gut begründen. Zeigt sich doch seit Jahren, dass vornehmlich sie es sind, die zur Wahl gehen.

Das gilt gleichermaßen für Leser, die seriöse Medien im Internet nutzen. Sie heben sich durch besseres Wissen von den Leuten ab, die Verschwörungen unterstellen und Lügenpresse rufen, aber vermutlich keine Zeitung wahrnehmen, weder gedruckt noch digital. Unwissen macht anfällig für Gerüchte und falsche Behauptungen.

Man könnte daraus allzu leicht die Umkehr-Regel formulieren: Fundiertes Wissen macht Demokraten. Das funktioniert aber nicht, schon gar nicht von heute auf morgen. Oft müssen Vorurteile abgebaut werden, indem Fakten dagegen gestellt werden. Das ist ein Prozess gegen die Beharrlichkeit im menschlichen Bewusstsein. Denn Botschaften, die aus den Nachrichten abgeleitet werden, entstehen bekanntlich erst in den Köpfen.

Starke Treuebeweise
Ich gönne mir noch etwas Gegenwart. Dazu gehören Wünsche oder Beschwerden von treuen Lesern, allesamt aus der älteren Generation. Die sind vermehrt von Hinweisen begleitet, wie den, dass die Familie schon in der dritten Generation die Main-Post, das Schweinfurter Tagblatt oder auch den Boten vom Haßgau liest. Die Absender schreiben das so, als würden sie sich einer verschworenen Gemeinschaft zugehörig fühlen. Solche Treuebeweise könnten Redakteure, oft zermürbt von schleichenden Auflagenverlusten und hässlichen Kritiken, schwach machen, selbst bei unerfüllbaren Wünschen. Darf es aber nicht! Denn ein langjähriges Abonnement ist kein Kriterium für Veröffentlichungen. Aber es ist ein Quell für Motivation.

Viele sollen zu Wort kommen

Für Leserbriefe gibt es natürlich Regeln – wie für den gesamten Journalismus.  Hier drei, die zuletzt oft übersehen wurden:

> Je kürzer der Text, desto größer die Wahrscheinlichkeit seiner Veröffentlichung. Das gilt vor allen Dingen für Zuschriften zu überregionalen Themen, etwa solchen zur Bundespolitik oder zum internationalen Geschehen. Lange Texte wandern zumindest unter mainpost.de komplett ins Internet. Im Netz spielt Länge keine Rolle.

> Kurze Briefe lassen es zu, auf dem  begrenzten Platz der gedruckten Zeitung möglichst viele Einsendungen unterzubringen. Aber auch sie wandern ins Netz, wenn es der Einsender nicht ausgeschlossen hat.

> Und Leserbriefe zu Berichten über Ereignisse, die Wochen zurückliegen, haben kaum Chancen noch einen Platz zu finden. Diese Regel drängt natürlich die Redaktion selbst die Pflicht, eingegangene Zuschriften möglichst zeitnah zu veröffentlichen. Sie nicht zu lange warten zu lassen. Insgesamt lässt sich sagen, dass etwa 90 Prozent der Zuschriften abgedruckt oder im Netz veröffentlicht werden, die redaktionellen Regeln entsprechen.

Das Haar in der Suppe
Ein Vorwurf, lässt sich nicht ausrotten. Er ist mit Manipulation zu kennzeichnen. Dieser Vorwurf kommt meist von Interessengruppen: „Leserbriefe oder Kommentare, die der Redaktion unliebsam sind, werden nicht veröffentlicht oder gar weggeworfen.“ Zu kontroversen konfliktreichen Artikeln scheint dieser Vorwurf zu gehören, wie das Haar in der Suppe. Einer trägt diese Vermutung an den anderen weiter: so lange, bis man sie für Tatsache hält. Vor allem glauben jene an das Haar, denen die Suppe nicht geschmeckt hat.
Dabei hat keine Redaktion Interesse, sich die Suppe selbst zu verderben. Einseitigkeit tut sie sich nicht an. Die widerspricht zutiefst journalistischem Selbstverständnis.
Fakt ist aber, dass es Einseitigkeit gibt. Zu manchen Themen gehen tatsächlich nur Leser-Stimmen zu „einer Seite der Medaille“ ein. Und keine Redaktion erfindet selbst Gegenstimmen, um ihre Leserbriefspalte auszugleichen. Ich würde es allerdings gutheißen, wenn die Redaktion der Leserschaft der einseitige Briefeingang offenbart wird. Das gilt gerade für kontroverse Themen. In diesen Zeiten, sollte manches was in Redaktionen vorgeht, transparent gemacht und erklärt werden.

Erhöhtes Qualitätsbewusstsein
Für Zeitungsleser ist es ein wesentlicher Faktor für Qualität, dass Leute, die ihre Meinung schreiben, ihren korrekten Namen darunter setzen. Mit Phantasienamen aus dem Internet wollen sie nichts zu tun haben. Sie beschweren sich, wenn ihre namentlich gezeichneten Meinungen den Ansichten begegnen, die da unter einem Pseudonym erscheinen. Das mögen sie schon gar nicht in ihrer gedruckten Zeitung. Der Presserat freilich, hat in seinem Kodex die Nicknames sanktioniert. (Richtlinie 2.6) Eine Debatte unter ungleichen Bedingungen hat er dabei nicht erwähnt.

Es gilt die Verbreiterhaftung
Alles, was unter der Marke dieser Zeitung veröffentlicht wird, prägt nicht nur ihr Image. Die Redaktion haftet auch dafür. Auch für namentlich und mit Phantasienamen gezeichnete Kommentierungen gilt die Verbreiterhaftung. Schon deshalb bemühen sich professionelle Redaktionen um eine erträgliche Diskussionskultur. Sie lassen Boshaftigkeiten und Beleidigungen nicht zu. Die fallen auf das Image ihrer Marke zurück. In langfristig gepflegten und kontrollierten Meinungsportalen, hat man bekanntlich kaum noch unter dem Einfall von „Trollen“ und ihren meist persönlich beleidigend hingeworfenen Behauptungen zu leiden.

Wer sie kritisiert, hängt an der Zeitung
Ich habe es oft erfahren, dass gerade Zeitungsleser eine gepflegte Diskussionskultur zu schätzen wissen. Man begegnet diesen Lesern – darunter ältere Semester – vermehrt auch im Internet. Hoffentlich tragen sie dort zum Fortbestand einer gepflegten Diskussionskultur bei. In deren Rahmen – also ohne persönliche Schmähungen und unbewiesene Behauptungen – sind auch Beschwerden am besten platziert. Debatten sind dann anregend und fruchtbar. Willkommen ist, wer dabei Zeitung oder Redaktion kritisiert, denn dem ist sie nicht gleichgültig. Er hängt meist sogar an ihr. Im Sinne geistiger Auseinandersetzung sind Kritiker ohnehin die besten Medien-Kunden. Man muss sie einfach mögen. Sie sind für Redaktionen demokratisches Lebenselement.

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts zur Rabauken-Affäre: „Medialer Pranger ist mit Verfassung nicht vereinbar“

Geschrieben am 10. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

„Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin angeblich nichts gelernt haben, sollten vermieden werden“, schreibt Helmut Trost, der Generalstaatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern, in einem Gastkommentar zur Rabauken-Affäre. Trost hat offenbar allen Chefredakteuren eine Mail geschrieben, die sich im Nordkurier zur Rabauken-Affäre geäußert haben (siehe ). Er will, so sein Anschreiben, einen Beitrag zur Versachlichung leisten und fügt einen „Gastkommentar“ bei, den er „auf Einladung des Nordkurier verfasst habe, der aber leider nicht veröffentlicht worden ist“. Sein Schreiben an den Nordkurier vom 4. Juni 2015 fügt er ebenfalls bei.

Ich dokumentiere beides:

Brief des Generalstaatsanwalts an den Nordkurier:

Sehr geehrter Herr Dr. Wilhelm,
Ihre Bemühungen, in der genannten Angelegenheit zu einer auch nach meiner Auffassung dringend gebotenen Versachlichung beizutragen, begrüße ich sehr. Ich komme deshalb Ihrer Einladung zu einem Gastkommentar gerne nach, auch wenn die Ausführungen Ihres Chefredakteurs in der Ausgabe vom 22.05.2015 („Geht’s noch? Rabauken in Richter-Roben“) mir diese Entscheidung nicht gerade erleichtern.

Da die Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und dem ebenfalls grundgesetzlich garantierten Recht der persönlichen Ehre andererseits überaus schwierig ist – die zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hierzu belegen dies eindrucksvoll -, ist eine ausgewogene, der Bedeutung der Sache angemessene und über Schlagworte hinausgehende Stellungnahme bei nur 1.500 „Textzeichen“ an sich nicht möglich.

Gleichwohl bin ich zu dem erbetenen Gastkommentar bereit, bitte allerdings um Verständnis, wenn dies unter dem Vorbehalt geschieht, dass Ihre Chefredaktion auf Kürzungen verzichtet, sofern ich den vorgegebenen Rahmen überschreite. Ich bitte ferner um Verständnis, dass ich zu Einzelheiten des laufenden Strafverfahrens gegen den angeklagten Journalisten keine Stellung nehme, sondern mich in dem anliegenden Gastkommentar nur allgemein zur rechtlichen Problematik in derartigen Fällen und zu Ihrer bisherige Berichterstattung äußere.

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts:

Meinungs- und Pressefreiheit ja – aber nicht schrankenlos!

In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese grundlegende Verpflichtung nehmen die Staatsanwaltschaften sehr ernst. Bestandteil der Menschenwürde ist gerade auch die persönliche Ehre.

Ein medialer Pranger ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Dementsprechend garantiert das Grundgesetz in seinem Artikel 5 Absatz 2 die Meinungs- und Pressefreiheit nicht unbegrenzt. Vielmehr finden diese Grundrechte ihre Schranken unter anderem ausdrücklich auch in dem Recht der persönlichen Ehre.

Dieser wesentliche Zusammenhang ist in der bisherigen Berichtserstattung – soweit ersichtlich – nicht angesprochen worden. Allenfalls nur am Rande erwähnt wird leider außerdem die
Tatsache, dass der umstrittene Artikel des ‚Nordkurier‘ auch Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem Presserat war, der zuständige Beschwerdeausschuss die festgestellten
Verstöße gegen den Pressekodex einstimmig als schwerwiegend angesehen und deshalb eine Missbilligung ausgesprochen hat. Ich unterstelle, dass der ‚Nordkurier‘ der zudem vom Presserat
als Ausdruck einer fairen Berichterstattung empfohlenen Veröffentlichung dieser Missbilligung nachgekommen ist.

Nach der Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, Ermittlungen zu führen und, wenn diese einen ausreichenden Verdacht für eine Straftat begründen, den ermittelten
Sachverhalt grundsätzlich auch zum Gegenstand einer Verhandlung vor dem zuständigen Gericht zu machen. Das ist in dem diskutierten Strafverfahren geschehen, nachdem eine sorgfältige
Abwägung unter Berücksichtigung des hohen Gutes der Pressefreiheit einerseits und der Pflicht zum Schutz der persönlichen Ehre andererseits aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine –
auch strafbare – Überschreitung der Grenzen einer fairen Presseberichterstattung ergeben hatte.

Für diese Bewertung war selbstverständlich auch die Beurteilung, die der betreffende Artikel des ‚Nordkurier‘ durch den Presserat erfahren hat, nicht ohne Bedeutung. Jedenfalls
der Respekt vor den mit der Sache befassten Gerichten sollte Anlass genug sein, zunächst den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abzuwarten. Erst dann wird seriös beurteilt werden
können, ob wirklich von einem nicht mehr hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit die Rede sein kann und Worte wie „Rabauken in Richter-Roben“ oder „Schaum vor dem Mund des Staatsanwalts“ noch eine angemessene Wahrnehmung berechtigter Interessen sind.

Jedenfalls sollten Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin („die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen“) angeblich
nichts gelernt haben, vermieden werden. Dafür sind die Umstände, die den ‚Nordkurier‘ zu seiner Berichterstattung über den „Rabauken-Jäger“ und „fiesen Wildschleifer“ veranlasst
haben, dann vielleicht doch zu banal.

Chefredakteure zur Rabauken-Affäre: „Post-diktatorische Unterdrücker-Mentalität“

Geschrieben am 8. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Mein Kommentar zur Rabauken-Affäre in Mecklenburg:

Danken wir Staatsanwalt und Richterin! Sie schreiben das Drehbuch für ein Lehrstück, das gerade im Osten unserer Republik mit Pauken und Flöten aufzuführen ist: Ohne die Freiheit der Presse, die die wichtigste Freiheit der Bürger ist, bleibt unsere Demokratie nicht lebendig. Diese Freiheit steht zwar weit vorne in unserer Verfassung, aber sie muss immer wieder zum Thema werden, erkämpft und verteidigt. Aber geht es überhaupt um die Pressefreiheit? Geht es nicht einfach um einen schwachen Artikel, wie der Presserat urteilt, der sich vom Staatsanwalt als Hilfstruppe benutzen lässt?

Man kann trefflich streiten, wie unglücklich die Vermischung von Nachricht und Meinung ist, wie hoch Persönlichkeitsrechte zu hängen sind – aber in der Rabauken-Affäre geht es um einen Grundsatz: Darf ein Staatsanwalt, darf eine Richterin nach eigenem Gusto über die Presse entscheiden? Kontrolliert der Staat die Journalisten? Oder die Journalisten den Staat? Das Grundgesetz gibt eine klare Antwort. Also warten wir, wenn nicht zuvor Vernunft einkehrt, auf unser Verfassungsgericht: Sein Spruch wäre ein würdiger Schlussakt im Rabauken-Lehrstück.

Diese Version steht online beim Nordkurier, der Schluss (ab: „aber in der Rabauken-Affäre…“) stand auch in der gedruckten Ausgabe vom Samstag, 6. Juni 2015.

So kommentierten andere Chefredakteure:

Michael Bröcker, „Rheinische Post“, Düsseldorf

Die Freiheit wird selten mit einem großen Knall, sondern schrittweise und schleichend eingeschränkt. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Öffentlichkeit schnell, klar und eindeutig gegen die verwunderliche Neuinterpretation der Meinungsfreiheit durch die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg stellt. Die Rheinische Post steht jedenfalls an der Seite der Redaktion des Nordkurier.

Andreas Ebel, Chefredakteur „Ostsee-Zeitung“, Rostock

Armes Deutschland! In MV gehen Strafverfolgungsbehörden gegen Journalisten vor, die kritisch berichten und kommentieren. Das ist ein Skandal. Der Presse- und Meinungsfreiheit ist es zu verdanken, dass wir in Freiheit und Frieden leben. Wir Journalisten informieren, kritisieren und decken auf. Ja, das ist manchmal unbequem und tut weh. Eine gleichgeschaltete, von Behörden beeinflusste Presse wäre der Untergang der Demokratie. Sehr geehrte Vertreter der Justiz, sehr geehrte Vertreter der Landesregierung – bitte beenden Sie diesen Unsinn.

Wolfram Kiwit, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“

,Rabauken in Richterroben‘ hat Lutz Schumacher seinen Kommentar überschrieben. Dem schließe ich mich gerne an. Wer im Namen einer unabhängigen Justiz die Presse- und Meinungsfreiheit mit einer post-diktatorischen Unterdrücker-Mentalität einschränken und beschneiden will, schadet der Demokratie. Untergräbt unsere Freiheit. Und ist der Richterrobe nicht würdig. Ausziehen, hinsetzen, nachdenken, schämen. Die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg scheint aus unserer Geschichte nichts gelernt zu haben. Ihr fehlt es offensichtlich an Demokratie-Verständnis. Der Nordkurier hingegen hat seine Wächter-Rolle verstanden. Das immerhin unterscheidet uns von ‚früher‘. Das war ein Meinungsbeitrag. Staatsanwaltliche Post bitte über den Nordkurier Briefdienst an Wolfram Kiwit.

Horst Seidenfaden, Chefredakteur „Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine“, Kassel

Die Meinungsfreiheit, die uns das Grundgesetz garantiert, ist bisweilen für den, der sie ertragen oder gar unter ihr leiden muss, eine lästige Sache. Aber welch großartige Einrichtung stellt dieser Artikel unserer Verfassung doch für unser Leben in Freiheit und Demokratie dar. Die Medien, die täglich von ihr profitieren, pflegen sie und hegen sie – unsere Kunden, die Einwohner dieses Landes, schätzen das und nutzen die Chancen dieses Rechts in Leserbriefen, Online-Kommentaren. All das führt zu einem offenen Diskurs, der in der Regel weiter hilft.

Meinungsfreiheit ist also ein Segen, eine Säule für ein stabiles demokratisches System. Wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abseits der Verfassung, die ja auch ihre Tätigkeit regelt, dieses Recht aushebeln, dann ist das der Versuch, einen Staat im Staate aufzubauen bzw. diesen Staat zu schädigen oder zu zerstören. Was ist also nun der eigentliche Verstoß? Freie Meinungsäußerung oder das Verbieten derselben?

Ralf Geisenhanslüke, Chefredakteur „Neue Osnabrücker Zeitung“

Warum läuten nicht bei allen Politikern und Juristen in unserem Land die Alarmglocken? Dreister und direkter kann der Angriff auf die Pressefreiheit nicht gefahren werden. Hier liegt die Vermutung nahe, dass jeder, der nicht eingreift oder sich vor die Pressefreiheit stellt, das Vorgehen gutheißt.

Michael Seidel, Chefredakteur „Schweriner Volkszeitung“

Als hätte sich die Justiz beim Wutbürgertum auf der Straße angesteckt. Die unselige Lügenpresse-Diktion, die oft eher den Boulevard oder den Diskussionsstil von Nicht-Journalisten in sozialen Medien meint, verlagert sich zusehends in Gerichtssäle, scheint mir. Journalisten konnten sich noch nie rühmen, zu einer besonders beliebten Berufsgruppe zu gehören. Lästig sind wir, stellen hartnäckig unbequeme Fragen, suchen ‚das Haar in der Suppe‘, pirschen uns notfalls durch die Hintertür wieder zum Ort des Geschehens, wenn wir zur Vordertüre rausgeflogen sind – kurzum, wir sind schon ein ziemlich unsympathischer Berufsstand. Andererseits wird von uns erwartet, dass wir den Mächtigen auf die Finger schauen und bei Fehlverhalten auch (verbal) hauen. Wir gehen mit diesem Gegensatz professionell um.

Wenn Richter und Staatsanwälte sich jetzt aber anheischig machen, das Niveau einer Zeitung bestimmen zu wollen, widerspricht dies diametral dem Grundgedanken der Pressefreiheit, die übrigens die Zulassungsfreiheit einschließt: Jeder, der das Geld dafür hat, darf ein Medium gründen – egal welcher ideologischen, politischen, weltanschaulichen oder ggf. sogar sexuellen Ausrichtung dieses Medium sein soll. Pressefreiheit bedeutet nach landläufiger Auffassung – zumindest außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns und seit Abschaffung der Sozialistengesetze 1890 sowie dem Ende der beiden deutschen Diktaturen – dass Ausrichtung, Inhalt und Form des Presseerzeugnisses frei bestimmt werden können. Sie gilt gleichermaßen für „seriöse Presse“ wie für Boulevardmedien.

Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur „Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag“, Flensburg

Als ich vor 25 Jahren (zu Nachwende-, aber noch DDR-Zeiten) in Mecklenburg arbeitete, hätte ich mir in den pessimistischsten Träumen nicht vorstellen können, dass es einmal so weit kommt. Zu Recht wird die so genannte Vierte Gewalt immer mal kritisiert. Wenn die Dritte sich aber an der Vierten vergreift, geht es an die Wurzeln des Grundgesetzes. Ich bin sprachlos, dass die Politik das so hinnimmt. Das wäre mal ein Betätigungsfeld für den West-Ministerpräsidenten und die Ost-Bundesministerin!

Manfred Sauerer, Chefredakteur „Mittelbayerische Zeitung“, Regensburg

Wenn schon Staatsanwaltschaften und Richter(innen) die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit und die Schutzwürdigkeit der Presse nicht (mehr) erkennen, bleibt eigentlich die Hoffnung auf die Politik. Die war in diesem Fall aber offenkundig vergeblich. Die Justizministerin hätte eines machen müssen: die Sache möglichst geräuschlos kassieren. Hat sie aber nicht – und nun darf ermittelt werden. Was eigentlich? Dass Lutz Schumacher Chefredakteur des Nordkurier ist? Richtig! Dass er Journalist ist? Richtig? usw.

Die Sache ist so bizarr und unglaublich, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, Mecklenburg-Vorpommern sei Teil eines Staates mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ist es aber – jedenfalls in der Theorie. Insofern sollte mitermittelt werden, ob hier von offiziellen Organen das Grundgesetz verletzt wird. Aber das macht hoffentlich am Ende das Bundesverfassungsgericht.

Jan Emendörfer, Chefredakteur „Leipziger Volkszeitung“, Leipzig

Ich finde den Begriff Rabauken-Jäger fast noch schmeichelhaft, wenn man dazu Synonyme wie etwa Rüpel, Flegel oder Grobian in Betracht zieht. Der Autor hätte auch vom Kadaverschänder schreiben können … Es bleibt die Frage: Haben Gerichte und Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern keine anderen Sorgen? Die Kriminalitätsstatistik mit Raub, Diebstahl, Erpressung und schlimmeren Delikten bietet eine große Angriffsfläche, an der Ermittler sich abarbeiten können. Der Versuch, eine Zeitung mundtot zu machen, muss scheitern und geht nach hinten los, wie das bundesweite Medienecho im Fall Nordkurier nun zeigt.

Aus den Kommentaren der Leser:

Haben sich die Chefredakteure gut überlegt, ob sie sich solidarisch auf die Seite von Straftätern stellen dürfen ? Nicht, daß sie vom AG Pasewalk noch als geistige Mittäter belangt werden… Den Chefredakteuren ist ohne weiteres zu bestätigen, daß sie sich im Presserecht auskennen, aber darüber hinaus wird auch noch deutlich, was sie von der Justiz (zu Recht) halten: In diesem konkreten Fall – nichts Positives. Also heißt es für die Zukunft aufzupassen, dass Bürger in Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht noch belangt werden dafür, dass sie die Wahrheit sagen und schreiben. Denn dann sind wir wieder bei einer Gesinnungsjustiz…

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Ich kann es nicht mehr hören. Hier ist nicht die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern Euer Ton. Rabauke ist ein Schimpfwort. Ich kann mich noch an einen Fall im letzten Jahr erinnern, da ging es um „Frauenschläger“. Davor habt ihr immer wieder mit Häme berichtet, wenn es gegen die NPD ging. Damals ging es um „Gesinnungsextremistin“. Jetzt seid ihr selbst mal dran und siehe da, das Geschrei ist groß.

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„Man wird doch mal sagen dürfen … “ – so ist eine doppelseitige Solidaritäsbekundung heute im Nordkurier betitelt. Ich meine: Nee – „Rabauken in Richter-Roben“ darf man eben nicht „mal sagen“. Das ist schlichtweg beleidigend, und alleine deshalb nicht tolerabel. Als Rechtfertigung für eine solch geschmacklose Unverschämtheit die Meinungs- und Pressefreiheit heranzuziehen, zeigt doch nur, dass der Mann (und offensichtlich auch der ein oder andere seiner Kollegen) völlig die Bodenhaftung verloren hat. Bezüglich der Frage, ob in diesem konkreten Fall ein Straftatsbestand zu konstatieren ist, vertraue ich auf unseren Rechtsstaat. Unabhängig davon wäre eine Entschuldigung Schumachers gegenüber den „Robenträgern“ das Mindeste. Aber auch das ist eine Frage von Kinderstube und Anstand. Zumindest letzteren kann man sich erschließen und zu eigen machen – oder eben auch nicht.

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Ständig ziehen sie Leute Firmen und Personen durch den Dreck. Jetzt geht es ihnen an den Kragen, da ist alles schlimm. Ich sage: Verdammt richtig so. Die müssen doch erst Gehirn einschalten und dann schreiben. Und nicht schreiben und bei Gegenwehr jammern. Und sie jammern richtig :-))) Wie Peinlich :-)))) PS.

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Es ist schade wie einige versuchen, bei diesem brisanten Thema ihre „offene Rechnung“ mit der vermeintlichen „Lügenpresse“ zu begleichen, ohne dabei zu merken, dass es um ihre eigenen Grundrechte geht. Nein, mit einem „in den Dreck ziehen“ von Personen oder Firmen hat eine investigative, kritische Berichterstattung – wie sie täglich im Nordkurier und Uckermark Kurier passiert – nichts gemein. Im Gegensatz zu Juristen, Politikern und hinter Nicknamen versteckten Kommentatoren halten die Reporter täglich mit offenem Visier ihren Kopf hin, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern, an Stammtischen, sondern Schwarz auf Weiß nachzulesen. Und sie bekommen diesen (ihren Kopf) auch gründlich gewaschen, wenn ihnen dabei ein Fehler passiert (und wer ist schon fehlerfrei). Nicht den Reportern geht’s bei dem aktuellen Urteil an „den Kragen“, sondern der Meinungsfreiheit und einer unabhängigen, pluralistischen Berichterstattung, die die Leserinnen und Leser zu Recht von ihrer Zeitung erwarten. „Das möchte ich lieber nicht öffentlich sagen, schon gar nicht mit meinem Namen.“ Einen Satz, den die Redakteure in der Region wieder zunehmend bei ihren Recherchen zu hören bekommen. Genau gegen diese Angst schreiben sie täglich mutig an.

Ein rechter Leserbrief und seine Folgen: Wie viel Meinung verträgt das Volk?

Geschrieben am 23. April 2015 von Paul-Josef Raue.

Dieser Brief einer Leserin stand in der TA (Thüringer Allgemeine):

Auch meine Großeltern kamen mit meinen Eltern aus dem damaligen Züllichau als Flüchtlinge nach Deutschland. Man sollte aber hier nicht unerwähnt lassen, dass diese Menschen alles zurück lassen mussten (die Betonung liegt auf mussten), weil der Krieg vor der Tür stand. Die heutigen Asylanten kommen zu 90 Prozent in ein angebliches Schlaraffenland.

Hier ist unsere Regierung gefordert, endlich mal konkrete Gesetze zu schaffen und ein bisschen genauer zu schauen, wer hier bleiben darf. Und auch wenn es vielleicht rassistisch rüberkommt, damals kamen Deutsche zu Deutschen und das Volk wurde nicht mit fremden Kulturen vermischt, welche noch dazu nicht bereit sind, sich unserem Leben anzupassen.

Unsere Eltern waren froh und dankbar für ein Dach über dem Kopf, ein Stück Brot und Wasser zum Trinken. Und heute? Asylanten ziehen vor die Behörden und demonstrieren, beschweren sich über dies und jenes, führen Prozesse, ob Kopftuch oder nicht. Dies in einem Land, wo sie eigentlich vorerst nur Gast sind. Wenn diese Menschen sich mehr einordnen würden, wären sie sicher auch hier willkommen.

> Darauf reagierte ein Leser:

Sehr geehrte Redakteure, da ist ihnen wohl wieder einmal etwas durchgerutscht? Könnte man, wenn man so etwas veröffentlicht, nicht wenigstens ein paar erläuternde Sätze der Redaktion hinzufügen? Die Presse wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.

> Das ist die Antwort des Chefredakteurs in einem Brief an den Leser:

Ich schicke voraus: Die Meinung der Leserin ist nicht meine Meinung, und sie bewegt sich am Rand dessen, was man als diskussionswürdig erachten kann. Aber sie beleidigt nicht, verletzt keine Gesetze.

Warum drucken wir ab und an auch solche Briefe? Die Meinungen von Menschen verschwinden nicht dadurch, dass man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Am Ende kommt sonst Pegida oder Ähnliches heraus, und alle sind überrascht, irritiert und fordern, man sollte unbedingt mit den Menschen reden, die so denken. Wir halten es für zweckmäßiger, immer mit den Menschen zu reden, sie so zu nehmen, wie sie sind, und nicht auszugrenzen. Wir folgen Kant: Der Mensch aus so krummen Holz geschnitzt, dass nicht gerade wachsen kann.

Deshalb sind wir überzeugte Demokraten: Wir machen uns den Menschen nicht besser, als er ist. In einer Demokratie leben auch keine besseren Menschen, aber wir passen auf, dass sich das Böse und der Böse nicht unkontrolliert austoben kann,

Warum fügen wir nicht ein paar erläuternde Sätze hinzu? Die Meinung der Redaktion zu Flüchtlingen ist hinlänglich bekannt durch Leitartikel, Kommentare, Aktionen, Diskussionen usw. Es dürfte nicht möglich sein, unsere liberale Sicht auf die Flüchtlings-Debatte zu ignorieren. Wir erläutern also unentwegt – und sind bisweilen erstaunt, welche Meinungen Leser haben, die seit Jahren unsere Zeitung lesen (wobei wir auch die Briefe lesen müssen, die nicht gedruckt werden können).

Die Leser-Seite ist nun – aus gutem Grund – die Seite der Leser, in der eben nicht alles von der Redaktion kommentiert wird. Bisweilen entstehen jedoch Debatten unter Lesern auf dieser Seite: Davon hätten wir gerne mehr.

Kurzum: Unsere Leser-Seite ist vergleichbar der Hyde-Park-Corner in London, im Mutterland der Demokratie. Da stehen auch die guten Menschen nicht in der Nähe und kommentieren alle und jeden. Die einzige Ausnahme in der TA ist das „Leser fragen“ am Sonnabend, in dem der Chefredakteur auf Fragen und auf Kritik von Lesern antwortet. Fast jedes Mal bekomme ich Briefe und Mails, in denen mir oberlehrerhaftes Verhalten vorgeworfen wird. Die meisten Erwachsenen mögen das nicht, was sie als „Belehrung“ empfinden.

In der Hoffnung, dass Sie sich nicht dazu zählen, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Ramelow, Staatsfernsehen und die Kontrolle der Macht: Bestialisch (Leser fragen)

Geschrieben am 1. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Der neue Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat im Weimarer Privat-Sender Salve TV eine Sendung, in der er seine Politik ohne lästige Fragen von Journalisten preisen kann. Die Sendung „Ramelow & Co“ wird gerade von Medienrechtlern scharf kritisiert als „Staatsfernsehen“. Leser der Thüringer Allgemeine sehen das anders, so schreibt ein Leser aus Apolda:

Mit mir fragen auch viele Leser, was die Hetzkampagne gegen Salve-TV und gegen den neuen Ministerpräsidenten Ramelow bezwecken soll. Soll eine wahrheitsgetreue hautnahe Darstellung der Tagesarbeit des Neuen an der Spitze Thüringens, die durchaus interessant ist, verhindert und er in seiner freien Meinungsäußerung beschnitten werden?

Und eine Leserin aus Erfurt stellt fest: „Das ist doch dann endlich mal nachvollziehbare Demokratie.“

Der TA-Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“

Sie gehen beide davon aus, dass Politiker prinzipiell die Wahrheit sagen, uneigennützig sind und nicht ihre eigene Macht im Sinne haben, sondern stets das Wohl des Volkes. Man muss ihnen nur zuhören und schon kennen wir die Wahrheit und können Demokratie nachvollziehen.

Das wäre schön, aber die Erfahrung zeigt: Politiker mögen zwar über ein reines Herz verfügen, das allein die Wahrheit liebt, aber dennoch ist eine gute Kontrolle sinnvoll im Namen der Bürger und zum Nutzen der Demokratie.

Diese Kontrolle üben Medien aus – und nicht Politiker selber. So sieht es auch unsere Verfassung.

Jürgen Brautmeier ist ein unverdächtiger Zeuge. Er leitet die Direktorenkonferenz der Medienanstalten, also der Anstalten, die Rundfunk und Fernsehen in privater Hand zu kontrollieren haben. Er sagt: „Es gehört zu den Grundlagen unserer Verfassung, dass sich der Staat aus dem Rundfunk herauszuhalten hat. Deshalb wäre ich Ministerpräsident Ramelow dankbar, wenn er von sich aus seine Sendungsabsichten aufgibt. Alles andere wäre ein Tabubruch.“

Wenn ein Ministerpräsident kontrolliert wird, ist das weder eine Hetze noch eine Beschneidung seiner freien Meinungsäußerung. Er verfügt über eine eigene Abteilung, die seine Meinungen – oder auch Wahrheiten – der Welt mitteilt und den Presse-Stellen in den Ministerien Sprachregelungen verfügt wie etwa zu Salve-TV: „Der Vorwurf der staatlichen Einflussnahme ist nicht zutreffend.“

Wir alle sollten wachsam bleiben. Wer wachsam ist, sollte auch nicht der Hetze verdächtigt werden – auch nicht als „bestialisch“ eingeordnet, wie Salve-TV die Berichterstattung unserer Zeitung nannte. Wächter können irren, aber Bestien sind wir nicht.

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Thüringer Allgemeine 31. Januar 2015

Pegida und die Sprache der Politik: Redet so, dass wir euch verstehen! (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 31. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Ob man die Demonstranten mag oder nicht: Pegida hat den Unmut in die öffentliche Debatte befördert. Wir sprechen wieder über Politik.

Aber hat der Unmut nur mit dem Inhalt von Politik zu tun, mit Fremden, dem Islam und anderen Themen? Oder auch mit der Sprache der Politiker?

Die Ebert-Stiftung hat über dreißigtausend Jugendliche befragt: Warum tut ihr euch so schwer mit der Politik? Warum gehen immer weniger zur Wahl?

Das Interesse an der Politik ist viel höher, als wir vermuten. Acht von zehn jungen Leuten stimmen dem Satz zu: „Ich finde es wichtig, dass sich Menschen mit Politik auseinander setzen“. Und woran scheitert das Interesse? An der Sprache der Politiker: Unverständlich, mit Fremd- und Kunstwörtern sowie Beschönigungen durchsetzt; so klagen fast achtzig Prozent der jungen Frauen und fast siebzig Prozent der Männer. Dies sind einige der Beispiele, die Berufsschüler wählten:

> Das heißt nicht Nullwachstum, das heißt Stagnation. 
> Warum heißen Hausmeister Facility Manager?
> Früher hat man von einem Ausländeranteil gesprochen und jetzt spricht man von Migrationsanteil. Wofür jetzt diese Schönrednerei?

Spricht Pergida verständlicher? Schauen wir uns die Forderungen an:
>  Was ist „christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur“?
> Was sind „Parallelgesellschaften“?
>  Was bedeutet „Genderisierung“? 

„Redet so, dass wir euch verstehen!“, fordern nicht nur junge Leute – auch von Zeitungen. Knapp die Hälfte hält die Sprache der Redakteure für zu kompliziert.  

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 16. März 2015

Ramelow führt in Thüringen „Staatsfernsehen“ ein

Geschrieben am 17. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach gestern erstmals im TV-Sender Salve, ohne dass Journalisten ihn mit Fragen stören konnten. „Ramelow & Co“, so der Serien-Titel, wird jede zweite Woche ausgestrahlt. Im Konzept des Weimarer Senders heißt es: Ramelow wird eigenständig vor der Kamera zusammenfassen und reflektieren. Dabei spricht er direkt in die Kamera.

Ramelow verwirklicht so, wovon Adenauer träumte: Ein Staatsfernsehen. Dem ersten Kanzler der Bundesrepublik hatte das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vorgeschoben. „Das ist wie Staatsfernsehen, das geht so nicht“, kritisiert in der Thüringer Allgemeine der SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen Lemme, der auch der Versammlung der Thüringer Landesmedienanstalt vorsteht. Wenn Ramelow, so Lemme, ungestört zu den Thüringern sprechen wolle, „kann er sich auch gleich selbstständig machen mit einem eigenen Medienunternehmen“.

Trotz der Kritik, die aus allen politischen Lagern kommt, will Ramelow nicht von dem Auftritt abrücken, wie die Staatskanzlei mitteilt. Der Medienwissenschaftler Horst Röper aus Dortmund findet den Auftritt absurd und sagt der Thüringer Allgemeine:

Ich habe noch nie gehört, dass ein Ministerpräsident sich selbst kommentieren darf. Das ist unglaublich, das ist entsetzlich. Hier verabschieden wir uns vom Journalismus. Dass es so etwas geben könnte, hat vermutlich niemand geahnt.

Für den Salve-TV-Hauptgesellschafter Klaus-Dieter Böhm ist Ramelows Solo-Auftritt der Versuch, „Politik transparent zu machen“.

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Quelle: Thüringer Allgemeine 17.1.2015

Ein Leser schaut zurück auf die Leserbriefe des Jahres: Das ist gelebte Demokratie!

Geschrieben am 30. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Wolfgang Jörgens, Leser der Thüringer Allgemeine, liest jeden Leserbrief und notiert ihn in seiner Statistik: Welche Themen interessieren die Leser am meisten? In einer der letzten Ausgaben des Jahres schreibt Jörgens auf der „Leser-Seite“, was ihm aufgefallen ist – und tadelt die Redaktion, dass sie nicht jeden Brief der Leser auch beantwortet:

Da findet in Kürze ein Symposium in Erfurt statt, wo u. a. die Frage aufgeworfen und möglicherweise eine Antwort gesucht wird, die da lautet: „Was wollen die Leser?“ – „Und was bekommen Sie“ . . .von ihrer Heimatzeitung, der Thüringer Allgemeinen? Meine Antwort, als interessierter Leser: Sie, die Leser, wollen gehört und ernst genommen werden. Sie bekommen seit nunmehr fünf Jahren „Ihre“ Leserseite!

An dieser Stelle wiederhole ich mich gern und sehr bewusst: Das ist gelebte Demokratie. Kritiker an dieser Aussage mögen die Frage beantworten, welche regionale Tageszeitung bringt es in fünf Jahren fertig, über 6800 Meinungen von Lesern, ob zustimmende oder ablehnende, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich denke, da gibt es nicht viele vergleichbare Beispiele.

Auch das abgelaufene, sehr turbulente Jahr 2014 belegt dies sehr deutlich. Immerhin wurden 1933 Leserbeiträge in Gedichtform, als Bildunterschrift oder als Textbeitrag zu den unterschiedlichsten Tagesthemen veröffentlicht. Mit der großen Politik, der Bundespolitik, befassten sich 732 Beiträge. Mit der Landespolitik des Freistaates 369. Auch mit 195 Beiträgen zum Thema DDR und einem Anteil von rd. 10 Prozent wurde sich befasst und schließlich 637 Beiträge, das sind rd. 33 Prozent aller Beiträge, brachten u. a. Meinungen zum Sport, der Kultur, dem Umweltschutz, der Landwirtschaft und dem Jagdwesen zum Ausdruck.

Sicher haben sich manche Leserbriefschreiber darüber geärgert, oder gewundert, dass ihr Beitrag nicht veröffentlicht wurde. Ich bin mir sicher, dass alle eingegangenen Leserbriefe von der Redaktion gesichtet, gelesen und in die redaktionelle Arbeit einbezogen wurden. Durch Lesergedichte und Fotos mit Bildunterschrift stand möglicherweise weniger Platz zur Verfügung. Aber, diese Beiträge bringen ebenfalls Emotionen und Meinungen und das Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Heimatzeitung zum Ausdruck.

Also haben sie einen berechtigten Platz auf der Leserseite. Ich erspare mir einen näheren Blick auf die „große“ und „kleine“ Politik. Hier würde ich möglicherweise zu viel Subjektivismus rein formulieren. Da mag sich jeder Leser seine eigene Meinung bilden. Etwas erstaunt bin ich jedoch darüber, dass man auf Anfragen an einzelne Redakteure zu bedeutsamen Themen, die die Menschen in unserem Land bewegen, keine Antwort erhält. Lobenswert hierbei sind die rund 50 Beiträge des Chefredakteurs Paul-Josef Raue auf gestellte Fragen, die teilweise unter die „Gürtellinie“ gegangen sind. Respekt vor soviel Mut. Aber Mut zur Wahrheit gehört eben auch zu einem guten Journalismus und einer dynamischen Redaktion im Land und in den Landkreisen. Hier beziehe ich mich gern auf den Landkreis Nordhausen.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die Leserbeiträge, da diese nicht anonym bleiben, einen gewissen Mut zur Wahrheit belegen. Alles in allem eine gute Kombination von Professionalität, Sachkenntnis, auch im Ehrenamt, und Leidenschaft auf beiden Seiten. Das führt letztlich zu einer guten Tageszeitung, unserer Thüringer Allgemeinen.

In diesem Sinn allen Beteiligten ein glückliches neues Jahr, hoffentlich in Frieden und dem Willen, aufeinander zuzugehen, dem anderen zuzuhören und möglichst miteinander unser schönes Land weiter zu entwickeln und zu gestalten.

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Das Symposium, das Jörgens eingangs erwähnt, findet am 12. Januar zum 25-Jahr-Jubiläum der Thüringer Allgemeine statt: „25 Jahre Einheit – 25 Jahre Demokratie im Osten – 25 Jahre TA“

Thüringer Allgemeine, 30. Dezember 2014

Wer ist ein guter Journalist?

Geschrieben am 9. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Wenn zur richtigen Haltung gutes Handwerk dazukommt.

Die Macher des erfolgreichsten Lieds der DDR „Über sieben Brücken musst du gehn“ in einem MDR Feature vom Dezember 2014.

Richtige Haltung im Journalismus ist die Leidenschaft, die Bürger in einer Demokratie umfassend, verständlich und wahrhaftig zu informieren und das Wichtige vom Unwichtigen zu unterschieden. Zur Haltung gehören fünf Eigenschaften: Neugier, Streitlust, Rückgrat, Misstrauen und die Abneigung gegen Hochmut.

Gutes Handwerk ist neben der Beherrschung unserer Sprache die Fähigkeit, eine Nachricht und Reportage schreiben und vorurteilsfrei recherchieren zu können sowie die Grundlagen unserer Ethik zu kennen.

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